Читать книгу KurzLeben - Ute Bronder, Lolita Büttner - Страница 3
AUTOBAHN
Оглавлениеvon Lolita Büttner
Autos. Autos. Autos. Überall.
Das ich muss mal dringend Gefühl war kaum noch zu ertragen.
Endlich.
Ein Schild.
Er nahm die Ausfahrt ohne zu bremsen und kam mit quietschenden Reifen direkt neben den Toiletten zum Stehen.
Wie im Film, dachte er.
Übervorsichtig stieg er aus.
Nur eine falsche Bewegung und es könnte eine Sauerei geben. In einer Wolke aus Kloakendunst fand er Erlösung und als er zurückkam, blieb er vor seinem Wagen stehen.
Stumm.
Nachdenklich.
Auf seinem Beifahrersitz saß ein riesiger Elch aus Plüsch.
Er ließ seinen Blick über den Rastplatz schweifen.
Nichts.
Weit und breit keine Menschenseele.
Eigentlich war ihm das schon vorm Pinkeln aufgefallen.
Er ging ein paar Mal um das Auto herum.
Nichts Verdächtiges.
Ist das mein Auto?
Er las das Kennzeichen laut.
Nur um auf Nummer sicher zu gehen.
Eindeutig. Mein Auto.
Gut, dann fährt er eben mit, der Elch aus Plüsch.
Er kramte nach seinem Schlüssel und steckte ihn ins Schloss.
Abgesperrt habe ich auf jeden Fall.
Während er sich auf den Sitz plumpsen ließ und den Motor startete, sah er nicht ein einziges Mal zu dem Elch hinüber.
„Ich hoffe, dir wird beim Autofahren nicht schlecht!“
Er griff nach dem Beifahrergurt und befestigte ihn.
„Nur zu deiner Sicherheit.“
Mechanisch reihte er sich in die endlose Autokolonne ein, die nun eine fast beruhigende Wirkung auf ihn hatte.
„Ich bin Nimo.“
Seine Stimme bohrte sich durch das laute Motorbrummen. Der Blick des Elches war geradeaus auf die Straße gerichtet.
Kein Lebenszeichen.
Es regnete.
„Du bist mein erster Beifahrer. Kannst du das glauben?“
Er fummelte, drückte und drehte an den Radioknöpfen.
Es rauschte, fiepte, quietschte.
„Ich krieg’ leider nur selten Empfang. Muss an der Elektrik liegen.“, kommentierte er ernst und schnappte gleich darauf wie ein Fisch nach Luft, denn die Hand des Elches lag nun vertraut auf seiner. Eine Geste, die er nur von Frauen kannte.
Keine Einbildung. Weniger Tempo.
Er fühlte eine Anspannung in der Brust, ein Pochen im Hals und starrte auf das Profil des Elches, in der Hoffnung, jetzt werde er gleich etwas Beutendes sagen.
Nichts.
Nur das Radiorauschen, welches sich zaghaft in eine Radio-Dolby-Surround-Klangwelt verwandelte.
Dann Musik.
Listen to your heart, when he's calling for you...
In meinem Auto? Ein Wunder!
„Schon kapiert.“, hörte er sich selbst beruhigen.
„Du fährst lieber mit Musik.“
Er gab wieder mehr Gas und lenkte den Wagen auf die linke Spur, um den bedrohlich wackelnden LKW vor sich zu überholen. Der Plüscharm kehrte zurück an seinen Platz. Eine Weile lauschte er konzentriert der Musik bis er nicht mehr aushielt.
„Wie zum Teufel bist du nur in mein Auto gekommen?“, fragte er den Elch, der ihn doch tatsächlich mit seinen leblosen Plastikaugen aus milchigem Weiß und bernsteinfarbigen Kreisen direkt ansah. Eine Antwort, die er nicht erwartet hatte und er bremste.
Heftig.
Wieder quietschende Reifen, wieder filmreifes Parken seines Autos.
Alle Funktionen auf Null. Das Radio tot.
Auf dem Seitenstreifen - Atmen.
Du bist überarbeitet.
Alles wird gut. Alles ist gut.
Er schloss die Augen.
Gedankenblitze zuckten über seine Lieder. Im Kopf versuchte er nun den Lärm der Autobahn in Musik zu verwandeln.
1. Satz: Das Echo eines Hupkonzertes.
Das aber war nicht nur in seinem Kopf sondern draußen auf der Straße. Ein LKW stand quer auf der Fahrbahn. Der Gleiche, den er kurz zuvor überholt hatte. Die Heckklappen waren weit geöffnet und ein Teil der Ladung verstreute sich auf dem nassen Asphalt.
Wann war das passiert?
Plötzlich panisches Autobremsen.
Quietschen.
Schlittern.
Ein Crash.
Und Schreie.
Der Gestank von verbranntem Gummi zwang ihn, zum Handy zu greifen und den Notruf zu wählen. Gefasst und sachlich schilderte er die Situation und als er auflegte, stauten sich die Autos kilometerweit. Erschöpft sah er zu dem Elch hinüber, der wie zu Beginn ihrer Fahrt geradeaus auf die Straße blickte.
„Danke!“, flüsterte er und griff nach seinem Arztkoffer auf dem Rücksitz.
„Ich geh da jetzt raus. Helfen. Du bleibst hier und behältst uns im Auge!“
Er öffnete die Tür und ihm war als würde der Elch nicken.
Hastig zog er sich den zerknitterten Arztkittel über, hing sich sein Stethoskop um und lief auf die Unglücksstelle zu.
Da waren Autos, Autos, Autos. Überall.