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Kapitel 3

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Zähne zusammenbeißend steht Ava am nächsten Morgen am Fluss und blickt knurrend auf das Wasser. Sie weiß, dass sie sich die Nippel abfrieren wird. Und sämtliche Hühneraugen, wenn sie welche hätte. Ihre Vagina würde sich wahrscheinlich wegen der Kälte vor Schreck soweit zusammenziehen, dass sie wieder Jungfrau ist, aber da muss sie jetzt durch.

»Du schaffst das schon. Es kann dich nur abhärten.«

Mit Gedanken an das wärmende Feuer von letzter Nacht, macht Ava die ersten Schritte in den Fluss. Das Feuer heizte schon nach kurzer Zeit das Zimmer so weit auf, dass Ava die Decke etwas zur Seite legte und irgendwann ganz ohne dalag. Es war so warm wie noch nie in ihrem Leben. Aber es war gut. Es half zu schlafen und dieses Bett zu vergessen, dass sie bei jeder kleinsten Bewegung daran erinnerte, quasi in einem Pferdstall zu schlafen.

Quiekend hüpft Ava in dem kalten Fluss umher und wäscht sich so schnell wie noch nie zuvor in ihrem Leben. Die Haare werden im rekordverdächtigen Tempo gewaschen. Anders geht es gar nicht, wenn sie lebend aus dem Fluss kriechen will.

***

In sich selbst verkrochen, bibbernd und zitternd dribbelt sie zur Hütte zurück. Sie sieht Miss Jercy auf der Veranda sitzen. Die Doktorin hält sich, wie gestern Abend, eine Tasse mit einem warmen Getränk vor das Gesicht und blinzelt irgendwie belustigt über den Dampf hinweg zu Ava.

»Guten Morgen«, brummt die jüngere Frau.

»Guten Morgen«, erwidert die Doktorin und schaut Ava mehr als eindeutig hinterher.

Als die Journalistin die Hütte betreten will, bleibt sie abrupt stehen. Sie geht zwei Schritte rückwärts und schaut auf den Tisch neben der Doktorin. Dort steht ein Fernglas.

Die wird doch nicht etwa … ?

Ava schaut aus ihrer Position in Richtung Fluss.

Scheiße! Die konnte mich genau sehen.

»Was denken Sie sich eigentlich? Haben Sie schon mal etwas von Privatsphäre gehört?«, flucht Ava wütend. Sie kann es nicht fassen. Da hat die Doktorin sie tatsächlich durch so ein beschissenes Fernglas im Fluss beobachtet. Dass sie natürlich splitterfasernackt in dem Gewässer stand, versucht sie zu verdrängen. Sie möchte der Doktorin im Augenblick lediglich den Hals umdrehen.

Was bildet die sich eigentlich ein?

Miss Jercy blickt zu Ava hoch. Sie lächelt.

»Ihre Privatsphäre haben Sie gestern verloren, als Sie mein Haus betraten«, kontert sie gelassen, greift nach einer Schachtel Zigaretten und zündet sich eine an.

»Was zum Teufel bilden Sie sich eigentlich ein? Wie reden Sie überhaupt mit mir?« Plötzlich hat Ava das Gefühl, dass die Welt stehenbleibt. Irgendwie herrscht mit einem Mal eine ungewöhnliche Stille. Nicht, dass diese sehr ungewöhnlich mitten im Nirgendwo wäre. Aber diese Art der Stille ist anders. Sehr viel anders.

Langsam dreht die Doktorin den Kopf. In Zeitlupe hebt sie diesen und schaut zu Ava hoch. Sie legt die Zigarette in den Aschenbecher und steht vom Stuhl auf.

Oh oh, habe ich da etwa einen wunden Punkt getroffen? Bekommst du etwa nicht so oft Konter?

»Ich, an Ihrer Stelle, würde mir ganz genau überlegen was Sie zu mir sagen. Ich bin Ihnen haushoch überlegen und kann Sie mit nur einem einzigen Satz vernichten.« Miss Jercys Blick liegt unnachgiebig auf Ava. Er ist ruhig, aber bestimmend. Beängstigend und mit einem Hauch Drohung.

Anstatt sich davon einschüchtern zu lassen, dreht sich Ava zu der Doktorin um. Sie stellt sich ihr gegenüber und presst den Kiefer zusammen.

Ich lasse mich von dir nicht fertigmachen. Da musst du schon früher aufstehen.

»Seit ich gestern hier angekommen bin, gehen Sie mich nur an. Ich weiß nicht was ich Ihnen getan habe, aber Ihr Verhalten ist kindisch. Sie sind eine erwachsene und gestandene Frau und gehen mit mir um, als wenn ich Ihnen die Suppe versalzen hätte. Ich will genauso wenig hier sein, wie Sie mich hierhaben wollen. Ich schlage vor, dass wir beide das Beste aus der Situation machen und irgendwie versuchen miteinander auszukommen. Denn je schneller und reibungsloser ich dieses Buch schreiben kann, umso schneller bin ich wieder aus Ihrem Leben verschwunden. Dann können Sie sich jemand anderen suchen, den Sie mit ihren Triaden terrorisieren können.«

Ausdrucklos schaut die Doktorin Ava an. Die junge Frau kann nichts aus ihrem Gesicht lesen. Es ist wie versteinert und wirkt tot. Kein Muskel bewegt sich, gar nichts.

