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1. Drei Geschwister in der Sommerfrische.

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Inhaltsverzeichnis

Eigentlich, liebe Kinder, sollte ich meine Geschichte mit der Beschreibung eines Landhauses beginnen, das an einem glühendheißen Sommermittag, so gegen 2 Uhr, mitsamt dem ganzen Lande ringsum schläfrig dalag.

So flüsterstill und schweigsam war es um diese Zeit, daß nicht einmal die rücksichtslosesten Schreier unter den Insekten, die kleinen Grillen, es wagten, die tiefe Ruhe zu stören.

Übrigens weiß ich längst, wie unbeliebt Beschreibungen bei euch sind. Wo ihr sie immer in Büchern antrefft, überspringt ihr sie in einem Hops, nicht wahr? Zudem ist es so wie so nicht schwer, sich mitten in einem schönen Garten ein weißes Haus mit grünen Läden vorzustellen, umrankt von üppigem Weinlaub; denn zwei kräftige Weinstöcke waren an jeder Ecke des Hauses gepflanzt und umkränzten prächtig alle Fenster mit hellem Grün. Muskatellersorte war es, und wer diese kennt, weiß sie zu schätzen! In dichten Massen glänzten die Blätter; was aber leider fehlte, das waren die süßen Trauben. Nur hier und dort schimmerte es goldig zwischen dem Laube, auffallenderweise aber nur immer hübsch entfernt vom Fenster. Es kommt nämlich beglaubigtermaßen höchst selten vor, daß Muskatellertrauben in erreichbarer Fensternähe zu finden sind; wenn Knaben in einem solchen Hause wohnen, fast niemals.

Bst! Bst! Seht dorthin an die Haustüre!

Ganz langsam öffnet sie sich und heraus schleichen, eines hinter dem andern, drei Kinder. Bedächtig steigen sie die Steinstufen herab. Zwei Buben sind's und ein Mädchen. Mit schleppenden Schritten gehen sie dahin und aus den Augen stiehlt sich trübselige Müdigkeit und Unlust bis zum Nasenspitzchen hin.

»Wie ist das möglich?« werdet ihr fragen, »im Sommer, zu dreien auf dem Lande, und trübselig, nicht froh und lustig sein?«

Ich kann es erklären.

Seht, jedes hält in der Hand ein Buch, aber kein Märchenbuch, keine Reiseabenteuer, sondern Schulbücher sind's. Vom Hause hört man rufen:

»Fleißig sein, Kinder! Onkel Walter kommt bald heim und überhört euch! O weh, wenn ihr dann nichts könnt, ist es zu Ende mit der versprochenen Kahnpartie!«

So schleichen die Dreie bekümmert ihres Weges. Ihre Bücher halten sie vor sich her, als ob es brennende Kerzen wären. Mit ihren traurig gesenkten Nasenspitzen erwecken sie den Eindruck, als ob sie zu einem Begräbnis gingen.

Sobald sie an einem schattigen Plätzchen im dichten Fliederbusch angelangt sind, setzen sie sich auf die Steinbank, jedes ein wenig abgerückt vom andern. Vorsichtig öffnen sie die Bücher, so vorsichtig, als ob am Ende gar zwischen den Blättern ein Kobold säße, der ihnen an den Kopf springen könnte.

Das Buch des Kleinsten scheint das gefährlichste zu sein, darinnen sitzt sicher der wildeste, kleine Kobold, denn er kann sich kaum überwinden, sein Buch aufzuschlagen.

Das köstlich kühle Plätzchen war den Kindern besonders empfohlen worden. Papa, Mama und Onkel Walter behaupteten, man könne dort auch an heißen Tagen vortrefflich lernen.


Aber, du liebe Zeit! Schon nach wenigen Minuten sank dem Kleinsten die Hand, die das Buch hielt. Er trieb seine Bäckchen zu kleinen rosigen Äpfelchen auf und versuchte ein quietschendes Jahrmarkttrompetchen nachzuahmen, indem er blasend die eingezogene Luft ausstieß. Da seine Kunst aber keinen Eindruck auf die Geschwister machte, bemerkte er tief aufseufzend:

»Ach, es geht wirklich nicht!«

Die beiden andern schienen aber emsig in ihr Studium vertieft zu sein, daher stieß er jetzt ungeduldig das Schwesterlein mit seinen Ellenbogen an und fragte unwillig:

»Spürst denn du nicht, wie heiß es ist?«

Zürnend hob die Kleine den Kopf.

