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Captain auf der Brücke von Alfred Bekker

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Chronik der Sternenkrieger

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© 2012 der Digitalausgabe 2012 by AlfredBekker/CassiopeiaPress

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Etwa dreißig Raumschiffe hatten sich am Rand des Tridor-Systems versammelt und eine Kampfformation eingenommen, wie sie bei den Einheiten der Space Army Corps üblich war. Die Leichten Kreuzer und Zerstörer bildeten die Flanken, während sich die größeren und stärker bewaffneten Schweren Kreuzer im Innenbereich der Formation befanden. Im Zentrum richteten zwei Schlachtschiffe der Dreadnought-Klasse ihre Raumgeschütze aus. Die Flotte erwartete ihren weit überlegenen Feind, einen Verband von über vierzig Kriegsschiffen der vogelartigen Qriid. Ein Durchbruch dieser Raum-Armada wäre für die Menschheit einer Katastrophe gleichgekommen. Wenn die kriegerischen Aliens hier siegten, konnten sie tief in den Kernbereich des Verbundes der Humanen Welten eindringen.

Aber mit Verstärkung konnten die Verteidiger nicht rechnen… Die Qriid-Schiffe näherten sich und gingen sofort zum Angriff über. Schon trafen den ersten Zerstörer mehrere Traser-Strahlen in die Triebwerkssektion. Das Raumschiff wurde für Sekunden zu einem Glutball, der schließlich verlosch und nur einige wenige strahlenverseuchte Trümmerteile zurückließ…

*

Commander Rena Sunfrost schluckte. Die Anspannung war der 32-Jährigen deutlich anzusehen. Das fein geschnittene, von kurzem schwarzem Haar umrahmte Gesicht verriet volle Konzentration. Ihr Blick war auf den großen Panorama-Sichtschirm gerichtet, dessen Drei-D-Effekte ein verblüffend naturgetreues Bild der räumlichen Verhältnisse bot.

Das Licht des roten Riesen schimmerte matt. Ein Schatten malte sich am Rand der glutfarbenen Scheibe ab und wanderte langsam den Sonnenäquator entlang. Es handelte sich um einen Gasriesen mit fünffacher Jupitermasse, der sein Zentralgestirn in einer extrem engen Umlaufbahn umkreiste.

Im Vordergrund tobte das Raumgefecht zwischen der überlegenen Qriid-Flotte und den Einheiten des Space Army Corps des Humanen Weltenbundes.

Die Raumer der Vogelartigen bremsten ab. Das Aufflammen der Gegenschubdüsen war deutlich zu erkennen und erleichterte die optische Ortung. Auf Grund ihrer hohen Geschwindigkeit beim Erreichen des Tridor-Systems wären die Qriid-Schiffe ansonsten mit beinahe fünfzig Prozent der Lichtgeschwindigkeit auf ihre Gegner zugerast. Die Wahrscheinlichkeit von Kollisionen war dabei verschwindend gering. Sie wären vermutlich einfach an den Space Army Corps-Schiffen vorbei oder sogar durch ihren Verband hindurchgerast. Das entsprach allerdings eher der auf der Bewaffnung basierenden Taktik des Space Army Corps, und die Vogelähnlichen wären eine leichte Beute für die Geschütze der Verteidiger geworden.

Aber die Qriid wussten sehr wohl, wie man eine Raumschlacht führte. Sie waren gewiefte Taktiker und nach allem, was man über die Geschichte der Vogelartigen wusste, verfügten sie über eine Kampferfahrung im Raumkrieg wie sonst kaum eine andere Spezies im bekannten Universum. So etwas wie einen dauerhaften Frieden schienen sie nicht zu kennen.

Im Jahr 2236 waren Raumschiffe der Menschheit zum ersten Mal auf die Qriid gestoßen und sofort angegriffen worden.

Ein grausam geführter Krieg hatte in den nächsten drei Jahren getobt und auf beiden Seiten ungezählte Opfer gefordert.

Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet das Tridor-System zum Ort der Entscheidung wird, ging es Commander Rena Sunfrost durch den Kopf, während sie verfolgte, wie die Qriid den Schiffen des Space Army Corps konzentriertes Traser-Feuer entgegenschleuderten. Diese Strahlenwaffe ermöglichte vor allem einen zielgenauen Beschuss aus der Distanz. Die Schiffe des Space Army Corps hingegen verfügten mit ihren Gauss-Kanonen über eine ungleich größere Feuerkraft, hatten aber deutliche Nachteile bei der Treffsicherheit. Die Taktik der Qriid lag daher auf der Hand. Sie hielten einen größtmöglichen Abstand zum Gegner und zueinander, der es ihnen ermöglichte, dem Dauerfeuer der Space Army Corps Raumer zu entgehen.

Der Kampf war in vollem Gang.

Die kugelförmigen Schiffe der Qriid setzten ihre Traser mit erschreckender Zielsicherheit ein. Ein weiterer Zerstörer und ein leichter Kreuzer gingen verloren, während eines der beiden Dreadnoughts immerhin den Plasma-Schirm einbüßte, als er unter konzentriertes Traser-Dauerfeuer geriet.

Die Lage ist hoffnungslos, dachte Rena. Wie man es auch dreht und wendet, wir haben letztlich keine Chance.

Daran änderten auch vereinzelte Erfolge der Space Army Corps-Schiffe nichts, denen es gelang, einen Qriid-Raumer mit Dauerfeuer zu belegen.

Tausende von auf halbe Lichtgeschwindigkeit beschleunigte Geschosse durchschlugen dann jede nur denkbare Panzerung.

Sauerstoff trat in gefrierenden Fontänen aus, der Druckabfall war je nach Trefferzahl rapide und wenn Triebwerke oder Energiesysteme getroffen wurden, kam es zur Explosion.

Die Schiffe des Space Army Corps wehrten sich tapfer. In breiter Kampfformation kamen sie den Qriid-Schiffen entgegen, die auf einen Ausweichkurs einschwenkten. Ihre Kommandanten wussten genau, dass es ihr Tod war, wenn sie dem Dauerfeuer ihrer Gegner zu nahe kamen…

Ein Summton ertönte.

Rena betätigte wie beiläufig einen Schalter und aktivierte damit eine Interkom-Verbindung.

Auf einem Nebenbildschirm erschien das Gesicht von Admiral Norman Fabri, seines Zeichens Chef der Personalverwaltung des Space Army Corps. »Ich würde Sie gern umgehend sprechen, Commander.«

Rena nahm unwillkürlich Haltung an. »Ja, Sir. Kommen Sie herein.«

»Sie werden Ihre Simulation unterbrechen müssen, Commander Sunfrost.«

»Das macht nichts, Sir.«

»Wie Sie meinen.«

Im nächsten Moment glitt die Schiebetür ihres Quartiers zur Seite, und Admiral Fabri betrat den Raum. Er war ein großer, breitschultriger Mann mit grauen, kurz geschorenen Haaren, durch die die Kopfhaut hindurchschimmerte.

Rena salutierte.

»Stehen Sie bequem, Commander«, sagte der Admiral und ließ den Blick schweifen.

Das Schlachtgeschehen auf dem großen Panoramaschirm war wie gefroren. Ein Qriid-Schiff detonierte gerade.

Der Admiral deutete auf die dunkle Scheibe des Gasriesen, der sich deutlich sichtbar als dunkler, kreisrunder Fleck vor dem roten Hintergrund seines Zentralgestirns abhob.

»Die Schlacht um das Tridor-System am 11. September des Jahres 2239«, erkannte Fabri sofort. »Fast genau elf Jahre ist es jetzt her, dass unsere Flotte dort den entscheidenden Sieg gegen eine zahlenmäßig weit überlegene Armada von Qriid-Schiffen errang und den Geierköpfen so starke Verluste zufügte, dass sie sich zurückzogen und sogar zu einem Waffenstillstand bereit waren.«

»Einem unerklärten Waffenstillstand, Sir«, ergänzte Rena Sunfrost.

Das war ein Punkt, der ihr wesentlicher schien. Die Qriid hatten niemals erklärt, dass sie Frieden oder auch nur Koexistenz mit der Menschheit oder irgendeiner anderen raumfahrenden Spezies für möglich oder wünschenswert hielten.

Tatsache war nur, dass sie sich nach der Schlacht im Tridor-System zurückgezogen und ihre Expansion bislang nicht weiter fortgesetzt hatten.

Die Ursachen dafür waren letztlich nicht bekannt, auch wenn es zu diesem Punkt zahllose Spekulationen gab.

Der Admiral hing einige Augenblicke lang an der Schlachtsimulation, die auf dem großen Panoramaschirm dargestellt wurde, überflog anschließend kurz die Anzeigen auf den verschiedenen Displays und Kontrollbildschirmen, ehe er sich schließlich wieder Rena zuwandte.

»Was interessiert Sie so sehr an der Tridor-Schlacht?«, fragte er.

»Sie war ein Wendepunkt im Krieg gegen die Qriid«, erklärte Rena. »Einem Konflikt, bei dem wir damit rechnen müssen, dass er jederzeit wieder aufflammen kann.«

Fabri nickte. »Dieser Analyse stimme ich zu, auch wenn im Rat derzeit Debatten darüber geführt werden, ob man die Mittel des Space Army Corps nicht besser kürzen und in andere Bereiche stecken sollte – nun, da die Qriid schon seit über einem Jahrzehnt nicht mehr angegriffen haben.«

»Ich bin nicht dieser Ansicht, Sir«, bekannte Rena.

Fabri lächelte. »Das ist wahrscheinlich kaum jemand, der im Corps dient.« Er deutete erneut auf das erstarrte Bild in der Simulation. »Sie haben den Simulator der Flottenakademie recht häufig aufgesucht und dabei immer wieder die Schlacht um das Tridor-System mit geringen Variationen ablaufen lassen. Ich wiederhole meine Frage: Was ist der Grund für diese Hartnäckigkeit, Sunfrost?«

»Die Tatsache, dass wir die Schlacht damals nicht hätten gewinnen dürfen, Sir.«

Fabri runzelte die Stirn. »Wie soll ich das verstehen? Wir haben die Schlacht doch schließlich gewonnen und die verdammten Geierköpfe zurück in ihr Territorium gejagt.«

»Sir, ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich unsere Flotte war, die den Gegner zum Rückzug veranlasste. Die Qriid hätten leicht Verstärkung herbeiholen können. Mindestens fünfzig Raumschiffe wurden laut Logbuch der KAVANAUGH beim Übergang in den Unterlichtflug geortet. Sie hätten ihren Einheiten zu Hilfe eilen können, aber sie haben sich stattdessen ebenso zurückgezogen wie alle anderen Qriid-Schiffe.«

»Eine interessante Überlegung mit militärhistorischen Implikationen erster Güte«, gestand der Admiral zu. »Ich weiß, dass Sie an der Akademie im Fach Taktik und Militärhistorie Bestnoten hatten, aber vielleicht ist Ihnen doch etwas entgangen, Commander Sunfrost.«

Rena hob die Augenbrauen. »Ich weiß nicht wovon Sie sprechen, Sir.«

»Ich spiele auf die gewaltigen Verluste an, die in einer bestimmten Phase der Schlacht unter den Qriid-Schiffen auftraten.«

»Das war nur eine vorübergehende Phase, Sir. Ich habe alle relevanten Parameter der Schlacht in das Simulationsprogramm eingegeben und es immer wieder ablaufen lassen. Und zwar im Gegensatz zu den Ereignissen, die wir aus den Geschichtsbüchern kennen, bis zum Ende. Das Ergebnis war immer das dasselbe. Die Schiffe des Space Army Corps konnten den Qriid-Einheiten auf die Dauer nicht standhalten. Selbst wenn man das ohnehin schon brillante taktische Verhalten unserer damaligen Flotte noch nachträglich optimiert oder…«

»…oder das Programm unter der Voraussetzung ablaufen lässt, dass wir damals schon unsere heutigen Plasma-Schirme gehabt hätten, mit denen die Wirkung der Traser zumindest…

abgemildert wird«, ergänzte Admiral Fabri, während sein Blick an einem der Displays haften blieb. »Eine interessante Variation, die Sie da eingegeben haben, das muss ich zugeben.« Er drehte sich herum und sah Rena offen in die Augen. »Leider bin ich aus dienstlichen Gründen hier und nicht, um mit Ihnen über Schlachten der Vergangenheit zu sprechen. So sehr ich dieses Gespräch auch genieße. Waren Sie damals überhaupt schon im aktiven Dienst, Commander?«

»Ja, ich war gerade Fähnrich auf der Dreadnought NEW CALIFORNIA geworden und diente im taktischen Stab von Admiral Müller, dessen Flottenverband die Einheiten im Tridor-System unterstützen sollte. Allerdings kamen wir dort erst an, als schon alles vorbei war.«

»Und das nagt bis heute an Ihnen, nicht wahr?«

»Sie wollten etwas mit mir besprechen, Sir«, wich Rena einer Stellungnahme aus.

Der Admiral nickte. »Ihre Beförderung zum Commander ist ja inzwischen durch. Commodore Jackson dürfte Ihnen Ihre Urkunde bereits überreicht haben.«

»Ja, Sir.«

»Jetzt geht es um die Einführung in Ihr neues Kommando.«

»Die STERNENKRIEGER liegt doch noch im Orbitalen Dock«, gab Rena zu bedenken.

»Das ist richtig. Aber traditionellerweise wird die Übergabe eines Kommandos immer an Bord durchgeführt und nicht in irgendeinem Amtszimmer. Davon abzuweichen hieße, den geballten Aberglauben der Flotte gegen sich zu haben, denn das soll angeblich Unglück bringen. Morgen früh um neun wird Sie ein Gleiter von Ihrem Appartement abholen und zum Raumhafen von New L. A. bringen. Ich werde auch dort sein. Ein Shuttle bringt uns zum Dock 13, wo die STERNENKRIEGER derzeit liegt. Ein Teil der Mannschaft – darunter auf jeden Fall alle Offiziere – wird zu diesem Zeitpunkt bereits dort sein und Sie erwarten.«

»Ich verstehe.«

»Wenn Sie wollen, packen Sie gleich Ihre persönlichen Sachen ein und beziehen Ihre Kabine«, schlug der Admiral vor. »Sie haben zwar derzeit keine eigentliche Aufgabe an Bord, aber die Crewmitglieder, die derzeit schon Dienst tun, um die Systeme einzurichten, lernen Sie dann umso früher kennen. Ich denke, das kann nicht schaden.«

»Das sehe ich genauso, Sir.«

»Ich soll Ihnen offiziell noch nichts davon sagen, aber ich tue es trotzdem. Wir werden morgen einen außerordentlich prominenten Gast an Bord der STERNENKRIEGER haben.«

Sunfrost hob etwas irritiert die Augenbrauen. »Ein Gast? Wer sollte das sein?«

»Admiral Gregor Raimondo.«

Rena konnte ihre Verblüffung kaum verbergen. Raimondo war zwar noch immer Mitglied des Space Army Corps, hatte inzwischen aber eine politische Karriere als Mitglied des Humanen Rates gemacht, wo er Anführer jener in letzter Zeit arg in die Defensive geratenen Gruppierung war, die sich vehement gegen eine Kürzung des Flottenetats wehrte und nicht müde wurde, vor der im Hintergrund lauernden Qriid-Gefahr zu warnen.

»Das ist wirklich eine Überraschung«, gab Rena unumwunden zu.

»Ich habe keine Ahnung, weshalb Admiral Raimondo darauf bestanden hat, an der Zeremonie teilzunehmen. An Ihrer Stelle würde ich es einfach als Ehre betrachten.«

*

Orbital-Shuttle 213-A verließ die Stratosphäre und erreichte den erdnahen Weltraum.

Neben dem zweiköpfigen Pilotenteam, das sich in der Steuerkabine befand, waren insgesamt nur drei Passagiere an Bord. Außer Admiral Norman Fabri und Commander Rena Sunfrost saß noch Commodore Tim Bray Jackson im Aufenthaltsraum des Shuttle.

Jackson war, was die Laufbahnverwaltung betraf, Renas direkter Vorgesetzter. Sein Kopf war vollkommen kahl, obwohl er noch keine vierzig war. Sie wusste, dass dies keine modische Extravaganz war, sondern Folge einer Strahlenverseuchung, die er bei der Havarie der NEW

CALIFORNIA während der Schlacht im Tridor-System erlitten hatte – damals noch im Rang eines Lieutenants.

Nach verheerenden Traser-Treffern durch die angreifenden Qriid-Schiffe waren Teile der Triebwerkssektion explodiert und es war zu einer Verstrahlung ganzer Decks gekommen.

Jackson hatte zu jenen gehört, die durch ihren Einsatz im verseuchten Bereich die Explosion des gesamten Schiffs hatten verhindern können. Manövrierunfähig war die NEW CALIFORNIA bis zum Ende der Schlacht auf den Gasriesen Tridor I zugetrieben, bis es endlich anderen Einheiten der Flotte gelungen war, die Überlebenden an Bord zu nehmen.

Rena kannte auf Grund ihrer intensiven Beschäftigung mit dem Hergang der Tridor-Schlacht jedes in den Akten verzeichnete Detail dieser Geschichte.

Schon deshalb genoss Commodore Tim Bray Jackson in ihren Augen höchsten Respekt. Ein Respekt, der so hoch war, dass sie sich in seiner Gegenwart immer etwas befangen fühlte. Er hatte in einer sehr kritischen Situation Verantwortung übernommen – und zwar ohne Rücksicht auf sein eigenes Leben oder seine Gesundheit.

Beim Dienst im Space Army Corps waren viele vergleichbare Situationen denkbar, und seit sie von Jacksons Rolle in der Schlacht um das Tridor-System wusste, fragte sie sich, ob sie selbst dazu im entscheidenden Moment in der Lage wäre.

Commodore Jackson hatte in einem der Schalensitze im Passagierbereich Platz genommen, die Beine übereinander geschlagen und las per Handreader ein eBook, während Admiral Fabri einen Syntho-Drink genoss.

»Admiral Raimondo kommt mit seinem eigenen Orbitalshuttle zur STERNENKRIEGER«, erklärte Fabri. »Rang hat eben seine Privilegien.«

Jackson blickte auf. »Raimondo hat eine erstaunliche politische Karriere hinter sich«, meinte der Commodore.

»Ich beneide ihn dennoch keineswegs«, sagte Fabri. »Er hat einen schweren Stand im Rat. Je länger der Frieden mit den Qriid andauert, desto schwieriger wird es vor allem für die Vertreter der Kolonien, ihren Wählern gegenüber plausibel zu machen, weshalb die Menschheit das Space Army Corps nach wie vor in der gegenwärtigen Flottenstärke benötigt.«

»Natürlich! Das Space Army Corps verschlingt Unsummen, die beim dringend notwendigen Aufbau weiterer Kolonien im All fehlen.« Jackson nickte. »Aber ich fürchte, dass wir eine bewaffnete Raumflotte noch dringend brauchen werden, wenn die Qriid ihre Expansionsbestrebungen wieder aufnehmen.«

»Sie rechnen damit?«

»Offen gestanden wundert es mich, dass die Waffenruhe schon so lange hält«, bestätigte der Commodore.

»In dem Punkt teile ich Ihren Pessimismus.«

»Und wenn ich daran denke, dass wir den Qriid in Zukunft vielleicht mit einer stark reduzierten Flotte entgegentreten müssen…« Jackson schüttelte energisch den Kopf. Es war ihm deutlich anzusehen, wie sehr ihm allein diese Vorstellung missfiel. »Was ist Ihre Meinung dazu, Commander?«, fragte er nach einer kurzen Pause an Rena gerichtet.

Fabri nippte zwischenzeitlich an seinem Syntho-Drink und wandte sich Sunfrost zu, die an einem der Sichtfenster stand und hinaus ins All blickte. Der Anblick der blauen Erdscheibe war jedes Mal aufs Neue etwas Besonderes. Es machte einem deutlich wie klein und unbedeutend die Menschheit in Anbetracht des Universums war. Eine Lebensform, die ihre Existenz bis vor kurzem auf einem kosmischen Staubkorn gefristet hatte und es inzwischen geschafft hatte, sich auch auf ein paar weiteren Staubkörnern festzuklammern.

Rena wandte den Kopf. »Wie bitte?«

Jacksons Frage hatte sie aus ihren Gedanken gerissen, mit denen sie im Augenblick Lichtjahre weit vom Gesprächsthema der beiden Männer entfernt gewesen war.

»Sie sollten Commander Sunfrost nicht mit unserem Gerede belästigen, Commodore«, fand Admiral Fabri. »Ich vermute, dass ihr jetzt völlig andere Gedanken durch den Kopf gehen.

Schließlich ist es ihr erstes Kommando…«

Jackson runzelte die Stirn. Er kannte Renas Laufbahn natürlich sehr viel genauer als der Admiral und daher fiel ihm sofort auf, dass dessen Aussage nicht ganz zutraf. »Sir, mit Verlaub, aber Sie kommandierte bereits ein Schiff der…«

»Ich meinte natürlich ihr erstes Überlichtkommando. Ein Raumschiff mit Sandström-Aggregat«, unterbrach der Admiral seinen Gesprächspartner. Er zuckte die Achseln. »Alles andere ist doch gar keine richtige Raumfahrt… Oder sind Sie anderer Meinung, Commander Sunfrost?«

Ein mildes, leicht verlegenes Lächeln glitt über Renas etwas angespannt wirkenden Gesichtszüge. »Nein, Sir.«

»Hängen Sie ruhig Ihren Gedanken nach«, fügte der Admiral noch hinzu. »Heute haben Sie meine offizielle Erlaubnis zur Sentimentalität. Sobald die STERNENKRIEGER erst Spacedock 13 verlassen hat, werden Sie dazu ohnehin keine Gelegenheit mehr haben…«

Jackson und Fabri nahmen nach einer kurzen Pause ihre Diskussion über die aktuelle Debatte im Hohen Rat der Humanen Welten wieder auf und ereiferten sich abwechselnd über die Kurzsichtigkeit vieler Ratsvertreter.

