Читать книгу Wüste als Mahal - Ute-Maria Graupner - Страница 10

ES WAR EINMAL, und es ist noch

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Die Frauen plaudern munter, schreiten leichtfüßig durch den Sand. Es scheint keine Schwierigkeiten zu geben mit dieser Gruppe. Esthes und Omar würden viel Zeit für einander haben.

Esthes hört die Kommentare, das man einiges ändern könnte hier. Dass sich die Frauen auch ein kulturelles Dorfleben erarbeiten müssten, die von Männern besetzen Cafés erobern oder sich gleichermaßen Kommunikationsorte schaffen könnten. Sie kennt diese Ideen von anderen Mitreisenden. Die meisten arabischen Frauen, mit denen sie hier darüber gesprochen hatte, wollen gar nicht in Cafés gehen. Sie sagen, dass ihnen die Gespräche der Männer nicht wichtig seien, und dass es ganz normal sei, dass Männer und Frauen unterschiedliche Interessen haben. Auch Esthes glaubte zu Beginn ihrer Aufenthalte am Wüstensaum, dass es wichtig für die Frauen sei, es den Männern gleich zu tun. Mittlerweile weiß sie, dass hier im Nachahmen der Männer nicht die Befriedigung der Bedürfnisse der Frauen hier liegt. Vielleicht wäre es interessant zu beobachten, was passieren würde, wenn die Frauen ihr Selbstbewusstsein mehr nach außen zeigen würden. Esthes hat beobachtet, dass in dieser Region eine andere Art der Emanzipation stattfindet. Ganz heimlich und leise stürmen die Frauen die Universitäten und machen den größeren Part der Akademiker aus. Im Grunde vertun sie nicht ihre Zeit mit lauten Kämpfen gegen die Welt der Männern, sondern diejenigen, die erkannt haben, dass sie ihr Leben verändern wollen, tun es im Stillen und behalten sich damit einem großem Teil ihrer Kraft, für das, was sie wollen. Ob es das ist, was die Männer tun, spielt dabei keine entscheidende Rolle. Esthes erscheint dieser Weg sehr klug. Sie hofft, dass dadurch die Frauen ihre Ziele erreichen, ohne sich von der Anerkennung der Männer abhängig zu machen.

Nach zwei Stunden kommt die kleine Karawane in Gefilde, die Esthes sehr vertraut sind. Sie erkennt die Silhouette des ersten gemeinsamen Lagerplatzes, den sie Mahal getauft hatte.

Als sie endlich ankommen, ist es bereits Mittag und sehr heiß. Viel zu heiß für diese Jahreszeit. Dabei hatte Esthes den Zeitpunkt der Reise doch sorgsam gewählt. Mit Touristen fährt sie nur im Winterhalbjahr in die Wüste, weil ihr die Verantwortung im Sommer mit seinen Gefahren zu groß ist.

Die Europäerinnen lassen sich auf die ausgebreiteten Decken in den Schatten fallen. Man beklagt sich über die Fliegen, bis allmählich alle Frauen in für die Region übliche Weise ihr Kopftuch über das Gesicht legen. Die Gespräche verstummen nach und nach. Man schläft. Die Stille umrahmt das Gemurmel der Guides, die emsigen Gespräche der Insekten und das Knacken des Holzes im Feuer, welches für die Zubereitung des Mittagessens benötigt wird.

Esthes träumt von damals. Sie und Omar kamen in der Sommerhitze hier an. Die Hitze machte sie müde, und die Stille ließ sie zur Ruhe kommen. Omar hatte seinen Burnus zwischen die Büsche gehängt, so dass sie darunter im Schatten schlafen konnten. Dicht umschlungen ruhten ihre erschöpften Körper. Während des Schlafes verrutschte das ockerfarbige Kleid. Esthes nackte Beine waren von Sommerwärme umgeben. Als sei es erst gestern gewesen, wie sie die langsamen Bewegungen von Omars Händen genossen hatte. Vorsichtig wanderten sie unter den kühlen Stoff zu ihren Brüsten. Jede kleine Berührung des weiblichen Leibs war eine Erregung für sich gewesen. Sie hatten viel Zeit für all die Begegnungen von Haut und Fleisch. In der Wüste gibt es keine Eile. Die weiß Frau hatte die Berührungen wie ein Teenager erlebt und musste nicht die abgeklärte, erfahrene Frau sein, die routiniert auf ihren Orgasmus hinsteuert. Jede Erforschung ihres Körpers hatte Stunden gedauert, und es war ihr nie langweilig gewesen.

