Читать книгу Linus P. und ein Aufsatz mit Folgen - Verena K. Bauer - Страница 4
Schwimm-Kurs
ОглавлениеAn der Ampel wartete Helmina. Das traf sich gut, denn Linus hatte mit ihr etwas zu besprechen. „Hallo, Helmina.“ begrüsste er sie. „Tag, Linus.“ sagte sie. Die Ampel sprang auf Grün und sie gingen los. Dabei schlug Linus vor: „Sag mal, wie wär's, wenn wir einfach nicht hingehen würden? Wir könnten uns eine Menge Ärger ersparen.“„Zur Schule? Warum nicht? Allerdings könnten wir uns auch ein kleines bisschen Ärger einhandeln.“ fand Helmina. „Hmm.“ gab Linus zu. Aber Helmina fuhr fort: „Wenn man's genau betrachtet, steht auf der einen Seite viel Ärger und auf der anderen Seite viel Ärger und viel Spaß. Na also, wohin soll's denn gehen?“Linus zuckte mit den Achseln. „Am besten gehen wir in den Park, vielleicht ist der Löwe wieder da. Was machen wir mit den Schultaschen?“„Die werfen wir da in den Abfall.“„Gut“, stimmte Linus zu und sie machten sich auf den Weg. Leider war jedoch der Löwe nicht zu finden, obschon sie ihn in der ganzen Stadt suchten.
Linus hatte schon Angst, sie müssten doch noch zur Schule gehen, da rief Helmina plötzlich um Hilfe. Schnell wandte er sich um und sah gerade noch, wie sie in einem offenen Kanaleinstieg verschwand. Ohne nachzudenken sprang er ihr nach und fand sich auf einer Rutschbahn wieder, die ganz ähnlich war, wie der Ausgang beim Löwen. In einem Affentempo sausten sie in die Tiefe und Linus hatte bereits ziemlichen Ohrendruck vom Höhenunterschied. Doch da machte es „Platsch!“ und sie schwammen in lauwarmem Wasser. Erst zappelten sie wie verrückt, weil sie dachten, sie müssten ertrinken. Schließlich merkten sie, dass sie normal atmen konnten, wenngleich sie auch mit den Köpfen unter Wasser waren. Helmina versuchte zu reden und auch das klappte problemlos.
„Wo sind wir hier?“ fragte sie erschrocken und Linus antwortete: „Das würde ich auch gerne wissen. Da vorne ist es hell, komm wir schwimmen hin.“„Aber ich kann gar nicht schwimmen, Linus!“ rief Helmina ängstlich. „Das macht nichts. Schließlich schwimmt der Mensch ja, damit er nicht ertrinkt. Anscheinend ertrinken wir hier aber gar nicht, also kannst du auch auf dem Boden gehen, wenn du nicht schwimmen kannst.“Erstaunt sah ihn seine Freundin an und sagte: „Du hast recht. Ich verstehe gar nicht, wieso der Dämpfel sagt, du seist zu blöd, um dir den...“„Schon gut, ich weiß, was du meinst!“ unterbrach Linus und drängte weiter. Während Helmina auf dem glitschigen Boden dauernd stolperte, schwamm Linus unbeschwert voraus. Es wurde immer heller und sie merkten, dass sie sich in einem Felsen voller verzweigter Gänge befanden. Je näher sie ans Licht kamen, desto mehr Algen wuchsen an den Wänden. Plötzlich tauchte vor ihnen ein riesiger Schatten auf, um gleich wieder zu verschwinden. Zu Tode erschrocken pressten sie sich an die Röhrenwände und wagten lange nicht, den Kopf wieder zu heben. Aber schließlich wurde es ihnen doch zu bunt und sie machten sich wieder langsam auf den Weg. Bald darauf erreichten sie das Ende des Felsenganges. Im selben Augenblick kam irgendetwas Gigantisches, Schwarzes auf sie zu und schob sich genau vor den Ausgang. Ängstlich ließen sie sich auf den Boden sinken und warteten ab, was nun geschehen würde. Bewegung kam ins Wasser und sie spürten kleine Strudel an sich vorbeiziehen. „Was kann das sein?“ fragte Linus besorgt. „Keine Ahnung. Vielleicht ein riesiger Fisch. Aber doch nicht in unserer Kanalisation.“ überlegte Helmina. „Kann ich mir auch nicht vorstellen. Andererseits waren wir auch in dem Löwen und dann auf einmal nicht mehr.“ sagte Linus nachdenklich. „Stimmt. Möglicherweise befinden wir uns überhaupt nicht mehr in der Kanalisation. Oh, sie doch, es verschwindet wieder. Nun aber nichts wie raus, bevor wieder etwas kommt.“