»Schweig, Max! Ich muß meinen ganzen Verstand zusammennehmen, denn meine Rechnungen sind sehr schwer.«

»Ei, kann denn einer noch Verstand haben in solcher Hitze?«

Nun mischte sich auch der Älteste in die Rede. Er gab sich ein sehr gewichtiges Aussehen, konnte aber seinen eigenen Unwillen kaum verbergen, als er sprach:

»Die Wärme spielt hier gar keine Rolle. Im Gegenteil: Die Mutter sagt, hier sei es hübsch kühl und die Kühle schärfe den Verstand.«

Der Kleinste dachte etwas darüber nach, dann sagte er mit größter Ehrlichkeit:

»Jawohl! Aber wenn man keine Lust zum Lernen hat, dann hilft auch die beste Kühlung nichts.«

Max hatte den Nagel auf den Kopf getroffen. All den drei Kindern fehlte der Wille zum Lernen, und es wäre sehr schwer herauszubringen gewesen, welches von ihnen das faulste war.

Kaum hatte der Kleine die Wahrheit offen ausgesprochen, schlossen sie mit einem Klaps ihre Bücher und warfen sie geräuschvoll auf die Steinbank. Dabei bekamen die unschuldigen Bücher noch nachgerufen:

»Zum Kuckuck mit der Geschichte des Mittelalters!«

»Lebt wohl, ihr greulichen Rechnungen!«

»Gute Nacht, du lateinische Grammatik, du!«

Moritz, der größte, erhob sich jetzt, pflanzte sich mit gespreizten Beinen vor dem Brüderchen auf und begann zu überlegen:

»Unser ganzes Elend kommt daher, weil ihr eure Prüfung nicht bestanden habt.«

»Bitte«, verbesserte Theresa, die Schwester, »du willst wohl sagen, weil wir sie nicht bestanden haben.«

Da lachte Max vorwitzig: »Daß wir neulich bei der Prüfung nicht gut weggekommen sind, wäre nicht so schlimm, aber daß wir noch einmal hinein müssen und lernen, lernen, lernen sollen, – puh – das ist schauderhaft!«

Moritz, der sich vorgenommen hatte, mit der Zeit, – wenn er so gemütlich weiterlernte wie bis jetzt, allerdings mit reichlich viel Zeit –, ein berühmter Rechtsanwalt zu werden, fand den Augenblick passend, eine seiner vielen Probereden zu halten, und begann sogleich im Rednerton:

»Wie ihr wißt, kann ich die Einrichtung der Prüfungen durchaus nicht loben.«

Max fiel ihm lachend ins Wort:

»Und in der Prüfung hat man dich nicht gelobt.«

»Wie kannst du dir erlauben, eine Rede zu unterbrechen, du Wicht, du Naseweis! – Wenn du nicht gleich still bist, nenne ich dich Butziwackel

Butziwackel! Schauderhaft. – Wie war ihm dieses Wort verhaßt! – Was konnte er dafür, daß seine gute Mutter ihrem kleinsten Sohne in äußerster Sparsamkeit für den Landaufenthalt immer die alten, abgetragenen, fadenscheinigen Höschen ihres Moritz zumutete. Dem Wildfang Max wollten diese Höschen nie lange halten. So oft auch die Mutter den Sitzboden stopfte und flickte, es kam doch immer wieder einmal ein verdächtig weißes Zipfelchen zum Vorschein, das vorwitzig, einem Fähnlein gleich, hinter dem Kleinen herbammelte. Und darum schimpften sie Butziwackel.

Für andere Leute mochte das Fähnlein ja recht putzig und lustig aussehen, für Max aber war es nur ärgerlich und entfachte seinen Zorn.

Kaum hatte auch jetzt wieder sein älterer Bruder das verdrießliche Wort ausgesprochen, so griff Max nach dem Boden seines Höschens. Wahrlich! auch heute hing schon wieder frech ein Fähnlein heraus. Rasch stopfte er es ins Verborgene und ging grollend weg von seinen Geschwistern.

Max Butziwackel der Ameisenkaiser

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