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1 Meine Grundannahmen und Menschen, mit denen ich zusammenarbeite
ОглавлениеZu den Menschen, mit denen ich zusammenarbeite und an deren Beispiel ich zeigen kann, wie wir arbeiten, gehört zum Beispiel Michael. Michael ist unser Spediteur. Er holt die Getränke bei uns ab und bringt sie zu den Kundinnen. Das sind in der Regel Getränkehändlerinnen, die die Ware weiter an die Gastronomie verteilen. Als ich ihn das erste Mal anrief, um mit ihm eine Fuhre zu verabreden, war er ziemlich erstaunt, dass ich mit ihm nicht wie üblich verhandelte. Ich sagte ihm nicht, wann er die Ware bei uns abholen und wo er sie wann (möglichst auf die Stunde genau) abliefern sollte, sondern fragte ihn erst einmal, ob er die Lieferung überhaupt machen wollte und wann sie ihm zeitlich passen würde. Im nächsten Schritt startete ich keine Preisverhandlungen mit ihm, sondern fragte ihn, wie viel Geld er bräuchte, damit er die Fahrt machen könne. Außerdem sagte ich ihm, wie viel die Getränkehändlerin bezahlen könne – vor dem Hintergrund des Verkaufspreises im Markt und des Einkaufspreises bei uns. Am Ende einigten wir uns auf einen Preis, mit dem jede gut leben konnte.
Das beschreibt mein Ziel bei dem, was man unter Geschäftsleuten gemeinhin Verhandlungen nennt. Es geht nicht darum, für mich selbst das Optimum rauszuholen, durch Tricks oder das Ausnutzen eines Vorteils, sondern darum, eine Vereinbarung zu finden, mit der alle Beteiligten gut leben können. Nur so lassen sich stabile Strukturen aufbauen.
Wenn der Spediteur Michael mit dem Lohn gut leben kann, fährt er zuverlässig. Wenn die Getränkehändlerin mit den Frachtkosten gut leben kann, kann ich Michael weiterhin beauftragen – und wir können unsere Getränke verkaufen. Jede ist zufrieden und die Sache läuft stabil, über viele Jahre. Es gibt in dieser Hinsicht kaum Probleme, im Gegenteil. Das ist mein Lieblingskriterium für Erfolg: die Abwesenheit von Problemen. Eine Erfolgskennzahl als Beispiel: eine Null, das heißt kein einziger Rechtsstreit in mehr als neunzehn Jahren Betrieb mit zuletzt 1 700 gewerblichen Partnerinnen.
Das ist jedoch nicht alles. So zu arbeiten bedeutet nicht nur, weniger Schwierigkeiten zu haben, sondern bietet auch einen wesentlichen Mehrwert. Alle Beteiligten fassen Vertrauen zueinander und schätzen sich gegenseitig wert. Man achtet aufeinander. Genauso wenig wie wir versuchen, aus Michael den besten Preis für uns herauszuholen, versucht er das bei uns. Er ist beim Verladen sehr gewissenhaft, auch da, wo es eigentlich nicht seine Aufgabe ist. Hat der Händler die Paletten ordentlich gestapelt? Wenn nicht, entsteht schnell Bruch, der teuer ist. Für uns, nicht für ihn. Indem wir die Grenzen zwischen mir und dir, mein und dein in den Vereinbarungen aufheben, verschwinden sie auch in der Zusammenarbeit. Michael achtet auf unsere Sachen wie auf seine eigenen.
Das gilt auch im Hinblick auf geschäftliche Interessen. Wenn beispielsweise eine Händlerin in eine Schieflage zu kommen droht und Waren vielleicht bald nicht mehr bezahlen kann, informiert Michael uns. Die Anzeichen dafür erkennt er mit seinen mehr als dreißig Jahren Berufserfahrung schon, wenn er beim Getränkemarkt auf den Hof fährt. Was steht an Leergut rum? Wie sehen die Gabelstapler aus? Was machen die Mitarbeiterinnen für einen Eindruck? Man redet ja auch beim Laden. Und Michael hält für uns die Augen und Ohren offen.
