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Pseudo-THORA
17. Juli 2046 NGZ
Freiheit.
Selbstverwirklichung.
Keine Marionette sein.
Das wollte ich für mich.
Das hatte ich eigentlich schon immer gewollt.
Mein Original hatte es sich erarbeitet, und ich war auf einem guten Weg, es ebenfalls zu bekommen. Obwohl ich noch den Drang verspürte, den man mir eingepflanzt hatte. Ich wollte mit der Pseudo-THORA durch die Bleisphäre in die Freiheit gehen, das Trajekt verwirklichen.
Ob ich in dieser Hinsicht ebenfalls auf einem guten Weg war, konnte ich nicht sagen.
Besorgt schaute ich auf Jasmyne da Ariga hinab, die bewusstlos auf dem Medotisch lag. Einer der Bordmediker, Dr. Hause Gregorius, war konzentriert an der Arbeit. Er hatte nicht nur ihr Haar, das sie gerne lang und kompliziert aufgesteckt trug, geöffnet und zur Seite geschoben, sondern auch ihre Schädeldecke. Es war eine Routineoperation, die auch ein Medoroboter hätte durchführen können, doch ich hatte darauf bestanden, dass ein Mensch aus Fleisch und Blut sie vornahm.
Wie so oft, wenn ich Jasmyne ansah, musste ich an die andere, die eigentliche Jasmyne da Ariga denken, ihre genetische Mutter. Abgesehen von der Marotte mit dem Haar ähnelte sie ihr im Aussehen frappierend.
Starke Gene setzen sich eben durch, dachte ich mit beißender Ironie.
Die Jasmyne vor mir auf dem Operationstisch war allerdings ein Kunstgeschöpf der Cairaner, das durch eine Kombination von Gendaten des ehemaligen Imperators Bostich mit denen der historischen Jasmyne erzeugt worden war. Ihr Gehirn war komplex, ein hochsensibles Konglomerat aus arkonidischen, aber auch aus genetisch anderen Komponenten.
Ich hatte mich schon öfter gefragt, welcher Art diese Komponenten waren, war mir aber noch immer nicht sicher und enthielt mich jeglicher weiterer Spekulation. Diese Jasmyne war kein Bioplikat wie die anderen, aber sie verfügte über ein Organoid und eine Somnus-Persönlichkeit.
Die Mediker und Medoroboter hatten die Bioplikaten-Besatzung aus Opt-Varianten mittlerweile fast vollständig von den Somnus-Organoiden befreit. Dabei waren weitere etwa zwei Dutzend Opts ums Leben gekommen oder psychisch irreparabel geschädigt worden. Insgesamt waren nur etwa 3500 Personen biopliziert worden, von denen etwa 100 bei der Revolte umgekommen oder dauerhaft außer Gefecht gesetzt worden waren.
Fremdwesen wie etwa der Swoon Timberlan hatten nicht biopliziert werden können. Auch bei Besatzungsmitgliedern, die Kolonialvölkern entstammten, deren Körpergröße oder -statur allzu stark von der durchschnittlicher Terraner abwich, waren die Erfolge eher bescheiden gewesen.
Ich hatte eigentlich beabsichtigt, den Eingriff von Lorai Cimen durchführen zu lassen, dem Chefmediziner, oder zumindest von Ivo Remsch, dem Leiter der Medoabteilung, aber der hatte mir versichert, dass Gregorius der richtige Mann für die Operation war.
»Sei gescheit«, hatte Remsch gesagt. »Gregorius hat die größte Erfahrung. Er hat mehr Implantate entfernt als Lorai und ich zusammen.«
Offensichtlich hatte er die Wahrheit gesagt.
»Die direkte Kontaktschicht zwischen der Hirnmasse und dem Implantat habe ich bereits durch Bestrahlung verödet«, sagte Gregorius gelassen, während er mit geschickten Bewegungen seiner Finger die OP-Sonde dirigierte. Es hätte mich nicht gewundert, wenn er bei seinem konzentrierten Vorgehen ein fröhliches Liedchen gepfiffen oder gar vom Bordrechner Ludwig van Beethovens neunte Sinfonie in d-Moll hätte einspielen lassen. »Nun entferne ich das Implantat.«
Aufmerksam beugte ich mich vor.
