Читать книгу Marinesekt - Victor Laverrenz - Страница 5

Marinesekt.

Оглавление

Motto: Der Wein erfreut des

Menschen Herz.

Gleim, Trinklied.

Im Hafen von Sidney lag damals der deutsche Kreuzer „Friederike“ vor Anker, an einer Boje vertaut, welche ungefähr 500 Meter vom Lande entfernt war, denn Sidney hat einen schönen, großen Hafen, der den deutschen Seeleuten schon deshalb sympathisch ist, weil er eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Kieler hat; an Räumlichkeit ist er demselben freilich bedeutend überlegen.

Die „Friederike“ ist einer von jenen Auslandskreuzern, welche einen eigenen Typ in der Schiffbaukunst repräsentieren; sie ist als Schonerbark getakelt, das heißt, sie hat drei Masten, von denen nur der Fockmast mit Raaen versehen ist, und jenen weißen Tropenanstrich, der einem Schiff sozusagen ein festliches Aussehen verleiht. Wie elegant wölben sich trotz aller Rücksicht auf Tüchtigkeit im modernen Feuergefecht, ihre Linien, und wie sauber hebt sich der rote Strich der Wasserlinie von dem weißen Schiffskörper ab, die feine Zeichnung verratend, welche der schlanke Bau des Kreuzers aufweist.

Es war ein schöner, sonniger Nachmittag, als ein großer englischer Panzer in den Hafen von Sidney einlief, eines jener Hochseepanzerschiffe, welche die Engländer in aller Welt zum Besuche ihrer Kolonien umherschicken. Der Name des englischen Fahrzeugs war natürlich „Triumph“. Natürlich ist nämlich bei den Engländern das sehr stark ausgeprägte Selbstbewusstsein, das man Arroganz zu nennen versucht sein würde, wenn man sich nicht als deutscher Schriftsteller der Vermeidung von Fremdwörtern befleißigen müsste. Schiffsnamen wie „Triumph“, „Fürchtenichts“ (Dreadnought), „Sieg“, „Der Unbesiegbare“, „Der Unbezwingbare“, „Der Donnerer“, „Der Zerstörer“ sind bei ihnen gang und gäbe.

Der „Triumph“ war den Mannschaften der „Friederike“ wohlbekannt, denn man hatte sich schon öfter in den ostasiatischen und australischen Gewässern getroffen und begrüßte sich nun durch ein dreimaliges Hurra, welches von den in die Wanten geenterten Mannschaften ausgebracht wurde, sowie durch das Spielen der beiderseitigen Nationalhymnen. Die Engländer bliesen „Heil dir im Siegerkranz“, und die Deutschen antworteten sofort mit „God save the Queen“ oder, wie es jetzt längst heißt, „the King“.

So war zunächst den freundschaftlichen Gefühlen beiderseits Luft gemacht, und man wartete nun, bis der „Triumph“ zu Anker gegangen, um den weiteren Anforderungen der internationalen Etikette zwischen den beiden Marinen gerecht zu werden.

Gegen 2 Uhr hatte der Panzer festgemacht, und Korvettenkapitän von Sparwitz, der Kommandant der „Friederike“, beeilte sich, den englischen Kollegen in Sidney zu bewillkommnen. Er beorderte dazu den äußerst patenten, für solche Zwecke wie geschaffenen, hochfeinen Leutnant zur See Lackner, der in der Gig des Kapitäns einen Besuch an Bord des „Triumph“ machen und den Kommandanten des Panzers namens seines Kapitäns begrüßen sollte.

Das war ein Auftrag für Lackner! Seit einer halben Stunde hatte er sich in seiner Kabine eingeschlossen und bearbeitete mit Hilfe des für diese Zwecke sorgfältig dressierten Burschen seinen Körper, um sein Äußeres Ich in einer der deutschen Marine würdigen Weise in Stand zu setzen. Er war sich der politischen Wichtigkeit seiner internationalen Mission völlig bewusst und felsenfest überzeugt, dass die Augen des gesamten Deutschen Reiches augenblicklich an seinen Lippen hingen, um zu beobachten, ob er der fremden, aber befreundeten Nation gegenüber die Kaiserlich deutsche Flotte und somit sein ganzes Vaterland würdig vertrete. Er fühlte ordentlich, wie Se. Majestät der Kaiser sein Auge prüfend auf ihn richte, und es kam ihm vor, als hörte er den obersten Kriegsherrn sagen: „Lackner, ich bin fest davon überzeugt, Sie werden Mir und Meiner Marine Ehre machen.“

Ja, er wollte es! Und darum musste in erster Linie mit einer Sorgfalt Toilette gemacht werden, welche die denkbar höchsten Anforderungen in jeder Beziehung befriedigte. Leutnant Lackner wusch sich zunächst — man verzeihe mir diese intimen Details — von oben bis unten.

