Читать книгу Der Mann im Mond - Вильгельм Гауф, Валерия Гусман - Страница 9

ERSTER TEIL
DIE BEICHTE

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Am andern Morgen sehr früh stand der Hofrat schon vor des Präsidenten Haus und zog die Glocke. Er mußte ja sein holdes Idchen fragen, wie es zum erstenmal wieder in Freilingen geschlafen habe. Nebenbei hatte er so viel zu fragen, so viel mitzuteilen, daß er nicht wußte, wo ihm der Kopf stand. Nur soviel war ihm klar, als er den hellpolierten Handgriff der Glocke in der Hand hielt, daß er um keinen Preis von dem interessanten Herrn von gestern zuerst sprechen werde; sie soll mir daran, sagte er, sie soll mir beichten. Er tat sich auf seinen Witz nicht wenig zugut und lächelte noch still vor sich hin, als er die breite Treppe hinanstieg.

Der Präsident sei schon in die Session gefahren, gaben ihm die Bedienten auf seine Anfrage zur Antwort, aber gnädiges Fräulein nehme ihn vielleicht an, obwohl ihre Toilette noch nicht fertig sei.

Man meldete ihn; er wurde sogleich vorgelassen. In ihrem kleinen, aufs geschmackvollste dekorierten Boudoir saß Ida auf einer Estrade am Fenster, das Lockenköpfchen in die Hand gestützt. War es doch, als sei das Mädchen in dieser Nacht noch tausendmal schöner geworden! Der Hofrat bekam ordentlich Ehrfurcht vor ihrer Schönheit; es lag so viel Schmachtendes in ihrem Auge, so viel ernste Sanftmut auf dem lieben Gesichtchen, das ihn begrüßte, daß er gar nicht wußte, woher dies alles das Wunderkind gestohlen hatte.

Er sagte ihr auch, wie schön er sie finde; sie aber lachte ihm geradezu ins Gesicht; sie finde, daß sie weit bleicher aussehe als sonst, der Ball könne einesteils daran schuld sein, sagte sie; dazu komme, daß sie heute nacht so dumm geträumt habe und alle Augenblicke aufgewacht sei. Sie wollte bei dieser Behauptung recht ernst aussehen; aber das kleine Schelmchen flog ihr doch beinahe unmerklich um den Mund, als wüßte es, was dem hübschen Engelskind geträumt habe.

Der Hofrat sprach vom gestrigen Ball, von Herren und Damen, von allen möglichen Schönen; aber er hätte sich lieber die Zunge abgebissen, ehe er von Martiniz zuerst angefangen hätte, obgleich er wohl sah, daß Ida darauf warte.

Er sah sich daher, als alle Tänze und Touren bekrittelt waren und das Gespräch zu stocken drohte, im Zimmer umher. "Nein," sagte er, "wie wunderschön Ihnen Papa das Boudoir da dekorieren ließ, die bronzierte Lampe am gewölbten Plafond, die freundliche Tapete! Wie werden sich Ihre Besucher erfreuen, wenn man sich nicht mehr um den Rang auf dem Sofa streiten darf! denn jener von hellbraunem Kasimir, der sich an drei Wänden hinzieht, den eleganten Teetisch von Zedernholz in der Mitte, kann ja eine ganze Legion von Dämchen in sich aufnehmen. Der französische Kamin mit dem deckenhohen Spiegel scheint aber nicht sehr warm geben zu wollen; doch Hoffart muß schon auch ein wenig Schmerz leiden. Die geschmackvolle Etagere dort haben Sie gewiß selbst erst aus der Residenz geschickt; denn hier wüßte ich niemand, der solche Arbeit lieferte."

Das ging ja dem alten Herrn aus dem Mund wie Wasser; schade nur, daß er den tauben Wänden predigte; denn Ida schaute stillverklärt durch die Scheiben und hatte weder Augen noch Ohren für ihren alten Freund. Dieser sah sich um, sah das Hinstarren des Mädchens, folgte ihrem Auge und—drüben in der ersten Etage des ehrsamen Gasthofes "Zum goldenen Mond" hatten sich die rot und weißen Gardinen aufgetan, und im geöffneten Fenster stand—nein, er machte es gerade zu, als der Hofrat hinsah, und ließ die Gardine wieder herab; das selige Kind drehte jetzt das Köpfchen, und ihr Blick begegnete dem lauernden Auge des Hofrats. Die Flammenröte schlug ihr ins Gesicht, als sie sich so verraten sah; aber dennoch sagte Trotzköpfchen kein Wort, sondern arbeitete eifrig an einer Zentifolie. Nun, dachte der Alte, wenn du es durchaus nicht anders haben willst,—auf den Zahn muß ich dir einmal fühlen, also sei's!