In einer überraschend ruhigen Bewegung setzt sich Miss Jercy auf den Stuhl zurück, nimmt die Zigarette und zieht daran.

»Gehen Sie sich fertigmachen. Sie wollten einkaufen gehen.«

Damit ist das Thema also für dich abgeschlossen, oder wie? Fällt dir nichts mehr dazu ein? Tja, tschaka.

Mit erhobenem Haupt und einer ordentlichen Portion Mut, betritt Ava das Haus und steuert auf ihr Zimmer zu.

Auf halbem Weg hört die Doktorin ihre neue Mitbewohnerin plötzlich lauthals kreischen.

»Badezimmer? Sie haben ein Badezimmer? Sie haben ein beschissenes Badezimmer?« Nora lehnt sich zur Seite, blinzelt in das Haus und sieht Ava vor einer offenen Tür stehen. Die junge Frau krallt ihren Haufen Klamotten, Handtuch und Kulturbeutel vor die Brust und starrt fassungslos in ein Badezimmer, welches dem normalen Standard entspricht.

»Natürlich habe ich ein Badezimmer. Glauben Sie allen Ernstes, dass ich so blöd bin und in dem Fluss baden gehe?«

»Was?« Quietschend wirbelt Ava um die eigene Achse. Ihr brennender Blick durchbohrt die Doktorin, die sich an dem Anblick labt. Wie Ava kochend und pfeifend vor einem zivilisierten Badezimmer steht und nicht weiß wohin mit ihrer Wut.

»Aber Sie haben gestern doch … .« Nora steht vom Stuhl auf, betritt das Haus und steuert auf Ava zu.

»Ok, spulen wir auf Anfang zurück und starten von vorne.« Bewusst tritt die ältere Frau vor Ava. Die Journalistin pfeift noch immer wie eine Dampflok und kann nicht glauben, dass ihr die Doktorin das Badezimmer vorenthalten hat.

»Wir standen gestern hier und ich bin vor Ihnen gelaufen. Folgen Sie mir also.« Wie am Abend zuvor, geht Miss Jercy den Flur entlang und zeigt auf die Zimmertür zu ihrer rechten Seite.

»Ist das Ihr Zimmer? Nein!« Sie zeigt nach links.

»Ist das Ihr Zimmer? Nein!« Sie zeigt zum offenen Badezimmer.

»Ist das Ihr Zimmer? Nein!« Als sie Avas Zimmer betritt, hat die Journalistin den Hauch einer Ahnung worauf die Doktorin hinaus will.

»Ihr Zimmer.« Sie dreht sich zu Ava um und zeigt ein arrogantes Lächeln.

»Und Sie dachten, dass diese Zimmer für Sie tabu sind, nur weil ich Nein gesagt habe, nicht wahr?«

Geh aus meinem Kopf.

»Und wenn ich mich nicht irre, glauben Sie allen Ernstes, dass es im Haus keinen Strom und kein fließendes Wasser gibt, richtig?« Avas Zähne beginnen zu knirschen, als sie diese hart aufeinanderpresst.

Geh, verdammt nochmal, aus meinem Kopf.

»Als ich Ihnen sagte, dass es hier keinen Strom und kein fließendes Wasser gibt, stand ich in diesem Zimmer. Das heißt, dass es hier«, demonstrativ zeigt die Doktorin vor ihre Füße »kein Strom und kein fließendes Wasser gibt. Wenn Sie mir richtig zugehört hätten, wären Sie nicht so dumm gewesen, in den Fluss zu urinieren und dann auch noch dort drinnen zu baden. So viel also zu Ihrer gestrigen Aussage, dass Sie immer zuhören. Vielen Dank, dass Sie mir so reichlich Futter gegeben haben, um Sie verarschen zu können. Es war sehr amüsant. Das habe ich mal wieder gebraucht.«

Du Schnepfe! Du Miststück! Du Biest! Du Fotze! Du … du … du, ach, ich bringe dich um.

Lächelnd geht die Doktorin an Ava vorbei, hebt eine Hand und wedelt mit dem Zeigefinger.

»Oooh, umbringen können Sie mich nach dem einkaufen. Ich warte auf Sie.« Mit einem arroganten zwinkern lässt die Doktorin Ava stehen und verschwindet aus dem Zimmer.

Vor Wut, Enttäuschung und auch irgendwie Verzweiflung, steigen Ava Tränen in die Augen. Sie ist noch nie in ihrem Leben so beschämend behandelt worden – noch nie so verarscht worden. Wenn das die ganze Zeit so geht, wird sie das nicht überleben, das weiß sie. Egal wie sehr sie eine schützende Mauer um sich zieht, die Doktorin wird diese immer und immer wieder mit beängstigender Leichtigkeit einreißen und Ava piesacken. Sie wird sie fertigmachen und in jeder neuen Wunde herumstochern, bis Ava zusammenbricht.

»Bis dahin werde ich mich aber wehren.« Ava hebt den Kopf, streckt sich in ihrer Haltung und spricht sich selbst Mut zu. Sie wird das packen – irgendwie.