Es folgte nun die Auftakelung des Offiziers, indem zunächst die Leinwand gesetzt wurde. Ein ganz neues Paradehemd wurde herbeigefiert und aufgeheißt.

Dann kam die neueste Garnitur Hosen mit gestickten, noch nicht gebrauchten Hosenträgern, und nun ging es an die nachdrückliche Bearbeitung des Kopfes. Nachdem die Zähne mit Kalodont einer gehörigen Reinigung unterzogen, wurden sie zunächst mit Odol, dann mit klarem Wasser nachgespült. Windich, der Bursche, hatte alle Hände voll zu tun, die erforderlichen Utensilien zuzureichen, sowie die gebrauchten Töpfe, Bürsten, Kruken, Tuben, Büchsen, Flaschen, Pinsel, Gläser usw. abzunehmen und wegzustellen.


Nussextrakt (von Schwarzlose) diente dazu, dem durch das Seewasser etwas ausgesogenen Schnurrbart eine wohltuende dunkelbraune Farbe zu geben; darauf kam die Brennschere an die Reihe, welche den Barthaaren jenen feinen Schwung verlieh, der am deutschen Offizier so sehr imponiert, sodann wurde die Schnurrbartbinde über das ganze Haargebäude gelegt. Es war dies eins der schwierigsten Toilettenkunststücke, welche Lackner auszuführen hatte, und fünfmal musste er die sauber gearbeitete Gazebinde neu legen, ehe jedes Haar darunter auch wirklich den gewünschten Sitz hatte.

Nachdem der Schnurrbart so weit gediehen war, kam das Kopfhaar an die Reihe, welches zunächst mit Eau de Quinine eingesalbt und dann sorgfältig abgetrocknet wurde. Der Scheitel, der genau von der ideal halbierten Stirn nach der hinteren Naht des Rockkragens ging, wurde mit Creme festgelegt, das Haar nach beiden Seiten, vertikal zum Scheitel, weggekämmt, gebürstet und über den Ohren zu kühnen Leesegeln gewölbt.

Der Leutnant ging nun an das Einlegen der weißen Wäsche, welche ebenfalls tadellos und unglaublich steif gestärkt war. Der Wäschevorrat Lackners war so groß, dass er gar nicht in der freilich etwas beschränkten Kabine hätte untergebracht werden können, und der „feine Anton“ hatte deshalb den Zahlmeister gebeten, ihm einen Teil seiner Garderoben- und Wäschestücke aufzubewahren.

Nun folgten Rock, Säbel, Schärpe und Dreimaster, dann konnte die Schnurrbartbinde abgenommen und als letzte Krönung ein Paar weiße Handschuhe, von denen Leutnant Lackner heute zur Feier des Tages das letzte Dutzend angebrochen hatte, aufgestreift werden.

Als sich der Offizier im Spiegel, besah — Windich musste einen zweiten Spiegel im Rücken des Beschauers halten, damit er auch die Achterseite einer Kontrolle unterziehen konnte —, überzeugte sich Lackner, dass der selige Adonis von den ollen Jriechen ein wahrer Waisenknabe gegen ihn gewesen sein müsse. Nun konnte der Leutnant getrost an Deck gehen und die Gig besteigen; die für das Boot kommandierten Matrosen, welche am Fallreep des Vorgesetzten harrten, waren schon ganz dösig geworden von der langen Warterei.

Das Bild, welches Leutnant Lackner nun aber auch dem Hafen von Sidney bot, war ein großartiges. Die Lackstiefel stritten sich mit den Hosen um die Schneidigkeit des Sitzes, und der Rock warf nicht eine einzige Falte mit Ausnahme an der Innenseite der Ärmel, wo sich an jeder Seite die drei vorschriftsmäßig gestatteten Falten bildeten. Die neuen Handschuhe saßen tadellos, und der Paradesäbel, den der Leutnant gelegentlich eines Kommandos an Bord der Kaiserlichen Jacht „Hohenzollern“ erhalten hatte, strahlte in seinem vollen Glanze.

