Читать книгу Die Empathin IV - Viktoria Vulpini - Страница 6
ОглавлениеKapitel 1
Sie konnte sie nicht sehen, aber sie spürte das Misstrauen und die Neugier der Wölfe, die sich irgendwo in den Wäldern verbargen. Kamilla machte dieser Umstand nervös. Das letzte Mal, als sie sich dem Rudel genähert hatte, hatte sie unwissentlich Feuersturm mitten unter sie geführt. Hätte nicht ein anderes Rudel eingegriffen, wären alle Wölfe Keller in die Hände gefallen.
Die drei Wandler Marc, Anna und Kevin freuten sich hingegen sichtlich, nun bald ihre Familie wiederzusehen und nach Hause zu kommen, auch wenn es ein neues Zuhause für sie war.
Kamilla fing einen Blick von Oliver auf, der ihr deutlich machte, dass nicht nur sie unsicher war. Oliver war dabei gewesen, als man das Rudel eingefangen hatte, doch dann hatte er die Chance ergriffen und war zusammen mit Kamilla vor den Wölfen, aber auch vor Feuersturm geflohen. Darüber hinaus war er ein Venator, diese Tatsache allein reichte schon aus, damit jeder Erwachte, der ihn sah, entweder zu einer Waffe griff, flüchtete oder anfing zu beten.
Wie auch bei den Wandlern, schienen die Vorurteile und die Ängste, die man mit diesen erwachten Gaben verband, deutlich schlimmer zu sein, als es eigentlich notwendig war.
Kamilla hatte Oliver als ruhigen, beherrschten Mann kennengelernt, der sehr in sich gekehrt war, aber das Herz am rechten Fleck hatte. Mehr als einmal war seine Fähigkeit andere Erwachte aufzuspüren ein Vorteil gewesen, auf den sie ungern verzichtet hätte.
Marc blickte sie an und lächelte. Es kam nicht häufig vor, dass dieser komplizierte Wandler es tatsächlich schaffte ein freundliches Gesicht zu machen. In den meisten Fällen wirkte er konzentriert, angespannt und übellaunig, aber jetzt in diesem Moment schien er wirklich froh zu sein. Kamilla konnte die Freude durchaus nachvollziehen. Er hatte einen Teil seiner verloren geglaubten Familie zurückbekommen und war nun schon fast wieder mit seinem Rudel vereint. Auch wenn die ganze Geschichte sehr stressig gewesen war, so hatte sich für ihn doch vieles zum Positiven verändert. Auch seine Wildheit hielt sich in Grenzen. Nach dem letzten schlimmen Ausbruch an dem Tag, als sie Anna befreit hatten, war die Wut nur wenige Male zum Vorschein gekommen und hatte sich sehr einfach wieder beruhigen lassen.
Kamilla wurde aus ihren Gedanken gerissen, als Kevin einfach den Arm um ihre Schultern legte und sie ebenfalls breit angrinste. Kamilla konnte dem braunhaarigen Mann deutlich ansehen, dass er dies nur tat, um seinen Rudelgefährten ein wenig zu ärgern. Und wie zu erwarten war, knurrte Marc, sagte aber nichts weiter dazu. Mittlerweile hatte Kamilla gelernt, dass die Dynamik zwischen den einzelnen Wandlern recht komplex war und es ihr fast unmöglich erschien, ganz sicher zu sagen, wie das ein oder andere gemeint war. Anna schien das Ganze genauso zu amüsieren wie Kevin, obwohl sie eine ähnliche Reaktion bei Marc nicht auslösen konnte. Kamilla war sich ziemlich sicher, dass es nur männliche Wesen waren, die diese Reaktion auslösten und dabei spielte es vermutlich auch keine große Rolle, ob es sich dabei um einen Wandler handelte oder nicht. Auch die Art des Umgangs schien keine allzu große Rolle zu spielen, denn sie hatte Marc das ein oder andere Mal Knurren hören, obwohl sie nur ein paar Worte mit Oliver gewechselt hatte. Sie war sich ziemlich sicher, dass nichts dem schwarzhaarigen Wolf gefiel, was andere Männer einschloss.
Dies war eine Beobachtung, die Kamilla ziemlich deutlich machte, dass sie sich an dieser Stelle wohl früher oder später gegen den schwarzen Wolf durchsetzen musste. Tat sie das nicht, musste sie womöglich damit rechnen, dass er sie bald von allen Leuten fernhielt, die ihm nicht passten, und dieses Recht würde Kamilla dem Wolf nicht zugestehen. Ob es ihm passte oder nicht, sie würde auch dort, wo sie nun hingingen, noch selbst entscheiden, mit wem sie ihre Zeit verbrachte und mit wem nicht. Ein wenig gebärdete er sich wie ein eifersüchtiger Freund und Kamilla war sich unsicher darüber, wie viel davon tatsächlich Eifersucht war und wie viel von diesem Verhalten einfach die fremdartige Wandlerkultur war, die sie gerade einmal in ihren ersten Grundzügen langsam kennenlernte.
