Читать книгу Der Dolch in unseren Herzen - Valerie Parker - Страница 5
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ОглавлениеZufrieden schließt Vivienne ihren Laptop und reibt sich die Augen. Noch ist es hell draußen, und die Frühlingssonne scheint durch die grauen Lamellen vor ihrem Fenster. Das gibt ihrem Büro, das mit hellen Möbeln ausgestattet ist, einen gemütlichen Touch.
Sie ist in einem entscheidenden Fall weitergekommen, was ihre Freude für den heutigen Abend noch mehr steigert. Sie ist Anwältin für Familienrecht. Ihre eigene Familie ist ihr sehr wichtig, und es gibt nichts Schöneres, als auch anderen zu helfen, wieder glücklich zu werden. Armin hatte sich für Strafrecht entschieden und ihr heute eine Nachricht geschrieben, dass er einen bedeutsamen Fall gewonnen habe, für den er sich schon seit Monaten den Arsch aufgerissen hatte. Und das wäre noch ein Grund mehr, um zu feiern, da kann sie ihm nur zustimmen.
Mit einem fetten Grinsen im Gesicht packt sie ihren Laptop in die Aktentasche und verlässt das Büro eine Stunde früher als sonst. In ihrer Etage ist es schon ruhig, da freitags die Kanzlei eher schließt. Trotzdem ist sie wie immer die Letzte, der Fall hat sie nicht losgelassen. Sorgen macht sie sich keine, dass jemand böse auf sie sein könnte, alle wissen, wie zielstrebig sie ist, und sich gern mal in einem Fall verliert. So wie heute, wo eigentlich alle auf sie warten. Ein bisschen ärgert sie sich darüber, wieder die Zeit vergessen zu haben, aber es läuft ja nicht weg.
Selbst ihr Vater, dem die Kanzlei gehört, ist schon gegangen. Wahrscheinlich, um sich vorzubereiten. Armin und Vivis Eltern, Geschwister und Freunde sind am Abend zum Essen eingeladen, denn sie haben etwas zu verkünden, was alle sehr freuen wird.
Mit dem Fahrstuhl fährt sie in die Tiefgarage und denkt darüber nach, was sie für ein Glück hat, Armin während des Studiums kennengelernt zu haben. Er ist ein genauso ehrgeiziger Streber wie sie, weswegen sie auf Anhieb harmoniert haben. Aber nicht nur seine Intelligenz zog sie an. Früher sowie heute ist er ein richtiger Hingucker. Vivienne muss lächeln, denn eigentlich musste sie zu ihm aufschauen …
Völlig gedankenverloren war Vivienne zu ihrer nächsten Vorlesung gegangen und sah im Gehen schon mal ihre Notizen durch, die sie sich beim letzten Mal gemacht hatte. Was eigentlich völlig unnötig war, weil sie alles im Kopf hatte.
Plötzlich lief sie gegen eine Mauer aus Muskeln und prallte zurück. Ihre Unterlagen wären ihr beinahe aus der Hand gefallen. Sie blickte auf und wäre fast noch ein Stück weiter zurückgetaumelt, denn sie blickte in die schönsten Augen, die sie je gesehen hatte. So ein helles Braun war ihr noch nie untergekommen. Das Erste, woran sie dachte, war ein Milchkaffee, dazu diese hellen braunen Haare, die er kurz geschnitten trug. Sie ließ ihren Blick über sein Gesicht wandern, um festzustellen, dass es wunderschön aussah. Obwohl sie ihm natürlich schon öfter über den Weg gelaufen war in Vorlesungen oder auf Partys, hatte sie ihm keine große Beachtung geschenkt, und so nahe war sie ihm da auch nie gewesen.
Der Männerwelt schenkte sie nie große Beachtung, da sie meinte, dafür keine Zeit zu haben. Sie hatte grundsätzlich nichts für die meist faulen Mitstudenten übrig.
Zu diesem Zeitpunkt musste sie jedoch feststellen, wie makellos sein Gesicht war. Ein kantiges Kinn, eine längliche, aber gerade Nase, und seine Augen waren umringt von dichten Wimpern, die die gleiche Farbe wie seine Haare hatten. Dazu seine muskulöse Statur, die er in einem engen schwarzen Shirt und eine enge Jeans verpackte, was ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen ließ. Das hatte schon lange kein Mann mehr geschafft.