In wenigen Minuten war die Gig längseit des Panzers, und die Eleganz, mit der Lackner sich erhob und die Fallreepstreppe erklomm, suchte auf der ganzen Welt, soweit sie von Kriegsschiffen aller Nationen befahren wurde, ihresgleichen. Er betrat mit seinen feinen deutschen Lackstiefeln, die aber leider aus französischem Chevreaux gearbeitet waren, das Deck des englischen Schiffes — jeder Zoll ein Kavalier, jeder Schritt Eleganz, jede Bewegung Schick.

Kapitän Macintyre, der Kommandant des „Triumph“, ein alter Seebär, wie man sie in der englischen Marine so häufig findet, war ein jovialer Herr, eine sogenannte gemütliche Haut, die nicht viele Faxen machte und immer gleich auf den Kern der Sache einging. Feine Phrasen zu gebrauchen, war nicht seine Art, und auch hinsichtlich seines Anzuges war er das absolute Gegenteil des wie aus dem Ei gepellten deutschen Leutnants.

Dieser hatte ihm mit seinem elegantesten Honneur, die Rechte mit dem neuen Handschuh am Dreimaster und den Säbel in der Linken, die Meldung gemacht, dass S. M. S. „Friederike“ seit soundsolange im Hafen von Sidney liege, soundsoviel Besatzung habe, von da und daher gekommen sei und dann und dann dort und dorthin zu gehen gedenke, und dass der Kommandant des deutschen Kreuzers Korvettenkapitän von Sparwitz sei.

Macintyre freute sich sehr über den Bericht, namentlich über die Nennung des Korvettenkapitäns von Sparwitz, den er in seiner kordialen Weise als „dear friend“ und „old boy“ bezeichnete. Er forderte den Leutnant auf, seinen lieben Kriegskameraden zu grüßen und ihm zu melden, dass er den Gegenbesuch an Bord des deutschen Schiffes persönlich machen werde, um dem alten Jungen die Hand zu drücken. Auf die übliche Frage des Leutnants Lackner, ob man mit irgendetwas, Proviant, Kohlen, Wasser oder dergleichen gefällig sein könne, erwiderte der Engländer, wie das ebenso üblich war und nicht anders erwartet wurde, dass er mit allem versehen, und so konnte der deutsche Offizier sich empfehlen, nachdem der Seebär ihm noch kordial die Vorderflosse geschüttelt.

Lackner begab sich an Bord der „Friederike“ zurück und erstattete seinem Kommandanten Bericht über den Erfolg seiner Sendung.

Sparwitz war sehr angenehm davon berührt, in Kapitän Macintyre einen alten Bekannten wiedergefunden zu haben, denn draußen. in der Welt freut man sich über jedes Gesicht, das man schon einmal gesehen hat, noch dazu in Australien, welches beinahe zu unsern Antipoden gehört. Er beeilte sich daher, für den angekündigten Besuch des englischen Kameraden eine kleine Vorbereitung zu treffen, denn er wollte das wiedersehen durch eine größere Feierlichkeit weihen, und zwar durch das Spendieren — einer Flasche Sekt.

Sparwitz war nämlich trotz aller seiner sonstigen menschlichen und nautischen guten Eigenschaften ein Mann, den man, wenn er ein gewöhnlicher Mensch gewesen wäre, mit dem Namen „oller Knickstiebel“ belegt haben würde. Er war von einer geradezu ungeheuerlichen Sparsamkeit, und wenn er sich heute dazu entschloss, eine Pulle Sekt zu schmeißen, so war dies schon ein Zeichen, dass ihm die Freundschaft des Mr. Macintyre ganz besonders ans Herz gewachsen war.

Kapitän von Sparwitz ging sofort ans Werk, um den würdigen Willkommentrunk höchst persönlich vorzubereiten. Er rief sich zunächst seinen Steward Döse, einen alten Matrosen, der früher bei ihm Bursche gewesen und den er sich als Steward hatte kommandieren lassen, da er aus Sparsamkeitsrücksichten sich keinen Zivilsteward hielt, und stieg mit diesem eigenbeinig in die unter seiner Kajüte belegene Weinlast, um die Vorräte zu mustern.

„O weh!“ Sie waren fürchterlich zusammengeschmolzen und befanden sich in einem sehr traurigen Zustande. Da die Reise der „Friederike“ auf zwei Jahre projektiert war, so hatte sich Herr von Sparwitz mit 24 Flaschen Sekt vorgesehen, indem er rechnete, dass er durchschnittlich jeden Monat eine gebrauchen wurde. Aber das Leben auf dem Achterdeck ist teuer, und man hat als Kommandant eines deutschen Kriegsschiffes allerlei repräsentative Rücksichten zu nehmen.