Plötzlich hielten sie an. Kamilla konnte keinen Grund für diesen Stopp erkennen, aber es war offensichtlich, dass sie auf etwas oder vielleicht sogar auf irgendjemanden warteten. Soweit Kamilla das Einschätzen konnte, waren sie umstellt von Wölfen. Oliver war angespannt. Sie brauchte keine empathischen Fähigkeiten, um zu sehen, dass er sich genauso wenig wohl in seiner Haut fühlte, wie sie es im Moment tat. Vielleicht war es ein Fehler gewesen hier herzukommen und vielleicht war es ein noch größerer Fehler gewesen, ihn davon zu überzeugen mitzukommen.
Zu dem Zeitpunkt, an dem sie es vorgeschlagen hatte, hatte sie den Eindruck gehabt, dass beide Seiten davon profitieren könnten. Er war unter Freunden, wo niemand ihn jagte, weil er ein Venator war, und gleichzeitig würde er erwachte Bedrohungen viel früher bemerken können, als es die scharfen Sinne der Wandler vermochten. Nun war sie sich nicht mehr so sicher, denn die Wölfe schienen nicht rein logisch zu handeln und sie hatte außer Acht gelassen, dass sie ihm nachtragen könnten, dass er bei dem Überfall auf ihr altes Revier dabei gewesen war. Kamilla machte sich ein wenig Sorgen. Sie konnte die Skepsis und die Feindseligkeit in der Luft spüren.
Sie wusste, dass er sich hatte nur davon überzeugen lassen, weil die Alternative ein Leben auf der Flucht gewesen wäre, das im besten Fall mit einem schnellen, sauberen Tod enden würde. Doch Kamilla wollte nach allem, was er für sie getan hatte, etwas zurückgeben. Wenn man sie fragte, hatte er etwas Besseres verdient als das, was das Leben für ihn bereithielt. Nun hoffte sie nur, dass das hier kein böses Ende nehmen würde.
„Wir sind am Rande des Kerngebietes angekommen.“ Kevins Erklärung riss Kamilla aus ihren Gedanken. Er zeigte ihr einige Markierungen, die sie nur mühsam überhaupt als solche erkennen konnte. „Wir werden hier nun auf Ralf warten. Er ist derjenige, der sagt wo es langgeht. Also quasi der Big Boss.“ Kevin grinste bei diesen Worten breit.
Kamilla nickte. Sie war dankbar, dass er ihr das erzählte, doch ihre eigene Nervosität und das ungute Gefühl, dass sich vor allem aus ihren Erinnerungen nährte, konnte er damit nicht vertreiben.
„Du musst dir keine Sorgen machen, denn diesmal kommst du in Begleitung und wurdest quasi in unser Gebiet eingeladen. Die Wölfe“, sagte er und nickte dabei in den Wald rechts und links, „sind vor allem wohl neugierig und wollen sehen, wen wir wieder mit zurückbringen und warum. Es gibt keinen Grund, dass es im Moment zu irgendwelchen Feindseligkeiten kommt und selbst wenn man euch hier nicht akzeptiert, was ich für ganz und gar ausgeschlossen halte, wird euch keiner mehr etwas tun. In diesem Fall, werde ich euch zurück in die Zivilisation bringen.“ Kevins ruhige Art besänftigte die Zweifel und Ängste in ihr ein wenig.
Marc knurrte erneut und Kamilla sah, dass ihm irgendetwas daran mächtig gegen den Strich zu gehen schien. Sie spürte die aufkeimende Aggression in ihm, die jedoch so schnell wieder verschwand, wie sie gekommen war.
Als Kamillas Blick Anna streifte, sah sie die leichte Belustigung der Frau und hatte den Eindruck, dass sie nicht einmal die Hälfte von dem verstand, was hier gerade vor sich ging.
Oliver konnte sie ansehen, dass auch er diesen Eindruck hatte, denn er blickte mit leicht gerunzelter Stirn zwischen den Wölfen umher. Kamilla erleichterte es ein wenig, dass sie sich das scheinbar nicht nur einbildete, doch es verstimmte sie auch leicht, denn der Eindruck, dass es mit ihnen zusammenhing, verfestigte sich. Wenn dieses Zusammentreffen gut ging, würde sie mit Kevin und Marc ein paar sehr eingehende Gespräche für ein besseres Verständnis führen müssen. Dabei war sie sich sicher, dass dies ungemein erhellend werden würde, vorausgesetzt natürlich sie brachte die beiden sturen Wölfe dazu, mit ihr zu reden. Sie rechnete sich bei Kevin größere Chancen aus, als bei Marc. Kamilla rief sich in Erinnerung, dass sie hier unter Wölfen war, und das im besten Doppelsinn. Sie würde höllisch aufpassen müssen, damit sie nicht auf Glatteis geriet oder jemand den Eindruck bekam, dass er sie herumkommandieren konnte. Beim letzten Teil huschte ihr Blick zu Marc, der sofort seine Augen von ihr abwandte und aufmerksam in den Wald starrte.
Kamilla brauchte einen Crashkurs in Wolfswandlerkunde, entschied sie und sie wusste auch genau, wen sie darum bitten würde. Anna erwiderte ihren Blick. Die Wandlerin war vor allem ungeduldig, aber auch sehr glücklich. Die sonst ruhige Frau schien Mühe zu haben hier zu warten und Kamilla war sich sicher, dass dies vor allem an Raja lag.