Unerklärlicherweise begann ihr Herz schneller zu schlagen, und sie tippte von einem Fuß auf den anderen. Ob es daran lag, dass er sie so intensiv musterte, ohne etwas zu sagen? So was mochte sie ja gar nicht leiden. Aber ihr hatte es die Sprache verschlagen, was selten bis gar nicht vorkam. Ein wohliger Schauer war ihr über den Rücken gelaufen, weil sie sich so intensiv in die Augen schauten.
Ihr wurde es zu blöd, nichts zu sagen, deswegen entschlüpfte ihr ein dämliches: „Ähm …“
Das schien ihn aus seiner Starre herauszuholen. Er blinzelte ein paar Mal, und ein unglaubliches Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Vivienne krallte die Hände in ihre Unterlagen, aus Angst, er könnte sehen, dass sie auf einmal ganz zittrig wurden.
„Vivienne, richtig?“
Wie eine Bescheuerte nickte sie, denn diese männlich klingende Stimme hinterließ eine Gänsehaut auf ihrem Körper.
„Sorry, ich wollte dich nicht über den Haufen rennen. Ist alles in Ordnung?“
„Ja, na klar, alles gut, nichts passiert. Ich muss dann mal los.“ Schnell hatte sie Armin umrundet und hätte sich über ihr Geplapper die Hand gegen die Stirn knallen können. Er dachte bestimmt, sie hätte nicht mehr alle an der Pfanne.
Zu ihrem Erstaunen war er nicht stehen geblieben, sondern lief neben ihr her. Ihr Herz nahm wieder einen unkontrollierten Rhythmus auf.
„Ich bin übrigens Armin. Ich glaube, wir besuchen jetzt den gleichen Kurs, kann das sein?“
Vivienne schaute zu ihm hoch und erntete wieder dieses strahlende Lächeln. Sie konnte sich nicht zurückhalten und musste ebenfalls lächeln. „Ja, das kann sein. Ich meine, dich schon in diesem gesehen zu haben, auch wenn das nicht besonders oft war.“
Das stimmte, und es hatte sie erstaunt, wie man so oft fehlen konnte, obwohl das Semester noch gar nicht lang lief. Rasch schob sie Armin in die Schublade des faulen Studenten, die nur studierten, weil sie nicht wussten, was sie sonst mit ihrem Leben anfangen sollten.
Armin räusperte sich. „Da hast du mich wohl erwischt.“ Er fuhr sich durch seine wunderschönen Haare und lächelte verschmitzt. Das sah so süß aus, dass Vivienne am liebsten gar nicht mehr weggeschaut hätte. „Ähm, ja, das Lernen fällt mir nicht besonders schwer, und meistens langweile ich mich in den Vorlesungen. Und das soll jetzt bestimmt nicht überheblich klingen.“
Interessiert schaute sie Armin an.
„Die Unterlagen kopiere ich mir von meinem Kumpel Stefan, der jedoch mit einer Grippe flachliegt. Deswegen musste ich heute auflaufen.“
Sofort war sie noch faszinierter von ihm. Er war also auch ein kleiner Streber, der nicht so aussah. Fast augenblicklich war ihr Interesse geweckt. Wann fand man schon mal einen Typen, der gut aussah und dann noch ein schlaues Kerlchen war? Als sie ihn auf den Partys gesehen hatte, wirkte er überhaupt nicht intelligent. Er benahm sich genauso bescheuert wie die anderen männlichen Studenten. Er trank wie ein Loch und machte genauso diese beknackten Saufspielchen mit. Von den Frauen, die er anmachte, ganz zu schweigen. Eigentlich war Vivienne nicht besser, trank auch gern einen über den Durst, nur stand sie nicht darauf, sich irgendwelchen Typen an den Hals zu werfen. Vor allem denen nicht, die nicht ihrem Intellekt entsprachen. Klang eingebildet, war aber so. Sie konnte die Typen einfach nicht ausstehen, die sich durch Schönheit und Muskeln gebärdeten und dazu dummes Zeug quatschen. Über Armin dachte sie tatsächlich genauso, da er sich auch immer bescheuert benahm. Deswegen hatte sie ihm keine besondere Beachtung geschenkt. Ihre Freundinnen Lea und Sarah hatten ihr immer einen Vogel gezeigt, gesagt, dass sie ihr Studentenleben genießen solle, was sie durchaus tat, allerdings hatte sie kein Interesse daran, diese „dummen Kerle“ zu vögeln. Aber auf Partys gehen und etwas trinken, sich zu betrinken, dazu war sie sich nie zu schade. Als Ausgleich zum Studium, was für sie nie besonders anstrengend war, genau das Richtige.