"Sie haben brave Nachbarschaft, Ida," sagte er, "da können Sie Ihre astronomischen Beobachtungen nach den Glutsternen des Herrn von Martiniz recht kommode anstellen; ich habe zu Haus einen guten Dolland, er steht zu Diensten, wenn Sie etwa—"

"Wie Sie nur so bös sein können, Berner!" klagte das verschämte Mädchen. "Wahrhaftig, ich habe bis auf diesen Augenblick gar nicht gewußt, daß er nur im Mond logiert; und daß ich gestern diesen Mann schon wegen seines Äußeren gehaltvoller gefunden habe als unsere jungen Herren hier, um die ich nun einmal kein Flöckchen Seide gebe, —ist das denn ein so schweres Verbrechen, daß man es noch am andern Tage büßen muß? Ist es denn so arg, wenn man Mitleiden hat mit einem Menschen, der so unglücklich scheint?"

"Nun, da bringen Sie mich just auf den rechten Punkt," sagte der Hofrat; "daß der junge Herr im Mond drüben gestern nacht in der Münsterkirche war, habe ich Ihnen gesagt; aber was er dort tat, das wissen Sie nicht,—und was bekomme ich, wenn ich es sage?"

"Nun, was wird er viel dort getan haben?" antwortete Ida, vergeblich bemüht, ihre Neugierde zu bekämpfen. "Er hat sich wahrscheinlich die Kirche zeigen lassen, wie die Fremden auf der Durchreise immer tun?"

"Durchreise? Als ob ich nicht wüßte, daß Herr von Martiniz die drei Zimmer Ihnen gegenüber auf vier Wochen gemietet hat—"

"Auf vier Wochen?" rief Ida freudig aus, erschrak aber im nämlichen Augenblick über die laute Äußerung ihrer Freude. "Vier Wochen?"– setzte sie gefaßter hinzu. "Wie freut mich das für die gute Mondwirtin! Sie muß immer Schelte hören von ihrem Mann, daß ihre Table d'hôte nicht so gut sei wie im Hôtel de Saxe, und kein Mensch bleibe recht lange; da hat sie nun doch einen Beweis für sich."

"Die arme Mondwirtin," spottete der Hofrat, "die gute Seele! Muß sie jetzt auch noch zur Entschuldigung dienen, wenn man seine Freude nicht recht verbergen kann! Und, um aufs vorige zurückzukommen, Sie glauben also, der Mann im Monde da drüben habe sich als durchreisender Fremder unsern Münster zeigen lassen und dazu die glückliche Stunde nachts von zwölf bis ein Uhr gewählt, habe den Küster mit seiner Laterne alles beleuchten lassen, nur um die Finsternis desto deutlicher zu sehen?"

Der kleine Schalk lachte verstohlen auf seine Arbeit hin und ließ den Hofrat immer fortfahren—

"Heute in aller Früh war ich beim Küster, dem ich vorzeiten einmal einen Prozeß geführt und ein Kind aus der Taufe gehoben hatte; gewiß, ohne diese Empfehlung wäre ich bei dem Alten nicht durchgedrungen. 'Gevatter!' sagte ich zu ihm, 'Er kann mir wohl sagen, was der Fremde, der Ihn gestern nacht noch besuchte, im Münster getan hat.' Der Mann wollte im Anfang von gar nichts wissen; ich rief aber meinen alten Balthasar,—Sie kennen ihn ja, wie geschickt er ist, alles aufzuspüren,—diesen rief ich her und konfrontierte beide; der Balthasar hatte den Bedienten des Fremden in des Küsters Haus gehen und beide bald darauf mit dem Fremden im Münster verschwinden sehen. Er gab dies zu, bat mich aber, nicht weiter in ihn zu dringen, weil es ein furchtbares Geheimnis sei, das er nicht verraten dürfe. So neugierig ich war, stellte ich mich doch ganz ruhig, bedauerte, daß er nichts sagen dürfe, weil es ihm sonst eine Bouteille Alten (seine schwache Seite) eingetragen hätte; da gab er weich und erzählte—"

"Nun, fahren Sie doch fort!" sagte Ida ungeduldig, "Sie wissen von früher her, daß ich für mein Leben gerne Geschichten höre, namentlich geheimnisvolle, die bei Nacht in einer Kirche spielen."