Insbesondere galt dies ihrer Ansicht nach für Julian Lang. Der Vorsitzende des Rates betrachtete Politik eher unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten.

Über Sicherheitsfragen machte er sich weniger Sorgen, als es den beiden Flottenoffizieren lieb gewesen wäre.

Rena hörte ihrem Gespräch nur ganz am Rande zu und trat zu dem an Bord befindlichen Getränkeautomaten. Über einen Touchscreen gelangte sie in dessen Menue und versuchte darin, den Befehl zum Einschenken eines Bechers mit Kaffee zu finden. Dieses Getränk war in den vergangen Jahrhunderten aus der Mode gekommen, aber Rena gehörte zu der Minderheit, die ihm nach wie vor die Treue hielten, auch wenn die belebende Wirkung mancher Syntho-Drinks nachgewiesenermaßen viel höher war. Rena hatte den Kaffee kennen gelernt, als sie zu einem Kurzaufenthalt in der irdischen Subregion Österreich geweilt hatte. Dort waren bis heute mehr als ein Dutzend, verschiedene Zubereitungsarten üblich. Von dem Getränkeautomaten eines Orbital-Shuttle konnte sie natürlich nicht erwarten, dass er Spezialitäten wie einen »großen Braunen« in seinem Programm hatte, sondern musste froh sein, wenn sie ihren Kaffeedurst überhaupt stillen konnte.

Das, was sie erhielt, war immerhin nicht zu dünn. Vielleicht hatte man den Kaffee mit künstlichen Geschmacksverstärkern aufgepeppt, aber das kümmerte Rena im Augenblick nicht weiter. Sie nahm ihren Becher, nippte kurz daran und ging zurück zum Sichtfenster. Der Anblick des Alls beruhigte.

Nichts hätte sie in diesem Moment in einem der Schalensitze gehalten, die für die Shuttle-Passagiere zur Verfügung standen.

Die Sichtscheibe spiegelte leicht. Sie sah die Umrisse ihres eigenen, fein geschnittenen Gesichts. Die in Blau und Anthrazit gehaltene Space Army Corps-Uniform lang eng an ihrer sportlich wirkenden Figur an und saß perfekt.

Bis auf eine Kleinigkeit.

Etwa eine Handbreit unterhalb des Kehlkopfes befand sich eine kleine Verdickung.

Rena berührte sie unwillkürlich mit der Linken, als sie die Ausbeulung in ihrem Spiegelbild bemerkte. Ein versonnenes, leicht melancholisches Lächeln glitt über ihr Gesicht.

Unter dem Stoff der Uniform hob sich etwas Hartes, unregelmäßig Geformtes ab. Ein verbogenes Projektil, das sie an einer Kette um den Hals trug und ihr als Glücksbringer und Talisman diente.

Bedenke, dass du sterblich bist!

Das war Renas Wahlspruch geworden, und dieses eigenartig verformte Stück Metall auf ihrer Brust erinnerte sie ständig daran. Erinnerte sie an ihre eigene Verletzlichkeit und die Begrenztheit menschlichen Lebens und menschlicher Erkenntnisfähigkeit – seit man es ihr knapp über dem Herzen aus der Schulter geschnitten hatte.

Sie hatte als Erster Offizier der SURVIVOR die echsenartigen Einheimischen der abgelegenen Dschungelwelt Dambanor II nicht ernst genug genommen und einen Schuss mit einer altertümlichen Steinschlosspistole abbekommen.

Acht Monate Rehabilitation, eine Narbe und die Erkenntnis, dass sie alles andere als unsterblich war, waren die Folge gewesen. Das Projektil trug sie seitdem immer bei sich.

Plötzlich wurde ihre Aufmerksamkeit durch ein Objekt abgelenkt, das draußen im All hinter der Erdscheibe auftauchte.

Es musste sich um Spacedock 13 handeln. Eine Vielzahl kleinerer und größerer Transportfähren schwirrte um diese gewaltige Werftstation herum. Außerdem hatten zwei Zerstörer angedockt. Darüber hinaus gingen die Pendelflüge zu Mond, Mars und Venus von hier aus ab.

Ein Rumoren ließ den Boden im Passagierraum leicht erzittern. Der Pilot des Orbital-Shuttles hatte offenbar den Gegenschub bereits eingeleitet, damit das für den Einsatz im inneren Bereich des Sol-Systems konzipierte Raumfahrzeug nicht mit ungeheurer Geschwindigkeit auf die Außenhülle der Werft prallte, sondern sanft andockte.

Die Geschwindigkeit wurde rapide verlangsamt, doch davon merkte man an Bord nichts, wenn man nicht aus dem Fenster schaute.

Immer weitere Einzelheiten von Spacedock 13 wurden erkennbar. Der Pilot leitete ein letztes Manöver zur Kurskorrektur ein und lenkte den Shuttle auf die bis dahin abgewandte Seite der Station.

Dort befand sich der Liegeplatz der STERNENKRIEGER.

Das lang gezogene, 110 Meter lange Oval schimmerte im Licht der Sonne. Von der äußeren Form her ähnelte es antiken U-Booten aus Prä-Weltraum-Ära der Erde. An der dicksten Stelle betrug der Durchmesser des Rumpfes gute 35 Meter.

Das ist es also – dein zukünftiges Reich, ging es Rena durch den Kopf. Nicht gerade die imposanteste Einheit der Flotte, aber es ist und bleibt ein eigenständiges Überlichtkommando.

Und das ist es doch, worauf es ankommt…

Sunfrost wusste, dass die STERNENKRIEGER im Spacedock 13 einer umfassenden technischen Überholung und Modernisierung unterzogen wurde. Am Ende ihrer Liegezeit würde sie zweifellos auf dem modernsten Stand der menschlichen Technik des Jahres 2250 sein. 107 Mann Besatzung zählte die Crew. Dazu kamen noch zwanzig Marines für eventuelle Kampfeinsätze am Boden oder besondere Sicherungsaufgaben.

Jetzt, zur Einführung des neuen Captain, würden lediglich die Offiziere an Bord sein. Jene Männer und Frauen also, auf deren Zusammenarbeit Rena besonders angewiesen war. Sie hatte sich die Personalakte eines jeden Einzelnen von ihnen genau angesehen und sich akribisch vorbereitet.

Mit dem Zeigefinger der linken Hand strich sie noch einmal über die kleine Ausbuchtung, die das verbogene Projektil der Steinschlosspistole verursachte. Ja, ich bin sterblich… Aber Angst machen lasse ich mir auch nicht! Von niemandem!

Eine Stimme riss sie aus ihren Gedanken heraus.

»Hier spricht Captain Devittko, der Pilot von Orbital-Shuttle 213-A. In wenigen Minuten werden wir Spacedock 13 erreichen. Bitte halten Sie Ihre ID-Cards bereit, wenn Sie das Schiff verlassen. Passagiere, die ihre Reise mit den Zielen Erdmond, Venus oder Mars fortsetzen wollen, folgen bitte den Hinweisschildern.«

*

Die Einführungszeremonie des neuen Captains der STERNENKRIEGER ging kühl, sachlich und vor allem recht schnell über die Bühne.

Admiral Raimondo traf in allerletzter Minute mit seinem Sondershuttle ein. Er war dunkelhaarig und mit seinen 44 Jahren recht jung für die hohe Position, die er bekleidete. Rena Sunfrost begegnete ihm zum ersten Mal und fand, dass er im persönlichen Umgang genauso beeindruckend wirkte, wie er ihr oft in den Medien als Wortführer im Hohen Rat der Humanen Welten erschienen war.

Es war an Commodore Jackson, die offizielle Dienstorder vorzulesen, nach der Commander Rena Sunfrost zum neuen Captain des leichten Kreuzers STERNENKRIEGER bestimmt wurde. Ein militärischer Gruß, ein Händedruck und die Sache war perfekt.

Anschließend war es die Aufgabe des Ersten Offiziers, Rena zu begrüßen.

Er nahm Haltung an.

»Lieutenant Commander Wong«, stellte er sich vor. »Als Erster Offizier heiße ich den neuen Captain an Bord der STERNENKRIEGER willkommen. Glückliche Fahrt, Ma'am.«

»Danke, I.O. Ich erwarte eine gute Zusammenarbeit.«

Aus den Akten wusste Rena, dass Raphael Wong, dem man die chinesischen Vorfahren deutlich ansehen konnte, einen kometenhaften Aufstieg im Space Army Corps hinter sich hatte. Auf keiner Sprosse dieser Leiter hatte der 29jährige länger als zwei Jahre verbracht und seine Beurteilungen strotzten nur so vor Superlativen. Zweifellos hatte Wong ebenfalls darauf spekuliert, nach dem plötzlichen Tod des vorhergehenden Captain – Commander Reilly – dessen Position zu bekommen. Wong wäre zwar der jüngste Kommandant eines Überlichtraumers der Flotte geworden, aber der Jüngste und trotzdem der Beste zu sein, war in seiner Karriere nichts Neues.

Diesmal aber hat man ihm jemanden mit mehr Erfahrung vorgezogen, überlegte Rena, während der Erste Offizier ihr pflichtgemäß die Hand schüttelte.

Sein Gesicht war vollkommen unbewegt.

Er lässt sich nichts anmerken, erkannte Rena, war aber sensibel genug, um die Anspannung bei ihrem Gegenüber zu spüren. Drei Jahre ist er jünger als ich.

Jemandem drei Jahre an Lebenserfahrung voraus zu haben, bedeutete nicht unbedingt sehr viel. Aber drei Jahre länger im Space Army Corps gedient zu haben, konnte genau den Unterschied an Erfahrung ausmachen, der in diesem Fall wohl den Ausschlag gegeben hatte.

»Mit Ihrer Erlaubnis stelle ich Ihnen die Offiziere der STERNENKRIEGER vor«, kündigte Wong an.

Die innere Reserve, die der Erste Offizier gegenüber seiner neuen Kommandantin empfand, war nicht zu übersehen, auch wenn er sich mit Sicherheit keinen emotionalen Ausrutscher erlauben würde.

Die anderen Offiziere hatten ebenfalls Haltung angenommen.

Wong ging gemeinsam mit dem neuen Captain ihre Reihe ab und stellte sie einen nach dem anderen vor.

Lieutenant John Taranos war der leitende Ruder-Offizier.

Ebenso wie Rena war er erst vor kurzem befördert worden. Er galt aber als einer der begabtesten Piloten der Flotte, dem überall eine glänzende Karriere prophezeit wurde. Mit seinen 24 Jahren war er ausgesprochen jung für seinen Rang.

Waffenoffizier war Lieutenant Robert Ukasi, ein hoch gewachsener Mann mit fast schwarzer Haut.

Anschließend war die leitende Ingenieurin Catherine White an der Reihe. Die mollige 43-Jährige wirkte Sunfrost gegenüber ähnlich reserviert wie Wong. Die Ursache dafür war der Kommandantin jedoch nicht ganz klar. Die Nichtbefriedigung des eigenen Ehrgeizes konnte es in diesem Fall wohl nicht sein.

Dr. Simone Nikolaidev war die Schiffsärztin, eine rotblonde, recht zierliche Person, von der Rena gleich den Eindruck hatte, dass sie ihr offen und ehrlich gegenübertrat.

»Lieutenant David Kronstein«, stellte Wong schließlich den Ortungsoffizier der STERNENKRIEGER vor.

Blaue Augen sahen sie an.

Die Mundwinkel wirkten entspannt. Das blonde Haar war für den militärisch adretten Stil des Space Army Corps eigentlich eine Spur zu lang und setzte auf dem Kragen der Uniform auf.

»Auf gute Zusammenarbeit, Lieutenant Kronstein«, sagte Rena eine deutliche Sekunde zu spät.

»Gleichfalls, Ma'am«, war seine knappe Erwiderung.

Der sonore Klang seiner Stimme löste etwas in ihr aus, das sie zutiefst beunruhigte. Ein angenehmes Kribbeln machte sich in ihrer Bauchgegend bemerkbar. Ein Kribbeln, das sie lange vermisst hatte. Seitdem sich Rena vor Jahren von ihrem Mann, dem auf Wega IV lebenden Genetiker Toni Morton, in gegenseitigem Einvernehmen getrennt hatte, sah es in ihrem Liebesleben ziemlich trist aus. Das musste sie sich ehrlich eingestehen.

Es funktioniert als noch, meldete sich ein ironischer Kommentator in ihrem Hinterkopf, der sich manchmal nur sehr schwer zum Schweigen bringen ließ. Du siehst einen Mann, von dem du vom ersten Moment an hin und weg bist! Wann ist dir das zuletzt passiert, Rena? Als Teenager?

Rena schluckte unwillkürlich.

Ihr Blick verschmolz für einen kurzen Moment mit dem leuchtenden Blau von Kronsteins Augen.

Zwei volle Sekunden gestattete es sich Rena Sunfrost, sich diesem plötzlich aufkeimenden Gefühl hinzugeben…

Dann hatte sie sich wieder absolut unter Kontrolle. Sie wusste genau, dass sie allein den Gedanken daran, mit jemandem wie Kronstein etwas anzufangen, aus ihrem Hirn verbannen musste. Es war gegen die Vorschriften, »intime Beziehungen mit Mitgliedern derselben Befehlskette zu pflegen«. Auf die Einhaltung dieses Befehls wurde im Space Army Corps großen Wert gelegt.

Nachdem Wong seinem Captain noch Sergeant Oliver Rolfson, den Chef des zur Besatzung gehörenden Zuges von Marines vorgestellt hatte, folgte zum Schluss noch ein Mann, bei dem schon an der Kleidung anzusehen war, dass er außerhalb der militärischen Flottenhierarchie stand. Er trug eine graue Kutte. Braunes Haar umrahmte ein Gesicht mit aufmerksamen, sehr wach wirkenden braunen Augen.

»Bruder Guillermo vom Orden der Olvanorer«, stellte Lieutenant Wong den Kuttenträger vor. »Er ist als Berater an Bord und bekleidet keinen Rang in der Flotte.«

Bei den Olvanorern handelte es sich um einen religiösen Orden, dessen Mitglieder sich erstaunlich gut in die Mentalität und Kultur fremder Sternenvölker hineinzuversetzen versuchten. Sie waren häufig als reisende Forscher unterwegs und gründeten hier und da auch kleinere Kolonien auf zumeist abgelegenen Planeten. Der Rat eines Olvanorers war bei jedem gefragt, der überlichtschnelle Raumfahrt betrieb und damit in die Situation kommen konnte, auf Angehörige fremder intelligenter Spezies zu treffen.

»Es freut mich, Sie kennen zu lernen«, sagte Bruder Guillermo.

Er blickte nur kurz auf und starrte dann wieder auf seine Füße. Seine Unsicherheit war ihm deutlich anzumerken.

Hoffentlich traut er sich wenigstens, mich zu beraten, dachte Rena. »Sind Sie zufällig ein Experte für die Qriid-Kultur, Bruder Guillermo?«

Der Olvanorer schaute scheu hoch. »Ich habe mich so intensiv mit ihrer Kultur beschäftigt, wie dies zurzeit überhaupt nur möglich ist«, erklärte er zögernd. »Außerdem habe ich ein Jahr lang in der Olvanorer-Kolonie auf Bannister V gelebt, wo wir mit den Qriid ja quasi auf Tuchfühlung waren. Einen wirklichen Experten werden Sie allerdings wohl in der gesamten Menschheit derzeit nicht finden. Was wir wissen, sind nur Bruchstücke, die sich nur sehr mühsam zu einem stimmigen Bild zusammensetzen lassen.« Er schaute sie verlegen an.

Rena lächelte und hoffte, ihm so seine Scheu zu nehmen.

»Ich sehe schon, wir müssen uns bei Gelegenheit mal intensiver unterhalten, Bruder Guillermo.« In gedämpftem Tonfall fügte sie nach einer Pause hinzu: »Mein Interesse an den Qriid ist mindestens so groß wie das Ihre, Bruder Guillermo.«

»Nur ein toter Geierkopf ist guter Geierkopf – läuft es darauf hinaus?«, fragte der Olvanorer.

Bei jedem anderen hätte dies wie eine boshafte Spitze geklungen.

Bruder Guillermo brachte das Kunststück fertig, diese Bemerkung schüchtern und verhalten klingen zu lassen, sodass Rena sich nicht im Mindesten angegriffen fühlte.

Dieser junge Mann hat es faustdick hinter den Ohren!, ging es ihr durch den Kopf. Oder er ist wirklich so naiv. Wenn er seinem Orden nicht beigetreten wäre, hätte er vielleicht im diplomatischen Dienst Karriere machen können. Und das Beste ist – es scheint ihm nicht einmal bewusst zu sein, was er tut!

»Ich persönlich habe nichts gegen die Qriid«, beteuerte sie – und es war die Wahrheit. »Aber ich fürchte, dass die brüchige Waffenruhe zwischen unseren Völkern nicht ewig halten wird.«

»Mag sein, Captain.«

»Haben Sie sich je mit der Schlacht um das Tridor-System beschäftigt, Bruder Guillermo?«

»Ich bin kein Militärhistoriker, Ma'am«, wehrte er ab.

Er starrte wieder zu Boden…

*

Im Anschluss an die Zeremonie gab es einen kleinen Sektempfang. Wong wich dabei kaum von Renas Seite. Er schien es als eine Verpflichtung anzusehen, ihr für Fragen zur Verfügung zu stehen oder sie mit den anderen Anwesenden ins Gespräch zu bringen.

Die innere Distanziertheit war für Rena allerdings nach wie vor deutlich spürbar.

Für ihn bin ich ein störender Fremdkörper an Bord, ging es ihr durch den Kopf. Jedes Mal, wenn er von mir einen Befehl entgegenzunehmen hat, wird es ihn daran erinnern, dass er an meiner Stelle sein könnte.

Die Voraussetzungen für eine Zusammenarbeit waren vielleicht nicht gerade die besten, aber Rena war fest entschlossen, dass es an ihr nicht scheitern sollte.

Möglicherweise war es sogar am besten, das unsichtbar zwischen ihnen schwebende Problem in nächster Zeit einmal offensiv anzusprechen.

»Werden Sie gleich an Bord bleiben, Captain?«, fragte Wong schließlich. »Ein Teil der Mannschaft tut hier bereits während der Reparaturphase Dienst und richtet beispielsweise die neuen Rechnersysteme ein, kalibriert die Sandström-Aggregate und dergleichen mehr…«

»Ja, ich werde bleiben«, sagte Rena. »Lassen Sie bitte mein Gepäck aus dem Shuttle in mein Quartier bringen. Wie groß ist der Anteil der Besatzung, der sich zurzeit schon an Bord befindet?«

»38 Crewmitglieder.«

»Das ist viel, eigentlich ist es doch nur üblich, dass der Captain und ein paar Offiziere aus dem technischen Bereich in dieser Phase bereits ihren Dienst an Bord verrichten.«

Raphael Wong hob die Augenbrauen. »Die STERNENKRIEGER genießt Priorität im Dock. Es scheint so, als hätte jemand Interesse daran, dass wir möglichst schnell startklar sind, Ma'am.«

»Kennen Sie den Grund?«, fragte Rena.

»Nein, Ma'am. Ich weiß nur, dass die STERNENKRIEGER für eine Sondermission vorgesehen war, weshalb auch die technische Aufrüstung und Optimierung erfolgte.«

»Wissen Sie etwas über das Ziel dieser Sondermission, I.O.?«

»Nein, Captain. Das war nur Ihrem Vorgänger Commander Reilly bekannt.«

Rena atmete tief ein.

Commander Willard J. Reilly, ihr Vorgänger im Amt des Captains auf der STERNENKRIEGER, war ein Kapitel für sich.

Rena war natürlich bekannt, auf welch tragische Weise Commander Reilly ums Leben gekommen war. Er hatte offenbar persönlich die Reparaturarbeiten und Neujustierungen an den Sandström-Aggregaten überwacht. Dabei war es zu einer kleineren Explosion gekommen, bei der Reilly ums Leben gekommen war.

Ein Unfall, dem ich letztlich wohl meinen Karrieresprung verdanke, ging es Rena Sunfrost durch den Kopf.

»Na, dann warte ich einfach ab, bis man mich endlich einweiht«, antwortete sie ihrem Ersten Offizier.

Plötzlich hatte Rena Sunfrost das Gefühl, angestarrt zu werde.

Sie wandte sich zur Seite und bemerkte aus den Augenwinkeln heraus, dass Admiral Raimondo sie beobachtete. Fabri und Jackson standen in seiner Nähe…

*

Später führte Raphael Wong den neuen Captain zu ihrer Kabine.

Der Platz an Bord eines Leichten Kreuzers war begrenzt. Die Kabinen des Captains und der Offiziere waren exakt sechzehn Quadratmeter groß. Unteroffiziere bewohnten derartige Räume zu zweit, Mannschaften zu viert.

Es befand sich ein Relief in der Wand, das die Form eines Wikinger-Schiffs aus der irdischen Prä-Weltraum-Ära hatte.

Unwillkürlich hob Rena die Hand, um damit über die metallische Innenverkleidung der Wand zu fahren und den Linien und Erhebungen des etwa ein Meter langen Reliefs nachzuspüren.

Nach zwei Sekunden zuckte sie förmlich zurück.

Zum ersten Mal bemerkte sie, wie sich Wongs Gesicht etwas entspannte. Ein leicht amüsierter Zug spielte um seine Mundwinkel.

Ich habe in seiner Gegenwart die Kontrolle verloren, dachte Rena. Wenn auch nur für wenige Sekunden – es war kaum zu übersehen.