Auch die Erinnerung an den Schafhirten ist wieder da, der plötzlich bei ihrem Lager auftauchte. Omar hatte schnell sein Tshesh auf ihre mittlerweile aufgedeckten Brüste gelegt. Er hatte sich erhoben, um den Hirten zu begrüßen. Esthes hatte wohl eine Stunde lang in ihrer Stellung unter dem Tuch verharrt und sich schlafend gegeben. Die beiden Männer saßen am Rande des Schattens und unterhielten sich in der fremden Sprache. Sie weiß noch genau um diese wache Erregung, in der sie die Sommerhitze vermischt mit ihrer eigenen aushalten musste. Sie erinnert sich an die Feuchtigkeit zwischen ihren Schenkeln, die sich so lustvoll anfühlte und bei der kleinsten Bewegung weiteres Begehren erweckte. Diese unendlich lange Stunde, in der sie nur unverständliche Worte durch Omars Stimme vernahm und das Verlangen spürte, er möge doch den Schäfer weiter schicken und endlich zu ihr zurückkommen. Erst als der Hirte aufbrach, wagte es Esthes sich zu bewegen und ihr Kleid wieder zuzuknöpfen. Der Freund erklärte ihr, dass es in der Wüste andere Gesetze gäbe. Und dass es unmöglich sei, einem Menschen, der seit Tagen oder Wochen mit niemanden gesprochen hat, ohne Gespräch zu begegnen. Dadurch lernte Esthes die Lust kennen, die in dem erwartenden Verlangen liegt, und sie weich machte für das, was mit Omar noch erlebt werden wollte.

„A table!“ Das Essen ist fertig. Die Frauen sitzen etwas verschlafen im Sand um die große Schüssel herum, aus der sich jede mit einem Löffel von dem Salat bedient. Das frisch gebackene Brot aus der Glut des Feuers ist, wie immer am Anfang eines Wüstengangs, der Höhepunkt des Essens. Nach dem Mahl schwärmen die Frauen aus, um die Region zu erkunden. Esthes hat Zeit für sich und badet in Stille. Die Guides, vom Ramadan-Tages-Fasten erschöpft, liegen als rotbraune Hügel unter ihren Burnushat. Esthes entfacht erneut das Feuer mit dem Holz der Wüste, dessen Geruch sie so liebt. Wie damals kocht sie für sich ihren arabischen Kaffee. Ausgerechnet ihren Platz hat Omar als ersten Lagerplatz angesteuert. Die Blicke, die sie beim Abladen austauschten, waren dieselben wie seinerzeit. So vertraut, als hätte es nie so einen langen Zeitraum zu ihrer letzten Begegnung gegeben. Dieses Selbstverständnis, welches sie in seiner Gegenwart empfindet, hat sie zuvor mit keinem Menschen verspürt. Sie würde Omar bitten heute Abend die übliche Feuerrunde eher zu verlassen, um mit ihr allein zu sein.

Wie eh und je kriecht Esthes auf eine der hohen Dünen und schaut in die Weite der Sandwogen. Wellen von Sand in ihren interessantesten Formen zu schauen, das hat sie schon immer geliebt. Hier auf dieser Düne wurde sie zur Wölfin.

Als die Jungs, wie Esthes ihre männlichen Begleiter zu benennen pflegte, mit den Vorbereitungen für das Abendessen beginnen, fragt sie Omar, ob er heute Abend mit ihr reden möchte.

„Selbstverständlich!“ ist seine Antwort.