Zusammen betraten Armin und sie den Vorleseraum, und zu ihrem Erstaunen setzte er sich nicht in die hinterste Reihe, sondern mit ihr zusammen in die fast vordere. Ihre Freundinnen waren nicht anwesend, da sie es auf der gestrigen Party mal wieder übertreiben mussten. Vivienne ließ sich überreden, auf jeden Fall in die heutige Vorlesung zu gehen.
Über die ganze Stunde war sie sich über Armins Nähe nur allzu sehr bewusst gewesen. Die Wärme, die er ausstrahlte, und sein natürlich frischer Geruch. Zudem hatte er sie immer ganz zufällig mit seinem Oberarm gestreift, was ihr wohlige Schauer über den Rücken jagen ließ. Verwirrt von ihrer körperlichen Reaktion, versuchte sie, sich ganz darauf zu konzentrieren, was der Dozent zu berichten wusste. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie, wie Armin sauber und ordentlich seine Notizen machte.
Nach der Vorlesung begaben sie sich zusammen zum Ausgang, und Vivienne entgingen die giftigen Blicke der anderen Mädchen nicht. Verständlich, denn Armin war schon eine Augenweide. Bis zur nächsten Vorlesung war noch eine Stunde Zeit, die sie mit einem Kaffee bei dem schönen Wetter unter einem Baum verbringen und ein bisschen auf ihrem E-Reader lesen wollte.
„Und, wie vertreibst du dir jetzt die Zeit bis zur nächsten Vorlesung?“ Armins warme Stimme holte sie aus ihren Gedanken.
„Ich wollte mit einem Kaffee ein wenig an die frische Luft.“
„Gute Idee. Was hältst du davon, wenn ich den Kaffee besorge und wir uns draußen treffen?“, fragte er freudestrahlend und sah sie an.
Überrumpelt von seiner Idee konnte sie nur nicken und beobachten, wie er sich von ihr entfernte und Richtung Cafeteria ging.
Sie suchte ein nettes Plätzchen unter einem Baum, und es dauerte nicht lange, bis Armin mit zwei dampfenden Bechern zurückkam. Er setzte sich neben sie, sodass sich ihre Körper berührten und es verdächtig an den Stellen bei ihr kribbelte. Es dauerte nicht lange, und sie kamen ins Gespräch, unterhielten sich über das Studium, die Partys und generell über ihr Leben. Was sie gern machten und mochten, über ihre Hobbys halt. Natürlich reichte die Zeit bis zum Anfang des nächsten Kurses nicht aus. Vivienne fand das schade, weil es sehr angenehm war, mit Armin zu reden. Deshalb übernahm sie die Initiative und fragte ihn, ob er Lust hätte, mit ihr abends was trinken zu gehen. Zu ihrer großen Freude sagte er direkt zu.
Als Vivienne in ihre Straße einbiegt und auf das Haus zufährt, in dem sie mit Armin wohnt, durchfährt sie ein warmes Gefühl. Lange haben sie nach einer passenden Wohnung oder einem Haus gesucht. In der Zwischenzeit wohnten sie noch in ihrer Wohnung, die sie sich zusammen noch während des Studiums genommen hatten. Bis sie vor zwei Jahren die Dachgeschosswohnung in einem umgebauten Lagerhaus fanden, mit einer dreißig Quadratmeter großen Dachterrasse, was den Ausschlag gab, sich sofort in die Wohnung zu verlieben. Die fünf Zimmer, zwei Bäder und ein Gäste-WC konnten sie sich so einrichten, wie sie es sich immer vorgestellt hatten.