Die Blicke der Wölfe fixierten einen bestimmten Punkt im Wald und auch Kamilla schaute dorthin. Sie sah Bäume und Büsche, aber nichts, was das Interesse der Wölfe für diesen Bereich erklärte. Vielleicht witterten sie etwas, sie hatte mehr als einmal erlebt, dass die Wandler einen deutlich ausgeprägteren Geruchssinn hatten, als sie selbst. Dieser Gedanke schien korrekt zu sein, denn jetzt registrierte sie, dass der Wind ihnen von dort quasi entgegenwehte.
Kurze Zeit später sah sie eine kleine Gruppe Menschen zwischen den Bäumen auftauchen. Es waren zwei Frauen und ein Mann, welche auf sie zukamen. Die linke der beiden Frauen war deutlich größer als Kamilla, hatte braunes Haar, das zu einem engen Zopf gebunden war und wirkte skeptisch, angespannt und nicht sonderlich erfreut. Die andere Frau hätte nicht gegensätzlicher sein können. Sie hatte eine wallende, blonde Mähne, die sie offen trug und sie strahlte über das ganze Gesicht. Sie schien die personifizierte Lebensfreude zu sein. Sie war noch sehr jung vielleicht Anfang zwanzig und Kamilla hatte den Eindruck, dass sie recht umgänglich war. Der Mann, der von den beiden Frauen begleitet wurde, hatte dunkelgraues Haar und Kamilla war sich sofort sicher, dass sie sich mit ihm nicht anlegen wollte. Sie glaubte zu verstehen, wieso er die Wölfe führte. Es war schwer zu beschreiben, aber der Mann strahlte eine Autorität aus, der selbst sie sich nicht entziehen konnte.
Ein Lächeln breitete sich auf dem Gesicht des Mannes aus und er trat auf Anna zu, die er kräftig in den Arm nahm. Im Anschluss legte er Marc und Kevin jedem kurz die Hand auf die Schulter und nickte ihnen zu. Dann wanderte sein Blick zu ihr und Oliver.
Er runzelte leicht die Stirn und blickte dann Marc und Kevin wieder an. „Ihr seid losgezogen, um dafür zu sorgen, dass unser Geheimnis gewahrt bleibt und ihr kommt zurück, mit dem Menschen, den ihr töten solltet, einem der Angreifer von Feuersturm und unserer verlorenen Schwester. Ich freue mich jetzt schon darauf die Geschichte zu hören, die zu diesem überaus merkwürdigen Bündnis geführt hat.“
Kamilla fiel es schwer, den Mann einzuschätzen. Er schien sich ehrlich über die Rückkehr von Anna zu freuen, doch sie meinte auch, Skepsis wahrzunehmen und eine gute Portion Vorsicht.
Kevin grinste breit und trat neben Kamilla. Wieder legte er einfach seinen Arm um sie und sagte: „Wir sind doch immer für Überraschungen gut.“
Marcs leichtes Knurren entging dem Rudelführer offenbar nicht. Erneut ließ er seinen Blick über Kamilla wandern, die absolut keine Idee hatte, was sie tun oder sagen sollte. Sie fühlte sich unter dem Blick aus den stahlgrauen Augen des Wolfes nicht sonderlich wohl.
„Ohne Kamilla und Oliver, wäre es uns nie gelungen, Anna aus den Fängen von Feuersturm zu befreien“, sagte Kevin ernst. „Es war also ein mehr als glücklicher Umstand, dass wir den eigentlichen Plan nicht ausgeführt haben und offen für das waren, was sich ergeben hat. Fakt ist aber, ohne die beiden und ihre Freunde, würde Anna jetzt in irgendeiner anderen Anlage sitzen und wir hätten nie erfahren, was aus ihr geworden ist. Wir haben sie mitgebracht, weil Feuersturm immer noch Jagd auf sie macht und wir ihnen etwas schuldig sind.“
„Ich nehme an, Feuersturm jagt sie nicht nur, weil sie ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht haben“, vermutete Ralf.
„Ihre Gabe scheint offensichtlich weitreichender zu sein, als ihr selbst bewusst war, aber die Details wären wohl etwas für die lange und ausführliche Berichterstattung“, antwortete Kevin leichthin. „Ich bin mir sicher, unser kleiner Rotschopf wird eine Bereicherung sein. Des Weiteren habe ich durchaus Spaß daran, ein Auge auf sie zu haben. Einen eigenen Menschen im Rudel zu haben, dass klingt interessant.“
„Sie ist kein Haustier“, knurrte Marc und Kamilla hatte den Eindruck, dass Kevin seine Worte nur aufgrund dieser Reaktion so gewählt hatte.
Ralf runzelte erneut die Stirn und musterte den schwarzhaarigen Wolf lange. Kevin blickte Kamilla an und grinste unverschämt breit. Er machte sich nicht die Mühe zu verbergen, dass er sich hervorragend amüsierte.
