Читать книгу Der kleine Fürst Classic 40 – Adelsroman - Viola Maybach - Страница 3

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Das elegante Paar hatte das Theater noch nicht ganz verlassen, als bereits die Blitzlichter der Fotografen aufflammten: Besonders auf die schöne junge Frau mit den üppigen roten Haaren hatten sie es abgesehen, die mit Mona-Lisa-Lächeln am Arm ihres Begleiters die wenigen Stufen am Eingang hinunterschritt.

»Wann werden Sie Frau von Thadden endlich einen Heiratsantrag machen, Herr von Ahlwitz?«, rief eine Reporterin.

Bernhard von Ahlwitz konterte mit einer Gegenfrage, ohne seine Schritte zu verlangsamen: »Woher wollen Sie wissen, dass ich das nicht längst getan habe?« Er lächelte die Fragestellerin spitzbübisch an.

»Das heißt, Sie werden endlich das tun, worauf die Öffentlichkeit schon so lange wartet?«, rief ein älterer Reporter. »Sie werden heiraten?«

Auch jetzt antwortete Bernhard mit einer Gegenfrage, und wieder tat er es mit dem ihm eigenen jungenhaften Charme: »Finden Sie nicht, dass das unsere Privatangelegenheit ist?«

Sie hatten die wartende Limousine erreicht. Bernhard half seiner Begleiterin höflich in den Wagen, bevor er selbst einstieg. Die weiteren Fragen der Reporter und Fotografen schien er nicht mehr zu hören. Sein Chauffeur Robert Werner, siebenundzwanzig Jahre alt und ein Profi, fuhr behutsam an und ließ sich auch nicht davon verwirren, dass ein Fotograf sich direkt vor dem Wagen aufgestellt hatte, um noch ein letztes Bild zu schießen. Er sprang rechtzeitig beiseite, und Robert Werner konnte sich in den Verkehr einfädeln. Gleich darauf hatten sie die Leute von der Presse hinter sich gelassen.

»Die geben nie auf«, seufzte Isabella von Thadden und legte ihren Kopf an Bernhards Schulter.

Er tätschelte liebevoll ihre Hand. »Lass sie, das ist ihr Job. So lange sie uns nicht Tag und Nacht auflauern …«

»Das fehlte noch!«

»Soll Herr Werner dich nach Hause bringen oder …?«

»Nach Hause bitte, ja. Ich bin müde, Bernd. Siehst du Christine noch?«

»Ja, wir sind verabredet.«

Vorher hatte er für die Presse den Heiteren gemimt, jetzt war davon nichts mehr zu spüren. »Was ist?«, fragte Isabella. »Hattet ihr Streit?«

»Wir haben immer öfter Streit«, erwiderte er nach kurzem Zögern. »Ich weiß auch nicht, was eigentlich los ist.«

»Vielleicht passt es ihr nicht, dass ihr euch immer verstecken müsst?«

»Ja, damit hat es sicher zu tun. Sie hat mir jetzt schon öfter vorgeworfen, dass ich sie nicht wirklich liebe, sonst würde ich sie in der Öffentlichkeit nicht verleugnen. Dabei hat es mit fehlender Liebe nichts zu tun – eher mit Feigheit.«

»Deine Eltern?«

»Natürlich. Wenn mein Vater erfährt, dass ich mich in eine Schauspielerin verliebt habe – ich glaube, er ist imstande, mich zu enterben. Das könnte ich verkraften, aber ich liebe meine Familie, das weißt du ja, Isa. Und die Vorstellung, dass es da einen Bruch gäbe …« Er verstummte. Nach einiger Zeit setzte er hinzu: »Aber wenn ich Christine nicht verlieren will, werde ich es wohl darauf ankommen lassen müssen.«

Isabellas Kopf ruhte noch immer an seiner Schulter. »Bei mir ist es ja nicht viel anders«, murmelte sie. »Viktor mit seinem nicht gerade guten Ruf wäre in unserer Familie auch nicht willkommen. Aber anders als bei dir hat er nichts dagegen, dass ich mich mit ihm nicht in der Öffentlichkeit zeige, er sagt immer, er hätte so schon Öffentlichkeit genug.«

Bernhard lachte.

»Ja, hinter ihm sind die Fotografen auch dauernd her. Ein Wunder, dass sie euch noch nicht zusammen erwischt haben.«

»Wir sind überaus vorsichtig«, erklärte Isabella. »Aber auf Dauer ist das natürlich kein Zustand, irgendwann werden auch wir eine Entscheidung treffen müssen.«

Die Limousine hielt direkt vor dem Eingang der Villa, in der Isabella wohnte. Robert Werner stieg aus, um ihr die Wagentür zu öffnen. Ihr Gespräch hatte er nicht verfolgen können, denn Bernhards Limousine verfügte über eine Wand, die den Fahrer von seinen Gästen trennte.

Auch Bernhard stieg aus. Er verabschiedete sich von Isabella mit einer liebevollen Umarmung. »Wir sehen uns nächste Woche, wie besprochen?«

»Wie besprochen.«

Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Wange.

»Auf Wiedersehen, Frau von Thadden«, sagte Robert Werner. »Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht.«

»Die wünsche ich Ihnen auch, Herr Werner.«

Sie warteten, bis sie im Haus verschwunden war, dann setzte sich Bernhard nach vorn zu seinem Chauffeur. Wenn sie unter sich waren, unterhielten sie sich oft über Gott und die Welt. »Sie ist eine tolle Frau, Herr von Ahlwitz«, bemerkte Robert, als sie die Auffahrt wieder hinunterfuhren.