Benutzte Hause ein Laserskalpell, um das Implantat zu zerstören? Nein, er hatte angekündigt, es zu entfernen, zog es langsam mit einer kleinen Hochfrequenz-Zange heraus, während das kleine Beatmungsgerät mit Sauerstoff angereicherte Luft in Jasmynes Lungen pumpte.
Gleichzeitig leitete die Zange hochfrequenten Wechselstrom in Jasmynes Körper, der das betroffene Gewebe durch die von ihm verursachte Erwärmung kauterisierte. Dadurch wurden das Gehirngewebe und die Gefäße wieder verschlossen, und es erfolgte gleichzeitig mit der Bewegung eine Blutungsstillung.
Ich – beziehungsweise Atlan – hatte bereits wesentlich schlimmere Reparaturen am menschlichen Körper beobachtet als diese vergleichsweise harmlose Routineoperation, konnte mich dem wenig blutigen Anblick aber nicht entziehen. Immerhin lag Jasmyne da Ariga unter dem Messer, und mir war etwas an ihr gelegen.
Dieser Gedanke erinnerte mich daran, welchen Selbstzweifeln ich mich in letzter Zeit ausgesetzt sah. Wer war ich wirklich? Ich verfügte über die Gedanken und Erinnerungen des Original-Atlans, mehr noch: Ich dachte wie das Original, ich fühlte wie das Original.
Ich war Atlan.
Nur besser. Optimiert.
Ich war Opt-Atlan.
Und die Jasmyne, die gerade operiert wurde, war die einzige Jasmyne.
Ein metallisches Klicken riss mich aus meiner besinnlichen Betrachtung.
Dr. Gregorius hatte das kleine Implantat in eine OP-Schale fallen lassen und schickte sich an, die Öffnung in der Schädeldecke wieder zu verschließen. Er arbeitete weiterhin zielgerichtet und gelassen. Wenige Sekunden später wies nichts mehr darauf hin, dass sich Jasmyne einer Gehirnoperation unterzogen hatte.
»Ich halte es für ratsam, dass die Patientin noch etwas ruht«, sagte der Mediker. »In einer Stunde werde ich sie aufwecken. So lange musst du dich gedulden.«
Ich verzichtete auf die Frage, ob sie alles gut überstanden hatte. Andernfalls hätte Gregorius es mir von sich aus gesagt.
»In einer Stunde also.« Ich verließ den Medoraum.
Einen Moment lang blieb ich vor der Tür stehen. Was hätte Atlan in meiner Lage getan?, fragte ich mich. Es lag mir fern, eine Stunde lang müßig durch die Gänge zu schlendern. So viel Zeit konnte und wollte ich nicht verschwenden.
Pläne schmieden, dachte ich. Die Lage erörtern, Gedankenspiele betreiben. Aber nicht allein. Was willst du als Nächstes unternehmen? Wie soll der nächste Schritt aussehen.
Ja, das kam mir logisch vor.
Zieh jemanden hinzu, mit dem du fast gleichwertig diskutieren kannst. Holger Bendisson zum Beispiel.
Der eigentliche Kommandant der THORA.
Eine gute Wahl. Manchmal. Manchmal auch nicht.
Bendisson hatte zwei Seiten. Einerseits war er in kritischen Situationen ein besonnener Kommandant, der ruhig und gelassen reagierte und stets das große Gesamtbild im Auge hatte. Andererseits erwies er sich bei manchen Gesprächen als unglaublich naiv und begriffsstutzig.
Fast hätte ich auf meine Brust getippt, um den Interkom zu aktivieren, doch das war eine falsche Erinnerung, wie ich noch rechtzeitig erkannte. Ich aktivierte das Armband-Funkgerät.
»Holger Bendisson, komm bitte sofort in den Lustgarten«, bat ich. »Wir müssen unsere Ziele abstecken.«
*
Bendisson begrüßte mich mit einem Lächeln. Das war nicht ungewöhnlich; er lächelte eigentlich immer.