Auffordernd zog sie Linus am Ärmel und drängte hinaus. Gleich darauf befanden sie sich im freien Fall. Jedenfalls Helmina erging es so. Linus konnte schwimmen und sich abbremsen. Aber als er sah, dass seine Freundin wie ein Sandsack zu Boden sank, tauchte er ihr schnellstens nach und hielt sie am Jackenkragen fest. So raste sie wenigstens nicht allzu schnell in den Untergang. Trotzdem landete sie ziemlich unsanft auf den großen Kieselsteinen, die den ganzen Grund bedeckten. Das machte ihr aber nicht viel aus, denn gleichzeitig erkannte sie, wo sie sich befanden. „Wir sind in einem Aquarium!“ schrie sie. Tatsächlich schwammen Fische in allen Farben um sie herum. Sie waren riesig und Linus flüsterte andächtig: „Wir müssen geschrumpft sein. Sieh dir diesen Neonfisch an, die die werden doch höchstens drei, vier Zentimeter gross. Aber der da ist mindestens so lang wie wir...“ So war es. Linus und Helmina waren winzig klein geworden. Und sie waren in Gefahr, denn die meisten Fische waren mindestens doppelt so gross wie sie... Unter einer buschigen Wasserpflanze, welche einigen Welsen als Versteck diente, krochen sie näher an die Glasscheibe heran. Das war ein sehr anstrengender Weg, denn die Steine am Boden waren sehr glitschig und ab und zu blieben den beiden Schulschwänzern die Schuhe im aufgeweichten Untergrund stecken. Dennoch schafften sie es irgendwann und nun spähten sie im Schutz einer Wurzel angestrengt aus dem Aquarium hinaus.
„Uiiih!“ rutschte es Linus heraus. „Wir sind in der Zoohandlung oben beim Bahnhof. Dort ist der alte Herr Ringtrampel, dem gehört der Laden.“ „Weißt du sonst noch etwas über dieses Aquarium, außer dass es beim Ringtrampel steht?“ erkundigte sich Helmina. „Hmm. Mal sehen. Ja natürlich! Der Alte ist sehr stolz auf so einen Buntbarsch, der soll uralt sein. Er ist fast dreißig Zentimeter lang!“ Ungläubig starrte ihn Helmina an. „Sag das noch einmal! Dreißig Zentimeter? Falls das keine Prahlerei ist, ist dieser Fisch im Moment fast zehn Mal so gross wie wir!“ „Oh, oh!“ Mehr konnte Linus im Augenblick nicht sagen. Aber das war auch gar nicht nötig, sie wusste beide, dass sie aufpassen mussten, wenn nicht im Magen des Riesenfisches landen wollten. Das war denn nun doch etwas anderes, als im Magen eines Löwen herumzuspazieren; zumal das ja freiwillig gewesen war. Doch nun verspürten sie keine große Lust, Lebendfutter zu werden. Vorsichtig sahen sie sich um. „Wir müssen hier raus, diese komischen Welse gucken uns so seltsam an.“ meinte Helmina ängstlich.
Also schlichen sie wieder unter dem Busch zurück und gingen tapfer auf den großen Steinbrocken zu, aus dem sie gekommen waren. Doch da sahen sie einen großen Schatten auf sich zukommen! Sie starrten erschrocken nach oben und entdeckten ein wahres Monster von einem Fisch. Es war der alte Buntbarsch, von dem Linus gesprochen hatte und auf den der alte Ringtrampel so stolz war. Trotz seines Alters schwamm der Kerl in einem Affentempo und sie konnten sich buchstäblich in letzter Sekunde unter eine Wurzel retten. Zitternd drückten sie sich in die hinterste Ecke und verscheuchten mit ihrem Gezappel zwei Welse, die über die Störung gar nicht erfreut schienen. Sie waren sich nicht gewohnt, mitten am helllichten Tag raus gejagt zu werden. Normalerweise wuselten sie nachts durch das Aquarium, wenn die meisten der anderen Fische schliefen. Ärgerlich warfen sie einen Blick zurück, bevor sie unter einem Stein verschwanden. Linus und Helmina war es ein bisschen peinlich, weil sie die armen Welse aus der verdienten Tagruhe gerissen hatten – aber als sie die Nase unter der Wurzel hervorstreckten, sagten sie sich, dass ihr Handeln gerechtfertigt war, denn der Barsch kurvte mit grimmiger Miene vor ihrem Versteck herum.
