Читать книгу Spiegel der Schatten - V.C. Andrews - Страница 8
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Weg mit dem alten Kram
Als Pamela Joline auftrug, mir ein Bad einzulassen, meinte sie nicht einfach nur, den Wasserhahn aufzudrehen. Sie hatte sie genau angewiesen, wie viel sie von welchem Badeöl und welcher Badelotion mischen sollte. Ich stand daneben und beobachtete, wie sie alles mit der Präzision eines Chemikers abmaß.
»Was ist das alles?«, fragte ich.
»Mrs. Thompson sagt, diese Dinge sorgen dafür, dass Ihre Haut weich und seidig bleibt und sie davor bewahrt zu altern.«
»Altern? Ich glaube nicht, dass ich mir über das Altern Sorgen machen muss. Ich bin ja nicht einmal dreizehn«, entgegnete ich.
Sie lächelte mich an, als hätte ich etwas sehr Dummes gesagt, und drehte dann das Wasser auf. Danach legte sie große, flauschige Badetücher, meinen Bademantel und Hausschuhe bereit.
»Benötigen Sie sonst noch etwas?«, fragte sie mich. »Nein«, antwortete ich. Mir fiel nichts ein, um das ich bitten könnte.
»Genießen Sie Ihr Bad«, wünschte sie mir und ging.
Genießen? Ich schaute zur Wanne. Im Waisenhaus duschten wir normalerweise nur, und wenn wir einmal ein Bad nahmen, hieß es, schnell hinein und wieder heraus. Stets wollten auch andere das Badezimmer benutzen. Was sollte ich im Bad anfangen, außer mich zu waschen und wieder herauszusteigen?
Ich zog mich aus und legte mein T-Shirt und meine Jeans ordentlich gefaltet auf die Ablage neben dem Waschbecken. Obwohl meine Sachen alt und abgetragen waren, fand ich, sie sollten hier gut behandelt werden, weil sie jetzt in einem Badezimmer waren, das einer Prinzessin würdig gewesen wäre. Ich hatte zwei Waschbecken! Warum gab es in einem Badezimmer zwei Waschbecken, und was war das für eine Schüssel neben der Toilette?
Die Marmorfliesen fühlten sich kühl an unter meinen nackten Füßen. Ich schaltete das Wasser aus. Der Schaum war so hochgestiegen, dass er über die Wanne zu quellen drohte. Ich trat hinein und setzte mich behutsam hin. Ich weiß nicht, wie sie es angestellt hatte, aber Joline hatte genau die richtige Temperatur für mich erwischt, nicht zu heiß und nicht zu kalt. Es fühlte sich gut an, und ich musste über meine Spiegelbilder rund um mich herum lachen. Nur mein Kopf ragte aus einem Meer von Seifenblasen empor.
Statt eines Waschlappens baumelte ein Schwamm von der Duschstange herab. Ich fuhr damit über meine Beine, legte mich dann zurück und lehnte meinen Kopf gegen das weich gepolsterte Kissen, das an der Wanne befestigt war. Das Seifenwasser krachte und knisterte um mich herum.
Konnte es sein, dass Märchen in Erfüllung gehen? Konnte Aschenputtel glücklicher sein als ich?
»Na bitte, du passt ja perfekt in diese Umgebung«, sagte Pamela, als sie mein Badezimmer betrat. Ihr Haar hatte sie unter einem kleinen Handtuch zurückgebunden. Sie trug einen langen Seidenbademantel mit japanischen Schriftzeichen auf der Vorderseite. Auf Wangen und Stirn klebte etwas, das wie eine dünne Schicht Lehm aussah. »Wie fühlt es sich an?«
»Sehr gut«, antwortete ich und versuchte sie nicht anzustarren.
»Wie ich sehe, hat Joline ein wenig zu viel Schaumbad hineingetan, aber das ist schon in Ordnung. Schließlich sind wir beide, du und ich, dazu da, im Luxus zu schwelgen. Du musstest ein wenig darauf warten, aber das ist jetzt vorbei«, verkündete sie mit der Selbstsicherheit einer Königin. »Peter sagt, dein neues Zuhause gefällt dir.«
»Es ist ein Palast«, sagte ich.