»Ja, das ist sie und zugleich die beste Freundin, die ich habe«, seufzte Bernhard. »Ich bin übrigens sehr froh, dass ich Sie gefunden habe, Herr Werner.«

Robert lächelte. »Weil ich so gut Auto fahre?«

»Weil Sie Ihren Mund halten können. Nach einem wie Ihnen habe ich lange suchen müssen.«

»Ich will meinen Job schließlich behalten«, erklärte Robert. »Da wäre ich ja schön blöd, wenn ich anfinge, herumzutratschen.«

»Wenn Sie wüssten«, murmelte Bernhard. Er hatte genug schlechte Erfahrungen gemacht.

»Möchten Sie noch irgendwohin oder gleich nach Hause?«

»Gleich nach Hause, bitte«, erwiderte Bernhard.

Robert warf ihm einen raschen Blick zu, aber er sagte nichts. Sie kamen gut miteinander aus, der junge Herr von Ahlwitz und er, aber er wusste, dass er sich vor allzu viel Vertraulichkeit hüten musste. Er hatte seine eigene Meinung über die Beziehung seines Arbeitgebers zu der attraktiven Schauspielerin Christine Schalk, aber die behielt er vorsichtshalber für sich.

Bernhard schwieg jetzt ebenfalls. In Gedanken war er noch halb im Theater, halb schon bei dem, was vor ihm lag. Isabella und er hatten eine großartige Aufführung des »Hamlet« gesehen. Er hätte Christine gern davon erzählt, aber sie arbeitete ausschließlich fürs Fernsehen und war am Theater, trotz ihres Berufs, nur mäßig interessiert. Das war zum Beispiel etwas, das er überhaupt nicht verstand.

»Da wären wir«, sagte Robert in seine Gedanken hinein.

Bernhard schrak zusammen. »Schon!«, murmelte er. »Entschuldigung, Herr Werner, ich war vollkommen in Gedanken.«

»Deshalb müssen Sie sich nicht entschuldigen, Herr von Ahlwitz. Wie sieht es morgen aus?«

»Da haben Sie frei, wie besprochen, ist ja schließlich Sonntag, und ich habe nichts weiter vor.«

»Dann am Montag zur üblichen Zeit?«

Bernhard nickte, stieg aus, hob noch einmal grüßend die Hand und ging ins Haus. Er bewohnte eine Penthauswohnung in einem üppig renovierten Gründerzeitbau in der Nähe der Münchener Innenstadt. Die Eingangshalle war mit Marmor ausgelegt, in ihr residierten wechselnde Empfangsteams. An diesem Abend begrüßte ihn Svenja Raacke, die er von allen am liebsten hatte, weil sie immer freundlich war, ohne je aufdringlich zu wirken. An ihrer Seite saß der stille Tim Braun, der ihm höflich zunickte, während Svenja sofort fragte: »Hatten Sie einen schönen Abend, Herr von Ahlwitz?«

»Ja, danke, Frau Raacke, es war eine großartige Aufführung.«

»Ich war schon lange nicht mehr im Theater«, seufzte sie. »Einen schönen Abend noch, Herr von Ahlwitz.«

»›Danke gleichfalls‹ kann ich ja wohl nicht sagen«, lächelte Bernhard, dann ging er zum Aufzug. Christine wohnte während der Dreharbeiten zu einem Fernsehvierteiler ebenfalls hier im Haus – die Produktionsfirma besaß eine der kleineren Wohnungen und brachte dort ihre Stars unter, zu denen Christine zählte. Es war ein glücklicher Zufall gewesen, denn nun war es für Bernhard und sie viel einfacher, sich zu treffen, ohne dass die Öffentlichkeit davon etwas erfuhr. So jedenfalls hatte Bernhard das gesehen, doch Christine war mittlerweile offenbar anderer Ansicht. Isabella hatte schon Recht gehabt mit ihrer Vermutung: Christine war das Versteckspiel leid.

Er nahm an, dass sie schon ungeduldig auf ihn wartete, also zog er nur rasch seinen Mantel aus, trank ein Glas Wasser und machte sich auf den Weg zu ihr. Sie ließ sich Zeit, bis sie ihm öffnete – und auch dann machte sie ihm nur zögernd Platz, um ihn eintreten zu lassen. Als er ihr einen Kuss zur Begrüßung geben wollte, drehte sie den Kopf weg.

Sie trug einen seidenen Morgenmantel, der nicht ganz geschlossen war, so dass er erkennen konnte, wie wenig sie darunter trug. Normalerweise genügte dieser Anblick, um in ihm leidenschaftliches Verlangen zu wecken, heute jedoch ärgerte er sich nur darüber, ohne dass ihm klar geworden wäre, warum. Er folgte ihr in den großen Wohnraum, wo er zögernd sagte: »Ich dachte, wir gehen zu mir.«

»Warum?«, fragte sie, während sie zu ihrem Glas griff. Jetzt erst bemerkte er, dass sie angetrunken war. Beim Sprechen verschliff sie die einzelnen Silben, ihre Augen glänzten verdächtig, und sie hielt sich an der Sessellehne fest, da sie offenbar nicht mehr ganz sicher auf den Beinen war. »Warum?«, wiederholte sie ein wenig lauter, jetzt klang ein aggressiver Unterton durch.

