Читать книгу Nostradamus und die Insel des Teufels - W. A. Castell - Страница 7
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ОглавлениеDer Wagen raste durch die Nacht. Weit griffen die Lichtfinger der Scheinwerfer in die Dunkelheit. Sie zeigten eine Straße, die wenig befahren war. Der junge Mann konnte die Fahrt noch beschleunigen, das Gaspedal war noch längst nicht bis zum Anschlag durchgedrückt.
Gary Danos Hände krampften sich um das Lenkrad. Das Gesicht des Privatdetektivs wirkte wie versteinert vor Konzentration. Er wusste, dass es um Sekunden ging. Sein Vater hatte sich eine Vergiftung zugezogen, und das vom Arzt verordnete Medikament war von der nächsten Stadt zu holen. Eine Fahrt, die ein guter Fahrer in zwanzig Minuten schaffen konnte. Doch diese Zeit verblieb ihm nicht, er musste sehr viel schneller sein. Der Patient benötigte das Medikament innerhalb einer Viertelstunde!
Gary warf einen Blick auf die Uhr im Wagen. Sie zeigte ihm, dass er mehr als in der Zeit war. Er sah bereits die Lichter der Stadt, und seit der Abfahrt von dem Elternhaus waren knapp drei Minuten vergangen.
Dennoch steigerte er das Tempo, die Tachonadel kletterte höher und höher. Es ging um das Leben seines Vaters!
Unangefochten gelangte er zu der Apotheke. Das Mittel, das er abholen sollte, war bereits gerichtet. Der Aufenthalt dauerte keine halbe Minute, dann saß er in seinem Porsche und trat die Rückfahrt an.
Nachdem Gary Dano wieder die freie Straße erreicht hatte, trat er das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Mit einem Aufheulen schoss der Wagen davon. In ihm war ein gutes Gefühl. Das Medikament würde rechtzeitig eintreffen, und sein Vater würde gerettet werden.
Am Straßenrand tauchte ein Stück Wald auf. Die Bäume wuchsen bis dicht an die Fahrbahn heran.
Der Mond trat hinter einer Wolke hervor. Sein matter Schein ergoss sich über die Landschaft. Er verlieh dem schnell näher kommenden Waldstück etwas Gespenstisches, Geheimnisvolles.
»Achtung!«
Gary vernahm die Warnung, die von seinem zweiten Ich gekommen war. Er reagierte sofort.
Zu spät!
Wie in Zeitlupe lief die Szene vor seinen Augen ab.
Aus dem Wald war ein Schatten getreten. Ein Mann! Ohne auf das mit rasender Geschwindigkeit herankommende Fahrzeug zu achten, setzte er seinen Fuß auf die Straße.
Der Privatdetektiv kurbelte wie wild am Lenkrad. Nur in dieser Möglichkeit sah er eine geringe Aussicht auf Erfolg. Eine Bremsaktion hatte er in Bruchteilen von Sekunden als sinnlos verworfen. Die Strecke bis zu dem Mann war zu kurz.
Der Porsche folgte dem Befehl der Steuerung. Reifen quietschten, das Heck des Wagens brach leicht aus.
Das Ausweichmanöver brachte nichts ein. Gary Dano erkannte diese Tatsache mit Schrecken.
Wie magnetisch angezogen, prallte der Körper des nächtlichen Wanderers gegen das Sportfahrzeug. Es gab einen dumpfen Schlag. Der Fremde wurde auf die Motorhaube geschleudert. Mit dem Gesicht voran rutschte er über die Frontscheibe.
Ein gellender Schrei klang auf. Es dauerte Sekunden, ehe Gary Dano bewusst wurde, dass er über seine Lippen gekommen war. Der Anblick der sich ihm bot, war von unendlicher Grausamkeit.
Er schaute in das Antlitz eines Toten. Es war ein alter Mann, dem er das Leben genommen hatte.
Der leblose Körper rutschte in den Straßengraben. Wenige Yards weiter kam der Porsche zum Stehen.
Es überfiel den Privatdetektiv wie ein Fieberschauer. Seine Hände, die um das Lenkrad lagen, zitterten. Schweiß brach ihm aus allen Poren, er bebte am ganzen Körper.
»Du musst weiter!«, riss ihn sein zweites Ich brutal aus der Apathie. »Du hast bereits wertvolle Sekunden verloren. Wenn …«
»Nein.«
Gary Dano schrie es hinaus, und er befreite sich damit teilweise von einer inneren Last, die wie ein riesiger Felsstein auf ihm lag. Er hatte durch seine Fahrweise einen Menschen getötet.