Sie lachte. »Warum nicht? Wir sind doch ein paar Prinzessinnen, nicht wahr? Willst du die Wassermassage einmal versuchen?«
»Wassermassage?«
Sie bückte sich und drückte einen Messingknopf am Fuß der Wanne. Plötzlich begann das Wasser wie verrückt zu zirkulieren, die Ströme trafen mich an Beinen und Rücken. Ich kreischte vor Entzücken, und sie lachte. Der Schaum wurde dicker und dicker, bis ich ihn beiseite wischen musste, um Pamela überhaupt noch zu sehen. Sie drückte noch einmal auf den Knopf, und die Wasserstrahlen hörten auf.
»Ich darf nicht vergessen, Joline zu sagen, dass sie morgen Abend nicht so viel Schaumbad benutzen soll«, sagte sie.
»Morgen abend?« Sollte ich jeden Abend solch ein Bad nehmen?
»Natürlich. Du musst die Poren deiner Haut jeden Tag reinigen und sie von Giften befreien. Diese Gels und Puder«, fuhr sie fort und deutete auf die Flaschen und Behälter, von denen Joline einige benutzt hatte, »sind mit äußerster Sorgfalt ausgewählt worden. Einer der besten Dermatologen des Landes berät mich in Fragen der Hautpflege. Du wirst nicht solche hässlichen Pickel bekommen wie andere Teenager«, schwor sie mit solcher Besessenheit, dass mir ganz anders wurde. »Nicht meine Tochter, nicht die Tochter von Pamela Thompson.«
Sie stieß einige der Schaumblasen beiseite und studierte mein Haar eingehend.
»Da ist noch viel zu tun«, meinte sie, als sie die Strähnen zwischen ihren Fingern testete. »Dein Haar fühlt sich an wie Stroh, dabei sollte es sich wie Seide anfühlen. Und dicker werden muss es auch. Ich werde dich jetzt einmal einshampoonieren.« Sie wählte ein Shampoo aus. »Wir werden einmal hiermit anfangen«, entschied sie. »Mach deine Haare nass.«
Ich rutschte nach unten, bis mein Kopf unter Wasser war, und tauchte dann wieder auf in ihre wartenden Hände. Sie goss Shampoo über mich und begann es einzumassieren. Ich spürte, wie ihre langen Fingernägel meine Kopfhaut kratzten. Ein paar Mal tat sie mir weh, aber ich beklagte mich nicht. Als sie fertig war, wies sie mich an, erneut unterzutauchen. Ich war überrascht, als ihre Hände auf meinen Kopf blieben und ihre Massage weiter fortsetzten, bis meine Lungen brannten. Keuchend kam ich wieder hoch.
Sie drehte die Handdusche an und spülte mich ab. Dann wählte sie eine Spülung aus. Sie arbeitete sie ein und erklärte mir, dass ich sie eine Weile einwirken lassen musste.
»Ich habe noch nie so viel Zeit damit verbracht, meine Haare zu waschen«, gestand ich. Es schien eine Menge Arbeit zu sein, und ich konnte mir nicht vorstellen, warum es so wichtig war, dass mein Haar sich wie Seide anfühlte statt wie Stroh, aber ich sagte nichts.
»Von jetzt an musst du das jeden Tag tun. Du solltest keinen Tag auslassen, selbst wenn du krank bist. Eine Schönheit wie unsere kann man nicht als selbstverständlich betrachten, Brooke. Hast du je von Antitoxinen gehört?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Toxine lassen dich altern, aber es gibt Antitoxine, die sie bekämpfen und uns davor bewahren, zu schnell alt zu werden. Ich habe vor, nie so alt auszusehen, wie ich bin, selbst wenn ich mit plastischer Chirurgie dagegen angehen muss. Ich weiß, was du denkst«, sagte sie, bevor ich auch nur einen Ton hervorgebracht hatte. »Du denkst, ich hätte bereits eine Schönheitsoperation hinter mir, nicht wahr?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Wie könnte ich denn sonst wie ein Teenager aussehen oder höchstens wie eine Frau Anfang Zwanzig?«
»Ich weiß nicht einmal genau, was plastische Chirurgie ist«, gestand ich.
Sie hörte mir überhaupt nicht zu. »Plastische Chirurgie ist die letzte Zuflucht«, dozierte sie. »Das ist etwas für Faule. Wenn du deine Diät einhältst, trainierst und die Haut ernährst, so wie du und ich es tun, gibt es keinen Grund, sich unters Messer zu legen.«
»Soll ich jetzt herauskommen?«, fragte ich. Ich wollte sie nicht unterbrechen, aber das Wasser wurde langsam kalt.