»Sie brauchen sich nicht zu genieren, Ma'am«, versicherte er. »Erstens zwingt einen dieses Relief quasi dazu, die Wand zu berühren, und zweitens ist es jetzt Ihre Kabine.«

Rena hatte ihre Fassung wieder gewonnen. »Stammt das von meinem Vorgänger?«

»Ja, Ma'am. Er hatte eine offizielle Erlaubnis der Admiralität zur Anbringung dieses etwas exzentrischen Wandschmucks. Die Entfernung ist technisch gesehen etwas aufwändig, und ich bin zugegebenermaßen bislang nicht dazu gekommen, das zu veranlassen, da ich hier in letzter Zeit alle Hände voll zu tun haben.«

»Lassen Sie es einstweilen da.«

»Wie Sie wünschen, Ma'am.« Wong nickte bestätigend.

»Haben Sie noch irgendwelche Fragen?«

»Im Moment nicht, I.O.«

»Dann möchte ich mich jetzt gerne zurückziehen, Captain. Ich habe noch zu tun.«

»Tun Sie das.«

*

Während der nächsten Wachperiode durchstreifte Rena auf eigene Faust das Schiff. Sie hatte keine Lust, sich dabei von dem zwar äußerst korrekten, aber nichtsdestotrotz ausgesprochen distanzierten Ersten Offizier begleiten zu lassen.

Außerdem hatten alle an Bord im Moment offenbar ihre Aufgaben.

Allein der neue Captain schien dabei eine Ausnahme zu sein.

Auf der Brücke traf sie David Kronstein, den Offizier für Ortung und Kommunikation. Er war gerade damit beschäftigt, das interne Datennetz des Schiffs neu zu konfigurieren.

Als er Commander Sunfrost bemerkte, erhob er sich und nahm Haltung an.

»Machen Sie weiter, Lieutenant Kronstein«, forderte sie ihn auf.

»Ja, Ma'am.«

Wieder begegnete sie dem wachen Blick seiner dunklen Augen.

Hättest du diesen Mann nicht unter anderen Umständen treffen können?, ging es ihr dabei durch den Kopf.

Aber wahrscheinlich war das ein Grund dafür, dass sie nach ihrer Trennung von Toni Morton eine so lange Zeit des Single-Daseins hinter sich hatte. Als Offizier der Raumflotte war es einfach ziemlich schwierig, jemanden kennen zu lernen, der nicht derselben Befehlshierarchie angehörte wie man selbst. Und je höher man im Rang emporstieg, desto schwerwiegender wurde dieses Problem.

Immerhin haben wir noch kein offizielles Zölibat im Space Army Corps, wie es die Ordensritter des Mittelalters kannten!, ging es ihr durch den Kopf. Ein ironischer Seitenhieb schwirrte ihr noch durch die Gedanken: Damals wussten diejenigen, die einem Ritterorden beitraten zumindest, was für Opfer in dieser Hinsicht von ihnen erwartet wurden. Den Absolventen der Space Army Corps-Akademie sagt das kein Mensch…

Rena spürte ein deutliches Unbehagen in ihrer Magengegend. Unbewusst berührte sie die Verdickung an ihrer Uniform, wo sich das Projektil von Dambanor II hervorhob.

Bedenke, dass du sterblich bist und nur ein Leben hast, Rena, durchzuckte es sie. Und dass sich die Zahl der Männer, die dich vom ersten Augenblick an derart stark beeindruckt haben, an einer halben Hand abzählen lassen!

»Ich hoffe, Sie kommen gut voran, Lieutenant«, sagte Rena gleichzeitig fast automatenhaft, während in ihren Gedanken und Gefühlen ein einziges Chaos herrschte. Ein Zustand, den sie eigentlich hasste und normalerweise auch umgehend zu beseitigen wusste. Aber nicht in diesem Fall. Wenn du ganz ehrlich bist, dann genießt du es. Zumindest ein Teil von dir…

»Wir haben hier leider ein paar schwerwiegende Probleme mit dem Bordrechner«, erläuterte David Kronstein.

Rena ertappte sich dabei, dass ihr der Klang seiner tiefen, männlichen Stimme im Moment viel wichtiger war als das, was er zu sagen hatte. Reiß dich zusammen! Wenn man es dir ansieht, was mit dir los ist, kannst du dich gleich um ein anderes Kommando bemühen, weil du dann nie die nötige Autorität an Bord gewinnen wirst!

»Was sind das für Probleme?«, fragte sie.

»Es hängt alles mit dem Unfall von Commander Reilly zusammen. Ich weiß nicht, wie viel Sie darüber wissen, Ma'am…«

»Es gab eine Explosion bei den Sandström-Aggregaten.«

Kronstein nickte. »Exakt. Und zwar an einer sehr sensiblen Stelle. Es kam zu einem kompletten Systemausfall. Normalerweise ist der Bordrechner dagegen mit mehreren redundanten Systemen gesichert, aber in diesem Fall kam zum Verhängnis auch noch das Pech. Die Sicherungssysteme versagten, und jetzt kann ich zusehen, wie ich aus dem Datensalat wieder etwas mache, das man ein Daten- und Kommunikationssystem nennen kann!«

»Sie sind um Ihre Aufgabe nicht zu beneiden.«

»Keine Sorge, Ma'am, das bekomme ich schon wieder hin«, versicherte Kronstein.

»Ich habe Ihre Akte gelesen, Lieutenant, und deswegen habe ich keinerlei Zweifel daran.«

»Danke, Ma'am.«

Als sich ihrer beider Blicke abermals trafen, wandte Commander Sunfrost schon nach einem kurzen Moment den Kopf zur Seite. Sie glaubte zu spüren, dass von ihrem Gegenüber zumindest Sympathie herüberkam.

Schlag es dir einfach aus dem Kopf, Rena!, erteilte sie sich selbst einen überaus energischen Befehl. Es ist schlicht und ergreifend sinnlos!

Ein Pfeifton ertönte.

David Kronstein löste seinen Kommunikator aus der Magnethalterung am Gürtel. »Eine Folge des Computercrashs ist auch der zeitweilige Ausfall des Schiffs-Interkoms«, sagte Kronstein an Rena gewandt. »Jeder von uns ist zurzeit nur über den persönlichen Kommunikator erreichbar. Etwas ärgerlich, aber…«

»Sie tun sicher Ihr Bestes, Lieutenant.«

Er lächelte. »Natürlich, Ma'am.«

Jetzt erst schaltete er den Kommunikator frei. Sunfrost stand nahe genug, um zu sehen, dass auf dem Minibildschirm des Kommunikators das Gesicht des Ersten Offiziers erschien.

»Ich brauche Computerkapazitäten zur Berechnung eines Winston-Feldes«, verlangte Raphael Wong.

»Sir, das ist im Moment äußerst ungünstig.«

»Ich kann mir Ihre Schwierigkeiten lebhaft vorstellen, Lieutenant. Aber ich würde Sie nicht darum bitten, wenn es nicht notwendig wäre.«

»Die Neukonfiguration des Kommunikationssystems würde sich um mindestens 40 Stunden verzögern, Sir!«

»Das nehmen wir in Kauf.«

»Ich weiß nicht, Sir…«

»Was wissen Sie nicht?«

Kronstein blickte in Sunfrosts Richtung.

Die Kommandantin streckte die Hand aus. »Geben Sie mir das Ding!«

Bislang hatte sie geglaubt, dass Wong in der Lage war, seinen Frust über die nicht erfolgte Beförderung herunterzuschlucken und die neue Situation zu akzeptieren. Aber das war offensichtlich nicht der Fall!

Was erlaubt sich der Kerl?, durchfuhr es Rena ärgerlich.

Macht einfach hinter meinem Rücken, was er will!

Zwar war es die Aufgabe des Ersten Offiziers, für den reibungslosen Ablauf des Tagesgeschäfts an Bord eines Raumschiffs zu sorgen. Aber wenn sich die Rekonfiguration des Kommunikationssystems der STERNENKRIEGER um zwei Standard-Erdtage verzögerte, dann war das etwas, worüber Sunfrost gerne Bescheid wusste.

»Wong?«

»Ja, Ma'am?« Dem Lieutenant Commander war nicht anzumerken, was er von ihrem Eingreifen hielt.

»Sie hätten mich konsultieren sollen.«

»Mag sein, Ma'am, aber…«

»Kommen Sie umgehend in meinen Raum. Dort werden wir uns unterhalten.«

Kronstein mischte sich ein. »Captain, das ist leider nicht möglich. Ihr Raum dient zurzeit als Lagerraum für Ersatzteile der Brückenelektronik. Tut mir Leid, aber…«

»Dann komme ich zu Ihnen, Lieutenant Commander«, sagte Sunfrost eisig.

*

»Seien Sie vorsichtig, Mister Wong«, sagte eine weibliche Stimme. »Mit diesem Eisbiest von Captain ist nicht gut Kirschen essen.«

Eisbiest – das war bereits Renas Spitzname an der Akademie gewesen, und er bezog sich natürlich auf ihren Nachnamen – Sunfrost…

Was lag da näher als ein paar Wortspiele, in denen Eis und Kälte eine Rolle spielten.

Sunfrost bog um die Korridorecke und erblickte ihren Ersten Offizier. Neben ihm stand eine mollige, von der Figur her sehr weiblich wirkende Frau, die Sunfrost bereits als einer der Offiziere ihres Schiffs vorgestellt worden war: Lieutenant Catherine White, die Chefingenieurin der STERNENKRIEGER.

Rena näherte sich den beiden.

»Ich weiß, dass man mich hinter meinem Rücken als Eisbiest bezeichnet, Lieutenant White«, eröffnete Sunfrost. »Dieser Name hat mich während meiner gesamten Space Army Corps-Karriere begleitet und wird es wahrscheinlich so lange tun, wie ich nun einmal meinen Namen trage. Ich bitte Sie nur um einen Gefallen.«

»Ma'am, ich…«

»Benutzen Sie diesen Namen niemals wieder in meiner Gegenwart. Haben wir uns verstanden, Lieutenant White?«

»Ja, Ma'am«, sagte die Ingenieurin kleinlaut.

»Und jetzt lassen Sie mich bitte mit Lieutenant Commander Wong unter vier Augen reden.«

Catherine White atmete tief durch. Ihr Gesicht war hochrot angelaufen. Sie konnte es gar nicht erwarten, den Ort ihrer Blamage schnellstmöglich zu verlassen.

»I.O., ich weiß, dass Sie berechtigte Ambitionen hatten, selbst das Kommando auf der STERNENKRIEGER zu übernehmen«, begann Rena. »Die Qualifikation dafür hätten Sie in jedem Fall. Es ist Ihr Pech, dass man in diesem Fall die Erfahrung dem Genie vorgezogen hat. Tut mir Leid für Sie, aber ich kann es nicht ändern! Was ich Ihnen voraus habe, sind drei Dienstjahre und der Rang des Commanders. In drei Jahren kann viel geschehen. Wenn Sie so alt sind wie ich jetzt, werden Sie wahrscheinlich auf der Erfolgsleiter an mir vorbeigezogen sein, so mustergültig wie Ihre bisherige Bilanz ist! Aber solange das noch nicht der Fall ist und Sie meinem Kommando unterstehen, erwarte ich Loyalität.«

»Das ist selbstverständlich, Ma'am«, erwiderte Wong. Eine tiefe Furche war mitten auf seiner Stirn entstanden.

Entweder ich habe genau ins Schwarze getroffen oder liege so vollkommen daneben, dass er gerade meinen Verstand anzweifelt, dachte Sunfrost.

Aber da sie sich auf ihren Instinkt für Zwischenmenschliches im Allgemeinen gut verlassen konnte, zog sie die zweite Möglichkeit gar nicht ernsthaft in Betracht.

Er weiß genau, wovon ich spreche, dachte Sunfrost. Und ich werde ihm nicht gestatten, sich irgendwie herauszureden. Die Fronten müssen jetzt ein für alle Mal geklärt werden.

»Wenn Sie eine Entscheidung treffen, die eine Verzögerung bei der Rekonfiguration des Kommunikationssystems um 48 Stunden bedeutet«, kam Rena auf den Punkt, »dann erwarte ich, dass ich darüber zumindest informiert werde und Sie nicht einfach tun, was Ihnen gefällt!«

»Es war nicht meine Absicht, Ihre Autorität in Frage zu stellen, Captain.«

»Gut, das zu wissen. Denn ansonsten hätten wir ein Problem.« Rena atmete tief durch.

Ihren Start an Bord der STERNENKRIEGER hatte sie sich wahrlich anders vorgestellt. Irgendwie schien ihr Kommandoantritt unter keinem guten Stern zu stehen. Aber sie sah keinerlei Grund dafür, sich selbst Vorwürfe zu machen. Für die Rahmenbedingungen war sie schließlich nicht

verantwortlich – und schon gar nicht dafür, dass einem Mustersoldaten, der die Rangstufenleiter bisher auf der Überholspur genommen hatte, zugemutet wurde, mal eine Stufe im Normaltempo zu nehmen.

Ihr Mitleid hielt sich in diesem Punkt in sehr engen Grenzen.

Einige Augenblicke des Schweigens folgten. Die kühle, distanzierte Art, mit der ihr Erster Offizier sie musterte, ließ Sunfrost innerlich kochen. Aber sie gab sich alle Mühe, nichts davon nach außen dringen zu lassen. Sie musste die Kontrolle behalten – und zwar zunächst und zuallererst über sich selbst.

Nur wer sich selbst beherrscht, vermag, über andere zu herrschen, drang ihr ein Zitat des chinesischen Philosophen Li Tang in die Erinnerung. Eine Weisheit, die sie sich zu Herzen genommen hatte.

Sie sah Wong direkt in die Augen.

»Was wollen Sie mit einem Winston-Feld an Bord der STERNENKRIEGER?«, fragte Rena Sunfrost geradeheraus.

Winston-Felder dienten der Sicherung kleinster organischer Partikel und fand üblicherweise bei archäologischen Grabungen und der Aufklärung von Straftaten Anwendung.

Raphael Wong verschränkte die Arme.

Er machte ein paar Schritte und vollführte dann eine ausholende Geste. »Sehen Sie das Sicherheitsschott dort? Das ist der einzige Zugang zum Sandström-Aggregat B. Dort starb Commander Willard J. Reilly, Ihr Vorgänger im Amt des Captains.«

Sunfrost runzelte die Stirn. »Ein Unfall, wie ich gehört habe.«

»Wirklich? Ich habe meine Zweifel, Captain.«

»Sie gehen davon aus, dass Captain Reilly einem Verbrechen zum Opfer fiel?«

»Sagen wir so…« Wong sammelte seine Gedanken. »Die Umstände seines Todes sind in meinen Augen noch lange nicht geklärt. Mit dem, was in dem vorläufigen Abschlussbericht der Untersuchungskommission steht, werde ich mich jedenfalls nicht zufrieden geben. Das bin ich Captain Reilly schuldig.«

Eine Pause entstand.

Wongs Tonfall hatte sich verändert. Sunfrost spürte, wie nahe ihm der Tod Captain Reillys offenbar ging. Offenbar hatte er ihm auch persönlich recht nahe gestanden.

Noch ein Grund für ihn, um den neuen Captain nicht zu mögen, überlegte sie.

»Berichten Sie mir, was Sie herausgefunden haben«, forderte sie den Ersten Offizier der STERNENKRIEGER auf.

Wong wirkte überrascht. Er hatte wohl nicht mit Verständnis gerechnet. »Captain Reilly ließ sich kurz vor seinem Tod – oder seiner Ermordung, wie ich eher glaube – mit einem Shuttle hierher bringen und ging an Bord, obwohl zu diesem Zeitpunkt die Reparaturarbeiten in einem Stadium waren, in dem der Captain hier nun wirklich nichts zu suchen hatte. In einem Großteil der Sektion war zu diesem Zeitpunkt das Lebenserhaltungssystem ausgeschaltet. Außer Wartungsrobotern und ein paar Spezialisten des Spacedock-Personals, hätte sich niemand an Bord befinden dürfen.«

»Haben Sie eine Ahnung, was Reilly an Bord wollte?«

»Nein, Captain.« Wong schüttelte den Kopf. »Dann wäre ich in meinen Ermittlungen ein ganzes Stück weiter. Allerdings weiß ich, dass ein weiteres Shuttle andockte, kurz nachdem Reilly hier eintraf. Es dockte wohlgemerkt direkt an der Außenschleuse der STERNENKRIEGER an – nicht an Spacedock 13. Leider scheinen sämtliche Computeraufzeichnungen und Datenprotokolle darüber unwiederbringlich verloren, da wir durch die Explosion an einem der Sandström-Aggregate einen Computer-Crash hatten.«

»Gibt es keine Aufzeichnung des Zentralrechners von Spacedock 13?«, hakte Sunfrost nach.

»Eigenartigerweise nicht. Für mich sieht es aus, als wären sie gelöscht worden. Leider gestattet mir niemand einen Zugriff auf die Datenbanken von Spacedock 13, der weitreichend genug wäre, um das aufklären zu können.« Er deutete auf den Boden. »Genau hier wurde Captain Reilly von der Explosion getötet. Er wurde regelrecht zerrissen. Es blieb nichts von ihm übrig, außer den paar Gramm DNA, die für eine Identifizierung ausreichten.«

»Und jetzt glauben Sie, dass hier im Kontrollraum auch der Täter seine Visitenkarte in Form seines Gen-Codes hinterlassen hat«, schloss Sunfrost.

»Richtig«, bestätigte Wong. »Ein Schweißtropfen oder paar Hautzellen, die er an einer scharfen Kante verlor, ohne es zu merken, würde schon ausreichen. In einem Winston-Feld lassen sich auch winzige oder bruchstückhafte DNA-Sequenzen sichtbar machen, sodass eine Chance besteht, sie näher unter die Lupe zu nehmen.«

Er hob den Kopf und sah Sunfrost mit einem abschätzigen Blick an.

Der Kommandantin war durchaus klar, dass jetzt alles an ihrer Reaktion abhing.

In gedämpftem Tonfall fuhr Wong fort: »Ich glaube, dass Captain Reilly hier mit seinem Mörder zusammentraf.«

Sunfrost überlegte einige Augenblicke. Was Wong ihr vortrug warf tatsächlich einige Fragen auf. »Die offizielle Untersuchung ist bereits abgeschlossen?«

»Ja, Captain. Aber die konzentrierte sich auf die technischen Gegebenheiten des explodierten Sandström-Aggregats.«

»Sie wissen, dass Sie mit Ihren Ermittlungen Ihre Zuständigkeit überschreiten. Wenn Sie Verdachtsmomente haben, sollten Sie diese an die zuständigen Stellen weiterleiten.«

»Das habe ich längst getan, Ma'am. Leider ohne Erfolg. Und ich werde nicht abwarten, bis sich keine Spuren mehr finden lassen.«

Rena Sunfrost zögerte einen Moment. Wenn sie Raphael Wong weiter ermitteln ließ, dann war das ein Verfahrensfehler.

Nichts, was ihre Karriere beenden würde, aber doch ein grauer Fleck in ihrer Personalakte, der es ihr vermutlich erschwerte, später ein größeres Kommando oder einen Stabsoffiziersposten in der Admiralität zu erhalten. Andererseits interessierte jetzt auch sie, was mit ihrem Vorgänger wirklich geschehen war.

Ihre Entscheidung entsprang schließlich einem spontanen Bauchgefühl. »Machen Sie weiter, I.O.«

Wong nahm Haltung an. »Danke, Ma'am.«

»Und halten Sie mich über Ihre Ermittlungsergebnisse auf dem Laufenden.«

»Aye, Ma'am.«

*

Sie hat Charakter, dachte Raphael Wong, nachdem Commander Sunfrost gegangen war.

Was auch immer sonst zwischen ihnen stehen mochte, so musste er dies einfach anerkennen. Immerhin riskierte das Eisbiest – wie Lieutenant White sie genannt hatte – einen Verweis in ihrer Personalakte, wenn herauskam, dass sie in dieser Sache nicht den offiziell vorgeschriebenen Weg gegangen war.

Wong aktivierte den Kommunikator, den er an einem Armband trug. »Lieutenant White, ich brauche Sie jetzt«, erklärte er.

»Bin schon da, Sir«, kam die Antwort aus dem Gerät.

Wenige Augenblicke später tauchte Catherine White auf. Sie hatte in einem Nebenraum abgewartet, bis das Gewitter in Gestalt des Captains sich verzogen hatte.

White blickte Wong fragend an. »Ich schätze, unsere Ermittlungen sind jetzt beendet, oder?«

»Kalibrieren Sie die Feldprojektoren, Lieutenant. Wir machen weiter. Sobald wir das Okay von Kronstein wegen der Rechnerkapazitäten haben, können wir beginnen. Der Captain hat mich angewiesen, die Ermittlungen fortzusetzen.«

White stand die Überraschung ins Gesicht geschrieben.

»Komisch… sie wirkte auf mich so beherrscht und steif.«

»Lag vielleicht an der Zeremonie.«

»Jedenfalls machte sie auf mich nicht den Eindruck, als würde sie leichtfertig Vorschriften missachten.«

»Leichtfertig bestimmt nicht.«

White zuckte die Achseln. »Sie hätten es trotzdem verdient gehabt, wenn man Ihnen das Kommando übertragen hätte, Sir.«

Es war Wong unangenehm, von White auf dieses Thema angesprochen zu werden. Er hatte das Gefühl, dass da jemand – ohne es zu wollen – in einer offenen Wunde herumstocherte.

»Das Kapitel ist für mich abgeschlossen«, erklärte der Erste Offizier der STERNENKRIEGER.

Aber er selbst wusste am besten, dass seine Worte bestenfalls eine Absichtserklärung waren…

*

Sunfrost befand sich in ihrem Quartier, als Wong sie aufsuchte. Ihr eigentliches Büro, das sich neben der Brücke befand, musste schließlich erst noch hergerichtet werden.

