Читать книгу Der kleine Fürst 262 – Adelsroman - Viola Maybach - Страница 3

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Constanzes Gehirn weigerte sich zu glauben, was ihre Augen sahen: Der Sturm hatte ein richtiges Loch in das ohnehin schadhafte Dach des Schlösschens gerissen und infolgedessen war ein Teil davon eingestürzt. Durch das Loch konnte sie direkt in den Himmel sehen, an dem die Blitze jetzt immer schneller zuckten. Noch immer regnete es nicht sehr stark, aber es war eine Frage von Minuten, wenn nicht Sekunden, bis sich die Schleusen richtig öffnen und vermutlich wahre Sturzfluten auf die Erde niedergehen würden.

Sie erwachte aus ihrer Erstarrung, als Clemens ihren Arm ergriff und sie heftig schüttelt. »Los!«, brüllte er, um den Donner zu übertönen. »Wir müssen versuchen, das Loch irgendwie abzudecken, bevor es richtig zu schütten beginnt.«

Sie hatte ihn vergessen. Clemens von Renthofen, der mit ihrer Großmutter befreundet gewesen war und dem sie bei seinem ersten Besuch die Tür vor der Nase zugeschlagen hatte, weil ihr sein Name unbekannt gewesen war. Aber dafür konnte sie sich später entschuldigen – falls sie das überhaupt tat. Trotz des angefangenen Briefs an ihn, den sie im Sekretär ihrer Oma gefunden hatte, war sie noch nicht sicher, ob sie ihm trauen konnte. Aber damit konnte sie sich später beschäftigen. Jetzt galt es erst einmal, das Schlösschen vor noch größeren Schäden zu bewahren.

Sie folgte ihm. Verständigen konnten sie sich nur noch schreiend, da das Donnergrollen zunahm und die Donnerschläge in immer kürzeren Abständen ertönten. Aber Worte waren auch nicht nötig. Er war bereits dabei, eine der Planen, die er mitgebracht hatte, auseinanderzufalten. Sie half ihm, anschließend legten sie sie direkt unter dem großen Loch im Dach aus. Jetzt erst bemerkte Constanze, wie vorausschauend ihre Arbeit am Nachmittag gewesen war: Die Planen, die sie so mühselig allein ausgelegt hatte, standen voller Wasser, das sonst direkt in die Decke des darunterliegenden Stockwerks gesickert wäre.

Clemens hatte bereits die nächste Plane in der Hand, er deutete auf das Loch im Dach. Sie begriff, dass er tun wollte, was sie vor dem Ausbruch des Unwetters an etlichen schadhaften Stellen des Daches bereits getan hatte, und so reichte sie ihm eine große Schere und suchte nach der Schachtel mit den Nägeln und nach dem Hammer. Es würde ihnen nicht gelingen, das Loch vollständig zu verschließen, aber vielleicht gelang es ihnen immerhin, das Schlimmste abzuhalten.

Er suchte sich zwei Eimer, leerte sie draußen über dem Dach aus und stieg hinauf.

»Von außen!«, schrie er ihr zu.

Das war natürlich besser, würde aber auch mehr Zeit kosten, und Zeit hatten sie eben nicht. Constanze hätte ihn gern von seinem Vorhaben abgehalten, ließ es aber, da er bereits begonnen hatte, die Plane von außen aufs Dach zu nageln. Der Regen wurde stärker, der Wind nahm zu. Clemens kam so langsam voran, dass Constanze immer nervöser wurde, dabei wusste sie, wie anstrengend es für ihn sein musste, auf den beiden Eimern auch nur die Balance zu halten, während ihm Wind und Regen gleichermaßen zusetzten. Sie selbst hatte ja schon genug Mühe, sich die Plane nicht einfach aus den Händen reißen zu lassen.

Sie wurde etwas ruhiger, als er eine Seite der Plane hatte befestigen können. Von nun wurde ihre Arbeit leichter. Doch er war noch nicht einmal halb fertig, als aus dem bisher eher dünnen Regenfall eine regelrechte Sintflut wurde. Sie waren im Nu von oben bis unten nass, und Constanze musste gegen die Versuchung ankämpfen, zur Seite zu springen, um sich in Sicherheit zu bringen. Aber Clemens konnte die Plane ohne sie auf keinen Fall befestigen, sie musste ihm, jetzt erst recht, helfen, sie festzuhalten und ihm die Nägel anzureichen, damit Regen und Sturm sie ihnen nicht einfach aus den Händen rissen.

Verbissen jagte er Nagel um Nagel in die Dachbalken, bis die Plane befestigt war. Natürlich kam an den Seiten trotzdem Wasser durch, aber eine Katastrophe hatten sie erst einmal verhindert. Was an Wasser durchkam, landete, vorerst zumindest, auf der Plane am Boden. Constanze fragte sich allerdings, ob es dem Sturm und den Wassermassen, die jetzt vom Himmel stürzten, nicht über kurz oder lang gelingen würde, sämtliche Planen über den Löchern im Dach zu zerreißen, so dass sie wieder von vorn anfangen mussten.

