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3. Zwei Kardinäle – eine Politik
ОглавлениеAls Mazarin am 4. Januar 1640 wieder in Frankreich eintraf, waren die politischen Eckwerte in Frankreich durch neue Fakten verändert – besonders durch den langsamen Prozess, mit dem Frankreich in den militärischen Konflikt in Mitteleuropa eintrat. Denn Richelieu hatte bereits zehn Jahre zuvor die strategische Option festgelegt, mit militärischen Mitteln die nordöstliche Grenze Frankreichs bis an den Rhein zu verlegen – vielleicht sogar darüber hinaus. Und als im April 1632 der Kurfürst von Trier, Philipp von Sötern, von den Truppen Gustav Adolfs bedroht wurde, war bereits Gelegenheit gegeben, dessen Festungen Ehrenbreitstein und Philippsburg mit französischen Garnisonen zu belegen. Es ging Frankreich weniger um dessen Schutz als um die eigene geographische Machterweiterung. So konnte einer der mit dieser Operation betrauten Offiziere dem König melden: „Ich bin so ruhmreich durch die Ehre, die Eure Majestät mir zuteilwerden ließ, indem Sie mich auswählte, hierher zu kommen und Ihre Waffen bis an den Rhein zu tragen.“1
Es war jedoch unvorstellbar, dass Ludwig XIII. einen Krieg gegen Spanien begann, solange sich sein Bruder Gaston d’Orléans im Land des Feindes befand – in den Spanischen Niederlanden, wohin er ins freiwillige Exil geflüchtet und in Brüssel mit seiner Mutter zusammengetroffen war. Richelieu inszenierte eine perfekte Intrige, indem er dessen Günstling Antoine de Puylaurens, dem Gaston bis zur Abhängigkeit verfallen war, auf seine Seite zog, sogar bis in die eigene Familie, denn er verheiratete den ambitiösen Emporkömmling mit seiner entfernten Cousine Marguerite de Camboust. Dieser Schachzug hatte zudem eine verdeckte Option, die offenzulegen Richelieu um die Gunst des Königs und seinen Rang hätte bringen können. Denn sollte Ludwig XIII., dessen Gesundheit ständig und zunehmend gefährdet war, sterben, hätte der Erste Minister, der seit Langem der gnadenlose Gegner von Gaston d’Orléans gewesen war, auf die Chance hoffen können, auch an dessen Seite seine Machtstellung zu bewahren. Die Operation gelang, und der Bruder des Königs benutzte eine Jagd in den Wäldern von Soignes, um sich mit wenigen Getreuen nach La Chapelle auf französisches Hoheitsgebiet zu flüchten.
Das Versteckspiel, das Richelieu in aller Öffentlichkeit trieb, um seine Kriegspläne nicht oder zumindest nicht verfrüht zu enthüllen, hatte sogar seinen Parteigänger und Vertrauten Mazarin eingeschlossen, als dieser in der Funktion des außerordentlichen Nuntius am französischen Hof einen Universalfrieden unter dem Patronat des Papstes zu erreichen versuchte. Mazarin hatte sogar nach Rom berichtet: „Ich erinnere mich nicht, den Kardinal … jemals mehr für den Frieden begeistert gesehen zu haben; als er mit mir darüber sprach, weinte er und beteuerte, er gäbe einen Arm darum, ihn zu erhalten.“2 Der Erste Minister, dem die Technik der exzessiven Emotionen stets unbegrenzt zur Verfügung stand, war von der Wahrheit meist am weitesten entfernt, wenn er weinte, ihr aber wohl im Spott viel näher, als Mazarin ebenfalls nach Rom meldete: „Seine Eminenz hat mir beim Aufstehen gesagt, ich würde dem Frieden den Hof machen, als sei er die Dame meines Herzens.“3 Es dürfte ein Kassiber gewesen sein, den als solchen zu erkennen Mazarin sich versagte – oder den er vielleicht auch unentschlüsselt nach Rom schicken wollte.