Bevor ich zur Sache kam, ließ ich den Blick kurz über den Lustgarten schweifen. An ihm ließ sich die Veränderung, die das Schiff durchlief, sehr deutlich erkennen. Mittlerweile ging sie weit über das ursprüngliche Biotop des Lustgartens hinaus.
Die Landschaft war eine breite und sanft gewellte Wiesenfläche, die sich rund um die Zentralkugel zog. In einem Abstand von 200 Metern hatte der Cairaner Ammu Avvagadse dort 14 vierseitige, goldene Pyramiden errichtet – jede maß drei Meter an den Kanten und zwölf Meter in der Höhe. Die Pyramidenspitzen waren von einem violetten Gespinst überzogen, das mittels einiger Stränge mit den jeweils benachbarten Pyramiden verbunden waren. Jenes Gespinst bestand aus IPEV-Psikolon und verstärkte den Empfang und die Abstrahlung von Gehirn- und Aura-Impulsen um fast das Zehnfache.
Zwischen den Pyramiden stand jeweils ein kuppelförmiges Gebäude mit unterschiedlichen Abmessungen. Die Gebilde waren zwischen fünf und 25 Metern hoch und hatten einen Durchmesser zwischen zehn und 50 Metern. Die Dächer waren mit kelchartigen Ornamenten versehen.
Das alles war der Kern des Supramentums und das sichtbare Element des Para-Kollektors. Vervollständigt wurde das Supramentum durch die THORA selbst, deren Besatzung und mich.
Im Kollektor wurden wichtige Module wie die Zerebral-Extrakte gesammelt, Gehirne und Hirnsegmente von Báalols, Olubfanern, sogar von einigen Thesanit.
Immens wichtig dabei waren darüber hinaus die Speicherbänke für Vitalenergie.
Und um genau die ging es mir nun. Sie mussten dringend gefüllt werden und bleiben, damit die THORA ihre Aufgabe erfüllen konnte.
Mittlerweile konnte man die Optimierungen überall an Bord der THORA bemerken. Ich schätzte, dass dadurch Reichweite und Wirkbereich mittlerweile um zehn Prozent erweitert worden waren, allerdings zulasten der Wirkwahrscheinlichkeit für unsere Aagenfelt-Systeme.
Diese Optimierungen waren keine Zauberei, die von außen auf uns einwirkte, sondern wir nahmen sie selbst vor – was ihnen allerdings gewisse Grenzen setzte.
Ich deutete auf eine Parkbank mit Blick auf eine der Kuppeln, und Bendisson nahm Platz. Ich setzte mich neben ihn.
Sein Lächeln wurde irgendwie ... versonnen. »Ist unser Streben nach Verbesserung tatsächlich die Folge einer Einwirkung der Organoide?«, fragte er zu meiner Überraschung.
Ich zog die Brauen hoch. Ich war nicht hier, um mit ihm philosophische Auslotungen zu betreiben, doch dass er dieses Thema ansprach, bewies mir erneut, dass er sich mitunter wesentlich tiefer gehende Gedanken machte als der Großteil der Besatzung.
»Worauf willst du hinaus?«
»Dieses Streben scheint mir eine genetisch eingetragene Veränderung zu sein.« Eine gewisse Begeisterung schwang in seiner Stimme mit. »Wir sind besser, und wir sollen besser sein!«
»Natürlich«, pflichtete ich ihm bei. »Hast du je daran gezweifelt?«
»Das nicht ...« Er stockte. Etwas lag ihm auf dem Herzen, und er versuchte verzweifelt, es in Worte zu fassen.