Clemens hatte offenbar die gleichen Befürchtungen, denn er schnitt bereits ein neues Stück Plane zu und schrie: »Wir nageln noch zwei von innen drauf, um die Lücken zu überdecken, und dann sichern wir die anderen undichten Stellen ab.«

Sie harrte also aus, bis sie schließlich zwei weitere Planen unter dem großen Loch angebracht hatten und jeweils eine weitere unter den kleineren Löchern, die sie nachmittags schon versucht hatte abzudichten. Währenddessen tobten Sturm und Regen mit unverminderter Kraft.

Aber wenn sie geglaubt hatte, jetzt könnten sie sich eine Pause gönnen, so sah sie sich getäuscht. Clemens eilte rastlos zu einer entfernten Ecke des Dachbodens, wo ein schmales, aber stetiges Rinnsal auf den Boden tropfte – und als sie sich umsah, erkannte sie, dass es im Grunde überall tropfte. Dort, wo sie am Nachmittag die Planen ausgelegt oder an die Dachsparren oder Balken genagelt hatte, blieben die Pfützen stehen, aber an ungeschützten Stellen sickerte die Nässe ungehindert in den Boden – und damit in die Decke des darunterliegenden Stockwerks.

Sie dachte voller Schrecken an die großen feuchten Stellen, die sie dort bereits in mehreren Zimmern entdeckt hatte – und an die feuchten Wände, von denen sich die schweren alten Tapeten in großen Stücken lösten. Ein solches Unwetter hatte es sicherlich lange nicht gegeben, aber wenn schon seit ­Jahren immer wieder Feuchtigkeit über das schadhafte Dach ins Schlösschen gelangt war, konnte sie sich die Folgen lebhaft vorstellen, die das Wasser im Mauerwerk angerichtet haben musste.

Sie hasteten von einer Stelle zur nächsten, versuchten, abzudichten, was sich abdichten ließ, aber es war ein Fass ohne Boden. Dennoch arbeiteten sie weiter, ohne sich eine Pause zu gönnen, bis ihnen irgendwann auffiel, dass sie nicht länger schreien oder gestikulieren mussten, um sich zu verständigen, sondern wieder in normaler Lautstärke miteinander reden konnten.

Sie hielten beide gleichzeitig inne und lauschten. Es regnete noch, aber was jetzt vom Himmel kam, klang eher wie ein ruhiger, sanfter Landregen. Das Gewitter hatte sich verzogen, von ferne war noch ab und zu ein Donnergrollen zu hören, aber das Schlimmste war vorüber.

Auf dem Dachboden des Ziehenthal-Schlösschens freilich war ein stetiges Glucksen und Tropfen zu hören. Auch jetzt noch drang Regen durchs Dach ins Innere des Gebäudes. Sie konnten nur hoffen, dass die Planen das Schlimmste abhielten.

»Ich muss unten nachsehen«, sagte Constanze mit schwacher Stimme, »ich meine, im Stockwerk unter dem Dach. Die Decken und Wände sahen vorher schon nicht gut aus. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie es jetzt ist.«

»Die Decken sind mit Sicherheit feucht«, erwiderte Clemens, »aber die lassen sich auch wieder trocknen. Das ist gutes altes Mauerwerk, das hält eine Menge aus. Das ändert aber nichts daran, dass das Dach gemacht werden muss.«

»Wem sagen Sie das«, murmelte Constanze.

»Haben Sie die Planen ausgelegt, die hier schon lagen?«

»Ja, heute Nachmittag, als ich hörte, dass ein Sturmtief mit Regen erwartet wird. Ich hatte mir das Dach vorher schon mal angesehen. Überall Eimer und Wannen unter den schadhaften Stellen. Ich konnte meine Oma nicht mehr fragen, warum das Schlösschen in diesem Zustand ist – und Franzi will mir auch nichts sagen.«

»Ihre Haushälterin und gute Freundin?«

»Ja. Sie hatte einen Schlaganfall und erholt sich nur langsam. Sie soll möglichst wenig Aufregung haben, sagen ihre Ärzte.«

Er nickte nur und fragte nicht weiter, was sie ihm hoch anrechnete. Sie sahen sich noch einmal prüfend um, verrutschten hier eine Plane, dort einen Eimer, aber alles in allem sah es so aus, als hätten sie getan, was getan werden konnte, und so verließen sie den Dachboden.

Im Stockwerk darunter hatten sich in der Tat die feuchten Stellen an den Decken vergrößert, auch in die Wände war Wasser gesickert, mehrere Tapetenbahnen waren, schwer von Nässe halb von den Wänden gerutscht, und an einigen Stellen hatten sich Wasserlachen auf dem Parkett gebildet.

»Die trocknen wir gleich«, sagte Clemens, »und dann decken wir sie mit Planen ab. Sehen Sie, da oben? Da tropft immer noch Wasser aus der Decke, das müssen wir hier unten auffangen.«

Also begannen sie von neuem, aber die Arbeit hier war wesentlich weniger anstrengend als oben unter dem Dach: Hier hatten sie es mit einer überschaubaren Situation zu tun, die sie innerhalb von einer Stunde mehr oder weniger in den Griff bekamen.