Doch auch die militärische Entwicklung, die der Dreißigjährige Krieg in Deutschland nahm, drängte zu einer Entscheidung. Es war nicht länger möglich, auch nicht mit hohen Subventionen an Schweden unter dem Kanzler Axel Oxenstierna, nachdem König Gustav Adolf 1632 in der Schlacht von Lützen gefallen war, einen Stellvertreterkrieg zu führen. Ohne Beschönigung analysierte Richelieu seinem König die sich zuspitzende Lage im Zentrum Europas:
„Es ist sicher, dass, wenn die Partei (der Protestanten) vollständig zerstört ist, die Auswirkung der Macht des Hauses Österreich auf Frankreich fallen wird. – Es ist auch sicher, dass nach der kürzlichen Niederlage (in der Schlacht von Nördlingen) die Partei sich nicht behaupten kann, wenn ihr nicht eine sofortige und dauerhafte Hilfe zuteilwird … Es ist ebenfalls sicher, dass der schlechteste Beschluss, den Frankreich fassen kann, der ist, dass es allein bleiben könne, um dem Angriff des Kaisers und Spaniens standzuhalten.“4
Ludwig XIII. drängte zum Kriegseintritt, Richelieu zögerte, da er die militärische Macht Frankreichs noch nicht ausreichend gesteigert glaubte.
Am 13. Mai 1635 aber, als die Truppenstärke der französischen Armee von 60 000 auf 160 000 Mann – 134 000 Fußsoldaten und 26 000 Reiter – gestiegen war, ließ Ludwig XIII. durch einen königlichen Herold vor Brüssel nach altem Brauch Spanien den Krieg erklären. Wie leer diese Zeremonie war, beweist die Tatsache, dass französische Truppen bereits am 8. Mai die Grenze nach Luxemburg überschritten hatten und exakt am Tag der Kriegserklärung in den Ardennen ein französisches Heer von 25 000 Mann eine 13 000 Mann starke Armee des spanischen Statthalters, des Kardinalinfanten Ferdinand von Österreich, besiegte. Er war der jüngere Bruder des spanischen Königs Philipp IV. sowie der französischen Königin Anna von Österreich, und auch er war, wie es im Hochadel nicht selten geschah, Kardinal geworden, ohne Priester zu sein. Siegesbewusst marschierten die Franzosen in Richtung Maastricht, wo sie sich mit den Truppen der Vereinigten Niederlande, die Frankreich ebenfalls mit hohen Subventionen an sich gebunden hatte, vereinigten.
König Ludwig XIII. (1601–1643, seit 1610 König von Frankreich) begünstigte Mazarin. Gemälde (1635) von Philippe de Champaigne.
Doch das Kriegsglück wechselte schnell die Fronten, denn die französisch-niederländische Armee stieß alsbald auf den erneuten Widerstand der Truppen des Kardinalinfanten mit der Folge eines gefährlichen Stillstands, der zu Ruhr und Pest führte. Die Reste der französischen Armee mussten auf holländischen Schiffen zurück nach Frankreich transportiert werden, da die spanischen Truppen die Rückkehr auf dem Landweg blockierten. Richelieu musste Ludwig XIII. sogar den Verlust der königlichen Autorität melden, der mit dieser Niederlage verbunden war: „Das Herz blutet mir, wenn ich das Elend sehe, in dem die Flandern-Armee völlig zugrunde gegangen ist.“5 Am Ende des ersten Kriegsjahres musste Frankreich bittere Verluste hinnehmen.
In dieser für Frankreich desaströsen Situation, die sich noch länger fortsetzte, ist Richelieu offensichtlich zu einem Urteil über seine Landsleute und ihren Nationalcharakter gelangt, das von tiefer Skepsis, wenn nicht Verachtung geprägt war: „Sie fürchten nicht die Gefahr, aber sie wollen sich ihr ohne jede Anstrengung aussetzen; die geringsten Schwierigkeiten sind ihnen unerträglich; sie haben nicht die Gelassenheit, auch nur einen Augenblick auf das Glück zu warten … auf lange Dauer werden sie einer Sache überdrüssig und verweichlichen bis zu dem Grad, dass sie weniger als Weiber sind.“6 Dieses vernichtende Urteil, das Richelieu in seinem „Politischen Testament“ ausspricht, stieß auf radikale Ablehnung in Frankreich, als die nur für den König bestimmte Schrift 1688 schließlich doch veröffentlicht wurde, und Voltaire hielt sie für eine Fälschung.
