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REMBRANDT
VON
JOZEF ISRAELS

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Es war so etwa gegen die Hälfte des vorigen Jahrhunderts, dass ich nach Amsterdam ging, um mich unter der Leitung des damals sehr renommierten Porträtmalers Krusemann zum Maler auszubilden. Bald erhielt ich Zutritt in das Atelier meines Meisters und sah mit Bewunderung die Porträts von vornehmen Personen Amsterdams, an denen er gerade arbeitete. Die Rosafarbe der Gesichter und die feine Behandlung der Stoffe, die sich manchmal vor einem Hintergrund mit dunkelrotem Sammet abhoben, gefielen mir sehr. Als ich den Wunsch ausdrückte, einige dieser Porträts kopieren zu dürfen, wurde mir dies von meinem Lehrmeister rundweg abgeschlagen. ‚Wenn Du kopieren willst,‘ antwortete er, ‚dann gehe nach dem Museum im Treppenhaus.‘ Ich wagte nicht, es einzugestehen, dass dies eine grosse Enttäuschung für mich war, ich war so grasgrün aus der Provinz gekommen und die alten Meister waren für mich noch ein Geheimnis, denn ich konnte in den alten Gemälden und in dieser dunkeln Leinwand die Schönheit nicht entdecken, die von jedermann gerühmt wurde, für mich waren die Ausstellungen in ‚Arti‘ viel schöner und ich bewunderte besonders Pienemann, Gallait, Corot und Kukuk. Nicht, als ob ich so viel rückständiger gewesen wäre als die andern, aber es fehlte mir Studium und Uebung, ohne die man das Fremdartige und so ungemein Künstlerische der holländischen Meister nicht begreifen kann, und ich behaupte heute noch, dass man, mag man noch so intellektuell sein, diese grossen Alten nicht nur so ohne weiteres geniessen kann, wenn man sie nicht viel und oft gesehen und sich in ihre Kunst eingelebt hat. Es dauerte lange, ehe ich den Mut hatte, mich mit Farbe und Pinsel nach dem Heiligtum zu begeben, aber, nachdem ich eine Zeitlang viel nach der Natur gemalt, viel Nacktstudien und noch viel mehr Stilleben gemacht hatte, ging mir ein Licht auf. Ich begriff, dass es nicht die gefällige zarte Behandlung des Stoffes sei, was erreicht werden müsse, sondern dass ich zuerst auf das Relief der Gegenstände, auf die Haltung der Figuren in ihrem Verhältnis zu Licht und Schatten, ihre Gebärden und Bewegungen zu achten hätte. Mit dieser Ueberzeugung besuchte ich das Treppenhaus. Hier wurde mir allmählich deutlich, worin die Schönheit und Wahrheit dieser bewundernswürdigen alten Meister eigentlich bestand, denn ich merkte, dass ihre so einfachen Vorwürfe durch ihre Behandlung reich und vielsagend wurden. Sie waren Genien, ohne es selbst zu wissen, und die sie umgebende Welt wusste es damals auch nicht.“

(Nachdem Israels es zuerst mit einem kleinen Gemälde von Gerard Dou und dann mit einem Kopf von van der Helst versucht hatte, ohne davon befriedigt zu sein, wandte er sich zu einem der Köpfe der Staalmeesters.) „Der Mann in der Ecke links mit seinem spitz zulaufenden Hut und seinen grauen Haaren hatte es mir angethan. Ich fühlte, dass hier etwas sei, dessen Schönheit ich wiedergeben konnte, wiewohl ich alsbald sah, dass die Bearbeitung eine ganz andere sein musste, als bei meinen bisherigen Versuchen; aber das Verlangen, dieses Neue und Breite zu erreichen, zog mich derart an, dass ich beschloss, es zu wagen. Wie diese Kopie geworden ist, weiss ich nicht mehr, wohl aber weiss ich, dass sie jahrelang in meinem kleinen Malerkämmerlein gehangen hat. So trachtete ich, das Kolorit und die Behandlung des grossen Künstlers zu erfassen, bis endlich die Schönheiten der Nachtwache und der Staalmeesters mich so beherrschten, dass mich überhaupt nichts mehr anzog, was nicht die Hand des grossen Rembrandt geschaffen hatte. In seinen Werken sah ich etwas, was ich bei den anderen nicht fühlte: es war seine Freiheit und Ungezwungenheit, die ich bewunderte und die auf der Zeichenakademie und im Atelier meines Lehrmeisters verpönt waren.