»Und jetzt der Keller«, sagte Clemens.

Constanze lehnte sich an eine der Türen und schloss die Augen. Ihr war schwindelig vor Müdigkeit, und seltsamerweise fühlte sich ihr Magen leer an, dabei hatte sie doch etwas gegessen. Oder nicht? Sie war nicht mehr sicher. Sie hatte außerdem jegliches Zeitgefühl verloren.

»Essen Sie das«, hörte sie Clemens sagen.

Verwirrt öffnete sie die Augen und sah einen schmalen Riegel in seiner Hand.

»Was ist das?«

»Ein Schokoriegel – hilft gegen Unterzuckerung.«

»Danke. Und Sie?«

»Ich brauche im Augenblick nichts, aber ich habe noch Vorrat, keine Sorge.«

Sie aß die Schokolade, obwohl sie sich daraus nicht viel machte, aber erstaunlicherweise fühlte sie sich fast augenblicklich besser. »Komisch«, sagte sie, »ich weiß gar nicht, was mit mir los war, mir sind richtig die Beine weich geworden.«

»Das kommt vor. Aufregung, körperliche Anstrengung, Kummer – das alles zusammen kann einen schon mal umhauen.«

Sein Blick wurde prüfend. »Soll ich allein in den Keller gehen?«, fragte er.

Sie schüttelte den Kopf. Zwar graute ihr davor, jetzt dort hinunterzusteigen, aber auf keinen Fall würde sie ihn allein gehen lassen. Er hatte ihr geholfen, ohne ihn wären die Schäden am Schlösschen ohne Frage ungleich größer, das hieß aber nicht, dass sie ihm uneingeschränkt vertraute.

Er war zurückgekommen, obwohl sie ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen hatte und obwohl er wusste, dass Amanda gestorben war. Dafür musste es einen Grund geben, und sie war nicht sicher, ob seine Motive uneigennützig waren. Vielleicht hatte er ja ihrer Großmutter freundschaftliche Gefühle nur vorgespielt, um etwas von ihr zu bekommen, an dem er interessiert war? Das Schlösschen vielleicht? Unsinn, dachte sie, er musste doch wissen, dass Omi Erben und er deshalb keine Chance hatte.

»Kommen Sie?«, fragte Clemens. Er stand schon an der Treppe.

»Ja, natürlich, entschuldigen Sie, ich war in Gedanken.«

»Ist mir nicht entgangen.« Er lächelte bei diesen Worten.

Sie stiegen also in den Keller hinunter, wo es zu Constanzes Überraschung weniger schlimm aussah als befürchtet. Nur in einem der Räume stand etwa knöcheltief das Wasser und war von dort aus auch in den breiten Gang gelaufen, der den Keller in zwei gleiche Hälften teilte, aber der ganze Rest war trocken geblieben. Und der Raum, in den das Wasser gelaufen war, war mehr oder weniger leer.

»Glück im Unglück«, stellte Clemens fest.

»Das Fenster ist kaputt«, sagte Constanze. »Da muss das Wasser in den Keller gelaufen sein.«

Er nickte. »Die Schäden hier lassen sich am leichtesten beheben, so weit ich das bis jetzt überblicke.«

Als sie ins Erdgeschoss zurückgekehrt waren, fragte Constanze: »Wollen Sie einen Kaffee? Oder Tee?«

Er warf einen Blick auf die Uhr und stellte erstaunt fest, dass es noch längst nicht so spät war, wie er gedacht hatte. Ihm kam es so vor, als hätten sie Stunden auf dem Dachboden geschuftet. Es waren kaum anderthalb gewesen. »Lieber Tee«, entschied er, »Kaffee putscht mich nur noch mehr auf, das brauche ich jetzt nicht. Aber etwas Warmes wäre gut. Und haben Sie vielleicht ein Handtuch, damit ich mir die Haare trocknen kann?«

»Klar. Ich würde ja vorschlagen, dass wir beide duschen, aber da kommt kaum warmes Wasser, wahrscheinlich wäre uns hinterher erst richtig kalt.«

Sie holte Handtücher und suchte auch nach trockener Kleidung für ihn. Sie hatte ein übergroßes Sweatshirt, das sie gerne trug – das würde ihm vielleicht passen.

»Hier, bitte«, sagte sie. »Handtuch und Sweatshirt, vielleicht kommen Sie rein. Eine trockene Hose für Sie habe ich leider nicht. Oder halt, warten Sie, ich habe irgendwo noch eine alte, ziemlich ausgebeulte Jogginghose, die mir viel zu groß ist, genau wie das Sweatshirt.«

»Ich probiere es auf jeden Fall, denn diese nassen Sachen am Körper sind sehr unangenehm.«

Er zog sich im Bad um. Als er herauskam, musste sie lachen. Er hatte offenbar Mühe gehabt, in ihre Sachen hineinzukommen, aber es war ihm gelungen. Freilich waren sie zu kurz und zu eng.

»Sie sehen ein bisschen komisch darin aus«, stellte sie fest.