Auch das folgende Jahr begann mit militärischen Niederlagen, zumal als die Festungen La Chapelle und Le Castelet in Feindeshand fielen, obwohl sie mit Munition, Nahrungsmitteln und Soldaten wohlversorgt waren. An dieser prekären Situation änderte sich auch nichts, nachdem ihre Kommandanten vom Kriegsgericht dazu verurteilt worden waren, von vier Pferden in Stücke gerissen zu werden – sie waren flüchtig. Als danach die Stadt Corbie fiel und die Somme-Linie von den spanischen Truppen überwunden wurde, sodass der Feind ungehindert auf Paris marschieren konnte, brach in der Hauptstadt Panik aus – eine Massenflucht in Richtung Orléans setzte ein.
In dieser bedrohlichen Lage verlor Richelieu die Nerven, erkrankte schwer und bot seinen Rücktritt an – nicht nur zum Schein. Es war nun der König, der zum nationalen Widerstand aufrief und selbst einen Angriff auf Corbie wagte, von dem sein Kriegsrat abgeraten hatte – es gelang, die Mauern der Stadt so stark zu beschädigen, dass eine weitere Verteidigung unmöglich war. Man einigte sich auf ehrenvollen Abzug der spanischen Besatzung. Ludwig XIII. hatte mit der Sympathie seines Volkes sein Land gerettet, nicht jedoch sein mächtiger Minister, der wegen seiner politischen Härte, die ihn seine Gegner aufs Schafott schicken ließ, nur auf den Hass des Volkes rechnen konnte.
Sogar bis in das königliche Umfeld war diese Verachtung für den Ersten Minister gegenwärtig, sodass eine erneute Verschwörung von Gaston d’Orléans vorbereitet wurde. Zwei seiner Günstlinge und drei Offiziere waren während der langen Belagerung von Corbie bereit, Richelieu in dem Augenblick zu ermorden, in dem er in Amiens den Kriegsrat verließ – seine Garde durfte nicht anwesend sein, solange die königliche den Kriegsrat des Königs schützte. Sie warteten auf das Zeichen, das der Bruder des Königs zu geben versprochen hatte. Im entscheidenden Augenblick aber zögerte Gaston und geriet in eine Nervenkrise – es war der Purpur des Kardinals, der Richelieu schützte, und auch sein Nachfolger wusste um den magischen Schutz, auf den ein Fürst der Kirche rechnen konnte.
Nachdem die Spanier aus dem Land gedrängt worden waren, stabilisierte sich die militärische Lage für Frankreich, und es kam in den nächsten zwei Jahren auch zu einer radikalen Neuordnung der Thronfolge. Ludwig XIII., dessen Gesundheit von Tuberkulose bedroht war, ließ sich – so genau ist das Datum überliefert – von dem Hauptmann seiner Garden, François de Guitaut, am 5. Dezember 1637 überreden, im Louvre zu nächtigen, wo seine Gemahlin Anna von Österreich lebte, während der König selbst seinen Wohnsitz im Alten Schloss von Saint-Germain-en Laye hatte. Ein heftiger Regen soll die Rückkehr dorthin erschwert haben, und Ludwig XIII. folgte dem Rat seines Gardehauptmanns, seiner dynastischen Pflicht nachzukommen. So geschah es, dass der König sich in dieser Nacht erstmals nach drei Jahren wieder Anna von Österreich zuwandte, die er hasste. Ihre konspirative Nähe zu Spanien hatte zu dieser Abneigung ebenso beigetragen wie ihr vergnügungssüchtiger Leichtsinn, der zu mehr als einer Fehlgeburt geführt hatte.