"So, so? Man hört gerne Geschichten von interessanten, geheimnisvollen Leuten? Nun ja, hören Sie weiter! Der Küster, der für seine Mühe einen harten Taler bekam, führte gestern nacht einen Herrn, der bleich wie der Tod, aber so vornehm wie ein Prinz ausgesehen haben soll, in den Münster. Dort habe sich der Fremde auf die Altarstufen gesetzt und in voller Herzensangst gebetet. Dann sei ein Sturm gekommen, wie er fast noch nie einen gehört; er habe an den Fenstern gerüttelt und geschüttelt und die Scheiben in die Kirche hereingeschlagen; der Herr aber habe wunderliche Reden geführt, als reite der Teufel draußen um die Kirche und wolle ihn holen.

"Der Küster glaubt auch daran wie ans Evangelium und weint wie ein Kind um den bleichen jungen Mann, der schon so früh in die Hölle fahren solle. Dabei verspricht er aber ganz getrost, wenn der Herr alle Nacht bei ihm einkehre und sich in den Schutz seines Münsters begebe, solle ihm vom Bösen kein Haar gekrümmt werden. Sehen Sie, das ist die Geschichte; da werde jetzt einer klug daraus! Was halten Sie davon?"

In ängstlicher Spannung hatte Ida zugehört; in hellem Wasser schwammen ihr die großen blauen Augen, die volle schöne Schwanenbrust hob sich unter der durchsichtigen Chemisette, als wolle sie einen Berg von sich abwälzen; die Stimme versagte ihr; sie konnte nicht gleich antworten.

"O Gott!" rief sie, "was ich geahnt, scheint wahr zu sein: der arme Mensch ist gewiß wahnsinnig; denn an die törichte Konjektur des Küsters werden Sie doch nicht glauben?"

"Nein, gewiß glaube ich an solche Torheiten nicht; aber auch was Sie sagen, scheint mir unwahrscheinlich; sein Auge ist nicht das eines Irren, sein Betragen ist geordnet, artig, wenn auch verschlossen."

"Aber haben Sie nicht bemerkt," unterbrach ihn Ida, "nicht bemerkt, wie unruhig er wurde, wie sein Auge rollte, als es elf Uhr schlug? Gewiß hat es eine ganz eigene Bewandtnis mit dieser Stunde, und irgend eine Gewissenslast treibt ihn wohl um diese Zeit, Schutz in dem Heiligtum zu suchen, das jedem, der mühselig und beladen kömmt, offen steht."

"Ihr Frauen habt in solchen Sachen oft einen ganz eigenen Takt," antwortete der Hofrat, "und sehet oft weiter als wir; doch will ich auch hier bald auf der Spur sein; denn mich peinigt alles, was ich nur halb weiß, und mein Idchen weiß mir vielleicht auch Dank, wenn ich mit dem Herrn Nachbar Bleichwangioso aufs reine komme; das greifen wir so an: Der Mondwirt ist mein spezieller Freund, weil ich gewöhnlich abends mein Schöppchen bei ihm trinke und mir seit zehn Jahren das Essen von ihm holen lasse. Ich speise nun die nächsten paar Tage an seiner Tafel, und er muß mein Kuvert neben das seines bleichen Gastes setzen lassen; bekannt will ich bald mit ihm sein, und habe ich ihn nur einmal auf einem freundschaftlichen Fuß, so will ich den alten Diener aufs Korn fassen. Natürlich holt man weit aus und fällt nicht mit der Türe ins Haus; aber ich habe schon mehr solche Käuze ausgeholt, es ist nicht der erste."

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Der Mann im Mond

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