Читать книгу Der kleine Fürst Classic 41 – Adelsroman - Viola Maybach - Страница 3

Оглавление

»Schön, dass Sie vorbeigekommen sind, Clara«, sagte Irina Mahler zu ihrer jungen Besucherin. »Ich weiß das zu schätzen, in Ihrem Alter hat man wenig Zeit, daran erinnere ich mich gut.« Sie lächelte. »Und normalerweise hat man auch eher Interesse am Umgang mit Gleichaltrigen. Umso mehr freue ich mich über Ihren Besuch.«

»Sie tun ja fast so, als könnten Sie meine Großmutter sein, Frau Mahler«, lachte Clara von Bethmann. »Dabei sind Sie höchstens zwanzig Jahre älter als ich.«

Irina Mahler war Mitte Vierzig, was man ihr nicht ansah, obwohl sie die grauen Strähnen in ihren tiefschwarzen Haaren nicht färbte. Sie trug sie in einem exakt geschnittenen Pagenkopf mit langem Pony – und allein diese Frisur gab ihr etwas Verwegenes und betonte ihr klassisches Profil, zu dem nur die vollen Lippen nicht ganz passen wollten. Sie verliehen ihrem Gesicht, das sonst vielleicht ein wenig streng gewirkt hätte, eine unerwartet pikante Note.

»Zwanzig Jahre können sehr viel sein.«

»Ich empfinde den Altersunterschied zwischen uns als nicht besonders groß. Jedenfalls habe ich mich noch nie, nicht ein einziges Mal, in Ihrer Gegenwart gelangweilt, während mir das mit Gleichaltrigen schon oft passiert ist.«

»Dieses Kompliment gebe ich zurück, Clara. Und nun sagen Sie mir, wohin Sie fahren wollen.«

»Zu einer Auktion!« Claras dunkle Augen begannen zu leuchten, sie strich sich mit einer Hand die ebenfalls dunklen Haare nach hinten – es war eine für sie typische Geste. Ihre Schönheit, hatte Irina schon öfter gedacht, wurde erst richtig sichtbar, wenn Clara redete und sich bewegte. Sie tat das Eine wie das Andere elegant und geschmeidig, es war eine Freude, ihr zuzusehen und dazuzuhören. »Sie wissen ja, dass ich nach dem Tod meiner Eltern ihren Antiquitätenhandel mit dem zugehörigen Ladengeschäft übernommen habe, und ich hoffe, ich kann auf der Auktion einige schöne Stücke erbeuten. Seit Tagen bin ich schon ganz aufgeregt deshalb.«

»Sie sind noch so jung«, stellte Irina fest, »aber trotzdem kommt es mir so vor, als seien Sie bereits eine Expertin für wertvolle alte Stücke.«

»Ich habe Kunstgeschichte studiert«, erklärte Clara. »Außerdem haben mich alte Sachen schon immer fasziniert, und meine Eltern und auch meine Großeltern haben diese Liebe früh erkannt und gefördert.« Clara sah sich in Irinas elegant möbliertem Salon um und lächelte ihre Gastgeberin an. »Und diese Liebe war es ja schließlich auch, die dazu geführt hat, dass Sie und ich uns kennengelernt haben. Sie haben erlesene Stücke in Ihrer Wohnung, Frau Mahler.« Irina hatte sich eines Tages in Claras Geschäft eingefunden, die beiden so unterschiedlichen Frauen waren schnell miteinander ins Gespräch gekommen.

»Ja, ich weiß.« Auch Irinas Blick streifte jetzt über die kostbaren Möbel und Bilder. »Alles Erbstücke, mit denen meine Familie schon immer gelebt hat. Zu jedem kann ich eine Geschichte erzählen.«

Clara hoffte, das werde die Ältere auch tun, denn sie hörte ihr gerne zu. Irina Mahler war in Frankreich zur Welt gekommen, hatte sie einmal erzählt, als Tochter eines vermögenden kunstsinnigen Ehepaars, das sie schon als kleines Mädchen mit auf weite Reisen genommen hatte. Sie konnte erstaunliche Geschichten aus fernen Ländern erzählen und hatte Clara schon mehrmals damit verblüfft, dass sie mehrere Sprachen fließend sprach: Neben Französisch, Englisch und Deutsch auch Russisch und Italienisch. Nun lebten ihre Eltern schon lange nicht mehr, und sie hatte sich in Deutschland niedergelassen, in der schönen Landschaft rund um Schloss Sternberg, wo auch Clara lebte.