So war es gekommen, dass der sparsame Kapitän viel mehr gebraucht hatte als monatlich eine Flasche, und der Sektvorrat beschränkte sich lediglich auf zwei Flaschen.


Es half alles nichts, der Kapitän musste schon einmal in den sauren Apfel beißen und eine davon opfern.

Es war die vorletzte. Von Sparwitz betrachtete sie etwas wehmütig; er nahm sie höchst persönlich in die Hand, da er sie Döse, der etwas ungeschickt war, nicht anvertrauen mochte. Mit großer Vorsicht trug er sie nach oben in seine Kajüte, wo er sie mitten auf den länglich runden Mahagonitisch setzte und sie wie einen Augapfel hütete.

Aber es ist warm in Sidney, und der Wein liegt, wenn man kein Eis hat, in der Weinlast ziemlich mollig. Champagner jedoch muss kühl serviert werden, und es handelte sich daher um die große Frage: „Wie verschafft man sich auf die billigste Weise eine kalte Flasche?“ An Land schicken, um Eis zu holen, das war viel zu kostspielig; man denke, Eis in Sidney, das kostet ja mehr als der Sekt selber. Doch halt, der Oberstabsarzt. hat ja eine Eiskiste, deren Inhalt allerdings für Kranke bestimmt war. Aber wenn der Kapitän den Oberstabsarzt „bat“, dann musste dieser schon etwas herausrücken.

Gedacht, getan. Döse wurde hingeschickt, kam aber bald mit dem Bescheid zurück, dass seit lange alles Eis, welches vorhanden gewesen, geschmolzen sei. Nun war guter Rat teuer. Sparwitz sann und sann. Er betrachtete alles der Länge und Breite nach, ob es sich zum Kühlen eignete. Nichts wollte sich finden.

Halt, eine Idee! Wozu lag man aus dem Wasser? Das Wasser ist, so viel wusste er noch aus der Physikstunde, ein schlechter Wärmeleiter, das heißt, es hält sich lange kühl, und so wäre es das einfachste, die Flasche ins Wasser zu hängen.

Bon! Döse muss ein Schymannsgarn besorgen, und als sich der Steward entfernt hat, steckt der Herr Kommandant höchstselbst die Flasche an und lässt sie durch das Bullauge an der Backbordseite ins Wasser. Dann nimmt er sich etwas zu lesen vor und wartet die Zeit ab, bis Kapitän Macintyre an Bord kommt.

Ha! Das Garn bewegt sich! Dort müssen sich unberufene Hände zu schaffen machen. Wild springt er auf nach dem Fenster und schaut hinab; aber friedlich hängt das Tau ins Wasser, und nur sanft spielen die leise plätschernden Wellen mit der Champagnerflasche. Noch zweimal springt der Korvettenkapitän misstrauisch auf, aber zweimal überzeugt er sich, dass sein Verdacht grundlos war, und beruhigt ergibt er sich der Lektüre.

Inzwischen hat der Obermatrose Zinkweiß, der „Oberponze“ der Außenbordsreiniger, der sich auf Deck in seinem Takelpäckchen umhertreibt, erfahren, dass gegen Abend der Besuch des englischen Kapitäns zu erwarten sei, und es fällt ihm daher schwer auf die Seele, dass er heut Morgen einen großen braunen Fleck, der gerade auf dem roten Strich der Wasserlinie saß und über sowohl wie unter dieselbe hinausragte, zwar bemerkt, aber nicht beseitigt habe.

Er weiß, wie kritisch das Auge fremder Offiziere auf so einem Schiff ruht, und wie peinlich die eigenen Vorgesetzten darauf achten, dass alles auf das sauberste in Ordnung sei. Er beschließt daher, sich lieber der Mühe zu unterziehen, den Fleck wegzubringen, ehe er sich der Möglichkeit aussetzt, ein paar Strafwachen oder gar Bordarrest dafür aufgehalst zu bekommen. Wohl oder übel steigt er in seinen Scheuerprahm, der ebenso dreckig und fettig aussieht wie er selbst, und fiert denselben an Backbord nach hinten; Es achtet weiter keiner auf ihn als sein guter Freund Upzieher, der augenblicklich als Signalgast auf der Kommandobrücke steht. Es ist ja zwar nichts Unrechtes oder Verbotenes, was Zinkweiß tut, aber es braucht gerade auch keiner zu sehen, dass er jetzt, am späten Nachmittag, noch einmal anfängt, Außenbord zu reinigen.