Einmal erzählte er mir im Vorfeld, dass eine unserer Kundinnen in drei Monaten von einer Konkurrentin aufgekauft werden würde. Er hatte schon länger bemerkt, dass es bei der einen schlecht und bei der anderen gut lief und in der Folgezeit das Auto Letzterer ein paar Mal vor dem Betrieb unserer Kundin stehen sehen. Natürlich fragte er sich: »Worüber reden die wohl? Über eine Übernahme. Und wann wäre das sinnvoll? Zum Jahresende.« Darüber informierte er mich, weswegen ich entsprechend reagieren und die Gastronominnen informieren konnte. An den Lieferwegen musste ich nichts ändern, die macht Michael weiter.
Wir bezahlen Michael nur als Spediteur, bekommen aber einen Außendienstmitarbeiter kostenlos dazu, der auch bei Kundinnen erzählt, wie zufrieden er ist. Das liegt an der Art und Weise, wie wir miteinander umgehen. Dieser Umgang ist ein Kapital an sich. Er ist unserer Erfahrung nach wichtiger als Geld. Über diesen positiven Effekt spreche ich gern, wenn ich andere davon überzeugen will, sich ebenfalls fair zu verhalten. Es rechnet sich. Ich selbst mache das aber zunächst einmal aus Überzeugung. Dass es sich rechnet, ist ein willkommener Nebeneffekt. Und ich halte dieses Verhalten auch dann durch, wenn es sich nicht rechnet oder es vielleicht sogar ausgenutzt wird, weil ich Menschen davon überzeugen möchte, sich meiner Art des Wirtschaftens anzuschließen.
So arbeiten wir beispielsweise seit über dreizehn Jahren mit einem großen Getränkehändler zusammen, der nach einer starken Aufbauphase genau das lange Zeit gemacht hat: unsere Fairness ausgenutzt. Wir bieten einen Antimengenrabatt an, was bedeutet, dass nicht diejenigen, die besonders viel bei uns kaufen, einen Rabatt bekommen, sondern die, die wenig kaufen oder besser gesagt kaufen können. Für sie subventionieren wir die Transportkosten und unterstützen so kleine Händlerinnen, die sonst keine Ware abnehmen könnten, weil die Lieferkosten pro Flasche unverhältnismäßig hoch wären. Frank beanspruchte diesen Antimengenrabatt, kombinierte dann aber – schlau wie er ist – die Lieferung so mit anderen Lieferungen, dass der Lkw schlussendlich doch voll war. Obwohl er unsere Subvention also überhaupt nicht brauchte, beanspruchte er sie uns gegenüber dennoch. Als wir dahinterkamen, drängten einige aus dem Kollektiv darauf, die Zusammenarbeit mit ihm zu kündigen. »Wir lassen uns doch nicht ausnehmen und betrügen schon mal gar nicht!« Ich hielt dagegen: »Wenn wir nur mit Menschen zusammenarbeiten, die schon so denken wie wir, können wir in der Welt nur wenig verändern. Wir müssen gerade an denen dranbleiben, die so sind wie Frank, um sie zu verändern.« Bei Frank habe ich das geschafft. Ich habe unsere Beziehung nicht gekündigt und ihm den Rabatt auch nicht gestrichen, ihm aber immer wieder erklärt, warum sein Verhalten falsch ist. Nach gut zehn Monaten kam die Einsicht und nach zehn Jahren Zusammenarbeit die Umsetzung bei einem ganz anderen Thema. Er gab zuerst nicht nur den Antimengenrabatt ab, sondern überließ einige Jahre später auch drei Viertel seines Umsatzes mit unseren Produkten einem konkurrierenden Getränkehändler, zu dem wir kürzere Wege haben und den wir ökologisch nachhaltiger beliefern können. Für jemanden, der vor ein paar Jahren noch bereit war, wegen ein paar Euro mehr Profit seine Geschäftspartnerinnen zu hintergehen, ist das kein kleiner Schritt.