Ralfs Blick wanderte zu Oliver, der die ganze Zeit still dagestanden hatte. Kamilla spürte die Abneigung des Wolfes ihrem Freund gegenüber und als sie sich gerade einmischen wollte, nickte er.
„Ihr seid dem Rudel als Gäste willkommen. Wir werden später entscheiden, wie es weitergehen wird, aber solange ihr unsere Gesetze und Regeln achtet, könnt ihr bleiben.“
Die Stille, die diesen Worten folgte, war allumfassend. Selbst die Vögel schienen den Atem anzuhalten. Die junge Frau mit der wallenden Mähne, grinste deutlich breiter als zuvor und musterte Kamilla und vor allem Oliver sehr interessiert und offen neugierig. Während seine andere Begleiterin wenig begeistert wirkte. Ihr Blick, ihre Haltung und auch das, was Kamilla von ihr auffangen konnte, sagten eindeutig, dass sie mit der Entscheidung nicht zufrieden war.
Kamilla warf Kevin einen kurzen Blick zu, der grinste, während sich Ralf seiner Begleitung zuwandte. Es sah aus, als würde er etwas sagen wollen, doch Marc war nah an sie herangetreten und kam ihm zuvor. „Ich werde ihr die Regeln und Gesetze schon nahebringen, kümmere du dich um den anderen.“
Kamilla blickte kurz zu Oliver, der nicht böse darum war, sich mit dem weniger übellaunigen Wandler auseinandersetzen zu müssen. Die junge Wandlerin, die immer noch breit grinste, blickte Marc lange an und drehte sich dann weg. Belustigung ging von ihr aus und schwang in der Begeisterung mit, die sie sonst ausstrahlte.
„Nun kommt, gehen wir nach Hause. Unser neues Revier ist anders als das letzte und ich bin mir sicher, es wird euch gefallen“, sagte Ralf. „Wir haben genug Platz damit unsere Gäste sich ungestört fühlen sollten. Wir sprechen zur üblichen Zeit, wenn ihr euch ausgeruht habt.“
Kevin und Marc nickten und beide waren sichtlich neugierig auf ihr neues Zuhause.
Ralf wandte sich ab und ging voraus. Marc nahm Kamilla an seine Seite und folgte ihm, dann kamen Oliver und Kevin, während Anna zusammen mit den beiden Frauen den Abschluss bildete.
„Das Gebiet hier gehörte eigentlich zu Niraikiris Herrschaftsgebiet, aber es wird nicht mehr benötigt. Es gibt einen Bunker und daran angeschlossen ein Höhlensystem, das wir begonnen haben auszubauen. Es bietet einige Annehmlichkeiten. Fließendes Wasser und sogar Strom. Die Jagdgründe sind gut bestückt und das System ist größtenteils in Ordnung. Niraikiris Revier stößt an unsere derzeitige Ostgrenze“, erklärte Ralf auf dem Weg weiter durch den Wald.
Bei der Erwähnung von Niraikiris Rudel knurrte Marc und auch Kamilla lief ein kalter Schauer über den Rücken, als sie an die verrückte Wandlerin dachte, die sie angegriffen und Raja verletzt hatte.
„So etwas wird nicht noch einmal vorkommen“, sagte Ralf.
„Das wäre auch gesünder für sie“, knurrte Marc und es war offensichtlich, dass für ihn dieser Zwischenfall noch lange nicht vom Tisch war. Erneut kochte die Wut hoch, doch auch diesmal gelang es Kamilla irgendwie, die aufkeimende Aggressivität einzudämmen.
Ralf hatte dem ganzen nur einen kurzen Blick geschenkt, doch Kamilla sah, dass es ihn zu überraschen schien, dass Marc sich so schnell wieder in den Griff bekam. Kurz streifte sein Blick sie und Kamilla hatte den Eindruck, dass er ihr leicht zunickte.
Kamilla hatte angenommen, dass sie nun bald da wären, doch sie wanderten noch mehrere Stunden durch den Wald, bis sie schließlich eine steile Felswand erreichten, vor der große mit Moos und Gestrüpp bewachsene Steine lagen.
Hinter einigen dieser Hindernisse befand sich ein schmaler Durchgang, den sie passierten. Schon nach wenigen Metern weitete sich Gang deutlich und wurde von vereinzelten Lampen erhellt. Sie waren nicht modern und erleuchteten die Umgebung nicht übermäßig stark, doch es reichte, damit Kamilla erkannte, dass der Gang außergewöhnlich sauber war. Keine Spinnweben waren zu sehen und es lag auch kein Geröll herum. Der Boden, die Wände und auch die Decke waren halbwegs gerade behauen worden.
Kamilla überraschte die schiere Größe des Ganges, denn es war problemlos möglich, mit zwei Leuten nebeneinander zu gehen.
Als Marc ein lautes, eindeutig angespanntes und aggressives Knurren hören ließ, fuhr Kamilla zusammen. Sie hatte nicht einmal den Hauch einer Ahnung, warum er nun schon wieder knurrte, aber es machte sie nervös, denn es klang nach Gefahr.