»Wollen Sie mich nicht begleiten?«, fragte Clara. »Ich bleibe zwei Tage, dann komme ich zurück.«

»Nein, wirklich nicht, danke für das Angebot, aber ich bleibe lieber hier. Außerdem habe ich alles, was ich brauche, noch mehr will ich mir nicht anschaffen, und ich möchte auch nicht in Versuchung geführt werden.«

Clara wunderte sich nicht über diese Ablehnung. Die weitgereiste Irina Mahler führte jetzt ein außerordentlich zurückgezogenes Leben, und sie schien nichts zu vermissen. Ein paar wenige Freunde hatte sie, mit denen sie sich regelmäßig traf, aber bei gesellschaftlichen Anlässen sah man sie nie. »Ich mache mir nichts daraus«, hatte sie einmal auf eine entsprechende Frage Claras geantwortet, »und warum soll ich dann meine Zeit damit verschwenden?«

»Schade«, seufzte Clara. »Es wäre viel netter gewesen, nicht allein da herumzulaufen. Außerdem bin ich sicher, dass Sie mir noch einige wertvolle Tipps hätten geben können, wo ich bieten und wo ich es lieber lassen soll.«

»Meine liebe Clara, wenn es einen Menschen gibt, der meine Tipps nicht braucht, dann sind Sie das«, stellte Irina mit einem kurzen Auflachen fest. »Werden Sie Bekannte treffen?«

»Ja, auf jeden Fall die Sternberger, mit denen habe ich telefoniert, sie werden kommen, weil ein altes Schmuckstück angeboten wird, das einer Fürstin von Sternberg gehört haben soll – einer Vorfahrin des kleinen Fürsten.«

»Der kleine Fürst«, murmelte Irina nachdenklich. »Das ist ein seltsamer Name für einen Fünfzehnjährigen. Am Anfang konnte ich gar nicht verstehen, warum der Junge so genannt wird, aber mittlerweile habe ich es verstanden, glaube ich: Er ist noch nicht volljährig und daher noch kein Fürst.«

»Sie wissen ja, dass seine Eltern letztes Jahr tödlich verunglückt sind«, sagte Clara. »Früher haben die Leute hier in der Gegend immer gesagt: ›Der große und der kleine Fürst‹, wenn sie von Christian und seinem Vater gesprochen haben. Nun gibt es nur noch ihn, und der Name ist ihm geblieben. Aber mit dem Tag seiner Volljährigkeit, schätze ich, wird er verschwinden, denn dann wird Prinz Christian von Sternberg der nächste Fürst von Sternberg sein.«

»Armer Junge«, murmelte Irina. »Mit fünfzehn Jahren seine Eltern zu verlieren, muss furchtbar sein.«

»Er hat trotzdem noch Glück gehabt, Frau Mahler. Er konnte ja im Schloss bleiben, weil seine Tante Sofia mit ihrer Familie ebenfalls schon lange dort lebt. Und er versteht sich besonders mit seiner Cousine Anna sehr gut. Jedenfalls hilft ihm der Zusammenhalt der Familie, die Trauer über seinen Verlust zu bewältigen.« Clara sah auf die Uhr. »Ich sollte aufbrechen«, seufzte sie. »Heute Abend kann man sich alles, was morgen versteigert wird, noch einmal ansehen. Ich hatte bisher nur einen Katalog, da bekommt man zwar einen ersten Eindruck, aber mehr auch nicht.«

»Ich hoffe, Sie berichten mir«, erklärte Irina, während sie Clara hinausbegleitete.

Clara versprach das, verabschiedete sich mit einer herzlichen Umarmung, setzte sich in ihren Wagen und fuhr davon.

Irina Mahler aber kehrte nachdenklich in ihre Wohnung zurück. Sie musste aufpassen, dass sie sich der jungen Frau nicht allzu sehr öffnete, weil sie sie gern hatte. Mit einem Seufzer betrachtete sie ihr Bild in dem schweren Spiegel, der über einem Rokokotischchen hing, wandte sich jedoch nach wenigen Sekunden ab und ging zum Fenster, wo sie lange auf die Straße hinuntersah, in Gedanken sehr weit weg.

*

»Wenn du mitfährst, komme ich auch mit«, beschloss Anna von Kant, die dreizehnjährige Cousine Christian von Sternbergs. »Ich finde Auktionen zwar stinklangweilig, aber die Sache mit dem Collier ist schon interessant.«

Christian und sie standen vor einem Portrait der Fürstin Josefine von Sternberg – es war im Jahre 1756 gemalt worden und zeigte die Fürstin mit eben dem Collier, das jetzt auf der Auktion des berühmten Auktionshauses Arndt & Semmeling versteigert werden sollte. Wieso es sich nicht mehr im Besitz der Familie Sternberg befand, hatte sich bislang nicht einwandfrei feststellen lassen.

»Ja, das finde ich auch«, erwiderte der kleine Fürst. »Außerdem ist das doch mal was Neues für uns, Anna.«

»Und Konny wird sich freuen, wenn er machen kann, was er will«, stellte sie fest. »Er hat ja schon gesagt, dass er nicht mitkommt.« Ihr Bruder Konrad empfand sich mit seinen sechzehn Jahren als erwachsen, was ihn eine Zeitlang veranlasst hatte, Dinge zu tun, die er für »erwachsen« hielt: Er hatte unter anderem zu viel Alkohol getrunken, die Schule geschwänzt und sich die falschen Freunde gesucht. Das schien vorbei zu sein, doch noch immer sorgten sich die Eltern, Baronin Sofia und Baron Friedrich von Kant, um ihn und fürchteten, dass er in seine früheren schlechten Gewohnheiten zurückfallen könnte.

