Читать книгу Mata Hari in Berlin und der Kammerdiener von König Ludwig II. - Volker Mayr - Страница 5

Die Spionin in der Grunewald-Villa

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„Mata Hari wohnte hier“. Überrascht blickt er auf.

Der ältere Herr versucht ein verschmitztes Lächeln zu verbergen, schalkhaft verengen sich seine Augen, blicken leicht triumphierend zu seiner Frau. Die zwinkert ihm zu. Machen die beiden einen Scherz?

Sie bekräftigt übertrieben ernsthaft, gleichwohl wie nebenbei, „ja, Mata Hari hat hier wohl kurze Zeit gelebt.“

Die beiden amüsieren sich offenbar über das Staunen des Gastgebers, wollen sich das nicht anmerken lassen und erwähnen schnell einen Operettensänger, der viel später ebenfalls und viele Jahre in dieser kleinen Grunewald-Villa zur Prominenz des Viertels gezählt hat. Dokumentiert durch eine offizielle Gedenktafel an der Hauswand.

Das ältere Ehepaar, dessen schmuckes Domizil fünf Fußminuten entfernt hinter einem Meer von weißen Hortensienblüten hervorlugt, hat ihn schon einige Male besucht, aber erst jetzt diese doch einigermaßen überraschende Offenbarung?

Gewiss, schon bei früheren Begegnungen hatten sie ihm die eine oder andere Anekdote und Geschichte über das Kommen und Gehen der Bewohner in diesem Viertel erzählt. Kein Wunder, die beiden leben im Haus ihrer Eltern, ihrem Geburtshaus.Die ältere Dame nach ihrem Alter zu fragen verkneift er sich natürlich, versucht aber doch zurückzurechnen. Wenn sie Mitte Ende siebzig ist und ihre Eltern auch schon eine Weile in dem Haus gewohnt hatten, landet man so in den zwanziger Jahren. Dann wäre die Erinnerung an eine Frau, die wenige Jahre zuvor Furore machte, gar nicht so unwahrscheinlich.

„Wie sicher sind Sie, dass diese Geschichte stimmt“?

„Als ich ein junges Mädchen war, in den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg, als so viel von Ost- und Westspionen in der Presse stand, da haben mir meine Eltern das von der Mata Hari erzählt.“

Mata Hari also lebte hier. Jetzt wohnt er in diesem Haus. In ein paar kleinen Zimmern nur, aber herrlich nach hinten hinaus zum Garten und angrenzenden Park des großzügigen Anwesens nebenan. Den größeren Teil der Villa bewohnt ein Unternehmer mit seiner Familie. Auch das Souterrain ist vermietet und unterm Dach wohnt eine Studentin.

In welchem Teil der Villa wohnte Mata Hari? So genau weiß das leider keiner von den beiden.

Ihm aber gefällt der Gedanke, dass die Femme fatale der frühen Jahre des 20. Jahrhunderts in seinen Zimmern gelebt haben könnte.

Mata Hari, Spionin für Deutschland und Frankreich. In dieser Rolle mehr Opfer als Täterin und ziemlich erfolglos. Sie brauchte dringend Geld, weil ihr Gläubiger im Nacken saßen und hatte zufällig die Bekanntschaft eines „Geheimen“ gemacht. Dass sie sich darauf einließ, hat sie das Leben gekostet.

Aus heutiger Sicht war Mata Hari nur eine Marionette der Geheimdienste, der die wahren Beweggründe der Strippenzieher nicht mal vor dem Erschießungskommando klar geworden sind.

Fantastische Erfolge feierte sie als Tänzerin und Verführerin mit Vorliebe von Offizieren in der anmaßenden genusssüchtigen Gesellschaft der Adligen und Großbürger vor dem Ersten Weltkrieg.

Diese Erfolge allerdings nur in den wenigen Jahren ihrer vollkommenen Schönheit. So ist das, wenn man bei seinen Auftritten häufig auch die letzten Hüllen fallen lässt. Mata Haris Luxusleben faszinierte, ihre ständige Geldnot ruinierte so manchen Liebhaber.