»Weil ich mehr Platz habe, mehr Vorräte im Kühlschrank, mehr Musik, mehr Bücher und den besseren Fernsehapparat«, antwortete Bernhard. »Und mein Bett ist auch bequemer.«

»Gut, dass du das erwähnst.« Sie hatte ihr Glas wieder abgestellt. »Darum geht es eigentlich nur, oder? Ums Bett!«

»Christine, was soll das?« Plötzlich wünschte er, er wäre gar nicht hergekommen, sondern in seiner Wohnung geblieben, hätte noch einmal über den soeben gesehenen »Hamlet« nachgedacht, vielleicht noch etwas Musik gehört, ein Glas Wein getrunken und wäre dann zufrieden ins Bett gegangen, ohne Streit, ohne Auseinandersetzung, ohne Tränen und Vorwürfe.

Sie kam näher, der Morgenmantel öffnete sich noch ein Stück weiter, sie schien es nicht zu bemerken. »Was das soll? Ich will auch mal mit dir ins Theater gehen, in ein Restaurant, ins Kino. Aber dazu wird es nie kommen, stimmt’s? Dafür hast du ja deine Isa. Bist du sicher, dass da nicht doch mehr ist als reine Freundschaft?«

»Du bist betrunken«, sagte er mühsam beherrscht. »Wir können gern wieder miteinander reden, sobald du nüchtern bist. Gute Nacht, Tina.« Er drehte sich um und wollte die Wohnung wieder verlassen, doch so einfach machte sie es ihm nicht. Er hörte einen dumpfen Knall hinter sich und fuhr herum: Christine lag am Boden, mit verwirrtem Gesicht und glasigem Blick. »Weiß gar nicht, wie das passiert ist«, nuschelte sie.

Er half ihr aufzustehen und brachte sie ins Bett. Jetzt war sie nicht mehr aggressiv, sondern anschmiegsam. Sie kuschelte sich in seine Arme. »Ich liebe dich, Bernd«, murmelte sie. »Entschuldige, dass ich zu viel getrunken habe, aber ich bin es so leid, immer auf dich zu warten, kannst du das denn nicht verstehen?«

»Doch, das verstehe ich«, erwiderte er, obwohl er mindestens so oft auf sie wartete wie sie auf ihn. Dreharbeiten waren eine unzuverlässige Sache, meist endeten sie nicht planmäßig, das hatte er zur Genüge erfahren in den letzten Wochen. »Und ich liebe dich auch, Tina.«

»Wirklich?« Sie lächelte glücklich, wenig später schlief sie ein.

Wie ein gefangenes Tier marschierte Bernhard daraufhin durch die Wohnung, bis er sich endlich entschieden hatte: Er schrieb Christine einen Zettel, dass er oben im Penthaus sei – sie möge kommen, wann immer sie wolle. Diesen Zettel legte er gut sichtbar auf den Tisch im Wohnzimmer, dann ging er.

Oben angekommen, öffnete er eins der Panoramafenster und trat hinaus auf seine großzügige Dachterrasse, wo er die recht kühle Luft in tiefen Zügen einsog. Er musste wegen Christine eine Entscheidung treffen – und das sehr bald. So wie jetzt konnte es auf keinen Fall weitergehen.

*

»War’s schön?« Viktor von Löwens Stimme klang zärtlich. Er hatte angerufen, kurz nachdem Isabella nach Hause zurückgekehrt war.

»Sehr schön sogar, Viktor, es hätte dir auch gefallen, glaube ich.«

»Ich werde mir die Aufführung auf jeden Fall noch ansehen«, erwiderte er. »Wie geht’s Bernd?«

»Nicht so gut, schien mir. Er wirkte ein bisschen niedergeschlagen.«

Viktor lachte leise. »Na, bei der Freundin ist das auch kein Wunder, würde ich sagen.«

»Was meinst du damit? Du kennst Christine Schalk doch gar nicht!«

»Ich kenne einige Leute, die schon mit ihr zusammengearbeitet haben. Sie ist offenbar eine ziemliche Zicke. Der Erfolg ist ihr zu Kopf gestiegen, wie das oft passiert, wenn Leute zu schnell nach oben kommen. Derzeit reißen sich ja alle Sender um sie. Wenn dein Freund Bernd jetzt noch um ihre Hand anhält, dreht sie wahrscheinlich endgültig durch.«

»Es klingt nicht sehr nett, wie du über sie redest. Du bist ihr noch nie begegnet, das sind wahrscheinlich alles nur bösartige Gerüchte.«

»Nun sei doch nicht so empfindlich, Isa! Ich sage nur, was ich gehört habe – und ich habe es von mehreren Seiten gehört, also gehe ich davon aus, dass ein wahrer Kern dabei ist. Außerdem sage ich das nur zu dir, ich würde zu niemandem sonst Bemerkungen über Frau Schalk machen.«

»Hoffentlich«, seufzte Isa.