***

Auf dem Weg aus dem Haus, sieht sie die Doktorin auf der Veranda stehen. Rauchend. Diese blickt zu ihrer Mitbewohnerin zurück, drückt die Zigarette im Aschenbecher aus und folgt ihr mit einem Mal. Ava bleibt stehen und schaut sie fragend an.

»Wieso folgen Sie mir?«

»Sie wollen doch einkaufen, oder? Ich begleite Sie.«

»Wieso machen Sie das? Ich habe Sie nicht darum gebeten.«

»Kennen Sie sich hier aus? Wissen Sie wo Sie hinmüssen?« Ava verengt die Augen.

»Nein, aber mein Navi funktioniert einwandfrei.«

Eine glatte Lüge, aber das muss diese Ziege ja nicht wissen.

Beiläufig winkt Miss Jercy ab.

»Mit einem Navi lernen Sie aber nichts von mir. Schließlich wollen Sie ein Buch über mich schreiben.« Verdattert schaut Ava die Doktorin an.

Was hat das Einkaufen denn nun mit dem Buch zu tun?

Ohne so richtig auf eine Aufforderung oder Einladung zu warten, steigt Nora in Avas Wagen und setzt sich auf die Beifahrerseite. Verdattert bleibt Ava stehen und glaubt nicht so recht was sie da sieht. Die Doktorin verhält sich, als wenn sie Ava schon seit ewigen Zeiten kennen würde und somit alles nutzen kann, was der Journalistin gehört.

»Na kommen Sie, Hoke. Ich warte«, ruft Nora aus dem Wagen heraus und klopft auf den Fahrersitz.

Sagte sie gestern nicht irgendetwas von Respekt dem Eigentum anderer Menschen gegenüber?

»Sie müssten dann aber hinten sitzen, Miss Daisy«, kontert Ava und steigt ein. Sie wirft der Doktorin einen flüchtigen Blick aus dem Augenwinkel zu. Diese scheint die Aussage allerdings zu ignorieren. Es kommt keine Regung von ihr. Stattdessen blickt sie sich im Wagen um, als wenn sie noch nie in solch einer Blechbüchse gesessen hätte. Interessiert schaut sie sich um, bis Ava beginnt das Navi einzustellen.

»Lassen Sie das. Das brauchen Sie nicht«, wedelt Nora hektisch mit einer Hand herum und fuchtelt dann nach vorne.

»Na los, fahren Sie.«

***

Nach fast zwei Stunden Fahrt und exakten Angaben der Richtungen von Nora, parkt Ava den Wagen in Helena am Straßenrand. Selbstsicher steigt die Doktorin aus, obwohl Ava das nicht ganz versteht. Im ganzen Umkreis kann sie kein Lebensmittelgeschäft sehen, nichts. Tankstelle, Spirituosenladen, Elektrowaren und andere Geschäfte für das tägliche Leben, aber keine Lebensmittel.

Vielleicht fehlen der guten Frau ja doch einige Schrauben und ihr ist das bis heute nicht aufgefallen.

Kichernd steigt Ava aus und folgt der Doktorin. Diese steht an einer Bushaltestelle und schaut sich interessiert um.

Schweigend stellt sich Ava neben sie und jongliert noch ein klein wenig mit ihren Gedanken. Als ein Bus vorfährt, sich rauschend die Türen öffnen und die Doktorin einsteigt, klappt Avas Kinn herunter. Verwirrt schaut sie zwischen dem Bus und ihrem Wagen hin und her.

»Zweimal«, hört sie die Doktorin mit dem Busfahrer sprechen. Geld klimpert.

Sie bezahlt für mich? Wieso macht sie das? Und wieso sollen wir jetzt mit dem Bus fahren? Hallo?

»Na kommen Sie. Oder wollen Sie Wurzeln schlagen?« Ergeben verwirft Ava jeglichen weiteren Gedanken, steigt ein und folgt der Doktorin. Die Psychiaterin scheint sich mit der Wahl des Sitzplatzes unschlüssig zu sein. Sie schaut sich tatsächlich suchend um, bis sie ganz zum Ende geht und in der hintersten Reihe Platz nimmt.

»Kommen Sie her.« Wieder klopft die Doktorin auf die Sitzfläche neben sich. Ava kommt sich allmählich wie ein Kleinkind vor, folgt aber dennoch den Anweisungen. Was soll sie auch anderes machen?

Wieso ist sie eigentlich plötzlich so freundlich? Haben meine Worte von vorhin etwas bei ihr bewirkt?

Die Doktorin neigt sich leicht zu Ava hinüber. Skeptisch beobachtet die junge Frau dies.

»Was sehen Sie?«, flüstert Nora, als wenn es niemand anderes hören dürfte. Ava legt die Stirn in Falten, schaut kurz nach vorne durch den Bus und dann zu der Doktorin zurück.

»Nichts Ungewöhnliches. Wieso, was sollte ich denn sehen?« Prüfend betrachtet Nora Ava. Sie scheint in der jungen Frau etwas zu suchen.

»Ok, stehen Sie auf, gehen Sie nach vorne zum Anfang des Busses, kehren zu mir zurück und schauen sich währenddessen um. Laufen Sie aber nicht so schnell. Lassen Sie sich Zeit.« Verdattert schaut Ava die Doktorin an.