Solche Veränderungen zu bewirken ist die zweite Schicht meines Unternehmens, das ich gerne als Zwiebel beschreibe. Der Kern ist das Kollektiv, in dem wir so arbeiten, wie es unseren Grundannahmen entspricht. Darum legt sich eine enge Schale von Menschen, mit denen wir zusammenarbeiten, und so im besten Fall deren Wirtschaften ebenfalls verändern. Dabei falle ich natürlich nicht mit der Tür ins Haus, sondern ködere unsere Geschäftspartnerinnen erst einmal mit einem wirtschaftlichen Vorteilspaket. Wenn wir die Zusammenarbeit mit einer Getränkegroßhändlerin beginnen, zeige ich ihr, dass wir ein wirtschaftlich sinnvoller Partner sind. Sie bekommt ein exklusives Liefergebiet, in dem ihr keine andere Händlerin Konkurrenz macht – mit unseren Produkten. Es gibt feste, abgestimmte Preise, die wir gemeinsam beschließen und die sich auch nicht spontan ändern. Es gibt eine Starthilfe durch den Antimengenrabatt. Sollte es seitens der Kundinnen der Händlerin zu Zahlungsausfällen kommen, gleichen wir das aus und holen uns das Geld von der dritten Partei zurück. So minimieren wir ihr Risiko. Sollte Ware unverschuldet ablaufen, nehmen wir sie zurück. Bei größeren Abbuchungen fragen wir vorher, ob wir abbuchen dürfen. Zu diesen sehr angenehmen Konditionen lassen wir die Geschäfte anlaufen. Wir bauen eine Beziehung auf und tun fast alles dafür, dass die Händlerin glücklich ist. Dann kommen wir nach und nach ins Gespräch. Warum machen wir das so? Welche Grundannahmen stehen dahinter? Und wie wäre es, wenn die Händlerin einen Teil davon auf ihr Geschäft übertragen würde? Dass es ökonomisch funktioniert, zeigt unser Beispiel. Und dass es besser ist, zusammen zu arbeiten als gegeneinander, auch. So verändern wir sukzessive das Verhalten unserer Geschäftspartnerinnen und um diese Veränderung geht es mir eigentlich. Sie ist das eigentliche Produkt. Die Getränke sind nur das Vehikel, über die ich sie vertreibe.
Deshalb machen wir auch keinen Unterschied zwischen unserer unternehmerischen Arbeit und unserer Beratung von anderen Unternehmen oder Institutionen. Im Gegenteil, oft können wir die gewünschte Veränderung in der Beratung sehr viel schneller erreichen als im Getränkehandel, weil hier der Umweg über die Waren entfällt. Im Grunde verstehen wir uns nicht als Getränkehersteller, sondern als eine Gruppe von Menschen, die eine bestimmte Form, miteinander zu arbeiten und zu wirtschaften, nutzt und verbreitet wie ein Betriebssystem. Uns allen geht es vor allem darum, dieses Betriebssystem ständig zu verbessern und zu teilen. Die Waren sind in diesem Sinne ein Mittel zum Zweck. Wir könnten genauso gut Brot oder Schuhe oder Seife vertreiben, und seit Corona planen wir tatsächlich, auch andere Produkte in unser Portfolio aufzunehmen, um von der Gastronomie unabhängiger zu werden. Solange die Produkte bestimmten moralischen Standards entsprechen und nachhaltig sind, sind wir flexibel. Es geht um die Reichweite und Veränderung. Hier sind die Veranstaltungen und Workshops an Universitäten, in Behörden und Firmen, bei denen wir über unsere Erfahrungen sprechen und dafür werben, es uns nachzutun, sehr effizient, weil wir damit immer wieder viele Menschen erreichen. Ich bezeichne sie als den dritten Ring meiner Zwiebel. Auch dieses Buch gehört dazu: Wirtschaft hacken. Ich glaube, unser Wirken lässt sich durchaus in Analogie zum Hacken von Computern verstehen. Wir übernehmen einen kleinen Teil des Systems und breiten uns dann immer weiter aus – wie ein Virus in der Software.