Hatte ich nun eine Zeitlang Rembrandts Gemälde von allen Seiten betrachtet, dann ging ich in den unteren Stock des Treppenhauses, wo sich die sogenannte Prentenkamer befand. Hier waren Rembrandts Radierungen in ausgezeichnetem Zustande zu sehen. Oft und immer sehr lange sass ich da, um mich in diese 240 Kunstwerke zu vertiefen, häufig mahnte mich der Konservator zur Vorsicht, wenn ich die Blätter allzu eifrig umschlug, um sie miteinander zu vergleichen. Ich war erstaunt, dass der Künstler, der die ruhmreiche Nachtwache und die breiten Staalmeesters mit Farben geschaffen hatte, hier als ein ausgezeichneter Stecher erschien, der nicht nur mit der Kraft und der Leichtigkeit eines echten Führers des Pinsels ausgestattet war, sondern alles beherrschte, was die Nadel auf dem harten, glänzenden Kupfer hervorzubringen im Stande war. Es war aber nicht diese aussergewöhnliche Kunstfertigkeit, welche mich bei diesen Radierungen so fesselte, noch viel mehr wurde ich durch die erfinderische Vielseitigkeit der Vorstellungen, durch die wundervollen Beleuchtungen und die naiven kindlichen Manieren, die er seinen Figuren zu geben wusste, getroffen. Nicht nur das Gemüt sprach laut in der Vorstellung, sondern es durchdrang alles durch die subtile Anwendung der Nadel. Die biblischen Scenen werden in alt-amsterdamscher Weise vorgestellt, aber welche Kunstfertigkeit bei der Verteilung von Licht und Schatten und welche Phantasie in der Komposition! So wunderbar originell, so vollendet im Ausdruck war hier alles, dass andere Bilder dagegen, mochten sie noch so kunstreich bearbeitet sein, die Schule und die Akademie verrieten. Hier waren herrliche Porträts, selten schöne Köpfe, oft von ihm selbst oder seinen Freunden. Aber wenn man das kleine Bild seiner Mutter gesehen hat, muss man die Mappe einen Augenblick zuschlagen … und seine Augen wischen. Etwas Schöneres, was mit solchem Gefühl gestochen ist, besteht nicht: die mütterliche Milde, das Wohlwollen und die Innigkeit des alten Frauchens blickt uns aus jedem Strich, aus jedem Häkchen der Nadel entgegen, jede Linie hat etwas zu bedeuten, kein Pünktchen hätte weggelassen werden können. Und dieses lebensvolle Porträt hat Rembrandt in dem jugendlichen Alter von 24 Jahren geschaffen! Ich schlage die Mappe wieder auf und sehe die reich bearbeiteten Bettler. Das sind Typen, nach denen er damals nur zu greifen hatte und die er so gerne und so oft darstellte: man sollte sie eigentlich gar nicht arm nennen, so warm, so farbig hat sie der Meister ausgestattet. Dann kamen die wirkungsvollen Landschaften an die Reihe, jene merkwürdigen Nacktstudien, mit einem Wort ein Kosmos. Wenn ich dann, nachdem ich eine Mappe durchgeblättert hatte, wieder in die Stadt zurückkehrte, war es mir, als ob ich allerlei Gestalten begegnete, welche den seinigen glichen. Vom Treppenhaus nach der Hoogstraat, dann durch die Sint Anthoniebreestraat und endlich in der Joodenbreestraat, wo ich damals einige Schritte von dem Hause entfernt, in dem Rembrandt so viele Jahre geschaffen hat, wohnte, überall da sah ich wieder die malerische Menge, dieses geräuschvolle Leben, diese warmen jüdischen Gesichter mit ihren eisgrauen Bärten, die Frauen mit ihren fuchsrothen Haaren, die Karren voll von Fischen und Früchten und allerlei Waren. – Alles war Rembrandt!

Es giebt aber noch eine dritte Aeusserung von Rembrandts Talent: das sind seine Zeichnungen. Für einen jungen Maler, der nach Mitteln sucht, um seine Gedanken auszusprechen, waren diese Zeichnungen ebenso rätselhaft wie ermutigend. Da sie nicht so deutlich waren wie seine Radierungen, dauerte es einige Zeit, ehe ich mich mit ihnen befreunden konnte, aber als ich begriffen hatte – was ich heute noch glaube – dass der Meister diese Zeichnungen nicht gemacht hatte, um sie mit zierlichen Linien zu umgeben und sie dann dem Publikum vorzuführen, da fühlte ich ihre wahre Tragweite. Es waren meistens Gefühlsäusserungen, um seinem phantasiereichen Gemüt zu Hülfe zu kommen. Ohne jedes Nachdenken auf das Papier geworfen, aber mit einer Hand, die bei jedem Zucken und bei jeder Erregung Meisterstücke schuf. Oberflächlich betrachtet, werden diese Zeichnungen durch allerlei Tintenflecke und harte dicke Striche, die wild und wunderlich durcheinander gingen, entstellt, betrachtet man sie aber gut, dann scheint alles wohl berechnet und gefühlt.