»Na ja, er wird schon nichts anrichten«, meinte Christian und löste endlich seinen Blick von Josefine von Sternberg. Das nahm sein junger Boxer Togo zum Anlass, seine Bedürfnisse anzumelden. Er begann zu winseln und Christians Hand zu lecken, bis dieser sagte: »Schon gut, Togo, wir gehen ja noch ein bisschen raus. Kommst du mit, Anna?«

Seine Cousine warf einen Blick aus dem Fenster, sah den bewölkten Himmel, aus dem es den ganzen Tag über ständig getröpfelt hatte, und schüttelte den Kopf. »Nee, lieber nicht. Bis später, Chris.«

»Also dann, auf geht’s, Togo!«, sagte der kleine Fürst.

Togo jagte die breite Treppe hinunter und war natürlich zuerst unten vorm großen Eingangsportal. Eberhard Hagedorn, der langjährige Butler auf Schloss Sternberg, erschien. »Wollen Sie jetzt mit dem Hund nach draußen, Prinz Christian? Es wird mit Sicherheit gleich regnen.«

»Dann kommen wir schnell wieder, Herr Hagedorn, aber der arme Togo hatte heute überhaupt noch keinen Auslauf, und ich habe es ihm versprochen.«

»Wenn das so ist«, erwiderte der Butler lächelnd, »ein Versprechen muss man natürlich halten.« Er öffnete die Tür und entließ die beiden in den frischen Frühlingstag. Exakt fünf Minuten später ging ein wahrer Wolkenbruch nieder, der Prinz und sein Hund kehrten jedoch erst zurück, als der Regen wieder aufgehört hatte.

»Wir haben uns in einem der Pferdeställe untergestellt, Herr Hagedorn«, erklärte Christian. »Sie sehen, wir sind fast gar nicht nass geworden.« Er sah den vor Nässe zitternden Togo an und lächelte verlegen. »Na ja, ein bisschen vielleicht doch.«

»Ich übernehme Togo«, schlug Eberhard Hagedorn vor, »und Sie ziehen sich bitte um, Prinz Christian.«

Der kleine Fürst kam nicht einmal auf die Idee zu widersprechen. Herr Hagedorn war eine Autorität im Schloss – und ausnahmslos waren seine Vorschläge klug und wohl durchdacht. Es war also auch klug, ihnen zu folgen.

*

Graf Leonid von Zydar spürte die Blicke, die verstohlen auf ihm ruhten, durchaus, doch er gab vor, nichts davon zu bemerken. Seit er St. Petersburg verlassen hatte und nach Deutschland übergesiedelt war, stieß er überall auf Neugierde, zugleich aber auch auf Ablehnung. Er galt als »undurchsichtig«, so hatte es erst kürzlich wieder in einer Zeitschrift gestanden. Diesen Ruf besaß er allein deshalb, weil er in der luxuriösen Villa, die er erworben hatte, ein zurückgezogenes Leben führte und nicht jedem Auskunft darüber gab, woher er kam und warum er ausgerechnet hier

im Sternberger Land zu leben wünschte.

Einer der wenigen Menschen, mit denen er sich angefreundet hatte, war Johannes von Thalbach. Der fünfzigjährige Bankier und er hatten zahlreiche gemeinsame Interessen – und vor allem gehörte Johannes nicht zu den Menschen, die ständig Fragen stellen. Sie konnten entspannt miteinander schweigen, während sie eine gute Flasche Wein tranken, und außerdem war Johannes häufig in Petersburg gewesen, er wusste also, was Leonid vermisste – und was er gern hinter sich gelassen hatte. Er war sofort bereit gewesen, Leonid zu dieser Auktion zu begleiten, und er war es jetzt auch, der ihm eine Hand auf den Arm legte und fragte: »Leo? Darf ich dir Sofia und Friedrich von Kant vorstellen? Sie leben auf Sternberg, und ich hörte soeben, dass ihr euch bisher nicht begegnet seid.«

Leonid drehte sich um und sah sich zwei forschenden Augenpaaren gegenüber. Sofia von Kant lächelte ihn an. »Wir freuen uns, Sie kennenzulernen, Graf von Zydar«, sagte sie freundlich.

Der Baron schloss sich seiner Frau an, und Leonid stellte erstaunt fest, dass er die beiden sympathisch fand. Sie blickten ihn offen an, sie schienen nicht einmal auf die Idee zu kommen, ihn sofort mit neugierigen Fragen zu bombardieren, und ihm fiel ferner auf, dass sein Freund Johannes offenbar auf gutem Fuß mit den Sternbergern stand. Nun schoben sich zwei Jugendliche in Leonids Blickfeld: ein etwa fünfzehnjähriger Junge mit schmalem, gut geschnittenem Gesicht und glatten, ziemlich langen dunklen Haaren und ein etwas jüngeres blondes, niedlich aussehendes Mädchen.

»Dies ist unser Neffe, Prinz Christian von Sternberg«, stellte Baron Friedrich vor, »und das ist Anna, unsere Tochter.«

»Freut mich, eure Bekanntschaft zu machen«, erklärte Leonid. »Oder sollte ich besser ›Sie‹ sagen?«

»Nicht nötig«, erklärte Christian. »Nicht, Anna?«

Anna zögerte.