»Was?«
»Soll ich aus der Badewanne kommen?«
»Oh, als erstes müssen wir den Conditioner ausspülen«, sagte sie und griff wieder zur Handdusche. »Von jetzt an kannst du das alleine erledigen. Und wenn du zu müde bist, kann Joline dir helfen.«
»So weit ich mich erinnern kann, ist heute das erste Mal, das mir jemand die Haare wäscht«, sagte ich. »Als ich ein Baby war, haben sie es sicher auch getan.«
»Wenn es darum geht, sich verwöhnen zu lassen, besonders von Männern, bist du immer ein Baby. Lass sie nie im Leben glauben, sie hätten dich glücklich gemacht«, riet sie mir.
»Warum nicht?«
»Weil sie dann denken, sie hätten genug getan. Sie können niemals genug tun. Das ist unsere Devise. In Ordnung, komm heraus«, sagte sie, und ich stand auf.
»Wie ich mir gedacht habe. Du hast eine gute Figur, kein Gramm Babyspeck«, stellte sie fest. Sie ließ mich nackt dort stehen, ohne mir ein Handtuch zu reichen. »Allerdings bist du muskulöser, als ich erwartet hatte. Wir wollen doch nicht zu hart sein«, mahnte sie, als sie in meinen Oberschenkel kniff. »Männer mögen es, wenn Frauen sich wie Frauen anfühlen«, erklärte sie.
Endlich gab sie mir das Handtuch, das ich rasch um mich schlang. Während sie mich eingehend musterte, trocknete ich mich ab. Sie schaute auf meinen Kleiderstapel.
»Trägst du keinen BH?«, fragte sie.
»Nein.«
»Deine Brüste entwickeln sich. Es ist nie zu früh für eine Frau, sich Gedanken zu machen über Hängebusen«, erklärte sie. »Morgen kaufen wir dir als erstes noch mehr Unterwäsche. Setz dich an den Tisch, dann bürste und föhne ich dir die Haare.«
»Danke«, sagte ich und setzte mich, immer noch in das Badetuch eingewickelt, hin.
Sie schaltete den Föhn an und fuhr mit der Bürste durch mein Haar. »Es ist schön, jemanden zu haben, den man pflegen und weiterentwickeln kann. Es ist, als würde ich noch einmal von vorne anfangen. Natürlich könnte ich das nicht mit jeder. Ich brauche ein viel versprechendes junges Mädchen. Ich bin nur überrascht, wie breit deine Schultern sind«, murmelte sie. »Ich frage mich, wieso mir das nicht aufgefallen ist.«
»Meine Schultern?«
»Wie kommt es, dass sie so … männlich sind? Du machst doch nicht etwa solche Übungen mit Gewichten, oder?«
Ich schüttelte den Kopf. Was war denn verkehrt an kräftigen Schultern?
»Vermutlich ist das einfach so passiert. Sicher ändert sich das, wenn deine Hormone sich umstellen. Und wir können dabei etwas nachhelfen«, flüsterte sie mir ins Ohr.
»Wir können was?«
»Dafür sorgen, dass deine weiblichen Hormone wirksamer funktionieren. Ich habe da gewisse Pillen, Nahrungsergänzungsmittel, die mein Ernährungsberater mir besorgt hat. Ich werde dir alles darüber erzählen. Ach, es gibt so viel zu tun. Macht das nicht Spaß?«, fragte sie. »Merkst du, dass sich dein Haar viel besser anfühlt? Na los, fass es an«, forderte sie mich auf. Und ich tat es. Es fühlte sich tatsächlich weicher an. Ich nickte.
»Du wirst schneller, als du glaubst, eine Teilnehmerin«, prophezeite sie.
»Eine Teilnehmerin?«
»In einem Schönheitswettbewerb.« Sie lachte. »Vielleicht melde ich dich dieses Jahr schon bei Miss Teenage New York an. Ja, das mache ich«, entschied sie augenblicklich.
»Und du wirst gewinnen. Denk bloß, was sie sagen werden.« Sie trat zurück. Vor ihrem inneren Auge entstanden Schlagzeilen: »›Pamela Thompsons Tochter zur Miss Teenage New York gekürt‹ – wundervoll.«
Entgeistert starrte ich auf ihr Spiegelbild. In ihrer Fantasie stand sie immer noch auf der Bühne eines Schönheitswettbewerbes. Meine Blicke wanderten jedoch zur Toilette. »Was ist das?«, fragte ich.
