Читать книгу Scheiße, der will Amok laufen! - Volker W. Degener - Страница 6

Оглавление

„Ganz schön clever, der alte Kolumbus“, stellt Jana bewundernd fest, als sie die Daten auf dem Monitor ihres PC betrachtet. Nick ist gern bereit, ihre Hochachtung zu bestätigen. Mehr aber auch nicht.

„Endlich fertig? Alle Fakten gecheckt?

Genug Infos gefunden?“, fragt er dann etwas ungeduldig. Er möchte noch etwas anderes unternehmen. Sich jedenfalls nicht weiter mit Schiffen, Indianern und der Frage beschäftigen, ob die Entdeckung Amerikas nun ein Meisterstück der Seemannskunst oder reiner Zufall war.

„Viel mehr als ich für mein Referat gebrauchen kann“, erklärt Jana.

Sie lehnt sich auf ihrem Schreibtischstuhl zurück. Zur Entspannung streckt sie die Arme aus. Für Nick ist das ein Signal, von seinem Stuhl aufzuspringen.

„Das war’s dann also?“

„Warte mal“, sagt Jana und klickt sich aus der wikipedia. „Patricia hat eine neue Homepage. Die will ich mir noch schnell ansehen.“

„Oh nein, Patricia, diese Schlaftablette!“

Nick plumpst enttäuscht auf seinen Stuhl zurück. Patricia erscheint auf dem Bildschirm mit vier Fotos und überraschend flotten Sprüchen. Mit besonderem Stolz gibt sie weltweit bekannt, dass sie kürzlich den 3. Platz bei einem Musikwettbewerb errungen hat.

Und außerdem bereitet sie sich schon auf den nächsten Auftritt vor. Am liebsten aber würde sie eine gefeierte Sängerin werden.

„Sowas ist immer irgendwie peinlich“, stellt Jana fest.

Nick legt eine Hand auf Janas, die die Maus führt.


„Du, da fällt mir ein, dass Florence Nightingale einen extremen Webauftritt haben soll.

Einfach tierisch. Hab ich von Oliver gehört, und der hat es von einem Sportkameraden gesteckt bekommen.“

„Florence Nightingale? Lorenz heißt der Typ doch in Wirklichkeit, oder?“

„Ja klar. Lorenz Nachtigall. Aber wir nennen ihn eben anders. Er regt sich immer darüber auf. Ehrlich gesagt, der sieht auch ein bisschen doof aus. Ein Gesicht wie ein Vogel.“

„Dafür kann er doch nichts, für seinen Namen und sein Aussehen“, wirft Jana ein. „Trotzdem macht ihr ihn zum Volltrottel.“

„Okay“, meint Nick. „Aber das ist doch ganz harmlos. Seine Mutter ist Krankenschwester, daher der Spitzname.“

„Versteh ich nicht.“

„In England gab es mal eine berühmte Krankenschwester mit dem Namen. Musste ich mir auch erst erklären lassen. Wenn’s schnell gehen muss, nennen wir ihn auch einfach Floh. Komm, lass uns mal eben den armen Lorenz ansehen.“

Von Nicks Vorschlag zeigt sich Jana wenig begeistert. Jetzt ist sie es, die lieber etwas anderes unternehmen würde.

Zu allem Überfluss meldet sich auch noch Janas Mutter. Nachdem sie angeklopft hat, schiebt sie ihren Kopf durch den Türspalt. „Wolltet ihr nicht noch in die Stadt?

Sagt Bescheid, ihr könnt mir dann noch etwas mitbringen.“ Mit geübtem Rundblick hat sie erkannt, dass alles in Ordnung ist. „Wollt ihr was trinken? Cola, Mineralwasser?“ Jana verdreht die Augen, und ihre Mutter zieht sich wieder zurück.

„Das war jetzt eine typische Zellenkontrolle“, behauptet Nick und grinst. „Also los, erst den Lorenz und dann geht’s ab in die Stadt.“

„Sein Auftritt ist bestimmt auch nur so ein – so ein müder Egotrip. Mehr nicht“, vermutet Jana.

„Performance nennt man das in besseren Kreisen“, verkündet Nick. „Nur mal schnell reinschauen. Ich mach mich mal kurz auf die Suche.“

Tatsächlich aber dauert es eine kleine Ewigkeit, bis die erste Seite erscheint, aus der Lorenz Nachtigall mit zusammengekniffenen Augen und einem eingefrorenen Lächeln herausschaut. Nick klickt hin und her und ist auf einmal ziemlich erstaunt.

„Du, schau mal.“

Erst ist der Monitor völlig schwarz. Aus der rechten Ecke kommt dann ein scharfer Lichtstrahl. Darin erscheint eine schwarze Figur, die größer und größer wird und in die Mitte der schwarzen Wand tritt.

„Das ist er, Florence. Sieht geil aus. Florence Nachtigeil!“

„Ich weiß nicht, was das soll“, wirft Jana ein. „Angeber! Der fühlt sich wohl wie Wolverine oder sonst so ein Superheld. Blöde, so was.“ Dann öffnet sich ein quadratisches Fenster. Das Gesicht von Lorenz erscheint.

„Wollt ihr was erleben?“, fragt er. „Okay, könnt ihr haben. Jede Menge. Mehr als genug. Aber ab heute bestimme ich! Auch über euch. Und niemand hält mich auf! Ihr werdet immer an mich denken. Für mich ist es ein kleiner Schritt, für die Menschheit ein großer.“

„Dämliches Gelaber!“, stellt Nick fest.

„Den Satz mit der Menschheit hab ich doch schon mal gehört. Der ist geklaut“, vermutet Jana.