»Wenn Sie uns mit ›Sie‹ anreden, wirken wir erwachsener«, sagte sie. »Das fände ich gar nicht so schlecht – jedenfalls hier. Außer uns sind ja überhaupt keine Jugendlichen da.«

»Anna hat Recht«, fand Christian. »Also könnten Sie uns hier vielleicht siezen?« Großzügig setzte er nach kurzer Pause hinzu: »Woanders können Sie uns natürlich duzen.«

»Selbstverständlich.« Leonid hatte Spaß an den beiden, weil sie so offen sagten, was sie wollten. Überhaupt schien diese Familie – Christian gehörte mittlerweile offensichtlich dazu, natürlich wusste Leonid vom tödlichen Unfall seiner Eltern – eine erfreuliche Ausnahme unter all den eingebildeten und verwöhnten Adeligen zu bilden, die er bisher kennengelernt hatte. »Es wird mir ein Vergnügen sein«, setzte er hinzu.

»Haben Sie schon das Collier gesehen?«, fragte Anna.

Leonid wusste sofort, von welchem Collier sie sprach. »Das von Ihrer Urahnin, Christian?«, fragte er.

Der Junge nickte.

»Ja, es ist da hinten in einer der Vitrinen ausgestellt«, erklärte Leonid. »Wenn Sie wollen, zeige ich es Ihnen.«

Als Anna und Christian mit dem russischen Grafen zu der betreffenden Vitrine gegangen waren, sagte Baronin Sofia erstaunt zu Johannes: »Aber er ist reizend, Jo! Wieso reden denn alle schlecht über ihn? Wenn du wüsstest, was für Gerüchte über Leonid von Zydar in Umlauf sind …«

»Oh, das weiß ich ziemlich genau, Sofia«, entgegnete Johannes von Thalbach. »Und was viel schlimmer ist: Er weiß es auch. Alles Unsinn, das darfst du mir glauben.«

Sie folgten den anderen langsam, denn natürlich wollten auch Sofia und Friedrich das Collier genau in Augenschein nehmen. Als sie sich der Vitrine näherten, hörten sie den jungen russischen Grafen sagen: »Es ist ein außergewöhnlich schönes Collier, es hätte mich interessiert, wer es verkauft, aber leider bekommt man darüber keine Auskunft. An seiner Echtheit kann jedenfalls kein Zweifel bestehen. Wissen Sie, warum es seinerzeit verkauft worden ist?«

»Nein, wir haben in unserem Familienarchiv nach Hinweisen gesucht, aber nichts gefunden«, erklärte Christian. »Hoffentlich können wir es zurückholen. Wir haben ein Bild auf Sternberg, da trägt Fürstin Josefine dieses Collier. Ich konnte es bis eben noch nicht richtig glauben, aber es ist genau das hier.« Er wies auf die Vitrine und das in ihr ausgestellte Schmuckstück.

In einer Ecke des Saales wurden Bilder ausgepackt und aufgehängt, die ebenfalls zur Versteigerung vorgesehen waren.

»Meine Güte, noch mehr Sachen«, murmelte die Baronin. »Ich hatte ja keine Ahnung, dass das so eine große Auktion wird.«

»Sie entschuldigen mich?«, bat Leonid. »Ich interessiere mich für die Bilder und würde sie mir gerne ansehen.«

»Ich komme nach, Leo«, sagte Johannes.

Der junge Graf nickte und schlenderte davon, die Zurückgebliebenen wandten sich wieder dem Collier zu. »Eins muss euch aber klar sein«, sagte der Baron nach einer Weile, »wenn der Preis allzu sehr in die Höhe getrieben wird, müssen wir aussteigen.«

»Ich glaube, wir kriegen es, Onkel Fritz«, sagte der kleine Fürst. »Das habe ich im Gefühl.«

Baron Friedrich lachte und legte seinem Neffen einen Arm um die Schultern. »Dann wollen wir hoffen, dass dein Gefühl dich nicht täuscht, Chris. Und jetzt, schlage ich vor, stärken wir uns, bevor die Schlacht beginnt. Was haltet ihr davon?«

Niemand erhob Einspruch, und so suchten sie ein Lokal in der Nähe auf, denn bis zum Beginn der Auktion blieben ihnen noch fast zwei Stunden Zeit.

*

Clara sah das Porträt einer Frau in den Dreißigern – und hielt den Atem an. Sicherlich, die Frisur war eine andere, die Haare waren noch pechschwarz, ohne graue Strähnen, aber die Frau auf dem Bild ähnelte Irina Mahler so sehr, dass sie den Blick nicht abwenden konnte. Sie las, was unter dem Bild stand: »Porträt einer Unbekannten« – mehr nicht. Auch über den Maler und die Herkunft des Bildes war offenbar nichts bekannt, es war nur eine ungefähre Jahreszahl vermerkt, die durchaus stimmen konnte. Ihr Herz klopfte wie wild, ihr Entschluss stand bereits fest: Dieses Bild wollte sie haben, und sie würde es Irina Mahler schenken. Natürlich war nicht sie die Frau, die da gemalt worden war, aber sie würde die Ähnlichkeit erkennen und sich über das Bild sicherlich freuen. Und da es offenbar kein bekannter Maler war, konnte es auch nicht allzu teuer sein.