Bereits am 30. Januar des folgenden Jahres konnte die Zeitung „La Gazette“ von Théophraste Renaudot – es war die erste Tageszeitung Frankreichs – melden, dass sich die Spitzen des Hochadels in Saint-Germain-en-Laye versammelt hätten, „um gemeinsam mit Ihren Majestäten der gemeinsamen Freude Ausdruck zu geben, die eine sehr glückliche Nachricht ausgelöst hat, an der wir Sie, so Gott will, in Kürze teilhaben werden lassen“.7 Am 5. September 1638 kam dann der späte Dauphin zur Welt und wurde wegen der langen Wartezeit von mehr als zwanzig Jahren als „Dieudonné“ – Gottesgeschenk – begrüßt. Er war, wenn er die Jugendjahre überlebte, der Garant für die direkte Fortsetzung der Bourbonen-Dynastie und für die Stabilität der Monarchie in Frankreich.
Das Machtgefüge im Umkreis dieser Monarchie ordnete sich neu. Gaston d’Orléans, der in immer neuen Konspirationen gegen seinen königlichen Bruder und dessen Minister landesverräterisch agiert hatte, sah seinen direkten Thronanspruch für den Fall, dass der kranke Ludwig XIII. einen frühen Tod erlitt, schwinden – er fiel an die dritte Stelle zurück. Anna von Österreich aber rückte in den Vordergrund, denn der Tod Ludwigs XIII. würde ihr die Regentschaft über ihren unmündigen Sohn verschaffen und damit die politische Lenkung Frankreichs übertragen. Es sei denn, dass Gaston d’Orléans ihr diese zentrale Machtposition streitig machen würde, was rechtlich möglich gewesen wäre. Aber um dies zu verhindern und sein politisches Werk nicht der beliebigen Preisgabe durch die instabile Persönlichkeit Gastons ausgesetzt zu sehen, musste es im Interesse Richelieus liegen, sich zunehmend der Königin zuzuwenden – die lange Gegnerschaft wandelte sich langsam in eine verdeckte Komplizenschaft. Er ließ es nicht an Schritten der Annäherung fehlen.
So war die innenpolitische Szenerie Frankreichs gestaltet, als Mazarin um den Jahreswechsel 1639/40 wieder in Paris eintraf. Bereits im September 1640 gebar Anna von Österreich einen zweiten Sohn, der als Philippe d’Orléans die lange Nebenlinie der Orléans begründete, nun aber zur unmittelbaren Stabilität der Bourbonen-Dynastie beitrug. Doch diese Dynastie hatte sich mit legitimen und legitimierten Kindern Heinrichs IV. an den europäischen Höfen bereits weit ausgefächert, und Richelieu zögerte nicht, den ehemaligen Nuntius des Papstes nun als Arrangeur der politischen Interessen Frankreichs auch außerhalb seiner Grenzen zum Einsatz zu bringen – in Savoyen, dessen innenpolitisches Geflecht Mazarin aus seiner Zeit als Friedensstifter des Papstes in Norditalien überaus bekannt war. Schließich hatte er stets freundschaftliche Kontakte zum Herrscherhaus der Herzöge von Savoyen gepflegt.
Es ging wie im Fall von Lothringen um die Absicherung des militärischen Glacis, das den unmittelbaren Berührungskontakt mit dem permanenten Gegner Spanien-Habsburg verhindern sollte. In beiden Fällen mussten eher nur mittelgroße Staaten, solange sie sich nicht in den Machtbereich Frankreichs integrieren ließen, in Abhängigkeit gehalten werden, also einen wesentlichen Teil ihrer Souveränität einbüßen – eben zugunsten Frankreichs. Die politische Bindung Savoyens an Frankreich war zusätzlich dadurch gefestigt worden, dass der Herzog Viktor Amadeus mit Christine, der zweiten Tochter von Heinrich IV. und Maria de’ Medici, verheiratet worden war. Es war eine rein politische Ehe, denn Christine war zum Zeitpunkt der Eheschließung nicht älter als dreizehn Jahre – das Alter ihres Gemahls übertraf das ihre um mehr als zwanzig Jahre. Ein derart großer Altersunterschied war in jener Epoche jedoch keine Seltenheit.
