Читать книгу Zeitenwende - Viktoria Vulpini - Страница 4

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Kapitel 1

„Conan! Conan!“ Saskia ging vor dem Eingang zum Park hin und her. Immer wieder rief sie den Namen. „Scheiße“, murmelte sie und blickte zwischen die Bäume und Büsche.

Sie wollte nicht hier sein und auf keinen Fall konnte sie auch nur einen Fuß in den Park setzen. Sie war den Tränen nahe, um sie herum senkte sich die Dunkelheit immer weiter über die Straße und nur die einzelnen Laternen bildeten kleine Lichtoasen. Lichtoasen, in denen sich nichts verstecken konnte, in denen nichts sie überraschen konnte.

„Conan!“, rief sie noch einmal, aber viel Hoffnung hatte sie nicht. Sie schaltete die Taschenlampe ein und ließ den Lichtkegel durch das Dunkel wandern. Ihre Hände waren nass vor Schweiß, ihr Herz hämmerte und am liebsten wäre sie so schnell wie möglich nach Hause zurückgekehrt.

Ein Knacken erklang im Dunkeln vor ihr. Ihre Knie wurden weich.

„Conan?“, ihre Stimme klang brüchig.

Wieder erklang ein Knacken und sie meinte das aufgeregte Winseln ihres Hundes zu hören.

Schritte näherten sich ihr. Sie sah einen Mann auf sich zukommen, der ihren Welpen auf dem Arm hatte. Blondes, langes Haar, das zu einem Zopf zurückgebunden war, eine schwarze Jacke und dazu eine dunkelblaue Jeans.

Er hob die Hand und schirmte seine Augen ab, als sie ihm mit ihrer Lampe direkt ins Gesicht leuchtete. Saskia senkte den Lichtkegel eilig etwas, wich aber gleichzeitig nach hinten aus, so dass sie mittig unter der Straßenlaterne im Lichtkreis stand.

„Sieht so aus, als würden Sie diesen kleinen Ausreißer suchen“, sagte der junge Mann ruhig und bemühte sich den jungen, zappeligen Hund zu bändigen und ihn gleichzeitig davon abzuhalten ihm durchs Gesicht zu lecken.

„Conan!“ Erleichterung war in Saskias Stimme zu hören, aber sie fühlte sich unsicher. Wie immer, wenn es dunkel wurde.

„Sie sollten ihn vielleicht nehmen. Ich habe den Eindruck, dass er entschlossen ist, mich zu fressen“, sagte der Mann amüsiert, während er alle Hände voll damit zu tun hatte, den Welpen zu bändigen.

„Setzen Sie ihn bitte einfach runter“, sagte Saskia und nahm ihm die Leine ab, die er ihr kurz darauf hinhielt.

Der kleine Hund sprang an ihr hoch, nur um dann wieder an dem Fremden hochzuspringen, der in die Hocke ging, um den kleinen Hund noch ein wenig zu streicheln.

„Er ist ein ziemlicher Wildfang was? Wie alt ist er denn?“, fragte der Mann.

„Etwa 4 Monate. Danke, dass Sie ihn eingefangen haben. Wir sollten uns nun auch beeilen, dass wir nach Hause kommen.“

„Kein Problem. Mit so einem netten Hund, suche ich gerne den Besitzer.“

Sie nickte und wollte sich gerade zum Gehen wenden, als das Licht auf der ganzen Straße ausfiel und sie plötzlich im Dunkeln stand.

Saskia erstarrte, sie wäre davongelaufen, wenn sie hätte davonlaufen können, doch ihre Beine versagten ihr den Dienst. Aus allen Richtungen zugleich, schienen die Schatten auf sie zuzukriechen.

„Du bleibst hier“, hörte sie den fremden Mann sagen und der Welpe fing wieder an, ganz aufgeregt zu winseln. „Geht es Ihnen gut?“

Nein, ihr ging es gar nicht gut. Ängstlich fingerte sie nach der Taschenlampe, die ihr direkt aus der Hand viel. Sie hörte das Splittern von Glas, als sie auf dem Asphalt aufschlug. Saskia hätte aufgeschrien, wenn sie denn hätte schreien können. Sie war starr vor Angst.

„Es ist sicher nur ein Stromausfall“, sagte der Mann gelassen und sie sah, dass er die Lampe aufhob, während er ihren Hund festhielt. „Ich fürchte, die ist hin.“

Er reichte ihr die Lampe und tatsächlich gab sie kein Lebenszeichen mehr von sich.

„Wissen Sie was, lassen Sie uns die Straße hinaufgehen. Dort vorn ist ein kleines Restaurant, das hat immer ein paar Kerzen auf den Tischen stehen.“

Saskia kannte das kleine Restaurant, von dem er sprach, recht gut, war sich aber nicht sicher, ob sie den Weg schaffen würde. Es war ihr peinlich hier wie angewurzelt zu stehen, doch die Angst vor der Dunkelheit war größer als ihre Scham. Überall um sie herum schienen sich die Schatten zu bewegen, auf sie zuzukriechen und ihre gierigen Finger nach ihr auszustrecken.

Sie spürte eine Berührung am Arm und zuckte zusammen. „Kommen Sie. Gehen wir.“

Er legte ihr leicht die Hand auf den Rücken. Die Berührung ließ sie nach vorn ausweichen und nach dem ersten Schritt wurde es leichter.

Schweigend ging sie neben dem jungen, fremden Mann her, der einen vollkommen ruhigen Eindruck auf sie machte. Ihn schien die Situation nicht sonderlich aus der Fassung zu bringen und diese Gelassenheit, gab ihr die Kraft durch die Dunkelheit zu gehen. Immer einen Fuß vor den anderen zu setzen und sich auf keinen Fall umzusehen.

Saskia atmete auf, als sie aus der schier unerträglichen Kälte der herbstlichen Nacht in das Innere des warmen Lokals trat, dass zumindest ein wenig erleuchtet war.

„Ein Tisch für zwei und eine Schale Wasser für den Hund“, sagte der Mann und der Kellner brachte sie sofort an einen kleinen, ruhigen Tisch in der Ecke.

„Ich bringe Ihnen gleich die Karte, aber ohne Strom sind wir ein wenig eingeschränkt in unserer Auswahl.“

„Trinken Sie Cola?“, fragte er und als sie nickte, orderte er gleich zwei.

Saskia fühlte sich im Halbdunkel des Restaurants immer noch nicht wohl, aber es war besser als draußen auf der Straße, die anderen Menschen um sie herum beruhigten sie ein wenig.

„Sie sehen aus, als ginge es Ihnen wieder etwas besser“, sagte der Mann und lächelte sie freundlich an.

Nachdem sich die Angst nun in Grenzen hielt, siegte die Scham über ihr Verhalten. Sie spürte, dass sie rot wurde und nickte. „Ich leide an Achluophobie. Das heißt, ich ertrage die Dunkelheit einfach nicht.“

„Dann ist der Herbst und der Winter sicher eine sehr schwere Zeit.“

Saskia nickte, obwohl sie keine Vergleichswerte dazu hatte. Bis vor einigen Wochen hatte sie diese Angst noch nicht gehabt, aber dann war ein Dämon bei einer Dämonenbeschwörung aufgetaucht und wenige Tage später war sie kurzfristig von einem Dämon besessen gewesen. Seit diesem Zeitpunkt ging ihr Leben den Bach hinunter, aber das konnte sie dem gutaussehenden, jungen Mann nicht sagen. Das konnte sie niemanden sagen, wenn sie nicht wollte, dass man sie für total verrückt hielt.

„Ich freue mich jetzt schon darauf, wenn wieder Sommer ist“, antwortete sie ausweichend.

Der Kellner brachte die Karten und Getränke und ließ sie dann wieder allein.

„Ich denke, ich versuche einen Salat, das sollte sich auch ohne Strom bewerkstelligen lassen, was ist mit Ihnen?“

„Ich habe keinen Hunger“, log sie, denn in Wahrheit hatte sie nur ein bisschen Kleingeld dabei, dass hoffentlich ausreichte, um zumindest die Cola zu bezahlen.

Als der Kellner kam, bestellten sie nichts weiter und ein unangenehmes Schweigen, breitete sich am Tisch aus.