Und selbst wenn, dachte Clara, dann schadet es auch nichts, ich bin ja nicht arm. Rasch sah sie sich um, niemand achtete auf sie. Sie durfte ihr Interesse an dem Bild nicht so deutlich zeigen, sonst kam vielleicht jemand anders auf die Idee, es sich ebenfalls genauer anzusehen und später dafür mitzubieten. Je unauffälliger sie sich verhielt, desto besser. Sie schlenderte weiter. Ein dunkelhaariger Mann mit markanten Gesichtszügen stand einige Bilder weiter, ganz in den Anblick dessen, was er betrachtete, vertieft. Sie hatte ihn nie zuvor gesehen, obwohl sie ihr Gedächtnis gründlich durchforstete. Aber wenn sie ihm bereits einmal begegnet wäre, hätte sie ihn sicherlich nicht wieder vergessen, denn er war eine auffallende Erscheinung, hochgewachsen und elegant.

Hinter sich hörte sie eine Frau tuscheln: »Das ist er, der Dunkle da vorn.«

»Wer denn?«, fragte eine zweite Stimme.

»Na, der Graf aus St. Petersburg, Leonid von Zydar.«

Von dem freilich hatte auch Clara schon gehört, er galt als undurchsichtig und wenig vertrauenswürdig. Als hätte er gespürt, dass man über ihn sprach, wandte er jetzt den Kopf und blickte Clara direkt an. Kohlschwarze Augen, dachte Clara, und ein Blick, als wollte er einem auf den Grund der Seele gucken.

Sie wandte sich eilig ab. Die übrigen Bilder konnte sie sich auch später noch ansehen, beschloss sie, wenn der russische Graf nicht mehr in der Nähe war. Sie fand ihn … beunruhigend.

Gleich darauf erblickte sie Baronin Sofia von Kant, die ihr zuwinkte. Clara war froh, ein bekanntes Gesicht erspäht zu haben und machte sich auf den Weg, die Baronin und ihre Familie zu begrüßen.

*

»Ich bin fertig, Frau Mahler«, sagte Lili Ganghofer. »Oder haben Sie noch etwas für mich zu tun?«

»Nein, ich denke nicht, Lili«, erwiderte Irina lächelnd. Die zwanzigjährige junge Frau kam jeden Vormittag zu ihr, um den Haushalt zu besorgen und zu kochen. Danach ging sie nach Hause, um dort das Gleiche zu tun. Sie war schüchtern, redete nicht viel, arbeitete dafür aber umso mehr. Irina war heilfroh, sie gefunden zu haben. Lili störte sie nicht, irgendwie schaffte sie es immer, ihre Arbeit so zu tun, dass Irina kaum etwas davon mitbekam.

»Wenn Sie einmal Urlaub machen möchten, Lili, dann müssen Sie mir das sagen – für eine Weile könnte ich sicherlich allein zurechtkommen, obwohl ich für den Haushalt leider überhaupt kein Talent habe.«

»Urlaub?«, fragte Lili geradezu erschrocken. »Ich möchte keinen Urlaub machen, Frau Mahler.«

»Dann bin ich froh, denn mit Ihnen ist mein Leben viel schöner als ohne Sie, aber das wissen Sie ja, Lili.«

Lili, die sonst kaum den Mund aufmachte, sagte daraufhin einen erstaunlichen Satz: »Mein Leben ist mit Ihnen auch viel schöner, Frau Mahler.«

»Tatsächlich? Aber Sie arbeiten doch so viel hier!«

»Das ist leichte Arbeit«, fand Lili, »außerdem ist Ihre Wohnung so schön, ich bin gerne hier. Hier kann ich mich erholen von … von zu Hause.«

Irina ließ das Buch sinken, das sie gerade übersetzte – sie tat das nur für sich, weil es ihr Freude machte und weil es von dem Buch noch keine Übersetzung ins Deutsche gab. Vielleicht würde sie es einem Verlag anbieten, wenn sie fertig war. »Tatsächlich?«, fragte sie.

Lilis runde Wangen waren mittlerweile feuerrot. »Ich habe fünf jüngere Geschwister«, erklärte sie, »meine Eltern arbeiten beide, weil das Geld sonst nicht reicht – und Platz haben wir in dem winzigen Häuschen sowieso nicht genug. Immer ist es laut, weil eins der Kinder eigentlich immer schreit und tobt. Sie sind alle viel jünger als ich, zwei von ihnen gehen noch nicht einmal zur Schule, und die anderen kommen nicht gut mit, weil es bei uns keine Ruhe zum Lernen gibt. Ich war auch eine schlechte Schülerin früher, aber jetzt habe ich die Schule zum Glück hinter mir, und im Haushalt bin ich gut. Das ist sowieso das, was ich am liebsten mache – Haushalt und Kochen.«

Sie brach ab, betrachtete verlegen ihre roten, rissigen Hände. »Unsere Möbel sind alt und angestoßen. Bei Ihnen dagegen ist alles schön, und es ist ruhig. Niemand schreit, niemand macht etwas kaputt, niemand weint. Ich kann arbeiten, wie ich es für richtig halte, und dabei stört mich kein Mensch. Etwas Schöneres kann ich mir nicht vorstellen. Wenn ich Urlaub hätte, könnte ich sowieso nicht wegfahren. Dann müsste ich den ganzen Tag zu Hause sein …« Sie brach ab. »Ich … ich sollte wieder an die Arbeit gehen«, murmelte sie und floh.

