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II

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Der Februar dämmerte, die Tage wurden nie ganz hell, ein kraftloser Wind schlich um die Ecken, manchmal flirrte dünner Schnee aus den verblasenen Wolken. Christophine Schiller kam oft und erzählte Ludovike von ihrem großen Bruder. Er sei viel krank, sagte sie bekümmert, er huste und brauche Medizinen, aber er schreibe, lese seine Kollegs, zu denen freilich nicht mehr so viele Hörer kämen wie anfangs – ach, er lebe nur seinen Schriften.

Ludovike tastete über das blaue Tuch ihres Kleides, als male sie.

»Du solltest ihm schreiben, daß ich da bin.«

»Das hab’ ich längst getan.«

Die beiden saßen noch eine Weile stumm vor dem Ofen, Christophine zeichnete, und Ludovike verbesserte mit sicheren Strichen, lobte und erklärte. Reichenbach machte einen »Schneegang«, wie er seine Wege vor die Stadt nannte.

Es schellte draußen am Haustor. Christophine empfahl sich hastig und lief durch den Küchengang in den Garten; sie wolle noch etwas besorgen. Ludovike machte die schwere Tür auf. Draußen stand in der ersten Dämmerung eine zottige Gestalt. Sie schrie – er mußte es ja sein –, griff heftig nach ihm, nach seinem Arm, und zog ihn heran. Licht fiel aus der Stube auf das Gesicht. Sie fuhr zurück: »Du? Der Mettenleiter?« Der Mund grinste breit. »Du kommst zu mir?«

Der Gast wankte herein, schob sie zur Seite, griff sich einen Sessel und fiel hinein; er lachte laut. »Von mir aus hättest du noch länger glauben dürfen, er wär’s!« Er hob das Stoppelgesicht. »Er ist also noch nicht da?« Ludovike drängte sich unsicher in die Sofaecke. »Johann Jakob Mettenleiter – den hätt’ ich am wenigsten erwartet«, murmelte sie verwirrt.

»Warum so feierlich? Du wirst’s hinnehmen müssen, daß ich zuerst den Weg gefunden hab’!« Er streckte die Beine in den schmutzigen Stiefeln aus. »Es ist weit genug von Italien herauf und lang genug her, seit ich damals entlaufen bin, als mich unser erhabener Herzog gern hätt’ greifen lassen«, er sah sie eindringlich an, »und um ein Haar wär’ ich umgekommen auf den verdammten Seglern, im Sturm oder am Skorbut oder unter den Meuterern oder, wenn das alles noch nicht gelangt hätt’ – im Seuchenlazarett, wie die meisten.« »Hör auf! ›Die meisten‹– ihm muß es ja nicht so gehen!«

Mettenleiter knurrte: »Ihm! Daß du den Leutnant Simanowiz hast nehmen mögen, das ist schier komisch – du! Malst denn nimmer?« Er ließ sie nicht zu Wort kommen. »Mir hat’s die Kunst ausgetrieben bis auf einen schäbigen Rest; ich bin halt ins Schwimmen geraten – siehst’s ja«, er klopfte verlegen auf die verschmierte Weste und strich die Haarsträhne aus der Stirn, »seit ich weg bin, seit du es nicht einmal mehr für nötig gehalten, mir zu antworten…«

Sie sah erstaunt auf.

»Oder wär’ ich sonst so plötzlich fort? Wär’ ich nicht

– trotz Herzog und Verbot – geblieben, solang es irgend ging? Wer hat mich denn so weit gebracht, wer?«

»Du trinkst, ich seh’s doch«, sagte sie traurig.

»Ja, was sonst?« fuhr er auf. »Da steckt man im Elend bis an den Hals, unter den Menschenschindern, und hätte doch zurückkommen können; sie hätten’s toleriert, wenn ich’s versucht hätt’, wenn ich ein braver Hofmaler hätt’ werden wollen. Alles hätt’ ich getan, auch das, mich gezwungen und gezwängt, wenn du…« Sie lenkte sofort ab. »Das wäre dir auch gelungen, Jakob, und ich traue dir zu, daß dein Genie sich durchsetzen könnte, auch wenn sie dir ihre abgelebten Motive vorschreiben – die Apotheosen und Gloriolen ums Haupt des hohen Herrn…«

»Das meinst du?« Er sprang auf und stützte sich auf den Tisch. »Das hab’ ich auch einmal geglaubt, damals. Ich hatte es dir gesagt; du wußtest, daß ich auf deine Antwort wartete. Ich hab’ so gewartet…«

Mettenleiter legte die Hände vors Gesicht und warf sich wieder in den Stuhl. »Wir zwei hätten den Himmel gestürmt, die große Kunst wäre uns zugefallen wie ein reifer Apfel, dir und mir, du hättest mich gehalten; aber du hast nicht einmal Antwort geben mögen.« Er wühlte den Kopf in den Händen hin und her, mit verdeckten Augen. Die Stimme war schwankend geworden, als säße ihm das Weinen in der Kehle.