„Der wird sich doch jetzt nicht die ganze Zeit hier 'rumtreiben, oder?“ fragte Helmina besorgt. Linus zuckte mit den Achseln. „Weiß nicht. Vermutlich hat das Biest einen unverbesserlichen Jagdtrieb, damit müssen wir sogar rechnen. Wenigstens ist es kein Piranha!“ „Jedenfalls sieht er ziemlich gefrässig aus, finde ich.“ sagte Helmina. „Trotzdem, wir müssen versuchen, von hier abzuhauen. Ewig können wir nicht hier bleiben. Irgendwann müssen wir auch etwas essen und ich habe keine Lust auf Algen.“ Linus spähte wieder hinaus und stellte fest, dass der Räuber immer größere Kreise zog. Dabei starrte er aber immer wieder zu der Wurzel hinunter. Offenbar interessierten ihn die beiden Eindringlinge wirklich sehr. „Komm, Helmina, wir schleichen dort zu den großen Steinen hinüber, dann sind wir wieder näher bei dem großen Lochstein.“ beschloss Linus. „Na gut, aber denk dran, ich kann nicht schwimmen.“ „Dann musst du es halt lernen“, befahl Linus und zeigte ihr die Arm- und Beinbewegungen. Dann ging es los. Vom einen Versteck zum nächsten Unterschlupf und da der Barsch ihren Weg aufmerksam verfolgte, waren sie mindestens eine Stunde lang unterwegs, bis sie einsehen mussten, dass der rettende Felsen unerreichbar blieb. Der Fisch hatte ihren schönen Plan gründlich vermasselt! Linus und Helmina waren bereits ziemlich verzweifelt, vorallem weil der nächste sichere Ort viel zu weit weg war, um dorthin zu gehen und die ganze Strecke zurückschleichen mochten sie auch nicht. Helmina konnte immer noch nicht schwimmen und das verbesserte ihre Stimmung auch nicht. Aber da strahlte Linus plötzlich über das ganze Gesicht und deutete auf etwas grosses Grünes, das im Schatten einer Pflanze stand.
„Sieh doch mal, ein Wrack!“ rief er erleichtert. Das ist zu klein für den Riesenbarsch aber wir passen locker hinein.“ „Aber das ist wahnsinnig weit entfernt. Das schaffen wir nie. Der Kerl liegt doch ständig auf der Lauer und du hast ja gesehen, wie er flitzen kann.“ gab Helmina zu bedenken. „Ja, es ist weit. Aber wir müssen es einfach versuchen. Ich habe nämlich langsam genug von dieser Unterwasserwelt.“ antwortete Linus. „Was ist denn jetzt los?“ wunderte sich das Mädchen. Von allen Seiten zischten Fische an ihrem Versteck vorbei und sausten an die Wasseroberfläche. Angestrengt starrten sie hinauf und schließlich erkannten sie eine Hand, die etwas in Wasser warf. „Ringtrampel füttert die Fische, das ist los.“ meinte Linus. Und dann jubelte er: „Mann, jetzt ist der Riese abgelenkt! Na dann los.“
Er zog Helmina an der Hand aus dem Versteck hervor und sie rannten so schnell es ging auf das Wrack zu. Drei Viertel der Strecke hatten sie bereits geschafft, da wurde der Buntbarsch auf sie aufmerksam und schoss wie ein Torpedo auf sie zu. Helmina schrie auf und dann schwamm sie Linus nach, ohne sich noch einmal umzudrehen. Sie konnte den Fisch förmlich hinter sich spüren und gerade als er das Maul aufriss, war sie am rettenden Schiff angelangt und Linus half ihr hinein. Der Barsch rammte das Plastikwrack mit seinem gewaltigen Kopf, dass das Ding nur so wackelte, aber dann, nach einem letzten bösen Blick, schwamm er wieder an die Oberfläche, um wenigstens dort noch etwas Essbares zu erwischen. „Was jetzt?“ fragte Helmina erleichtert und Linus schmunzelte: „Sag mal, hast du eigentlich schon bemerkt, dass du geschwommen bist?“ „Wer, ich? Geschwommen? Wann? Du willst mich wohl auf den Arm nehmen!“ rief sie verwirrt. „Ja, wie bist du dann hergekommen, kannst du mir das mal sagen?“ Linus grinste jetzt breit. Helmina dachte scharf nach und schließlich meinte sie: „Wahrhaftig, jetzt fällts mir wieder ein. Ich bin richtig geschwommen. Juhuu, ich kann schwimmen! Stell dir vor, Linus, nun habe ich sogar einen Grund, dem Buntbarsch dankbar zu sein...“ Der Junge schüttelte den Kopf und sagte: „Wenn du dich persönlich bei ihm bedanken willst, dann tu das. Ich warte solange hier...“ „Ach du! Nein, ich habe die Nase voll von diesem feuchten Klima. Lass uns einen Ausgang suchen.“