Doch was ist das? Da hängt ein Schymannsgarn hernieder, denkt Friedrich August Gottlieb Zinkweiß, und fasst mit seinen schmierigen Händen vorsichtig nach dem Ende. Instinktiv vermeidet er jedes Geräusch und jede hastige Bewegung, denn er nimmt an, der Steward hat das Garn ausgehängt.

Siehe da! Eine Flasche Champagner! Das ist ein Gut, welches ihm der olle Meergott Ägir selbst in die Hand spielt, und mit seligen Gefühlen betrachtet er die willkommene Beute. Sein Gewissen regt sich nicht; denn dem Steward etwas wegzunehmen, das ist eine gute Tat, von der jeder echte Matrose hofft, dass sie ihm einst in der Seligkeit hoch angerechnet werde.

Aber stehlen will Zinkweiß nicht; dazu ist er zu ehrlich. Er will nur tauschen. Und er nimmt eine alte Weinflasche, die als Tranpulle zum Schmieren des Kupferbodens benutzt worden war, füllt sie mit Seewasser und eskamotiert sie glücklich an Stelle der Sektquelle, die er als gute Prise unter die Schmierlappen verstaut. Nun schnell den Fleck beseitigt und dann hinauf an Deck, die Beute in Sicherheit zu bringen. Er erklimmt den Bord des Schiffes und bugsiert die seltene Gabe des Zufalls unbemerkt in die Geschirrkammer, welche sich auf Deck im Bug des Schiffes befindet.

Da sich nun Zinkweiß wieder von Upzieher beobachtet fühlt, so beschließt er, mit diesem die Beute zu teilen, um einem etwaigen Verrat vorzubeugen. Er setzt sich daher, so schwer es unter den augenblicklichen Umständen geht, mit ihm in Verbindung und ladet ihn ein, während der Abendbrotszeit in die Geschirrkammer zu kommen; er habe einen famosen Tropfen besorgt. Upzieher solle aber das Maul halten.

Selbstverständlich geht der Signalmaat bereitwilligst auf diesen sehr plausiblen Vorschlag ein und verspricht absolute Verschwiegenheit.

So ist es fünf Uhr geworden. Korvettenkapitän von Sparwitz ist an Deck gekommen, um den englischen Kameraden gleich dort oben zu empfangen. Er braucht nicht lange zu warten, da naht schon das Boot des Panzerschiffes und macht längsseit fest.

Kapitän Macintyre klettert mit seinen etwas breitgehaltenen Seebeinen zum Fallreep empor. „How are You, Capitain Sparwitz, how do You do, dear old friend“, ruft er kordial, und die Begrüßung fällt stürmischer aus, als man von einem phlegmatischen Engländer hätte erwarten sollen. Britische Seeleute sind jedoch kräftigen Getränken nicht abhold, und Mr. Macintyre hatte bereits eine ziemliche Ladung von drinks in seinem Raum verstaut.

„Thank You“, erwiderte von Sparwitz, „very well“ Bald ist das Gespräch, welches in englischer Sprache geführt wird, im Gang. Engländer sprechen grundsätzlich nichts anderes, schon um ihr Übergewicht auf der See zu dokumentieren. Macintyre prüft schnellen Blickes die Bauart des neuen Schiffes, welches einen ihm noch unbekannten Typ repräsentiert, und spricht dem deutschen Seemann seine Anerkennung aus, wie etwa der Lehrer einen Schüler für eine gute Schularbeit loben würde. Die Engländer haben seit langer Zeit Furcht vor der deutschen Marine, die sich allerdings überraschend schnell und großartig entwickelt hat. Aber so sehr auch britannische Zeitungen über das Anwachsen von Deutschlands Seemacht zetern, der englische Flottenoffizier lässt sich nichts merken und behandelt den Deutschen gern ein wenig — sagen wir mal — selbstbewusst.


Jetzt ladet Sparwitz den Kameraden ein, mit in seine Kajüte zu kommen zu einem Gläschen Sekt. Das ist etwas für den englischen Seebären! Über sein kupferfarbiges Gesicht fliegt eine freudige Röte, so dass es strahlt wie die untergehende Sonne am Tropenhimmel, und bereitwilligst folgt er dem old boy hinab in den achteren Teil des Batteriedecks.

Dort angekommen, beginnt Herr von Sparwitz nun zunächst mit der feierlichen Einholung des Champagners, denn er ist nicht wenig stolz auf seine neue Erfindung, die er sich am liebsten in allen Kulturstaaten der Welt patentieren lassen möchte.