Ludovike ging schnell auf ihn zu. »Ich hab’ nicht gewußt, daß du wartest!«

»Nicht?« Er nahm die verkrampften Finger auseinander und ließ die Arme sinken. »Du hättest es vielleicht doch gewagt? Mit mir?« Er fragte feierlich: »Es hat also nicht an dir gelegen?«

Ludovike stellte sich ans Fenster, mit dem Rücken zum Zimmer. »Jakob, es fällt mir jetzt schwer, dir das zu sagen, aber ich hätt’ es nicht gewagt mit dir.« Mettenleiter wurde blaß. Er packte die Armlehnen und warf sich im Sitzen herum, als schlüge ein Pendel wild aus. »So? So! Du hättest es nicht mit mir gewagt? Hast mich mit Willen vor die Hunde gejagt, mein ›Genie‹ – du hast das Wort gebraucht – verludern lassen und mit Wissen zerrissen, was zueinander gehört von Anfang an? Du weißt wohl nicht, was du sagst!« Er lachte gereizt.

Sie versuchte, zu ihm durchzudringen, und spürte gleich, daß alles nichts nützte. »Jakob, hör doch, Jakob!«

Irgendein Mensch jetzt, eine Hilfe! dachte sie verzweifelt.

In Mettenleiters Gesicht zuckte es wie eine böse Flamme.

»Also, wie die Madame Leutnant befehlen! Deswegen stirbt der Jakob noch lange nicht; aber heute war’s das letzte Mal, daß ich gekommen bin; das Tor ist zu. Es hat was umgeschlagen, Ludovike, sollst sehen wohin, du!« Er stieß den Stuhl an den Tisch, daß die Gläser zusammenklirrten.

Da schepperte die Glocke draußen. Sie hastete hinaus und riß den Riegel zurück; erleichtert erkannte sie den Postboten und führte ihn herein. Gestern sei wieder ein Reitender mit etlichen Säcken aus Straßburg gekommen. Es sei Pariser Postzeug dabei, und hier – er kramte in der großen Umhängetasche – ein versiegelter Umschlag an die Madame Simanowiz; sie möge quittieren.

Als sie den Mann hinausbegleitet hatte und wieder hereinkam, fand sie den Maler noch am Tisch stehend, mit gesenktem Kopf. Er sah nicht auf. »Ein Brief aus Paris!« rief sie, um ihn aus seinem dumpfen Brüten zu reißen.

»Lies nur«, knurrte er und schielte sie von der Seite an. Sie las gebeugt, ganz selbstvergessen. »Verehrte Madame! Ihre Anfrage in Eile beantwortend, da ihre Gnaden, die Gräfin Lacoste, mit dem Herrn Grafen verreist sind, unbekannt wohin…« Ludovike wandte sich um und wurde sich erst jetzt wieder bewußt, daß Mettenleiter sie beobachtete. »Ach Gott, es ist auch nichts Sicheres, die deutsche Köchin bloß. Und dabei schon der zwölfte Brief – und keine Spur! Nur lauter höfliches Bedauern… Daß er nicht schreibt, daß er keinen darum bittet, wenn er’s nicht kann! Einer muß ihn doch kennen, mit ihm im Gefecht gewesen sein, einen Offizier sieht man doch! Und wenn er verwundet wäre…«

Mettenleiter lachte vor sich hin. »…liegt er im Seuchenlazarett und krepiert an der Ruhr. Schöner Tod! Dulce et decorum est pro patria mori.«

Sie hielt sich die Ohren zu. »Still, Jakob! Was soll ich denn tun?«

»Warten, warten, warten – und danach die Hoffnung begraben, wenn du alt geworden bist.«

»Jakob, willst du mir denn nicht helfen?«

»Hast du mir geholfen? Ich weiß so nimmer, wie dein Leutnant aussieht. Seit Batavia ist’s lang her, wir Kerle waren braun wie die Mohren, bezahltes Schlachtvieh im Dienst der Holländer, zerstochen von den Mücken.« Er schwieg eine Weile und rieb seinen Handrücken. »Von den Malariamücken, Ludovike, zum ewigen Angedenken«, setzte er gedehnt hinzu.

»Hast du auch Malaria?«

»Hm, ja, genau wie dein Leutnant.«

Ludovike fuhr zusammen. »Er sprach wenig von dort«, sagte sie halblaut, »bloß manchmal, wenn er im Fieber phantasierte.«

»Das ist auch kein Thema für Damen, kaum für die säuselnden Männer hierzuland. Gut, daß er geschwiegen hat.«

Sie standen sich gegenüber. Ludovike suchte nach einem Abschluß, sie war am Ende ihrer Kraft. »Willst du nicht nach ihm fragen – irgendwo? Du kennst doch so viele Soldaten, die Lazarette, die Wundärzte?«

»Ja doch, ich werd’ fragen, wann er zurückkommt; vielleicht mag er«, höhnte er bissig.

Er stellte sich mit einer Verbeugung vor sie hin und stapfte hinaus. »Empfiehl mich dem Herrn Papa!« rief er noch unter der Tür.

Abends, als Reichenbach heimkam, verschwieg sie den Besuch, um den alten Mann nicht noch mehr aufzuregen. Sie las ihm den Brief aus Paris vor, in dem stand, was sie schon gerüchtweise erfahren hatten: Daß Ludwig der Sechzehnte enthauptet worden war.

»Der König hat sich brav gehalten vor dem Tod – und war doch kein großer Soldat, kaum ein rechter Mann.« Der Alte holte die Pfeife aus dem Rock und kramte nach dem Feuerzeug. »Armer Kerl, der sechzehnte Louis! Der hat auch für andere büßen müssen und ist doch an keinem schuldig geworden, nur so hineingeraten…«

»Ach, Vater, schuldig werden wir alle und wissen’s oft kaum und können gar nicht anders.« Ludovike räumte die Gläser weg, die von Mettenleiters Besuch noch dastanden.

Der verwehte Brief

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