„Wir haben Zuwachs bekommen“, sagte Ralf ruhig, der scheinbar genau wusste, auf was Marc reagierte. „Die Wölfe haben vorher schon hier im Gebiet gelebt. Eine Gruppe Jugendlicher, gerade alt genug, um als erwachsen zu gelten, aber zu jung, um wirklich allein klarzukommen. Ursprünglich kommen sie aus der sibirischen Tundra. Sie haben sich dem Rudel angeschlossen. Die weiteren Details erzähle ich dir später. Versuch ihnen nicht gleich den Kopf abzureißen, wenn du ihnen begegnest.“ Ralf lachte, während Marc ein unwirsches Schnaufen von sich gab und noch weniger begeistert aussah als zuvor.
Kamilla warf Kevin einen fragenden Blick zu. Er grinste und sagte nur ein einziges Wort, das in seinen Augen wohl alles erklärte: „Teenager!“
Das System war groß und verzweigt und Kamilla hatte den Eindruck, dass sie sich hier hervorragend verlaufen können würde. Zumindest waren die Gänge auch weiterhin ausgeleuchtet, so dass sie immerhin sah, wohin sie gingen.
Nach einer Weile erreichten sie einen Gang, der rechts und links in regelmäßigen Abständen stabil aussehende und gut eingepasste Holztüren aufwies. Kamilla hatte den Eindruck, dass hier seltener Wölfe unterwegs waren, denn es war etwas staubig und hier oder da sah man vereinzelte Spinnenweben.
Ralf blieb stehen, drehte sich zu ihnen um und deutete auf zwei sich gegenüberliegende Türen. „Diese beiden Räume sind frei und ihr könnt sie nutzen.“
Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, war Kevin schon in einem davon verschwunden. Kamilla konnte ein Pfeifen hören, dann streckte er den Kopf wieder heraus.
„Nicht unbedingt ein Hotel, aber in meinen Augen eine deutliche Verbesserung zum letzten“, kommentierte Kevin und war sichtlich begeistert.
„Ich würde sagen, ihr beiden macht es euch bequem und ruht euch ein wenig aus. Es war ein weiter Weg,“ schlug Ralf vor und Kamilla nickte.
Nur zu gern würde sie jetzt die Füße ein wenig hochlegen und endlich zur Ruhe kommen. Auch Oliver setzte sich in Bewegung und verschwand im Raum gegenüber.
Bevor Kamilla allerdings auch nur einen Fuß über die Schwelle setzen konnte, war Marc schon an ihr vorbei und sie konnte ihm nur folgen. Der Raum war nicht übermäßig groß, er beherbergte ein einfaches Bett, einen Schreibtisch samt Stuhl und sogar eine kleine Sitzecke mit Tisch fand darin Platz. Ein einfacher Schrank stand in der Ecke des Raumes. Allen Möbeln war gemein, dass sie nicht sonderlich modern, aber überdurchschnittlich robust wirkten.
„Eine Decke findet sich im Schrank, der Rest wird die nächste Zeit kommen“, sagte Ralf.
Kamilla nickte und hatte den Eindruck, dass der Rudelchef leicht lächelte, bevor er sich abwandte. Oliver schloss hinter sich die Tür. Kevin, Anna und die beiden Frauen hatten sich schon in Bewegung gesetzt und gingen weiter. Nur Marc zögerte sichtlich.
Sie konnte sehen, dass es dem schwarzen Wolf nicht gefiel, sie hier allein zu lassen. Kamilla glaubte, fast spüren zu können, welchen merkwürdigen Konflikt er in seinem Innern austrug, auch wenn sie sich nicht der Illusion hingab, die Hintergründe wirklich zu verstehen.
„Gibt es irgendein Problem?“, fragte Kamilla, die den Eindruck hatte, dass Marc noch stundenlang so unschlüssig dastehen würde.
Ihre Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. „Nein“, knurrte er unfreundlich. „Brauchst du noch etwas?“ Bei dieser Frage klang seine Stimme schon wieder normal.
„Nein“, antwortete Kamilla und schüttelte bekräftigend den Kopf. „Ich werde mich einfach hinlegen und mich ein wenig Ausruhen und du solltest jetzt zu deiner Familie gehen. Ich bin mir ziemlich sicher, solange ich mich hier ausruhe, werde ich wohl nicht allzu viele Katastrophen auslösen können.“ Sie grinste bei diesen Worten.
„Ja“, murmelte er nachdenklich, war aber nicht gänzlich überzeugt. „Bleib hier im Raum und lauf nicht groß herum, ich komme später wieder vorbei.“ Mit diesen Worten gab er sich einen Ruck, trat auf den Flur hinaus und schloss hinter sich die Tür.
„Ein Königreich für einen Einblick in seine Gedanken...“, nuschelte Kamilla leise, als sie sich noch einmal in dem kleinen Raum umsah. Es ärgerte sie ein wenig, dass er sie angewiesen hatte, hierzubleiben, doch sie würde das tun. Nicht weil Marc das so wollte, sondern weil sie es selbst für nicht klug hielt durch einen Bau voller Wolfswandler zu laufen. Sie hatte keinen Bedarf an noch mehr komplizierten Wölfen, auf die sie wohl unweigerlich treffen würde. Den einzigen Wolf, den sie im Moment gern gesehen hätte, wäre die kleine Raja gewesen, aber die würde nun erst einmal wieder mit ihrer Mutter vereint werden.