Heute wollen sie den nächsten Schritt in ihrem Leben bekannt geben. Vivienne möchte endlich vom Partyleben Abschied nehmen, denn das zelebrieren sie neben dem vielen Arbeiten immer noch sehr oft. Ganz an den Nagel hängen will sie es nicht, und sie hat auch immer noch Spaß daran, aber sie möchte endlich eine Familie gründen und Kinder haben. Das Partyleben zurückstellen. Sie sind beide dreißig Jahre alt, und Vivienne findet, dass es das perfekte Alter ist. Armin ist jedoch der Meinung, sie könnten noch ein wenig warten, so fünf Jahre, aber damit ist Vivienne nicht einverstanden. Sie haben deswegen oft gestritten.
Vorgestern hat Armin ihr dann beim Abendessen einen Heiratsantrag gemacht. Total überrascht, überwältigt und mit Tränen in den Augen, sagte sie Ja. Aus diesem Grund haben sie die Familie und engste Freunde eingeladen, um ihnen beim Abendessen mitzuteilen, was sie vorhaben.
Während sie in die Tiefgarage fährt, streicht sie liebevoll mit dem Daumen über den schlichten Verlobungsring, der mit einem kleinen Brillanten verziert ist. Sie mag es schlicht, und so hat es Armin auch gehalten.
Freudig parkt sie ihren Wagen, nimmt ihre Sachen und steigt aus. Schnellen Ganges geht sie zum Fahrstuhl. Wahrscheinlich sind schon alle Gäste eingetroffen. Ihre Eltern, Armins Eltern, ihre zwei Schwestern und ihr Bruder. Armin hat ebenfalls einen Bruder. Dazu hat sie noch ihre zwei besten Freundinnen Lea und Sarah eingeladen und Armin seinen besten Kumpel Stefan. Klingt ziemlich voll, aber ihr Wohnzimmer misst fünfzig Quadratmeter, und sie haben einen Esstisch darin stehen, der so groß ist wie ein Konferenztisch für zwanzig Personen. Sie haben extra einen solchen gewählt, weil sie gern Leute einladen und Partys feiern.
Mit einem Pling öffnen sich die Fahrstuhltüren, und Vivienne steigt ein, drückt den Knopf für die achte Etage und beäugt sich im Spiegel der Kabine. Ihre langen schwarzen Haare umrahmen ihr Gesicht, was ihre grauen Augen zum Strahlen bringt. Die Haare hat sie heute offen gelassen, sodass sie ihr glatt über den Rücken und Schultern fallen. Sie pustet sich ihren Pony nach oben, schüttelt ihre gestuften Haare noch einmal aus und betrachtet ihr Gesicht, ob ihre Schminke nicht verschmiert ist. Aber alles ist noch in Ordnung. Keine verschmierte Wimperntusche, und den Lidschatten sieht man auch noch genug. Lippenstift trägt sie selten. Ihr dunkelgrauer Anzug, der über ihrer zierlichen Figur steckt, sieht auch noch ganz passabel aus.
Als sich die Fahrstuhltüren öffnen, hüpft sie fast zu ihrer Wohnungstür, so sehr freut sie sich. Vor allem hat sie tierischen Hunger. Armin wollte Chili machen, kochen tut er gern und auch ziemlich gut.
Sie steckt den Schlüssel ins Schloss und öffnet die Tür. Lautes Stimmengewirr kommt ihr entgegen, was nicht nur nach den Leuten, die sie eingeladen haben, klingt, sondern nach viel mehr. Es riecht auch nicht nach Chili, sondern Pizza.
Vivienne stellt ihre Aktentasche neben der Garderobe ab, geht über den hellen Parkettboden an den vielen weißen Türen vorbei und bleibt wie angewurzelt im Durchgang zum Wohnzimmer stehen. Der Raum ist nicht nur von Familienmitgliedern und Freunden befüllt, sondern auch die halbe Belegschaft von Armins Kanzlei ist anwesend.
Eine unerwartete spontane Party. Wunderbar!