„Ich glaube, ich hatte mich noch gar nicht vorgestellt. Ich heiße Chris.“

„Saskia.“

Sie musterte den jungen Mann, der einen gepflegten und freundlichen Eindruck auf sie machte und dessen ruhige Art sie als sehr angenehm empfand. Unter anderen Umständen und bevor sie diese verfluchte Idee gehabt hatte eine Dämonenbeschwörung durchziehen zu wollen, wäre es sicher eine interessante Bekanntschaft gewesen, doch nach den Dingen die geschehen waren, fühlte sie sich defekt und dreckig. Sie schaffte es schon nicht einmal mehr, ihre langjährigen Freundschaften zu pflegen, da hatte sie an neuen Leuten in ihrem Leben absolut kein Interesse.

„Wohnen Sie hier in der Nähe?“, fragte er.

„Warum?“, entgegnete Saskia misstrauisch.

„Weil ich Ihnen anbieten wollte, Sie nach Hause zu bringen.“

Saskia war hin- und hergerissen. Sich von einem Fremden nach Hause bringen zu lassen oder allein durch die Dunkelheit und ihre Schrecken zu wandern. Es erschien ihr beides nicht wirklich ideal zu sein.

„Etwa einen halben Kilometer von hier.“

„Das ist ja nicht weit.“

Der Mann hatte hübsche, blaue Augen, die freundlich aussahen und doch hatte Saskia den Eindruck, manchmal ein merkwürdiges Schimmern darin zu sehen.

Langsam aber sicher begann sie durchzudrehen, in ihrer Wohnung hatte sie schon ständig den Eindruck, dass sich Dinge veränderten, wenn sie nicht da war, im Dunkeln sah sie Schatten, wo keine waren, und jetzt fing sie an, überall Dämonen zu sehen. Es war nicht das erste Mal und sie war sich ziemlich sicher, dass es auch hier wieder nur ihre überreizten Nerven waren.

Sie nickte und nahm einen Schluck Cola.

„Conan, der Barbar?“, fragte er und lächelte. „Ein interessanter Name für einen so kleinen, freundlichen Hund.“

Saskias Mundwinkel zuckten ein wenig. „Er wird ja nicht immer so klein und süß bleiben, hoffe ich. Immerhin soll er mal ein richtiger Wachhund werden.“

„Wenn ich es dir doch sage, das hat garantiert mit dem Riss zu tun, da kommen so merkwürdige Wellen raus, und die legen unser Stromnetz lahm, dass haben die im Internet schon vor Wochen gesagt“, erklang die Stimme einer Frau vom Nachbartisch, die ihren Tischnachbarn offenbar davon zu überzeugen versuchte, dass es da einen Zusammenhang gab.

Saskia verdrehte die Augen. Sie konnte diese ganzen Themen rund um den Anschlag, den Riss und die Verschwörungstheorien nicht mehr hören.

„Ich sehe schon“, sagte der junge Mann amüsiert, „Sie haben auch genug von diesem ganzen Unsinn.“

Saskia nickte und verzog das Gesicht.

„Wissen Sie, was meine Liebste ist?“, fragte er in einem verschwörerischen Tonfall mit gesenkter Stimme.

Saskia zögerte, bevor sie den Kopf schüttelte.

„Der Riss beweißt, dass die Erde eine Scheibe ist.“

„Wie das?“, fragte Saskia und hatte ihre liebe Mühe da einen Zusammenhang zu finden.

„Deshalb gefällt sie mir so gut. Ich kann nicht rausfinden, wie die Leute darauf kommen und ich habe mir wirklich Mühe gegeben. Aber bei den Flacherdlern, steige ich immer aus. Ich gehöre eindeutig zu den Verblendeten, die die Erde für eine Kugel halten.“

Saskia musste lachen. „Mein Favorit ist das Schwarze Loch.“

„Die kenne ich nicht“, gab der Mann zu.

„Im Prinzip läuft es darauf hinaus, dass das Zeug was in einem schwarzen Loch landet, ja irgendwohin muss und das ist der Ausgang. Deshalb sickert da auch Licht raus, weil das ja irgendwo anders von dem Schwarzen Loch eingesaugt wurde.“

Chris hatte sichtlich Mühe, nicht laut loszulachen, und auch Saskia kicherte nun etwas. Für einen Moment entspannte sie sich und vergaß fast, in welch einer unangenehmen Situation sie hier steckte.

„Ich muss zugeben, das ist auch eine amüsante Theorie“, sagte Chris. „Der Ausgang eines schwarzen Lochs“, wiederholte er kopfschüttelnd.

Nachdem das erste Eis nun doch gebrochen war, unterhielten sie sich eine Weile über belanglose Dinge. Schließlich waren die Gläser leer und es war an der Zeit das Restaurant zu verlassen.

Der Strom war noch immer nicht wieder angegangen und Saskia war recht nervös, als sie das Restaurant verließen. Chris hatte eine Kerze organisiert, die sie mitnahmen.

Es war albern, das war Saskia klar, aber die Kerze, die man in ein leeres Glas gestellt hatte, beruhigte sie. Das Licht gab ihr den Eindruck, nicht vollkommen verloren durch die Dunkelheit zu wandern.

Conan lief müde und brav an der Leine neben Chris her, der ihn ohne zu fragen übernommen hatte.

So war der Weg nach Hause für Saskia noch immer nicht angenehm, aber erträglich.

„Da vorne wohne ich“, murmelte sie und deutete auf ein Haus.

„Ich komme mit an die Tür, passe auf Conan auf, so dass Sie in Ruhe eine Taschenlampe holen oder einige Kerzen anzünden können“, schlug er vor.

Saskia zögerte, willigte dann aber ein. Es war auch ohne Conan schon schwer genug, allein im dunklen Haus unterwegs zu sein und die Kerzen anzuzünden. Um genau zu sein, war es eine Horrorvorstellung, da würde sie es nicht ertragen, wenn dann auch noch der kleine Hund vor ihren Füßen herumlief.

Am Haus angekommen, suchte Saskia nach ihrem Schlüssel. Der Schweiß stand ihr auf der Stirn und ihre zitternden Finger ließen den Haustürschlüssel direkt fallen.

Saskia fluchte leise und wollte ihn aufheben. Den gleichen Gedanken hatte auch Chris und schon stießen sie sehr unsanft mit den Köpfen zusammen.

Saskia verlor prompt das Gleichgewicht und landete auf ihrem Hintern.

„Tut mir leid, da war wohl mein Dickschädel im Weg,“ sagte Chris und klang dabei erheitert.

Saskias Mundwinkel zuckten angespannt, während sie wieder auf die Füße kam. Chris ließ den Schlüssel in ihre Hand fallen und grinste noch immer aufmunternd.

„Tut mir leid, ich bin einfach ungeschickt“, murmelte Saskia und wandte sich der Tür zu.

„Na, das war aber zu mindestens der Hälfte meine eigene Schuld“, sagte er amüsiert. Während sein Blick besorgt über sie wanderte.

Saskia stieß die Tür auf. Der Flur war stockfinster. Es gab keine Fenster. Normalerweise brannte hier immer Licht, doch nun war es, wie jedes andere Licht auch, erloschen. Saskia konnte kaum atmen, der Gedanke auch nur einen Schritt in die Finsternis zu setzen, wo sie sonst etwas erwarten konnte, schnürte ihr die Kehle zu.

„Wenn Sie wollen, komme ich mit hinein“, schlug Chris vor, dem ihr Zustand nicht entgangen war.

„Auf keinen Fall!“, antwortete sie schnell. Ihre Stimme klang einige Oktaven zu hoch. Noch schlimmer als die Dunkelheit würde es werden, wenn noch jemand ihr vollkommen Fremdes in ihrem Haus wäre. Jemand, den sie nicht sehen konnte oder etwas, dass ihr wehtun würde.

„Okay“, sagte er ruhig.

Verdammt reiß dich zusammen, wies sie sich in Gedanken zurecht. Sie machte einen Schritt nach vorn. Die Dunkelheit war überall, der Schweiß lief ihr den Rücken runter und ihre Beine weigerten sich, auch nur noch einen Schritt zu tun. War da nicht schon wieder das stete Tropfen von Blut? Tropf. Tropf. Tropf. Saskia glaubte, kaum wahrnehmbar ein Wimmern zu hören, das irgendwo vor ihr in der Dunkelheit seinen Ursprung zu haben schien.

„Ich schaffe das nicht“, murmelte sie. Saskia hasste es, sich so hilflos zu fühlen. Es war genau wie damals, sie hatte keine Kontrolle über ihren Körper. Die Erinnerungen kamen wieder hoch und mischten sich mit weiteren Schreckensbildern.