»Das stimmt nicht ganz«, belehrte ihn sein zweites Ich. »Der Fremde trägt den größten Teil der Schuld. Sein Verhalten war der glatte Selbstmord! Außerdem …«
»Außerdem? Weshalb schweigst du?«
»Sieh nach, ob du die Leiche findest. Auf eine halbe Minute kommt es jetzt auch nicht mehr an. Dein Vater wird leben, glaube mir.«
Gary öffnete die Tür und verließ den Wagen. Keinen Augenblick zweifelte er daran, dass sein zweites Ich, Vincent Corell, die Wahrheit sprach. Der Vater war außer Gefahr, Gary war davon überzeugt.
Nur zögernd ging der Privatdetektiv auf die Stelle zu, wo der Tote liegen musste. Gary Dano schaltete die Taschenlampe ein, die er vorsorglich mitgenommen hatte.
Ihr Lichtkegel huschte über den Boden, blieb zitternd an der Stelle hängen, wo die Bremsspuren des Porsche deutlich sichtbar waren.
Weiter tastete sich das Licht, suchte den Unfallort ab. Jedes Fleckchen Boden wurde ausgeleuchtet. Aber von der Leiche war nichts zu entdecken, fehlte jede Spur!
»Das gibt es nicht!«, murmelte der junge Detektiv vor sich hin. Noch einmal begann er von vorn. Eine Minute später kam er zu dem gleichen Ergebnis: Es gab keinen alten Mann und schon gar nicht dessen Leiche.
»Du hast dich selbst davon überzeugt«, meldete sich Vincent Corell. »Fahr jetzt nach Hause und bringe deinem Vater das Medikament.«
Gary Dano hatte den Porsche wieder bestiegen und die Unfallstelle bereits über eine Meile hinter sich gelassen, als er sein zweites Ich zur Rede stellte.
»Ich möchte nun von dir ganz genau wissen, um was es hier geht. Was haben deine Bemerkungen über die verschwundene Leiche des alten Mannes zu bedeuten?«
Vincent Corell schwieg einen Moment. Dann formulierte er vorsichtig Gedanken, die sich im Gehirn seines Gastkörpers eingruben: »Ich bin auch nicht viel schlauer als du, Gary. Nur sagt mir mein Gefühl, dass hier einiges nicht stimmt. Ich werde mich mit meinen Freunden unterhalten und dich dann informieren. Jedenfalls müssen wir auf der Hut sein.«
Damit war das Gespräch für Corell beendet. Er sperrte sich den Gedanken des Privatdetektivs.
Vincent Corell!
Gary hatte den Geist vor Jahren kennengelernt. Sie waren zu einer Einheit in einem Körper geworden, wobei der Privatdetektiv von den phantastischen magischen Fähigkeiten Corells profitierte. Nach einer Kette von Abenteuern, die sie auf der Seite des Guten erfolgreich bestanden hatten, war Vincent Corell von den Kräften der Weißen Magie zu ihrem Führer gewählt worden. Eine Funktion, die nicht nur Verantwortung, sondern auch Gefahr mit sich brachte.
Gary hatte das Elternhaus ohne weitere Zwischenfälle erreicht. Er stellte den Wagen ab, und Augenblicke später betrat er den Raum, in dem sein Vater lag.
Diti Norkay, seine indische Freundin, kam ihm entgegen. Ihr Gesicht drückte Erleichterung aus. Sie deutete auf das Bett, wo der Arzt kopfschüttelnd den Patienten betrachtete.
»Ein Wunder ist geschehen, Gary«, flüsterte das Mädchen: »Deinem Vater geht es wieder gut! Es war von einer Sekunde zur anderen. Ungefähr vor …«
»… zweieinhalb Minuten«, fuhr der Detektiv fort. »Es war genau zu dem Zeitpunkt, da ich außerhalb des Dorfes einen alten Mann angefahren habe.«
»Mein Gott! Du …«
»Keine Sorge«, beruhigte Gary seine Freundin. »Ich werde dir erzählen, was geschehen ist. Anschließend werde ich nicht umhinkönnen, die Polizei zu verständigen. Und auch der verehrte Inspektor Samuel Morley wird sich für die Geschichte interessieren.«
Im Plan des Nostradamus hatte sich das erste Mosaiksteinchen an seinen Platz gefügt.