»Geht es dir darum, dass wir Kunstprodukte sind?«, fragte ich. »Bereitet dir das Sorgen? Dann solltest du sie vergessen. In uns erfährt der blinde Wille der Natur durch Eliminierung alles Zufälligkeiten seine Verbesserung und Krönung. Wir sind der Hyperkristall der Schöpfung!«
»Genau darum geht es.« Er lächelte traurig. »Wäre es dann nicht folgerichtig, unserer Existenz ein Ende zu setzen? Uns selbst zu entleiben, weil unser Leben sinnlos geworden ist? Es geht für uns nicht höher hinaus, wir sind am Ende der Schöpfung angekommen.«
»Aber nein«, sagte ich. »Im Gegenteil. Ich empfinde meine Existenz sogar als außerordentlich, als beispiellos sinnvoll!«
»Allerdings würde es unsere Würde mindern, als Optimierte nun noch jemandem zu Diensten zu sein. Die von unseren Produzenten ...«
»Geburtshelfern«, korrigierte ich ihn.
»... von unseren Geburtshelfern programmierten Verbesserungen hatten den Sinn, die Opt-Geschöpfe zu instrumentalisieren ...«
»Davon kann selbstverständlich keine Rede mehr sein!«
Bendisson dachte darüber nach, nickte schließlich. Aber ich spürte, dass sich diese Erkenntnis noch nicht vollständig in ihm verwurzelt hatte. Er würde eine Weile brauchen, bis er sie und seine Rolle im Spiel der Evolution akzeptieren konnte.
»Verzeih«, sagte er. »Du hast mich nicht hierhergebeten, um solche Themen mit mir zu erörtern, nicht wahr?«
»In der Tat nicht. Wir müssen uns den Gegebenheiten stellen, und die sehen so aus, dass die THORA noch etwas braucht, um als Supramentum zu funktionieren.«
»Vitalenergie«, sagte der Kommandant.
»Vitalenergie«, bestätigte ich, »wie sie zwar auch in Atlans Zellaktivator gespeichert ist, aber dort in unzugänglicher Art und Weise.«
»Zugänglich ist die Vitalenergie allerdings auf den Ausweglosen Straßen«, sagte der Kommandant nachdenklich.
»Dort wird sie von den Vital-Suppressoren gewonnen und mithilfe von bestimmten Hyperkristallen, den Macairunen, gespeichert«, bestätigte ich. »Unser nächstes Ziel ist also klar.«
»Das sehe ich ähnlich: Das Supramentum muss eine Ausweglose Straße anfliegen.«
Ich nickte. Bendisson und ich waren uns einig.
*
Seutarlo-AS8 war nur eine von vielen Ausweglosen Straßen in der Galaxis, die die Cairaner vordergründig als Straflager installiert hatten und die in Wirklichkeit auch dem Abschöpfen von Vitalenergie galten. Sie lag im unübersichtlichen östlichen Zentrumsring der Milchstraße, in dem ansonsten planetenlosen Vier-Sterne-System Seutarlo, einem instabilen Lichtquartett, das seit Jahrhunderten zu kollabieren drohte.
Die größte der vier Sonnen, Seutarlo C, war ein blauer Überriese und Hyperkristallbrüter. Der Datenbank entnahm ich, dass das Bluesvolk der Weddonen dort lange Jahre tätig gewesen war. Deren alte Schürfstationen existierten zwar noch, waren aber weitgehend verlassen. Die letzten Jülziish im System waren isoliert, verfügten weder über eine Hyperfunkverbindung noch über überlichtschnell operierende Raumschiffe. Ich sah sie als keine ernst zu nehmende Bedrohung.
Gefährlich werden konnte uns indes die cairanische Wachflotte von Seutarlo-AS8. Im Unterschied zu anderen Systemen, in denen die Cairaner sich derzeit zurückzogen in Richtung Sternenrad, blieb ihre Präsenz rings um die Ausweglose Straße stark. Schließlich galt es etwas ungemein Wertvolles zu schützen.
»Die Flotte der Cairaner ist relativ klein.« Bendisson wies auf die Ortungsanzeigen. »Es sind insgesamt acht Augenraumer. Den abgefangenen Funksprüchen entnehme ich, dass ihr Flaggschiff die NIUNAI ist. Deren Kommandant ist ein gewisser Waave Ihevaridese.«
Ein bloßer Name bot noch keine Rückschlüsse auf die Qualitäten eines Kommandanten Trotzdem speicherte ich die mir überflüssig vorkommende Information ab. Vielleicht würde sie mir später nützlich sein.