„Wissen Sie was, ich habe eine Idee. Nehmen Sie den Hund und sagen mir, wo ich Kerzen oder eine Taschenlampe finde, und ich erledige das kurz.“ Chris´ Stimme holte sie aus ihren Gedanken, die mehr und mehr zu einem Alptraum wurden. Fast fluchtartig machte sie einen Schritt nach draußen. Sie war ihm dankbar. Nicht wegen seines Angebotes, sondern weil seine Stimme sie aus ihren Erinnerungen befreit hatte. Seine Idee gefiel ihr eigentlich nicht besonders, aber in diesem Moment hätte sie alles getan, wenn es sie nur davor bewahrte, in die Finsternis ihrer Wohnung zu müssen.

„Es tut mir leid, dass ich Ihnen solche Umstände mache“, murmelte Saskia, der dieser Umstand äußerst unangenehm war.

„Unsinn. Wenn ich nicht meine Zeit sinnvoll hier verbringen würde, dann würde ich vermutlich vor dem Fernseher sitzen und versuchen zu verstehen, was die Menschen nur so interessant an Zombiefilmen finden“, sagte er leichthin.

Saskia runzelte kurz die Stirn und beschrieb ihm den Weg ins Wohnzimmer und dort den Schrank, in dem Taschenlampen und Kerzen in großen Mengen lagerten.

„Gut, ich bin gleich wieder hier“, sagte er und ging in den Flur hinein. Für ihn machte es keinen Unterschied, ob es hell oder dunkel war. In beiden Fällen sah er gleich gut. So bemerkte er auch sofort, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmte. Der Raum, dessen Vorhänge zugezogen waren, sah aus, als wäre er durchwühlt worden, überall lagen Dinge auf dem Boden. Er konnte sich nur schwerlich vorstellen, dass Saskia dieses Chaos selbst verursacht hatte. Eilig warf er einen Blick in die angrenzenden Räume, doch er fand nichts und niemanden.

Saskia stand da und kam sich schrecklich verloren vor. Ein Teil von ihr hoffte, dass er gleich zurückkam, doch sie wusste auch, dass es eine fürchterliche Nacht in dem Haus werden würde, wenn das Licht nicht funktionierte.

Sie wich zurück, als sein dunkler Schatten auf sie zukam und wieder glaubte sie, dass der Schatten ein merkwürdiges Glimmen in den Augen hatte. Ihr Herz stockte und sie erstarrte, doch es war nur Chris, der kurz darauf aus dem Haus kam.

„Saskia, ich weiß, das geht mich eigentlich nichts an, aber ... haben Sie etwas gesucht, bevor Sie das Haus verlassen haben? In Ihrem Wohnzimmer sieht es ziemlich chaotisch aus. Es liegen viele Dinge auf dem Boden verstreut“, sagte Chris vorsichtig.

Saskia sah ihn kopfschüttelnd an. „Sie nehmen mich auf den Arm, oder?“

Er schüttelte den Kopf. „So etwas würde ich in solch einer Situation niemals tun.“

Sie musterte ihn misstrauisch, glaubte aber, dass er die Wahrheit sagte.

„Ich würde vorschlagen, wir rufen die Polizei und melden einen Einbruch. Es ist sicher keine gute Idee, noch einmal das Haus zu betreten.“

Es war gut, dass er in letzter Zeit so viel ferngesehen hatte. Sein erster Impuls war es, das Haus azu durchsuchen und den Eindringling gegebenenfalls einen Kopf kürzer zu machen. Er musste sich ziemlich beherrschen, um diesem Impuls nicht nachzugeben. So etwas taten Menschen einfach nicht.

Saskia nickte und entspannte sich wieder ein wenig. Er hielt ihr sein Telefon hin, doch sie schüttelte den Kopf. „Wäre es möglich, dass Sie...?“ Ihre Stimme zitterte.

„Ja, natürlich“, sagte er und drückte auf den Knopf auf dem Notruf stand.

Er schaltete auf Lautsprecher, so dass sie mithören konnte, gab die Adresse durch und äußerte die Vermutung eines Einbruchs.

Das Gespräch dauerte nur wenige Minuten und war ziemlich unbefriedigend. Auf keinen Fall sollten sie ins Haus zurückgehen, sondern idealerweise zu Bekannten oder Verwandten fahren oder auch in ein Hotel. Da aufgrund des Stromausfalls die Teams alle im Einsatz waren, würde es wohl eine Weile dauern, bis man sich um das Problem kümmern konnte. Chris gab ihnen seine Telefonnummer durch, auf der sie sich melden würden.

„Haben Sie Familie, zu der Sie können oder Freunde?“

Saskia schüttelte den Kopf. „Nein, leider ist das derzeit alles etwas kompliziert.“

Das war die Untertreibung des Jahrhunderts. Sie hatte Freundinnen, doch zu denen konnte sie nicht.

Ihre beste Freundin Thea lebte mit einem Dämon zusammen. Einem Dämon, den sie beschworen hatten und der sie einmal fast mit einem Schürhaken aufgespießt hätte. Dann war da noch Manuela und sie war eine Hexe, aber die wusste nicht, was ihr passiert war, und Saskia wollte auf keinen Fall noch mehr mit diesem ganzen Hexenkram und Hokuspokus zu tun haben.

Natürlich kannte sie noch mehr Leute, aber niemand wusste von ihren Problemen und das sollte auch so bleiben.

„Ich werde mir einfach ein Hotel suchen“, murmelte sie. Eine gute Idee war das nicht, denn das würde ihre sowieso schon geschröpften Finanzen noch stärker belasten.

Chris schüttelte den Kopf. „Ich habe eine bessere Idee. Kommen Sie mit zu mir, ich habe ein Gästezimmer, die Polizei wird sich sowieso bei mir auf dem Handy melden.“

Saskia schüttelte den Kopf. „Das ist sehr nett, aber ich glaube, ein Hotel ist die bessere Wahl.“

„Ganz, wie Sie möchten.“ Er zögerte kurz. „Brauchen Sie etwas aus dem Haus? Wenn Sie mir sagen, wo es liegt, könnte ich es Ihnen noch schnell holen.“

„Und wenn der Einbrecher noch da ist? Das ist viel zu gefährlich. Ich brauche nichts.“

„Sicher?“

„Ja, da ist nichts, was das Risiko wert ist.“

Chris widerstrebte es, aber er riss sich zusammen, so lief das eben bei den Menschen.

„Warten Sie kurz hier, dann gehe ich einmal um das Haus herum, nicht das irgendwo ein Fenster oder eine Tür offensteht“, sagte er und tat, was er angekündigt hatte. Er konnte niemanden sehen und war sich fast sicher, dass der Einbrecher schon vor einer Weile wieder verschwunden war.

Saskia gefiel das nicht und sie machte sich Sorgen darüber, dass ihm etwas zustoßen könnte. Zum Glück brauchte er nicht lange, dann kam er zurück.

Zusammen gingen sie die dunkle Straße entlang. Conan winselte und fror sichtlich. Saskia beobachtete, wie der Mann den kleinen Hund einfach in seine Jacke steckte und Conan wenig später eingeschlafen war.

Da auch das Handynetz von dem Stromausfall betroffen zu sein schien oder vielleicht einfach nur überlastet war, machten sie sich auf den Weg zum nächstgelegenen Hotel. Als sie es erreichten, war es ein Reinfall, denn dort waren keine Hunde erwünscht. Das Zweite war angeblich komplett ausgebucht und beim Dritten wollte man wieder Conan nicht mit hineinlassen.

Saskias Nerven lagen blank. Noch immer war der Strom weg, ihre Füße waren eiskalt und sie begann erbärmlich zu frieren.

„Wollen wir noch ein weiteres Hotel versuchen?“, fragte Chris, der absolut nicht davon überzeugt war, dass das ein besseres Ergebnis bringen würde.

Saskia nickte. Sie hatte die eine Hand in der Jacke vergraben, die andere hielt die immer kleiner werdende Kerze in dem Glas.

Chris dachte kurz darüber nach, wo er noch ein Hotel gesehen hatte, doch dann traf er eine Entscheidung.

Etwa zwanzig Minuten später ging er durch ein Tor zu einem großen Haus mit Garten.

„Wo sind wir? Das sieht nicht nach einem Hotel aus“, sagte Saskia schlotternd und misstrauisch.