Damit uns das gelingt, ist jedoch absolute Offenheit und Transparenz nötig. Im Kollektiv und in der Zusammenarbeit mit unseren Partnerinnen. Wir haben deshalb nicht nur einen Einheitslohn, sondern legen auch unsere Kalkulationen offen. Unsere Preise sind transparent und die jeweiligen Anteile werden konsensdemokratisch beschlossen. Eine Flasche Cola kostet in der Gastronomie zwischen 78 Cent und 3,30 Euro. Je nachdem, ob sie in einem Non-Profit-Café in Magdeburg oder in einer Bar im Frankfurter Bankenviertel verkauft wird. Zu welchem Preis die Wirtin die Cola verkauft, ist erst einmal ihre Sache. Wir sind uns aber alle einig darüber, dass sie den größten Anteil pro Flasche haben muss, weil sie die anteilsmäßig größten Kosten und den größten Aufwand pro Flasche hat. Immerhin muss sie nicht nur die Flasche bezahlen, sondern auch die Lokalmiete, das Personal, die Lüftung, Heizung, den Strom, die GEMA, Umsatzsteuer und noch vieles mehr, damit eine Kundin die Cola bei ihr kaufen und trinken kann. Ihr Aufwand für den Verkauf einer Flasche ist damit viel höher als zum Beispiel jener der Getränkehändlerin, die ihr die Cola kistenweise liefert. In der Zeit, in der die Wirtin eine Flasche über den Tresen reicht, stellt ihr die Händlerin vier Kisten ins Lager. Deshalb bezahlt die Wirtin ihr nur 65 Cent netto pro Flasche. Die Getränkehändlerin kauft die Cola von einer Großhändlerin palettenweise für 54 Cent und diese nimmt uns die Cola in Lkw-Ladungen für 40 Cent die Flasche ab. Von diesen 40 Cent die Flasche bestreiten wir unsere Produktionsund Logistikkosten und behalten einen Anteil übrig. Der beträgt 18,5 Cent pro Flasche. Damit bezahlen wir – wie alle anderen auch – Mitarbeitende, Lager, CO2-Ausgleich, Musterflaschen, Etiketten, Grundkosten des Unternehmens wie Server, Domains, Steuerberatung und Steuern natürlich auch. Wir haben übrigens 2013 eine Steuerprüfung gehabt und diese ohne eine einzige Beanstandung überstanden. Es gibt außerdem einen Cent pro Flasche für Investitionen und Krisenrücklagen, aber es gibt keinen Gewinnanteil, den Inhabende für sich entnehmen dürften. Gewinn ist daher kein Ziel des Unternehmens. Ab und zu kommen Gastronominnen und fordern einen günstigeren Einkaufspreis, oder Händlerinnen oder Zulieferer wollen einfach so mehr Geld. Wir legen ihnen dann immer unsere Kalkulation vor und fragen, wem das Geld, das sie mehr bekommen wollen, denn weggenommen werden soll? Damit haben sich die entsprechenden Diskussionen meist erledigt.
—URBAN WINKLER, Bierbrauer.
»Ich bin Brauer. Mein Sohn führt jetzt das Unternehmen in der siebten Generation, ich arbeite noch mit. Wir arbeiten mit dem Premium-Kollektiv schon seit über fünfzehn Jahren zusammen und brauen das Bier für sie. Das Open-Source-Betriebssystem des Kollektivs hat uns überzeugt, mitzumachen. Leider lässt es sich meiner Erfahrung nach nur sehr begrenzt auf meine Branche übertragen. Wenn ich mit einem Händler, der unser Bier einkauft, so umgehen würde, wie Uwe es vormacht, und zum Beispiel meine Kalkulation offenlegen würde, erginge es mir schlecht. Das Wohlwollen, mir auch nur einen kleinen Gewinn zu lassen, wäre in den meisten Fällen nicht da. Könnten sie sehen, was wie viel kostet, würden die meisten Einkäufer versuchen, mich auf den Deckungsbeitrag zu drücken, mir also nicht mehr für mein Bier bezahlen, als die Produktion gekostet hat, wenn überhaupt so viel. Manche würden auch noch versuchen, das zu drücken. »Was? Du willst etwas verdienen? Sei froh, dass du dein Zeug überhaupt losschlägst.« Wo das Wohlwollen mir gegenüber fehlt, fehlt mir auch das Vertrauen zum anderen. Also ist eine gleichwürdige Zusammenarbeit wie mit dem Premium-Kollektiv eher die Ausnahme. Es gibt einen gastronomischen Betrieb in Nürnberg, mit dem wir zusammenarbeiten, der das Premium-Betriebssystem übernommen hat. Mit dem geht das natürlich. Und bei manchen Händlern, die aus der Region kommen und die ich schon lange kenne, geht das auch. Da gibt es ein über Generationen gewachsenes Wohlwollen und Vertrauen. Die Regel ist das aber nicht, und wenn sich in den bekannten Firmen die Führung ändert, weht da auch gleich ein ganz anderer Wind. Wertfreie Gewinnmaximierung.