»Wieso soll ich das machen? Was bringt mir das?«

»Na los, machen Sie schon. Ich werde Sie dann schon noch aufklären. Los los.« Wieder wedelt die Doktorin mit einer Hand in der Luft herum.

Auch wenn Ava keineswegs weiß worauf das hinauslaufen soll, steht sie vom Platz auf und folgt den Anweisungen der Doktorin. Sie geht zum Anfang des Busses, dreht um, kehrt zurück und schaut sich währenddessen um.

»Und? Was haben Sie gesehen?«, flüstert die Doktorin, als sich Ava wieder neben Sie setzt. Die Journalistin blickt noch einmal durch den Bus und zieht die Schultern hoch.

»Nichts. Nichts was meine Aufmerksamkeit erregen könnte.« Ohne jegliche Regung betrachtet die Doktorin Ava und zeigt dann nach vorne.

»Nochmal.«

»Was? Wieso? Was soll das?«

»Na los, nochmal.« Noras Hand wedelt schon wieder in der Luft herum.

»Nein, die Leute halten mich doch für bescheuert, wenn ich grundlos Runden im Bus drehe und sie ganz nebenbei auch noch angaffe.« Interessiert schaut die Doktorin Ava an.

»Aha, es interessiert Sie also was die Menschen über Sie denken?« Mit hochgezogener Augenbraue nimmt Ava den Kopf zurück.

»Natürlich interessiert mich das.« Nora lehnt sich zu ihr hinüber. Prüfend betrachtet sie die jüngere Frau.

»Und weshalb interessiert es Sie was andere Menschen über Sie denken?« Als wenn sie die Frage nicht richtig verstehen würde, weil diese in ihren Augen völlig überflüssig ist, zieht Ava die Schultern erneut hoch.

»Weshalb sollte es mich auch nicht interessieren?« Nora lehnt sich in den Sitz zurück, verschränkt die Arme vor der Brust und setzt einen nachdenklichen Blick auf.

»Ok, ich verstehe. Es ist Ihnen also tatsächlich wichtig was die Menschen, die Ihnen völlig fremd sind, über Sie denken? Und wenn Sie wissen würden was sie denken, und Ihnen der ein oder andere Gedanke dieser Person nicht gefällt, würden Sie dann quasi Ihr Verhalten anpassen, um den Menschen zu gefallen?« Jetzt ist es Ava die nachdenklich schaut.

»So würde ich das jetzt nicht unbedingt ausdrücken.«

»Sondern?« Etwas verunsichert schaut Ava um sich. Sie fühlt sich im Augenblick unwohl und irgendwie eingekesselt.

Wieso stellt sie jetzt diese Fragen? Wird das irgendwie ein Psychospielchen von ihr, oder was?

»Weiß nicht, mir ist es einfach wichtig. Ja, irgendwie möchte ich den Menschen schon gefallen, aber deswegen würde ich mich nicht extra für sie verbiegen.« Kopfschüttelnd zeigt die Doktorin nach vorne.

»Na los, nochmal.« Schnaufend wirft Ava den Kopf in den Nacken. Sie versteht nicht was dieses Theater soll. Irgendwie hat sie das Gefühl, dass die Doktorin ihre kostbare Zeit raubt. Wenn sie aber genauer darüber nachdenkt, wüsste sie nicht was sie im Augenblick anderes mit ihrer Zeit anstellen sollte.

Somit steht sie also auf, geht wieder zum Anfang des Busses und wandert zurück. Schon nach wenigen Schritten winkt die Doktorin sie zu sich zurück.

Herrgott, was soll das denn jetzt? Ich kriege bei dieser Frau noch ein Schleudertrauma.

Bockig pfeffert sich Ava neben die Doktorin.

»Sie haben zugemacht, das bringt jetzt nichts mehr. Wir werden das jetzt so oft machen, bis ich von Ihnen das höre, was ich hören will.«

Was sie hören will, aha.

»Was? Wieso? Was meinen Sie mit zugemacht? Was soll das?« Nora tippt Ava gegen den Kopf, was die jüngere Frau im Augenblick recht beleidigend findet. Sie denkt kurz darüber nach, die Hand der Doktorin wegzuschlagen.

»Durch meine Aussage habe ich Sie verunsichert. Sie denken im Augenblick zu viel darüber nach, als dass Sie mit klaren Gedanken und einem guten Blick das im Bus sehen könnten, was ich von Ihnen erwarte. Wir werden das also wiederholen.« Ava schaut nach vorne. Sie sieht Menschen, die auf ihren Plätzen auf dem Weg zu ihrem Reiseziel sind und fragt sich, was die Doktorin darin sehen will. Es gibt nichts was es da zu sehen gibt. Weshalb also dieses Theater?

»Kann ich Sie etwas fragen?«

Oh Gott, das hast du jetzt nicht wirklich getan. Du fragst sie ernsthaft, ob du sie etwas fragen kannst?

»Natürlich«, lächelt die Doktorin selbstsicher.

Sie kann lächeln, wow, sie kann tatsächlich lächeln. Und dieses Lächeln scheint auch noch ehrlich gemeint zu sein.