Besonders dem Engländer möchte er gern imponieren und macht ihn jetzt darauf aufmerksam, dass dies das Allerneueste auf dem Gebiet des Kaltstellens sei. Er habe einfach den Hafen von Sidney als Champagnerkühler benutzt und werde nunmehr seinem alten Freunde einen echten Marinesekt vorsetzen.

Macintyre ist aber Skeptiker. Er ulkt seinen Freund ein bisschen an, sagt, dass er über dergleichen Erfindungen seine besonderen Gedanken und mit dem Außenbordshängen schon die merkwürdigsten Erfahrungen gemacht habe. Auch sei es nicht unmöglich, dass ein Hai so ein Ding wegschnappt; diese Biester hätten oft die merkwürdigsten Gegenstände im Magen.

Mit innerer Genugtuung zieht Sparwitz seine Flasche empor. Als er sie jedoch hereinholen will, entfärbt sich sein Antlitz; denn statt der erwarteten Champagnerflasche findet er eine schmierige Tranpulle, deren Inhalt sich bei der sofort vorgenommenen Prüfung als Seewasser erweist.

Nachdem der Korvettenkapitän sich von seinem Schrecken erholt — es dauerte ziemlich lange, denn er dachte mit Entsetzen daran, dass er jetzt nur noch eine Flasche hat, die er ja opfern muss —, schickte er sogleich den vor seiner Tür stehenden Posten zum wachhabenden Offizier mit der Weisung, ohne Zeitverlust den unerhörten Fall des Champagnerdiebstahls auf das eingehendste zu untersuchen. Der Gast hat aber eine ganz andere Ansicht von der Sache. Er lacht aus vollem Halse und sagt dann ruhig: „Ich dachte mir‘s ja, dass es hier Haifische gibt.“ — Sparwitz muss aber Ersatz schaffen.

Nicht sehr vertrauensvoll wendet er sich an Döse, er solle ihm eine andere Flasche holen. „Nimm dich aber in acht“, ruft er warnend dem Ungeschickten nach, „dass du die Flasche nicht hinwirfst; es ist die letzte!“ Macintyre versteht kein Wort Deutsch, und der Korvettenkapitän braucht sich daher in diesem Punkte nicht zu genieren.

Döse verschwindet mit Besorgnis, denn der Auftrag ist sehr heikel. So vorsichtig wie möglich klettert er nach der Weinlast hinunter, zagenden Herzens ergreift er die letzte Flasche, den ganzen Champagnerreichtum seines Herrn, und klettert wieder nach oben. Behutsam öffnet er die Tür zur Kajüte des Kommandanten; da blickt ihn dieser kummervoll und etwas düster an. Döse, der ohnehin schon das Zittern in allen Gliedern hat, da er weiß, wie ungeheuer viel darauf ankommt, dass diese letzte Flasche richtig an den Ort ihrer Bestimmung gelangt, wird jetzt ganz ängstlich. Er gerät durch den Blick seines Herrn in Unsicherheit und Verwirrung, zumal er zu bemerken glaubt, dass das nichtswürdig glatte Ding ihm aus den Fingern zu rutschen beginnt. Kalter Schweiß tritt auf seine Stirn; er will mit der andern Hand zufassen, kommt aber dadurch beinahe selbst zu Fall; und jetzt entgleitet die verwünschte Flasche tatsächlich seinen Händen, fällt die Treppe hinunter und zerschellt unten mit einem lauten Knall.

Die Wirkung auf die drei Augenzeugen ist eine sehr verschiedene. Döse ist wie vom Donner gerührt; er zittert am ganzen Leibe und wünschte am liebsten, das Schiff ginge möglichst schnell unter. Sparwitz ist bleich geworden wie der Anstrich seines Kreuzers; alles Blut dringt ihm zu Herzen, denn die letzte ist dahin, und — es hat nicht einmal jemand etwas davon gehabt. Macintyre aber will sich ausschütten vor Lachen, dass der arme old boy nun schon um die zweite Pulle gekommen ist. Er wusste nicht, wie sehr dieses Lachen seinem Freunde in die Seele schnitt, denn er hatte keine Ahnung davon, dass Sparwitz ein so fürchterlicher Knauser war.

Nachdem der erste Schmerz verwunden, folgte eine Standpauke an Döse, welche mit Rücksicht auf den Gast nicht sehr laut geführt wurde, die jedoch in dem Ausspruch gipfelte, der Kapitän werde dem Steward den Betrag für die zertrümmerte Flasche nebst Inhalt abziehen.