Immerhin: Wir hatten es mit einer überlegenen Streitmacht zu tun, wenn man es rein auf Zahlenspiele reduzierte. Mit acht jener auffälligen silbrig weißen Raumschiffe, die wie riesige ellipsoide Ringe aussahen mit einer feurigen roten Kugel im ansonsten ausgesparten Innenbereich. Vier der acht Raumer waren 2800 Meter lang bei einem Strangdurchmesser von 300 Metern und mit einer 600 Meter großen rötlich flammenden Energiesphäre – riesige, leuchtende, bedrohliche Augen inmitten des schwarzen Weltalls. Der ovale Grundkörper war zudem mit vier großen und etlichen kleineren Kuppeln besetzt, die wie kleine Warzen rund um das seltsame »Auge« wirkten.
Die vier anderen Augenraumer stammten aus einer kleineren Klasse von 1400 auf 700 Metern, deren Energiesphäre immerhin noch 350 Meter durchmaß. Über sie erfolgte die Versorgung der Schiffssysteme.
Ihre Offensivsysteme waren nicht zu verachten. Neben den obligatorischen Impulsstrahlern in den Kuppeln konnten die Cairaner die Energiesphäre selbst als Waffen einsetzen, die sogar den HÜ-Schirm eines Schiffes der SUPERNOVA-Klasse mit einem einzigen Schuss zusammenbrechen lassen konnte, ohne dafür maximale Energie einsetzen zu müssen.
Trotzdem waren wir jedem Einzelnen dieser Schiffe überlegen, und das war bereits vor Beginn der Optimierung der Fall gewesen. Die THORA war mittlerweile beträchtlich optimiert und würde es mit bis zu zwei der Augenschiffe mit Sicherheit aufnehmen. Doch gegen acht Schiffe gleichzeitig konnte auch die beste THORA nicht bestehen.
»Wir sind gut beraten, uns nicht mit allen Augenraumern gleichzeitig anzulegen«, sagte ich zu Bendisson.
»Sind die Cairaner hier über die Vorgänge an der Bleisphäre und in der restlichen Milchstraße informiert?«, fragte der Kommandant.
Ich dachte kurz nach.
»Das bezweifle ich«, antwortete ich dann. »Die hyperphysikalischen Phänomene, die den Eigenarten Seutarlos und ganz allgemein der Zentrumsnähe geschuldet sind, dürften eine effektive Kommunikation verhindern.«
»Dann locken wir sie doch mit Informationen über die Bleisphäre heraus und nehmen sie uns einzeln vor.«
Diese Herangehensweise gefiel mir. Sie war vorsichtig und strategisch klug.
»Wir geben unsere Tarnung auf«, entschied ich, »fliegen das Lichtquartett offen an und senden Informationen über die Bleisphäre aus. Dabei werden wir die Wahrheit ... nun ja, ein wenig verbiegen.«
*
Es war unnötig, per Funk einen Lockruf zu senden. Kaum näherten wir uns dem Lichtquartett, als vier Augenschiffe es verließen und uns anfunkten. Selbst über diese beträchtliche Entfernung reflektierte das silbrig weiße Material ihrer Hüllen das Licht der Sonnen. Die rötlich flammenden Energiesphären ließen sie in der Tat aussehen wie die Augen, nach denen sie von den Galaktikern benannt worden waren.
»Ihr begebt euch in ein ausgewiesenes Sperrgebiet«, erklang eine tiefe cairanische Stimme in der Zentrale der THORA. »Identifiziert euch, oder wir werden euch vernichten.«
Ich verzog das Gesicht zu einem schwachen Lächeln. »Spricht da Kommandant Waave Ihevaridese?«
Bendisson schüttelte den Kopf. »Nein. Der Kommandant scheint es vorzuziehen, vorerst in der Sicherheit des Lichtquartetts zu bleiben.«
»Auch gut. Wir antworten nicht.«
Die vier Augenraumer näherten sich weiterhin, fächerten dann aus, als wollten sie uns ansatzweise umzingeln, und verlangsamten die Fahrt.