Allerdings liegt das nicht nur an den Händlern, sondern auch an den Kunden. Der Getränkehandel ist ein Kundenmarkt, es gibt viel mehr Angebot als Nachfrage. Wenn mit dem Bier keine besondere Leidenschaft verbunden ist, wie in der Craft-Beer-Szene, ist es vielen Kunden egal, ob sie einen roten oder grünen Kasten mit nach Hause nehmen. Hauptsache der Preis stimmt. In diesem Konkurrenzkampf werden viele Produzenten und Händler verschlissen.
Ich würde mir wünschen, die Transparenz der Preise überall zu haben, nicht nur im Premium-Kollektiv, sondern auch dort, wo ich nur Konsument bin, denn ich glaube, dass sich unsere Wirtschaft damit insgesamt verändern würde. Ich könnte dann nicht nur besser abschätzen, ob ich die Preise angemessen finde oder nicht, sondern auch, wie Kosten und Lasten zwischen den Beteiligten verteilt sind. Das ist wichtig, wenn ethische Kriterien in meine Kaufentscheidung mit einfließen sollen, und das ist nicht nur ein Ziel im Premium-Kollektiv, sondern eine Voraussetzung von nachhaltigem Konsum überhaupt.
Natürlich ist diese Transparenz nicht immer konfliktfrei, auch dann nicht, wenn sie hergestellt ist, wie beispielsweise in den Abrechnungen unserer Steuerberaterin. Sie berechnet uns ein Mehrfaches unseres Einheitslohnes. Das habe ich wiederholt zum Anlass genommen, um mit ihr über ihre Honorare zu sprechen, allerdings ohne Erfolg. Im Gegenteil. In der für sie ohnehin schon sehr anstrengenden Corona-Zeit war sie die wiederkehrenden Diskussionen mit mir über die Gleichwürdigkeit der Menschen, das gleiche Recht einer jeden, ihre Bedürfnisse zu befriedigen und die damit verbundene Gleichheit der Bezahlung so leid, dass sie uns kündigte. Sie fühlte sich im Vergleich mit anderen Steuerberatungen ungerecht behandelt, denn sie liefert sehr gute Arbeit und weiß das auch. Ihr Stundensatz entspricht dem Marktpreis und sie sieht nicht ein, sich dafür verteidigen zu müssen, dass sie diesen ansetzt. Andere Steuerberaterinnen verlangten genauso viel, wir würden eine vergleichbar gute Arbeit also nirgendwo günstiger bekommen (von den Transferkosten und dem Stress, inmitten der Coronapandemie einen Wechsel der Beratung herbeizuführen, einmal ganz zu schweigen) und es gäbe genug Kundinnen, die zahlten, was sie verlange.
Um sie nicht zu verlieren, schlug ich ihr vor, nie wieder über ihre Honorare zu sprechen. Besser, wir behalten sie als Beraterin und zahlen, was sie verlangt, als dass wir zu einer anderen Steuerberaterin wechseln müssen, die vermutlich auch nicht für unseren Einheitslohn arbeiten wird, vor allem dann nicht, wenn sie, wie unsere, sehr gut ist.