»Du klingst auch ein wenig bedrückt«, stellte Viktor fest. »Ich hoffe, das liegt daran, dass du mich vermisst?«

»Soll ich dir die Wahrheit sagen? Nein, daran liegt es nicht, ich bin sogar froh, jetzt allein zu sein, weil ich sehr müde bin. Außerdem sehen wir uns ja morgen.«

»Ich werde pünktlich sein«, versprach er, »und dann machen wir unsere Landpartie, wie ausgemacht.«

»Die Sternberger freuen sich schon – sie sind die einzigen Freunde, die wissen, dass ich dich und nicht Bernd liebe.«

Wieder lachte Viktor. »Sie wissen aber hoffentlich, wen du ihnen da anschleppst? Du weißt, was ich für einen Ruf habe – es gibt genügend Leute, die nicht gern mit mir zu tun haben, weil ich nicht arbeite, ständig meine Freundinnen wechsele und insgesamt nur darauf aus bin, mir ein schönes Leben zu machen.«

»Mach dich nicht schlimmer, als du bist. Bis morgen, Viktor.«

»Schlaf gut, Liebste – ich kann es kaum erwarten, dich wiederzusehen.«

Nach diesem Gespräch ging Isabella mit einem Lächeln zu Bett. Viktor nahm das Leben von der leichten Seite, das mochte sie an ihm. Er brachte sie oft zum Lachen und auch wenn sie fand, dass es Situationen gab, in denen er mehr Ernst hätte zeigen müssen, so war sie doch meistens froh über seine Art, Unannehmlichkeiten einfach heiter zu ignorieren.

Kurz vor dem Einschlafen dachte sie noch einmal an Bernhard und sein bedrücktes Gesicht, als sie sich von ihm verabschiedet hatte. Hoffentlich verbrachte er einen schönen Abend mit seiner Christine!

*

Robert Werner betrachtete nachdenklich das Foto, das er zwei Tage zuvor mit seinem Handy geschossen hatte. Was fing er nur damit an? Schon mehrmals war er drauf und dran gewesen, es einfach zu löschen, hatte es im letzten Moment dann aber doch nicht getan. Mit Bernhard von Ahlwitz darüber reden? Es zwar behalten, aber ansonsten möglichst vergessen? Mit der Dame reden?

Nachdenklich sah er aus dem Fenster des kleinen Cafés, das er sich ausgesucht hatte, um dort einen Cappuccino zu trinken. Andere, das wusste er, hätten es mit einer kleinen Erpressung versucht. Das kam für ihn nicht in Frage. Das Beste würde sein, er vergaß die Angelegenheit, schließlich ging sie ihn, streng genommen, auch überhaupt nichts an. Aber er mochte Bernhard von Ahlwitz nun einmal, und er wollte, dass es ihm gut ging.

»Verdammter Mist!«, murmelte er.

»Was ist denn so schlimm?«, fragte eine Stimme neben ihm.

Erschrocken sah er auf und entdeckte am Nachbartisch eine junge Frau, die ihn offenbar schon längere Zeit beobachtete. Jetzt lächelte sie. Es war ein freundliches, aber unverkennbar auch leicht spöttisches Lächeln. Sie war hübsch, fand Robert. Vollkommen ungeschminkt erstaunlicherweise, mit einer Flut dunkler Locken auf dem Kopf, wozu die blauen Augen einen interessanten Kontrast bildeten. Ohne lange nachzudenken beantwortete er ihre Frage mit der Wahrheit: »Ich habe etwas herausgefunden, was für jemanden, den ich gerne habe, eine unangenehme Überraschung wäre.«

Sie wies auf sein Handy. »Das Foto, das Sie die ganze Zeit anstarren?«

Rasch drückte er es weg und steckte das Handy in die Tasche. »Ja«, sagte er dann.

»Und was wollen Sie jetzt tun?«, fragte sie. Es klang sachlich interessiert, nicht übermäßig neugierig.

»Wenn ich das wüsste, hätte ich nicht so lange auf das Foto gestarrt«, erklärte Robert. »Ich weiß es eben nicht, das ist das Dumme.«

»Sie könnten mit Ihrem Freund reden – dann wüsste er Bescheid. Das ist eigentlich fast immer das Beste.«

»Mag sein, aber ich glaube nicht, dass er die Wahrheit unbedingt von mir erfahren muss. Er ist übrigens nicht mein Freund, sondern mein Chef.«

»Oh«, sagte sie und verstummte erst einmal. Dann nahm sie ihre Kaffeetasse und trug sie zu seinem Tisch. »Ich darf doch?«

»Sicher, ich erwarte niemanden«, erklärte Robert.

»Darf ich fragen, was Sie beruflich machen?«

»Ich bin Chauffeur, jedenfalls im Moment.«

»Das wollen Sie aber nicht bleiben?«

»Eigentlich nicht. Ich bin Kfz.-Mechaniker und hätte gern eine eigene Werkstatt, aber dafür braucht man Kapital, das fehlt mir noch. Ich versuche gerade, es zu verdienen. Und Sie?«

»Maskenbildnerin.«

Seine Augen wurden groß. »Am Theater?«

»Nee, beim Fernsehen. Wir drehen hier gerade einen großen Vierteiler, ein paar Monate lang. Ist ein toller Job, ich hatte richtig Glück, ihn zu kriegen – ich wohne nämlich in München, und jetzt kann

ich mehrere Monate zu Hause

wohnen, während ich arbeite, ein großer Luxus ist das. Für uns ist

es sowieso die Ausnahme, so lange hintereinander beschäftigt zu sein.«

Robert hatte Mühe, sich seine Aufregung nicht anmerken zu lassen. Hier saß er ja gewissermaßen an der Quelle! Er trank vorsichtig von seinem Cappuccino, dann murmelte er: »Hört sich sehr interessant an.«