Sie blickte von dem etwa handgroßen Lesemodul auf, mit dessen Hilfe sie sich in die Logbücher der STERNENKRIEGER vertieft hatte.

»Meine Nachforschungen sind leider bisher ohne Ergebnis geblieben«, berichtete Wong. »Selbst die Untersuchung des Tatorts mit dem Winston-Feld blieb ergebnislos. Es gab keinerlei Spuren, die bei der offiziellen Untersuchung übersehen wurden. Ich habe außerdem zusammen mit Lieutenant White das interne Rechnermodul der Außenschleuse unter die Lupe genommen.«

»Und?«

»Nichts. Alle Daten des Moduls sind gelöscht worden.«

»Hängt das mit dem Computercrash zusammen?«, fragte Sunfrost.

»Nein, das Modul der Außenschleuse hat einen autonomen Bereich, der mit dem Hauptcomputer keine Verbindung hat. Schließlich muss es im Notfall möglich sein, die Mannschaft aus einem havarierten Schiff zu bergen, dessen Bordrechner nicht mehr arbeitet.«

»Sie müssen schon entschuldigen, I.O. Ich bin weder Techniker noch Computerspezialist.«

Wong zeigte auf diese Bemerkung keinerlei Reaktion, sondern fuhr mit seinem Bericht fort. »Ich habe die Andockhalterungen auf chemische Rückstände untersucht. Die Substanz, die ich dabei isolieren konnte, trägt die Kennung KLM-321 und entspricht seit 2233 nicht mehr der technischen Norm für die Außenbeschichtung von Orbital-Shuttles. Daraus schließe ich, dass ein Shuttle an der STERNENKRIEGER angedockt hat, das vor 2233 hergestellt wurde. Des Weiteren muss es sich um ein privates Raumschiff handeln, denn die offiziellen Orbital-Shuttles werden nach spätestens zwanzig Jahren wegen Materialermüdung außer Dienst gestellt. Im Moment versuche ich herauszubekommen, welches Schiff, auf das diese Merkmale zutreffen, zu einem in Frage kommenden Zeitpunkt auf der Erde gestartet ist.«

»Es könnte auch von anderswo gekommen sein«, stellte Sunfrost fest.

Schließlich gab es auch auf den anderen Planeten des Sol-Systems Siedlungen und Raumhäfen. Das Hauptsiedlungsgebiet war dabei der Mars, auf dem über drei Milliarden Menschen lebten – mehr als auf der Erde des frühen zwanzigsten Jahrhunderts. Dagegen waren die Kolonien auf dem Erdmond und der Venus auf Grund der extremeren Bedingungen natürlich verschwindend klein, zumal in einem von der Menschheit beherrschten Radius von etwa 50 Lichtjahren um das Sol-System herum eine ganze Reihe vergleichsweise paradiesischer erdähnlicher Welten zur Verfügung stand.

»Ich weiß, dass das eine Sisyphus-Arbeit ist, Ma'am«, stimmte Wong zu. »Aber ich habe das Gefühl, sie Captain Reilly schuldig zu sein.«

»Ich verstehe. Ist dieses unbekannte Shuttle denn vom Stationsrechner von Spacedock 13 nicht registriert worden?«

»Der Auskunft nach, die ich erhielt – nein.«

»Seltsam…«, sagte Rena.

»Ein halbwegs geschickter Hacker kann die Daten löschen, Ma'am.«

»Wie wäre es, wenn sich Lieutenant Kronstein nach der Rekonfiguration des Kommunikationssystems den gesamten gespeicherten Datenverkehr vor der Explosion vornimmt und in Hinblick auf verdächtige Merkmale untersucht. Schließlich muss es einen Grund gegeben haben, dass Reilly an Bord kam, und vielleicht gab es vorher einen Funkspruch, eine Datentransmission – irgendetwas!«

»Den Vorschlag halte ich für gut«, sagte Wong. »Ich würde es allerdings bevorzugen, wenn Sie Lieutenant Kronstein darum bitten würden.«

»Weshalb?«

Wong hob die Schultern. »Er hält meinen Verdacht, dass Captain Reilly ermordet wurde, für unbegründet.«

*

Sunfrost suchte die Brücke auf und trug Kronstein ihr Anliegen vor.

Er lächelte.

»Hat Lieutenant Commander Wong Sie also mit seiner Mordtheorie eingewickelt«, sagte er. »Mir persönlich stand Captain Reilly auch sehr nahe, aber jeder, der im Space Army Corps tätig ist, weiß, dass damit gewisse Risiken verbunden sind. Und die liegen nicht in einer möglichen Feindberührung oder Verwicklungen in Kampfhandlungen. Das Versagen technischer Systeme führt immer wieder zu Unfällen und kostet Menschenleben. Commander Reilly hatte Pech. Er war zur falschen Zeit am falschen Ort. Der offizielle Bericht bestätigt dies.«

»Ich möchte Ihnen in dieser Sache keinen Befehl erteilen, Lieutenant Kronstein«, sagte Sunfrost, die genau wusste, auf welch schmalem Grad aus Paragraphen der Dienstvorschrift sie sich bewegte. »Ich bitte sie einfach um einen Gefallen. Sehen Sie, ich möchte einfach etwas genauer über das Bescheid wissen, was mit meinem Vorgänger im Amt des Captains geschehen ist.«

»Dafür habe ich Verständnis«, sagte Kronstein. Seine dunklen Augen musterten sie einen Augenblick lang.

Sie erwiderte den Blick. »Ich könnte natürlich eine zweite Untersuchung verlangen, aber dazu reichen Wongs Indizien wohl tatsächlich noch nicht aus.«

»Ich werde mir den gespeicherten Verkehr vornehmen, Captain. Ab morgen laufen hier alle Systeme wieder einwandfrei.«

»Ich danke Ihnen.«

Sunfrosts Armbandkommunikator piepte. Sie betätigte den Annahmeknopf des Gerätes.

Auf dem Minibildschirm erschien das Gesicht von Commodore Tim Bray Jackson. »Ein Shuttle ist unterwegs zum Spacedock 13 und wird Sie in einer halben Stunde zur Orbitalbasis Delta bringen. Admiral Raimondo wünscht Sie dort zu einem informellen Gespräch zu treffen.«

Sunfrost war verwundert. Es war schon ungewöhnlich gewesen, dass Raimondo ihr die Ehre hatte zuteil werden lassen, an ihrer Einführungszeremonie teilzunehmen. »Hat der Admiral gesagt, was der Grund für dieses Treffen ist?«

»Nein, Commander. Ich wünsche Ihnen einen guten Flug.«

Commodore Jackson unterbrach die Verbindung.

Er weiß mehr, als er sagt, dachte Rena.

*

Orbitalstation Delta war ein ziviles Weltraumhabitat, das in einer geostationären Umlaufbahn die Erde umkreiste. Etwa hunderttausend Menschen lebten hier. Eine regelrechte Orbitalstadt. Die Wohnungspreise waren entsprechend hoch.

Der Flug mit dem Shuttle dauerte für Rena Sunfrost keine halbe Stunde. Nachdem es angedockt hatte, wartete ein Mann in der Uniform eines Space Army Corps-Angehörigen auf sie. An den Rangabzeichen sah sie gleich, dass er ihr übergeordnet war.

»Commander Sunfrost?«, sprach er sie an.

»Ja, Sir?«

»Commodore Ponlo Hart«, stellte er sich vor. »Ich bin der persönliche Adjutant von Admiral Raimondo und habe den Auftrag, Sie zu seiner Wohnung zu bringen«

»Seiner Wohnung?«, echote Rena etwas erstaunt.

»Ja, Commander. Der Admiral hat eine Wohnung hier auf Delta. Das hat vor allem Sicherheitsgründe. Seit er eine herausragende politische Rolle im Hohen Rat spielt, ist er ein potentielles Ziel von Attentaten.«

Wenig später empfing Raimondo sie in einem weiträumigen, ganz in blau gehaltenen Raum. Große Panoramafenster vermittelten einen fantastischen Blick.

»Ich danke Ihnen, Commodore«, wandte sich der Admiral an seinen Adjutanten, nachdem er Sunfrost begrüßt hatte, und schwieg, bis Hart den Raum verlassen hatte. »Dies ist ein inoffizielles Vier-Augen-Gespräch, Commander Sunfrost. Setzen Sie sich.«

Er deutete auf eine Sitzgruppe aus Schalensesseln, die um einen Glaskubus herum gruppiert waren, der als Tisch diente.

Rena setzte sich.

»Möchten Sie etwas trinken, Commander?«

»Nein, danke, Sir.«

»Dann kommen wir zur Sache.« Der Admiral setzte sich ebenfalls, lehnte sich zurück und schlug dabei die Beine übereinander. Er unterzog Rena anschließend einer intensiven Musterung, ehe er schließlich sagte: »Sie werden sich über die Umstände dieses Treffens vielleicht etwas wundern.«

»Das ist wahr, Sir.«

»Nun, ich bin als Vertreter des Space Army Corps im Hohen Rat zwar offiziell noch im Dienst, aber nicht mehr Teil der eigentlichen Befehlskette. Stattdessen beteilige ich mich auf politischer Ebene an der Entscheidungsfindung. Die Debatte um eine eventuelle Kürzung des Space Army Corps-Etats werden Sie vermutlich verfolgt haben.«

»Ja, Sir.«

»Ich hoffe, dass ich am Ende das Schlimmste verhindern kann. Aber das ist so mühsam wie das Bohren dicker Bretter, und ich bin mir keineswegs sicher, ob es am Ende reichen wird. Wissen Sie, was die Anhänger unseres Vorsitzenden Ling vorgeschlagen haben? Eine Reduzierung des Etats um ein Drittel. Das sind doch alles Bürohengste, die von Raumfahrt so viel Ahnung haben wie ein Toter vom Beißen. Kein Mensch hat sich Gedanken darüber gemacht, wie wir den Betrieb der Flotte auf einem auch nur halbwegs zu vertretenden Niveau mit einer derart drastischen Kürzung aufrecht erhalten sollen. Dutzende von Dreadnoughts würden in Depots verschwinden und eingemottet werden. Das Corps käme nicht umhin, qualifiziertes Personal zu entlassen, das wir mühsam jahrelang ausgebildet haben. Es ist nicht zu fassen!«

Raimondo atmete tief durch.

Die gegenwärtige Debatte im Rat schien ihm einfach nicht aus dem Kopf zu gehen. Rena hatte die Entwicklung am Rande verfolgt und die Vorschläge von Julian Lang und seinen Anhängern wie ein heraufziehendes Gewitter betrachtet.

»Trauen Sie dem Frieden mit den Qriid?«, fragte Raimondo schließlich nach einer Pause. Er wartete Renas Antwort gar nicht erst ab. »Meiner Ansicht nach kann aus dem kalten Krieg, der zwischen uns und den Qriid herrscht, jederzeit wieder eine heiße Auseinandersetzung werden. Im Moment scheinen sie vor allem mit sich selbst beschäftigt zu sein. Möglicherweise gibt es sogar interne Machtkämpfe. Aber irgendwann werden sie ihre Expansionsbestrebungen fortsetzen. Und all diejenigen, die glauben, dass unsere Siege im Qriid-Krieg dazu geführt hätten, dass die andere Seite jetzt Respekt vor der Menschheit hat und an einem ernsthaften Frieden interessiert ist, halte ich für Träumer.«

»Ich bin Ihrer Meinung, Sir«, sagte Sunfrost.

»Tatsache ist, wir wissen nicht, weshalb ihr Expansionsdrang nach der Schlacht im Tridor-System plötzlich verebbte. Sie hätten mit Sicherheit über ausreichend Ressourcen verfügt, den Kampf fortzusetzen, und ich frage mich, ob sie nicht lediglich auf einen günstigeren Zeitpunkt warten. Ich nehme an, Sie wissen über das Bannister-System Bescheid, Commander.«

»Natürlich, Sir.«

»Ein weiterer Punkt, der mir Sorgen macht«, bekannte Raimondo. »Ich sage Ihnen, da braut sich was zusammen, was uns allen noch um die Ohren fliegen wird!«

Das Bannister-System war 56 Lichtjahre von der Erde entfernt und lag damit deutlich außerhalb des 50 Lichtjahre-Radius, den die Menschheit zurzeit als ihr Siedlungsgebiet beanspruchte. 15

Planeten umkreisten eine Sonne von doppelter Sol-Masse. Es war eine Kolonie, die mitten im Niemandsland zwischen dem Einflussbereich der Humanen Welten und dem Qriid-Imperium lag.

In letzter Zeit hatte die Gründung eines so genannten Bannister-Freistaates in den Medien Schlagzeilen gemacht. Eine Gruppe von Siedlern akzeptierte die Autorität der Humanen Welten nicht mehr, weil man sich durch den Space Army Corps nicht ausreichend geschützt fühlte. Auslöser waren bis dato geheim gehaltene Pläne aus dem Umkreis des Ratsvorsitzenden Ling gewesen, die im Zusammenhang mit den Kürzungen des Space Army Corps-Etats zu sehen waren. Danach sollte das Bannister-System evakuiert und den Qriid im Tausch gegen einen sichereren Frieden angeboten werden.

Natürlich hatte Julian Lang dies seinen Pressesprecher umgehend dementieren lassen, aber für die erzürnten Siedler war es der berühmte Tropfen gewesen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte.

»Ling und seine Leute hatten tatsächlich vor, das Bannister-System den Qriid zu überlassen«, erklärte Raimondo. »Auch wenn er das jetzt in der Öffentlichkeit dementieren lässt. Diese Pläne liegen in der Schublade. Bei passender Gelegenheit wird Julian Lang sie wieder hervorholen, davon bin ich überzeugt.«

»Das Argument der astronomisch hohen Unterhaltskosten, die von den Bannister-Kolonien verschlungen werden, ist nicht ganz von der Hand zu weisen«, meinte Rena.

Raimondo lachte heiser. »Ja, wenn man alles nur unter dem Gesichtspunkt wirtschaftlicher Effektivität sieht, so wie Ling, stimmt das natürlich. Dieser Mann ist eine Krämerseele! Er hat keine Vision von dem, wo der Platz der Menschheit in – sagen wir – fünfzig oder hundert Jahren sein könnte. Das Einzige, was ihn interessiert, ist, dass er einen sauberen Haushalt vorzuweisen hat und die Firmen, die seinen Wahlkampf unterstützen, satte Gewinne machen. Dabei scheint er nicht eine Sekunde darüber nachzudenken, dass seine ganzen Berechnungen nicht den Chip Wert sind, auf denen sie gespeichert wurden, wenn die Qriid erneut angreifen.«

Über das Entscheidende haben wir noch nicht gesprochen, ging es Sunfrost durch den Kopf, während sie den Ausführungen des Admirals zuhörte. Er wird mich kaum hierher beordert haben, um sich über die allgemeine politische Lage zu beschweren.

Raimondo erhob sich, ging auf das Panoramafenster zu und blieb einige Augenblicke davor stehen.

Schließlich drehte er sich um. »Ich möchte jetzt ein paar Dinge mit Ihnen besprechen, die auch Ihrem Vorgänger Commander Reilly bereits bekannt waren, der tragischerweise nicht mehr unter uns weilt. Die Reparaturarbeiten an der STERNENKRIEGER gehen über die normalerweise turnusgemäß fälligen Wartungen hinaus. Ihr Schiff erhält ein neues System zur Übertragung verschlüsselter Funkbotschaften, da es für eine besondere Mission vorgesehen ist. Botschafter John Aljanov wird an Bord der JEFFERSON ins Bannister-System fliegen, um sich dort mit Abgesandten der Qriid zu geheimen Verhandlungen zu treffen. Die Aufgabe der STERNENKRIEGER ist es, bereits vor dem Geheimtreffen ins Bannister-System zu fliegen, um dort die Lage besser beurteilen und notfalls beruhigen zu können. Außerdem ist es Ihre Aufgabe, nach eventuell vorhandenen verdeckten Operationen der anderen Seite Ausschau zu halten, die zum Ziel haben könnten, das Treffen zu torpedieren.«

»Die Siedler…?«, murmelte Sunfrost.

»Die Siedler.« Der Admiral nickte. »Oder aber interessierte Kreise unter den Qriid, denen es darum geht, einen Zwischenfall zu provozieren. Alles ist möglich.«

»Ich verstehe.«

»Was die Bannister-Siedler angeht, so werden die weder auf Sie als Repräsentantin des Space Army Corps, noch auf Botschafter Aljanov gut zu sprechen sein. Es herrscht nach wie vor der Verdacht, dass der Rat plant, die Existenz der Bannister-Siedler zu opfern. Unseren Erkenntnissen nach gibt es sogar die Bereitschaft zu bewaffnetem Widerstand.«

»Aber im Bannister-System leben auf drei erdähnlichen Planeten zusammen nicht mehr als zwanzigtausend Menschen, die zudem nur über leichte Raumboote verfügen. Die könnten sich weder gegen den Space Army Corps noch gegen einen Angriff der Qriid wehren.«

»Aber sie sind sehr wohl in der Lage, Anschläge zu verüben und durch Terror auf ihre Lage aufmerksam zu machen.« Raimondo zuckte die Achseln. »Diese Leute sind verzweifelt. Sie haben sich eine Existenz aufgebaut, sind teilweise schon in der zweiten Generation im Bannister-System, und nun befürchten sie, dass all ihre Opfer und Anstrengungen umsonst waren. Wie gesagt, Sie sollen deutlich vor der JEFFERSON im System eintreffen. Wir teilen Ihnen einen Geheimdienstoffizier zu Ihrer Unterstützung zu.«

»Ist er mir gegenüber in irgendeiner Form weisungsbefugt?«, hakte Rena nach.

Raimondo schüttelte den Kopf. »Nein, das ist er nicht. Sein Name ist Kassan Rendup. Er ist Experte für das Bannister-System und wird für Sie eine Art Berater sein. Sicherlich haben Sie bereits bemerkt, dass die STERNENKRIEGER auf Spacedock 13 absolute Priorität genießt. Dabei wird es auch bleiben, sodass ich davon ausgehe, dass Sie bald aufbrechen können.«

Ein überlegenes Lächeln spielte um seine Mundwinkel. »Ich habe volles Vertrauen zu Ihnen und die Übertragung des Kommandos an Sie unterstützt. Haben sie noch irgendwelche Fragen, die wir besprechen sollten?«

»Ja.«

»Dann schießen Sie los, Commander.«

»Warum wurde in diesem Fall die normale Befehlskette übergangen?«, fragte Rena.

»Seien Sie versichert, dass Ihre direkten Vorgesetzten in die Sache eingebunden und informiert sind. Ihren offiziellen Marschbefehl erhalten Sie von Commodore Jackson, wenn es so weit ist.«

»Commander Reilly war seinerzeit offensichtlich der Einzige, der über den bevorstehenden Einsatz im Bannister-System informiert war. Ich hingegen würde gerne meine Offiziere einweihen.«

»Weihen Sie den I.O. ein«, gestand Raimondo zu.

»Und den Kommunikationsoffizier?«

»Einverstanden. Aber ansonsten bewahren Sie strengstes Stillschweigen, bis die STERNENKRIEGER Spacedock 13 verlässt.«

*

Sein Kopf glich dem eines Falken. Er war ein Meter achtzig groß, ging auf zwei Beinen mit nach hinten knickenden Knien, die in vierzehigen Krallenfüßen endeten. Die oberen Extremitäten waren deutlich feingliedriger und endeten in einer Krallenhand mit vier Fingern.

Latan-Rai, seines Zeichens Oberbefehlshaber der ruhmreichen Flotte des Qriid-Imperiums, betrat den von einer Glaskuppel überspannten Raum. Man hatte von hier einen fantastischen Rundumblick über Qatlanor, die auf Qriidia gelegene Hauptstadt des heiligen Imperiums.

Hier war das Zentrum des Reiches. Milliarden von Qriid pilgerten zu den hohen Feiertagen hierher, um die Heiligtümer zu besuchen. Der Himmel Qriidias war durch seinen hohen Staubgehalt in der Atmosphäre stets rötlich.

Die Farbe des Blutes, mit der Gott seine Gebote an den Himmel geschrieben hatte, so hieß es im Buch der Weisen, der wichtigsten Überlieferung der Qriid-Religion.

Latan-Rais Kleidung war ebenfalls rot. Die Farbe der Flotte, deren Ziel es war, die Feinde des auserwählten Volkes zu vernichten.

An einer langen Tafel hatten sich die obersten Offiziere der Qriid-Streitmacht versammelt. Sie alle waren aufgestanden, sobald ihr Oberbefehlshaber den Raum betreten hatte. Ihre großäugigen Köpfe wandten den Blick in Richtung des Eingetretenen. Gemessenen Schrittes trat Latan-Rai vor. Erst nachdem er auf einem, an die vogelartige Anatomie der Qriid angepassten Sitz Platz genommen hatte, setzten sich auch die anderen wieder.

Ein Platz – er war gegenüber den anderen leicht erhöht – blieb frei.

Hier saß normalerweise der Aarriid, der Stellvertreter Gottes, dessen Führung sie sich bereitwillig anvertrauten. Es war das Recht des Aarriid, jederzeit an einer Sitzung des obersten Militärstabes teilzunehmen, sofern er dies wünschte.

Der letzte Aarriid hatte selten diesen Wunsch gehabt. Die Gesellschaft von Priestern war ihm deutlich lieber gewesen als die von Vertretern des pragmatisch eingestellten Militärs, für das die religiösen Motive des Krieges nur zweitrangig waren.

Zurzeit war der Stuhl des Aarriid nicht nur in diesem Raum verwaist.

Nach dem plötzlichen Tod des letzten Aarriid hatte die Zeit der Suche begonnen, in der es Aufgabe der Priesterschaft war, einen neuen Aarriid zu erwählen. Üblicherweise wurde dazu ein männliches Qriid-Kind nach bestimmten, nur den Priestern bekannten Merkmalen ausgewählt.