Danach konnte Irina sich nicht mehr auf ihr Buch konzentrieren. Sie kommt schon seit einem Jahr zu mir, und ich hatte keine Ahnung, wie ihr Leben aussieht, dachte sie erschüttert. Es wird Zeit, dass ich aufhöre, ständig um mich selbst und mein eigenes Schicksal zu kreisen.

Sie dachte noch länger über das nach, was Lili ihr soeben erzählt hatte – und am Ende fasste sie einen Entschluss.

*

Leonid blieb vor dem Bild, das seine Aufmerksamkeit fesselte, nicht länger stehen als vor allen anderen Bildern auch. Nichts an seinem Gesicht verriet sein Interesse an diesem speziellen Gemälde, obwohl ihn der Anblick der abgebildeten Frau wie ein Blitzschlag getroffen hatte. Die Bildlegende gab keine brauchbaren Informationen her, aber die brauchte er auch nicht, er kannte das Bild gut genug.

Verstohlen sah er sich um. Die unbekannte Schöne, die sich das Bild vorhin ebenfalls angesehen hatte, stand jetzt bei den Sternbergern, die sie offenbar gut kannte, der herzlichen Begrüßung nach zu urteilen. Ihr Blick war kühl gewesen, vielleicht sogar ein wenig herausfordernd. Natürlich, sie wusste, wer er war, und sie hatte bereits eine festgefügte Meinung über ihn – wie viele andere Menschen auch, denen er noch nie begegnet war. Sie war eine bemerkenswerte Schönheit, das war ihm nicht entgangen, besonders, wenn sie sich bewegte, denn das tat sie mit großer Eleganz und Geschmeidigkeit.

Kümmere dich nicht weiter um sie, Leonid, sagte er streng zu sich selbst. Du kannst keine Ablenkung gebrauchen, du musst dich auf dein Ziel konzentrieren, und diesem Ziel bist du heute ganz offensichtlich einen Schritt näher gerückt.

»Wen guckst du denn so interessiert an?«, erkundigte sich Johannes von Thalbach und folgte seinem Blick. »Etwa die schöne Clara von Bethmann?«

»Ist das die Dunkelhaarige da drüben, die mit den Sternbergern spricht?«, fragte Leonid betont beiläufig.

»Ja, das ist sie, und du brauchst gar nicht den Gleichgültigen zu spielen, ich habe dich beobachtet, mein Freund.«

Leonid lächelte. »Ertappt«, gab er zu. »Sie hat so einen funkelnden Blick – und sie bewegt sich wie eine Raubkatze. Das war es wohl vor allem, was mir aufgefallen ist.«

Johannes versagte sich eine Erwiderung, er lächelte nur still in sich hinein.

*

Das Collier war zunächst heiß umkämpft, doch ganz plötzlich sprangen die Konkurrenten von Baron Friedrich von Kant ab – sie hatten wohl begriffen, wie ernst es ihm war. Als der Auktionator nach einem gedehnten: »Zum Ersten … zum Zweiten … meine Damen und Herren, letzte Möglichkeit für dieses wundervolle Collier …. niemand mehr? Zum Dritten!« den Hammer niedersausen ließ, hatte Friedrich um einiges weniger bieten müssen als befürchtet. Nun strahlte er, nahm Küsse und Glückwünsche seiner Familie entgegen und freute sich, dass es ihm gelungen war, ein ehemals zum Sternbergschen Vermögen zählendes Schmuckstück zurückzukaufen.

Eigentlich gab es danach keinen Grund mehr, der Auktion noch länger beizuwohnen, doch da Clara bei etlichen Stücken eifrig mitbot, beschlossen sie, zumindest noch eine Weile zu bleiben und ihr Gesellschaft zu leisten.

Zu Sofias und Friedrichs Erstaunen stieg Clara auch bei einem Portrait ein, das zwar gut gemalt war und eine sehr schöne Frau zeigte, doch der Wert des Bildes schien unklar zu sein, konnte doch weder der Maler angegeben werden, noch wusste man, wer die abgebildete Frau war. Noch erstaunlicher war, dass Graf Leonid ebenfalls mitbot. Innerhalb kürzester Zeit waren alle anderen Interessenten ausgestiegen und verfolgten mit wachsender Verwunderung das Duell zwischen der schönen Clara und dem russischen Grafen. Es dauerte nicht lange, da war die gebotene Summe bereits Schwindel erregend hoch, doch weder Clara noch Leonid machten Anstalten, sich zurückzuziehen.