Die Kalkulationen transparent zu machen, erleichtert die Verhandlungen also nicht immer. Es legt auch eine ganze Reihe von Differenzen offen, an denen sich Konflikte entzünden können, zum Beispiel dort, wo Menschen ihre Position im Vergleich mit anderen bewerten, um mehr für sich herauszuholen. Dabei ändert der Vergleich mit anderen faktisch nichts an der eigenen Situation; entscheidend ist für mich doch nur, ob ich ausreichend habe – unabhängig davon, ob meine linke Nachbarin mehr oder mein rechter Nachbar weniger hat als ich. Der Vergleich mag in der Logik des Marktes normal sein, wie unsere Steuerberaterin vorführt, widerspricht aber unserer Grundannahme der Gleichwürdigkeit aller Beteiligten: Alle Menschen sollten für sich ausreichend bekommen und haben. Gerade deshalb ist diese Transparenz so wichtig. Denn nur dann, wenn klar ist, wer wie viel für was bekommt, können wir darüber sprechen, ob das in Ordnung ist – oder nicht. Hier ein faires Verhältnis zu schaffen, darauf zielen wir im Premium-Kollektiv ab. Die Forderung nach einer Transparenz der Kalkulationen funktioniert dabei wie ein Trojaner in der Software. Wir schleusen ihn ins System ein und versuchen es, so von innen heraus zu verändern. Ich weiß, dass wir die Logik des Marktes nicht einfach umstürzen können, aber eine sukzessive Veränderung lässt sich bei der einen oder anderen vielleicht doch erreichen. Und irgendwann überzeuge ich auch noch unsere Steuerberaterin.
— KATJA KOCK, Buchhalterin.
Ich bin jetzt seit elf Jahren dabei. Es gefällt mir, für Premium Cola zu arbeiten, weil ich arbeiten kann, wann ich will und wo ich will. Andererseits stört mich die Einsamkeit bei der Arbeit, die es nicht nur jetzt, während Corona gibt, sondern die überhaupt bei Premium dadurch gegeben ist, dass jeder für sich in einer Stadt arbeitet und wir nur alle vierzehn Tage per Video- oder Telefonkonferenz zusammenkommen. Allerdings arbeite ich immerhin mit einer anderen Kollektivistin zusammen, Dörte, die mich bei der Bearbeitung von Rechnungen unterstützt. So ist die ja schon grundsätzlich einsame buchhalterische Arbeit nicht ganz so einsam. Ich habe BWL studiert und war zunächst mit einer PR-Agentur selbstständig, bevor ich zu Premium gekommen bin. Dort habe ich angefangen, die Buchhaltung zu machen und mich immer weitergebildet. Inzwischen habe ich auch andere Kunden, für die ich freiberuflich als Buchhalterin arbeite, aber Premium ist immer noch mein Hauptkunde.
Obwohl ich die Buchhaltung verantworte, habe ich keine Verfügung über Geld. Alle Rechnungen werden von Uwe bezahlt. Nur er hat Zugriff auf unser Hauptkonto. Für Notfälle gibt es ein Zweitkonto, auf das ich zugreifen könnte, wenn ich wollte oder müsste – etwa, weil Uwe krank ist –, aber dazu ist es noch nie gekommen.
Manchmal hadere ich damit, dass alle denselben Lohn bekommen. Immerhin habe ich lange studiert, bin dadurch viel später ins Berufsleben eingestiegen und meine, es wäre fair, wenn sich das dann durch einen höheren Lohn ausgleichen würde. Andererseits kann ich die Idee hinter dem gleichen Lohn gut nachvollziehen und sehe auch das Gute in diesem Ansatz. Es ist ein zweischneidiges Schwert. Bei den anderen Kunden, für die ich die Buchhaltung mache, verlange ich natürlich mehr Geld für meine Arbeit. Wenn ich dann was für Premium mache, fange ich sehr früh morgens an und arbeite mein Pensum ab, damit ich den Rest des Tages für andere Sachen frei bin. Sonst rechnet sich das nicht. Bei den Diskussionen im Kollektiv halte ich mich oft zurück. Entweder, weil es in meinem Bereich nicht viel zu diskutieren gibt oder weil mich bestimmte Diskussionen nicht interessieren. Ich muss mich bei meiner Arbeit an Gesetze halten und da gibt es keinen Spielraum, die Dinge auch mal anders zu machen. Offenere Fragen, etwa, ab wann ich eine Rechnung anmahne, handhabe ich so, wie ich es für richtig halte. Premium möchte ja die Welt verändern, aber wir sind nun mal ein Unternehmen, das in der Marktwirtschaft bestehen muss. Deshalb müssen wir uns auch an die Spielregeln halten.