Ein strategischer Anfängerfehler, dachte ich. Wenn ich befürchte, dass es zu einer Raumschlacht kommt, ist eine hohe Geschwindigkeit mein stärkster Verbündeter. Diese Lektion werden die Cairaner jetzt lernen, doch sie werden sie für die Zukunft nicht mehr nutzen können.
»Wir greifen an!«, befahl ich, und Bendisson setzte unseren detailliert ausgearbeiteten Schlachtplan in die Tat um.
*
Der erste Augenraumer explodierte in der Energie unserer Thermokanonen, bevor er seine Schutzschirme hochfahren konnte. Gleichzeitig schleuste Bendisson zehn Beiboote aus, die zwei weitere Augenraumer unter Beschuss nahmen. Sie umschwirrten sie wie ein Schwarm wütender Hornissen den Leib einer weidenden Kuh, die aus irgendeinem Grund ihren Zorn erregt hatte.
Die drei verbliebenen cairanischen Schiffe aktivierten ihre Schutzschirme, doch die Beiboote waren zu nah, als dass die Augenraumer wirksamen Widerstand hätten leisten können, eine Unterlassung, die mir wie schon so oft in meinem langen Leben in die Hände spielte. Bei solch einer Kontaktaufnahme rechneten gegnerische Befehlshaber nur selten mit einem kompromisslosen, lediglich auf Zerstörung angelegten Angriff. Wer in den Methankriegen gekämpft hatte, den schreckten keine Cairaner.
»Ortung!«, meldete Bendisson. »Die vier restlichen Augenraumer eilen als Verstärkung herbei!«
Damit hatte ich gerechnet.
»Rückzug!«, befahl ich, noch während die beiden gnadenlos attackierten Augenraumer kurz als neue Sonnen aufleuchteten, deren strahlende Helligkeit dem Lichtquartett starke Konkurrenz machten und mich kurz blendete.
Der vierte Augenraumer zog sich zurück in die Sicherheit der Phalanx seiner baugleichen Verbündeten.
Zumindest versuchte er es.
Er schaffte es nicht. Der vermeintliche Rückzug der technisch optimierten Beiboote war nur eine Finte gewesen, genau wie der der THORA selbst. Wir drehten zwar ab, aber nur, um nach einigen Sekunden wieder eine Kursänderung vorzunehmen, die uns in die unmittelbare Nähe des Augenraumers brachte.
Noch eine neue Sonne beim Lichtquartett!, dachte ich zufrieden. Die Besatzung aus Opt-Bioplikaten hatte in der Tat wesentliche Verbesserungen vorangetrieben, sowohl in waffen- als auch antriebstechnischer Hinsicht.
Ich verspürte gelinden Stolz, als ich mit eigenen Augen sah, dass die Pseudo-THORA überlegener als je zuvor war. Wir hatten sehr gute Arbeit geleistet.
Die Beiboote näherten sich dem Rest der Wachflotte und machten diesmal kurzen Prozess. Wahrscheinlich überschätzten die Kommandanten der Augenraumer die Leistungsfähigkeit ihrer Schiffe. Oder, anders ausgedrückt, sie unterschätzten die unserer Optimierungen. Sie konnten ja nicht wissen, dass sie es nicht mit einem normalen terranischen Modell zu tun hatten und sich auf Erfahrungswerte stützen konnten.
Hochmut kommt vor dem Fall. Der gute alte Salomo war nicht dumm gewesen. Er hatte stets gewusst, wovon er sprach.
Wir machten es kurz und gnädig. Ich war kein Barbar, verzichtete darauf, die vier neuen Angreifer zu zerstören, begnügte mich damit, sie manövrierunfähig zu schießen. Aber so manövrierunfähig, dass sie Tage brauchen würden, um sich zurück ins Lichtquartett zu schleppen. Die THORA – nein: die Opt-THORA – hatte nur minimale Schäden davongetragen, die wir während des Weiterflugs beseitigten.
»Nun können wir die Früchte unseres Erfolgs ernten«, sagte ich zu Bendisson. »Wir gehen auf die Ausweglose Straße.«