»Clara!« Sofia legte ihr behutsam eine Hand auf den Arm. »Das ist völlig verrückt! Lass ihn das Bild doch kaufen – warum willst du so viel Geld dafür ausgeben?«

Clara schien die Baronin nicht einmal zu hören, sie gab ein neues Gebot ab. Ihre Wangen waren gerötet, ihre Augen sprühten zornige Funken. Er machte sich über sie

lustig, dieser russische Graf! Auf Geld kam es ihm offenbar nicht an, aber er wollte unbedingt als Sieger aus diesem Duell hervorgehen, doch genau das war auch ihr Ziel.

Er ging jetzt gleich um zehntausend hoch mit seinem neuen Gebot, und plötzlich wurde es mucksmäuschenstill im Saal, während sich alle Augen auf Clara richteten. Wie würde sie reagieren? Längst hatte der Preis des Bildes jede vernünftige Grenze überschritten, nie im Leben war es so viel wert, wie nun einer von ihnen dafür würde bezahlen müssen.

Mit einem Mal stellte sich bei Clara Ernüchterung ein. Es war eine verrückte Idee gewesen, dieses Portrait Irina Mahler zu schenken, mehr nicht. Es wäre schön gewesen, ihrer älteren Freundin eine Überraschung zu bereiten – aber dermaßen viel Geld war diese Überraschung dann wohl doch nicht wert. Sie schüttelte also nur den Kopf, und damit ging das Bild an Leonid von Zydar, der seinen Sieg mit unbewegtem Gesicht quittierte. Dennoch hätte sie ihm am liebsten eine Ohrfeige verpasst vor lauter Zorn darüber, dass er ihr diese Freude kaputt gemacht hatte. Was konnte er schon für ein Interesse an dem Bild haben?

»Nicht traurig sein, Clara«, bat die Baronin, als wenig später eine Pause ausgerufen wurde.

»Traurig? Das bin ich nicht, ich bin wütend. Er hat doch gemerkt, wie wichtig mir das Bild ist – warum konnte er es mir nicht überlassen?«

»Vielleicht ist es ihm auch wichtig«, gab der kleine Fürst zu bedenken.

Clara sah ihn erstaunt an, schüttelte dann jedoch den Kopf. »Das glaube ich nicht«, erklärte sie.

»Aber sicher sein kannst du nicht. Vielleicht wollte er es genau so gern haben wie du.«

Doch Clara schüttelte erneut den Kopf, sie hielt das für ausgeschlossen. Der russische Graf hatte nur gewinnen wollen, das war ihre feste Überzeugung. Sie schimpfte nach allen Regeln der Kunst über ihn, was Sofia und Friedrich aber eher amüsierte, sie kannten ja Claras Temperament. Und da ihr nun die Laune gründlich verdorben worden war, hatte sie es plötzlich eilig, die Auktion zu verlassen. Abgesehen von dem Bild hatte sie alles bekommen, was sie hatte haben wollen, und so gab es keinen Grund, noch länger zu bleiben.

Als sie sich bereits von der jungen Frau verabschiedet hatten, nahm die Baronin sie noch einmal beiseite. »Willst du uns nicht bald wieder einmal besuchen, Clara?«, fragte sie. »Wir würden uns freuen, und du warst lange nicht mehr bei uns. Heute hatten wir ja kaum Gelegenheit, in Ruhe miteinander zu reden.

Clara nickte. »Das ist eine gute Idee, danke für die Einladung, Sofia.«

»Komm doch gleich am nächsten Wochenende«, schlug Sofia vor. »Mir scheint, du könntest eine kleine Luftveränderung gut gebrauchen.«

»Es tut mir leid, dass ich meinem Unmut so deutlich Ausdruck verliehen habe«, sagte Clara, nun doch ein wenig verlegen. »Aber ich habe einen solchen Zorn auf diesen … auf diesen …«

»Schon gut«, versuchte Sofia sie zu besänftigen. »Also bis zum nächsten Wochenende, Clara.«

»Danke, Sofia.« Clara gab der Baronin einen Kuss und machte sich auf den Weg zum Ausgang. Als sie an Graf Leonid vorbeikam, würdigte sie ihn zunächst keines Blickes, dann jedoch blieb sie stehen und fauchte ihn an: »Sie sind einfach ein kulturloser Banause! Ihnen ging es doch in Wirklichkeit überhaupt nicht um das Bild, sondern Sie wollten bloß zeigen, dass Sie sich nicht von einer Frau besiegen lassen. Wie jämmerlich!« Mit diesen Worten rauschte sie hinaus.

*

»Warum wollte sie das Bild unbedingt haben?«, wunderte sich Anna. »Da war doch bloß eine Frau drauf, die kein Mensch kannte.«

»Vielleicht wusste Clara ja, wer die Frau war«, vermutete der kleine Fürst. »Und der russische Graf wusste es vielleicht auch.«

»Glaubst du?« Annas Augen fingen an zu glitzern, wie immer, wenn sie ein Geheimnis vermutete. Sie dachte über Christians Worte nach und nickte schließlich. »Das könnte sein, Chris. Oder eigentlich muss es so sein, mir fällt keine andere Erklärung ein.«

»Ich habe gehört, dass Tante Sofia Clara eingeladen hat fürs nächste Wochenende, da können wir sie fragen.«

»Sie wird es uns bestimmt nicht verraten«, meinte Anna. »Sonst hätte sie es uns doch heute schon erzählen können, warum sie so hinter dem Bild her war.«

Johannes von Thalbach tauchte auf. »Habt ihr Graf Leonid gesehen?«

»Eben war er noch hier«, meinte Anna. »Er hat mit Papa geredet, ich glaube, sie sind nach draußen gegangen.«

»Danke, Anna.« Johannes verschwand.