„Chris´ Hotel. Hat garantiert noch Zimmer frei und ist tierfreundlich. Das ist mein Zuhause im Moment. Kommen Sie mit rein, Saskia. Ich mache ein Feuer im Kamin an und Sie können sich aufwärmen. Wir können hier warten bis die Telefone wieder funktionieren und dann bei den Hotels der Umgebung anrufen. Wenn wir da ein Zimmer für Sie bekommen, rufe ich Ihnen ein Taxi, das sie dort hinbringen kann.“

Sie zögerte. Es gefiel ihr nicht, doch die Aussicht auf Licht und Wärme, ließ sie ihre Zweifel überwinden. Saskia nickte.

Durch einen Flur ging es in einen großen Raum, der zugleich Wohn- und Esszimmer war und eine direkt angeschlossene Küche hatte.

„Setzten Sie sich auf die Couch, ich gebe Ihnen gleich eine Decke und mache den Kamin an.“

Zögerlich setzte sie sich auf das bequeme Sofa und stellte das Glas vorsichtig auf den Tisch. Chris reichte ihr den kleinen Hund, der sich direkt zusammenrollte und weiterschlief.

Einen Moment später legte ihr Chris eine Decke um die Schultern und machte sich dann daran, den Kamin anzuzünden.

Saskia atmete auf, als im Kamin langsam das Feuer größer wurde und immer mehr die Dunkelheit vertrieb.

Chris setzte sich auf einen Sessel. Die Jacke hatte er ausgezogen und darunter kam ein muskulöser Oberkörper zum Vorschein, der in einem enganliegenden Shirt steckte.

„Ich weiß nicht, wie es mit Ihnen ist, aber ich habe Hunger. Möchten Sie auch ein belegtes Brot? Ich habe Lachs und Thunfisch da und Ananasmarmelade. Mit etwas Glück ist vom Honig auch noch etwas übrig. Ich kann den Lachs empfehlen, der ist wirklich gut!“

Saskia nickte. „Dann würde ich den versuchen.“ Ihr Magen knurrte laut vernehmlich und sie blickte ins Feuer.

„Gut.“ Er stand auf und ging in die Küche, wo er im Dunkeln vor sich hinzuwerkeln begann. Die Geräusche machten sie nervös und sie war froh, als er mit zwei Tellern mit je zwei gut belegten Sandwichscheiben zu ihr kam und ihr einen der Teller hinstellte und sich selbst setzte.

„Wir können die Teller auch tauschen, wenn Ihnen das lieber ist.“

Saskia schüttelte den Kopf und griff danach. Ihre Hände zitterten noch immer und sie stellte den Teller auf ihre Beine. Conan war wohl vom Geruch wach geworden und schnüffelte interessiert nach dem, was da so lecker roch.

Belustigt schaute Chris zu, wie der kleine Hund sich ein Stückchen nach dem nächsten erbettelte und als der Teller leer war, sich wieder einrollte, um weiterzuschlafen.

„Soll ich Ihnen noch eines machen? Ich bin mir sicher, der Kleine wäre dafür.“

Saskia schüttelte den Kopf „Nein, danke. Ich bin wirklich satt“, sagte sie. Ihr war die Situation mehr als unangenehm und sie war eine miserable Lügnerin. Sie war sich sicher, dass Chris das auch bemerkt hatte, doch er lächelte nur freundlich und nickte.

Dann stand er auf, brachte ihr eine Flasche Mineralwasser und legte noch etwas Holz nach.

„Legen Sie sich ruhig hin. Das Feuer sollte eine Weile brennen und ich schaue, ob ich irgendwo noch eine Taschenlampe auftreiben kann, die ich Ihnen gleich bringe. Ich werde mich dann nach oben zurückziehen. Wenn etwas ist, können Sie mich rufen.“

Saskia nickte etwas verlegen. „Danke.“

„Kein Problem“, antwortete Chris, der sich stark beherrschen musste, die junge Frau nicht einfach tröstend in den Arm zu nehmen. Aber er musste vorsichtig sein. Wenn er ihr helfen wollte, musste sie ihm vertrauen. Zügig ging er die Treppe hinauf und verschwand.

Saskia zögerte noch kurz und lauschte auf Chris´ Schritte, bis sie hinter einer Tür verstummten. Schließlich legte sie sich hin. Sie glaubte nicht, dass sie schlafen konnte, doch die Nacht würde im Sitzen auch nicht schneller vergehen. Conan kuschelte sich an sie und der kleine warme Hundekörper beruhigte Saskia ein wenig.

Als er mit einer Lampe und einigen Packungen passender Batterien zurückkam, war sie schon eingeschlafen. Er ließ die Verpackung der Lampe, die er eben besorgt hatte, im Müll verschwinden und stellte sie fertig gemacht auf den Tisch. Conan hob den Kopf, drehte sich dann um und legte sich wieder hin. Jetzt wo sie schlief, betrachtete er sie genauer. Die hübsche, rothaarige, junge Frau sah mitgenommen aus. Er hatte sie in den Wochen beobachtet und ihm war aufgefallen, dass es ihr nicht gut ging, doch aus der Nähe, wirkte sie wie jemand, der dringend Hilfe brauchte. Er war sich sicher, dass er mit seiner Vermutung Recht hatte. Das war nicht nur Asmodiacs Werk. Er hoffte, dass er sich täuschte, doch wenn nicht, dann hatte Turraz seine dreckigen Finger im Spiel und dann gab es nur wenig, was ihr helfen konnte. Vor allem würde sie das nicht allein schaffen und sich helfen lassen müssen.

Vorsichtig zog er die Decke etwas höher, dann setzte er sich in den Sessel und beobachtete sie.

Saskia fuhr hoch. Es roch falsch. Mit einem erschrockenen Jaulen sprang Conan davon. Ihr Herz raste und ihre Augen wanderten durch den ihr unbekannten Raum.

„Alles in Ordnung?“, erklang eine ruhige, männliche Stimme.

Sie fuhr herum und sah den jungen Mann mit dem blonden Haar. Er trug sie offen und sie fielen mit einem hübschen, goldenen Glanz sanft auf seine Schultern und darüber hinaus. Er stellte gerade eine Kanne Kaffee auf den Tisch. Sie sah eine Tüte von einem Bäcker und es roch verlockend nach frischen Brötchen. Der Raum war hell erleuchtet, obwohl es vor den Fenstern noch relativ dunkel war. Sie erinnerte sich wieder daran, wie sie hier hergekommen war.

„Ja, ich war nur etwas ... .“ Sie zuckte die Schultern und wusste nicht so recht, was sie sagen sollte.

„Frühstücken Sie mit mir? Es gibt Kaffee, frische Hörnchen und Brot. Ich hätte auch noch Eier und Speck im Kühlschrank, aber die müssten Sie machen. Jedes Mal, wenn ich versuche, irgendwas zuzubereiten, endet das darin, dass ich es wegwerfen kann. Irgendwie habe ich noch nicht raus, wie das funktioniert. Also gibt es bei mir nur Sachen, bei denen ich keine Töpfe oder Pfannen brauche.“ Die Art wie er es sagte und der etwas ratlose Gesichtsausdruck ließen Saskia schmunzeln. Sie glaubte ihm, dass er es mit dem Kochen nicht so hatte.

Saskia war bemüht darum, nicht allzu breit zu grinsen. „Nun ja, wenn Sie gerne Eier mit Speck essen würden, dann ist es wohl das Mindesteste, wenn ich das Braten übernehme.“

Chris grinste. „Wunderbar und ich decke währenddessen den Tisch. Eine Bratpfanne finden Sie unten links oder unten rechts auf jeden Fall irgendwo unten.“

Saskia schüttelte amüsiert den Kopf und ging in den großen Küchenbereich. Ähnlich wie auch das Wohnzimmer war die Küche eher spärlich eingerichtet. Eine Pfanne, ein Topf, ein paar Becher und Gläser und ein Satz Besteck. Auch die Lebensmittel hielten sich in Grenzen. Bei ihrer Suche nach dem Salz entdeckte sie keine angebrochenen Packungen.

„Wohnen Sie hier schon lange?“, fragte sie.

„Ein paar Wochen erst, aber ich bin selten da und wenn, dann bemühe ich irgendeinen Lieferdienst“, antwortete er lachend.

In einer Tüte neben dem Kühlschrank entdeckte sie einen Berg Hundefutter.

„Haben Sie einen Hund?“

„Nein. Ich hatte nur keine Ahnung, was Ihrer zum Frühstück bekommt, also habe ich eine kleine Auswahl mitgebracht.“

Saskia blickte die Tüte an. „Kleine Auswahl...“, murmelte sie.