»Ist es auch. Fahren Sie Taxi?«

»Nein, ich bin bei jemandem fest angestellt.«

»Na, der muss ja Geld wie Heu haben, wenn er sich einen Chauffeur leisten kann.«

Robert lächelte. »Arm ist er wohl nicht, das stimmt. Ich heiße übrigens Robert Werner.«

»Ilka Brandes. Jedenfalls verstehe ich jetzt, dass Sie Ihrem reichen Chef nicht einfach sagen können: Deine Frau hat einen anderen.«

Nun verschluckte Robert sich doch.

»Wie kommen Sie darauf?«, fragte er, als der Hustenanfall vorüber war. »Dass seine Frau einen anderen hat?«

»Was soll es denn sonst sein? Sie konnten es fotografieren, also muss was zu sehen gewesen sein. Hätten Sie, sagen wir mal, einen finanziellen Betrug aufgedeckt, wäre es schwieriger gewesen, das mit dem Handy festzuhalten, meinen Sie nicht?«

»Sie sind ganz schön clever«, stellte er fest.

»Ja, zum Glück«, erwiderte sie lächelnd. »Sonst könnte ich mich in meiner Haifischbranche niemals durchsetzen.«

Robert beschloss, den Stier bei den Hörnern zu packen. »Aber Sie haben dauernd mit berühmten Leuten zu tun«, sagte er. »Das wiegt doch wahrscheinlich einige Unannehmlichkeiten auf.«

Ilkas bis dahin so fröhliches Gesicht verfinsterte sich. »Hören Sie mir auf mit den sogenannten Stars«, murmelte sie. »Wie die sich zum Teil benehmen, das können Sie sich nicht vorstellen. Natürlich gibt es auch ein paar nette unter ihnen, aber mit denen habe ich leider im Augenblick nichts zu tun.«

Robert hielt kurz die Luft an, bevor er sich noch weiter vorwagte: »Drehen Sie zufällig mit Christine Schalk? Die soll doch gerade hier in der Stadt sein.«

Ein rascher prüfender Blick traf ihn, dann raunte Ilka ihm zu: »Sie ist die Schlimmste von allen. Ehrlich, ich kann sie nicht ausstehen. Sie hält sich für die Größte, bloß weil sie jetzt ein paar erfolgreiche Filme gedreht hat.«

»Aber sie ist eine gute Schauspielerin – oder nicht?«

»Sie ist nicht unbegabt«, stimmte Ilka ihm zu. »Aber nett ist sie deshalb noch lange nicht.«

»Das können Sie natürlich besser beurteilen als ich«, stellte Robert fest. Er hatte bereits beschlossen, keine weiteren Fragen zu stellen, obwohl er liebend gern noch mehr gehört hätte. Aber das wäre sicherlich zu auffällig gewesen …

»Und mit jedem Mann muss sie flirten«, fuhr Ilka fort, »dabei tut sie so, als sei sie in festen Händen, aber niemand weiß, wer ihr Freund ist. Trotzdem legt sie es ständig darauf an, alle Männer am Set um den kleinen Finger zu wickeln.«

»Am Set?«, fragte Robert verwirrt.

»Da, wo wir jeweils drehen – so nennt man das«, erklärte Ilka bereitwillig. »Gerade hat sie eine Affäre mit dem Kameramann. Der arme Kerl weiß überhaupt nicht, wie ihm geschieht. Er hat eine total nette Frau, zwei kleine Kinder – und er liebt seine Familie, das weiß ich. Aber Christine war er natürlich nicht gewachsen. Sie wird auch noch dafür sorgen, dass seine Frau es erfährt. So ist sie.«

»Hört sich nicht besonders sympathisch an«, stellte Robert fest.

»Ist es auch nicht. Und Sie? Haben Sie auch eine Frau und zwei kleine Kinder?«

»Ich bin allein«, antwortete Robert. »Und Sie?«

»Auch allein«, murmelte Ilka. »In einem Job, wo man ständig unterwegs ist, haben es Beziehungen schwer. Was glauben Sie, warum sich Schauspieler so oft scheiden lassen? Wochen- oder monatelange Trennungen hält auf Dauer keine Liebe aus. Außerdem, das muss man auch zugeben, trifft man ständig neue attraktive Leute, da ist die Versuchung, sich auf was einzulassen, besonders groß.«

»Sie haben es also schon versucht, und es hat nicht geklappt.«

Sie nickte. »Mein letzter Freund war Buchhändler, ich dachte, er wäre der Richtige. Aber irgendwann kam ich von Dreharbeiten nach Hause, und da hatte er eine neue Freundin. Daraufhin habe ich mir vorgenommen, erst einmal solo zu bleiben.«

»Bei mir ist es so ähnlich«, sagte Robert nachdenklich. »Ich wohne zwar am Ort, aber ich bin auch viel unterwegs – und ich habe vor allem keine festen Arbeitszeiten. Bei mir kann es jederzeit heißen: ›Wir fahren weg.‹ So steht es auch in meinem Vertrag. Jetzt stellen Sie sich mal vor, wie eine Freundin darauf reagiert, wenn man sie vor dem Kino stehen lässt, weil man überraschend nach Paris fahren muss.«

Ilka lachte. »Das klingt auch nicht einfach«, gab sie zu.