»Was?« Sie schaute hin. »Oh, das ist ein Bidet. Weißt du nicht, was das ist?« Ich schüttelte den Kopf. »Du armes Ding. Damit hält man sich an seinen intimen Stellen sauber«, erklärte sie. »Du musst das auch jeden Tag tun. Frauen merken oft nicht, dass sie … riechen.«
Ich schaute es mit weit aufgerissenen Augen an.
»Es fühlt sich gut an«, sagte sie. Sie lachte. »Die Männer wollen, dass dies die gesündeste Stelle unseres Körpers ist, aber ich wette, darüber weißt du Bescheid, nicht wahr?«, fragte sie vorsichtig.
»Nein«, erwiderte ich, »nicht wirklich.«
»Nicht wirklich?« Sie starrte mich einen Augenblick an. »Du bist noch Jungfrau?«
»Hmhm«, sagte ich, überrascht, dass sie überhaupt fragte.
»Was für ein fantastischer Gedanke«, verkündete sie begeistert, »eine Jungfrau zu bleiben, bis man den ersten großen Wettbewerb gewinnt. Wundervoll. Du musst mir versprechen, dich nicht einfach irgendeinem Jungen hinzugeben, Brooke. Sex ist dein Schatz«, verriet sie mir. »Du musst ihn hüten wie der Drache, der den Haufen Gold in der Höhle bewacht, in Ordnung? Wir reden später noch weiter darüber. Dafür sind Mütter schließlich da. Und ich bin eine Mutter«, betonte sie und betrachtete sich dabei im Spiegelbild. »Wer würde denn auch nur für einen Augenblick glauben, dass ich alt genug dafür bin, deine Mutter zu sein?« Sie lachte und dann fiel ihr Blick wieder auf meine Kleidung.
»Das Zeug müssen wir loswerden. Es tut mir Leid, dass du es überhaupt hergebracht hast«, sagte sie.
»Was?«, fragte ich.
Sie hob mein T-Shirt und meine Jeans mit spitzen Fingern hoch, als seien sie verseucht.
»Igitt. Sie riechen immer noch nach diesem grässlichen Haus. Und Jeans an Mädchen kann ich sowieso nicht ausstehen.«
Sie öffnete eine Schublade und holte eine Schere heraus. Bevor ich protestieren konnte, stach sie die Schere in das Hinterteil meiner Jeans und schnitt tief hinein. Dann riss sie sie auseinander und schmiss sie zusammen mit meinem T-Shirt zu Boden.
»Lass das da liegen. Joline kann es in den Müll werfen«, sagte sie.
Dann wusch sie sich die Hände, als hätte sie mit verseuchtem Material hantiert, und lächelte, als sie mein schockiertes Gesicht sah.
»Es wird Zeit auszusuchen, was du zum Dinner trägst«, meinte sie. »Wir wollen doch schön aussehen, wenn wir gemeinsam den Raum betreten und Peter schaut hoch. Wir wollen, dass ihm die Luft wegbleibt. Von jetzt an wollen wir jedes Mal, wenn wir einen Raum betreten, das Publikum in Bann schlagen. Genau zu diesem Zweck sind wir auf der Erde«, verkündete sie mit einem entschiedenen Kopfnicken.
Bevor ich ihr aus dem Badezimmer folgte, ging ich zu meiner Jeans und nahm das Haarband heraus, das sie Gott sei Dank nicht zerschnitten hatte. Ich presste es fest in meine Hand, und als sie all meine neuen Kleider sichtete, schob ich es in eine Kommodenschublade. Ich hatte Angst, dass sie es auch wegschmeißen wollte.
»Nein, nein, nein, vielleicht, ja«, entschied sie und zupfte das blaue Kleid vom Bügel. »Probier das an«, sagte sie, reichte es mir und trat zurück.
Warum wollte sie es noch einmal an mir sehen? Sie hatte es im Geschäft doch schon an mir gesehen. Sie wusste, wie es mir stand.
»Findest du nicht, du solltest erst ein Höschen anziehen?«, fragte sie lächelnd, als ich das Badetuch fallen ließ und nach dem Kleid griff.
Ich nickte und ging zur Kommode. Nachdem ich das Höschen angezogen hatte, ließ ich das Kleid über meinen Kopf gleiten und zog es nach unten. Es saß ein wenig eng, hatte breite Träger und einen u-förmigen Ausschnitt. Als ich mich zu ihr umdrehte, schnitt sie eine Grimasse.
»Ich weiß nicht, wieso mir das nicht eher aufgefallen ist, aber deine Schultern und Arme sind so …«
»Was?«, fragte ich.