»Was soll das? Ich meine, warum soll ich durch den Bus laufen und um mich schauen? Und wenn wir schon einmal beim Thema Bus sind«, Ava wirft ihre Hände in die Luft »weshalb sitzen wir hier drinnen? Ich habe einen Wagen mit dem wir weiterfahren hätten können. Warum sitzen wir hier also?« Als wenn sie die Aussagen bestätigen würde, nickt Nora.

»Ich habe Sie dazu aufgefordert durch den Bus zu laufen, weil ich möchte, dass Sie sehen. Und was die andere Frage angeht: Sie möchten doch das Buch über mich schreiben, richtig?« Etwas verunsichert nickt Ava. Ja, sonst wäre sie schließlich nicht hier. Sonst hätte sie nicht ihre schöne Wohnung zurückgelassen. Sonst hätte sie nicht ihre Freunde und Familie zurückgelassen.

»Sicherlich wäre es von Vorteil, wenn Sie wissen und verstehen was Sie da schreiben. Und das können Sie nur, wenn Sie einige Dinge am eigenen Leib erfahren und miterleben. Quasi ein Learning-by-doing. Was anderes ist das nicht.«

Aha. Ich verstehe die Frau nicht. Muss ich das denn?

***

Während Ava über die Worte der Doktorin nachdenkt, hebt diese einen Arm und streicht ihr in einer fast beunruhigend sanften Geste mit einem Mal ein paar Haare hinter das Ohr. Schon fast liebevoll lächelt sie die junge Frau an.

»Sie sind so blind und verwirrt, dass Sie mir schon fast leidtun«, haucht sie gefühlvoll.

Als Avas Gehirn ihr bewusst macht, was hier im Augenblick passiert, schreiben tausend Nadeln Ava eine Gänsehaut auf den Körper.

Dieses Miststück von Doktorin lächelt sanftmütig und berührt die Journalistin ebenso, so dass diese glatt vergessen könnte, was seit ihrer gestrigen Ankunft alles passiert ist. Sie sieht derzeit nur noch diese bernsteinfarbenen Augen der Doktorin, die sie charmant umschmeicheln. Auch die Form ihrer Lippen deuten ein Lächeln an.

Was war in der Zigarette drin? Meint die das wirklich ernst? Kann die gute Frau tatsächlich freundlich sein?

»Wir sind gleich da«, lenkt Nora Avas Aufmerksamkeit von sich ab und verlässt den Platz. Langsam wandert sie zur hinteren Bustür und drückt den Stop-Knopf. Sie schaut nicht zu Ava zurück und zitiert sie auch nicht zu sich. Stattdessen bewegt sie ihren Kopf in einer langsamen Geste, bis der Bus die Geschwindigkeit drosselt. Ein junger Mann steht von seinem Platz auf und stellt sich neben die Doktorin. Mehr als deutlich betrachtet Nora den guten Mann, blickt zu Ava zurück und ruft sie mit einer stummen Kopfbewegung zu sich.

Gehorsam wie sie manchmal sein kann, trottet Ava zur hinteren Tür. Verwundert beobachtet sie die Doktorin dabei, wie sie ihren Platz an der Tür verlässt und direkt hinter sie tritt. Jetzt fühlt sich Ava in ihrer Privatsphäre recht gestört. Ihr steht Nora einfach zu nahe.

»Wenn sich die Türen öffnen gehen Sie einfach. Egal was passiert, gehen Sie einfach geradeaus.« Flüsternd wirft Nora Ava diese Worte an den Kopf, die das in keinster Weise nachvollziehen kann.

»Was? Warum?« Der Bus hält. Rauschend öffnen sich die Türen.

»Gehen Sie! Gehen Sie! Gehen Sie!«, flüstert die Doktorin richtig gehetzt. Erschrocken zuckt Ava zusammen, kaum dass sie Noras Hände auf ihren Hüften spüren kann. Mit sanftem Druck schiebt sie Ava durch die Bustür. Der junge Mann neben ihnen macht es ihnen gleich und verlässt den Bus ebenfalls. Plötzlich geht alles so schnell, dass Ava nicht registriert was hier geschieht. Die Doktorin schiebt sie noch immer vor sich her, flüstert immer wieder »Gehen Sie!« und lässt sie nicht eigenständig handeln. Sie bekommt überhaupt gar nicht mit, wie der junge Mann links neben ihr immer näher an sie herantritt und sie plötzlich so stark zur Seite drängt um zur rechten Seite zu gelangen, dass Ava fast die Kontrolle über sich verliert.

»Herrgott, was … ?« Verdattert bleibt Ava stehen. Mit großen Augen starrt sie dem jungen Mann hinterher, der sich energisch an ihr vorbeischiebt und sie tatsächlich etwas zur Seite drängt. Stur geht er seinen Weg.

»Was war das denn?« Angesäuert blickt Ava nach hinten zu der Doktorin. Diese hat ein wissentliches Lächeln auf den Lippen. Sie nimmt die Hände von Avas Hüften und tritt vor sie.

»Das, Miss Ramirez, war der Mensch.«

»Bitte? Was genau meinen Sie damit?« Ohne darauf zu achten wo die Doktorin hinläuft, folgt Ava ihr und schaut sie von der Seite aus fragend an.