Ihre Blicke begegneten sich, die Luft zwischen ihnen flirrte ein wenig. Sie gefällt mir, dachte Robert. Ich will sie wiedersehen. »Wenn Sie noch eine Weile hier arbeiten«, meinte er, »dann könnten wir uns doch mal wieder treffen. Was meinen Sie?«

Sie lachte. »Gern. Und ich bin ja jetzt schon darauf vorbereitet, dass Sie eine halbe Stunde vorher anrufen und sagen: ›Tut mir leid, ich muss jetzt nach Paris.‹ Ich verspreche, dass ich Ihnen keine Szene machen würde.«

Er lachte mit ihr. Eine Viertelstunde später verließen sie das Café gemeinsam.

»Wie wäre es mit heute Abend?«, fragte Robert. »Ich mache jetzt ein bisschen Sport, schlafe vielleicht eine Stunde, aber danach hätte ich Zeit. Ich könnte Sie zum Beispiel zu meinem Italiener einladen, der die besten Nudeln weit und breit macht.«

»Schöne Idee, aber leider undurchführbar«, seufzte Ilka. »Wir drehen heute Nachmittag, bis in die Nacht. Ich sollte sehen, dass ich noch ein bisschen Schlaf kriege, ich habe es im Gefühl, dass es heute zäh wird.«

»Sie drehen bis in die Nacht? Passiert das öfter?«

»Nein, jedenfalls nicht bei diesem Film, er spielt zum Glück überwiegend am Tage, aber ich hatte auch schon mal eine Produktion, die fast nur nachts spielte. Danach war ich reif für die Anstalt, das dürfen Sie mir glauben.«

»Morgen kann ich wahrscheinlich nicht«, murmelte Robert.

»Ich auch nicht, da schlafe ich nämlich. Aber Dienstag sieht es ganz gut aus für Ihren Italiener.«

Robert freute sich. Nach Hause bringen lassen wollte sie sich nicht von ihm, und er bedrängte sie nicht. Sie war vorsichtig, das gefiel ihm. Immerhin gab sie ihm ihre Handy-Nummer, das war auch ein Vertrauensbeweis.

Übermorgen würde er sie wiedersehen. Er konnte es kaum erwarten.

*

»Sieht ja toll aus, das Schloss!«, staunte Viktor von Löwen, als Isabella und er sich Schloss Sternberg näherten. Viktor saß selbst am Steuer, er fuhr gern.

»Warte nur, bis du es aus der Nähe siehst«, lächelte Isabella. »Es wird immer schöner, je näher man ihm kommt. Und erst der Schlosspark … Es müsste jetzt eigentlich schon vieles blühen, das ist die schönste Zeit auf Sternberg. Er fängt übrigens hier schon an.«

»Der Park?«, fragte Viktor erstaunt. »Das sieht doch aus wie Wald.«

»Es ist ein besonderer Park. An seinen Rändern geht er in Wald über.«

»Was ist das da vorn? Der Hügel da? Das habe ich ja noch nie gesehen – ein Hügel in einem Schlosspark!«

»Der Familienfriedhof der Sternbergs. Da liegen jetzt auch Christians Eltern.«

Sie schwiegen beide einen Augenblick, bis Viktor sagte: »Ich wiederhole noch einmal, was du mir erzählt hast, damit ich gleich alles richtig mache: Christian von Sternberg ist der Sohn des vor etlichen Monaten tödlich verunglückten Fürstenpaares.«

»Richtig«, bestätigte Isabella. »Er ist fünfzehn, die Leute hier in der Umgebung nennen ihn ›der kleine Fürst‹ – eben weil er noch nicht volljährig ist. Sein derzeitiger Titel ist ›Prinz Christian‹, aber mit achtzehn wird er Fürst sein.«

»Er lebt jetzt in der Familie seiner Tante Sofia von Kant«, fuhr Viktor fort.

»Sofia ist eine Schwester seiner Mutter«, erklärte Isabella. »Sie hat Baron Friedrich von Kant geheiratet, die beiden haben zwei Kinder, Konrad und Anna. Die sind für Christian wie Geschwister. Die Kants leben schon lange auf Sternberg, so hat Christian zwar seine Eltern verloren, aber nicht auch noch sein Zuhause. Außerdem solltest du dir noch merken, dass der Butler Eberhard Hagedorn heißt – einen besseren Butler gibt es weit und breit nicht. Nett ist er außerdem und absolut diskret. Ich glaube, das war das Wichtigste.«

Viktor lächelte. »Das reicht auch, finde ich. Sag mal, der kleine Fürst – wie geht er mit dem Verlust seiner Eltern um?«

»Tapfer«, sagte Isabella. »Er ist natürlich ernster geworden, reifer, aber dadurch, dass er weiterhin lauter Menschen um sich herum hat, die ihn lieben, schafft er es einigermaßen, damit fertig zu werden. So, und jetzt guck mal nach vorn – von hier aus hat man nämlich den allerbesten Blick auf Sternberg.«

Er brachte seine Bewunderung gebührend zum Ausdruck, und Isabella freute sich, dass er ehrlich beeindruckt zu sein schien. Gleich darauf hatten sie das Schloss erreicht. Als Viktor den Wagen abstellte, öffnete sich das große Eingangsportal, und Sofia und Friedrich erschienen zur Begrüßung – ihnen folgte Eberhard Hagedorn.

