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Der neue Küchenjunge

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Anderntags saß Abt Jakob Schroppius in seinem Studierzimmer an einem schweren Eichentisch und blätterte in seinen Papieren.

„Präzeptor Stachius scheint ein Magister von feiner Gelehrsamkeit zu sein“, sagte er zu sich selbst und stützte das Kinn in die blaugeäderte Hand. „Aber was ich da so über sein unduldsames Wesen gehört habe, muß wohl zu einem Teil stimmen. Daß er sich schon am ersten Tag so scharf über die Schüler ausspricht – ist doch alles junges Volk…

Er stand auf und ging mit verschränkten Armen in seiner Amtsstube hin und her. Ein leichter Regen pochte von draußen an die farbigen Butzenscheiben und hüllte das Zimmer in eine sanfte Dämmerung. Im Kachelofen brannte Feuer, das seine Lichtreflexe über die getäfelten Wände warf. Schroppius sah auf. An der Tür hatte es leise geklopft. Seine Frau steckte den Kopf durch den Spalt.

„Stör’ ich dich, Jakob?“ fragte sie behutsam. „Ich bring dir deinen Würzwein.“ Sie trat ein und stellte den Becher zwischen die Aktenstöße. „Du solltest ihn aber gleich trinken, solang er noch heiß ist, hat der Arzt gesagt. Dein Herz braucht eine Stärkung.“

„Danke, Maria, ich werd’s schon tun!“

„Denk nur, grad kam der Balthes aus seiner Küche heraufgeschnauft“, berichtete Maria lebhaft, „er steht draußen und will dich dringend sprechen.“

„Laß ihn nur kommen“, meinte Schroppius müde und nahm einen Schluck von dem dampfenden Getränk.

Maria drückte die Klinke nieder. Ein dikker, rotgesichtiger Mann, die Schürze um den runden Bauch, schob sich herein.

„Nun, was gibt’s, Balthes?“ fragte der Abt und setzte sich zurecht. Maria zog sich einen Stuhl heran.

„Halten zu Gnaden, gestrenger Herr“, fing der Koch umständlich an, „da kommt mir eben ein junger Mensch in die Küche, so ein schmales Hungergesicht mit großen Augen, und fragt, ob ich ein Knechtlein brauchen könnte.“

„Und brauchst du eines?“ unterbrach Schroppius.

Balthes wiegte den schweren Kopf. „Eigentlich ja und eigentlich nein. Der Jost hat in den letzten Wochen nicht mehr recht zulangen mögen. Wenn sich der Neue gut anließe, könnte der ihn wohl ersetzen, sobald er angelernt ist.“

„Wo kommt denn der Junge her?“ warf Maria ein.

„Das weiß ich nicht, Euer Tugend“, meinte Balthes unschlüssig „er scheint weit gewandert zu sein und großen Hunger zu haben. Jetzt sitzt er drunten vor einer Hafergrütze.“

„Und glaubst du, daß er zur Arbeit willig wäre?“ wollte Schroppius wissen.

„Wenn man seinem offenen Gesicht trauen darf, möcht ich’s schon mit ihm versuchen.“

„Dann schick ihn mir herauf“, bestimmte der Abt und sah mit einem verhaltenen Lächeln hinter dem schwerfälligen Koch her, der mit einer Verbeugung den Raum verließ.

Maria rückte den Stuhl weg. Sie nickte ihrem Mann zu.

„Schau dir den Neuen nur genau an und gib acht, ob er aus einem ordentlichen Haus stammt“, sagte sie im Hinausgehen.

Der Abt leerte seinen Becher und stellte ihn beiseite.

Jemand klopfte schüchtern. Schroppius richtete seine klaren Augen auf die Tür und rief: „Tritt ein!“

Gleich darauf stand ein schlanker Knabe vor ihm; kastanienrote Locken fielen ihm um den schmalen Hals. Aus einem schwarzen Wimpernkranz sahen lichtgraue Augen halb scheu, halb keck zum Abt hinüber; er verbeugte sich.

Schroppius musterte den Neuling aufmerksam. „Wie heißt du und woher kommst du?“ fragte er nach einer Weile.

„Ich nenne mich Urs Bonus“, antwortete der Neue mit einer hellen, etwas heiseren Stimme, „und stamme aus dem Remstal.“

„Und wer ist dein Vater?“

Der Junge drückte sein flaches, grünes Barett an sich.