Es musste auf Ersatz gedacht werden. Der Engländer war einmal zu einer Flasche Sekt eingeladen, ergo musste er auch eine bekommen. Ein einziger Ausweg war vorhanden: Sekt aus der Offiziersmesse. Aber mit Schrecken dachte Sparwitz daran, diesen Weg zu gehen, denn die Seepreise sind nicht die gelindesten, und je weiter man sich von Deutschland entfernt, desto höher schwellen sie an. Doch zu seiner Beruhigung fällt ihm ein, dass die Offiziere ja auch billigen Sekt haben, sogenannten Bowlensekt, die Flasche zu 1,50 Mark. Das mochte zwar eine nette Nummer sein, aber Sparwitz wollte sich jetzt unter keiner Bedingung in Unkosten stürzen; war ihm der Besuch doch sowieso schon teuer genug zu stehen gekommen.

Er gibt also Döse den Auftrag, aus der Offiziersmesse eine Flasche Seht zu holen, und zwar vom billigsten. Gleichzeitig stellt er ihm in Aussicht, dass er das nächste Mal, wenn er wieder eine solche Dummheit mache, ihm beide Ohren abschneiden würde.

Döse geht und erscheint nach einiger Zeit mit einer Flasche Champagner, über welche Macintyre nun herfällt wie ein Raubtier, das drei Tage gehungert hat. Er lobt das Getränke aus dem Sattel heraus, und auch Sparwitz wundert sich im Stillen, dass der billigste Sekt der Offiziere so brillant schmecke. Er nimmt sich vor, sich sogleich nachher bei dem Messevorstand zu erkundigen, woher dieser seinen Sekt beziehe, denn er will die gute Quelle natürlich sich und seinem Portemonnaie zunutze machen.

Man kommt in eine lebhafte Unterhaltung, und die erste Pulle ist bald aufgebraucht. Macintyre denkt aber nicht an Weggehen. Im Gegenteil, er gibt so oft und so laut seiner Freude über das Wiedersehen Ausdruck, dass Sparwitz nicht umhin kann, schweren Herzens noch eine Flasche anfahren zu lassen. Er tröstet sich mit dem Gedanken, dass 1 Mark 50 ja ein geringer Preis und namentlich für einen so vorzüglichen Sekt außerordentlich niedrig sei. Aber der Appetit kommt beim Essen, das Raubtier hat Blut geleckt, und der § 11 tritt in Kraft: Es wird fortgesoffen. Macintyre kommt immer mehr in Laune, und die Stimmung wird von Minute zu Minute animierter.

Döse ist schon wiederholt nach der Offiziersmesse gegangen, und der dortige Steward wundert sich über die ganz absonderliche Freigebigkeit des Kommandanten, nachdem er auf seine Frage, wieviel Personen denn bei dem Kapitän zu Gaste seien, die Antwort erhalten, eine. —

Zinkweiß beschäftigt sich unterdessen in seiner Geschirrkammer liebevoll mit der Champagnerflasche. Leider hat er keine Ahnung, wie vorsichtig mit solch einem Feuergeist umgegangen werden muss. Wonnebebend petert er daran herum, denn so viel weiß er, dass dies etwas unendlich Feines ist; so etwas trinken nur die Offiziere, und auch diese nur bei besonderen Gelegenheiten. Auf einmal, „Bautz!“, gibt es einen Knall; es fliegt ihm etwas mit Heftigkeit an die Nase, auf der Hand fühlt er etwas nasses, und erschreckt über den gänzlich unerwarteten Angriff lässt er die Flasche zu Boden fallen. Zum Glück stürmt gerade in diesem Augenblick Upzieher, der Signalgast, herein, sieht das Malheur, greift schnell entschlossen nach der Flasche und trinkt die paar Schluck, die sich noch darin vorfinden, aus. Die ganze Herrlichkeit ist vorbei, und der arme Zinkweiß hat für alle seine Bemühungen auch nicht einen einzigen Tropfen abbekommen.

Nun gilt es aber schnell, die leere Pulle zu beseitigen, damit sie nicht zum Verräter werde; denn schon stöbert der Wachtmeister Schleicher das ganze Zwischendeck ab. Ein kühner Wurf, und die vielumstrittene Flasche fliegt mit lautem Plumps ins Wasser.

Der Posten auf der Back hat es gehört; er wendet seinen Kopf dorthin und sieht das Ding in den Fluten treiben. Da schon das ganze Schiff um die Sache weiß, so meldet er dem wachhabenden Offizier, dass die vermisste Flasche „quer ab in Sicht“ sei. Der Wachhabende lässt sofort den Wachtmeister benachrichtigen, und der stürmt wie eine Bö an Deck auf die Back und betrachtet mit Polizeiaugen den sich langsam entfernenden, staniolverbrämten Flaschenhals.