»Ist mir klar, aber ich fühle mich trotzdem wohl, weil sie warm und trocken sind.« Er ging zum Fenster und warf einen Blick hinaus. »Es stürmt noch, aber der Regen hat fast aufgehört.«

Sie setzte das Wasser für den Tee auf. Obwohl auch sie sich umgezogen hatte, fröstelte sie.

Er sah es, als er sich umdrehte. »Ziehen Sie noch was drüber«, riet er ihr. »Und vielleicht sollten Sie Ihre Haare trocken föhnen.«

»Wir beide«, beschloss sie.

»In Ordnung. Kann ich mich hier ein wenig umsehen, während Sie Ihre Haare trocknen?«

Nach kurzem Zögern nickte sie und verschwand im Bad. Als sie herauskam, kochte das Wasser, so dass sie den Tee aufgießen konnte.

Clemens tauchte wieder an der Küchentür auf, nachdem auch er sich die Haare getrocknet hatte. »Nicht nur das Dach ist schadhaft«, stellte er fest. »Am gesamten Schlösschen ist lange nichts gemacht worden.« Er sah sie fragend an, als erwartete er eine Erklärung von ihr – eine Erklärung, die sie selbst gern gehabt hätte.

»Offenbar schon seit Jahren nicht«, erwiderte sie zurückhaltend.

Sie würde ihm nichts von den Schulden erzählen, die sie geerbt hatte, so weit wollte sie nicht gehen, aber sie schob ihr Misstrauen ihm gegenüber, das noch nicht ganz überwunden war, immerhin so weit beiseite, dass sie hinzusetzte: »Ich habe meiner Großmutter versprechen müssen, dass ich dafür sorge, dass das Schlösschen nicht verkauft wird. Ich habe nicht verstanden, warum sie mir dieses Versprechen abgenommen hat, bis ich erfahren habe, dass ich es erbe.«

»Das war doch immer klar«, sagte er erstaunt.

Sie war so überrascht, dass sie im ersten Moment nichts zu erwidern wusste. »Wie kommen Sie darauf? Hat meine Oma mit Ihnen über dieses Thema gesprochen?«

»Sie hat mit mir oft über Sie gesprochen«, sagte er mit einem kleinen Lächeln. »Und sie hat dann immer gesagt, bei Ihnen wäre das Schlösschen in den richtigen Händen. Also hatte ich nie Zweifel daran, dass Sie es erben.« Sein Lächeln verschwand. »War sie in Geldschwierigkeiten? Das hat sie mir nie erzählt.«

»Mir auch nicht.« Constanze gab sich einen Ruck. »Ja, sie war offensichtlich in Geldschwierigkeiten, anders ist das hier«, sie machte eine weit ausholende Armbewegung, die das gesamte Gebäude einschließen sollte, »überhaupt nicht zu erklären. Jedenfalls ist es die einzige Erklärung, die mir eingefallen ist. Denn, wie gesagt, ins Vertrauen hat sie mich nicht gezogen.«

Mehr wollte sie auf keinen Fall sagen, und so schloss sie rasch, um sich selbst an weiteren Erklärungen zu hindern, die Frage an: »Hat sie mit Ihnen auch über meinen Onkel gesprochen?«

»Welchen Onkel?« Sein Erstaunen war echt.

»Den jüngeren Bruder meines Vaters.«

Sein Blick verriet, wie verwirrt er war. »Ich dachte immer, Ihr Vater sei ihr einziger Sohn gewesen – und Sie die einzige Enkelin und damit auch die einzige Erbin.«

»Aber nein!«, rief Constanze. »Mein Onkel ist viel jünger als mein Vater, er war ein Nachkömmling, und er hat drei Söhne, meine Cousins. Wir haben schon lange keinen Kontakt mehr zu ihnen, mein Vater hat sich mit seinem Bruder nicht verstanden.«

Noch während sie sprach, erwachte ihr Misstrauen wieder. Er war und blieb ein fremder Mann für sie, auch wenn er ihr geholfen hatte. Aber wenn er ein Freund ihrer Großmutter war, wieso wusste er dann nichts über ihre Familie? Sie ärgerte sich, dass sie sich hatte hinreißen lassen, ihm Einzelheiten zu erzählen, die ihn nichts angingen. Sie war viel zu vertrauensselig, sie musste vorsichtiger sein.

Dann jedoch fiel ihr wieder ein, dass ihre Großmutter auch ihr selbst gegenüber ihren jüngeren Sohn kaum jemals erwähnt hatte. Freilich war Constanze immer davon ausgegangen, dass Amanda das aus reinem Taktgefühl unterlassen hatte, war ihr doch bekannt gewesen, dass ihre beiden Söhne sich nicht verstanden. Sie beruhigte sich wieder.

»Seltsam«, murmelte Clemens. »Aber ich bin sicher, dass ich mich nicht irre: Sie hat einen zweiten Sohn nie erwähnt.«

Was mache ich jetzt, dachte Constanze. Rede ich offen mit ihm – oder wenigstens ziemlich offen – oder verschweige ich ihm von jetzt an alles, was unsere Familiengeschichte betrifft?