„Stimmt damit etwas nicht?“, fragte er und sie fuhr erschrocken zusammen, da sie nicht mitbekommen hatte, dass er sich ihr genähert hatte.

„Nein, nein. Ich fand nur die Wortwahl amüsant. Das reicht vermutlich, um Conan einen Monat oder zwei zu ernähren.“

Er setzte sich auf den Tresen, der die Küche vom Esszimmer trennte und zuckte leicht die Schultern. „Ich hatte noch nie einen Hund und ich dachte, ich bringe besser von allem etwas mit, dann ist sicher auch was Passendes dabei“, stellte er achselzuckend fest. „Den Teil, den Conan nicht mag, können wir an ein Tierheim geben, die freuen sich immer über Tierfutter.“

Saskia runzelte die Stirn und wusste nicht so genau, was sie sagen sollte. Sie konzentrierte sich stattdessen darauf, die Eier in die Pfanne zu schlagen, die nicht aussah, als hätte man sie schon häufig benutzt.

Am Pfannenwender hing noch eine kleine Kette, mit dem er wohl im Laden einmal aufgehängt gewesen war.

Als die Eier fertig waren, verteilte sie sie auf zwei Teller und brachte sie mit zum Tisch. Conan lief ihr zwischen die Beine und sie hatte ihre liebe Mühe, den kleinen Hund vom Betteln abzuhalten und es gelang ihr nur mit geringem Erfolg.

Chris war von Conan sichtlich amüsiert und musste sich schwer zusammenreißen, um dem kleinen, bettelnden Wesen nicht doch ab und an einen Brocken zu geben.

Das Frühstück war noch nicht ganz beendet, als sein Telefon klingelte. Er schaltete es auf laut, so dass sie mithören konnte.

In einer Stunde sollte sie am Haus sein, um sich mit den Polizeibeamten vor Ort zu treffen.

„Haben Sie etwas dagegen, wenn ich mitkomme?“, fragte Chris. „Ich würde gern einmal zusehen, wenn sie ihre Arbeit machen.“

Saskia runzelte die Stirn. „Warum nicht. Aber ich vermute, durch den Einbruch wird es wohl nicht aufgeräumter sein als vorher und ich war in der letzten Zeit etwas nachlässig.“ Verlegen senkte sie den Blick.

„Ich schau gar nicht hin, versprochen“, sagte er und sie brachte es nicht fertig, nein, zu sagen.

Mit einem Taxi fuhren sie zu ihrem Haus, wo sie noch gute zehn Minuten auf die Polizei warten mussten. Erst dann betraten sie es. Wie üblich schaltete Saskia in jedem Raum, der nicht entsprechend beleuchtet war, die Lampen ein und riss die Vorhänge auf.

Tatsächlich hatte jemand ihre Wohnung offensichtlich durchwühlt. Schubladen lagen auf dem Boden, der Inhalt verteilte sich im weiten Umkreis drumherum, die Regale waren abgeräumt worden, einige Ziergegenstände waren zerbrochen. Im Badezimmer sah es genauso schlimm aus, wie in der Stube. In der Küche hatte jemand den Kühlschrank offen stehenlassen und ihre spärlichen Lebensmittel verteilten sich im ganzen Raum. Es sah aus, als habe jemand alles aus den Schränken gerissen und einfach im hohen Bogen durch den Raum geworfen. Auch in ihrem Schlafzimmer sah es nicht besser aus. Ihre Wäsche, der Inhalt ihrer Schubladen und ihres Nachtschranks war ebenso überall verteilt worden. Selbst die Box mit Erinnerungsstücken lag auf dem Bett ausgekippt herum.

Saskia verstand nicht, wer so etwas tun würde oder warum. Sie setzte sich auf das Bett und war kurz davor in Tränen auszubrechen. Ein kleiner Elefant aus Rosenquarz lag auf dem Kopfkissen und sie beugte sich hinüber, um ihn aufzuheben. Dabei stützte sie sich auf einer dünnen Decke ab und spürte etwas Klebriges und Feuchtes an ihrer Hand. Sie riss sie hoch. Es war Blut.

Saskia schrie wie am Spieß. Chris stürmte noch vor den Polizisten in den Raum.

Tropf. Tropf. Tropf. Lautes Wimmern und entfernte Schreie. Für Saskia war das zu viel. Das Blut erinnerte sie an Dinge, an die sich nicht erinnert werden wollte. Die Dunkelheit brach über sie herein und sie war wieder dort. Dort in diesem kleinen Raum, dort in der Finsternis. Chris war unglaublich schnell bei ihr, seine Hand umfasste ihren Arm und drückte ihn mit sanfter Gewalt hinunter, während er sie gleichzeitig vom Bett abschirmte.

„Ist gut“, sagte er sanft. „Wir gehen es abwaschen.“ Mit diesen Worten bugsierte er sie vorsichtig in das Badezimmer.

Saskia ließ es geschehen, dass er ihre Hand abspülte. In ihr tobten die Erinnerungen, die sie gern vergessen würde. Da war Blut gewesen, so viel Blut und die Schreie. Schreie in der Dunkelheit.

„Saskia.“ Chris schüttelte sie leicht. Sie blinzelte irritiert und ihre Gedanken kamen wieder ins Hier und Jetzt zurück. Während sie reglos dastand und unfähig war, etwas zu tun.

Sie hatte ihm einen ziemlichen Schrecken eingejagt. Er zog sie an seine Brust und umarmte sie. Es würde nicht einfach werden, aber er würde diesen Kampf gewinnen. Sie musste ihm nur vertrauen, dann konnte er sie von Turraz Einfluss befreien.

Saskia nahm alles nur durch einen dicken Kokon aus Watte wahr. Es beruhigte sie, gehalten und beschützt zu werden, auch wenn sie wusste, dass das nur ein flüchtiger Gedanke war. Er roch nach Feuer und Zedernholz. Saskia atmete tief ein, sie mochte Zedernholz.

„Wir werden das Blut untersuchen müssen. Bis dahin ist es vielleicht besser, wenn sie ihre Freundin von hier fortbringen. Sie soll nicht die Stadt verlassen und wir brauchen eine Adresse, wo wir sie erreichen können.“

Saskia bekam nur am Rande etwas von dem Gespräch zwischen der jungen Polizistin und Chris mit.

Erst als sie das Haus verlassen und sich einige Schritte entfernt hatten, fing sich Saskia wieder. Die Sonne strahlte ihr ins Gesicht und vertrieb die Dunkelheit aus ihren Gedanken.

„Ich ...“, begann sie, brach aber direkt wieder ab. Sie erinnerte sich nur grob daran, was passiert war und doch war es ihr peinlich.

Chris blieb stehen und sah sie an. „Es ist alles in Ordnung, Saskia. Du kommst erst einmal mit zu mir. Du kannst es dir im Gästezimmer gemütlich machen.“

Saskia schloss die Augen, denn wieder meinte sie bläuliche Flammen tanzen zu sehen.

Sie konnte nicht mehr genau sagen, wie sie wieder bei Chris angekommen war. Sie saß auf der Couch und er hatte sich in eine Decke gewickelt.

Nun kniete er vor ihr auf dem Boden und blickte sie an.

„Saskia?“

Es war, als würde sie aus einem bösen Traum erwachen. Sie schreckte etwas zurück.

„Ich will da nicht hin zurück“, murmelte sie und kämpfte das Gefühl nieder, gerade einen Alptraum verlassen zu haben.

Chris war sich nicht sicher, ob sie das Haus meinte, aber er nickte. „Musst du nicht. Du kannst hierbleiben.“

Er streckte die Hand aus, um ihr eine Strähne des roten Haares aus dem Gesicht zu streichen, doch sie wich aus. „Nicht anfassen.“

„Kein Problem. Tut mir leid.“

Saskia entspannte sich wieder ein wenig. Doch nur, bis er sich bewegte und aufstehen wollte.

„Lass mich nicht allein“, bat sie, während die Angst allein in der Finsternis zu sein, ihr die Kehle zuschnürte. Sie spürte schon, wie ihre Gedanken wieder abdrifteten und sie mit sich an diesen grausamen, dunklen Ort rissen.

„Ich setzte mich hier mit hin“, sagte er ruhig und Saskia nickte.

Chris war froh, als Saskia eingeschlafen war. Er ballte die Hände zu Fäusten und spürte die kochende Wut in seinen Adern.