Der Kopf von Lorenz kommt immer näher. Jana und Nick mögen ihn jetzt nicht einfach wegklicken. Plötzlich erscheint eine Hand mit einer Armbrust. Eine zweite Hand spannt das Gerät, das auf den Zuschauer zielt. Aus dem Off kommt eine harte Stimme: „Ihr, ja ihr, ihr habt es echt verdient! Ich mache euch fertig! Ich freue mich schon auf den Tag. Ihr müsst euch eurem Schicksal stellen. Jeder von euch. Oliver und Markus und Geli und Lena. Und auch du, Werner! Oder meinst du vielleicht, du bist als Lehrer was Besseres?

Ein Scheißhaufen bist du! Und du bist als Erster dran!“


„Ich krieg die Pocken! Nick, es ist genug!“, empört sich Jana. „Schalt ab, der ist ja echt krank, der Kotzbrocken!“

„Ich glaube, der ist mit seinem Quatsch noch lange nicht am Ende“, stellt Nick betont gelassen fest, um Jana zu beruhigen. „Eigentlich ist Lorenz eher unauffällig in der Schule und so. Absolut harmlos. So ein grauer Niemand, den keiner beachtet. Und jetzt sind auch noch seine Noten total im Keller.“ „Meine Brüder im Geiste“, meldet sich eine Stimme wieder aus dem Computer. Sie klingt nach Lorenz, ist aber irgendwie verfremdet.

Es erscheinen Gesichter auf dem Bildschirm. Zeitungsfotos, die eine starke Ähnlichkeit mit Fahndungsfotos haben.

„Kennst du die Typen?“, fragt Jana und starrt unentwegt auf den Monitor.

„Nö, die sind nicht in unserer Schule.“

Dann ist der Bildschirm wieder schwarz.

Und eine Stimme sagt: „Der Tag wird kommen, an dem ihr alle dran glauben werdet!“

„Könnte der überhaupt jemanden verletzen?“, murmelt Nick. „Dieser Schwächling. Dazu braucht man doch richtige Eier.“

„Geh noch mal zurück auf die Fotos“, bittet Jana. Nick holt die Fotos zurück auf den Schirm.

„Du, die Typen kenne ich vom Fernsehen her“, stellt Jana fest. „Neulich haben meine Eltern eine Sendung über Gewalt an Schulen gesehen. Das sind Schüler, die schon mal Amok gelaufen sind. Irgendwo. Die leben nicht mehr, und ein paar Mitschüler auch nicht. Verdammte Scheiße!“


Jana und Nick lassen die Bilder stehen.

Die beiden sehen sich betroffen an. Ziemlich lange. Jeder will in dem Gesicht des anderen so etwas wie Hilfe finden.

„Mist, jetzt hängen wir mit drin in der Sache“, flüstert Nick mit flatternder Stimme.

„Wieso denn? Mit dem Dreck haben wir doch nichts am Hut!“

„Doch, wir wissen jetzt davon.“

„Dann schalte das Ding aus, und alles ist vorbei. Schluss, aus!“

Das sagt Jana lauter als eigentlich beabsichtigt. Dann fährt sie kurz entschlossen den Rechner herunter.

„Wir müssen damit zur Polizei“, stellt Nick fest. „Polizei, bist du wahnsinnig? Das ist doch alles Quatsch, was da bei dem Lorenz abgeht. Diese Null will sich wichtigmachen. Manche Typen brauchen das als Superkick.“ „Trotzdem, wir müssen was unternehmen.

Der Spinner nennt sogar Namen. Der Werner, das ist unser Mathepauker. Werner Droste.“ „Aber keine Polizei. Stell dir vor, das war nur ein Spaß und du hast deswegen einen Riesenpolizeieinsatz an deiner Schule ausgelöst. Den müsstest du wahrscheinlich dann sogar bezahlen.“

Nick sieht sie durchdringend an.

Was bedeutet, dass er sich das alles wirklich nicht vorstellen kann.

„Wenn überhaupt, dann sagst du in deiner Schule Bescheid“, schlägt Jana schließlich vor. „Das war’s dann aber. Okay? Ist mir zu unheimlich, diese Sache. Außerdem muss ich mich auf mein Referat konzentrieren.

Oder soll ich mal mit meinem Vater darüber reden?“

„Bloß nicht! Nein, ich rede mal mit Oliver.

Der kennt den Lorenz besser. Beide waren zusammen auf einer Grundschule.“

„Da war der auch schon so irre?“

„Ich glaub schon. Der war immer für sich allein. Ein richtiger Streber, mit dem keiner etwas zu tun haben wollte. Oliver hat mal erzählt, dass sie ihn mit Tennisbällen beworfen haben. Abgeschossen, gesteinigt, das hat damals einer von den Jungs in der 4. Klasse gesagt. In dem Moment ist Lorenz tierisch ausgeflippt. Hat einem Schüler sogar in die Hand gebissen.“

„Fest steht, der Kerl hat einen an der Murmel. Aber ich denke, er wird nicht schon morgen losschlagen. Hat der überhaupt eine Waffe? Die Armbrust ist doch ein Spielzeug, oder?“ „Sah ganz so aus. Deshalb sollten wir nichts übereilen. Wir müssen gründlich überlegen“, empfiehlt Nick, ohne zu wissen, was er damit eigentlich meint.

Beide wollen erst einmal weg. Weg von dem PC, weg von den schrecklichen Bildern und der kalten Stimme. Hals über Kopf verlassen sie die Wohnung.

Scheiße, der will Amok laufen!

Подняться наверх