Formal herrschte der Aarriid dann mit absoluter Macht über das Reich der Qriid. Er war nicht nur Herrscher, sondern die rechte Hand Gottes, die in dessen Namen die Heiligen Gebote ausführte und in seinen Träumen die Macht des Geistes empfing.

Faktisch teilten sich Priesterschaft und Militär die Macht zumindest so lange, bis der Aarriid alt genug war, um tatsächlich politische oder religiöse Entscheidungen treffen zu können.

Latan-Rais offizieller Titel lautete Tanjaj-Mar, was Kommandant der Gotteskrieger bedeutete. Die Tanjaj waren die privilegierte Kriegerkaste der Qriid, die höchste Verehrung genossen. Ihre Aufgabe war es, dafür zu sorgen, dass den wahren Gläubigen ein genügend großer Teil der Galaxis als Siedlungsraum zur Verfügung stand.

Formal waren nur die Aarriid-Priester den Tanjaj übergeordnet. Faktisch herrschte ein schwankendes Gleichgewicht zwischen diesen beiden, die Qriid-Gesellschaft beherrschenden Kräften.

Im Augenblick allerdings neigte sich diese Waage eindeutig auf der Seite der Priesterschaft, der immer dann eine besondere Bedeutung zukam, wenn die Zeit der Suche anbrach. Von der Wahl der Priester hing alles ab. Solange kein Aarriid im Tempelkomplex von Qatlanor residierte, durfte der Heilige Krieg nicht fortgeführt werden, so lautete das Gebot.

»Die Lage ist äußerst ernst«, sagte Latan-Rai. »Für meinen Geschmack dauert die Phase des Friedens schon viel zu lange. Die Kampfkraft der Tanjaj schläft ein, und die Gläubigen drohen fett zu werden. Das Feuer des Glaubens kommt ihnen abhanden. Es wird nicht mehr lange dauern, bis es zum Auftreten von ersten Zweiflern an den dem Gebot des permanenten Heiligen Krieges kommen wird!«, eröffnete Latan-Rai.

Es hatte vor dreihundert Qatlanor-Jahren eine Zeit der Suche gegeben, die fast ein halbes Jahrhundert gedauert hatte. Die Folge waren Ketzerbewegungen gewesen, die genau dieses Gebot in Frage gestellt hatten. Der Wohlstand der Gläubigen war in dieser Zeit stark gestiegen, aber die Ketzer hatten das Reich an den Rand des Abgrunds und der Spaltung gebracht hatten. Nur durch das blutige Eingreifen der Tanjaj war es gelungen, das Imperium geeint zu halten.

So etwas durfte nie wieder geschehen!

»Die Priesterschaft spielt mit dem Feuer, wenn sie versucht, ihren Einfluss dadurch zu stärken, dass sie die Inthronisierung eines neuen Aarriid verzögert«, meldete sich Dgor-Non zu Wort, ein uralter Tanjaj-General, dessen Schnabel bereits rissig und fleckig geworden war. Er genoss höchstes Ansehen im Kreis der Kommandanten. »Es liegt doch auf der Hand, dass unser Einfluss in Friedenszeiten zurückgeht – und genau das ist das Ziel der maßgeblichen Kräfte unter den Aarriid-Priestern. Und meiner Ansicht nach dient das Geheimtreffen im System 5147 einzig und allein dem Zweck, sich auf unsere Kosten mit den Menschen zu einigen.«

System 5147 – unter dieser Bezeichnung stand das von den Menschen Bannister genannte Sonnensystem in den Sternkatalogen der Qriid. Für so manchen Tanjaj stellte die Existenz der dortigen Menschsiedlungen eine reine Provokation dar – der sie auch noch tatenlos zusehen mussten, da es ihnen in der Zeit der Suche verboten war, den Krieg fortzuführen.

Keinen Qatlanor-Tag lang hätten sich die Menschen dort halten können, so lautete die allgemeine Überzeugung im Kommandantenrat. Aber ihnen waren die Krallenhände gebunden, solange die Priester sich nicht bequemten, endlich einen neuen Aarriid auf den göttlichen Thron zu setzen, auch wenn dieser in den ersten Jahren seiner Amtszeit nichts weiter als ein Spielball sein würde. Ein unreifes Kind, das Einflüsterungen keinen Widerstand entgegensetzen konnte.

»Und wir werden auch noch die Verpflichtung haben, das Schiff der Unterhändler zu eskortieren«, maulte ein weiterer Kommandant. »Es ist wie ein Hohn! Als ob sich die Priester heimlich über uns lustig machten.«

Empörtes Gemurmel entstand.

Latan-Rai hob die Krallenhand, woraufhin augenblicklich Ruhe einkehrte.

»Wer sagt uns, dass die Priester den Aarriid nicht längst gefunden haben?«, fragte er.

Alle Blicke waren auf den Tanjaj-Mar gerichtet, dessen muskulöse Fleischwülste über den großen, falkenhaften Augen sich zusammengezogen hatten. »Die Merillium-Preise steigen seit einiger Zeit kontinuierlich an. Die geweihten Händler werden von den Priestern überall dorthin geschickt, wo es zu haben ist. Und sie kaufen es in Massen und zu fast jedem Preis, der von ihnen verlangt wird.«

Das Mineral Merillium wirkte auf den Metabolismus eines Qriid als starkes Halluzinogen. Diese Substanz hatte für die Gläubigen eine besondere Bedeutung. Die massenhafte Einnahme von Merillium war Teil der Rituale, mit denen der neue Aarriid eingeführt wurde. Dem Glauben der Qriid nach kam es dadurch zu einer Geistverschmelzung aller gläubigen Qriid mit ihrem Aarriid. Gott sprach dann direkt zu seinen Gläubigen – so die Überlieferung…

So war der Merillium-Preis traditionell starken Schwankungen unterworfen. Die Einnahme des Minerals war außerhalb der Inthronisierungsrituale streng verboten, sodass dieses Mineral je nach Lebensdauer des amtierenden Aarriid manchmal für lange Zeitspannen völlig wertlos war. Schon wenn sich die Lebensspanne des Aarriid – die durch die Einnahme lebensverlängernder Substanzen um bis zu 40 Prozent höher war, als die eines gewöhnlichen Qriid – dem Ende näherte, stieg der Preis leicht an. Dasselbe galt, wenn der Aarriid starb und die Zeit der Suche begann. Überall im Imperium schwärmten dann die kleinen Sucher-Schiffe der Priesterschaft aus. Sie steuerten jede noch so unbedeutend erscheinende Kolonie der Vogelartigen an und ließen sich neu geschlüpfte Kinder zeigen. Sie suchten gewisse Merkmale, die in den geheimen Priesterschriften verzeichnet waren und niemals einem Außenstehenden verraten werden durften.

Nach welchen Gesichtspunkten die Priester letztlich den Aarriid bestimmten, lag vollkommen jenseits der Kontrolle aller Außenstehenden.

Irgendwann verkündete der amtierende Oberpriester, dass der von Gott erwählte Aarriid gefunden worden war, und die Feierlichkeiten konnten beginnen. Innerhalb kürzester Zeit war es dann im gesamten Qriid-Imperium unmöglich, noch eine Raumpassage zu buchen. Aber Milliarden von Qriid-Pilgern reisten nach Qatlanor und versuchten, dem neuen Aarriid bei dessen Inthronisierung im heiligen Tempelbezirk der Stadt so nahe wie möglich zu sein.

»Die Schiffe der Heiligen Händler steuern bereits Systeme außerhalb des Reiches an, um Merillium einzukaufen«, stellte Latan-Rai fest. »Ich nehme an, dass die Priesterschaft nur auf einen geeigneten Moment wartet, ehe sie den neuen Aarriid bekannt gibt. Sie sucht den taktischen Vorteil.« Der Kommandant der Tanjaj ließ ein durchdringendes Krächzen hören – der Qriid-Entsprechung eines zynischen Lachens.

»Dass es den Priestern um Dorton Laj in erster Linie um die Grundsätze des Glaubens geht, nehme ich ihnen schon lange nicht mehr ab. Ein Heide im frommen Priestergewand, der nach der absoluten Macht strebt – das ist unser ach so ehrenwerter Oberpriester!«

Noch nie zuvor hatte Latan-Rai derart offen seine Meinung über den amtierenden Oberpriester kund getan. Aber der Tanjaj-Mar traf auf viel Zustimmung unter den anderen Kommandanten.

»Das wäre Verrat am Glauben und am Imperium!«, rief einer der jüngeren Kommandanten.

Sein Name war Zorstan-Gas, und Latan-Rai hielt große Stücke auf ihn. In ferner Zukunft sah er in dem Jüngeren das Potential, einmal sein Nachfolger im Amt des Tanjaj-Mar zu werden. Schon jetzt betraute ihn der Oberbefehlshaber der ruhmreichen Flotte häufig mit Aufgaben, die sein besonderes Vertrauen erforderten.

So dachte Latan-Rai beispielsweise daran, Zorstan-Gas das Kommando über die Begleitflottille zu geben, die die Verhandlungsführer zu dem Geheimtreffen im System 5147 begleiten würde. Natürlich würde dann auch Zorstan-Gas selbst zur Delegation gehören und den Tanjaj-Mar jederzeit auf dem Laufenden halten.

Dgor-Non meldete sich noch einmal zu Wort.

»Wir müssen alle Eventualitäten in Betracht ziehen, Tanjaj-Mar«, sagte er. »Es gibt kaum etwas, das wir tun könnten, um die Zeit der Suche zu verkürzen, so sehr wir unseren Einfluss auch schwinden sehen. Die Priester haben nun einmal die Macht, die Inthronisierung des neuen Aarriid fast beliebig hinauszuzögern. Der einzige Fall, der uns berechtigen würde, den Krieg trotz der Gebote fortzusetzen, wäre ein Angriff der Menschen, womit nach unseren Geheimdienstinformationen nicht zu rechnen ist.«

»Die Gebote gestatteten uns dann, diesen Angriff abzuwehren – aber nicht mehr«, gab Latan-Rai zu bedenken.

»Das ist eine Frage der Interpretation«, erwiderte Dgor-Non mit einen schrillen, schabenden Geräusch, der durch das Reiben beider Schnabelhälften entstand.

»Einer Interpretation, deren Hoheit in den Händen der Priester liegt«, erwiderte Latan-Rai.

»Aber sie könnten es im Verteidigungsfall als vorteilhaft zur Sicherung ihrer eigenen Machtbasis ansehen, den Aarriid zu inthronisieren. Wir wären wahrscheinlich alle überrascht, wie schnell dieses Heilige Kind plötzlich ausgebrütet wäre!«

Allgemeines Schnabelklappern als Ausdruck der Heiterkeit war die Antwort des Kommandantenrates.

»Unglücklicherweise ist dieser Fall kaum wahrscheinlich«, meinte Latan-Rai.

»Die Priester haben eine lange Tradition darin, Wundern nachzuhelfen, die einfach nicht eintreten wollen«, sagte der alte General. »Wir sollten vielleicht auch damit beginnen.«

Dieser Fuchs!, dachte Latan-Rai. Ich habe ihn unterschätzt!

Immerhin konnte er sich angesichts des hohen Alters von Dgor-Non ziemlich sicher sein, dass dieser keinerlei Absicht hegte, sich selbst zu profilieren oder gar irgendwann in den Rang des Tanjaj-Mar zu erheben. Diese Ambitionen lagen lange hinter ihm.

»Ich werde darüber nachdenken«, verkündete Latan-Rai.

»Aber ein etwas näher liegendes Problem harrt noch einer Lösung. Was tun wir, wenn sich der Unterhändler der Priesterschaft tatsächlich mit den Menschen einigt? Dorton Laj ist verkommen genug, den Heiligen Krieg für seine eigenen Ziele zu opfern. Unseren Informationen nach gibt es auf der Zentralwelt der Menschheit Pläne, uns für das Versprechen eines dauerhaften Friedens sogar System 5147 zu überlassen.«

»Einen derartigen Handel dürfen wir nicht zulassen«, meldete sich Zorstan-Gas zu Wort. Die Entschiedenheit und Selbstbewusstsein, mit der dieser vergleichsweise junge Kommandant in dieser Runde auftrat, wirkte auf manche überraschend.

Alle Blicke waren jetzt auf ihn gerichtet.

Er wandte den Kopf in Richtung seines Tanjaj-Mar und Mentors Latan-Rai. Dieser senkte leicht den Kopf. Ein Zeichen der Bestätigung und der Unterstützung.

Lass ihn sich profilieren, dachte Latan-Rai. Das Imperium braucht starke Individuen wie ihn in dieser schweren Zeit der inneren Fäulnis.

»Notfalls müssen der Unterhändler und alle seine Begleiter getötet werden«, fuhr Zorstan-Gas fort.

»Der Mord an einem Priester ist ein Frevel!«, ereiferte sich einer der anderen Kommandanten.

»Ein Frevel, von dem ja niemand erfahren muss. Aber sollte sich die Lage wirklich so zuspitzen, wie unser Tanjaj-Mar es gerade skizziert hat, sehe ich darin eine Notwendigkeit zum Erhalt des Imperiums.«

»Es wäre die Hinrichtung eines Verräters, der seine Tat noch nicht vollendet hat«, erklärte Dgor-Non und signalisierte damit seine Zustimmung. »Die Gebote heißen eine derartige Vorgehensweise durchaus gut – auch wenn niemand unter den alten Schriftgelehrten sich offenbar vorstellen konnte, dass es ein Priester sein könnte, der das Imperium der Gläubigen verrät.«

»In dieser Sache muss Einigkeit bestehen«, sagte Latan-Rai.

»Denn wir riskieren sehr viel dabei. Wer immer dieser Vorgehensweise nicht zustimmt, möge seine Kralle jetzt heben oder ewig schweigen.«

Niemand hatte Widerspruch anzumelden.

»Hoffen wir, dass dieser Fall nicht eintritt«, sagte Dgor-Non.

»Gott würde uns verzeihen, die Priesterschaft aber wohl niemals…«

»Es gibt noch eine Sache, die im Zusammenhang mit dem Treffen in System 5147 besprochen werden muss«, kündigte Latan-Rai an. »Da wir das Treffen an sich nicht verhindern können, sollte es noch einem anderen geheimen Zweck dienen, der mit einem Menschen-Raumschiff namens STERNENKRIEGER zu tun hat. Ich werde dazu jetzt ein paar Erläuterungen geben…«

*

In den letzten vier Tagen hatten die Arbeiten an der STERNENKRIEGER erhebliche Fortschritte gemacht. Fast die gesamte Mannschaft war inzwischen an Bord, und Rena Sunfrost wagte die Prognose, dass das Schiff in ein bis zwei Tagen startklar war.

Inzwischen hatte Sunfrost auch von Commodore Jackson den offiziellen Marschbefehl ins Bannister-System bekommen.

Allerdings hatte sie ausdrückliche Order, nur Wong und Kronstein einzuweihen, was sie bisher noch nicht getan hatte.

Wongs Ermittlungen, was den Tod von Commander Reilly anging, traten auf der Stelle. Er hatte lediglich herausgefunden, dass das Shuttle, das kurz vor der Explosion an die STERNENKRIEGER angedockt hatte, vermutlich vom Genfer Raumhafen aus gestartet war und einer Verleihfirma gehörte.

Der Pilot hatte zwar eine gültige Raumlizenz vorgezeigt, aber seine Identität war offensichtlich falsch.

Sunfrost hatte sich dazu entschlossen, über den tatsächlichen oder angeblichen Mordfall Reilly mit allen Offizieren des Schiffes zu sprechen und die Angelegenheit nicht als Geheimsache im kleinen Kreis zu handeln. Schließlich wusste zumindest Lieutenant White durch ihre Assistenz von Wongs Ermittlungen, und Sunfrost nahm an, dass auch die anderen Offiziere längst eingeweiht waren.

Wahrscheinlich war der Verdacht, dass der ehemalige STERNENKRIEGER-Captain vielleicht Opfer eines Anschlags geworden war, sogar Gesprächsstoff unter den Mannschaftsgraden.

Daher saß sie nun mit ihrem gesamten Offiziersstab im Konferenzraum der STERNENKRIEGER – der schon jetzt überfüllt wirkte.

Gerade erstattete Lieutenant Kronstein zu dieser Angelegenheit Bericht. Er war erfolgreicher gewesen als der Erste Offizier, indem er sämtliche ausgehenden und eintreffenden Transmissionsdaten der letzten Zeit unter die Lupe genommen hatte und auf etwas Interessantes gestoßen war.

»Kurz vor dem Zeitpunkt der Explosion gab es eine verschlüsselte Richtstrahl- Überlichttransmission«, sagte er.

»Sie bestand aus einer codierten Impulsfolge, die ich nicht zu entschlüsseln vermag. Diese Transmission war darüber hinaus äußerst geschickt unter anderen Daten versteckt worden, die zur gleichen Zeit die STERNENKRIEGER verließen, zum Beispiel die automatisch laufende Routinekommunikation mit dem Zentralrechner von Spacedock 13.«

»Mein Respekt, Lieutenant Kronstein«, sagte Sunfrost. »Es scheint so, als hätten Sie aus diesem Datenwust die einzige Perle herausgepickt, die uns weiterbringen kann…«

»Das ist nicht gesagt, Captain. Es könnte sein, dass da nur jemand eine private Nachricht schicken wollte, keine Lust hatte, Gebühren dafür zu zahlen, und deswegen seine Übertragung in den Strom der abgehenden Daten gemischt hat. Bei kleinen Speichermengen geht das, ohne dass es auffällt und in diesem Fall wäre es auch nicht auf gefallen, wenn ich nicht gezielt danach gesucht hätte.«

Kronstein lächelte spitzbübisch und zwang Sunfrost damit förmlich dazu, dieses Lächeln zu erwidern.

»Es waren nur Captain Reilly und der Unbekannte aus dem Shuttle an Bord«, gab Wong äußerlich ungerührt zu bedenken, dem das stumme Einvernehmen zwischen Kronstein und Sunfrost nicht entgangen war.

»Mal vorausgesetzt, dieser Unbekannte existierte tatsächlich«, erwiderte der Lieutenant. »Aber seien wir doch mal ehrlich, die meisten von uns haben den Trick, den ich gerade beschrieben habe, schon einmal benutzt, um den Lichtjahre weit entfernten Lieben einen Gruß zu schicken. Da ist man schon allein in der Unendlichkeit, und dann soll man für seine persönlichen Botschaften auch noch Gebühren entrichten! Wer empfindet das schon als gerecht? Es ist zwar streng genommen eine illegale Aneignung von flotteneigenem Kommunikationsvolumen, aber ich kenne keinen öffentlich bekannt gewordenen Fall, dass ein Angehöriger des Space Army Corps dafür jemals vor Gericht gestellt worden wäre. Und ein Heiliger war Captain Reilly nun wirklich nicht! Der hat bei Vorschriften gerne mal Fünf gerade sein lassen.«

Rena hatte von dieser Methode auch schon gehört, sie selbst aber nie angewendet. Vielleicht lag es daran, dass die Zahl ihrer »Lieben, denen sie eine private Nachricht hätte schicken können« im Laufe der Zeit einfach zu klein geworden war. Da waren ihre Eltern, ihre Schwester, einige Freunde… Außerdem war die Veruntreuung von Regierungseigentum – und darunter fiel auch Kommunikationsvolumen oder Speicherplatz – letztlich ein Grund für die unehrenhafte Entlassung, und das hätte Sunfrost für eine relativ geringfügige Ersparnis niemals riskiert.

»Konnten Sie den Zielpunkt des Richtstrahl ermitteln?«, hakte sie nach.

Kronstein nickte. »Das Bannister-System.«

»Und warum sollte Captain Reilly dorthin eine Nachricht schicken?«, fragte Wong skeptisch.

»Das habe ich auch überprüft, Sir«, wandte sich Kronstein jetzt direkt an den Ersten Offizier. »Im privaten Kreis hat er des Öfteren mal von einer alten Flamme gesprochen. Teresa Gonzales. Captain Reilly hatte seine sentimentale Seite. Er ist von dieser Teresa nie wirklich losgekommen, wollte sich aber andererseits nicht dauerhaft binden, weil er meinte, das wäre mit seinem Job unvereinbar. Ich habe herausgefunden, dass Teresa Gonzales als Ärztin in Asimovtown auf Bannister IV praktiziert.«

Wong wandte sich an Sunfrost. »Ich bin dafür, dass Sie noch einmal eine offizielle Untersuchung verlangen. Meiner Ansicht nach reichen die neuen Indizien dafür aus.«

»Nein, das werde ich nicht tun, I.O.«, erwiderte Sunfrost etwas schroffer, als sie es eigentlich beabsichtigt hatte.

»Darf ich Sie bitten, Ihre Entscheidung zu erläutern?«, hakte Wong nach, der sich alle Mühe gab, den Ärger, der jetzt in seinem Inneren tobte, so wenig wie möglich nach außen dringen zu lassen. Sein Gesicht wirkte regungslos, die Lippen waren aufeinander gepresst und wirken wie ein gerader Strich.

»Bei unseren letzten Gesprächen vermittelten Sie mir den Eindruck, dass Sie meinen Verdacht teilten«, fuhr er fort, als der Captain nicht sofort antwortete. »Ich muss schon sagen, dass ich etwas irritiert bin, Ma'am.«

Seine Stimme klirrte wie Eis.

Wer von uns beiden hätte in diesem Moment den Spitznamen Eisbiest wohl mehr verdient, Wong?, ging es Sunfrost durch den Kopf, während sie ihre Gedanken ordnete. Sie spürte, dass in dieser Sekunde das gesamte Offizierskorps der STERNENKRIEGER, Wongs Ablehnung teilte. David Kronstein eingeschlossen. Und das tat Sunfrost besonders weh. Eine klare Linie ist immer der beste Weg, dachte sie. Dieser Maxime war sie stets gefolgt und damit gut gefahren. Es war sinnlos, etwas nur im Hinblick auf die Reaktion eines anderen willen zu tun oder zu lassen, wenn die sachliche Begründung dafür einer objektiven Prüfung nicht standhielt.