Als die rarer wurden, versprach der Wechsel vom Liebes- zum Geheimdienst neue Geldquellen. Da war sie ganz gewiss zu naiv und wehrte sich kaum gegen die Anklage des Hochverrats, nahm ihre Hinrichtung im Oktober 1917 in Vincennes nach Augenzeugenberichten merkwürdig gelassen hin.

Im Jahr 1907 war Mata Hari zum ersten Mal in Berlin.

Mit fernöstlich angehauchten Schleiertänzen, die zuvor in Paris für Furore sorgten, reizte sie vor allem die Männer im Publikum der Varieté-Bühne des „Wintergarten“. Einmal tanzte sie auch exklusiv für Kaiser Wilhelm II und seine Entourage.

Sechs Jahre später, 1913 soll sie dem Kronprinzen Avancen gemacht haben. Üble Nachrede oder willkommene Aufmerksamkeit bei ihrer Arbeitssuche?


1914 war sie dann wieder in der deutschen Hauptstadt mit der Aussicht auf ein lang ersehntes sechsmonatiges Engagement im Metropol-Theater in der nahezu unbekannt gebliebenen Operette „Der Millionendieb“.

Es wäre eine Uraufführung gewesen, die stattdessen erst 1918 in Wien über die Bühne ging. Komponist übrigens ein Friedrich Mayer. Das Libretto schrieb kein geringerer als Victor Léon, dem mit „Lustige Witwe“, „Opernball“ und „Wiener Blut“ auch Hits gelungen sind, allerdings mit Komponisten wie Franz Léhar.

Aus Mata Haris Rolle im „Millionendieb“ wurde nichts, weil der Ausbruch des Ersten Weltkriegs am 28. Juli 1914 viele Verträge, auch ihren, wertlos gemacht hat. Mit dem Engagement verlor sie angeblich auch Pelze und Schmuckstücke, die der Fundus-Verwalter des „Metropol“ beschlagnahmt haben soll.

Mata Hari und Berlin. 1907 also war sie zum ersten Mal hier. Dann 1913 und zuletzt 1914.

Durch ihr Verhältnis mit einem Herrn Kiepert, der viel Geld und ein Leutnants-Patent hatte, bekam sie eine Wohnung nicht weit entfernt vom Kurfürstendamm. Und wann bei ihren Berlin-Aufenthalten wohnte sie in Grunewald? In dem Haus, in dem er jetzt lebt?

Wenn es stimmt, dann hat Mata Hari hin und wieder vielleicht die beiden Pferde sowie den Ein- oder Zweispänner aus dem backsteinernen, ziegelgedeckten Stall holen lassen, der noch heute beim Blick von seiner Hochterrasse wie eine romantische Theaterkulisse wirkt. Heute stehen da statt Kutschen und Pferden die Drahtesel der Hausbewohner drin.


Jedes Haus in der kleinen Grunewald-Straße hatte mehr oder weniger berühmte oder zumindest bekannte Bewohner im Laufe seiner Geschichte. Ebenso die Villen in den benachbarten Straßen. Aber die Spuren der Mata Hari sind hier offenbar verweht.

Es gibt sogar ein Buch über die bekannten Bewohner all dieser Villen. „Prominente in Berlin-Grunewald und ihre Geschichten“.

Da sind die einzelnen Straßen und Hausnummern samt früherer Bewohner aufgeführt, sofern sie einigermaßen berühmt waren oder womöglich erst post mortem geworden sind. Da werden auch Spaziergänge, Routen durch die Villen-Landschaft angeboten.

Je nach besonderen Interessen. Zu den Domizilen von Schauspielern, noch lebenden wie schon toten. Oder von Komponisten, Malern, Politikern. Es ist ein bisschen so wie mit berühmten Friedhöfen. Nur dass man hier keine Grabsteine, sondern Häuser bewundern kann und je nach Naturell andächtig wird oder nur zu sich selber sagt: „Sieh mal einer an, da also liegt er oder sie, da haben sie gewohnt, gelebt, geliebt oder gelitten“.

