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7.Staatlicher Bergbau und Bergbeamte –
das sächsische Vorbild
ОглавлениеWir halten hier inne, um einige Orientierungspunkte für das Verständnis von Bergbau und Bergbeamten zu gewinnen. Wie war die Arbeit in den sächsischen Berg- und Hüttenwerken des 18. Jahrhunderts organisiert? Was sind Bergbeamte und welche Rolle spielten sie? Warum wurde 1765 eine Bergakademie in Freiberg gegründet? Die utilitaristischen Programme der Aufklärungsbewegung und des Kameralismus hatten zweifellos ihren Anteil an der Gründung dieser neuartigen Ausbildungsinstitution, aber es gab auch eine Reihe weiterer, konkreter Gründe dafür, die in den lokalen Strukturen des sächsischen Bergbaus, seiner staatlichen Lenkung und der Praxis der Bergbehörden verankert waren. Friedrich Anton von Heinitz war Mitbegründer der Freiberger Bergakademie und zehn Jahre lang leitender sächsischer Bergbeamter. Als preußischer Minister und Leiter der zentralen preußischen Bergbehörde würde er eine ähnliche Politik verfolgen wie zuvor in Sachsen.
Wenn im 18. Jahrhundert von „Bergbau” die Rede war, so waren damit auch die Hüttenwerke eingeschlossen, die sich meist in der Nähe der Gruben befanden, sowie die metallverarbeitenden Betriebe und sogenannten „Bergfabriken” wie Blaufarben-, Alaun-, Vitriol-, Arsenik- und Schwefelwerke, Glashütten und Porzellanmanufakturen, die bergbauliche Rohmaterialien weiterverarbeiteten. Sachsen war ein Bergstaat, dessen Ökonomie maßgeblich vom Silberbergbau abhing und in geringerem Umfang von der Blei-, Zink-, Zinn-, Kupfer- und Eisengewinnung.114 Die Organisation des sächsischen Bergbaus lag in den Händen des Staates, der im Verlauf des 17. Jahrhunderts das staatliche „Direktionsprinzip“ vollständig durchgesetzt hatte. Nach diesem Prinzip war auch der jahrhundertealte Erzbergbau im Harz organisiert, und Preußen folgte diesem Vorbild nach dem Siebenjährigen Krieg.
Das Direktionsprinzip, nach dem der Staat nahezu unumschränkte Eingriffsund Leitungsbefugnisse im gesamten Bergbau besaß, baute juristisch auf dem älteren Bergregal auf, das dem Landesherrn die Verfügungsrechte über alle natürlichen Bodenschätze erteilte. Der Landesherr konnte entweder selbst Gruben eröffnen und Hüttenwerke betreiben oder das Land an Privatunternehmer bzw. genossenschaftliche Zusammenschlüsse von Privatpersonen, sogenannte „Gewerken“ oder „Gewerkschaften“, verpachten. Die Gewerken hatten dann einen Teil ihrer Einnahmen, meist den „Zehnt“ (10 Prozent) oder eine frei vereinbarte „Kuxtaxe“ an die Staatskasse abzuführen. Auf diese Weise sicherte sich der Regalherr beträchtliche Einkünfte, ohne selbst ein Investitionsrisiko zu tragen. Die Gewerken erhielten dafür das exklusive Privileg für den Abbau der Bodenschätze in den ihnen überlassenen Bergrevieren, das mit weiteren Rechten, wie dem einer eigenständigen Rechtsprechung, verbunden war.
Das auf dem Bergregal aufbauende Direktionsprinzip reduzierte die Aufgaben der privaten Gewerken weitgehend auf die Funktion von Geldgebern, die, ähnlich wie moderne Investoren in Aktienunternehmen, am erwirtschafteten Gewinn partizipierten. Die Mitglieder der Gewerken erwarben Grubenanteile („Kuxen“) und erhielten auf jeden Kux einen Gewinnanteil, die „Ausbeute“. In unrentablen Gruben leisteten sie „Zubußen“ für den laufenden Betrieb und Neuinvestitionen. Die Unternehmensleitung, Einstellung der Bergleute und alle wichtigen wirtschaftlichen, technischen und administrativen Entscheidungen lagen dagegen in den Händen des Staates. In den kursächsischen Hüttenwerken, die seit dem 16. Jahrhundert fast vollständig in Staatsbesitz übergegangen waren, wurde auf dieselbe Weise verfahren.