„Was ist los, Chiron?“, fragte Atris, der den Raum betrat.

Chiron legte den Finger auf die Lippen und ging mit ihm aus dem Raum hinaus.

„Jemand ist in ihre Wohnung eingebrochen und hat alles ziemlich verwüstet. Im Bett war Blut.“

Atris runzelte die Stirn. „Menschliches?“

„Ich glaube nicht, aber das werden wir wohl bald wissen, die Polizei untersucht es gerade.“

Atris verdrehte die Augen. „Wie geht es ihr?“

„Dein Mensch hatte Recht. Sie versucht zwar, nach außen hin eine Fassade aufrecht zu halten, aber sie hat ziemlich was durch. Dunkelheit versetzt sie in Panik und das Blut an ihrer Hand hat sie fast durchdrehen lassen. Das ist mehr, als die Erinnerung an die Besessenheit. Ich würde meine Hand darauf verwetten, dass Turraz seine widerlichen Spielchen mit ihr getrieben hat.“

Atris knurrte leicht. „Asmodiac und Turraz? Keine schöne Vorstellung, dass die womöglich zusammenarbeiten.“ Atris schüttelte den Kopf. „Wisst ihr schon, was fehlt?“

„Soweit sind wir nicht gekommen und ich will sie nicht dorthin zurückbringen“, sagte Chiron, dem allein der Gedanke widerstrebte.

Atris nickte. „Du musst entscheiden, ob du es ihr zumuten kannst.“

„Ich werde nicht zulassen, dass Turraz sie zerbricht“, sagte Chiron.

„Ich weiß.“ Violette Flammen loderten wild in den dunklen Augen, des schwarzhaarigen Mannes. „Wie klappt es mit dem Menschsein?“

Der blonde Dämon verzog das Gesicht. „Ich glaube nicht, dass das auf Dauer gut geht. Mir gefällt diese Farce nicht, aber Thea hat Recht. Sie würde mir niemals trauen, wenn sie wüsste, wer ich bin.“

„Du kannst sie aufklären, sobald du ihr gezeigt hast, dass sie dir trauen kann, aber ich fürchte, selbst dann ist es nicht gesagt, dass sie damit klar kommt.“

„Kannst du den kleinen Hund mitnehmen? Vielleicht kann dein Mensch sich um ihn kümmern, bis es ihr besser geht.“

„Sorg´ dafür, dass sie genug isst“, riet ihm Atris. „Sie sieht mager aus.“

„Kaum mehr als Haut und Knochen. Kein Wunder, in ihrem Haus war wenig, was sie hätte essen können. Nur für den Hund hat sie einen Vorrat gehabt“, der blonde Mann klang besorgt.

„Mein Menschlein vermutet, dass sie finanzielle Probleme hat.“

„Ziemlich sicher, in dem Zustand kann sie kaum arbeiten.“

„Thea vermisst sie“, sagte Atris und es war deutlich zu hören, dass ihm das missfiel. „Pass gut auf sie auf, aber unterschätze sie nicht, sie ist nicht dumm. Pass auf, dass dir deine Geschichten nicht um die Ohren fliegen, bevor du ihr vertrauen hast.“ „Ja. Wenn mir das nicht gelingt, gibt es wohl nichts mehr was wir tun können.“ Chiron atmete tief durch und versuchte, sich zu entspannen. „Gibt es bei euch Neuigkeiten?“

Atris schüttelte den Kopf. „Nein. Nichts. Wir tappen immer noch im Dunkeln, was die Anschläge angeht.“

Chiron nickte. „Was ist mit deinem Menschen?“

Atris Gesicht bekam sofort einen weicheren Zug. „Dem geht es gut. Sie ist noch mit dem Einrichten der Wohnung beschäftigt und sie ist ganz verrückt nach mir.“

Chiron lachte und ging Conan holen.

Als Atris wieder auftauchte, hatte er Conan dabei, der leicht winselte und offensichtlich irritiert war.

„Ist der niedlich!“, platzte Thea heraus und kam auf ihn zu. „Na, du Süßer.“

Atris gab ihr den kleinen Hund. „Bekommt er mehr Aufmerksamkeit als ich, landet er im Topf.“

Thea starrte ihn an. „Du bist unmöglich!“

„Wieso? In China isst man auch Hunde, kann doch nicht so verkehrt sein. Auch wenn an ihm wohl nicht viel dran ist.“

„Hör´ nicht auf den blöden Dämon, du landest nicht in der Suppe,“ sagte Thea, dann wurde sie ernst. „Was ist mit Saskia?“

„Sie ist ziemlich mitgenommen. Chiron vermutet, dass ein zweiter Dämon beteiligt gewesen sein könnte.“

„Ich habe dir doch gesagt, dass mit ihr etwas gar nicht stimmt!“, fuhr ihm Thea dazwischen. „Ich will zu ihr.“

Atris schüttelte den Kopf. „Chiron kümmert sich um sie.“

„Das ist eine total bescheuerte Idee“, erwiderte sie.

„Ist es nicht.“

Thea verschränkte die Arme vor der Brust, während Conan an Atris Bein hochsprang. „Ist es doch! Saskia ist nicht blöd, die Augen sind kaum zu übersehen und ihr seid nun wirklich nicht immer umgänglich.“

Atris kam mit einem warnenden Blitzen in den Augen auf sie zu. „Nicht umgänglich?“

Thea blieb stehen, auch wenn es ihr schwerfiel. Ihr Instinkt riet ihr immer noch, Distanz zu wahren, doch sie wusste, dass jedes Zurückweichen ein Sieg für Atris war.

„Du weißt genau, was ich meine! Und das“, sagte sie und pikste mit dem Finger gegen seine Brust, „meine ich. Du hast mir in der Anfangszeit ständig eine scheiß Angst eingejagt und ich wusste nur das, was Manuela mir erzählt hatte. Saskia hat einen echten Dämon erlebt. Ich behaupte mal ganz dreist, sie wird viel empfindlicher auf euch reagieren als ich.“

Atris war stehen geblieben und sah auf sie herab. Er legte ihr die Hand in den Rücken und zog sie mit sanfter Gewalt an sich heran.

„Chiron ist deutlich ruhiger und viel beherrschter als die meisten anderen. Er schafft es als Mensch durchzugehen.“

Thea bemerkte, dass es eine Einschränkung gab, die er nicht aussprach. „ABER?“

„Solange er nicht mit ihr ins Bett geht.“

„Na, da sollte ja wenig Gefahr bestehen.“

„Sicher?“

Thea dachte an die Zeit mit ihm und wie leicht er sie um den Finger gewickelt hatte. „Das wäre ziemlich daneben. Sie in solch einer Situation auszunutzen. Ist das eigentlich irgendein übernatürlicher Trick?“

„Dass du mir nicht widerstehen kannst?“ Er zuckte die Schultern und grinste selbstzufrieden. „Ich glaube nicht. Nach all dem, was ich von den Menschen gesehen habe, scheinen einige Menschen ganz ähnlich erfolgreich bei den Frauen zu sein.“

„Mir gefällt das trotzdem nicht. Sie ist meine beste Freundin.“

„Es ist nicht so, als gäbe es viele Alternativen. Sie braucht Hilfe, die sie sowohl von euren merkwürdigen Ärzten nicht bekommen kann, und er wird sich nicht davon abbringen lassen, ihr zu helfen.“

„Warum eigentlich?“

„Chiron war schon immer jemand, der sich um andere gekümmert hat. Er war ein Heiler vor dem Fall. Ich nehme an, dass er sich für sie verantwortlich fühlt, weil er sie gefunden hat. Vielleicht will er sie einfach nur wieder in ein Leben entlassen, dass eines ist, vielleicht will er sie aber auch. Wir werden sehen. Du kannst daran eh nichts ändern, versuchst du ihm in die Quere zu kommen, wird er nicht sehr nett reagieren.“

„Ihr habt so ein paar echt ätzende Charakterzüge, ist dir das eigentlich klar?“

„Welche denn?“, fragte er und kniff sie in den Hintern.

„Ihr seid rechthaberisch, schrecklich dominant, müsst immer euren Willen durchsetzen und könnt echt mies sein.“

„War das eine offizielle Beschwerde? Dabei hatte ich den Eindruck, dass du diese Charakterzüge durchaus zu schätzen weißt, wenn ich dich vor Lust schreien lasse.“

„Du weißt genau, was ich meine. Das Leben mit dir in meiner Nähe ist oft ein wirklicher Kampf.“

„Gegen deine Triebe, ich weiß.“

Thea stöhnte auf, doch als sie etwas sagen wollte, küsste er sie genauso hart und fordernd wie am ersten Tag und ebenso stark reagierte sie auf diese Berührung.