Beim Abendbrot tauschen die Frauen schon die ersten Erfahrungen aus. Sie sind beeindruckt von der Weite des Gelbs, das nie langweilig wird, weil es sich in verschiedenen Rundungen und Schattierungen verteilt. Sie berichten von der Unglaublichkeit dieser Stille, den vielen Fliegen und den unterschiedlichen Spuren im Sand. Esthes erklärt die des Fuchses, die der wilden Hunde, die es noch in dieser Entfernung zur Zivilisation gibt. Sie beschreibt die Spuren des Wolfes, der Wüstenmäuse, der Skarabäi, der großen und der kleinen Pillendreher, die der Eidechsen, der Vögel und der Vipern. Aber die seien jetzt nicht mehr unterwegs. Die gebe es nur im Sommer. Eine Faszination für die Region, in der sich die Europäerinnen befinden, macht sich breit und mit ihr eine kleine Demut vor der Schöpfung dieser Welt.

Wie immer bleibt auch diese Reisegruppe nach dem Essen lange um das Feuer sitzen.

„Weißt du noch, wie wir das letzte Mal hier waren?“ fragt Esthes und schaut zu Mohamed. Er klopft auf sein Bein. „Ja, genau!“ Esthes wendet sich zu den anderen.

„Passt auf, beim letzten Besuch in der Wüste hatte sich ein Dromedar schon am ersten Tag einen Spreißel in den Fuß getreten.“ Sie kichert. „Die Guides haben es im Sitzen angebunden, hin und her geschaukelt, damit es auf die Seite fällt. Das Dromedar fiel aber unerwünscht auf die Seite, wo Mohamed stand. Das volle Gewicht knallte auf sein Knie. Er hatte Schmerzen, war kreidebleich und konnte sein Bein nur in einem bestimmten Winkel halten. Glücklicherweise hatte einer der Mitreisenden Schmerzmittel dabei, das Mohamed willig nahm. Ali, der Fahrer des Pickups, wurde angerufen. Er kam dann mit zwei weiteren Beduinen. Die Jungs haben das Dromedar dann noch mal auf die Seite gelegt und versuchte den Spreißel aus dem Fuß zu ziehen. Das Dromedar brüllte, wehrte sich, und auch wir Europäer mussten es an irgendwelchen Stricken festhalten, damit man überhaupt an den Fuß herankam. Mittlerweile wirkte das Schmerzmittel, und Mohamed hüpfte um das flach gelegte Tier herum und gab Anweisungen. Es war schon wieder komisch. Viel Aufwand und letztlich konnte keiner den Spreißel entfernen. Der fiel dann ein paar Tage später von selbst heraus. Mohamed wurde gegen einen anderen Guide ausgetauscht, und die Reise ging weiter, vielmehr begann sie eigentlich erst.“ Während Esthes die Geschichte erzählte, sprach auch Mohamed auf arabisch mit Chamal, der seinerzeit nicht dabei war und zeigte immer wieder auf sein Knie.

„Was hatte er denn?“ fragt Anne.

„Er hatte sich den Schienbeinkopf gebrochen und bekam einen Gips.“

Völlig selbstverständlich liegt Omars Kopf auf den Beinen von Esthes. Keiner scheint darauf zu reagieren. Noch wissen die Frauen nicht, dass sie eine sehr innige Beziehung mit einander verbindet. Die Wüsten erfahrene Frau übersetzt Hunderte von Fragen und Antworten, bis sie darüber enttäuscht ist, dass Omar keine Reaktionen zeigt, mit ihr aufzubrechen.

„Wo schläfst eigentlich du?“ fragt Gudrun. Esthes ist verlegen.

„Auch hier irgendwo. Ich habe mein Lager noch nicht gemacht.“ Das ist ihr Signal. Sie verabschiedet sich und legt sich hinter eine kleine Düne, uneinsehbar für die anderen. Sie blickt in das Gefunkel am Himmel. Immer neue, kleine leuchtende Punkte tauchen aus der Tiefe auf. Wieso hat Omar keine Initiative ergriffen, mit ihr zu reden? Hat er nicht auch das Bedürfnis gezeigt, sich mit ihr auszutauschen? Ist er immer noch der Mann, der kaum Initiative zeigt? Mit diesen Gedanken gleitet die müde Wanderin in die Unendlichkeit eines Wüstenschlafes unterm Sternenzelt.

