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b) Verfahrensarten

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Die meisten EU-Verfahrensarten sind sog. „Direktklagen“, weil sie – oft nach erfolgloser Durchführung eines internen Vorverfahrens[43] – direkt bei einem europäischen Gericht eingeleitet werden können. Diese Verfahren dienen zum einen zur Entscheidung von Streitfällen innerhalb des EU-Systems, also von EU-Organen untereinander oder mit EU-Mitgliedstaaten. Zum anderen haben sie die Funktion, Meinungsverschiedenheiten zwischen EU-Bürgern (v.a. Unternehmen) und der Union bzw. Unionsorganen zu lösen (ohne Zwischenschaltung nationaler Instanzen).[44] Zu diesen Direktklagen gehören Vertragsverletzungsverfahren, Nichtigkeits- und Untätigkeitsklagen, Amtshaftungsklagen und dienst- und arbeitsrechtliche Klagen von EU-Bediensteten.

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Abbildung 17: Direktklage-Verfahren beim Gerichtshof der EU

Verfahrensart Streitparteien Gegenstand des Verfahrens Konsequenzen bei Erfolg
Vertragsverletzungsverfahren (Art. 258, 259 AEUV) Antragsberechtigt ist die Kommission (Regelfall), aber auch jeder Mitgliedstaat.[45] Antragsgegner sind einzelne Mitgliedstaaten. Handeln des beklagten Mitgliedstaates, das nach Auffassung des Antragstellers gegen primäres oder sekundäres EU-Recht verstößt. Verpflichtung des beklagten Staates, den festgestellten Verstoß schnellstmöglich abzustellen bzw. zu korrigieren (z.B. eine zu Unrecht gewährte Subvention zurückzufordern). Ansonsten drohen finanzielle Sanktionen.
Nichtigkeitsklage (Art. 263, 264 AEUV) Klageberechtigt sind die Mitgliedstaaten, die EU-Organe und der AdR sowie – bei persönlicher Betroffenheit – nat. und jur. Personen. Klagegegner ist ein EU-Organ oder eine sonstige EU-Einrichtung. Rechtlich verbindlicher Akt des beklagten EU-Organs (bis hin zu Gesetzgebungsakten), der nach Auffassung des Klägers gegen das EU-Recht verstößt. Rückwirkende Nichtigkeitserklärung des angegriffenen Rechtsaktes (z.B. einer Richtlinie, für die keine Zuständigkeit der EU besteht).
Untätigkeitsklage (Art. 265 AEUV) Klageberechtigt sind die Mitgliedstaaten, die EU-Organe sowie – bei persönlicher Betroffenheit – nat. und jur. Personen. Klagegegner ist ein EU-Organ. Unterlassen des Erlasses eines rechtlich verbindlichen Aktes, zu dem das beklagte EU-Organ nach Auffassung des Klägers verpflichtet ist (ohne Ermessen). Verpflichtung des beklagten EU-Organs, den unterlassenen Akt schnellstmöglich zu erlassen (z.B. über eine an das EP gerichtete Petition zu befinden). Ansonsten drohen finanzielle Sanktionen.
Amtshaftungsklage (Art. 268 AEUV i.V.m. Art. 340 II, III AEUV) Klageberechtigt sind alle nat. und jur. Personen. Klagegegner ist die Union als Rechtsträgerin des betroffenen Organs. Geltendmachung eines Schadens, der dem Kläger durch eine rechtswidrige oder fehlerhafte Amtshandlung eines EU-Organs bzw. -Bediensteten entstanden ist. Ausgleich des Schadens durch Geldzahlung seitens der EU (z.B. Bezahlung des Zinsschadens, den ein Unternehmen wegen einer zu Unrecht von der Kom. verhängten Geldbuße erlitten hat).
Dienstklage (Art. 270 AEUV) Klageberechtigt sind alle EU-Beamten und -Bediensteten. Klagegegner ist die jeweilige EU-Behörde, bei der der Kläger angestellt ist. Jedes Tun oder Unterlassen der Anstellungsbehörde, durch die die Rechtsposition des Klägers aus dem Beamtenstatut beeinträchtigt wird. Aufhebung der beanstandeten Maßnahme (z.B. einer disziplinarischen Rüge) oder Bewilligung einer vermögensrechtlichen Leistung (z.B. zu Unrecht einbehaltenes Gehalt).

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Neben diesen Direktklagen gibt es noch das praktisch sehr bedeutsame Vorabentscheidungsverfahren (Art. 267 AEUV). Dem Vorabentscheidungsverfahren liegt stets ein Rechtsstreit vor einem nationalen Gericht zugrunde, bei dem es auf die Auslegung primärrechtlicher EU-Normen oder die Vereinbarkeit sonstiger EU-Normen mit dem Primärrecht ankommt. Da hierüber allein der EuGH (und nicht einmal ein nationales Verfassungsgericht!) letztverbindlich entscheiden kann, muss das nationale Gericht spätestens in letzter Instanz einen solchen Fall dem EuGH vorlegen, damit dieser seine Rechtsauffassung darlegen kann. Nur durch dieses Auslegungs- und Verwerfungsmonopol des EuGH kann eine EU-weit einheitliche Anwendung und Auslegung des EU-Rechts sichergestellt werden. Die EuGH-Entscheidung ist dann sowohl für das konkret vorlegende Gericht als auch – soweit eine Aussage über die Auslegung oder Gültigkeit einer EU-Norm getroffen wird – generell für alle EU-Organe und Mitgliedstaaten verbindlich (z.B. Feststellung der Rechtswidrigkeit der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung[46]).

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