Bei Diskussionen jenseits meines Bereichs halte ich mich eher zurück. Wenn die anderen meinen, drei Stunden über die Rückseite eines Etiketts verhandeln zu müssen, das man nur durch die leere Flasche hindurch sieht, mache ich da nicht mit. Kann schon sein, dass das alles ausdiskutiert werden muss, aber ich muss mich daran nicht beteiligen.
— MICHAEL HARMS, Spediteur.
Ich habe Uwe über einen gemeinsamen Kunden kennengelernt. Uwe hatte schon ein paar Jahre einen Verteilstützpunkt in Hamburg und für den bin ich dann gefahren. Persönlich kennengelernt haben wir uns erst, nachdem ich schon zwei Jahre für ihn gefahren war. Wir wohnten zwar nah beieinander, aber das hat sich nicht ergeben. Der Uwe hat viel von mir gelernt. Von dem, was man bei uns Fuhrleuten normale Arbeit nennt, hatte er anfangs keine Ahnung. Wenn ich ihm gesagt habe, das oder das sieht man doch schon daran, was bei dem Händler auf dem Hof rumsteht, hat der nur gestaunt. Für mich war das alltäglich, aber Uwe fand das interessant, weil ich darauf einen anderen Blickwinkel hatte als er.
So war das auch bei der Entstehung des Antimengenrabatts. Die Fuhre kostet immer das Gleiche – egal, ob eine Palette auf dem Lkw steht oder zehn. Warum soll denn der, der höhere Umsätze macht, auch noch beim Transport einen Vorteil haben? Natürlich, alle versuchen, es im Einkauf möglichst billig zu kriegen, aber Uwe und ich haben immer gesagt, »Wir sind doch nicht auf dem Basar. Wir wollen alle davon leben.« Eine Fahrradkette hat auch nicht unterschiedlich weite Abstände zwischen den Gliedern. Der ist immer gleich, denn die Kette funktioniert nur, wenn die Abstände gleich sind. So ist das auch bei Lieferketten. Ich fahr zwar Lkw, aber ich bin nicht doof, kein Dieselknecht. Ich kann auch was anderes, das hat Uwe erkannt. So kamen wir ins Gespräch und ich habe mein Wissen mit ihm geteilt.
Dabei habe ich etwas von Uwe gelernt, zum Beispiel dass man sich auch mit mir absprechen kann. Dass mich ein Kunde fragt: »Wann passt dir die Fuhre? Und wann kannst du ungefähr da sein?« Das ist mir vor Uwe noch nie passiert. Aber klar, der Kunde kennt ja nicht meine Strecke und wenn die Umstände eben so sind, dass ich nicht eher da sein kann, kann ich auch nichts dafür. Da macht es doch keinen Sinn, mir eine Vertragsstrafe aufzubrummen. Manchmal geht es nicht anders und dann bin ich eben erst am Montagmittag da und nicht schon am Samstagmorgen. Uwe hat das verstanden und respektiert. Das kannte ich vorher nicht. Dass das nicht nur möglich ist, sondern dass ich diesen Respekt vor meiner Arbeit auch erwarten kann, das habe ich von Uwe gelernt und das erwarte ich jetzt auch von meinen anderen Kunden. Fliegen können wir alle nicht; wir sind alle an die Schwerkraft gebunden und gehen auf der Erde. Das habe ich zu meinem Credo gemacht.
Insgesamt kann man sagen, dass Uwe und ich viel voneinander gelernt haben. Wir sind ein bisschen wie ein altes Ehepaar und arbeiten jetzt schon achtzehn Jahre zusammen. Ich hoffe, das bleibt so.