Und das an diesem bedeutungsvollen Tag. Das meinte Armin also damit, dass es noch einen Grund zum Feiern gibt. Vor Wut beginnt sie zu kochen.
Links in der Ecke, wo ihre riesengroße braune Sofalandschaft steht, hat sich ihre Familie versammelt. Rechts, wo der große braune Esstisch steht, stehen die Kollegen von Armin. Aber nicht nur am Tisch, sondern sie lehnen auch am Tresen, der das Wohnzimmer von der Küche trennt.
Natürlich haben sich ihr Bruder Julian und ihre zwei Freundinnen daruntergemischt. Alle lachen ausgelassen, haben schon ein Bier oder Whiskey in der Hand. Armin kann sie nicht entdecken, er ist wahrscheinlich in der um die Ecke liegenden Küche. Auf dem Esszimmertisch türmen sich Pizzakartons, was dann wohl auch den Geruch erklärt.
Bisher hat sie noch keiner bemerkt, und sie verschränkt die Arme unter der Brust. Ihr Blick fällt auf den Couchtisch, auf dem ein Sektkühler mit einer teuren Champagnerflasche steht. Diese hatte sie gestern zum Anstoßen extra noch besorgt.
Jetzt haben jeweils ihre Mutter, Armins Mutter und ihre Schwestern eine Flöte in der Hand. Ihr Vater und Schwiegervater in spe jeweils einen Whiskey. Marie, Julians Frau, kann sie nicht entdecken. Auch nicht Armins Bruder Max, der überhaupt nicht auf Partys steht. Ihn hat er wohl erst gar nicht eingeladen, oder wieder ausgeladen.
In ihrem Magen fängt es vor Verärgerung mächtig an zu brodeln. So hatte sie sich den Abend ganz sicher nicht vorgestellt. Ganz entspannt wollte sie mit ihren Familienmitgliedern und Freunden mit dem Champagner auf ihre Verlobung anstoßen. Was hat sich Armin nur dabei gedacht? Sicher er hat einen wichtigen Fall gewonnen, der der Kanzlei seines Vaters einen enormen Aufschwung gibt, aber musste er gleich eine Riesenparty veranstalten? An diesem wichtigen Tag?
Vivienne beißt die Zähne aufeinander. Die Verlobung bekannt zu geben, danach ist ihr überhaupt nicht mehr. Und wie soll sie der Familie erklären, dass sie heute aufkreuzen sollten? Da immer noch keiner von ihr Notiz nimmt, stülpt sie ihren Verlobungsring von ihrem Finger und steckt ihn in ihre Hosentasche. Die Blöße muss sie sich jetzt nicht geben, und die Freude darüber würde eh untergehen, da zumindest seine Kollegen nicht mehr ganz nüchtern aussehen. Sie ist froh, dass sie allen erst heute Bescheid gegeben hat, so nehmen alle an, dass sie hier sind, um den Erfolg ihres Verlobten, haha, zu feiern.
Seufzend betritt sie den Raum und geht zu ihren Eltern, die sich angeregt mit Armins unterhalten. Beide Männer tragen Anzüge, für ihr Alter von Ende fünfzig und Anfang sechzig sind sie noch sehr attraktiv, obwohl sich in den Haaren schon etliche graue Strähnen befinden. Ihr Vater hat braune Haare, ihre schwarzen hat sie von ihrer Mutter geerbt, genauso wie ihre Geschwister. Auch die zierliche Figur haben sie von ihr übernommen.
Graue Haare sieht man bei ihrer Mutter noch nicht, da sie ihren Bobschnitt immer schwarz färbt. Sie trägt eine Chinohose und eine geblümte weiße Bluse. Auch sie ist noch sehr attraktiv für ihr Alter. Seit sie das erst mal schwanger geworden ist, ist sie nicht mehr arbeiten gewesen. Sie hat zwar selbst Jura studiert, das Studium aber abgebrochen. Als ihre Geschwister und sie älter wurden, hat sie sich um gemeinnützige Vereine gekümmert. Vivienne kann sich wirklich nicht beklagen, sie ist wohlbehütet und geborgen aufgewachsen.