Esthes träumt von der Weite des Sandes, als sie deutlich das knirschende Geräusch von Schritten auf dem feinen Pulver hört. Sie wird wach. Die Trittlaute werden lauter. Sie erkennt die Schritte von Omar. Dann ertönt leise seine Stimme.

„Also lass uns reden.“ Sie öffnet die Augen. Omar beugt sich über sie und schaut sie ruhig an.

„Jetzt kommst du erst?“ Die verschlafene Frau schüttelt sich, als ob sie den frisch gewonnenen Schlaf abwerfen möchte. „Ich habe schon geträumt.“

„Möchtest du weiter schlafen?" fragt der Mann, der bei Nacht noch dunkelhäutiger wirkt als bei Tage.

„Nein, aber ich bin enttäuscht, dass du erst jetzt kommst. Du wolltest doch auch mit mir reden, und nicht nur ich mit dir", murmelt Esthes.

„Ich habe am Feuer die ganze Zeit auf ein Zeichen von dir gewartet. Ich wollte dich nicht einschränken, sondern dir das Gefühl geben, dass ich deine Gefühle berücksichtige.“ Esthes ist wieder hellwach. Omar geht auf ihre Bedürfnisse ein. Sie hatte ihm Desinteresse unterstellt, wie schon so oft in den Zeiten vorher. Vielleicht hatte sie sich da auch getäuscht?

„Gut, dann lass uns reden, hol deine Sachen.“ Sie legen ihre Matten und Schlafsäcke neben aneinander. Der Beduine hat immer noch den Schlafsack, den Esthes ihm einmal geschenkt hatte. Der Reißverschluss sei kaputt. Omar benutzt ihn als Unterlage. Die weiße Frau bewertet es als ein Zeichen der Treue, denn auf einer Decke zu liegen wäre bequemer gewesen. Im Flüsterabstand liegen die beiden neben einander.

„Weißt du noch, dass wir es als besondere Veränderung betrachteten, wenn ich ein Auto besitzen würde?“ meint Omar.

„Ja, natürlich!“ haucht Esthes.

„Ich hatte ein Auto. Du kennst es.“ Omar macht eine Pause. Er ist sich der Überraschung seiner Aussage bewusst. „Es war der alte Peugeot von Abdalla, mit dem wir schon am Meer waren. Ich hatte davon geträumt, dich damit eines Tages vom Flughafen abzuholen.“ Die weiße Frau ist sprachlos. Das wusste sie nicht. Ja, sie kennt dieses vierrädrige Objekt, welches schon Hunderttausende von Kilometer auf dem Tacho hatte, und an dem überall ein bisschen fehlte und etwas weg stand, aber es fuhr. Und es gilt auch in ihren Augen als ein Auto mit jenem symbolischen Charakter.

„Aber dann wurde meine Großmutter sehr krank, und ich brauchte Geld für die Operation ihres Tumors. Ich war sehr glücklich, mein Auto für meine Großmutter zu verkaufen und so noch etwas für sie tun zu können, auch wenn Gott es anders wollte", fährt der Mann leise fort.

Esthes ist noch immer sprachlos. Omar hatte sein Ziel erreicht. Es war ihm sogar möglich, das mühsam ersparte Auto mit einem Kilometerstand von unendlich und trotzdem sein ganzer Stolz, aus Liebe zu seiner Großmutter wieder zu verkaufen. Ein eigener Wagen galt bei dem Paar als Symbol, auch Unmögliches möglich zu machen. Sie waren sich damals einig, wenn Omar ein Auto haben würde, dann hätte er genug Sicherheit in sich, um seine anderen Ziele zu verwirklichen. Den Status als Autobesitzer, hatte er dieser großartigen Frau geopfert. Esthes versteht. Es war das letzte Geschenk, das die beiden der Großmutter machen konnten. Denn auch Esthes war beteiligt durch Verzicht auf die Überraschung vom Flughafen abgeholt zu werden. Omar hatte es also geschafft. Großmutter war es wert, dieses Symbol geschenkt zu bekommen, keine Frage.