Als sie sich auf das Bett setzte und ihren Gedanken freien Lauf ließ, bemerkte sie, wie erschöpft und müde sie tatsächlich war. Nein, auf ein weiteres Abenteuer hatte sie heute keine Lust mehr. Die nächsten Tage, da war sich Kamilla sicher, würden schon kompliziert und anstrengend genug werden. Trotzdem lächelte sie ein wenig, denn alles in allem war es gut ausgegangen und sie hoffte darauf, dass es nur noch besser werden würde.
„Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert“, murmelte Kamilla schon einige Stunden später und warf einen weiteren Blick auf die Tür. Unruhig ging sie auf und ab und fluchte, dass bisher niemand aufgetaucht war. Der Grund für diese Unruhe war denkbar einfach, wenn auch nicht weniger störend. Sie musste dringend auf die Toilette, aber hier im Zimmer gab es keine und sie konnte sich auch nicht daran erinnern, dass ihr jemand auf dem Weg hier her eine gezeigt hätte.
Schon seit mehr als einer halben Stunde wanderte sie unruhig umher und fluchte darüber, dass sie nicht daran gedacht hatte. Schließlich öffnete sie die Tür und blicke den Gang entlang, der ruhig und verlassen da lag. Kurz streiften ihre Augen die Tür gegenüber, aber Oliver würde ihr bei diesem Problem auch nicht helfen können.
Frustriert begann sie erneut im Zimmer auf und ab zu wandern. Allein hinausgehen und sich auf die Suche nach einem geeigneten Ort begeben, erschien ihr als zu waghalsig, immerhin wimmelte es hier vermutlich nur so vor Wandlern, von denen es sicher einige gab, die nicht besonders froh über ihr Hiersein waren.
Die Zeit verstrich weiter und schließlich musste sich Kamilla geschlagen geben. Wenn nicht zufällig jemand gerade in der Nähe war, würde sie auf die Suche gehen müssen, wollte sie nicht ein Unglück riskieren.
Sie öffnete die Tür erneut, doch der Gang vor dem Zimmer lag noch immer genauso verlassen da, wie vorher schon. Ralf hatte nicht zu viel versprochen. Hier hatten sie wirklich ihre Ruhe.
Kamilla hatte ein ungutes Gefühl im Bauch und war sich sicher, dass sie einen Fehler machte, doch welche Wahl hatte sie schon. Des Weiteren würde sie ja nun wirklich nicht direkt in Schwierigkeiten geraten, nur weil sie nach einer Toilette suchte. Zumindest war es das, was sie sich einredete, als sie langsam den Gang entlang zu gehen begann. Ihre Zimmertür ließ sie offen, denn sie war sich sicher, dass sie ihr Zimmer sonst nicht wiederfinden würde.
Sie lauschte immer wieder, doch nichts war zu hören. Kamilla folgte dem Gang in jener Richtung, in der Ralf und die anderen verschwunden waren und rechnete sich so die größten Chancen aus, auf jemanden zu treffen, den sie vielleicht kannte.
Zumindest wäre es wohl nicht schlimm, wenn sie sich verlief, denn sie war sich ganz sicher, dass man sie hier überall würde aufspüren können, wenn man nur nach ihr suchte.
Ärgerlich schüttelte Kamilla den Kopf. Sie malte den Teufel an die Wand. Obwohl sie nicht scharf darauf war, einem fremden Wandler zu begegnen, war sie sich doch sicher, dass es wohl nicht direkt in einem Desaster enden würde. Sie musste einfach nur vorsichtig sein und idealerweise nicht viel reden, zur Toilette und zurück ins Zimmer, dabei konnte nun wirklich nicht so viel schief gehen.
Obwohl sich Kamilla immer wieder selbst sagte, dass sie sich keine Sorgen machen musste, schlich sie doch schon bald mehr durch die Gänge, als sie ging. Sie kam sich vor wie ein Dieb in der Nacht, der im feindlichen Gebiet unterwegs war und dieses Gefühl steigerte sich von Minute zu Minute. Nicht zuletzt war dieses Gefühl auch der ungewohnten und wenig einladenden Umgebung geschuldet. Die Lampen erleuchteten die leeren Gänge und ihre Schritte erzeugten ein merkwürdiges Echo.
Immer wieder kam sie an einzelnen, anderen Gängen vorbei, die von ihrem abzweigten. Bis zu diesem Moment hatte sie noch eine Idee, wo sie war und wie sie wieder zurückkommen würde, doch dann endete der schnurgerade Gang. Ihr weiterer Weg führte sie in ein Labyrinth aus Türen, Durchgängen, Abzweigungen und weiteren Gängen.
Kamilla versuchte, sich den Weg zu merken, den sie genommen hatte, doch je weiter sie kam, desto unsicherer wurde sie, was den Rückweg anging. Innerlich fluchte sie, denn sie konnte nicht umdrehen, wenn sie nicht bald eine Toilette fand, würde es sehr unangenehm werden.