Doch er ließ schnell von ihr ab.

„Ich weiß, dass du dir Sorgen machst. Vertrau mir, wenn Chiron es schafft, kann er viel mehr für sie tun, als du oder sonst jemand es könnte.“

„Ich hoffe, dass du damit Recht hast. Sie ist meine beste Freundin und sie ist mir wichtig.“

„Deshalb habe ich ein Auge auf Chiron und sie“, versprach Atris.

Als Saskia wieder erwachte, fühlte sie sich deutlich besser. Sie bemerkte, dass sie erneut auf der Couch lag. Der Kamin brannte und sogar das Licht war eingeschaltet. Langsam setzte sie sich auf und sah sich um. Im Flur war es ebenfalls hell erleuchtet, nur im Obergeschoss war es dunkel.

Aus dem Bereich der Küche kamen leise Geräusche und sie drehte sich um.

Saskia war die ganze Sache mehr als unangenehm. Sie war wegen des Blutes vollkommen ausgerastet und hatte sich wie eine Verrückte aufgeführt. Sie schämte sich dafür und gleichzeitig machte es sie wütend, dass sie so schwach und empfindlich reagierte und einfach keinen Weg fand, etwas dagegen zu tun.

Immer wenn die Erinnerungen kamen, waren sie schlimmer als das Mal davor. Sie wusste nicht, was real war, was wirklich geschehen war oder warum der Horror sich von Mal zu Mal steigerte.

Das Einzige, was sie ganz genau wusste, war, dass sie nicht mehr dieselbe Frau sein konnte, die sie gewesen war. Sie beherrschte ihr Leben nicht mehr. Sie hasste diesen Umstand, doch egal, was sie auch versuchte, nichts fruchtete.

Chris räumte gerade einen Haufen Dinge in die Schränke der Küche ein. Dabei machte er den Eindruck, als hätte er nicht den Hauch einer Idee, was er, wo lassen sollte.

Als er ihren Blick bemerkte, sah er sie an, verzog ein wenig das Gesicht und zuckte die Schultern.

„Ich habe noch niemals zuvor eine Küche eingerichtet“, sagte er und Saskia kam der Gedanke, dass er eher den Eindruck machte, dass er noch niemals zuvor in seinem Leben eine Küche betreten hatte. Sie musste zugeben, dass der Gedanke übertrieben war, aber sie würde jede Wette eingehen, dass Chris sich noch nie hatte selbst versorgen müssen und wenn seine Aussagen stimmten, dann war er wohl auch seinen Eltern nie in der Küche zur Hand gegangen.

„Ich könnte vielleicht versuchen zu helfen“, schlug sie vor, denn sie hatte den Eindruck, dass sie irgendetwas tun musste, um sich für seine Hilfe zu bedanken.

Er verließ eilig den Bereich der Küche und übergab ihn ihr mit einer einladenden Geste.

„Gibt es irgendein System, dass du gern behalten würdest?“, fragte sie und schaute an, was er bisher so eingeräumt hatte. Seinem Blick nach zu urteilen und dem, was sie sah, gab es keines.

Der Mann mit dem blonden, langen Haar verzog das Gesicht und grinste. „Natürlich gibt es ein System.“ Saskia schaute ihn nun neugierig an. „Die Dinge müssen in die Schränke.“

Saskia musste lachen. „Also kein System.“ Sie warf einen Blick auf die Dinge, die auf der Arbeitsfläche standen, danach einen untersuchte sie die Schränke und räumt alles erst einmal aus. Dann begann sie es ordentlich wieder so einzuräumen, wie sie es bei sich in der Küche getan hatte.

Saskia machte es richtig Spaß. Es lenkte sie ab und das war auch gut. Sie räumte Gegenstände, die sie oft brauchte so hin, dass sie sie gut erreichen konnte und Dinge, die sie eher selten nutzte, einfach an Orte, die unbequemer waren.

Sie schaute auf, als Chris zwei große Kartons zu ihr in den Küchenbereich brachte.

„Das sollte alles gewesen sein“, sagte er gut gelaunt.

Saskia riskierte einen Blick in die Kisten und runzelte die Stirn. Ausnahmslos alles schien neu zu sein. Überall waren Preisschilder zu sehen und die Küchengeräte waren alle noch verpackt.

Als ihr fragender Blick ihn traf, zuckte Chris die Schultern und lächelte verlegen. „Sagen wir einfach, bisher hatte ich keinen Bedarf an einer eigenen Küche, aber nach meinem Umzug hierher, sieht es fast so aus, als bräuchte ich sowas nun doch noch.“

Saskia blickte über die vollkommen willkürlich zusammengewürfelten Gegenstände und sie hatte den Eindruck, dass er einfach alles eingepackt hatte, was er im Bereich Küche in irgendeinem Laden gefunden hatte. Sie konnte wohl froh sein, dass er nicht bei einem reinen Küchenausstatter gewesen war. Trotzdem entdeckte sie einige Dinge, die er doppelt gekauft hatte und noch mehr, bei denen sie sich sicher war, dass er sie in seinem Leben vermutlich nicht einmal nutzen würde.

Sie spürte den Impuls, ihm diesen Gedanken auch mitzuteilen, aber sie schwieg lieber. Sie war nicht unbedingt in einem Zustand, in dem sie anderen Leuten etwas über das Leben sagen konnte. Nicht, solange sie ihr eigenes Leben gar nicht mehr in den Griff bekam.

„Spuck´ es ruhig aus“, sagte Chris amüsiert.

Saskia schaute ihn irritiert an. „Was?“

„Dass ich vermutlich noch eine ganze Menge Dinge, vergessen habe.“

Saskia lachte. Sie griff einen Karton, in dem ein Trichter aus Edelstahl zu finden war, der einen sehr breiten Auslass hatte. Saskia hatte so ein Teil schon einmal bei ihrer Oma gesehen und wusste, dass man damit hervorragend Marmelade in die dafür vorgesehenen Gläser einfüllte.

„Wenn man dem Bild darauf glauben schenkt, kommt so die Marmelade ins Glas“, sagte Chris und zuckte unschuldig mit den Schultern.

Saskia lachte. Sie konnte einfach nicht anders. Chris war wirklich der letzte Mensch auf diesem Planeten, dem sie zutraute, dass er versuchen würde, Marmelade selbst zu machen.

„Es gehört zumindest in die Küche“, sagte er ebenfalls breit grinsend, als wäre das Erklärung genug dafür, dass es nun hier war.

„Ja“, stimmte ihm Saskia immer noch erheitert zu, „es gehört in die Küche, theoretisch zumindest. Vielleicht solltest du dir Gedanken darüber machen, dir eine Haushälterin zuzulegen.“

Chris hatte sich gemütlich auf den Tresen gesetzt, der die Küche vom Wohnzimmer trennte und beobachtete sie. Es störte Saskia nicht, denn sie hatte den Eindruck, dass er das vor allem deshalb tat, weil er wusste, dass er ihr sonst nur im Weg stehen würde. Er ließ die Beine baumeln und wirkte auf eine schwer zu greifende Art einfach irgendwie niedlich.

„Ja, diese Idee ist mir auch schon gekommen. Vor allem, weil ich die Befürchtung habe, dass mir all die netten, kleinen Dinge nicht wirklich dabei helfen werden, etwas Sinnvolles mit diesem Raum anstellen zu können.“

Saskia fing wieder an zu lachen. „Dabei ist das doch alles gar nicht so schwer. Vielleicht brauchst du nur einmal einen ordentlichen Nachhilfekurs.“

„Ich fürchte, meine Talente liegen eher in anderen Bereichen“, sagte er amüsiert, aber klang demgegenüber nicht einmal abgeneigt.

Saskia ließ ihren Blick über ihn wandern. Er war muskulös, gut gebaut und sah wirklich heiß aus. Es fiel ihr schwer, sich den Mann in irgendeinem Job vorzustellen. Als Modell würde er sicher immer einen Job finden, dachte sie.

„Was machst du denn beruflich?“, fragte sie, während sie die Sachen auspackte und in den Schränken verstaute.