Armins Mutter hat ebenfalls keine grauen Haare, sie färbt ihre natürlichen Locken blond. Sie ist im Gegensatz zu ihrer Mutter ein bisschen rundlicher, was ihr aber gut steht und sie hinter einem schwarzen eleganten Kleid verbirgt. Sie hat noch nie was mit Jura am Hut gehabt, sondern betreibt einen Friseursalon, der sehr angesehen ist, sie kann sich über Kundschaft nicht beklagen.
„Guten Abend zusammen.“ Viviennes Stimme klingt wie immer ruhig und gelassen, auch wenn sie sich im Moment nicht so fühlt.
„Schatz, da bist du ja endlich.“ Ihre Mutter kommt auf sie zu, um sie zu umarmen und sie auf die Wange zu küssen. „Ist es nicht toll, was Armin geschafft hat? Wir sind alle so stolz auf ihn.“
Es war ja nicht anders zu erwarten, dass jetzt alle denken, deswegen hier zu sein. Na ja, was soll’s, lässt sie diesen Abend halt über sich ergehen, denkt sich Vivienne genervt.
„Hallo Mama. Ja, ich freue mich sehr.“ Sie drückt sich ein gezwungenes Lächeln auf die Lippen, was ihre Mutter mit einer hochgezogenen Augenbraue quittiert. Ihrer Mutter konnte sie noch nie etwas vormachen.
Da sie jetzt keine Lust hat, Erklärungen abzugeben und es im Moment auch ungünstig wäre, weicht sie ihrer Mutter aus, um ihren Vater auf die Wange zu küssen. „Hallo Papa.“
Er nimmt sie kurz in den Arm, und Vivienne genießt den typischen Duft seines Aftershaves, das er schon immer benutzt und sie ein wenig tröstet.
„Hallo Liebes, ich bin sehr stolz auf deinen Freund. Besser geht es nicht. Ein wundervoller Grund, ein bisschen zu feiern.“
Ach ja … Auch ihn lächelt sie gezwungen an. Gleich danach reicht sie Armins Eltern die Hand, um sie zu schütteln. „Verena, Günter, schön, dass ihr hier seid.“
Verena lächelt sie strahlend an, sichtlich stolz auf ihren Sohn, wobei Günter nur ein kühles Nicken übrig hat. Dieser hatte es noch nie drauf, seine Gefühle zu zeigen, und ist mehr ein herrischer Typ.
„Das lassen wir uns doch nicht entgehen, auch wenn wir jetzt gehen und das Feiern lieber der jungen Generation überlassen. Wir haben nur noch auf dich gewartet“. Verena lächelt sie freundlich an.
„Okay, das verstehe ich. Wenn Armin gleich die Musik aufdreht, kann man sich eh nicht mehr unterhalten, ihr kennt ihn ja.“ Vivienne lächelt entschuldigend in die Runde. „Wo ist er überhaupt?“
„Er wollte noch was zu trinken holen. Er meinte, auf die spontane Party nicht vorbereitet gewesen zu sein. Stefan hat er mitgenommen.“ Prüfend schaut ihre Mutter ihr in die Augen.
Vivi schaut weg, mag sich jetzt nicht mit ihrer Mutter auseinandersetzen.
Ah ja, was für ein Blödsinn. Ihre Kammer ist für solche spontanen Anlässe immer gefüllt, das können die anderen ja nicht wissen. Jetzt wird Armin richtig auf die Pauke hauen und feiern, wobei ihm ein weißes Pulver sicherlich behilflich sein soll. Unter normalen Umständen würde sie es ihm auch von Herzen gönnen. Würde sich nicht scheuen, bis zum Abwinken mitzumachen. Zwischendurch, seit sie das erste Mal während des Studiums mit Kokain in Kontakt gekommen sind, gönnen sie sich mal was. Aber heute ist ihr nicht danach. Sie ist froh, dass ihre Eltern jetzt gehen.