„Der hat einen Handel, und meine Stiefmutter ist eine harte Frau – ich hab nicht mehr zuhaus bleiben können.“

Sein Ton klang seltsam gepreßt. „Jetzt muß ich mir mein Leben selber verdienen.“ Schroppius strich sich nachdenklich durch sein schütteres graues Haar.

„Und was kannst du?“

„In der Küchenkunst bin ich nicht unerfahren“, antwortete der Junge frischweg.

„Und ist dir auch bewußt, daß du hier in einer evangelischen Klosterschule bist, in der die zukünftigen Geistlichen ausgebildet werden? Da verlangt die Regel von allen Hausgenossen ein ehrbares, stilles Leben, gute Sitten und eine strenge Zucht. Kannst du versprechen, das einzuhalten?“

„Ja, ehrwürdiger Herr“, beteuerte Urs.

Schroppius streckte ihm die Hand hin.

„Der Balthes kann dich einstellen, wenn er will. Sag ihm, ich hätte nichts dagegen. Die Margret soll dir eine Kammer anweisen und ein Lager richten.“

Urs verabschiedete sich mit einer tiefen Verneigung und ging. In großen Sprüngen rannte er die Treppe hinunter und pfiff vergnügt vor sich hin. Unten stand ein blasser Bursche und sah ihm erstaunt entgegen.

„Was bist denn du für einer?“ fragte er mit einem abschätzenden Blick.

„Ich bin der neue Küchenjunge und heiße mich Urs Bonus.“

„Hm“, machte der andere, „dann paß nur auf, daß du dein Gewand sauber hältst, wenn du mit unsern Speisen zu tun hast. So ein zerknittertes, staubiges Wams wie deins taugt nicht in eine Klosterküche!“

Urs warf den Kopf herum. „Und deine modischen Ratschläge taugen nicht für einen künftigen Pfarrherrn!“ Er ließ den andern stehen, der ihm verdutzt nachsah.

Als Urs über den weiten Klosterplatz lief, hörte er aus einer Ecke an der Mauer gedämpftes Saitenspiel. Er horchte und ging mit ein paar Schritten dem Klang nach.

Hinter einem Busch saß, gegen die Steine gelehnt, ein Scholar, die Laute im Arm. Neben ihm stand eine zweiter und summte leise die angeschlagene Melodie mit.

„Ach, Musikanten gibt’s hier auch“, rief Urs und kam heran, „nicht bloß solche spitznasigen Duckmäuser, wie mir da vorhin einer begegnet ist.“

„Hat er eine feine Krause um den Hals getragen, Grünhut?“ fragte der größere der beiden.

„Ja, das hat er“, lachte Urs.

„Dann war’s der Seidensticker.“

„Seidensticker!“ echote Urs belustigt. „Und wer seid ihr?“

Die beiden stellten sich als Siglin und Baldauf vor; auch Urs nannte seinen Namen und fragte, was denn der Koch für ein Mann sei, ob er viele Hiebe austeile und man streng bei ihm arbeiten müsse. Die Freunde beruhigten ihn, Balthes sei gutmütig und schaue nicht allzu genau hin, wenn einer nur den rechten Willen zeige.

Auf dem Turm läutete ein Glöckchen.

„Wir müssen in die Lektion!“

Siglin und Baldauf machten sich eilig davon. Plötzlich kehrte Jörg um.

„Meine Laute darf ich nicht mitnehmen und zum Wegräumen ist keine Zeit mehr. Kannst du sie mir in deiner Kammer aufheben?“ Damit drückte er Urs das schöne Instrument in die Hand.

Der Junge schaute ihn überrascht an. „Ich geb schon acht darauf“, versicherte er ernsthaft und winkte den beiden nach.

Unschlüssig betrachtete er das gewölbte, glänzende Holz und strich vorsichtig über die straffgespannten Saiten. Wohin damit? dachte er, ich hab ja noch nicht einmal eine Kammer hier. Da werd ich gleich die Margret suchen müssen.

Nicht lange danach stieg Urs hinter Margret im Gesindehaus die Speichertreppe hinauf. Ihr grauer Zopf pendelte auf ihrem hageren Rücken hin und her, in der Hand trug sie einen Schlüsselbund.

„So, so“, brabbelte sie vor sich hin, „mein Alter will dich also in der Küche behalten!“

Sie drehte sich halb nach dem Jungen um und erklärte, der Koch sei ihr Mann, aber sie habe auch ein Wörtchen beim Gesinde mitzureden. Schnaufend hielt sie auf dem letzten Absatz inne. „So, da wären wir!“ Dann schlurfte sie über die knarrenden Dielen einen halbdunklen Flur entlang. „Stoß deinen Kopf nicht an die Balken, Bub“, mahnte sie.