Vergangenheit kann besitzergreifend werden, überlagern, was früher mal lebendig und gegenwärtig war.

Die Grunewald-Villen sind mit immer neuen, auch jungen Bewohnern noch durchaus am Leben. Und doch müssen immer mehr dieser überaus großzügig gestalteten und daher kostspieligen Bauten aufwändig renoviert und denkmalgerecht restauriert werden.

Neue Investoren teilen die herrschaftlichen Wohnungen von einst hinter den reich verzierten Fassaden in kleinere Wohneinheiten auf.

Manche Villen sind inzwischen morsch geworden oder einfach aus heutiger Sicht nicht mehr rentabel für ein viel zu großes und daher viel zu wertvolles Grundstück. Sie müssen dann Platz machen für moderne Hochglanz-Architektur.

Er muss mal nachsehen, was dann aus den Gedenkplaketten geworden ist. Kleben die dann an den neuen Fassaden „Hier wohnte…“? Aber hier wohnte die oder der eben nicht!

Er wohnt noch nicht so lange hier. Seine Gegenwart wie Vergangenheit bringt es sicher nicht zu einer Gedenktafel an der Hauswand oder einem Eintrag in besagtes Buch. Wozu auch.

Obwohl, Bemerkenswertes gäbe es schon in seiner Vergangenheit oder genauer gesagt: in seiner Ahnengalerie.

Sogar ähnlich Geheimnisvolles wie bei Mata Hari, deren Leben und selbstgestrickte Lebenslegende erst durch ihren Hochverratsprozess und die Hinrichtung für ihre Zeitgenossen so interessant geworden ist, dass Bücher über sie geschrieben wurden und ihr Leben den Stoff für mehrere Filme abgegeben hat.

Zu Lebzeiten war sie nur eine von hunderten oder tausenden Tänzerinnen, die auf den Bühnen, in den Varietés und Etablissements von Paris, Rom, Mailand oder London und Berlin hart arbeiten mussten, um mit dem Vergnügen, das zahlungskräftige Genießer an ihnen hatten, Geld zu verdienen.

Über Mata Haris Auftritte im Berliner „Wintergarten“ gibt es im Zeitungsarchiv der Staatsbibliothek keine Stichwortfunde. Ganz bestimmt hatte es in der damaligen Presse Hinweise auf Programm-Highlights der vielen Varietés gegeben, Werbung oder sogar die eine oder andere Theaterkritik.

Aber da müsste er über einen ziemlich unklaren Zeitraum Blatt für Blatt die Zeitungen durchforsten. Ein außerordentlich mühsames Unterfangen, denn die überlieferten Zeitangaben für Mata Haris Aufenthalte in Berlin sind höchst ungefähr.

Vermutlich war Mata Hari zwischen Mai und Dezember 1907 im „Wintergarten“ engagiert, denn zum Jahresende war sie wieder zurück in Paris.

Was würde er schon finden, wenn er sich die Mühe machte und für Tage oder Wochen im Zeitungsarchiv eingrübe? Was hätte ein Journalist schon Bemerkenswertes schreiben sollen über Mata Haris Auftritt?

Dass sie besonders schön war? Eher nicht. Dass ihr exotischer Tanz jedermann verzückt und hingerissen habe? Naja. Wenn überhaupt, dann hat man das über viele andere Tänzerinnen auch geschrieben, um sein Brot als Schreiberling zu verdienen.

Nicht zu vergessen, dass Mata Hari zwar ein ganz gewiss aufregendes Leben, hunderte von Liebschaften, ständige Geldnot hatte und rastlos von Bühne zu Bühne tingeln musste, um über die Runden zu kommen angesichts eines für ihre Verhältnisse viel zu aufwendigen Lebens.