»Männlich«, wiederholte sie. »Ich muss mit meinem Arzt über dich reden. Es muss eine Möglichkeit geben, dass du weicher wirkst«, entschied sie. »Jetzt siehst du, warum Kleider wie Wesen sind.«
Ich schüttelte den Kopf.
»In unterschiedlicher Umgebung haben sie verschiedene Persönlichkeiten. Dort im Warenhaus in dem harten Licht sahen die Farben verwaschen aus, und die Kleidung wirkte in einer bestimmten Weise. Aber hier, in einer wärmeren Umgebung, in einem Schlafzimmer oder Esszimmer, sieht das ganz anders aus. Das hier hätte ich nicht gekauft«, meinte sie abschließend. »Von jetzt an werde ich die Kleidung für dich hierher bringen lassen, damit du sie anprobieren kannst.«
»Hierher bringen lassen? Du meinst in mein Zimmer?«
»Natürlich«, sagte sie. »Wir hatten es alle zu eilig. Aber«, sie lächelte schon wieder, »es ist ja nichts Schlimmes passiert. Wir kaufen noch ein paar. Das ist alles. Ich habe auch ein blaues Kleid. Wie erfahren bist du mit Make-up?«, fragte sie. »Ich benutze manchmal etwas Lippenstift«, sagte ich.
»Lippenstift?« Sie lachte. »Setz dich hin. Mach schon. Schnell. Ich muss mir auch noch die Haare stylen und mich schminken.«
Warum machten wir uns fürs Abendessen so fein? Kamen etwa noch mehr Leute? Fand eine Party statt?
Ich setzte mich hin, und sie trat hinter mich. Sie schaltete den Vergrößerungsspiegel an, und das Licht entfernte alle Schatten von meinem Gesicht. Dann presste sie ihre Handflächen gegen meine Wangen, drehte meinen Kopf hin und her und studierte mich eingehend.
Sie nickte. »Hier bei diesem Licht sehe ich, dass wir deine Nase ein wenig schmaler machen müssen. Ich möchte deine Augen betonen und deine Lippen ein klein wenig optisch verbreitern.«
Sie begann mich zu bearbeiten, als würde ich für einen Ball zurechtgemacht. Wie überrascht ich darüber war, ließ sich leicht von meinem Gesicht ablesen. Meine Gefühle konnte ich noch nie gut verbergen. Immer wenn ich etwas für dumm hielt, verzogen sich meine Mundwinkel zu einem verächtlichen Lächeln, das meine Gefühle preisgab. Eine meiner Lehrerinnen, Mrs. Carden, meinte einmal, meine Stirn sei wie eine Tafel, auf der meine Gedanken in leuchtend weißen Kreidebuchstaben erschienen.
»Denk daran, jedes Mal wenn du dieses Zimmer verlässt und besonders wenn du dieses Haus verlässt«, belehrte Pamela mich, »stehst du auf einer Bühne. Eine Frau, eine richtige Frau, spielt immer ihre Rolle. Jeder Mann, der dich anschaut, ist dein Publikum. Ob wir wollen oder nicht, wir sind attraktiv, und das bedeutet, die Blicke der Männer sind stets wie kleine Scheinwerfer auf unsere Gesichter und Körper gerichtet.
Und selbst wenn du seit Ewigkeiten verheiratet bist oder seit Monaten einen festen Freund hast, musst du ihn dennoch jedes Mal, wenn er dich anschaut, mit deiner Eleganz und Schönheit überraschen, verstehst du?«
»Warum?«, fragte ich.
»Warum?« Sie hörte auf zu arbeiten und stemmte die Hände in die Hüften.
»Warum? Zum einen, weil sie sich anderswo umschauen würden, wenn wir es nicht täten, und außerdem wollen wir doch immer im Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit stehen. Warte, warte ab, bis du dort draußen bist und an einem Wettbewerb teilnimmst«, fuhr sie fort und wandte sich wieder meinem Make-up zu. »Du wirst schon sehen. Es ist eine mörderische, gnadenlose Welt, in der es darum geht, die Zuneigung der Männer zu gewinnen. Jede Frau, ob sie es zugibt oder nicht, konkurriert mit jeder anderen Frau. Was glaubst du, wer mich zuerst anschaut, wenn ich ein Zimmer betrete? Die Männer? Nein. Ihre Frauen sehen mich und zittern.