Urs schlich ihr mit etwas bänglichem Gefühl nach.

Vor einer Lattentür blieb Margret stehen und fuchtelte ungeschickt am Schlüsselloch herum.

„Gar nichts sieht man hier oben!“ murrte sie ungeduldig.

„Ah, endlich!“ Mit einem erleichterten Stöhnen öffnete sie.

Ein enges, niedriges Gelaß, von einer winzigen Dachluke erhellt, lag vor ihnen. Urs schnüffelte unmutig in die staubtrockene Luft.

Die Frau deutete auf zwei Schragen. „Da liegen der Märte und der Jost, und das da drüben wird deine Bettstatt.“

Urs schwieg. „Schlafen da immer ein paar zusammen?“ fragte er endlich zögernd.

„Was!“ fuhr ihn die Alte an. „Da will wohl einer das Herrensöhnchen spielen! Der Roßbub und die Küchenjungen teilen immer die Kammer. Wenn’s sogar die Herren Schüler zu zehn und zwölfen im Dorment aushalten, wird’s dem Urs Bonus hier oben auch gut genug sein!“

Urs legte wortlos das Bündel und die Laute auf seinen Strohsack und trabte mit hängendem Kopf hinter Margret zurück.

Eine Stunde vor Mitternacht schreckte der Roßbub Märte aus dem Schlaf.

„Jost, Jost, wach auf, da schleicht einer in der Kammer herum!“ schrie er aus vollem Hals.

Der andere setzte sich hoch.

„Wo denn?“ murmelte er verstört.

„Da – jetzt tappt er mir ins Gesicht!“ kreischte Märte entsetzt.

„Und jetzt mir!“ heulte Jost dagegen.

„Schlag Licht, Kerl“, brüllte Märte, „der will uns ans Leben!“

„Faß ihn doch, du Dummkopf!“

Jost sprang polternd aus dem Bett und griff nach der Kerze.

Über die Dielen schleifte ein Schritt, raschelnd streifte etwas an Märtes Strohsack entlang. Ein Schatten strich dem Fenster zu. Märte starrte gebannt auf die Lade, vor der sich im schwachen Mondschimmer eine tastende Hand abhob.

„Der will aufs Dach hinaus“, flüsterte er schaudernd.

„Alle guten Geister loben Gott den Herrn! – Mach doch endlich hell!“

Schließlich flammte Josts Kerze auf. Im flackernden Schein der kleinen Flamme sahen die beiden Knechte, wie eine schmale Gestalt sich mit langsamen Bewegungen am Fensterrand hinaufzog.

„Der Neue! Der Neue!“ riefen die beiden erschrocken.

Jost machte ein paar Schritte auf den Schwebenden zu und streckte die Hand nach ihm aus.

„Rühr ihn nicht an!“ keuchte Märte voller Angst. „Vielleicht hat der eine böse Sucht, bleib weg, sonst packt’s dich auch!“

Jost fuhr entsetzt zurück. Urs taumelte schwergliedrig wieder zu Boden und glitt mit geschlossenen Augen an der Wand entlang. Endlich blieb er stehen und ließ den Kopf sinken.

„Hol den Koch, Jost, der muß ihn einfangen, ich wart vor der Tür auf euch!“

Jost nahm die Kerze und lief hinaus. Märte drängte nach.

Zitternd drehte er von draußen den Schlüssel um. Drinnen blieb es ganz still.

Erschöpft lehnte sich Märte an einen Dachbalken im Flur.

Nach geraumer Zeit hörte er Stimmen und tappende Schritte heraufkommen. Balthes erschien, über dem mächtigen Haupt eine baumelnde Schlafmütze, hinter ihm Margret im Nachtkittel und Jost mit zerzaustem Haar.

„Ich begreifs nicht, ich begreif’s nicht!“ murmelte Balthes, während er aufschloß.

Seine Frau zog ihn am Ärmel zurück.

„Du mußt zuerst einen Spruch tun, wer weiß, ob der Bub nicht verhext ist oder den Teufel im Leib hat“, wisperte sie.

„Laß mich in Ruh, Alte“, wehrte Balthes ab und schob sie weg.