»Versuchen wir, es rauszukriegen?«, fragte Anna.

»Du meinst, auch wenn Clara uns nichts erzählen will?«

Anna nickte.

»Interessieren würde es mich schon«, sagte Christian langsam. »Aber weißt du was, Anna? Genauso gern möchte ich herausfinden, warum der russische Graf das Bild unbedingt haben wollte.«

Sie sahen die Baronin winken, und das war das vorläufige Ende ihres Gesprächs über das rätselhafte Bild, das trotz seines vermutlich bescheidenen Werts eine Rekordsumme auf dieser Auktion erzielt hatte.

*

»Warum besuchen Sie uns nicht mal, lieber Graf?«, fragte Friedrich. Er war mit Leonid ins Gespräch gekommen – über Pferde. Erfreut hatte er festgestellt, dass der junge Russe davon erstaunlich viel verstand. Leonid wiederum hatte sich sofort für Friedrichs Pferdezucht auf Sternberg interessiert.

»Ja, warum nicht?«, wiederholte Leonid nachdenklich. »Ich bin kein sehr geselliger Mensch, Baron von Kant, das hat sich sicherlich schon bis zu Ihnen herumgesprochen.«

»Gerüchte interessieren uns nicht«, erklärte Friedrich. »Man hört so vieles, und so weniges davon stimmt. Wir hätten viel zu tun, wenn wir uns mit dem auseinandersetzen würden, was die Leute erzählen.«

Ein erstaunter Blick traf ihn. »Mit dieser Haltung dürften Sie ziemlich allein dastehen«, meinte Leonid.

»Mag sein. Wir halten es jedenfalls so, und dabei werden wir auch bleiben. Auf diese Weise lebt es sich nämlich entspannter.«

Leonids dunkle Augen lächelten. »Sie glauben nicht, wie gern ich solche Worte höre.«

»Sie nehmen meine Einladung also an? Ich kann es nur wiederholen: Unsere Pferde allein sind einen Besuch wert.«

»Daran zweifele ich nicht, aber ich würde dennoch nicht kommen, wenn mir die Besitzer der Pferde unsympathisch wären«, erwiderte der junge Graf charmant. »Ja, ich komme sehr gern, Baron von Kant, aber vielleicht sollten Sie zuvor Ihre Gattin fragen, ob diese Einladung auch in ihrem Sinne ist.«

»Das muss ich nicht, denn das weiß ich auch so«, erklärte Friedrich.

»Da bist du ja!«, rief Johannes von Thalbach. »Ich suche dich schon überall, Leo. Du weißt, dass wir noch eine Verabredung haben?«

»Nein, das hatte ich vergessen«, gab Leonid zu. »Dann darf ich mich jetzt von Ihnen verabschieden, Baron von Kant?« Die beiden Männer wechselten einen kräftigen Händedruck, auch Johannes verabschiedete sich, dann gingen sie.

Friedrich machte sich auf die Suche nach seiner Frau. »Ich habe den russischen Grafen fürs nächste Wochenende zu uns eingeladen, Sofia«, sagte er, als er sie gefunden hatte. »Er hat zugesagt. Dir war er ja auch sympathisch, und da dachte ich, du bist mit dieser Einladung sicherlich einverstanden.«

Sie sah ihn so entgeistert an, dass er unsicher wurde. »Was ist denn?«, fragte er alarmiert. »Habe ich doch einen Fehler gemacht? Er meinte noch, ich solle dich lieber fragen, aber …«

Sie unterbrach ihn mit den Worten: »Und ich habe Clara eingeladen, Fritz. Die beiden werden sich gegenseitig die Augen auskratzen, wenn sie bei uns aufeinandertreffen.«

»Wir können es ihr sagen, dann kommt sie eben eine Woche später«, schlug der Baron vor. »Den Grafen würde ich ungern wieder ausladen, wir kennen ihn nicht gut genug, finde ich. Aber Clara würde doch Verständnis haben, meinst du nicht?«

Sofia hatte sich wieder gefangen, sie lächelte jetzt.

»Wir tun gar nichts, wir lassen sie beide kommen. Vielleicht klärt sich bei der Gelegenheit, warum sie so verrückt auf dieses Bild waren, Fritz. Ich muss nämlich gestehen, dass ich das schon gern gewusst hätte.«

»Das kann uns aber mächtigen Ärger bereiten«, warnte der Baron.

»Und wenn schon«, erwiderte seine Frau vergnügt. »Dann ist endlich mal wieder ordentlich Leben im Schloss.«

Der kleine Fürst Classic 41 – Adelsroman

Подняться наверх