»Das war das typische egoistische und rücksichtslose Verhalten eines Menschen. Wenn Sie nicht stehengeblieben wären, hätte er Sie noch weiter zur Seite gedrängt, bis er seinen Weg wieder aufgenommen hätte. Er verfolgte sein Ziel, egal welche Folgen das gehabt hätte.«

»Ok, Ziele verfolgen ist ja gut und schön, aber doch nicht bei so etwas Kleinem wie das aussteigen aus einem Bus«, philosophiert Ava nachdenklich.

»Sie haben es doch eben am eigenen Leib erlebt, oder etwa nicht?« Ein kurzes nicken bestätigt Noras Aussage.

»Na also.« Sie zeigt nach vorne.

»Was wollen Sie denn einkaufen? Brauchen Sie einen Wagen?« Ohne es bemerkt zu haben, stehen Ava und die Doktorin vor dem Albertsons Einkaufscenter.

Vertieft über das was da eben geschehen ist, trottet Ava zu den Einkaufswagen, umgreift einen und will ihn gerade aus der Schlange ziehen, als sie Noras Blick im Nacken spürt. Die Psychiaterin beobachtet sie. Sie beobachtet jede einzelne Handlung von ihr. Nur warum? Etwas unheimlich wirkt das ja schon. Was soll das also?

»Eine Frage habe ich noch, Miss Jercy.« Ava lässt den Einkaufswagen los und dreht sich zu der Doktorin um. Erwartungsvoll schaut diese sie an.

»Ja?«

»Ok, es können auch ein paar mehr Fragen werden. Darf ich Ihr Badezimmer inklusive Toilette nutzen?« Mit einem Schlag erobert ein minimales Lächeln Noras Gesicht. Sie senkt den Kopf ein kleines Stück.

»Ja.«

»Besitzen Sie einen Kühlschrank der mit Strom betrieben wird und den ich mitnutzen darf?« Das Lächeln wird unmerklich breiter. Der Kopf senkt sich ein winziges Stück tiefer.

»Ja.«

»Besitzen Sie so etwas wie eine Mikrowelle, in der man sich Essen aufwärmen kann? Natürlich auch Strombetrieben.« Nora verlagert ihr Gewicht auf ein Bein und verschränkt die Arme vor der Brust. Normalerweise hat diese Haltung eine abwehrende Bedeutung, aber in Noras Fall wirkt es eher amüsiert.

»Nein. Wenn ich koche gibt es nur frische Sachen. Und damit wir uns gleich richtig verstehen: Ich esse kein Tier. Fleisch brauchen Sie also erst gar nicht einzukaufen. Vermeiden Sie so viele Nahrungsmittel wie möglich in denen Tier ist. Selbst ich schaffe es nicht immer es zu vermeiden, aber ich gebe mir Mühe und lese die Zutatenliste.«

Kein Fleisch? Herrgott, kein Fleisch? Auweia.

»Ok, ich werde darauf achten. Besitzen Sie denn Töpfe, Pfannen und ähnliches, welches man zum Kochen benötigt? Teller, Besteck?« Nora neigt den Kopf. Das Lächeln auf ihrem Gesicht wird nun sichtbarer und deutlicher. Irgendwie wirkt es schelmisch. Oder? Nein. Ava kann das Lächeln nicht so recht einschätzen. Unheimlich.

»Sie stellen die richtigen Fragen, Miss Ramirez. Das gefällt mir. Pluspunkt, sehr schön. Natürlich besitze ich das alles. Ich werde Ihnen später etwas zusammenstellen was sie nutzen dürfen. Von allem anderen lassen Sie die Finger. Und nun« eine Kinnbewegung zum Eingang des Einkaufscenters wird getan »gehen wir einkaufen.«

Eine Welle an Freude und Stolz überkommt Ava. Sie hat die richtigen Fragen gestellt und dafür Pluspunkte erhalten. Es kann also nur noch besser werden.

***

»Kein Weizenmehl.« Mitten in der Bewegung verharrt Ava. Sie schaut zur Doktorin zurück.

»Wieso nicht?«

»Weil da Tier drinnen ist.« Ava platzt ein Lachen heraus. Sie blickt zum Mehl hinunter.

»In Weizenmehl? Schon klar«, gackert sie und sucht auf der Packung nach Tier.

»Das ist reines Mehl, mehr nicht. Da ist kein Tier drin.«

Nora tritt so dicht an Ava heran, dass der Journalistin mit einem Mal ein Duft in die Nase steigt, den sie bisher nicht wahrgenommen hat. Eine Mischung aus herb und süßlich, merkwürdig.

»Weizenmehl wird mit Schweineborsten versehen.« Entgeistert starrt Ava die Doktorin an.

»Schweineborsten?«

»Ja, diese kleinen borstigen Härchen von Schweinen, die man auch gut auf einer Speckschwarte sehen kann. Das befindet sich in Weizenmehl.«

»Warum? Was hat das da drin zu suchen? Das ist doch nur Mehl.«

»Die Industrie fügt Schweineborsten mit in das Mehl, damit es fluffiger wirkt, lockerer.« Eine Veränderung des Gesichtes findet bei Ava statt. Im ersten Augenblick ist sie überrascht, dann überwältigt und dann angewidert.