Ich habe das Gefühl, dich gerade rechtzeitig gefunden zu haben. Du bist noch jung genug, um gute Gewohnheiten zu entwickeln. Press deine Lippen aufeinander. So. Jetzt lass dich einmal anschauen.«
Sie stand hinter mir und drehte meinen Kopf in Richtung Spiegel. Ihre Hände bewegten mich so, dass sie mich im Profil sah.
»Siehst du den Unterschied? Als Kind bist du hier hereingekommen, und jetzt siehst du aus wie eine junge Frau, und dazu werde ich dich machen.«
Ich starrte mich an. Mit Eye-Liner, Rouge und Lippenstift sah ich völlig verändert aus, aber ich war mir nicht sicher, ob es mir gefiel. Ich fühlte mich wie ein Clown. Ich hatte Angst, auch nur ein Wort zu sagen, und befürchtete, dass mein Gesicht meine Missbilligung preisgeben würde. Falls das der Fall war, fiel es ihr nicht auf, vielleicht weil sie es mit Make-up zugekleistert hatte.
»Glaub ja nicht, du musst viel Zeit in der Sonne verbringen, damit deine Haut diesen Ton annimmt, Brooke. Sonnenlicht hat verheerende Folgen. Diese grauenhaften ultravioletten Strahlen lassen uns altern. Mit diesem Make-up brauchen wir sie sowieso nicht. Nun gut, du siehst aus, als seist du bereit. Komm mit und unterhalte dich mit mir, während ich mich anziehe.«
Ich stand auf und ging hinter ihr her.
»Halt«, sagte sie mit einer barschen Stimme, wie ich sie noch nie zuvor gehört hatte. »Du hast doch wohl nicht vor, barfuß herumzulaufen, oder?« So wie sie barfuß sagte, klang es, als sei das eine schwere Sünde.
»Wie bitte? Oh«, sagte ich, als ich nach unten schaute.
»Zieh die Schuhe an, die zu dem Kleid passen«, befahl sie streng.
Ich ging zu dem Schrank und starrte die Dutzende von Paaren an, die sie mir gekauft hatte.
»Das zweite Paar von rechts«, fauchte sie ungeduldig. »Du hast noch so viel zu lernen. Gott sei Dank bin ich gekommen.«
Ich zog meine Schuhe an und folgte ihr. Dabei warf ich durch die Badezimmertür noch einen Blick auf meine zerrissenen Jeans und mein T-Shirt, die auf dem Boden lagen, wo sie sie hingeworfen hatte. Es war, wie einem alten Freund Lebewohl zu sagen. In meinem teuren Kleid, mit meinem gestylten Haar, meinem geschminkten Gesicht hatte ich das Gefühl, jemanden betrogen zu haben. Mich selbst?
»Nun komm schon«, drängte sie, als ich zögerte. »Peter ist schon unten. Natürlich müssen wir die Männer stets warten lassen. Das ist eine goldene Regel. Komme nie rechtzeitig, und sei nie, nie, nie zu früh. Je länger sie warten müssen, desto mehr steigert sich ihre Erwartung, und desto größer ist die Begeisterung in ihren Blicken«, erklärte sie. »Los jetzt. Ich brauche Zeit, um mich auch schön zu machen.«
Ich hastete hinter ihr her, und als sie die Türen zu ihrem Schlafzimmer öffnete, spürte ich, wie der Atem aus meinen Lungen entwich und mir die Luft wegblieb. Das war kein Schlafzimmer – das war ein eigenes Haus!
Ein länglicher, mit Teppichboden ausgelegter Absatz führte zu zwei Stufen. Zur Rechten befand sich ein möblierter Wohnraum mit einem Fernseher. Links war ein Schlafzimmer, das einer Königin würdig gewesen wäre. Es war rund und hatte einen Kamin aus weißem Marmor. Völlig verblüfft war ich darüber, dass auch das Bett, auf dem sich dicke, flauschige Kissen türmten, rund war. Die Decke darüber war mit Spiegeln bedeckt. Überall waren Spiegel. Vor Staunen riss ich den Mund auf.
Pamela sah, wie überrascht ich war, und lachte.
»Vielleicht verstehst du jetzt, was ich meinte, als ich sagte, dass wir stets auf einer Bühne stehen, stets unsere Rolle spielen, Brooke.« Sie schaute auf das Bett und dann zur Decke empor. »Weißt du, wie das ist?«, fragte sie mit leiserer Stimme, aber voller Leidenschaft.
Ich schüttelte den Kopf.
»Wie in unserem eigenen Film, und weißt du was?«
Ich wartete und traute mich nicht zu atmen.
»Wir sind immer die Stars«, antwortete sie und lachte.