Während noch der Landesherr Karl Emanuel ein gewagtes Doppelspiel zwischen seinen beiden geopolitischen Nachbarn Frankreich und Spanien getrieben hatte, das Richelieu und Ludwig XIII. mit militärischer Gewalt und zum Schaden Savoyens beendet hatten, zeigte sein ältester Sohn und Nachfolger Viktor Amadeus keinerlei Bestreben, die Allianz mit Frankreich infrage zu stellen. Vater und Sohn unterschied auch, dass Karl Emanuel seiner Gemahlin in zwölf Jahren nicht weniger als zehn Schwangerschaften beschert hatte – an der letzten starb sie –, ganz abgesehen von zehn Bastarden, von denen sechs legitimiert wurden, während Viktor Amadeus sich in eine asketischreligiöse Abhängigkeit von dem Prediger Franz von Sales gebracht hatte, nachdem er seiner jungen, mit der Sinnlichkeit ihres Vaters ausgestatteten Gemahlin nur kurzes Entgegenkommen gezeigt hatte, das zu keinerlei Nachkommen führte.
Schon 1630 war zu Ohren Richelieus die pikante Nachricht gelangt, dass die Prinzessin Christine einem jungen französischen Edelmann namens Pommeuse ihre Gunst geschenkt hatte – er starb aber in kurzer Frist, sodass ein Skandal vermieden werden konnte. Doch bereits im folgenden Jahr konnte und musste der französische Botschafter am Hofe von Turin, Abel Servien, dem Ersten Minister nach Paris melden, dass eine neue Leidenschaft die Fürstin erfasst hatte – diesmal zu dem Grafen Philippe San Martino d’Aglié, Leutnant der herzoglichen Garden, der mit körperlicher Wohlgestalt ebenso ausgestattet war wie mit der zu Leichtsinn gesteigerten Kühnheit des Adels jener Epoche. Dieser neuen Liaison konnte Richelieu, der wie Mazarin dergleichen Nachrichten als üble Nachrede abzuwerten versuchte, nicht länger mit Verachtung und Nichtbeachtung begegnen, als Servien nach Paris berichtete: „Das Verhalten von Philippe wird von Tag zu Tag skandalöser; nicht nur spielt er jeden Tag den Geliebten von Madame, er tut es auch bis zur Unverschämtheit … Unter den Augen aller erscheint er jeden Abend, um sich mit Madame in ein kleines, abseitiges Kabinett zurückzuziehen, wo er mit ihr drei Stunden bleibt.“8
Ungewöhnlich und unverständlich erschien dem französischen Botschafter die Haltung, die der Herzog Viktor Amadeus zu diesem Treiben einnahm – totales Schweigen, das sich gleichermaßen als Nichtwissen wie als Nichtwissenwollen deuten ließ. Da die Verbindung der Herzogin mit ihrem Geliebten sich ungestört fast zehn Jahre entfalten konnte, fehlte es nicht an mehreren Kindern, darunter zwei männliche, die der Herzog in der Gewissheit, dass ihm die Rolle des Gehörnten zugefallen war, als die seinen akzeptierte. Zumindest wuss te er somit seine Nachfolge gesichert, was ihn zusätzlich von der Obligation des seinerzeitigen Ehrenkodex entband, seinem erfolgreichen Nebenbuhler mit dem Degen in der Hand entgegenzutreten und die Situation mit einem eklatanten Konflikt zur Explosion zu bringen.