„Ich will erst wissen, was los ist.“

In der Kammer saß Urs wie gelähmt auf seinem Bett und hielt noch immer die Lider geschlossen. Balthes legte ihm mutig die Hand auf die Schulter und rüttelte ihn kräftig.

„He du! Komm zu dir, Urs Bonus!“

Der Angerufene fuhr mit einem Ruck zusammen und riß die Augen auf.

„Was soll ich?“ stammelte er.

„Bist du krank, Bursche?“ fragte Balthes beschwörend.

Die andern hörten reglos zu.

Wie im Traum drehte Urs den Kopf und streifte sich die Haare aus der Stirn.

„Meister Koch? Und die Frau Margret? Und der Jost und der Märte?“

„Der war gar nicht im Bett, der ist ja noch in den Kleidern“, mischte sich Margret ein. „Wo hat er sich denn so lang herumgetrieben?“

„Das kann ich dir sagen: Noch vor einer halben Stunde hat er in der Küche die Töpfe gefegt“, erklärte der Koch.

„So einen Fleißigen hab ich noch nie gehabt!“

„Weißt du, was ihn dazu getrieben hat?“ flüsterte Margret anzüglich. Unschlüssig wandte sich Balthes wieder dem Jungen zu.

Da richtete sich Urs auf.

„Verzeihet es mir nur, Meister, und Ihr, Frau Margret, und auch ihr beiden“, sagte er jetzt deutlich. „Scheints hab ich, Gott sei’s geklagt, wieder meinen Anfall gehabt.

Da muß ich dann in den Stuben umgehen und manchmal sogar aufs Dach hinaussteigen.“

„Also kommt das immer wieder über dich?“ forschte Balthes besorgt.

„Ja, immer wieder“, sagte Urs trostlos mit seltsam vibrierender Stimme.

Jost und Märte flüsterten miteinander.

„Mit dem bleib ich nicht in der Kammer“, erklärte Jost laut, „nicht einmal die paar Nächte, bis mein Dienst abgelaufen ist, und der Märte sagt, er tät es genauso wenig.“

„Mein Bruder hat’s auch nicht bei mir ausgehalten“, erzählte Urs betrübt, „und mein Vater hat mir eine eigene Kammer angewiesen und das Fenster vergittern lassen.“

Margret raunte ihrem Mann ins Ohr: „Mit dem kannst du doch nichts anfangen, der muß wieder weg!“

Balthes wiegte nach seiner Gewohnheit den Kopf. „Er ist anstellig und fleißig und versteht sogar das Soßenmachen“, sagte er bedächtig. „Es täte mir leid, wenn ich ihn verlieren müßte.“

„Ich bitte Euch, Meister“, rief Urs mit heller, weinerlicher Stimme, „schickt mich nicht fort! Ich versprech Euch, daß ich alles dreifach tu, was Ihr mir anweist!“

„Meister Balthes“, riefen die Knechte durcheinander, „wir gehen zum gestrengen Herrn Abt, wenn Ihr uns noch länger mit dem da zusammensperrt!“

„Gäb’s denn nicht vielleicht einen kleinen Verschlag ganz allein für mich, wo ich keinen störe?“ fragte Urs bescheiden. „Ich wär auch mit dem winzigsten Loch zufrieden.“

„Das ließe sich überlegen“, meinte Balthes gutmütig.

Fragend schaute er Margret an.

„In der Zwiebelkammer wäre er wohl verwahrt, da ist auch das Fenster gesichert.“ Die Alte warf einen scheuen Blick auf Urs.

„Gut. Nimm Strohsack und Decke und komm mit!“ entschied Balthes.

„Und morgen sehen wir weiter.“

Hinter Margret trottete der Junge hinaus. Balthes wandte sich noch einmal an die Knechte.

„Und daß ihr mir kein Geschwätz im Kloster herum macht, sonst seid ihr am längsten hier gewesen!“

Die beiden nickten gehorsam.

Balthes traf Margret an der Treppe und packte sie am Arm.

„Und du hältst mir auch fein den Mund, Alte, andernfalls kannst du was erleben!“

Sie schielte ihn von der Seite an. Dann stieg sie hinter ihm treppab.

In seinem Verschlag streckte sich Urs auf den Strohsack.

Er zog die Decke unters Kinn und seufzte erleichtert:

„Das wäre geschafft! Jetzt hab ich eine Kammer für mich allein!“ Und obwohl ihm der scharfe Zwiebelgeruch die Nase kitzelte, fiel er sofort in einen gesunden, traumlosen Schlaf.

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