So sah ich also diesen Rembrandt als den Mann, der mit seinem Pinsel, seiner Feder oder dem Grabstichel alles darzustellen und vor die Phantasie zu zaubern vermochte. Vom Himmel und von der Erde, von den Helden der Geschichte und von den alltäglichen Menschen, von einem Stückchen des Turms der Westerkirche wusste er eine schöne Zeichnung zu machen, Löwen und Elefanten wurden in der seltsamsten Weise wiedergegeben. Besonders seine Nacktfiguren von Frauen sind deshalb so merkwürdig, weil bis jetzt kein Maler es gewagt hatte, sie so darzustellen, wie sie im Atelier vor ihm standen, aber Rembrandt, bezaubert durch das Licht und die Glut der Fleischfarbe, zauderte keinen Augenblick, sie so zu malen, wie er sie sah. Es war keine Venus, keine Juno oder Diana, es war die Waschfrau seines Nachbars, die er entkleidete und in der Herrlichkeit ihres Fleisches wiedergab. Und seine Handschrift allein, ich meine die Manier, mit der er seine Schnörkel und Striche hinwarf, war an sich schon ein genussreicher Anblick, von dem man sich nur schwer trennen konnte. Und das alles that er mit einer Leichtfertigkeit, mit einer Ausgelassenheit und mit einer Sicherheit, welche den Gedanken eines Studiums oder irgend einer Anstrengung gar nicht aufkommen liess.

Und wie denke ich jetzt über den Meister, nachdem so viele Jahrzehnte verflossen sind? Wohlan denn, Leser, betrachte mit mir die gewaltigste Aeusserung von Rembrandts grossartiger Malkunst, die er in seiner „Nachtwache“ niedergelegt hat.

Schon beim ersten Anblick werden wir sofort durch breite Bewegungen von Schatten und Licht getroffen, die wie Farbentöne durch die enorme Fläche der Leinwand singen. Dann kommen plötzlich zwei Männer auf uns zu, die aus der Gruppe nach vorne treten, der eine ganz dunkel, der andere ganz hell gekleidet. Das ist Rembrandt! Er wagt, schreiendes Licht gegen Dunkel zu stellen. Und um diesen Gegensatz von grossen Linien harmonisch zu machen, ersinnt er etwas: der linke Arm des dunklen Mannes ist ausgestreckt, als ob er mit der vorgehaltenen Hand etwas behaupten will, und so wirft er mit seiner Hand einen grossen sonnigen Schlagschatten auf seinen weissen Kameraden! Das Genie weiss sich zu helfen, wo gewöhnliche Menschen keinen Rat mehr wissen. Diese Männer sind offenbar miteinander im Gespräch, man sieht es, sie sind die Anführer des ganzen Trupps. Da stand er jetzt, der grosse Meister, als alles auf die Leinwand gebracht war, was darauf kommen musste – aber er schüttelte das Haupt. Nach seiner Meinung traten diese beiden Männer noch nicht genügend in den Vordergrund. Dann nahm er noch einmal seine grosse Palette, seinen breitesten Pinsel taucht er noch einmal tief in den Farbentopf, und diese zwei vordersten Figuren wurden noch einmal mit kräftigen Strichen behandelt, hier mehr Tiefe, dort noch mehr Licht, und so versuchte er alles, um dem, was in den Vordergrund zu kommen hatte, noch ein kräftigeres Relief zu geben – und dann sah er, dass es gut war, und so liess er es dann auch stehen. Vielleicht war die Aehnlichkeit seiner Herren Auftraggeber etwas weniger sprechend, auch beklagte man sich bei ihm über Mangel an Ausführlichkeit, aber für ihn war die Hauptsache, dass die Figuren lebten, und dass sie sich bewegten. Wie herrlich ist ihm dies gelungen! Von den Federn ihrer Hüte an bis zu den Sohlen ihrer Schuhe, die beinahe den Rand des Gemäldes erreichen, ist alles, als ob man es mit der Hand prüfen könnte. Wie sind die Köpfe voll Energie und Charakter, ihre Kleidung ist auf den Leib gegossen, der stählerne Halsberg, die Schärpe, die Stiefel des hellen Mannes sind von wunderbarer Malkraft; dann der dunkle mit dem roten Wehrgehänge, mit dem Handschuh und dem Stock ist von einer Erfindungsgabe, die nur deshalb nicht auffällt, weil alles so richtig, einfach und natürlich ist. Ich kenne keine Darstellung, welche die Pracht und das Malerische jener Zeiten so stark ausdrückt, wie diese zwei Männer, die auf diesem Riesengemälde einherschreiten.