»Ok, jetzt ist mir schlecht«, brummt sie und lässt achtlos das Mehl auf die anderen Packungen zurückfallen.

»Schweineborsten in Weizenmehl, ich fasse es nicht.« Murmelnd wandert sie das Regal entlang und sucht nach einem Mehl, welches sie als Ersatz nehmen kann. Nora beobachtet sie wieder, bis sie vor sie tritt und sie somit regelrecht ausbremst.

»Dinkelmehl, oder Soja. Beides ist guter Ersatz. Es ist klebriger als Weizenmehl und etwas schwerer zu verarbeiten, aber dafür Tierfrei.« Ava durchsucht das Regal nach den Mehlsorten die Nora ihr genannt hat, bis sie plötzlich deren Zeigefinger vor ihren Augen sieht. Erschrocken zuckt sie zusammen, kaum dass Noras Finger ihr auf die Nasenspitze stupst.

»Sie gefallen mir.«

Hä?

Entgeistert starrt Ava der Doktorin hinterher, die sich nach diesem Kommentar einfach so umdreht und die Journalistin wie einen begossenen Pudel stehen lässt.

Flirtet die etwa mit mir? Wo ist die Furie von gestern geblieben? Ist sie vielleicht doch nicht dieses Miststück, für das sie von allen gehalten wird? Was ist hier los?

***

Avas Kopf schmerzt. In ihrem ganzen Leben hat sie noch nie geschlagene zwei Stunden in einem Einkaufscenter verbracht, um Lebensmittel für sich zu kaufen.

Egal wonach Ava griff, es kam bei fast allem ein Kommentar von der Doktorin. Sie bremste sie zuerst mit dem Wort Tier aus und dann erklärte sie ihr, auf welche Weise ein Tier mit in die Lebensmittel verarbeitet wurde. Ava konnte nicht glauben, dass sogar Säfte etwas vom Tier haben. Was gab es natürlicheres als einen Saft? Dass aber dieser durch Gelatine gegossen wird, damit er klarer wird, lässt sogar den besten Saft ekelig wirken.

Jetzt schwirrt Avas Kopf. Sie hatte ja keine Ahnung. All die Informationen zu verarbeiten und darüber nachzudenken, wieviel Tier man eigentlich isst, zollt seinen Tribut.

Mit aufkommenden Kopfschmerzen, biegen Ava und die Doktorin in den nächsten Gang und bleiben beide gleichzeitig stehen. In der Mitte des Ganges sehen sie wie eine Mutter an dem Arm ihres Kindes zerrt und zieht.

»Ich habe Nein gesagt und damit basta. Wir gehen jetzt.« Die Stimme der Frau wirkt forsch und aufgebracht. Das Kind reißt und rupft an der Hand der Mutter und versucht von ihr loszukommen. Ein Blick durch den Gang verrät den Grund weshalb das Kind plötzlich zu schreien beginnt. Süßigkeiten. Aha. Das Kind will also Süßigkeiten und die Mutter hat Nein gesagt. Fataler Fehler.

Wie vorhin verschränkt die Doktorin die Arme vor der Brust, verlagert ihr Gewicht auf ein Bein und betrachtet das Schauspiel zwischen Mutter und Kind.

»Adam! Komm jetzt! Ich habe Nein gesagt und damit ist jetzt Schluss.«

»Nein! Ich will diese Bonbons jetzt haben! Ich will, ich will, ich will!« Kaum dass der Junge mit einem Fuß aufstampft, zieht Ava leicht entsetzt den Kopf zurück.

»Und ich habe Nein gesagt! Du hast zu Hause noch genug Bonbons!«

»Aber nicht diese!« Strafend zeigt der Junge auf irgendwelche Bonbons in dem Regal neben sich. Als wenn sein rumbrüllen und rumstampfen noch nicht genug wäre, wirft sich der Junge tatsächlich auf den Boden. Er beginnt zu schreien und wild um sich zu schlagen.

»Adam! Steh sofort auf!« Die Mutter faucht ihren Jungen messerscharf an, aber der überhört sie gekonnt. Wie eine Heulboje brüllt der Junge den ganzen Gang zusammen. Seine Arme und Beine schlagen unkontrolliert um sich.

»Adam! Steh endlich auf! Die Leute gucken schon! Wenn du nicht sofort aufstehst, gehe ich alleine weiter und lasse dich zurück.« Ein kurzer beschämter Blick zu Ava und Nora folgt. Das Gesicht der Mutter ist vor Scham genauso rot, wie das ihres Jungen, der allerdings dabei ist, sich die Lunge aus dem Leib zu brüllen.

»Gut, wie du willst! Dann bleib eben hier!« Mürrisch, enttäuscht und wütend wendet sich die Mutter von ihrem Jungen ab. Dieser windet sich noch immer wie ein Käfer auf dem Rücken. Mit harten Schritten durchquert sie den Gang, bis sie fast das Ende erreicht.

Ava staunt nicht schlecht, als Nora aus ihrer Beobachterposition erwacht und einen Schritt in Richtung des Jungen macht.