Sie begegnete seinem Blick, der offen und klar war. »Wir haben uns nur wenige Male gesehen, Ihre Großmutter und ich, aber sie war mir wichtig«, sagte er. Seine Stimme klang traurig. Sie konnte nicht glauben, dass er ihr das vorspielte.

Der Brief fiel ihr wieder ein, der angefangene Brief in Amandas Sekretär. War das nicht ein Beweis dafür, dass sie ihm vertrauen konnte?

»Ich habe vergeblich versucht, meinen Onkel zu erreichen«, sagte sie langsam, »aber er hat sich auf meine Nachrichten nicht gemeldet, er war auch bei der Beisetzung nicht anwesend. Bei der Testamentseröffnung habe ich erfahren, dass er auf seinen Anteil am Erbe verzichtet hat – und dass er mit seiner Familie nach Südfrankreich gezogen ist. Zwar ist er noch an seinem alten Wohnort gemeldet, aber er nutzt das Haus wohl vor allem als deutschen Firmensitz.«

»Er hat auf sein Erbe verzichtet«, wiederholte Clemens und ließ seinen Blick abermals schweifen.

»Wollen wir den Tee hier trinken oder lieber …«

Clemens ließ sie nicht ausreden. »Hier. Ich finde Küchen gemütlich.«

Unwillkürlich lächelte sie, das war etwas, das sie teilten.

»Die Heizung funktioniert also auch nicht?«, fragte er.

Constanze seufzte. »So gut wie nichts funktioniert«, stellte sie dann fest. »Ich habe das zunächst nicht bemerkt, weil ich mich vor allem um meine Oma gekümmert habe, aber nach ihrem Tod, als ich zum ersten Mal mit offenen Augen durch die einzelnen Räume gegangen bin, hat mich fast der Schlag getroffen.«

»Wahrscheinlich hat Ihr Onkel gewusst«, stellte Clemens nüchtern fest, »dass das Schlösschen in seinem jetzigen Zustand ein Millionengrab ist und deshalb auf sein Erbe verzichtet.«

Der Gedanke war ihr zuvor auch schon gekommen, aber sie hatte ihn bis jetzt immer beiseite geschoben. »Dann hätte er mich eigentlich warnen müssen, finden Sie nicht?«

»Wer weiß, was Ihr Vater und er für eine Geschichte miteinander hatten. Vielleicht war das eine späte Rache an Ihrem Vater – nur dass sie leider Sie trifft.«

Constanze schüttelte den Kopf. »Ich habe solche Überlegungen auch schon angestellt, aber etwas stimmt dabei nicht.«

»Und was wäre das?«

»Sie lassen meine Oma außer Acht.«

Er wollte schon nachfragen, verstand aber dann auch so, was sie damit sagen wollte. »Sie wusste, in welchem Zustand ihr Zuhause ist – und hat es Ihnen trotzdem vermacht.«

Constanze nickte.

»Kann es sein, dass sie unterschätzt hat, wie teuer eine Sanierung würde?«

»Das habe ich mir auch schon überlegt, aber eigentlich kann ich es mir nicht vorstellen. Sie war völlig klar im Kopf, und sie konnte immer gut mit Zahlen umgehen.«

»Aber das hieße, sie hat genau gewusst, was sie Ihnen mit dem Erbe aufbürdet.«

»So ist es. Und das ist der Punkt, den ich nicht verstehe. Sie hat mich nicht gewarnt, und sie hat gewusst, dass ich zwar gut verdient habe, aber mir auf gar keinen Fall die Sanierung des Schlösschens leisten kann. Ich hätte das Erbe ja auch ausschlagen können – aber das war unmöglich, nachdem sie mir auf ihrem Totenbett das Versprechen abgenommen hat, es nicht zu verkaufen.«

»Na ja, jede Bank wird Ihnen den nötigen Kredit geben, weil allein das Grundstück mehr wert sein muss als die Schulden, die Sie machen würden. Die Frage ist, ob Sie sich eine solche Last aufbürden wollen.«

Sie hätte ihm jetzt von der bereits bestehenden Verschuldung ihrer Großmutter erzählen können, doch sie sagte nur: »Ich weiß es noch nicht.«

Eine Weile schwiegen sie, während sie den Tee tranken. Draußen war es noch immer windig, aber der Sturm hatte seine zerstörerische Kraft eingebüßt.