Wenden wir uns nun zu der rechten Seite, um den schwitzenden Trommler zu betrachten. Sein scheinbar pockennarbiges Gesicht unter dem Schatten seines verschlissenen Huts ist eine echte Falstafffigur, die dicke Trunkenboldnase, sein fettiger Mund, alles, was an ihm ist, sind von einer malerischen Bravour, die den Wagemut des Meisters so besonders charakterisieren; man sehe nur, wie er darauf lostrommelt, als ob er jedermann sagen wollte, dass er eine der prächtigsten Figuren des berühmten Meisters sei, den man Rembrandt nennt. Ich begreife sehr gut, dass beim Anblick dieses Mannes, wie er vor uns webt und lebt, der beschränkte, quasi gelehrte und dummgewissenhafte Gérard de Lairesse in seinem grossen Buch über die Malkunst (in welchem Rembrandt der grösste Farbenklekser genannt wird) ausrief: „Bei Rembrandt läuft die Farbe wie Dreck aufs Paneel!“ Genialität und philisterhaftes Knotentum sind und bleiben geschworene Feinde.

Wenden wir uns jetzt nach der linken Seite des Gemäldes. Hier steht der durchgeistigte Landsknecht, ganz in Rot gekleidet. Ein Maler mit dem Hell- und Brauntalent brauchte nicht bange zu sein, jemand von Kopf zu Fuss rot zu malen, er wusste, dass das Spiel von hell und dunkel ihm helfen würde. So liegt denn auch hier das Rot teilweise im Schatten einer herrlichen Nuance und vereinigt sich trefflich mit den gräulich grauen Tönen der übrigen Figuren. Auch dieser rote Mann ist in der eben beschriebenen Weise mit dem Pinsel behandelt worden; betrachtet man ihn gut, dann scheint es, als ob Rembrandt diesen malerischen hervortretenden Mann mit einem vollen Pinselstrich von oben bis zu den Füssen hingeworfen hat. Wie fest ist die Behandlung der Hand, welche das Gewehr ladet, wie forsch die Striche auf seinem roten Hut, auf dem roten Wams, wie kräftig, lebhaft, beweglich und reich steht er da!

In diesem wunderbaren Gemälde stossen wir jeden Augenblick auf etwas Interessantes. Sprechend ist der Hellebardier, der vom Rande links rückwärts blickt, dann der Mann, der hinter dem weissen Mann sein Gewehr untersucht, und wie herrlich wirkt der lachende, von dunklem Hintergrunde sich abhebende Junge mit seinem grauen Hut! Der Kopf des Mannes, der mit seinem Arm auf etwas zeigt, ist auch wieder von besonderer Farbe und Malweise; selbst der graue Pfeiler, gegen den sich der Kopf mit dem Helm abhebt, wirkt trefflich zum Gesamteindruck mit. Aber hier ist noch etwas Wunderbares, und zwar das fremdartige Mädchen, das sich zwischen allen diesen männlichen Figuren bewegt. Viele Kritiker und Kunsthistoriker haben sich den Kopf darüber zerbrochen, was dies eigentlich zu bedeuten habe und gefragt, ob diese Figur überhaupt hierher gehöre. Hätte Rembrandt sie gehört, denn würde er lächelnd geantwortet haben: Seht ihr denn nicht, dass ich dieses liebumflossene Kind hier nötig hatte, um gegen alle diese nach unten laufenden Linien und diese dunklen Farben einen Kontrast zu schaffen? Der Mann mit der Fahne im Hintergrund, der weglaufende Hund – alles unterstützt und hilft einander in Farben, Linien und Effekt. Da ist auf diesem Gemälde auch keine winzige Stelle, die nicht ein seltsames Malertalent verrät. Hier gilt die Behauptung: Schneide nur ein kleines Stück aus einem Gemälde heraus, und ich will dir sagen, ob der Maler ein Künstler ist.

Kunst und Künstler Almanach 1909

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