»Ma'am, Sie haben da was vergessen!« Schon fast abwertend zeigt sie auf den Jungen, der noch immer den Boden bohnert.

Sie haben da w a s vergessen? Was sind Kinder für diese Frau? Bestien? Wie kann sie nur?

Ohne jegliche Reaktion auf diesen Kommentar, verschwindet die Mutter um den Gondelkopf. Wie angewurzelt bleibt Nora an Ort und Stelle stehen. Die brüllende Stimme des Jungen nimmt allmählich die nächsten Gänge mit ein. Wenn das so weitergeht, steht hier sicherlich irgendwann die Polizei. Ok, Security dürfte in diesem Fall vielleicht erstmal reichen.

Ava sieht, wie Nora zu dem quietschenden und brüllenden Jungen hinunterblickt. Dann zieht sie die Schultern hoch.

In dem Augenblick in dem Ava glaubt, dass sich Nora umdreht und den Jungen seinen Stimmbändern überlässt, sieht sie, wie die Doktorin sich auf den Boden setzt. Direkt neben den zappelnden Jungen.

Erschrocken springt Ava einen ganzen Schritt zurück, kaum dass die Doktorin zu brüllen und zu schlagen beginnt. Genau wie der kleine Adam, liegt nun Nora auf dem Boden des Einkaufscenters und imitiert den Jungen perfekt. Sie schreit den ganzen Gang zusammen, liegt auf dem Boden und schlägt und tritt ebenso wild um sich wie der Junge.

»Oh Gott, ist das peinlich.« Flüsternd zieht Ava den Kopf ein, geht ein paar Schritte rückwärts und wagt es kaum zu der hoch angesehenen und ausgezeichneten Doktorin zu blicken, die sich wie ein Kleinkind auf dem Boden des Einkaufscenters windet.

Wieso macht sie das? Der Junge will Süßigkeiten, aber weshalb gibt sie sich freiwillig diese Blöße?

»Adam?« Hecktisch kommt die vermisste Mutter in den Gang zurück. Sie bleibt stehen, als sie die erwachsene Frau neben ihrem Jungen auf dem Boden rumrudern sieht. Dieser wird mit jeder Sekunde ruhiger und stiller. Er liegt auf dem Bauch, klappt das Kinn herunter und starrt die erwachsene Frau ohne jeglichen Verstand an. Auch er scheint nicht zu glauben, in was für eine Situation sich diese fremde Frau gebracht hat.

Nora schreit und schlägt noch immer um sich, bis die Mutter ihren Jungen vom Boden zieht. Dieser gafft Nora mit offenem Mund so lange an, bis ihn seine Mutter aus dem Gang gezogen hat. Weg von diesem Anblick. Weg von dieser psychisch kranken Frau.

Kaum ist die Mutter um die Ecke gebogen, verstummt Nora. Atmend bleibt sie auf dem Boden liegen. Als Ava sie dann nach ein paar Sekunden kichern hört, zweifelt sie an ihrem Verstand.

Langsam traut sie sich zu der Doktorin hin. Mit großen Augen schaut sie zu ihr hinunter. Die gute Frau lacht tatsächlich. Nora liegt auf dem Boden und kichert freudig vor sich hin.

»Warum kichern Sie?« Mit funkelnden und glänzenden Augen schaut Nora zu Ava hinauf.

»Das war witzig«, grinst sie und steht vom Boden auf.

»Was, bitteschön, war daran denn witzig? Dass Sie sich zum Volldeppen gemacht haben?« Nora klopft sich den Schmutz von der Hose.

»Ist es das was Sie gesehen haben?« Sie greift sich an den Dutt und zieht das Gummi heraus. Das Ding auf ihrem Kopf sieht nach diesem Bodenwalzer alles andere als vernünftig aus. Er wirkt eher wie ein durchgeschleuderter Haufen Spaghetti.

»Natürlich. Was soll ich denn sonst gesehen haben?« Mit beiden Händen fährt sich Nora durch ihre bordeauxfarbenen Haare. Sie schiebt sie auf eine Seite.

Ungewollt beobachtet Ava diese Bewegung. Ihr Blick wird etwas schwammig, kaum, dass sie den freigelegten Hals der Doktorin wahrnimmt. Er wirkt sanft und irgendwie einladend.

Nora greift sich in die Haare, kämmt sie mit den Fingern flüchtig durch, schiebt sie zurecht und zwirbelt sie zu einem neuen Dutt zusammen. Ava muss doch tatsächlich blinzeln, um das Bild von langen roten Haaren auf vollen Brüsten aus ihrem Gehirn zu fegen.

»Ihnen ist also nicht aufgefallen, dass der Junge aufgehört hat zu brüllen und um sich zu schlagen?«

»Doch, das ist mir schon aufgefallen, aber … .«

»Glauben Sie mir, dieses Kind wird sich nie wieder auf den Boden werfen und herumschreien. Ihm war diese Situation ebenso suspekt wie peinlich, so dass er das niemals wieder wagen wird. Einen Menschen kann man am besten mit seinen eigenen Waffen schlagen. Egal wie groß oder klein dieser Mensch ist. Es ist reine Psychologie«, unterrichtet Nora Ava in menschlicher Psychologie und tippt sich gegen den Kopf.

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