„Ich habe eine große Achtung vor dir.“ Esthes schmiegt sich an Omars Körper. Er öffnet seine Arme und hält sie so lange, bis ihre Tränen nicht mehr fließen, jene Tränen der Verwunderung, wie sie je an Omars Charakter habe zweifeln können und der Erkenntnis, dass es auch ihr Geschenk an die Großmutter war. Sie küssen sich, als ob es nie eine lange Trennung zwischen ihnen gegeben hätte. Die Nähe und Achtung ist wieder da. Esthes will sie auskosten, mit in den Schlaf hinein nehmen, und morgen würde man sehen, was noch zwischen ihnen möglich ist.

Sehr früh am Morgen wird Esthes von weichen Lippen auf ihrer Wange geweckt. Es ist noch dunkel.

„Ich muss etwas essen, bevor die Sonne aufgeht", flüstert Omar, „Schlaf auch ohne mich gut weiter.“ Er erhebt sich, um der Sitte zu folgen, die seine Religion während des ,Ramadans vorschreibt. Esthes blickt in den Himmel, der noch immer von Gefunkel übersät ist. Unter dem Sternenzelt fühlt sich die starke Frau angenehm klein und geborgen, als ob sie von oben beschützt würde. Sie schaut auf die blinkenden Punkte bis sie in der aus Osten heran nahenden Helligkeit verblassen. Das vertraute Gemurmel der Guides und das Knacken des Feuers geben ihr das Gefühl zuhause zu sein.

Während die anderen zusammen bei Kaffee und warmen Brot um das Morgenfeuer sitzen, durchstreift Esthes das Gelände, das sie als das ihre betrachtet. Es ist noch immer ihr gemeinsamer Platz, ihr Mahal, noch immer vertraut, dieses Stück Erde, auf dem sie so viel Nähe mit Omar erlebt hatte. Auch die Düne ist noch da, auf der sie nachts allein gesessen hatte, weil sie nachdenken wollte über das Fremde, das zwischen ihm und ihr stand, und Omar ihre Nöte nicht verstehen wollte. Von dieser Düne hatte sie damals im Mondlicht einen vierbeinigen Schatten immer näher kommen sehen. Das Tier schien keine Hemmungen zu haben, bis an den Rand der Düne zu kommen, auf der sie saß. Esthes hatte damals keine Ahnung, dass Wölfe viel zu viel Angst vor ihr hatten, und sie zu keiner Sekunde in Gefahr war. In großer Panik rannte sie zu Omar zurück, der herzlich über sie lachte. Sie kroch unter seine Ziegendecke und vergaß ganz, dass er sie mit ihren Nöten nicht verstand.

Das Gebüsch, in dem sie wohnten, gibt es noch. Sie hatten ihr Lager nicht außerhalb des Schattens ausdehnen können, da es viel zu heiß war. All ihre Gegenstände waren zwischen Ästen und Blättern angeordnet, so dass Omar und Esthes wie in einer Höhle wohnten. In diesem Schatten dösten sie mittags, wenn es so heiß war, dass man nur noch liegen und warten konnte, bis die Hitze vorbei war. Omar ließ währenddessen sein Dromedar immer zwei, drei Stunden frei herum laufen, damit es von den trockenen Wüstengewächsen fressen konnte. Sobald es etwas kühler wurde, stand der Beduine mit den Worten auf, emschi, ua shouf ain el chamel. Das war dann auch der zweite arabische Satz, den Esthes sprechen konnte. Er bedeutet, ich stehe jetzt auf, um das Kamel zu suchen. Ihr erster arabischer Satz lautete, atini mai, minfadlak, die wichtigste Frage in der Wüste, die nachWasser.