»Ich bin ein ganz guter Handwerker«, bemerkte Clemens schließlich beiläufig. »Wenn Sie wollen, komme ich morgen früh wieder, dann erstellen wir eine Liste der Schäden und ordnen sie je nach Dringlichkeit. Ich bin allerdings jetzt schon sicher, dass das Dach zuallererst gemacht werden muss. Wissen Sie, ob das Schlösschen gegen Sturmschäden versichert war?«

»Sturmschäden?«, fragte Constanze mit einem kleinen bitteren Auflachen. »Jeder Versicherungsvertreter, der sieht, in welchem Zustand dieses Gebäude ist, wird sofort sagen, dass nicht der Sturm verantwortlich für die Schäden ist. Das Dach war undicht, offenbar schon länger, nur deshalb konnte der Sturm dieses Loch hineinreißen.«

»War nur so eine Idee«, murmelte Clemens. »Und unbezweifelbar hat der Sturm auch Schäden angerichtet, unabhängig davon, in welchem Zustand das Schlösschen vorher war.«

»Wenn Sie meinen, es könnte sich lohnen, suche ich nach den Unterlagen.«

»Tun Sie das auf jeden Fall. Soll ich wiederkommen?«

Sie sah ihn an, er hielt ihren Blick fest. Seltsam, bei seinem ersten Besuch war er ihr beinahe unsympathisch erschienen mit seinem sonnenverbrannten Gesicht und den ausgebleichten Haaren. Jetzt jedoch, da sie gemeinsam gegen das Unwetter gekämpft hatten und sie überdies wusste, dass er mit ihrer Oma befreundet gewesen war, sah sie ihn mit ganz anderen Augen an. Wieso war ihr vorher nicht aufgefallen, wie liebenswürdig sein Lächeln war – und wie gut er aussah?

»Was ist los?«, fragte er. »Sie sehen mich an, als wäre ich Ihnen irgendwie unheimlich.«

»Ich habe daran gedacht, dass ich Ihnen neulich die Tür vor der Nase zugeknallt habe.«

»Das, zusammen mit der Todesnachricht, hat mich erst einmal umgehauen«, gestand er. »Aber wie Sie sehen, habe ich den Schock überwunden.«

Sie lächelte plötzlich. »Ja, bitte, kommen Sie morgen wieder. Und ich danke Ihnen sehr für Ihre Hilfe. Wenn ich ehrlich sein soll: Ich weiß nicht, was ich ohne Sie gemacht hätte.«

»Wenn ich auch ehrlich sein soll: Sie wären verloren gewesen.« Auch er lächelte, als er das sagte, dann stand er auf, um sich zu verabschieden.

Sie brachte ihn zur Haustür. Als sie sie öffnete, schauderte sie. »Wie kalt es auf einmal ist!«

»Das hatten sie ja vorhergesagt. Bis morgen also. Wann soll ich denn hier sein?«

Sie antwortete mit einer Gegenfrage: »Wo wohnen Sie eigentlich?«

»Im Hotel, keine Sorge, ich bin gut untergebracht.«

»Gegen zehn?«

»In Ordnung, ich werde da sein.«

Sie wartete nicht, bis er sein Auto erreicht hatte, sondern schloss die Tür vorher, damit nicht zu viel von der kalten Luft ins Haus gelangte. Schon jetzt bibberte sie vor Kälte.

Sie hatte nicht darüber nachgedacht, was ein Temperatursturz für sie bedeutete: Sie würde im Schlösschen noch mehr frieren, als sie es bisher schon getan hatte.

*

»Das gefällt mir nicht«, murmelte die Baronin. »Ich mache mir Sorgen um Conny, und jetzt kann ich sie noch nicht einmal erreichen.«

»Wahrscheinlich ist sie sowieso beschäftigt, Tante Sofia«, erwiderte Christian. »Ich schätze, sie versucht, alle Türen und Fenster zu schließen, damit es nicht ins Schlösschen regnet.«

Auf Sternberg war teilweise der Strom ausgefallen, aber Eberhard Hagedorn und Jannik Weber hatten den Schaden bereits behoben. Draußen tobte das Unwetter noch immer, aber in der Bibliothek von Sternberg, die ohnehin nach Ansicht der Schlossbewohner und auch der meisten Besucher der gemütlichste Ort im gesamten Gebäude war, war davon nur am Rande etwas zu hören und zu sehen. Im Kamin brannte ein schönes Feuer, vor dem sich nach dem Essen die ganze Familie versammelt hatte. Die schweren Vorhänge waren zugezogen, so sah man die immer wieder über den Himmel zuckenden Blitze nicht, und auch der Donner war nur als fernes Grollen zu vernehmen.

»Es regnet garantiert rein«, sagte Anna. »Wir haben doch gesehen, in welchem Zustand das Schlösschen ist. Da kann sie ruhig alles verschließen, der Regen kommt übers Dach rein.«

»Hör auf, Anna«, rief die Baronin unwillig. »Mal nicht auch noch den Teufel an die Wand!«

»Wenn es doch aber wahr ist, Mama! Das Dach hat Löcher, sonst hätten da keine Schieferplatten herumgelegen. Und die Wände waren neulich schon feucht, als wir Conny besucht haben.«

Sofia biss sich auf die Lippen. Was Anna sagte, war schließlich die Wahrheit. Friedrich, der sah, welche Sorgen sich seine Frau machte, griff nach ihrer Hand und hielt sie fest. »Morgen früh wirst du sie erreichen«, sagte er ruhig. »Im Augenblick können wir ohnehin nichts tun. Ich habe gehört, dass etliche Straßen der Umgebung unpassierbar sind, wir könnten vermutlich nicht einmal zu ihr fahren, wenn wir wollten – ganz abgesehen davon, dass wir nichts tun könnten. Das Einzige, was ihr helfen wird, ist ein neues Dach. Und eine neue Heizung – und vermutlich neue Fenster und was weiß ich noch. Ich habe überlegt, dass wir ihr anbieten sollten, ihr Geld zu leihen, damit sie durch die ungünstigen Zinsen bei der Bank nicht immer weiter in Schwierigkeiten gerät.«