Als Viktor Amadeus jedoch 1637 starb, komplizierte sich die politische Konstellation am Hofe von Turin. Für den fünf Jahre alten Knaben Franz Hyazinth ließ sich die Herzogin Christine zur Regentin ausrufen, und die beiden jüngeren Brüder des verstorbenen Herzogs hatten sich politisch in Richtung Spanien orientiert. Der jüngere Graf Thomas von Savoyen-Carignan, der bereits 1634 das Kriegshandwerk gewählt hatte, war in die Dienste Spaniens getreten – vor Corbie hatte er als brillanter Offizier zum Schaden Frankreichs gefochten. Sein älterer Bruder Moritz, der als zweitgeborener Sohn wie üblich den kirchlichen Karriereweg eingeschlagen hatte und Kardinal geworden war, bemühte sich ebenfalls, die Herzogin Christine ins spanische Lager zu ziehen.
Viktor Amadeus war zudem unter seltsamen Umständen nach einem üppigen Mahl gestorben – auch sein Vertrauter, der Graf von Verruë, war Opfer dieser exzessiven Nahrungsaufnahme geworden, sodass der Verdacht der Vergiftung nahelag. Aber warum hätte die Herzogin ihren so überaus toleranten Gemahl beseitigen sollen, da er ihre libertäre Lebensart nicht im Geringsten behindert hatte? So drängte sich der Verdacht auf, dass Spanien im Hintergrund agiert habe, um seinen Einfluss in Savoyen zu vergrößern und das Land unter seine Kontrolle zu bringen. Zumindest war die französische Position in Savoyen nun mehrfach geschwächt, da auch Graf Philippe d’Aglié sich der dritten Gruppierung, den unabhängigen Piemontesern, verschrieben hatte, auf welche Seite er seine herzogliche Geliebte zu ziehen verstand.
Im Jahre 1639 kam es zum Eklat, als Graf Thomas sich an der Spitze spanischer Truppen zur Eroberung von Savoyen aufmachte und der Kardinal Moritz sich der Abwendung Savoyens von Frankreich nicht widersetzte. Graf Thomas konnte sich im Juli der Stadt Turin bemächtigen, allerdings nicht die Zitadelle der Stadt mit ihrer französischen Besatzung erobern. Nun geriet die Herzogin Christine mit ihrem zweitgeborenen, vier Jahre alten Sohn Karl Emanuel II. – der ältere Bruder war mit sechs Jahren gestorben – in höchste Bedrängnis und konnte, mit militärischer Bravour des Grafen d’Aglié die spanische Einkesselung durchbrechend, nach Grenoble fliehen. Dort geriet sie in heftigen Streit mit ihrem Bruder Ludwig XIII. und Richelieu. Leidenschaftlich verteidigte sie ihre Politik der Unabhängigkeit Savoyens, ganz im Sinne von Aglié. Vorsorglich hatte sie ihren kleinen Sohn in die Zitadelle von Montmélian in Sicherheit gebracht, denn Richelieu forderte, um ihre Hinwendung zu Frankreich zu sichern, ihren Sohn als Geisel.
Nun war es an Frankreich, Turin aus den Händen der Spanier zu befreien. Um die von Richelieu vorgegebenen Ziele zu erreichen, verließ Mazarin im September 1640 eilig Paris in Richtung Savoyen. Vor Ort gelang mithilfe des Grafen d’Harcourt die militärische Rückeroberung Turins, nicht jedoch die Festnahme des Prinzen Thomas, der sich in seine sichere Festung Ivrea zurückgezogen hatte. Außerdem war Mazarin beauftragt, die Herzogin Christine zurück nach Turin und in die Akzeptanz der Bewohner zu führen – auf die ängstliche Frage an Mazarin, ob es bei ihrem Einzug zu der gewünschten Akklamation kommen werde, antwortete er: „Ich bin da nicht sicher, Madame, aber wir müssen alles versuchen, damit es ihm (dem Volk) gefällt, in Beifallsstürme auszubrechen.“9 Die gewagte Aktion gelang. Ein weiterer Auftrag verpflichtete Mazarin schließlich, den Grafen d’Aglié gefangen zu setzen, was mithilfe eines französischen Obersten vollbracht wurde, der den Geliebten der Herzogin bei einer alkoholreichen Silvesterfeier in Gewahrsam nahm. Es folgte sein Transport über Pinerolo nach Frankreich und dort in das Staatsgefängnis von Vincennes.