Isabella stellte Viktor vor und war wieder einmal froh über seine Kontaktfreudigkeit. Als sie Schloss Sternberg betraten, hatte er Baron Friedrich von Kant bereits in ein lebhaftes Gespräch über Pferde verwickelt.

»Er ist nett, dein Viktor«, flüsterte die Baronin Isabella zu.

»Ja, nicht wahr? Wie schön, wieder einmal bei euch zu sein, Sofia! Wo sind die Kinder?«

»Noch unterwegs, aber sie wissen ja, dass ihr kommt und freuen sich sehr, dich wiederzusehen.« Sofia senkte die Stimme. »Und auf Viktor sind sie natürlich neugierig, das kannst du dir ja vorstellen. Komm, das Wetter ist so schön, wir können auf der Terrasse sitzen.«

Isabella folgte Sofia, von den beiden Männern war nichts mehr zu sehen. Sie lächelte in sich hinein. So war es immer mit Viktor: Er kam, sah und siegte.

*

Als Christine am Sonntagmittag immer noch nicht im Penthaus aufgetaucht war, machte sich Bernhard erneut auf den Weg zu ihrer Wohnung. Sie öffnete erst nach mehrmaligem Klingeln, er sah sofort, dass sie noch geschlafen hatte. Ihr Gesicht sah verquollen aus. »Ich bin noch müde«, sagte sie mürrisch und machte ihm die Tür vor der Nase zu.

Er war so verdutzt über diese Reaktion, dass er mehrere Sekunden lang stehen blieb, wo er stand, bevor er sich endlich umdrehte, um zum Fahrstuhl zurückzukehren. Er hatte ihn noch nicht erreicht, als die Tür erneut geöffnet wurde. »Tut mir leid, Bernd, ich bin noch nicht ganz wach«, nuschelte Christine. »Komm rein.«

»Ich kann auch später wiederkommen, wenn du noch schlafen willst«, sagte er.

»Nein, nein, ich muss sowieso aufstehen, wir drehen doch ab heute Nachmittag. Komm rein und warte einen Augenblick.«

Er folgte ihr also in die Wohnung, hörte im Bad Wasser laufen. Sie tauchte nach wenigen Minuten wieder auf, hatte sich die Haare gekämmt und das Gesicht gewaschen. Noch immer ähnelte sie dem Fernsehstar Christine Schalk nicht unbedingt, aber sie sah besser aus als zuvor. Ihr Lächeln war verlegen. »Ich war vollkommen übermüdet«, erklärte sie, »und außerdem war das blöd gestern Abend, ich habe zu viel getrunken, während ich auf dich gewartet habe, das ist mir leider zu spät aufgefallen.«

»Wir können so nicht weitermachen«, sagte er ruhig.

»Was willst du damit sagen?«

»Ich habe nachgedacht, Christine, über uns beide. Wenn wir wirklich zusammenbleiben wollen …«

Die Türklingel unterbrach ihn. Jemand drückte lang anhaltend darauf. »Nanu?«, fragte Bernhard. »Rufen die nicht an von unten, um deine Besucher anzukündigen?«

Sie war bereits aufgesprungen. »Warte einen Augenblick«, bat sie hastig. »Wahrscheinlich ein Versehen.« Sie verließ das Zimmer und schloss die Tür zum Flur hinter sich.

Ein Versehen? Bernhard wusste, wie ernst die Empfangsteams unten ihre Aufgabe nahmen. Jeder, der das Haus betrat, musste sich anmelden, durchgelassen wurden nur bekannte Gesichter. Hier im Haus wohnten ausschließlich wohlhabende Leute, es gab einiges zu stehlen, deshalb leisteten die Eigentümer sich die teuren Empfangsleute. Wer also kam bis vor die Tür dieser Wohnung, ohne von unten angekündigt worden zu sein?

Er konnte sich keinen Reim auf diesen Vorfall machen.

Unwillkürlich stand er auf und schlich zu der Tür, die sie so sorgfältig hinter sich geschlossen hatte. »Ich habe dir doch gesagt, du sollst nicht herkommen!«, hörte er sie mit unterdrückter Stimme sagen. »Es geht jetzt nicht, Jens, verstehst du?«

Es war eine männliche Stimme, die ihr antwortete, heiser vor Erregung. »Aber ich muss mit dir reden, Tina – meine Frau ist misstrauisch geworden, ich kann mich nicht mehr mit dir treffen. Das mit uns muss aufhören, sofort. Ich will meine Familie nicht verlieren. Es war sowieso ein großer Fehler. Bitte, hör auf, mich …«

Bernhard riss die Tür mit einem Ruck auf. Der Mann, der in der geöffneten Wohnungstür stand, war etwa so alt wie er: ein blasser schmaler Typ mit schwarzen Haaren und blauen Augen. Sehr gut aussehend, dachte Bernhard beinahe automatisch. »So ist das also«, stellte er mit kalter Stimme fest.