An der nächsten Kreuzung blieb sie stehen. Hier sah jeder Gang aus wie der andere. Nicht ein Wegweiser gab einen Hinweis darauf, wo man sich befand. Ratlos schaute sich Kamilla um.
Als sie einen letzten Blick in den Gang warf, aus dem sie gekommen war, entfuhr ihr ein erschrockenes Keuchen. Sie war nicht mehr allein. Nur etwa zwei Armeslängen entfernt stand ein junger Mann. Er hatte dunkelbraunes Haar, ebensolche Augen und war mit einer abgeschnittenen Jeans bekleidet. Sein muskulöser Oberkörper war leicht behaart und er war barfuß.
Er sagte etwas in einer Sprache, die Kamilla nicht verstand.
Sie blickte den amüsiert und neugierig wirkenden Mann verständnislos an. „Tut mir leid, ich spreche kein Russisch oder was auch immer“, stotterte sie und ihr Herz schlug ihr bis zum Halse. Ihre Gabe verriet ihr nichts über den Mann. Immerhin wirkte er aber nicht aggressiv oder bedrohlich auf sie. Zumindest tat er dies im Moment nicht, korrigierte sie ihre Einschätzung direkt.
„Dann hast du aber Glück, dass ich ein wenig Deutsch spreche“, sagte der Mann mit einem sehr harten, russischen Akzent. „Ich habe dich gefragt, was du hier eigentlich genau machst, denn ich verstehe es nicht. Diese Kreuzung hast du vor einiger Zeit schon einmal gesehen und ich glaube, du wolltest den gleichen Weg wie vorhin gerade wieder nehmen.“
„Oh.“ Es war nicht der intelligenteste Kommentar, aber der einzige, der ihr einfiel. Ihr behagte es nicht, dass sie den Eindruck hatte, dass der Mann ihr schon seit einiger Zeit gefolgt war. Sie atmete tief durch und zuckte dann leicht mit den Schultern, bevor sie sagte: „Ich suche eine Toilette.“
Er versuchte, die Entfernung zu ihr zu verkürzen, doch hielt an, als sie ihrerseits einen Schritt zurücktat. Er war noch immer weit genug weg, dass er sie nicht erreichen konnte, aber Kamilla war auch das schon zu nah, vor allem, da sie keine Ahnung hatte, wie sie ihn einschätzen sollte.
Er runzelte die Stirn und sog die Luft ein. „Du bist wirklich ein Mensch, oder?“, fragte er ehrlich interessiert.
Kamilla nickte. Ja, ein Mensch und einer, der dringend auf die Toilette muss, schoss es ihr durch den Kopf, doch sie verbiss sich den Kommentar.
Das Grinsen des Mannes wurde breiter. „Ich bin einem Menschen noch nie so nah gewesen“, sagte er und begutachtete sie, wie es wohl ein Mensch mit einem Tier im Zoo tun würde.
Er wollte sich erneut nähern, doch wieder sorgte Kamilla dafür, dass sich ihre Distanz nicht groß veränderte. Ein leises Knurren war zu hören und sie nahm an, dass ihm das missfiel.
„Könntest du mir zeigen, wo ich die nächste Toilette finde?“, fragte sie und versuchte sich nicht allzu sehr aus dem Konzept bringen zu lassen. Ein Teil von ihr war überzeugt, dass der Wolf ihr Ärger machen würde, doch er nickte nur, deutete auf einen der Gänge und als sie in diesen hineinsah, schritt er schon an ihr vorbei.
Kamilla glaubte zu hören, wie er erneut die Luft einsog, und sie war sich sicher, dass sein Grinsen noch breiter geworden war. Während sie ihm folgte, konnte sie gut das Spiel seiner Muskeln unter der Haut sehen. Ein schöner Anblick, der aber auch keinen Zweifel daran aufkommen ließ, dass dieser Mann ebenso ein Krieger war, wie es Marc und Kevin waren.
Weit musste sie ihm nicht folgen, dann bogen sie durch eine Tür ab, hinter der sich nicht noch ein Gang aus Stein befand, sondern diesmal war der Flur vollständig aus Beton. An der Decke waren Neonröhren angebracht, die den ganzen Weg hell erleuchteten und nicht vergleichbar waren mit den altmodischen Lampen und den freihängenden Kabeln, die draußen die Gänge erhellten. Es war alles sauber verputzt und hier oder da waren an den Wänden Markierungen in verschiedenen Farben angebracht, die sie zwar nicht deuten konnte, die aber eine Orientierung sicher deutlich vereinfachten.
Schließlich blieb der Mann stehen und deutet auf eine Tür. Er machte keine Anstalten diese zu öffnen oder groß zur Seite zu treten.
„Danke!“ Mit diesem Wort war sie an dem Mann vorbei und im Raum dahinter verschwunden. Als sie eintrat, sprangen auch hier Neonröhren an und erhellten den Raum mit ihrem kalten, weißen Licht.
Sie stand in einem größeren Waschraum mit mehreren Waschbecken und einigen Schränken und Regalen an einer Seite, die aber alle leer waren, soweit sie das überblicken konnte. Ein offener Durchgang führte an einigen Toilettenkabinen vorbei und schien in einer Gemeinschaftsdusche zu enden.