Der junge Bulle, mit dem die beiden Verliebten in der Wüste gezogen waren, war unterdessen trotz der Heilversuche der Touareg gestorben. Wenn nicht einmal ein Touareg mit seiner Fähigkeit, Dromedare zu behandeln, helfen konnte, dann war der kleinen Bulle nicht mehr am Leben zu halten gewesen. Es hatte Esthes wehgetan, wie Omar es ihr am Telefon mitteilte. Nicht nur, dass der Kleine so bald gestorben war, immerhin kann ein Dromedar 40 Jahre alt werden, sondern auch, dass sich damit die Existenzsicherung der Familie wieder verkleinerte.

Das Binsengras von früher gab es nicht mehr. Der Platz Mahal war eine Wasserstelle gewesen, und daher wuchsen im Frühling Binsen, die im Sommer als unzählige spitze Stacheln aus dem Boden ragten. Man musste durch dieses Nagelbrett gehen, um in den Schatten zu kommen. Beim ersten Gang hierher, folgte Esthes barfuss Omars nackten Füßen, der scheinbar leichtfüßig ohne Schmerzen passierte. Sie dagegen litt sehr, lief wie auf einem Distelfeld. Sie kam sich damals sehr europäisch vor, wie eine verwöhnte Touristin. Ihre Füße mussten mit Tüchern eingebunden werden. Aber bald wusste auch sie, wie man durch dieses harte Gras geht, ohne sich zu schneiden. Sie musste schlurfen. Omar hatte es ihr nicht gesagt, sondern darauf gewartet, dass sie es von selbst entdeckte. Und es war eine ihrer Lieblingseigenschaften an ihm, dass er wartete bis der andere lernte, ohne zu belehren.

Die alte Quelle war versiegt. Es ist bekannt, dass der Grundwasserspiegel schon seit Jahrzehnten in dieser Region sinkt, und die Wüste sich immer mehr Land holt. Die Beduinen greifen beständig auf tiefere Wasserschichten zurück und müssen immer wieder neue Brunnen bohren lassen, um die Tierherden zu tränken. Der Kameltrog von einst neben der Quelle war zerfallen. Ansonsten erinnerte nichts mehr daran, dass es hier Grün und Feuchtigkeit gab.

Omar und Esthes waren einmal am Tag zur Quelle gelaufen, um dort zu duschen oder zu baden. Diese Spätnachmittag-Zeremonie war der Höhepunkt des Tages gewesen. Einmal hatten sich die beiden gestritten. Esthes hatte wie ein Teenager stur einen anderen Weg genommen und sich beleidigt in den Sand gehockt, um irgendeine Macht zu beweisen. Heute würde sie das nicht mehr tun. Aber ihr jugendlicher Umgang miteinander ließ sie auch die alten Spiele zwischen Mann und Frau wieder aus der Kiste der Siebzehnjährigen kramen. Omar fand sie natürlich sehr schnell, weil er sogar nachts Spurenlesen kann. Schweigend nahm er ihre Hand, zog sie hoch, hielt sie fest in der seinen und ging gradlinig auf die Quelle zu. Dort begann er sein übliches Reinigungsritual, und kein Wort wurde je über ihre billigen Machtversuche verschwendet.

Als Esthes zurück zum Lagerplatz kommt, sind bereits alle damit beschäftigt aufzuräumen. Die Frauen fummeln an ihren Rucksäcken herum, und die Jungs kümmern sich um den großen Rest. Die Griffe von Omar und Esthes beim Beladen der Dromedare gehen wieder selbstverständlich Hand in Hand. Ohne Worte, nur ein kurzer Blick, und sie verstehen, was der andere meint. Es ist noch früh am Morgen. Die Karawane zieht weiter, um nicht wieder in der Hitze des Mittags gehen zu müssen. Die Frauen interessieren sich für das Reiten. Die eine oder andere wagt es, sich auf ein hohes Tier zu setzen und sich diesem anzuvertrauen. Esthes sammelt Sandrosen, versucht erklärende Worte zu finden für das Problem von Hilde mit den Fliegen, die sie umschwirren. Sie geht ihren üblichen Verantwortungsgedanken nach, wie denn die gegensätzlichen Interessen von Stille, aber keine Langweile, viel Gehen und wenig Laufen, freie Zeit am Morgen, aber keine Anstrengung in der Hitze, verwirklicht werden können.

Wüste als Mahal

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