»Ich werde keine Untersuchung verlangen«, sagte sie, »weil ich mir sicher bin, dass man sie ablehnen würde. Im Gegensatz zu Ihnen, Lieutenant Commander Wong, bin ich überzeugt, dass wir damit keinen Erfolg hätten. Dass ich Ihren Verdacht teile, stimmt allerdings auch. Also schlage ich vor, dass Sie weiter ermitteln wie bisher. Sollten wir während unseres Fluges in unser nächstes Einsatzgebiet zu dem Schluss kommen, dass eine Untersuchung notwendig ist, hätte ich das Recht, sie in eigener Verantwortung anzuordnen. Ich habe mir die Dienstvorschrift diesbezüglich noch mal genau angesehen.«

Sunfrost wandte sich an Wong. »Ich glaube, diese Vorgehensweise dient unserer Sache am besten. Sie und Lieutenant Kronstein möchte ich gleich noch zu einem Sechs-Augen-Gespräch hier behalten. Die übrigen Offiziere möchte ich nicht länger von ihren Aufgaben abhalten.«

*

Nachdem die andern Offiziere gegangen waren, fasste Sunfrost in knappen Worten den bisher nur ihr bekannten Befehl über den Einsatz im Bannister-System zusammen.

»Es mag ja sein, dass Captain Reilly im Bannister-System eine Flamme hat, von der er nicht loskam«, gestand Sunfrost mit Blick auf Lieutenant Kronstein zu. »Aber die Wahrscheinlichkeit ist genauso groß, dass diese verschlüsselte Nachricht irgendetwas mit dem Einsatz im Bannister-System zu tun hat. Captain Reilly waren die Einzelheiten dieses Einsatzes bereits bekannt.«

»Es ist gut möglich, dass wir dem Motiv für den Mord an Reilly einen Schritt näher gekommen sind«, meinte Wong.

»Vielleicht liegt sogar der Schlüssel des Falles dort – im Bannister-System«, sagte Sunfrost. »Wir werden sehen… Lieutenant Kronstein?«

»Ja, Captain?« Er erwiderte ihren Blick.

»Halten Sie es für möglich, dass Sie das Transmissions-Signal doch noch entschlüsseln?«

»Ich kann es versuchen. Außerdem gibt es Sektoren in den Datenspeichern, die offenbar kurz vor der Explosion, die Commander Reilly das Leben kostete, gelöscht wurden. Wohlgemerkt vor der Explosion und nicht durch den anschließenden Computercrash. Eventuell kann man einen Teil dieser Daten rekonstruieren.«

»Versuchen Sie es. Als Zeitpunkt für unseren Start habe ich 1106 OZ Spacedock 13 festgelegt. Ich denke, das müssten wir schaffen.«

*

Die Stammbesatzung der Brücke war auf Posten, die Startvorbereitungen befanden sich noch in der letzten Phase.

Kurz bevor der Starttermin angesetzt war, erreichte ein von der Erde gestartetes Shuttle die STERNENKRIEGER und bat um Erlaubnis zum Andocken.

An Bord befand sich Kassan Rendup, der sich jetzt meldete.

»Wir haben Sie sehnsüchtig erwartet, Mister Rendup«, antwortete Sunfrost über die frei geschaltete Funkphase. »Sie haben uns lange warten lassen!«

»Es war leider aus dienstlichen Gründen nicht möglich, früher an Bord zu gehen, Captain«, antwortete der Geheimdienstler.

Auf dem kleinen Display ihrer Konsole sah Sunfrost sein Gesicht. Er hatte einen stechenden, überprüfenden Blick, bei dem man das Gefühl bekam, dass Rendup damit selbst Gedanken erkennen konnte. Das Haar war grau. Die Augenbrauen bildeten leicht nach oben zeigende Linien.

»Ich stehe Ihnen von nun an jederzeit zur Verfügung, Captain«, versprach er.

»Freut mich zu hören, Mister Rendup. Kommen Sie an Bord!«

Dieser Mann ist dir auf Anhieb unsympathisch. Wie kommt das?, fragte sich Rena, sofort nachdem die Verbindung unterbrochen war.

Sie konnte sich diese Regung nicht erklären. Es war einfach eine spontane Empfindung, ohne dass sie genau sagen konnte, was ihr an Rendup missfiel.

Nachdem er an Bord gekommen und das Shuttle per Fernsteuerung in einem der Hangars von Spacedock 13 gelandet war, konnte die STERNENKRIEGER endlich starten.

Captain Sunfrost hatte in ihrem Kommandosessel Platz genommen.

»Ionentriebwerke aktiviert«, meldete Lieutenant White, die sich zwar überwiegend in den Kontrollräumen für die Maschinen aufhielt, aber auch auf der Brücke ihre Konsole besaß, von der aus die Triebwerke geregelt werden konnten.

Ein leichtes Rumoren ging durch die STERNENKRIEGER und ließ den Boden vibrieren. Halbe Lichtgeschwindigkeit war das Maximum, das man aus den Unterlichttriebwerken herausholen konnte. Mit wesentlich mehr war auch in Zukunft nicht zu rechnen.

»Die Kursdaten liegen Ihnen vor, Lieutenant Taranos«, wandte sich Sunfrost an den Ruderoffizier.

Ihm war die Nervosität anzusehen, aber Sunfrost war überzeugt davon, dass er sich schnell auf seinem neuen Posten bewähren würde.

»Ja, Captain«, bestätigte er.

»Gehen Sie auf maximale Beschleunigung. Übertritt in den Sandström-Raum bei exakt vierzig Prozent der Lichtgeschwindigkeit.«

»Aye, Captain.«

Auf dem großen Panoramabildschirm funkelten die Sterne, während das Rumoren der Maschinen noch etwas anschwoll.

Lediglich in der Aufwärmphase der Iontriebwerke war das zu spüren.

Das ist sie also, meine erste Mission als Captain eines Überlichtschiffs, ging es Sunfrost durch den Kopf. Scheint, als wäre unser Rudergänger nicht der Einzige, der im Augenblick etwas nervös ist.

Auf dem großen Panoramabildschirm war noch ein Abschnitt von Spacedock 13 zu sehen. Aber die STERNENKRIEGER war im Begriff sich zu drehen und Fahrt aufzunehmen.

Die Beschleunigungsphase würde eine ganze Weile dauern.

Insgesamt veranschlagte Sunfrost für die Reise ins 56 Lichtjahre entfernte Bannister-System etwas mehr als eine Woche im Sandström-Kontinuum.

»Ein Funkspruch erreicht das Schiff«, meldete Kronstein. »Es ist Admiral Raimondo.«

»Legen Sie das Gespräch bitte in meinen Raum«, befahl Sunfrost.

»Aye, Captain.«

Sunfrost wandte sich an Wong. »Sie haben die Brücke, I.O.«

»Ja, Ma'am.«

Kurz bevor Sunfrost die Schiebetür zu ihrem Raum erreichte, betrat durch den eigentlichen Eingang Kassan Rendup die Brücke. Er war größer und breiter, als sie ihn von seiner Erscheinung auf dem Display her geschätzt hätte.

Sie ging weiter. Sollte Wong ihn begrüßen.

Zwei Männer mit regungslos starrer Miene. Das wird ein herzlicher Empfang, dachte Sunfrost ironisch. Aber mich nennen sie das Eisbiest!

Rena setzte sich an ihren Schreibtisch und aktivierte einen Bildschirm, auf dem Kopf und Oberkörper von Admiral Raimondo erschienen. Die Funkphase war frei geschaltet.

»Admiral?«, sagte sie als Gruß.

»Ich wollte Ihnen zu Ihrer ersten Mission als Captain der STERNENKRIEGER persönlich viel Glück wünschen, Commander.«

»Danke, Sir.«

»Es hängt viel von Ihnen und Ihrer Crew ab. Aber ich bin überzeugt davon, dass Sie die Fähigkeit haben, notfalls zu improvisieren und die richtigen Entscheidungen zu treffen.«

Sunfrost lächelte. »Ich danke Ihnen Sir.«

»Auf Wiedersehen, Commander Sunfrost.«

*

Die Tage während der Sandström-Passage vergingen mit Routinetätigkeiten.

Lieutenant Kronstein gelang es weder, die verschlüsselte Transmission zu decodieren, noch wesentliche und aussagekräftige Teile der gelöschten Daten zu rekonstruieren.

Kassan Rendup, der Geheimdienstoffizier, hielt sich weitgehend im Hintergrund. Er nahm an den Sitzungen des Offizierskorps teil und einigen Äußerungen konnte Sunfrost entnehmen, dass er über die Verhältnisse im Bannister-System bestens Bescheid wusste.

Über seine Kompetenz gab es keinen Zweifel. Aber dieser Umstand machte ihn in Sunfrosts Augen kaum sympathischer.

Am dritten Tag nach dem Start von Spacedock 13 bat Rendup Captain Sunfrost um eine Unterredung unter vier Augen.

Rena bat ihn in ihren Raum.

»Was ist Ihr Anliegen, Mister Rendup?«, fragte sie.

»Dieses Schiff wurde mit einem besonderen System zur Datenverschlüsselung ausgerüstet.« Es war keine Frage.

»Sie sind gut informiert«, musste Rena zugestehen.

»Ich brauche einen verschlüsselten Überlichtkommunikationskanal und einen entsprechenden Zugang zum Bordrechner, der vom Kommunikationsoffizier nicht zu kontrollieren ist.«

»Davon ist weder in der offiziellen Order die Rede, die ich von Commodore Jackson erhielt, noch erwähnte Admiral Raimondo etwas davon.«

»Ich besitze eine Alpha-Autorisation, die mich dazu berechtigt. Überprüfen Sie das und funken Sie Admiral Jackson an, der wird Ihnen bestätigen, dass diese Maßnahme im Rahmen der Missionsorder liegt.« Er setzte ein gewinnendes Lächeln auf, das Sunfrost nicht erwiderte.

»Vertrauen Sie mir, Rena!«

So eine Indiskretion konnte Sunfrost kaum fassen.

»Für Sie bin ich der Captain, Mister Rendup«, sagte sie kalt.

Rendup hob die Augenbrauen. »Und wie lautet Ihre Entscheidung, Captain?«

Sunfrost atmete tief durch: »Sie bekommen Ihren Kom-Kanal, sobald die Bestätigung von Admiral Jackson eintrifft.«

Rendup grinste breit. »Danke, Captain!«

Er wollte gehen.

Er hatte schon die Tür erreicht, als Rena Sunfrosts Worte ihn zurückhielten. »Ach, Mister Rendup, eine Frage.«

»Ma'am?«

»Wie gut kannten Sie eigentlich meinen Vorgänger, Captain Reilly?« Rendup schien überrascht über die Frage zu sein.

»Mein Erster Offizier hat die Eintragungen in Captain Reillys Terminplaner überprüft und darin Ihren Namen gefunden, Mister Rendup.«

»Ich kannte ihn nur flüchtig. Wir haben Einzelheiten der bevorstehenden Bannister-Mission besprochen, die er ja leider nicht mehr durchführen konnte. Persönlich kann ich mir kein Urteil über ihn erlauben.«

»Können Sie sich denn ein Urteil über die Frage erlauben, wer ihn ermordet haben sollte – und vor allem warum?«

Rendups Gesicht wurde zu einer kühlen Maske. »Sie überraschen mich erneut. Ich dachte, die Untersuchungen wären offiziell abgeschlossen.«

»Ich habe die offizielle Wiederaufnahme angeordnet und meine Gründe dafür. Als Captain eines Raumschiffs im fernen Raumeinsatz, wie es so schön heißt, habe ich das Recht dazu.«

Rendup zuckte die Achseln. »Sollte es sich um ein Attentat und nicht um einen Unfall gehandelt haben, so würde ich sagen, dass als Verdächtige in erster Linie die Bannister Freistaatler in Frage kommen. Diese Fanatiker könnten sich dadurch erhofft haben, dass es zu Verzögerungen in Bezug auf das Treffen mit den Qriid kommt, die das um jeden Preis verhindern wollen. Schließlich hält sich unter den Bannister-Siedlern ja das hartnäckige Gerücht, dass das gesamte System den Geierköpfen überlassen werden soll.«

»Manche Gerüchte entsprechen der Wahrheit.«

»Wirklich?«

»Sie können gehen.«

*

Die Bestätigung von Admiral Jackson erfolgte umgehend, also gab es für Sunfrost keinen Grund, Brandup den codierten Kom-Kanal vorzuenthalten.

Sie besprach die Angelegenheit mit Wong, der Mühe hatte, ruhig zu bleiben. »Ich traue diesem Mann nicht. Dass er einen unkontrollierten Kom-Kanal erhält, gefällt mir nicht.«

»I.O., in unserer Antipathie gegenüber Rendup sind wir uns einig. Aber er ist mit seinen Kenntnissen ein wichtiger Faktor bei dieser Mission, und ich erwarte von Ihnen, dass Sie ihn wie ein vollwertiges Mitglied unseres Teams behandeln.«

»Das ist viel verlangt, Ma'am.«

»Sie sind mein Erster Offizier. An den habe ich nun einmal hohe Erwartungen – auch, was die Charakterstärke angeht.«

Wong schwieg.

Ein Schweigen, das Sunfrost nicht gefiel. Es war in ihren Augen unangenehmer, als offener Protest oder Gegnerschaft. Und dabei dachte ich schon, das wir uns endlich aufeinander zubewegen!

*

In einem der Aufenthaltsräume begegnete Sunfrost Bruder Guillermo.

Der Olvanorer befand sich außerhalb jeder Rangordnung.

Er war ein Berater, der zwar in mancher Hinsicht die Privilegien eines Offiziers genoss – so hatte er eine Einzelkabine –, der aber natürlich keinerlei Befehlsgewalt ausüben konnte.

Rena ging an den Getränkeautomaten und zog sich einen Kaffee.

»Irgendwann werde ich dieses Ding noch einmal so programmieren, dass es richtig Kaffee kochen lernt«, murmelte sie, nachdem sie einen kleinen Schluck genommen hatte.

Bruder Guillermo lächelte amüsiert. »Ich selbst bevorzuge Syntho-Drinks.« Er blickte Rena an und schaute dann zur Seite.

Er hat etwas gesehen, das er mir nicht sagen will, erkannte Sunfrost sofort.

»Ich hoffe, Sie haben sich an Bord inzwischen gut eingelebt«, begann der Olvanorer eine lockere Unterhaltung.

»Es geht, Bruder Guillermo.« Warum sollte ich nicht einfach ihn fragen?, ging es ihr dabei durch den Kopf. Wetten, dass er sich auch schon seine Gedanken über das Problem zwischen dem Captain und seinem Ersten Offizier gemacht hat.

Sekunden des Schweigens gingen dahin. Ein unsicher wirkendes Lächeln glitt über Guillermos Gesicht.

Schließlich entschloss sich Sunfrost zum Frontalangriff. »Sie werden die Spannungen bemerkt haben, die zwischen mir und meinen Ersten Offizier bestehen.«

»Sie geben sich beide große Mühe, davon nichts nach außen dringen zu lassen.«

»Wie ich sehe vergeblich.«

Bruder Guillermo lächelte etwas verkrampft. »Dass sich Lieutenant Commander Wong Hoffnungen gemacht hat, selbst für dieses Kommando berufen zu werden, wissen Sie vermutlich längst.«

»Allerdings.«

»Ich habe ihm klarzumachen versucht, dass diese Hoffnungen illusorisch waren. Er kann nicht erwarten, auch in den nächsten Jahren ständig Rekorde darin aufzustellen, jeweils der Jüngste in seinem Rang zu sein.«

»Wie hat er darauf reagiert?«, fragte Rena.

»Er hat mich ignoriert.«

»Wie charmant.«

»Sie sollten Wongs Reaktion auf Sie nicht zuviel Bedeutung beimessen«, wiegelte der Olvanorer ab. »Ich kenne ihn so lange, wie er hier auf der STERNENKRIEGER bereits Erster Offizier ist. Er wird sich mit den Gegebenheiten abfinden. Geben Sie ihm einfach noch etwas Zeit.«

»Ich brauche einen I.O., der absolut loyal ist.«

»Daran sollten Sie bei Wong niemals zweifeln, Captain. Selbst wenn er Sie so abweisend behandelt, dass einem jeder Gefängniswärter dagegen freundlich vorkommt!«

Ein Lächeln spielte um Sunfrosts Mundwinkel. »Vielleicht haben Sie Recht, Bruder Guillermo.« Sie nippte an ihrem Kaffee.

So übel schmeckt er auch wieder nicht!

*

Auf dem großen Panoramabildschirm leuchtete ein gelber Stern von doppelter Solgröße – Bannister.

Er war nach Eric Bannister benannt worden, einem Raumfahrer und Kartographen, der dieses Gebiet als Erster erforscht hatte.

Sunfrost hatte sich inzwischen umfassend über das System informiert. Fünfzehn Planeten umkreisten die Sonne. Die Planeten III, IV und V waren erdähnlich – eine Konstellation, die durchaus Seltenheitswert hatte. Nummer VI war eine marsähnliche Wüstenwelt mit Kohlendioxidatmosphäre, auf der nur ein paar hundert Prospektoren nach Rohstoffen suchten.

Gegenwärtig war es vor allem Merillium, das dort abgebaut wurde. Die so genannten Heiligen Händler der Qriid flogen Bannister VI daher des Öfteren an, um Ladung aufzunehmen und ins Qriid-Imperium zu bringen.

Die Händler-Schiffe waren unbewaffnet und bedeuteten daher keine Gefahr. Der Hohe Rat der Humanen Welten sah in der Aufnahme von Handelsbeziehungen ein Zeichen dafür, dass vielleicht doch ein dauerhafter Friede mit den Qriid möglich war. Sunfrost hatte die Debatten im Rat nur flüchtig verfolgt, aber dieses Argument spielte darin immer wieder eine Rolle auf Seiten der Anhänger von Julian Lang.

Aber das ist ein Problem, mit dem sich Raimondo herumzuschlagen hat, dachte Sunfrost.

Sie beneidete den Admiral dafür nicht…

Neben der Stammcrew an Brückenoffizieren befanden sich auch Rendup und Bruder Guillermo in der Schiffszentrale des Kreuzers.

Sunfrost war es gewesen, die Bruder Guillermo darum gebeten hatte, auf der Brücke zu sein, da er ein ausgewiesener Experte war, was die Qriid anging.

Es gab auf Bannister V eine Ordenssiedlung der Olvanorer, wo etwa vierhundert Brüder lebten – zumeist Forscher und Wissenschaftler. Manche von ihnen hatten dort sogar Frau und Kinder. Der Order der Olvanorer war zwar aus den christlichen Mönchsorden hervorgegangen, kannte aber im Gegensatz zu diesen kein Zölibat.

Bannister IV war eine Wasserwelt, die überwiegend von Ozeanen bedeckt wurde.

In der Äquatorgegend existierten vergleichsweise kleine Landmassen und Inseln. Auf einer dieser Inseln lag die Stadt Asimovtown, benannt nach dem altirdischen Schriftsteller der Prä-Weltraum-Ära.

Darüber hinaus gab es noch ein paar Plattformen, die der Algenzucht dienten.

Die meisten Bannister-Siedler lebten jedoch auf Planet III. Hier war vor kurzem ein Freistaat ausgerufen worden. Man akzeptierte nicht mehr die Autorität des Hohen Rates.

Damit wollte man einerseits gegen die Vernachlässigung durch den Space Army Corps protestieren. Man empfand es als lächerlich, dass im Bannister-System lediglich ein paar kleinere bewaffnete Raumboote stationiert waren. Keines von ihnen mit Überlichtantrieb. Der Grund dafür lag auf der Hand. Der Ratsvorsitzende Ling wollte eine Provokation der Qriid unter allen Umständen vermeiden. Daher hielt man die Flottendichte in diesem Raumsektor bewusst gering.

Der Hauptgrund für die Siedler von Bannister III, sich zum Freistaat zu erklären war aber wohl, dass man damit einer Übergabe des Systems an die Qriid vorbeugen wollte. Das Bannister-System – so die Argumentation der Freistaatler – gehörte nicht mehr zu den Humanen Welten, und daher hatte diese auch nicht das Recht, derartige Entscheidungen zu treffen.

Die STERNENKRIEGER hatte schon eine ganze Weile den Gegenschub aktiviert und abgebremst.

Sie befand sich jetzt auf der Höhe des siebten Planeten, einem Gasriesen mit vierundzwanzig Monden, von denen die meisten noch unerforscht waren. Ab und zu flogen Olvanorer von Planet IV hierher, um Messungen durchzuführen. Aber ansonsten war das Interesse an diesem Subsystem eher gering.

»Fahren Sie die Ionentriebwerke auf ein Drittel Lichtgeschwindigkeit herunter«, befahl Sunfrost an Lieutenant Taranos, den Rudergänger gerichtet.

»Aye, Aye, Captain.«

»Lieutenant Kronstein? Senden Sie an alle uns bekannten Menschen-Siedlungen im System eine Grußbotschaft.«

»In Ordnung«, bestätigte der Kommunikationsoffizier.

»Wohin werden wir uns als Erstes wenden?«, fragte Wong.

»Wir haben zwei Tage bis zu dem Geheimtreffen«, erklärte Captain Sunfrost. »Unser Auftrag lautet: Die Lage aufklären und sicherheitsrelevante Auffälligkeiten registrieren.«

»Captain, unsere Grußbotschaften werden beantwortet«, meldete Lieutenant Kronstein.

»Und?«, fragte Sunfrost.