Schließlich war Mazarin die undankbare Aufgabe zugefallen, der Herzogin die Nachricht von der Gefangennahme ihres Geliebten zu übermitteln. Die dabei freigesetzten Gefühlseruptionen der Herzogin erreichten ein selten hohes Ausmaß, das Mazarin beeindruckte – darüber schrieb er dem französischen Außenminister Chavigny: „Wenn Sie gesehen hätten, wie zusammengebrochen Madame war und wie ihre Gesichtsfarbe wechselte, hätte sie auch Ihr Mitgefühlt erregt. Sie konnte nicht einmal das Bett verlassen, und welche Anstrengung sie auch immer machte, sie konnte nicht verhindern, immerfort zu weinen.“10 Freilich konnte aller Schmerz über den Verlust des Geliebten sie nicht hindern, in Jahresfrist einen neuen, jüngeren Aspiranten mit Namen Graf Tanna, der gerade die Kadettenanstalt verlassen hatte, zu erhören. Graf d’Aglié durfte erst beim Tod Richelieus das Gefängnis in Vincennes verlassen, wurde aber dort mit erlesener Verköstigung versorgt und mit exquisiter Höflichkeit traktiert.
Nur langsam und auf Umwegen gelang es Mazarin, das familiäre Chaos in Turin in eine neue politische Ordnung zu verwandeln, immer daran orientiert, dass das Herzogtum in eine solide Allianz mit Frankreich zurückfinden musste. Nicht zuletzt die beiden Brüder des verstorbenen Viktor Amadeus, die sich erhofft hatten, in dem politischen Vakuum, das mit dem Tod des Herzogs entstanden war, eine führende Rolle zu spielen, waren zu neutralisieren und möglichst in französische Abhängigkeit zu bringen. Der Kardinal Moritz hatte, um zu weltlicher Macht gelangen zu können, den Purpur abgelegt und seine Nichte, deren Alter von dreizehn Jahren von dem seinen um nicht weniger als 36 Jahre übertroffen wurde, geheiratet, doch begnügte er sich schließlich mit einer bescheidenen Rolle neben der Herzogin. Dagegen konnte Mazarin sich des Prinzen Thomas, der in der Festung Ivrea den französischen Belagerern hartnäckigen Widerstand leistete, nicht bemächtigen – sogar eine Niederlage musste er hinnehmen, als die spanischen Entsatztruppen sich näherten und die Belagerung von Ivrea aufgegeben werden musste. Allerdings verstand es Mazarin später mit diplomatischem Geschick, ihn aus den militärischen Diensten Spaniens in die Frankreichs zu ziehen – die Gefahr, er könne erneut eine spanienfreundliche Rolle in Savoyen spielen, war gebannt.
Parallel zu dieser diplomatischen Friedensmission in Savoyen war Mazarin, der sich stets als Römer verstand, bemüht, sich in Rom eine abgesicherte Position zu schaffen – dafür empfahl sich der Erwerb eines prächtigen Palazzo, der gleichermaßen den Papst Urban VIII. beeindrucken wie auch ihm als sichere Rückzugsbasis dienen sollte, falls sein Höhenflug in Frankreich zu einem krassen Absturz führen würde. Es galt zudem, seiner Familie, die immer personenreicher wurde, einen noblen Wohnsitz zu verschaffen, auch wenn sein Wunsch, die Familienmitglieder dort harmonisch zu versammeln, nicht in Erfüllung ging. Denn die Mutter Hortensia sah ihre Ehe mit Mazarins Vater als emotional gescheitert an – sie bevorzugte, zu ihrer Tochter Hieronima zu ziehen, die 1634 Lorenzo Mancini geheiratet hatte und ihm in enger Jahresabfolge neun Kinder gebar. Besonders diese Mancini-Nichten sollten Mazarin schon bald in Paris eine breitere Basis seiner Macht verschaffen wie ihm auch intrigenreichen Ärger bereiten.