Dessen Aufs und Abs wurden einer breiteren Öffentlichkeit und den allermeisten Journalisten aber erst später bekannt.

Während ihrer kurzen Show-Karriere hat das allenfalls die Leute beschäftigt, die sie engagiert, bezahlt oder vermittelt haben. Nicht mal die vielen Liebhaber hatten ein wirkliches Interesse an ihrer Person.

Als Geliebte muss sie unwiderstehlich gewesen sein. Wie sonst hätten so viele Männer wieder und wieder ihre unbezahlten Rechnungen beglichen? Auch wenn sie es mit keinem lange ausgehalten hat.

Mata Haris Ehemann hat sie wohl sehr grob behandelt, wie man auch erst im Nachhinein beim Blick auf das Leben der geheimnisumwitterten Spionin herausgefunden hat.

Sein einziges Verdienst für die Lebensplanung und die Lebensentwürfe der Mata Hari war der Umstand, dass die Frau aus der Provinz Friesland durch seinen Militärdienst in der damaligen niederländischen Kolonie Niederländisch-Indien eine Kultur kennenlernte, die sie offenbar faszinierte.

Eine abenteuerliche Geschäftsidee verhalf ihr zur Unabhängigkeit von diesem Mann.

Dazu erfand sie sich und ihre Lebensgeschichte neu, verlegte ihre Geburtsstunde nach Fernost und tauchte mit indischen Tempeltänzen in Europa auf wie aus dem Nichts.

Die Scheidung war das Startsignal für Mata Haris Erfolge auf offener Bühne oder in den Hinterzimmern feiner Salons. Ein Rätsel, wie sie das geschafft hat. Schließlich hatte sie Indien nicht im Blut.

Exotisches war in Europa gerade sehr im Trend. Es sammelten sich entsprechende Möbelstücke und Accessoires in Bürgerhäusern und Museen. Zoologische Gärten waren Renner mit Tieren und Pflanzen aus fernen Ländern. Die europäischen Kolonialmächte holten alles aus ihren Überseebesitzungen, womit sich Geld machen ließ.

Mata Haris Schleiertänze passten gut in die Zeit. Eine Sensation in Berlin war Mata Hari 1907 aber sicher nicht.

Wenn sie hier in dieser Grunewald-Villa gewohnt hat für ein paar Wochen oder Monate, hat das niemanden interessiert angesichts der vielen wirklich Prominenten in diesem noblen Wohnviertel von Charlottenburg.

Trotzdem geht ihm der Gedanke nicht aus dem Kopf, dass sie vielleicht genauso wie er gerade auf der Terrasse gesessen haben mag in der wärmenden Nachmittagssonne mit Vogelgezwitscher und einem wundervollen Blick in den schönen Park vor der Nase. Sie mag an einer Tasse Tee genippt und vor sich hingeträumt haben so wie er.

Und zu den Gedanken, die ihm bei solcher Muße durch den Kopf schwirren, gehören Erinnerungen an die eigene Herkunft und das ganz gewiss viel aufregendere Leben seines Urgroßvaters, das der trotz aller ihm auferlegten Verschwiegenheit einem Tagebuch anvertraut hat.

Vor wenigen Jahren hat ein Film das Leben des genial-verrückten Bayern-Königs aus der Perspektive dieses seines Urgroßvaters zu zeigen versucht. Regisseur und Hauptdarsteller bekannten freimütig, dass sie dabei ziemlich im Nebel herumstochern mussten.

Es ist wenig bis gar nichts Konkretes überliefert von dem Mann, der für König Ludwig II. allgegenwärtig war. Der ständig und sicher dienstbeflissen Menschen wie Richard Wagner im Dialog mit seinem Gönner aus unmittelbarer Nähe erlebt hat.

Der die vielen Eskapaden und amourösen Abenteuer seines Herrn geflissentlich übersehen und des Königs Launen erdulden musste.

Mata Hari in Berlin und der Kammerdiener von König Ludwig II.

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