»Das habe ich auch schon überlegt«, murmelte Sofia. Sie lächelte ihren Mann dankbar an. »Lass uns das auf jeden Fall tun, Fritz. Das sind wir unserer alten Freundin Amanda schuldig. Wenn sie sich an uns gewandt hätte …«

»Ja, ich weiß«, sagte er ruhig. »Leider hat sie das nicht getan.«

Togo, der direkt vor dem Kamin lag, winselte leise und drückte sich noch etwas enger an Christians Beine. Christian kraulte ihm abwesend den Kopf. Er dachte an Stephanie, die ähnliche Angst vor Gewitter hatte wie sein junger Boxer.

Er hatte ihr noch ein paar geflüsterte Zärtlichkeiten geschickt, die ihr helfen sollten, das Unwetter besser zu überstehen. Hoffentlich hatte sie sie abgehört!

*

Es war halb zehn, als Clemens am nächsten Morgen in die Höhe fuhr, weil unten auf der Straße jemand energisch und anhaltend hupte. Ungläubig blickte er auf die Uhr – er war Frühaufsteher, er verschlief eigentlich nie! Wieso lag er dann jetzt noch im Bett, statt gerade sein Frühstück zu beenden und sich innerhalb der nächsten Minuten auf den Weg zum Schlösschen zu machen, wo er um zehn erwartet wurde?

Er stand so schnell auf, dass ihm kurz schwindelig wurde und er sich an der Wand abstützen musste, bevor er ins Bad eilte. Unter der Dusche fiel ihm wieder ein, dass er in der Nacht noch eine längere Irrfahrt rund um Sternberg hinter sich gebracht hatte: Er hatte den Baum vergessen, der hinter ihm auf die Straße gekracht war. Natürlich war die Straße unpassierbar gewesen. Also war er umgekehrt, hatte nach einem anderen Weg zurück in die Stadt gesucht, diesen aber erst nach längerem Suchen gefunden. Zudem hatte es überall Staus gegeben, weil überall Bäume die Straßen blockierten und der Verkehr zudem wegen der vielen Feuerwehr- und Rettungswagen immer wieder zum Erliegen gekommen war.

Er wusste nicht mehr, wann er endlich sein Hotelzimmer erreicht hatte. Es war auf jeden Fall schon sehr spät gewesen – und natürlich hatte er, als er im Bett lag, erst einmal nicht schlafen können. Er hatte die Stunden im Schlösschen Revue passieren lassen und dabei festgestellt, dass Amanda von Ziehenthals schöne junge Enkelin in seinen Gedanken eine Hauptrolle spielte. Aber nicht nur Constanze, sondern auch das Verhältnis ihrer Großmutter zu ihr. Was nur war in die alte Dame gefahren, dass sie ihre Enkelin mit einem solchen Erbe belastete?

Constanze hatte es nicht erwähnt, aber er war ziemlich sicher, dass sie kein Geld geerbt hatte, vielleicht sogar Schulden. Was also war da vorgefallen?

Während er sich eilig abtrocknete, sah er Constanze vor sich, und unwillkürlich schlug sein Herz schneller. Erschrocken hielt er einen Moment inne: Das fehlte gerade noch, dass er sich zum jetzigen Zeitpunkt verliebte! Das war nicht vorgesehen, es passte nicht in seine Lebensplanung.

Dann musste er über sich selbst lachen: Von Verlieben konnte doch überhaupt keine Rede sein!

Er ließ das Rasieren sein, nur die Zähne putzte er sich noch und fuhr sich mit einem Kamm durch die Haare, bevor er sich in Windeseile anzog. Als er am Frühstücksraum des Hotels vorbeikam, stieg ihm Kaffeeduft in die Nase. Er war schon zu spät dran, aber zumindest einen Kaffee brauchte er!

Er trank eine Tasse im Stehen, schnappte sich ein verführerisch aussehendes Croissant und war wenig später auf dem Weg zum Schlösschen.

*

Constanze war am Abend zuvor in einen bleiernen Schlaf gefallen, so erschöpft war sie von der Schufterei auf dem Dachboden gewesen, aber bereits um sechs Uhr war sie wieder hellwach. Sie traute sich unter die lauwarme Dusche, weil sie Clemens nicht ungewaschen gegenübertreten wollte, aber hinterher bereute sie es, denn sie brauchte lange, bis ihr wieder halbwegs warm war. Das Schlösschen kam ihr wie ein Eishaus vor, was mit Sicherheit übertrieben war. Andererseits war es wohl schon seit längerem nicht mehr richtig geheizt worden, und so waren die Mauern durch und durch kalt und jetzt auch noch feucht. Sie zog noch eine dicke Strickjacke über ihren Pullover und stieg erst einmal auf den Dachboden.