Für die Leitung der Gruben und Hüttenwerke schuf der sächsische Staat besondere Bergbehörden, die hierarchisch organisiert waren. An der Spitze sämtlicher Berg- und Hüttenwerke und Bergfabriken stand eine zentrale Behörde in Dresden, das „Kammer- und Berggemach“. In Freiberg war das ausschließlich für die Bergwerke zuständige „Oberbergamt“ angesiedelt, an das noch ein „Oberhüttenamt“ angegliedert war. Dem Oberbergamt unterstanden wiederum die insgesamt 16 lokalen Bergämter in den einzelnen Bergrevieren. Während die Beamten des Dresdener Kammer- und Berggemachs vorwiegend mit fiskalischen Aufgaben beschäftigt waren, kamen die im Freiberger Oberberg- und Oberhüttenamt und den lokalen Bergämtern arbeitenden Bergbeamten auch administrativen und technischen Aufgaben nach. Sie waren, modern ausgedrückt, sowohl Finanzbeamte als auch staatlich eingesetzte Betriebsleiter, Manager und Techniker. Denn es waren die Staatsdiener, die für den Bau der Schächte und Stollen, die Funktionstüchtigkeit der Erzfördermaschinen, Wasserräder und Stangenkünste, die Anlage von Speicherteichen, Kanälen und Straßen und die Technik der Hüttenwerke verantwortlich waren. Das Direktionsprinzip hieß in der Praxis, dass Berg- und Hüttentechnik in staatlicher Hand lagen.
Bergbau und Hüttenwesen waren die Großindustrie des 18. Jahrhunderts. Nirgendwo sonst existierte eine derart avancierte Maschinentechnik, die in ein infrastrukturelles System von Kunstteichen, Kanälen und Wasserleitungen eingebettet war. Ein ebenso hohes Entwicklungsniveau wies die Arbeitsteilung auf. Der kursächsische Staat beschäftigte um 1780 rund 11.000 Bergarbeiter, die sehr spezielle Teilfunktionen in den Berg- und Hüttenwerken ausübten. Die körperlich schwer arbeitenden Häuer, die das Erz abbauten, hatten nur wenig gemeinsam mit den Haspelknechten, die das Erze zutage förderten, und die Verrichtungen beider unterschieden sich wiederum signifikant von denen der Schmelzer in den Hüttenwerken. Diese technische Arbeitsteilung wurde durch eine soziale Trennung ergänzt. Die Häuer, Knappen, Haspelknechte, Zimmerer und allen anderen Bergleute, die körperlich schwere Arbeit leisteten und eine einfache Handwerkslehre absolviert hatten, gehörten zu den Bergarbeitern, während die Steiger, Schichtmeister, Probierer, Markscheider und Kunstmeister zu den technischen Beamten gehörten. Die Freiberger Bergräte koordinierten das Zusammenwirken dieser Praktiker und trafen technische Entscheidungen. Aber auch sie waren keine reinen Kopfarbeiter, sondern übernahmen auch selbst praktische und experimentelle Spezialaufgaben.115
Die Bergbeamten in Freiberg und den lokalen Bergämtern erfüllten somit administrative und technische Schlüsselfunktionen im arbeitsteilig organisierten System des Bergbaus und Hüttenwesens. Dazu kamen juristische Aufgaben in einem Bergstaat wie Kursachsen, in dem die Rechtsprechung in allen bergbaulichen Angelegenheiten an die Bergbehörden delegiert war. Innerhalb der Beamtenhierarchie waren diese Aufgaben auf verschiedene Berufe und Beamtenränge verteilt, die wir grob in zwei Gruppen einteilen: die unteren und mittleren „technischen“ Beamten und die höheren Berg- und Hüttenbeamten. Das Direktionsprinzip hieß in der Praxis nichts anderes, als dass die Berg- und Hüttentechnik und die wichtigen Entscheidungen über deren Innovation in staatlicher Hand lagen. Alle bergbaulichen Veränderungen und Verbesserungen hingen somit vom Sachwissen und der Innovationsbereitschaft der Bergbeamten ab.