Merkwürdig, wo kann die Flasche hergekommen sein? Das ganze Zwischendeck hat er soeben selbst abgesucht; es konnte also ganz unmöglich jemand von dort aus etwas geworfen haben. Es bliebe nur die eine Möglichkeit: der Wurf von Deck aus. Aber wie konnte es jemand wagen, von dort aus, unter den Augen des wachhabenden Offiziers — undenkbar!

Ha! Die Geschirrkammer! Nur von dort ist die schnöde Tat möglich gewesen. Der Wachtmeister stürzt darauf los; er reißt die Tür auf. Was ist das? Ein Fleck! Ein großer, frischer Fleck am Boden? Schleicher bückt sich nieder und riecht. Riechen ist seine Spezialität. Richtig, Sekt! Der Verbleib der Flasche ist also festgestellt. Aber kein Mensch ist in der Kammer. Doch hier kommen nur die Außenbordsreiniger her; unter diesen war der Verbrecher zu suchen, und er, Schleicher, musste ihn finden; das war so sicher wie das Amen in der Kirche.

Er ließ die Himmelhunde zusammenrufen. Da standen die Kerls, am rechten Flügel Zinkweiß in seinem schmierigen Anzug. Der Wachtmeister trat mit ebenso durchdringenden wie triumphierenden Blicken vor die Front, ließ die Schmierfinken die Mäuler aufsperren und den Atem ausstoßen; dann roch er die ganze Front entlang, eine nicht eben sehr angenehme und appetitliche Arbeit. Aber was sollte das heißen? Bei keinem fand er den sicher vermuteten Geruch. Er roch noch einmal mit erhöhter Sorgfalt, er kroch den Kerls beinahe mit seiner spitzen Nase in den Mund und schnüffelte an ihnen herum wie ein Hund, der nach einer Wurst sucht; aber dasselbe Resultat, — und nun fiel dem betrogenen Zinkweiß ein Stein vom Herzen, denn hätte er in diesem Augenblick nach Sekt gerochen, dann wäre es ihm schlecht ergangen.

Die Untersuchung verlief völlig ergebnislos. Der Attentäter wurde nicht gefunden, und Upzieher, der Signalgast, folgte den Maßnahmen des Wachtmeisters mit innerer Freude, rieb sich heimlich den Magen und lachte den armen Zinkweiß, den schimpfenden Wachtmeister und den hintergangenen Kommandanten aus.

Als die Außenbordsreiniger noch angetreten waren, stolperte aus dem Kommandantenluk herauf Kapitän Macintyre, und hinter ihm zeigte sich das bleiche Gesicht des Herrn von Sparwitz. Der Engländer segelte stark gegen den Wind, der Korvettenkapitän reichte ihm fürsorglich den Arm und bugsierte ihn nach dem Fallreep, wo die englischen Matrosen ihren Kommandanten in Empfang nahmen, um ihn zu verladen; sie kannten seine Art.

Sparwitz aber kehrte gebrochen in seine Kajüte zurück. Man hatte nicht weniger als fünf Flaschen getrunken. sofort schickte er zu dem Offizierssteward, um sich nach dem Preise des Sektes zu erkundigen; als Döse aber zurückkam und sagte: „Die Flasche kostet 22 Mark, Herr Kapitän“, da geriet dieser regelrecht mit dem Heck auf Grund. Er war vor Schreck vom Stuhl gefallen.

Sparwitz war einer Ohnmacht nahe. Als er sich etwas erholt hatte, schickte er den armen Döse noch einmal, um zu fragen, ob nicht vielleicht die ganzen fünf Flaschen 22 Mark kosteten. Ein schwacher Hoffnungsschimmer glühte ihm noch. Aber Döse kam zurück und berichtete mit tödlicher Genauigkeit:

„Jede Flasche kostet 22 Mark, die fünf Flaschen also 110 Mark. Die billigeren Sorten sind sämtlich ausgegangen, und der Messevorstand ist heute an Land gefahren, um die fehlenden Vorräte zu ergänzen.“

Wie um diese Behauptung zu bestätigen, legte soeben das Boot des Messevorstandes mit dem Sektersatz an. Wäre es eine Stunde früher oder Mr. Macintyre eine Stunde später gekommen, dann wäre dem Korvettenkapitän die Flasche „Marinesekt“, zu der er den englischen Kommandanten eingeladen hatte, wesentlich billiger zu stehen gekommen.

Marinesekt

Подняться наверх