Erleichtert verschwand Kamilla in einer der Kabinen und konnte es nicht glauben, was für ein abenteuerlicher Weg es hierher gewesen war.
Schon wenige Minuten später verließ sie diesen Teil des Bunkers wieder durch die Tür, durch die sie ihn kurz vorher betreten hatte. Überrascht stellte Kamilla fest, dass der Wandler noch dort war und offenbar auf sie gewartet hatte.
„Ich habe mir gedacht, es ist wohl besser, wenn ich dir helfe den Weg zurückzufinden, bevor du wieder beginnst im Kreis zu laufen und wir noch einen Suchtrupp entsenden müssen.“ Bei diesen Worten grinste der Mann breit und Kamilla war sich sicher, dass es ein gutmütiger Spott war, mit dem er sie bedachte.
„Das wäre sehr freundlich“, erwiderte sie und lächelte den Wandler an.
„Wie heißt du?“, fragte der Mann neugierig.
Kamilla beantwortete seine Frage, ohne zu zögern. „Und du?“
„Mein Name ist Nicolai, aber die meisten sagen einfach Nick“, erklärte er, während er sie zügig durch die Gänge führte.
Sie wollte gerade etwas sagen, als Nicolai sich sichtlich anspannte und wenig später Marc auf den Gang vor ihnen trat. Mit schnellen Schritten kam er auf sie zu und Kamilla hatte den Eindruck, dass Gewalt in der Luft lag.
Nicolai trat einige Schritte von Kamilla zurück. Sie vermutete, dass es sich um eine deeskalierende Geste handelte. Marc hielt genau auf sie zu und er wirkte wirklich übel gelaunt. Ein Teil von ihr wollte einfach davon laufen, während ein anderer Teil absolut nicht einsah, wieso sie auch nur mit der Wimper zucken sollte. Immerhin hatte sie nichts falsch gemacht. Sie konnte auch nichts dafür, dass er ausgerechnet jetzt plötzlich wieder auftauchte. Sie straffte ihre Haltung und reckte das Kinn vor.
Marcs Wolfsaugen sprangen von ihr, zu Nicolai und er knurrte drohend. Kamilla unterdrückte den Impuls mit den Augen zu rollen und beobachtete, wie Nicolai zurück knurrte, sich dann aber abwandte und ohne ein Wort verschwand.
„Hatte ich dir nicht gesagt, du sollst im Zimmer warten?“, knurrte Marc sie an, als er seinen Blick wieder auf sie heftete. Er griff nach ihrem Arm.
Jetzt langte es Kamilla. Sie entriss ihm den Arm und funkelte ihn wütend an. „Es reicht, Marc. Ich hatte einen guten Grund das Zimmer zu verlassen, aber ich sehe keinen, mich jetzt vor dir dafür zu rechtfertigen.“
Marcs Knurren wurde lauter. „Junge Wölfe sind gefährlich. Halte dich von ihnen fern. Sie haben keine Ahnung davon, wie zerbrechlich ihr Menschen seid.“
Kamilla atmete tief durch. Sie hatte keine Ahnung, ob er damit nun Recht hatte oder nicht, aber sie nahm sich vor Kevin oder Anna danach zu befragen, sobald sie die Chance dazu bekam.
„Was wollte er?“, fragte Marc und sog prüfend die Luft ein.
„Nichts“, sagte sie und ignorierte das Knurren. „Er hat mir nur netterweise den Weg zur Toilette gezeigt, nachdem ich mich schwergetan habe, den selbst zu finden. Wir waren gerade auf dem Weg zurück zu dem Zimmer, denn es gab berechtigte Zweifel daran, dass ich den Weg ohne Hilfe finden würde. Hier sieht alles gleich aus. Es war alles ruhig, bis du aufgetaucht bist. Lass mich mal raten, der gehört zu den neuen Wölfen von denen Ralf gesprochen hat?“ Marc musste nicht antworten, denn sie war sich sicher, dass es so war. Diese Tatsache machte in ihren Augen auch irgendwie Sinn und erklärte Marcs unmögliches Verhalten zumindest ein wenig.
„Gehen wir zurück“, sagte er und unterdrückte dabei mühsam ein weiteres unwirsches Knurren. Diesmal galt es ihm selbst, denn er hätte einfach früher zurückkommen müssen.
Kamilla gefiel der befehlende Ton absolut nicht, aber da sie sowieso zurück zu ihrem Zimmer wollte, setzte sie sich in Bewegung. Er griff nach ihrem Arm, aber sie wich ihm aus und funkelte ihn böse an. Das reichte aus, um den Wolf in seine Schranken zu weisen. Er knurrte zwar, doch Kamilla war zufrieden damit. Marcs Anspannung und Übellaunigkeit war wieder da, aber sie hatte keine Ahnung, was ihn so leicht reizbar machte, nun wo sie endlich hier waren. Ihr war es, als lösten sich die Fortschritte in Luft auf, die sie noch bei ihrer Ankunft festgestellt hatte.
Auch darüber würde sie Kevin fragen müssen, sobald sie die Gelegenheit dazu fand.