„Wir werden uns dann anschließen. Hätte ich gewusst, dass es um so eine Feier geht, wäre ich nicht gekommen. Nicht falsch verstehen, Schwesterchen, ich gönne es deinem Macker, aber meine Welt ist das hier nicht, das weißt du ja. Ich hatte irgendwie was anderes erwartet, als ich deine Nachricht gelesen habe.“
Vivienne dreht sich zu ihrer jüngsten Schwester Amelia um und muss ihr recht geben. Man sieht ihr deutlich an, dass sie sich unter den ganzen Anwälten nicht wohlfühlt. Sie hat noch nie viel dafür übrig gehabt. Sie studiert Medizin und sieht auch aus wie eine Studentin. Ihre schulterlangen schwarzen Haare hat sie zu einem losen Pferdeschwanz zusammengefasst. Sie trägt einen weißen Longsleeve und schwarze zerrissene Jeans, dazu weiße Sneakers. Amelia ist noch kleiner und dünner als Vivienne, die mit ihren 1,65 Metern schon klein ist. Aber Vivi hat wenigstens eine sportliche Figur, wobei Amelia schon knochig wirkt. Aber ihre grauen Augen strahlen immer Lebensfreude aus, was bei ihr das einzig Attraktive ist, was sie ihr aber natürlich nie sagen würde.
„Nicht böse sein, Süße. Aber ich habe auch noch was anderen vor.“
Jetzt dreht sie sich zu Hannah um, ihrer zweitjüngsten Schwester. Sie studiert Design und fühlt sich zwischen Anzugträgern ebenfalls unwohl. Sie umarmt Hannah ebenfalls. „Kein Problem, aber schön, dass du trotzdem gekommen bist.“ Sie schaut ihre Schwester an. Ihre schwarzen Haare trägt sie kurz und stoppelig, was ihr bei dem hübschen Gesicht auch sehr gut steht. Hannah hat eine ähnliche Figur wie sie, schlank und sportlich. Sie trägt eine helle Jeans mit einem rot-schwarzen Karohemd darüber. Ihre Füße hat sie in schwarze Boots gesteckt.
Auch Hannah schaut sie an, als ob sie heute etwas anderes erwartet hat. Kein Wunder, denn wenn es nur um den gewonnenen Fall gegangen wäre, hätte sie ihre Schwestern nie eingeladen.
Unbehagen steigt in ihr auf, was ihre Mutter sofort bemerkt. Sie hatte schon immer ein gutes Gespür dafür, wie es ihren Töchtern geht. „Dann bring uns doch noch zur Tür, Liebes. Ich denke nicht, dass wir noch auf Armin warten müssen, oder?“ Sie blickt zu seinen Eltern, die bestätigend die Köpfe schütteln.
Ihre Mutter geht voraus, und Vivienne bildet das Schlusslicht. Gerade will sie ihrer Mutter die Haustür öffnen, als diese von außen geöffnet wird und Armin und Stefan eintreten, jeder mit einem Kasten Bier bepackt.
„Ach, mein Junge, dann können wir uns ja doch noch von dir verabschieden. Wir wollen das Feiern lieber euch jungen Leuten überlassen. Noch mal herzlichen Glückwunsch.“ Liebevoll umarmt Angelika Armin, und er erwidert diese Geste auf die gleiche Weise, wenn nicht sogar noch inniger. Woran Vivienne erkennt, dass er die eine oder andere Nase schon gezogen hat. Arschloch!
„Danke Mutter, und kommt gut nach Hause.“ Armin nickt seinem Vater und ihren Eltern zu und schenkt ihren Schwestern zum Abschied ein Zwinkern. „Kommt alle gut nach Hause. Ich gehe mich mal wieder um meine Gäste kümmern.“
Und schwups ist er auch schon weg. Als ob seine Verlobte Luft für ihn wäre. Für Vivi ist es nur ein Zeichen, dass er genau weiß, was er verbrochen hat.
Zum Abschied umarmt sie alle noch mal, außer Armins Vater, da er Körperkontakt meidet. Hannah flüstert ihr ins Ohr, dass sie sie morgen anruft.
Seufzend schließt sie die Tür. Selbst Stefan, Armins bester Freund, hat sich schon aus dem Staub gemacht.
Bevor sie sich wieder in die Höhle des Löwen begibt, muss sie zur Toilette. Wobei sie eigentlich keine Lust hat, noch mal ins Wohnzimmer zu gehen, um zumindest ihre Freundinnen und ihren Bruder zu begrüßen.