Der Mann sah von ihm zu Christine und wieder zurück, auch der letzte Blutstropfen wich aus seinem Gesicht. »Was soll das heißen?«, stammelte er. Langsam wandte er sich wieder der jungen Schauspielerin zu. »Das habe ich gewusst«, sagte er tonlos. »Im Grunde habe ich es gewusst. Mit mir hast du nur aus Langeweile etwas angefangen – oder weil du dir beweisen wolltest, dass dir keiner widerstehen kann. Und dafür habe ich meine Ehe gefährdet!«

Er drehte sich um und rannte zum Aufzug.

Christine hatte noch gar nichts gesagt, und Bernhard wollte auch nichts hören. Er schob sich an ihr vorbei aus der Wohnung und sagte mit erzwungener Ruhe: »Ich wünsche dir noch einen schönen Tag.«

Endlich hatte auch sie sich von ihrem Schrecken erholt. »Bernd, bitte bleib!«, rief sie ihm nach.

Er tat ihr nicht den Gefallen, sich noch einmal umzudrehen. Alles, was er denken konnte, war: Das war’s. Wie betäubt kehrte er in seine Wohnung zurück, wo gleich darauf das Telefon anfing zu klingeln. Er ignorierte es ebenso wie wenig später das Läuten an der Tür.

*

Robert zog im Schwimmbad gleichmäßig seine Bahnen – das tat er immer, wenn er einen freien Tag hatte, er bekam ja sonst nicht allzu viel Bewegung, und er wollte auf jeden Fall fit bleiben. Nach einer Stunde im Wasser fühlte er sich großartig. Es war überhaupt ein guter Tag, fand er. Zuerst die Begegnung mit der hübschen Ilka, nun der Sport – vielleicht ging er am späten Nachmittag noch ins Kino. Oder er traf sich mit seinem Freund Per, sie hatten einander mindestens zwei Wochen lang nicht gesehen.

Er war gerade dabei, das Schwimmbad zu verlassen, als sein Handy klingelte. Er erkannte die Nummer sofort, es war sein Chef. Hastig meldete er sich. »Herr von Ahlwitz?«

»Tut mir leid, Herr Werner, ich weiß, ich habe Ihnen einen freien Tag versprochen – können Sie den ein anderes Mal nehmen?«

»Kein Problem«, erklärte Ro-bert. »Ich war nur gerade Schwimmen, ich müsste …«

»Nehmen Sie sich so viel Zeit, wie Sie brauchen – aber bitte nicht mehr. Und dann kommen Sie zu mir. Wir fahren nach Sternberg, ich muss mit Frau von Thadden reden. Sie ist heute Morgen dahin gefahren.«

»Ich beeile mich«, versprach Robert, und das tat er auch. Er jagte nach Hause, hängte seine Schwimmsachen auf, trocknete die Haare, zog sich um und machte sich wieder auf den Weg. Was war passiert? Das war die Frage, die ihm unablässig durch den Kopf ging. Hatte Herr von Ahlwitz es irgendwie herausbekommen? Wenn ja, musste er nichts mehr sagen. Wenn nein …

Seine Gedanken verwirrten sich, er war noch zu keinem Entschluss gekommen, als er sich am Empfang des Hauses meldete, in dem Bernhard von Ahlwitz wohnte. Dieser kam so schnell nach unten, dass er wohl schon auf das Erscheinen seines Chauffeurs gewartet hatte. Unnatürlich blass war er, die Augen schienen tief in den Höhlen zu liegen, dunkle Schatten lagen darunter. »Sind Sie krank?«, fragte Robert erschrocken.

»Nur unglücklich«, lautete die Antwort.

Bernhard setzte sich nach hinten, was bedeutete, er wollte nicht reden. Robert fand das in Ordnung. Anders wäre es ihm lieber gewesen, dann hätten sie beide eine unterhaltsamere Fahrt gehabt, aber mittlerweile war er sicher, dass Bernhard von Ahlwitz von der Untreue seiner Freundin erfahren hatte. Einen anderen Grund für sein elendes Aussehen konnte er sich jedenfalls nicht vorstellen.

Er ließ den Motor an und machte sich auf den Weg nach Sternberg.

*

»Bernd hat vor einer halben Stunde angerufen, Isa«, sagte Sofia von Kant. »Er scheint ziemlich durcheinander zu sein und ist jetzt auf dem Weg hierher.«

»Bernd?«, fragte Isabella verwundert. »Wieso kommt er denn nach Sternberg? Das verstehe ich nicht. Ist etwas passiert?«

»Das nehme ich an, näher erklärt hat er sich nicht. Er bat mich nur, dir auszurichten, dass er mit dir reden muss.«

»Oje«, murmelte Isabella. »Wahrscheinlich geht es um seine Freundin.«

»Vielleicht solltet ihr die Öffentlichkeit nicht länger im Unklaren über eure Beziehung lassen«, schlug Sofia vor. »Dieses Verwirrspiel ist doch gar nicht nötig, Isa, jedenfalls nicht für dich. Wie das bei Bernd aussieht, kann ich nicht beurteilen, zumal ich seine Freundin nicht kenne, aber Viktor von Löwen ist ein sympathischer Mann, deine Eltern werden ihn schätzen.«

»Das werden sie nicht, Sofia. Er hat keinen guten Ruf, das weißt du doch.«

»Aber du liebst ihn«, stellte die Baronin fest. »Und das ist es doch, was zählt, oder?«

Der kleine Fürst Classic 40 – Adelsroman

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