»Die Olvanorer von Bannister V heißen uns willkommen und bieten uns jede nur erdenkliche Hilfe und Unterstützung an. Aus Asimovtown kommt eine Botschaft mit einem ähnlichen Inhalt, nur deutlich weniger herzlich formuliert. Die Prospektoren auf Planet VI bitten uns um ein paar technische Ersatzteile.«

»Und was ist mit dem so genannten Bannister-Freistaat auf Planet III?«, hakte Captain Sunfrost nach.

David Kronstein zuckte die Achseln. »Bislang Fehlanzeige, Captain. Sie ignorieren uns einfach.«

Sunfrost wandte sich an Wong. »Ich schlage vor, dass wir uns dem größten Problem zuerst zu wenden, I.O.«

»Ich bin derselben Meinung, Captain.«

»Ruder?«, wandte sich Sunfrost nun an Lieutenant Taranos.

»Kurs auf Planet III. Sobald wir dort angekommen sind, gehen wir in ein stabiles Orbit. Mister Wong, Sie haben die Brücke. Ich werde ein Landeteam zusammenstellen, um mit den Anführern der Freistaatler Kontakt aufzunehmen.«

»Nehmen Sie besser ein paar Marines mehr mit, Captain«, schlug Kassan Rendup vor. »Die Brüder können ziemlich rabiat werden, wie man in letzter Zeit so hört!«

»Ich danke Ihnen für den Hinweis, Mister Rendup.« Sunfrost wandte sich Bruder Guillermo zu. »Ich hätte gerne, dass Sie mich begleiten.«

»Gerne, Captain«, antwortete der Olvanorer, »aber überschätzen Sie meine Fähigkeiten nicht.«

»Ich denke, es wird Vertrauen erweckend wirken, wenn wenigstens einer im Landeteam auf den ersten Blick als jemand erkennbar ist, der nicht dem Space Army Corps angehört. Unser Ansehen scheint auf Planet III ja in letzter Zeit etwas gelitten zu haben.«

»Wie Sie meinen…«

Warum diese Unsicherheit?, überlegte Sunfrost. Dazu hat er nicht den geringsten Anlass.

Sie wandte sich an den Ruderoffizier. »Taranos! Ich brauche einen guten Piloten. Lassen Sie sich hier von einem der Fähnriche vertreten.«

»Aye, Ma'am.«

Sunfrosts Blick blieb an Kronstein hängen.

»Ich hoffe, Sie denken nicht daran, mich ebenfalls für das Außenteam vorzusehen«, sagte er lächelnd.

Auf seiner Wange bildeten sich dabei Grübchen. Sunfrost gefiel das.

»Warum?«, fragte sie. »Erschreckt Sie der Gedanke so sehr, mit mir unter diese Fanatiker zu gehen?«

»Nein, Captain. Aber ich möchte noch einmal versuchen, das Funksignal zu decodieren. Sie wissen schon.«

»Natürlich. Außerdem sollten Sie den Funkverkehr im System analysieren, soweit das möglich ist. Vielleicht erfahren wir auf diese Weise ja ein paar lokale Neuigkeiten…«

*

Die L-1 war eine von drei bewaffneten Landefähren der STERNENKRIEGER, die jeweils Platz für zehn Mann Besatzung boten.

Sunfrost hatte sich ihr Bodenteam mit Bedacht ausgesucht.

Außer Bruder Guillermo und Lieutenant Taranos befanden sich Sergeant Oliver Rolfson und sechs seiner Marines in der Fähre.

Jeder an Bord trug einen Nadler zur Selbstverteidigung. Die Marines trugen leichte Kampfmontur, aber zusätzlich zu ihren Nadlern auch schwere Gauss-Gewehre, deren Projektilgeschwindigkeit bis zu zweihundertfacher Schallgeschwindigkeit stufenlos regelbar war – je nachdem welche Wirkung erzielt werden sollte.

Ins Visier ihrer Kampfhelme war ein Display eingearbeitet, mit dem das Ziel erfasst werden konnte.

Taranos saß an der Steuerkonsole der L-1, auf deren Hauptbildschirm die blaugrüne Kugel von Bannister III erkennbar war. Es gab einige braune Flecke auf der Oberfläche, wo sich wüstenartige, vegetationsarme Gebiete befanden.

Sunfrost hatte noch zweimal versucht, die selbst ernannte Regierung des Bannister-Freistaats anzufunken. Bislang ohne Erfolg. Offenbar wollte man mit dem Space Army Corps nichts zu tun haben. Die Verbitterung der Siedler musste tief sitzen. Vor allem die an die Öffentlichkeit gelangten Pläne für eine Übergabe an die Qriid mussten sie außerordentlich hart getroffen haben.

Sunfrost versuchte, sich in die Lage dieser Siedler zu versetzen, die durch die politische Entwicklung alles zu verlieren drohten, was sie aufgebaut hatten. Den Krieg gegen die Qriid hatten ihre Siedlungen überstanden, aber mit dem Federstrich unter einen Vertrag sollte für ihre Existenzen das Ende kommen.

Sunfrost gestand zu, dass das alles nur schwer hinnehmbar für jemanden war, der sich fern der mit guter Infrastruktur versehenen älteren Kolonien wie dem Mars oder den Wega-Planeten etwas im Schweiße seines Angesichts aufgebaut hatte.

Aber das, was zumindest ein Teil der Bannister-Siedler im Moment veranstaltete, glich einem Amoklauf.

Im Notfall hatte ein Bannister-Freistaat natürlich nicht den Hauch einer Chance, sich selbst zu behaupten. Weder gegen die Humanen Welten, noch gegen die Qriid.

Die L-1 tauchte unterdessen in die kobaltblau schimmernde Stratosphäre von Bannister III ein.

»Diese Welt gleicht einem Paradies«, erklärte Bruder Guillermo. »Ich war schon einmal dort. 24 Prozent Sauerstoff! Da können Sie mal wieder tief durchatmen, Commander!«

»Ich hoffe nur, dass wir nicht in Auseinandersetzungen verwickelt werden«, sagte Sunfrost und wandte sich an Sergeant Rolfson. »Keiner von Ihren Marines sollte sich provozieren lassen. Die Gemütslage der Kolonisten dürfte der Empfindlichkeit eines rohen Eis entsprechen!«

»Keine Sorge, Ma'am!«, erwiderte Rolfson. »Das ist nicht der erste heikle Job, den wir erledigen.« Er grinste breit.

»Ich nehme jetzt direkten Kurs auf Bannister City«, erklärte Taranos. »Soll ich auf dem offiziellen Landefeld des dortigen Raumhafens landen?«

»Nur, wenn wir bis dahin eine Erlaubnis dazu haben. Andernfalls landen wir einfach in der Nähe und gehen zu Fuß bis zur Stadt.«

Ein Ruck ging durch Taranos. Er blickte auf seine Anzeigen.

»Ein Funkspruch, Captain. Aus Bannister City.«

Rena atmete tief durch. »Na endlich! Schalten Sie ihn durch, Taranos.«

»Aye, Captain.«

Auf dem Hauptbildschirm bildete sich ein Teilfenster, in dem das grimmig wirkende Gesicht eines bärtigen Mannes erschien.

»Hier spricht Abdul Anderson, gewählter Präsident des Bannister Freistaats. Sie schicken sich an, auf unserem Planeten zu landen. Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass Sie unsere Hoheitsrechte verletzen und die Konsequenzen dafür tragen müssen.«

»Hier spricht Commander Sunfrost, Captain des Leichten Kreuzers STERNENKRIEGER. Wir sind hier, um Sie zu schützen und die Lage im System zu beruhigen, nicht, um Öl ins Feuer zu gießen.«

Anderson lachte auf. »Sie wollen unsere Heimat an die Qriid verschachern, weil sie glauben, dass es dann zu einem dauerhaften Frieden kommt.«

»Nein, das ist nicht wahr.«

»Dann haben Sie keine Verhandlungsvollmacht darüber, mit den Geierköpfen über das Schicksal dieses Systems zu verhandeln?«

»Wer hat Ihnen denn dieses Gerücht erzählt? Ich habe keinerlei Verhandlungsmandat«, versicherte Rena.

»Dann sind Sie nur die Begleiteskorte der eigentlichen Verräter, wie? In meinen Augen sind Sie dadurch kein bisschen besser, Commander.« Der Bärtige spuckte aus.

Sunfrost blieb ruhig. »Wie auch immer, Mister Anderson. Sie sind formal gesehen immer noch Bürger der Humanen Welten, und wir schützen hier deren Hoheitsrechte.«

»Alles Geschwätz, Commander. Wir werden unsere Heimat verteidigen. Gegen die Qriid und notfalls auch gegen menschliche Verräter.«

»Das ist doch Wahnsinn!«

»Wir haben keine Flotte, die diese Namen verdient«, gab Anderson zu. »Nur ein paar Raumboote und Transportschiffe – ohne Sandström-Antrieb – die sich auch kaum zu Schlachtkreuzern umrüsten lassen. Aber hier am Boden werden wir jedem, der uns unsere Freiheit nehmen will, über Jahre hinweg die Hölle bereiten.«

»Ich schlage ein persönliches Treffen vor, Mister Anderson«, sagte Sunfrost.

Anderson zögerte.

Er wandte den Kopf und schien sich kurz mit jemandem im Hintergrund zu beraten, dessen Gesicht in dem Bildausschnitt des Videosignals nicht zu sehen war.

»In Ordnung«, erklärte Anderson schließlich.

»Wir werden ein Stück von Ihrer Stadt entfernt landen«, schlug Sunfrost vor, weil sie befürchtete, die Landefähre eines Space Army Corps-Kreuzers der Scout-Klasse könnte die Aggressionen noch schüren.

»Gut«, erklärte sich Abdul Anderson einverstanden.

Die Verbindung wurde unterbrochen.

*

Planet III hatte ein Verhältnis von 50:50 von Wasser und Land.

Die Meere waren offenbar sehr flach und wurden teilweise von mangrovenartigen Wäldern bedeckt.

Inmitten eines großen Waldgebietes oberhalb des Äquators lag Bannister City, das Verwaltungszentrum der Kolonie und nach Auffassung der Freistaatler nun wohl Hauptstadt ihres unabhängigen Staatengebildes. Die Waldgebiete um Bannister City herum wurden immer wieder von Lichtungen und Schneisen unterbrochen. Offenbar Spuren der Siedler…

Taranos wählte eine der Lichtungen aus, um zu landen.

»Zwei Marines bleiben beim Schiff, alle anderen kommen mit mir«, bestimmte Sunfrost. »Wie weit werden wir marschieren müssen?«

»Keine zwei Kilometer«, erklärte Taranos. »Bannister City ist im Übrigen auch keine Großstadt. Ich schätze, da leben zweitausend Menschen, wenn es hoch kommt.«

»Die Siedler leben hier ziemlich verstreut«, fügte Bruder Guillermo hinzu. »Die meisten betreiben irgendeine Form der Landwirtschaft.«

»Verstehe«, sagte Sunfrost nickend.

Sie überprüfte die Ladung ihres Nadlers, der sowohl einen fast immer tödlichen Strom von nadelförmigen Kleinstprojektilen oder einzelne Nadelprojektile verschießen konnte, die mit einem Betäubungsmittel versehen waren, das innerhalb eines Sekundenbruchteils für eine über Stunden andauernde Lähmung der Nerven sorgte.

Das Außenschott glitt zur Seite, und Sunfrost trat ins Freie.

Ein eigenartiges, vielstimmiges Urwaldkonzert unterschiedlichster Tierlaute empfing sie.

Die Flora bestand aus sehr großblättrigen Pflanzen, von denen manche offenbar zumindest ihre Blätter gezielt bewegen konnten.

Sie folgten einer der Schneisen, die mitten durch den Dschungel führten und offenbar für primitive Radfahrzeuge gedacht waren.

»Ich kann Ihnen allen nur raten, sehr vorsichtig zu sein«, meldete sich Bruder Guillermo zu Wort. »Die Wälder von Bannister III sind bekannt für ihre bösartige Fauna und Flora.«

»Waren Sie schon einmal hier?«, fragte Rena.

»Nicht in den Wäldern, Captain. Während meiner Zeit auf Bannister V habe ich mich vornehmlich mit der Kultur der Qriid beschäftigt. Wir richteten Antennen aus, um möglichst viel von ihrem Funkverkehr mitzubekommen. Einmal erlebte ich, wie ein Schiff der heiligen Händler hierher kam. Ich war auch ein paar Mal in Asimovtown auf Planet IV. Doch mein Besuch in Bannister City war kurz, und ich habe das Schiff kaum verlassen.«

»Woher haben Sie dann Ihr Wissen?«

»Von Mitbrüdern, die hier zu tun hatten und nach Nummer V zurückkehrten.«

Plötzlich hielt er Rena fest, riss sie zur Seite.

Wie aus dem Nichts war ein grüner, schlangenartiger Arm aus dem Gestrüpp herausgeschossen, an dessen Ende sich spitze Stacheln befanden.

Nur Zentimeter hatten gefehlt, und sie wäre getroffen worden.

Der Tentakel zog sich langsam zurück.

Es dauerte ein paar Sekunden, ehe Rena begriffen hatte, dass es sich tatsächlich um eine Pflanze gehandelt hatte und nicht um ein Tier.

»Darauf muss man hier achten«, sagte Bruder Guillermo. »Das war ein Mörder-Kaktus. Hat mit dem irdischen Kaktus nichts zu tun, außer der Tatsache, dass beide Pflanzen stacheln haben.

Irgendein unvorsichtiger Dummkopf hat diese Spezies auf Planet V eingeschleppt, wo sie sich rasend vermehrt hat. Aber das lässt sich jetzt nicht mehr rückgängig machen.«

»Ich danke Ihnen, Bruder Guillermo« erklärte Sunfrost.

»Nicht der Rede wert. Achten Sie einfach mehr darauf, wenn sich in den Büschen etwas bewegt. Die Nadeln enthalten übrigens ein tödliches Gift, Captain.«

*

Wenig später erreichte die Gruppe Bannister City.

Die »Stadt« – wenn man denn von einer solchen sprechen mochte – bestand aus einem Labyrinth von Baracken, die aus Einzelelementen errichtet worden waren. Manche hatten die Form von Quadern, andere sahen aus wie Kuppeln oder Halbkegel.

Nur eins war ihnen allen gemeinsam. Es schien in Bannister City nicht ein einziges zweigeschossiges Haus zu geben, wofür der Grund auf der Hand lag. Es gab auf dem Planeten mit seiner lächerlich geringen Einwohnerzahl einfach Platz genug, sodass jeder, der es wollte, sich ausbreiten konnte. In die Höhe zu bauen machte da einfach wenig Sinn.

Die Bauten lagen wie hingeworfen da. Es gab keine erkennbaren Straßen oder irgendeine Form von Ordnung. Am Rande der Stadt gab es ein Landefeld, auf dem mehrere kleinere Raumboote und Transportschiffe standen.

Eine große Menschenmenge erwartete das Landeteam.

Die L-1 war bei der herrschenden klaren Sicht deutlich am Himmel zu sehen gewesen.

»Passen Sie auf, Captain«, raunte Rolfson Sunfrost von der Seite zu. »Ich sehe jede Menge Waffen und eine ziemlich aufgeheizte Stimmung.«

Abdul Anderson, der selbst ernannte Präsident des Bannister Freistaats trat ihnen mit mehreren Dutzend bewaffneten Männern entgegen. Sie trugen Waffen unterschiedlichster Bauart. Zumeist handelte es sich um Projektilwaffen und Nadler, sowohl Gewehre als auch Pistolen. Sunfrost bemerkte allerdings auch einen Thermostrahler, der wohl ursprünglich als Werkzeug konzipiert gewesen war, sowie einige wenige Gauss-Gewehre, wie sie auch bei den Marines üblich waren.

»Verräter!«, rief jemand aus der Menge.

»Die Regierung verkauft unser System an die Qriid!«

Ein Wutgeheul erhob sich und mischte sich mit schrillen Pfiffen.

Anderson trat auf Sunfrost zu und reichte ihr die Hand. Auch dafür gab es Buh-Rufe.

Für Augenblicke war jegliche Verständigung unmöglich.

Erst allmählich ebbte das Pfeifkonzert wieder ab.

»Sie sehen, dass die Stimmung hier nicht gerade gut für Sie ist, Captain«, sagte Anderson. »Es war keine gute Idee, hierher zu kommen. Aber da Sie schon mal da sind, können Sie ja vielleicht Ihren Vorgesetzten berichten, was hier los ist! Und wenn Sie Ihren Qriid-Freunden bei den Verhandlungen gegenübersitzen…«

»Ich habe keine Qriid-Freunde!«, erwiderte Sunfrost eisig.

»Und ich werde auch keine Verhandlungsführerin sein!«

»Glauben Sie, Sie können mir etwas vormachen?« Er schüttelte den Kopf. »Sie gehören zu denen, die glauben, dass man ein paar einfache Siedler einfach betrügen kann, wie es einem in den Kram passt. Aber das lassen wir uns nicht gefallen. Wissen Sie, welche Entbehrungen es gekostet hat, dies alles hier aufzubauen? Jetzt ernten wir eine Reihe von Früchten, die als Grundstoffe für wertvolle Arzneien exportiert werden. Handelsschiffe kommen hierher und natürlich beliefern wir auch einige Kolonien in der Kernzone des Territoriums der Menschen.«

»Hören Sie, Sie unterstehen hier noch immer den Humanen Welten und…«

»So ein Unsinn, Captain! Bund der Humanen Welten von Sol, so heißt dieses Staatengebilde noch immer, obwohl man den eigentlichen Bereich der Humanen Welten – das Sol-System nämlich – längst verlassen hat. Das zeigt doch schon die ganze Einstellung unserer Regierung! Wichtig ist nur, dass es der Erde und einigen privilegierten Kolonien wirtschaftlich gut geht. Aber was aus Siedlern wie uns wird, ist den hohen Herrschaften doch völlig gleichgültig!«

Ein Alarmsignal ließ Sergeant Rolfsons Armbandkommunikator piepen.

Der Sergeant starrte für einen Moment auf die Bildanzeige des Displays. Schussgeräusche drangen aus dem Lautsprecher.

»Unsere Leute an der Fähre wurden angegriffen!«, stellte der Marine-Sergeant fest. »Sie sind beide tot. Einem von ihnen gelang es offenbar, im letzten Moment den Kommunikator einzuschalten.«

Die Freistaatler hoben jetzt die Waffen. Sunfrost und ihre Leute wichen ein Stück zurück.

Nur Rolfson nicht!

Er schnellte vor, warf dem Captain sein Gauss-Gewehr zu, die es sicher fing, und riss den völlig überraschten Anderson zu sich heran. Wie aus dem Nichts gezaubert hielt er den Nadler in der Faust und setzte die Waffe dem so genannten Präsidenten an den Kopf.

»Keinen Schritt näher!«, rief er den Freistaatlern zu.

Mit Anderson im Würgegriff wich der Sergeant zurück.

Dutzende von Waffenmündungen waren auf die Space Army Corps-Leute gerichtet.

Sunfrost entsicherte das Gewehr.

»Ich schätze, wir befinden uns in einem M.A.S.«, knurrte der Sergeant. Er bemerkte Sunfrosts irritierten Blick und erklärte: »Das Miesest Anzunehmende Szenario.«

»Einen Vorschlag, wie wir hier rauskommen, Sergeant?«

»Wir müssen bis zur Waldgrenze gelangen. Dort gibt es Deckung. Und an Feuerkraft sind wir unseren Gegnern überlegen.«

Die Siedler sahen stumm zu, wie die Gruppe um Sunfrost weiter in Richtung Waldrand zurückwich.

Augenblicke später stieg die offenbar gekaperte L-1 zum Himmel auf. Das seitliche Außenschott stand offen.

Nacheinander wurden zwei Körper in die Tiefe geworfen – die Leichen der getöteten Marines.

»Diese Schweine!«, knurrte Rolfson.

Anderson in seinem Würgegriff lief blau an. Doch der Marine schien nicht einmal zu bemerkten, dass er seinem Gefangenen die Luft abschnürte.

»Ich weiß, was Sie denken, Sergeant«, sagte Sunfrost ruhig.

»Machen Sie's wie ich und schlucken Sie es hinunter!«

»Ein harter Brocken, Ma'am!«, stieß Rolfson hervor. Aber Anderson konnte offenbar wieder atmen und schnappte nach Luft.

Auch wenn ihr das niemand ansah – innerlich brodelte es in Rena wie in einem Vulkan kurz vor dem Ausbruch. Die beiden Marines hatten offenbar einen ähnlichen Fehler gemacht wie sie selbst damals auf Dambanor II. Sie hatten den Gegner nicht ernst genug genommen und sich wahrscheinlich bei geöffnetem Außenschott die Beine vertreten.

Das hatten die Angreifer ausgenutzt und zugeschlagen.

Offenbar hatten es Andersons Leute von Anfang an auf das Beiboot abgesehen. Ihre Rechnung war aufgegangen.

Und jetzt zeigen sie denen, die sie für die Repräsentanten des Hohen Rates hielten, welche Verachtung sich in ihnen angestaut hatte.

Diese war kaum noch zu überbieten.

Auf der Erde macht sich kaum jemand einen Begriff davon, was sich hier wirklich zusammenbraut!, ging es Rena durch den Kopf.

Die Aktion der Kaperer wurde lauthals von der Menge bejubelt. Die Fähre schickte sich unterdessen an, auf dem Landefeld des Raumhafens niederzugehen.

Sunfrost und ihre Männer hatten inzwischen den Waldrand erreicht.

Einer der Siedler trat ein paar Schritte vor, stoppte jedoch sofort, als sie ihm ein Gauss-Geschoss vor die Füße brannte.

Der Einschuss war enorm. Er riss ein Loch vom Durchmesser eines menschlichen Kopfes tief in den Boden.

Wie weit dieser Einschuss hinabging, darüber konnte man nur spekulieren.