Schließlich zogen nur sein Vater und sein Sekretär Benedetti in den Palazzo Bentivoglio ein, nachdem der Vertrag über den Prestigebau im März 1641 geschlossen worden war – stellvertretend für ihn organisierte sein Schwager Hieronimo Martinozzi, der seine Schwester Laura Margareta geheiratet hatte, die Transaktion, die Aufsehen erregte. Er erlag, indem er sich hoch verschuldete, gleichsam wieder seiner Leidenschaft für das Glücksspiel, das ihm bei kleinem Einsatz großes Prestige verschaffen sollte:
„Ich betrachte es selbst als eine phantastische Extravaganz, dass ich den Palast der Bentivoglio kaufe. Aber da ich einem großen König diene und mich der Protektion Seiner Exzellenz des Kardinal-Herzogs erfreue, glaube ich, nicht die üblichen Dinge machen zu müssen. Fügen Sie zu dieser Überlegung noch das verrückte Verlangen hinzu, das ich stets besaß, vor meinem Tode ein schönes Palais wie das der Bentivoglio zu besitzen.“11
Natürlich wusste er, dass dieser kostspielige Prachtbau ein optimistischer Vorgriff auf die Kardinalswürde war, die er seit Längerem anstrebte und anzustreben berechtigt war, da seine Kandidatur von Ludwig XIII. und Richelieu unterstützt, ja sogar von beiden mit Nachdruck gefordert wurde. Doch Papst Urban VIII. zögerte, zumal er von Spanien und Frankreich gleichermaßen bedrängt wurde und den spanischen Kandidaten zu akzeptieren nicht bereit war. Seinerseits war der spanische König Philipp IV. nicht bereit, seinen Kandidaten zurückzuziehen oder auszutauschen, womit auch die Kandidatur Mazarins blockiert war. Es fehlte nicht an diplomatischen Täuschungs manövern auf beiden Seiten, bis Urban VIII. nach einer längeren Pause des Schweigens sich zu einem Überraschungscoup entschloss, um die Souveränität seiner Entscheidung zu demonstrieren. Ohne Vorankündigung ernannte er am 16. Dezember 1641 auf einen Schlag nicht weniger als zwölf neue Kardinäle, auch um das wegen Todesfällen sich entleerende Kardinalskollegium aufzufüllen. Maza rin war unter den Ernannten, und der französische Botschafter am Vatikan konnte dem Ersten Minister Frankreichs, der seinen Wunsch kandidaten durchgesetzt hatte, mit ironischer Hochachtung melden: „Sie haben ihn (Mazarin) mehr zum Kardinal gemacht als der Papst selbst.“12
Das Ritual der Kurie verlangte diverse obligatorische Usancen, aber Mazarin entzog sich ihnen fast vollständig. Zwar wurde das Kardinalsbarett, dessen rote Farbe an das Blut von Christus erinnern sollte, mit großem Pomp an Ludwig XIII. gesandt, der es Mazarin am 26. Februar 1642 in Valence aufs Haupt setzte – der König reiste mit seinem Ersten Minister an der Spitze seines Heeres ins Roussillon. Es geschah allerdings nur per Prokuration, denn der vollwertige Akt blieb dem Papst vorbehalten. Auch schloss die Kardinalsernennung ein, in Jahresfrist nach Rom zu reisen und dort vom Papst direkt Hut und Ring in Empfang zu nehmen. Doch dafür fehlte angesichts der hochdramatischen Ereignisse um den Geheimvertrag mit Spanien, den die Gegner des Kardinals geschlossen hatten, die Zeit. Die dafür notwendige Zeit fand sich nie, und so blieben die Finger des Kardinals Mazarin auch auf dem berühmten Gemälde von François Chauveau aus dem Jahr 1659 ohne Kardinalsring – und darüber hinaus bis zu seinem Tod.