Als sie das Licht eingeschaltet hatte, blieb sie ganz ruhig stehen und versuchte, nicht in Panik zu geraten. Was sie sah, war eine Katastrophe: ein Dach nämlich, das keinen Schutz mehr gegen Wind und Wetter bot. Und überall war Wasser: Es stand auf den Planen, und es hatte die meisten Gefäße, die sie unter den Löchern im Dach aufgestellt hatten, bis zum Rand gefüllt. Ein paar weitere Regengüsse, noch ein bisschen Wind, und das, was vom Dach noch übrig war, würde vermutlich einstürzen wie ein Kartenhaus. Immerhin hatten wie durch ein Wunder die Planen gehalten, die sie über und unter den schadhaften Stellen befestigt hatten.

Sie schaltete das Licht wieder aus und ging hinunter in die Küche. Sie musste rasch handeln, zumindest, was das Dach betraf, so viel immerhin war klar. Alles andere mochte noch Zeit haben, aber das Dach musste umgehend gemacht werden, wenn sie nicht wollte, dass das Schlösschen irreparabel geschädigt wurde – falls das nicht schon längst geschehen war.

Sie kochte sich eine ganze Kanne Tee. Als sie die erste Tasse trank, stellte sie fest, dass nichts im Haus war, das sie hätte essen können. Zum Einkaufen war es jedoch noch zu früh. Also nahm sie sich einen Schreibblock, den sie im Sekretär ihrer Großmutter fand und begann mit der Liste der Schäden am Gebäude. Schon bald wurde ihr klar, dass es eine ellenlange Liste werden würde, aber sie war fest entschlossen, sich nicht entmutigen zulassen. Doch je mehr sie aufzuschreiben hatte, desto mulmiger wurde ihr. Wie sollte sie dem Auftrag, den ihre Großmutter ihr in ihren letzten Lebensminuten gegeben hatte, jemals gerecht werden?

Gegen acht Uhr beschloss sie, eine Pause zu machen, denn die brauchte sie dringend, auch unabhängig davon, dass sie mittlerweile sehr hungrig war. Diese Liste zu erstellen, erschöpfte sie vor allem, weil sie bei jedem weiteren Schaden, den sie aufschrieb, sofort darüber nachdachte, wie aufwändig es sein mochte, ihn zu beheben. Wie nur sollte sie eine Gesamtsumme ermitteln, die nötig sein würde, um das Schlösschen wieder zu dem gemütlichen Zuhause zu machen, das es einmal gewesen war? Und wie sollte sie diese Summe, die zweifellos sehr hoch sein würde, aufbringen?

Sie hatte am Freitag einen weiteren Termin mit dem Bankberater ihrer Oma ausgemacht, mit Arno Wallmann. Er war Derjenige, der ihr eröffnet hatte, dass ihr Erbe abgesehen vom Schlösschen und dem Grundstück ausschließlich aus Schulden bestand, aus sehr hohen Schulden. Ihr graute vor dem Termin, aber sie würde trotzdem selbstbewusst auftreten. Sie war schließlich selbst Bankerin und konnte beurteilen, wie die Bank ihre Großmutter jahrelang über den Tisch gezogen hatte. Das würde sie noch einmal klar und deutlich zum Ausdruck bringen und zur Not auch als Drohmittel benutzen, wie sie es schon einmal getan hatte. Banken mussten zum Glück heutzutage mehr als früher auf ihren guten Ruf achten. Da kam eine Geschichte mit dem Titel: ›Alte Dame wird von Bank systematisch in den Ruin getrieben‹ sicherlich ungelegen.

Sie würde das für sich zu nutzen wissen, dachte Constanze kämpferisch.

Sie verließ das Schlösschen, um fürs Frühstück einzukaufen. Als sie zurückkam, sah sie das Telefon blinken, aber vor dem Frühstück wollte sie mit niemandem sprechen. Sie kochte noch einmal Tee und machte sich heißhungrig über die frischen Brötchen her. Sie hatte auch Schinken, Käse und Marmelade gekauft. Während sich ihr Magen füllte, schwand ihre Erschöpfung, ihre Lebensgeister erwachten wieder.

Sie beschloss, sich erneut an die Arbeit zu machen, doch das Klingeln des Telefons hielt sie auf. Es war Baronin Sofia, die noch einmal anrief, um sich besorgt zu erkundigen, wie Constanze und das Schlösschen den Sturm überstanden hatten.

»Das Dach hat einiges abbekommen, aber zum Glück ist dieser Clemens von Renthofen wieder aufgetaucht, stell dir vor, es hat sich herausgestellt, dass er doch ein Freund meiner Oma war. Ohne ihn wäre ich verloren gewesen, er hat mir sehr geholfen. Wir haben Planen ausgelegt und getan, was wir konnten, um das Schlimmste zu verhindern, Sofia, aber es sieht übel aus.«

»Brauchst du Hilfe? Soll ich vorbeikommen?«

Der kleine Fürst 262 – Adelsroman

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