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Vorwort

Seit nunmehr vierzig Jahren findet das größte Modernisierungsprojekt der Menschheitsgeschichte statt, und ich konnte daran fast drei Jahrzehnte teilhaben, es unmittelbar begleiten. Über meine Beobachtungen und Erfahrungen will ich hier erstmals berichten. Seit 2017 lebe ich wieder in Deutschland, und ich habe seither feststellen müssen, dass wenig Wissen über China existiert und die Vorurteile groß sind, die über das volkreichste Land der Welt kursieren. Das war mein Motiv, mich in der vorliegenden Form mitzuteilen, Sachverhalte zu erklären, Irrtümer zu korrigieren und Wissenslücken zu füllen. Denn wie ich seit meiner Rückkehr aus Fernost als Konsument hiesiger Medien erstaunt bemerkte, hatte sich die Feststellung Alfred Polgars, jenes von den Nazis aus Europa vertriebenen jüdischen Feuilletonisten, keineswegs erledigt, obgleich sie inzwischen über hundert Jahre alt ist: »Die Menschen glauben viel leichter eine Lüge, die sie schon hundertmal gehört haben, als eine Wahrheit, die ihnen völlig neu ist.«

Nun war ja nicht alles unwahr, was ich über China in den Zeitungen las, im Rundfunk hörte oder im Fernsehen sah. Doch es schien mir ziemlich oberflächlich und nicht eben freundlich. Das Land mit seinen 1,4 Milliarden Menschen, vor allem aber seine riesige Ökonomie, die ein wesentlicher Faktor der Weltwirtschaft geworden ist, zeichnete man vorwiegend stereotyp als Bedrohung. Das war zunächst nur ein Eindruck, ein Gefühl. Inzwischen jedoch wurde der Begriff auch offiziell in die Sprache der Politik eingeführt. Auf dem virtuellen NATO-Gipfel Anfang Dezember 2020 erklärte der Generalsekretär des westlichen Militärpaktes, dass zwar kein Mitgliedsland »unmittelbar« von China bedroht werde, aber man sich stärker gegen Bedrohungen aus China wappnen werde. »Es kommt uns näher, von der Arktis bis nach Afrika«, zitierten die Medien Jens Stoltenberg. »Wir müssen dies gemeinsam angehen, sowohl als NATO-Verbündete als auch als Gemeinschaft gleichgesinnter Länder.«

Natürlich ist die Angst »des Westens« durchaus begründet. Es ist ihm mit der Volksrepublik China ein ernstzunehmender Konkurrent erwachsen. Der vertritt nicht nur mit wachsendem Selbstbewusstsein seine nationalen Interessen und handelt also nicht anders als etwa die USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland und andere kapitalistische Staaten. Dieser Konkurrent präsentiert aber auch noch einen anderen Gesellschaftsentwurf. Dieser erweist sich angesichts der vielen Krisen und Konflikte, für die der Kapitalismus ursächlich ist, zunehmend als Alternative. Eine der ältesten Zivilisationen und Hochkulturen der Welt sucht nach Wegen in eine Zukunft, die diese Bezeichnung auch verdient. Und dabei sind die Chinesen sehr erfolgreich.

Nun ist das, was sie machen, überhaupt kein Modell für die Welt. Das stellen die Chinesen selbst energisch in Abrede. Doch allein das Funktionieren ihrer Ordnung beweist, dass der Kapitalismus – der sich doch selbst einmal als Krönung und Ende der Geschichte bezeichnete – eben nicht ohne vernünftige Alternative und das Schlusskapitel der Menschheit sein muss. Denn darin besteht heute weltweit Einigkeit: Wenn wir so weiter wirtschaften wie bisher, geht die menschliche Zivilisation in absehbarer Zeit zugrunde.

Das ist die eigentliche Bedrohung, vor der nicht nur »der Westen« steht.

Dessen sogenanntes China-Bashing, das Kritisieren, Verunglimpfen und Sanktionieren der Volksrepublik erfolgt nach der Methode »Haltet den Dieb!«. Das heißt, ein ertappter Halunke beschuldigt mit großem Geschrei einen anderen als Halunken, um auf diese Weise von seinen eigenen Vergehen abzulenken. Je erfolgreicher und souveräner China auf der Weltbühne agiert, desto lauter wird das Geschrei. Die Welt ist nicht genug. Inzwischen weht die rote Fahne mit den fünf gelben Sternen sogar schon auf dem Mond.

Diese gewaltigen Fortschritte in Wissenschaft und Wirtschaft sind wohl kaum Resultat von Propaganda, sondern Ergebnis angestrengter und kollektiver Arbeit. Und diese geschieht geplant, nicht anarchisch. Sie wird überlegt organisiert und konzentriert geführt. Anders als etwa in den unter dem Banner des Westens versammelten »Demokratien«.

»China teilt nicht unsere Werte«, monierte der bereits zitierte NATO-Generalsekretär. Wenn zu diesen »Werten« die Freiheit gehört, zur Durchsetzung nationaler Interessen Kriege zu führen und Konflikte zu schüren, verhasste Regimes zu stürzen und genehme zu installieren, Naturressourcen hemmungslos auszubeuten, den Regenwald abzuholzen und in Naturschutzgebieten nach Öl zu bohren, die Meere zu vermüllen und Menschen aus ihrer Heimat zu vertreiben – derzeit sind mehr als 65 Millionen Menschen auf der Flucht –, dann natürlich hat Stoltenberg Recht: Diese Werte teilt die Volksrepublik China ganz und gar nicht.

Der chinesische Traum, und so nennen sie es selbst, ist der Aufbau einer Gesellschaft mit bescheidenem Wohlstand, die Schaffung eines reichen, starken, demokratischen, zivilisierten und modernen Landes mit einer zufriedenen Bevöl­kerung. China setzt auf Harmonie statt Hegenomie. Es betrachtet keinen Staat und kein Volk als Feind.

Ich habe nicht Sinologie studiert, wohl aber das Leben in China. Ich bin zwar promovierter Transportökonom, aber habe nie wissenschaftlich gearbeitet und geforscht – ich arbeitete zeitlebens als Logistik-Manager in Europa und in Asien. Das ist mein Fundus. Ich urteile also über real Erlebtes und halte es wie Goethes Faust: »Grau, teurer Freund, ist alle Theorie, und grün des Lebens goldner Baum.« Oder mit einem anderen großen Denker, der die Praxis als Kriterium der Wahrheit benannte.

Und rigoros bin ich für die ganze Wahrheit, denn bekanntlich sind halbe Wahrheiten mitunter ganze Lügen.

Bei der Erarbeitung des Buches waren mir meine chine­sischen Freunde und der Verleger Frank Schumann außer­ordentlich behilflich. Ich danke meinen chinesischen Freunden und dem Verleger sowie und meiner Frau Wei Lan, die mir die Augen und das Herz für ihre Heimat geöffnet hat.

Uwe Behrens,

Wandlitz, im Januar 2021

Feindbild China

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