„Die meiste Zeit versorge ich irgendwelche Verletzungen. Darin bin ich gut und das macht mir Spaß“, antwortete er. „Aber im Moment habe ich frei.“

Irgendetwas an der Aussage störte Saskia, aber sie wusste nicht, was es war. Sie schob den Gedanken beiseite. Im Moment sah sie überall Gespenster.

„Und wie ist das bei dir? Was machst du beruflich?“, fragte er und wirkte ehrlich interessiert.

Saskia räumte etwas verlegen weiter ein und vermied es, ihn anzusehen.

„Im Moment nicht viel. Ich habe derzeit irgendwie andere Dinge im Kopf und da fällt es mir schwer, kreativ zu sein“, antwortete sie und biss sich schon auf die Zunge, denn sie fürchtete, dass er fragen könnte, was los sei. Die Wahrheit konnte sie keinem erzählen. Wer würde ihr diese verrückte Geschichte schon glauben.

„Ich finde, das trifft sich perfekt“, sagte er gut gelaunt. Sie wandte den Kopf und für den Bruchteil einer Sekunde hatte sie den Eindruck, etwas Grünes in seinen blauen Augen lodern zu sehen, dann war es vorbei. Sie riss sich zusammen, unterdrückte den Wunsch davonzulaufen.

Er grinste breit und jungenhaft. „Na, ich brauche dringend jemanden, der mir mit diesem verrückten Küchenkram hilft, und du brauchst einen Job. Da komme ich doch glatt noch mal auf den Küchennachhilfeunterricht zurück und du bist im Moment sowieso hier, wer weiß wie lange die Polizei dein Haus noch für sich beansprucht. Das lässt sich also alles ganz hervorragend miteinander kombinieren, zumal du ja eh schon angefangen hast.“ Er klang dabei so leichthin, dass Saskia vollkommen überrumpelt dastand und ihn anstarrte.

Er wartete ab, während es in ihrem Kopf arbeitete. Sie war keine Haushälterin, aber sie brauchte im Moment wirklich einen Job. Sie hatte nicht viele Alternativen.

Misstrauisch verschränkte sie die Arme vor der Brust. „Und was stellst du dir sonst so vor?“ Sie merkte selbst, dass ihre Stimme abweisend klang.

Er zuckte leicht mit den Schultern. „Ich glaube, du hast in der Haushaltsführung und dem Küchenkram mehr Ahnung als ich, also fasse ich es so zusammen. Du machst einfach das, von dem du meinst es gehört zu deinem Aufgabengebiet und beim Rest, muss ich mir dann etwas einfallen lassen. Aber du gibst mir auf jeden Fall einen Einführungskurs zum Thema Küche.“ Saskia hatte mit zweideutigen Bemerkungen gerechnet, mit unmoralischen Angeboten, aber irgendwie nicht damit.

„Du nimmst mich auf den Arm, oder?“, fragte sie irritiert nach.

„Nein, ganz und gar nicht“, antwortete er.

Saskia schüttelte fassungslos den Kopf. „Vorher hast du auch auf dem Mond gelebt, oder?“

„Nicht gerade auf dem Mond, aber sagen wir mal so, um ein Haus und eine Küche habe ich mich bisher noch nicht kümmern müssen.“ Chris grinste sie breit an und es wirkte ehrlich.

Saskia war neugierig, aber ihr entging nicht, dass er einigen Themen offenbar auswich, genau wie sie es mit manchen Bereichen tat. Sie konnte ihm daraus keinen Vorwurf machen, denn sie selbst konnte auch nicht anders. Saskia vermutete, dass er irgendein reicher Sohn von irgendwem war, der sich nun ins echte Leben gestürzt hatte, um ein Abenteuer zu erleben, aber selbst wenn das so war, ging es sie eigentlich gar nichts an.

Trotzdem hatte Saskia ein ungutes Gefühl dabei, aber da das alles in ihrem Leben im Moment betraf, nickte sie langsam. „In Ordnung. Vielleicht ist es gar keine so schlechte Idee und es kehrt wieder so etwas wie Routine in meinem Leben ein.“

Chris nickte. „Das freut mich und heißt wohl, dass es nicht mehr jeden Abend Pizza oder asiatische Nudeln geben muss.“

Saskia musste lachen, dann sah sie sich suchend um. „Sag mal, wo ist Conan?“

„Mit dem war ich vorhin schon draußen. Er war ziemlich hibbelig und da ich aber keine Ahnung von Hunden habe, habe ich ihn bei einer Freundin abgegeben, die sich besser mit den Tieren auskennt als ich. Ich kann ihn sofort wieder abholen, wenn du das willst. Ich wollte nur sicher sein, dass er gut versorgt wird.“

Es stieß Saskia etwas sauer auf, dass sie sich nicht gut um ihn gekümmert hatte. Ein Teil von ihr war wütend darüber, ein anderer einfach nur traurig. Aber sie hatte den Gedanken selbst schon gehabt, dass es eine blöde Idee gewesen war, das Tier zu nehmen.

Ein ehemaliger Klassenkamerad von ihr hatte sie einige Zeit nach dem Vorfall angerufen und gefragt, ob sie nicht jemanden kenne, der den kleinen Conan haben wollte. Seine Hündin war ihm weggelaufen und schwanger zurückgekommen. Alle Welpen mit Ausnahme des kleinen Conan war er losgeworden. Da es Ärger mit dem Vermieter gab, blieb ihm nur übrig schnellstmöglich einen Platz für den Hund zu finden oder ihn im Tierheim abzugeben. Saskia hatte nicht nein sagen können. Ein Fehler, wie sie heute erkannte. Gestern hatte sie sich mehrere Stunden lang nicht um den Hund kümmern können. Chris einen Vorwurf daraus zu machen, dass er diesen Weg gegangen war, wäre nicht fair gewesen.

„Wie gesagt, ich kann ihn gleich zurückholen, wenn du willst“, sagte er noch einmal, als sie nicht direkt antwortete.

„Stört es deine Bekannte nicht, wenn sie auf einen fremden Welpen aufpassen muss?“, fragte Saskia, die ein schlechtes Gewissen hatte.

Chris schüttelte den Kopf. Saskias Blick wurde von den hübschen Haaren angezogen, die golden im Licht der Lampe glänzten. Sie fragte sich, ob sie sich wohl genauso weich anfühlten, wie sie aussahen. Schnell verbannte sie diesen Gedanken wieder. Es ging sie nichts an.

„Nein, ich glaube eher, dass sie mir versucht, den Kopf abzureißen, wenn ich ihr das süße Hundchen schon wieder wegnehme.“ Vielleicht würde Thea das nicht versuchen, bei Atris war er sich da allerdings nicht ganz so sicher, stellte er amüsiert fest. Den interessierte das Tier weniger, aber wenn es um Thea ging, war er in letzter Zeit etwas eigen.

„Wenn sie wirklich so viel Spaß mit dem Hund hat und er nicht stört, dann habe ich nichts dagegen“, sagte sie langsam.

Sie hatte den Eindruck, dass er sie eine Weile musterte und etwas sagen wollte, doch dann schwieg er.

„Irgendetwas ist doch noch ... “, stellte Saskia fest und sie konnte den misstrauischen Ton aus ihrer Stimme selbst heraushören. Ein Teil von ihr hatte geahnt, dass das noch nicht alles war und jetzt fühlte sie sich bestätigt.

„Die Polizei hat sich noch einmal gemeldet“, sagte er und Saskia versteifte sich etwas. „Sie wollen, dass du eine Liste von all den Dingen erstellst, die dir gestohlen wurden.“

Ein Teil von ihr atmete auf, doch gleichzeitig wurde ihr kalt bei dem Gedanken, zurück nach Hause zu gehen. Sie musste sich zusammenreißen, um nicht direkt den Kopf zu schütteln.

Chris war aufgestanden und kam auf sie zu, doch wieder wich sie zurück. Er blieb stehen. Es frustrierte ihn, dass er sie in solch eine Situation brachte. „Ich begleite dich“, sagte er.

Saskia war sich nicht sicher, ob es ein Angebot oder eine Tatsache war. Im ersten Moment wollte sie dagegen aufbegehren, doch wenn sie etwas noch weniger wollte, als zurück in das Haus zu gehen, dann war es allein zu sein.

Sie nickte zaghaft und wandte sich wieder den Gegenständen in der Küche zu. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie Chris, der zwei kalte Colaflaschen aus dem Kühlschrank holte und ihr eine hinhielt.

Zeitenwende

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