Die Siedler wurden etwas vorsichtiger.

Sunfrost stellte über den Armbandkommunikator eine Verbindung zur STERNENKRIEGER her und erläuterte Wong die Situation mit knappen Worten.

»Ich schicke Ihnen jemanden, der Sie raufholt« versprach der Erste Offizier der STERNENKRIEGER. »Lassen Sie die Peilsender Ihrer Kommunikatoren eingeschaltet.«

*

Als die den Waldrand erreichten, wandte sich Sunfrost an Rolfson und wies ihn an, den Gefangenen zurück zu seinen Leuten zu lassen.

»Vielleicht werden Sie das noch bereuen, Ma'am«, wandte Rolfson ein, löste aber sofort den Klammergriff, mit dem er Abdul Anderson festhielt, und stieß den Anführer der Freistaatler von sich.

»Auf der Flucht wäre er uns ohnehin nur hinderlich, Sergeant«, gab Sunfrost zu bedenken. »Außerdem möchte ich nicht wissen, was hier los ist, sollte Anderson etwas zustoßen…«

»Diese Bande hat zwei meiner Männer auf den Gewissen!«, knurrte Rolfson. »Sie brauchen nur den Befehl zu geben, und meine Männer räumen mit diesem Mörderpack auf!«

Aber genau das war es, was Sunfrost vermeiden wollte. Die Mission auf Bannister III war bereits jetzt ein katastrophaler Fehlschlag. Wenn die Marines jetzt ein Blutbad anrichteten, bestärkte das die Freistaatler nur in ihrer Ansicht, dass die humanen Welten sie verraten und verkauft hatten und sie die Bauernopfer in einem großen Machtspiel zwischen dem Qriid-Imperium und dem Rat darstellten.

»Man wird die Schuldigen zur Rechenschaft ziehen, Sergeant«, versprach sie.

»Ihr Wort in Gottes Ohr, Captain.«

Sunfrost warf Rolfson sein Gewehr zu. Der Marine fing es sicher auf.

»Und jetzt: Nichts wie weg!«, befahl der Captain.

Während Andersen seiner Freiheit noch nicht so recht traute und eher zögernd auf seine Leute zuging, hatten Sunfrost und ihr Landeteam Gelegenheit, in den Wald zu flüchten und dort Deckung zu finden. Die ganze Zeit über, während Anderson sich noch mitten im Schussfeld befand, wagte es keiner seiner Anhänger zu feuern, was dem Landeteam der STERNENKRIEGER den entscheidenden Vorsprung gab.

Sunfrost und die Männer des Landungsteams hetzten in den Dschungel hinein und folgten dabei zunächst den von den Siedlern gezogenen Schneisen. Sie mussten so schnell wie möglich Distanz zwischen sich und die Siedler bringen.

Die Marines waren gut trainiert und körperlich in einem Zustand, der das Prädikat topfit verdiente. Ihnen machte es nichts aus, in voller Montur durch den Dschungel von Bannister III zu sprinten. Ähnliches galt für Lieutenant Taranos und Captain Sunfrost, die mit den Marines einigermaßen mithalten konnten.

Bei Bruder Guillermo sah das etwas anders aus. Seine Ausdauer war deutlich geringer. Darüber hinaus behinderte ihn sein zum Laufen ausgesprochen schlecht geeignetes Ordensgewand. Er stolperte über eine Schlingpflanze. Die beiden Marines, die die Nachhut bildeten, rissen ihn auf die Beine und zerrten ihn mit sich, ohne auch nur langsamer zu werden.

Schließlich hielten sie inne. Guillermo schnappte nach Luft und war unfähig, einen Ton herauszubringen.

Sunfrost bedeutete den anderen mit einem Handzeichen zu schweigen und lauschte.

In der Ferne waren Stimmen zu hören.

»Sieht nicht gut aus«, meinte Taranos, der ein tragbares Ortungsmodul bei sich trug. »Andersons Leute verfolgen uns auf breiter Front. Sie durchkämmen den Wald.«

»Uns trifft jetzt ihre ganze Wut über die ihrer Ansicht nach verfehlte Politik des Rates«, stellte Sunfrost fest.

»Unsere Beiboote sind gut genug bewaffnet, um diese Bande zu vertreiben«, sagte Rolfson. »Ein gezielter Schuss in ihre Barackensiedlung und der Fall ist erledigt.«

»Das wäre Wasser auf die Mühlen der Freistaatler«, erinnerte ihn Sunfrost. »Nein, das geht nicht. Wir müssen irgendwo an Bord genommen werden, wo das ohne eine Kampfsituation möglich ist.«

Rolfson verzog das Gesicht. »So viel Nachsicht haben diese Leute nicht verdient.« Er zuckte die Achseln. »Aber Sie sind der Captain.«

Sunfrost nickte zufrieden. Der Sergeant meinte, was er sagte, und würde sich an ihre Befehle halten.

»Was ist mit dem Beiboot?«, fragte Taranos. »Wollen Sie es denen überlassen? Immerhin verfügt es über ein Geschütz, dessen Wirkungskraft…«

»Ich weiß, was Sie sagen wollen, Lieutenant Taranos«, unterbrach Sunfrost den Ortungs- und Kommunikationsoffizier der STERNENKRIEGER. »Aber der Schaden – der entsteht, wenn wir den Freistaatlern das Beiboot vorerst überlassen – ist geringer als der, den wir dadurch verursachen, wenn wir ihnen die Fähre mit Gewalt wieder abnehmen.«

Taranos' Blick war starr auf das Display des Ortungsmoduls gerichtet, bevor er mitten in den Dschungel deutete. »Ein paar Meilen in diese Richtung liegt eine relativ sichere Lichtung.

Dorthin sollten wir das Rettungsteam von der STERNENKRIEGER beordern.«

»Okay, nichts wie los«, befahl Sunfrost. »Funken Sie die STERNENKRIEGER an und instruieren Sie das Landungsteam entsprechend.«

»Aye, Captain.«

*

Die Gruppe kämpfte sich vorwärts. Immer dichter wurde die großblättrige Vegetation. Eine Unzahl von Stimmen erfüllte die Luft.

»Wussten Sie, dass es hier Pflanzen gibt, die Tierstimmen imitieren, Captain?«, fragte Bruder Guillermo, der inzwischen wieder zu Atem gekommen war. Der hohe Sauerstoffanteil der Bannister-III-Atmosphäre trug natürlich erheblich zu seiner relativ schnellen Regeneration bei.

»Warum sollten Pflanzen so etwas tun?«, erwiderte Sunfrost.

»Um eiweißhaltige Beute anzulocken«, erläuterte Guillermo. »In dem Jahr, das ich in unserer Siedlung auf Planet V verbrachte, starb einer unserer Mitbrüder bei seiner Forschungsexpedition in diesen Urwälder. Er war hierher gekommen, um die in der erforschten Galaxis einzigartige Vielfalt an fleischfressenden Pflanzen zu studieren und fiel gewissermaßen seinen Forschungsobjekten zum Opfer.«

»Wahrscheinlich haben das diese Freistaatler behauptet, nachdem sie den Mann ermordet hatten«, meinte Rolfson grimmig.

»Ich wollte Sie alle nur zur Vorsicht mahnen«, erklärte Bruder Guillermo, der schon die ganze Zeit sehr aufmerksam den Blick schweifen ließ.

Schlingpflanzen wandten sich um die Stämme von bis zu zehn Meter dicken Bäumen, die dadurch trotz ihrer imposanten Größe von über fünfzig Metern wie riesige verzerrte Bonsais aussahen. Die groben Rinden beherbergten jede Menge Parasiten. Moosplatten siedelten dort, die sich plötzlich zusammenzuziehen vermochten, um sich ein paar der zahllosen Insekten einzuverleiben.

Plötzlich war in den Wipfeln eine Bewegung zu sehen. Ein markerschütternder, fast menschlich klingender Schrei durchdrang den Chor der Dschungelstimmen. Sunfrost blickte auf und entdeckte ein affenähnliches Wesen, das von einer Schlingpflanze gepackt und erwürgt wurde.

»Ganz so paradiesisch ist diese Welt wohl doch nicht«, meinte Taranos.

»Aber die Bedingungen für Landwirtschaft sind hervorragend«, stellte Bruder Guillermo fest. »Ich bin mir sicher, dass sich die Siedler inzwischen hervorragend mit der hier heimischen Tier- und Pflanzenwelt arrangiert haben.«

Endlich erreichten sie die Lichtung.

Ein Funkspruch erreichte Sunfrosts Kommunikator, auf dem Display erschien das Gesicht von Raphael Wong. »Das Landeteam müsste in etwa fünfzehn Minuten an der angegebenen Position sein. Ich habe den Piloten angewiesen, in einiger Entfernung runterzugehen und die Ortungsanlagen, über die Bannister City möglicherweise verfügt, zu unterfliegen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Freistaatler militärtaugliche Sensoren haben.«

»Danke, I.O.«, sagte der Captain.

»Fragt sich nur, ob wir lange genug durchhalten können«, überlegte Lieutenant Taranos laut, der sich inzwischen wieder auf die Anzeigen seines Ortungsmoduls konzentriert hatte.

Rolfson hob wie automatisch die Waffe.

»Ich hätte nicht gedacht, dass uns Andersons Leute so schnell auf den Fersen sind!«, bekannte der Marines-Sergeant.

»Es sind keine Menschen, die sich uns nähern, obwohl das Körpervolumen in etwa hinkommt…«

»Aber…«

»Die Körpertemperatur stimmt nicht.«

Sunfrost hörte ihm schon gar nicht mehr zu. Sie hatte eine Bewegung im Unterholz bemerkt.

Ein vielbeiniges Wesen schnellte durch das hohe Gras der Lichtung. Der eigentliche Körper maß etwa zwei Meter. Ein mit Chitinplatten besetzter Schwanz war hoch aufgerichtet und endete in einem Stachel.

»Bannister-Skorpione!«, rief Bruder Guillermo.

Rolfson fackelte nicht lange, sondern ließ ein Dutzend Schuss aus seinem Gewehr herauszischen. Die Projektile hatten eine so hohe Geschwindigkeit, dass der Luftwiderstand sie zum Glühen brachte. Sie fuhren durch den Bannister-Skorpion hindurch und durchlöcherten ihn wie einen Schweizer Käse.

»Sind noch mehr von denen unterwegs?«, rief der Sergeant.

»Etwa drei Dutzend«, erklärte Taranos. »Sie beginnen damit, uns zu umkreisen.«

»Nehmen Sie sich vor denen in Acht«, sagte Bruder Guillermo. »Ihre Intelligenz entspricht der von fünfjährigen Kindern und sie sind ausgesprochen hungrig nach Fleisch. Und aus ihren Stacheln spritzt Säure.«

Erneut waren Geräusche vom Waldrand zu hören. Diesmal von mehreren Seiten.

Der Angriff erfolgte blitzschnell. Mehr als ein Dutzend Bannister-Skorpione wagten eine koordinierte Attacke. Mit ihren sechs Beinen waren sie überaus schnell.

Die aufgerichteten Stachelschwänze ragten deutlich hervor.

»Feuer!«, befahl Sunfrost.

Aber das wäre wohl unnötig gewesen.

Keiner der Marines hätte länger gewartet, und auch sie selbst griff nach dem Nadler und feuerte in Richtung der Angreifer.

Keine der Kreaturen kam zu ihnen durch, doch einige waren bedenklich nahe, bevor sie starben.

Massierter Frontalangriff, dachte Sunfrost. Das ist die Strategie dieser Biester, sofern dieser Begriff in diesem Zusammenhang passend ist.

Die Marines schalteten ihre Gewehre auf Dauerfeuer.

Eine weitere Angriffswelle folgte sofort. Einer der Bannister-Skorpione kam bis auf zwanzig Meter heran. Sein Säurestrahl schoss aus dem Stachel heraus und traf einen der Marines.

Der schrie auf, ließ das Gewehr fallen. Die Panzerung blieb unversehrt, doch die leichten Kampfanzüge schotteten ihren Träger nicht völlig von der Umgebung ab. Es gab genug Stellen, an denen die Säure den Marine erreichte.

Der Mann schrie nur noch, taumelte zu Boden, rollte herum und war wie von Sinnen.

Rolfson wollte ihm zu Hilfe eilen.

Aber Bruder Guillermo fasste ihn am Arm. »Berühren Sie ihn nicht. Die Säure würde sie zerfressen! Er muss durchhalten bis die Fähre kommt und wir…«

Das Schreien verstummte.

Der Marine war tot, während die Bannister-Skorpione erneut angriffen. Ein Säurestrahl zischte dicht an Sunfrosts Ohr vorbei.

Sie zuckte regelrecht zusammen. Ein bestialisch scharfer Geruch stieg ihr in die Nase. Sie hob den Nadler, schaltete auf Dauerfeuer.

Der Strom unzähliger, winzig kleiner Nadelprojektile prallte an dem sehr widerstandsfähigen Panzer aus einem chitinartigen Material ab. Erst als Rena die Augenpartie des Bannister-Skorpions traf, zeigte der Beschuss Wirkung. Die Nadeln drangen ins Gehirn und machten den Angreifer sofort kampfunfähig.

Plötzlich tauchten die beiden verbliebenen Landefähren der STERNENKRIEGER knapp über den Baumwipfeln auf und glitten sofort auf ihren Antigrav-Feldern zu Boden.

Die Bannister-Skorpione stoben augenblicklich davon. Sie stießen dabei aufgeregte Schnalzlaute aus. Offenbar war für sie das Auftauchen der Landefähren derart ängstigend, dass sie in blinder Panik Reißaus nahmen.

Die Fähren schwebten knapp über dem Boden, die Außenschotts öffneten sich, und Marines in schweren Kampfpanzern sprangen heraus und gingen in Stellung.

»Ich kann gar nicht sagen, wie froh ich bin, euch zu sehen, Jungs«, rief Sergeant Rolfson.

In diesem Punkt war Rena voll und ganz seiner Meinung…

*

Die Lagebesprechung an Bord der STERNENKRIEGER war ernüchternd.

Die Spannungen zwischen radikalen Siedlern und der offiziellen Politik des Hohen Rates hatten sich verschärft, Kompromissbereitschaft war nicht einmal im Ansatz erkennbar. Außerdem besaßen die Freistaatler jetzt sogar noch die L-1 der STERNENKRIEGER.

»Bleibt nur zu hoffen, dass sie die Bordbewaffnung mangels Ausbildung nicht effektiv einzusetzen wissen«, meldete sich Kassan Rendup zu Wort. »Im Übrigen ist die Radikalisierung der Siedler nicht ganz überraschend.«

»Um so etwas zu wissen, bevor ein Captain des Space Army Corps in einem Wespennest wie Bannister City landet, hat man eigentlich einen Geheimdienst«, konnte sich Sunfrost eine bissige Bemerkung nicht verkneifen.

Natürlich war ihr bewusst, dass es Unrecht war, die Angelegenheit Rendup persönlich um die Ohren zu hauen.

Schließlich war er nur ein einzelner Agent und konnte nicht ohne weiteres für die Fehler seiner Behörde zur Verantwortung gezogen werden. Andererseits hatte sich Sunfrost durch Rendups arrogante, besserwisserische Art derart herausgefordert gefühlt, dass es ihr unmöglich gewesen war, sich zurückzuhalten.

»Touché, Captain«, erwiderte Rendup mit einem gefrorenen Lächeln. »Wir machen alle Fehler.«

»Nur dass dieser Fehler Menschenleben gekostet hat«, murmelte Sunfrost. »Wofür ich im Übrigen die Verantwortung trage.«

»Wir sollten diese Siedler-Extremisten tatsächlich nicht unterschätzen«, erklärte David Kronstein im Ton sachlicher Erklärung. Ein wohltuender Kontrast zum bisherigen, eher gereizten Verlauf der Lagebesprechung, wie Sunfrost es empfand.

Kronstein fuhr fort: »Ich habe den Funkverkehr der Freistaatler unter die Lupe genommen. Sie scheinen Kontakte und Verbindungsleute in Asimovtown auf Bannister IV und bei den Merillium-Minen auf Planet VI zu haben. Ein Großteil des Funkverkehrs ist natürlich codiert. Mister Rendup hat mich im Übrigen beim Filtern der Nachrichten tatkräftig unterstützt.«

»Wir werden versuchen, einige von ihnen zu knacken«, mischte sich Rendup ein.

»Ich wünsche Ihnen viel Erfolg dabei«, erwiderte Rena.

»Wir erhielten während Ihrer Abwesenheit auch eine Nachricht von der JEFFERSON«, berichtete Wong. »Sie wird etwas früher eintreffen, als ursprünglich erwartet.«

»Was bedeutet, dass wir weniger Zeit für unseren Job haben«, schloss Rena.

»Mit den Qriid ist im Übrigen Asimovtown auf Planet IV als Treffpunkt ausgemacht worden«, fuhr Wong fort.

Rena runzelte die Stirn. »Warum das?«

»Botschafter Aljanov sagte, dass die Qriid ursprünglich eine stillgelegte Mine auf Bannister VI vorgeschlagen hatten. Schließlich laufen die Heiligen Händler den Planeten seit einiger Zeit an und haben ihn offensichtlich als unbedenklich eingestuft. Aber für die radikalen Siedler sind die Merillium-Händler so etwas wie Verräter, weil sie mit den Qriid Handel treiben und deswegen ist die Wahrscheinlichkeit von Anschlägen sehr hoch. Die Erkenntnisse über den Funkverkehr, die Mister Rendup und Lieutenant Kronstein gesammelt haben, erhärten diesen Verdacht.«

»Ich verstehe.«

Ein Signal ertönte und bedeutete, dass jemand eine Interkom-Verbindung mit dem Captain wünschte.

»Abt Montgommery, der Leiter der Olvanorer-Siedlung auf Bannister V wünscht eine Unterredung mit Ihnen, Captain«, sagte der Fähnrich, der Lieutenant Kronstein zurzeit vertrat.

»Gut, stellen Sie ihn durch«, sagte Sunfrost. An die anderen gewandt erklärte sie: »Es ist alles besprochen. I.O., wir nehmen Kurs auf Planet IV. Ich hoffe, dass man in Asimovtown kooperativer ist, als in diesem ominösen Freistaat.«

»Aye, aye, Captain.«

»Bruder Guillermo, Sie hätte ich gerne bei der Unterredung mit Abt Montgommery dabei«, sagte Sunfrost.

Normalerweise war Bruder Guillermo kein Teilnehmer der Lagebesprechung unter den Offizieren. Rena hatte ihn diesmal jedoch hinzugebeten, weil sie seine außerordentliche Sachkenntnis zu anstehenden Problemen schätzte. Allerdings hatte sich der junge Ordensbruder während der Besprechung sehr zurückgehalten und sich so gut wie überhaupt nicht geäußert.

Das gewalttätige Erlebnis im Bannister-Feistaat sitzt ihm noch in den Knochen!, glaubte Sunfrost. Aber er wird darüber am besten hinwegkommen, wenn er sich keine grüblerischen Pausen gönnt.

Sie wusste das aus eigener Erfahrung. Aber das war ein Punkt, über den sie jetzt nicht weiter nachdenken wollte.

Das Gesicht von Abt Montgommery erschien auf dem Bildschirm, während sich die Schiebetür hinter dem letzten Offizier schloss.

»Seien Sie willkommen im Bannister-System!«, sagte der Abt. »Sie müssen Captain Sunfrost sein und wie ich sehe, sitzt neben Ihnen ein alter Bekannter. Wie geht es Ihnen, Bruder Guillermo?«

»Den Umständen entsprechend«, wich Guillermo aus.

Rena lächelte matt.

»Die Lage scheint hier einem Pulverfass zu gleichen«, meinte sie.

»Ja, sie hat sich in letzter Zeit verschärft. Vor allem auch die Gegensätze zwischen den Freistaatlern und all denen, die sie Qriid-Freunde oder Geierkopf-Sklaven nennen. Darunter fallen unsere Ordensbrüder genauso wie die Merillium-Händler auf Nummer VI.«

»Ich wünschte, es gäbe etwas, was wir tun könnten«, sagte Rena.

»Es gäbe etwas«, erwiderte der Abt. »Sie brauchten den Freistaatlern nur Brief und Siegel darauf geben, dass das Bannister-System bis in alle Ewigkeit Teil der Humanen Welten bleibt und in keinem Fall Tauschobjekt für einen Frieden mit den Qriid wird.« Der anfangs eher heitere Grundton des Abtes hatte sich nun gänzlich verloren. Er wirkte sehr ernst.

»Aber das können Sie nicht, Captain Sunfrost. Das wissen wir beide. Auch wenn die Siedler Botschafter Aljanov Unrecht tun, indem sie glauben, dass es diesmal bereits zu einem derartigen Handel kommen könnte, so bin ich davon überzeugt, dass Julian Lang seine auf Eis gelegten Pläne schon bald wieder hervorkramen wird. Vorausgesetzt, wir haben nicht schon vorher einen zweiten Qriid-Krieg.«

Captain Sunfrost sah Abt Montgommery etwas erstaunt an.

Er sagt das, als ob daran nichts mehr zu ändern wäre!, ging es Rena durch den Kopf. »Haben Sie denn irgendwelche Anhaltspunkte, dass Ihre Hypothese zutrifft?«

Der Abt hob die Augenbrauen. »In erster Linie den, dass wir einfach nicht wissen, warum der Krieg damals überhaupt geendet hatte. Bei den Qriid ringen Geistliche und das Militär um die Herrschaft. Wir vermuten, dass der Krieg aus religiösen Gründen beendet wurde – nicht wegen der Verluste, denen das Space Army Corps ihnen bei Tridor zugefügt hat. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Militärs wieder an die Macht gelangen. Und die Priester scheinen Probleme zu haben.«

»Wie kommen Sie darauf?«

»Sie sollten sich mal mit den Merillium-Preisen beschäftigen, Captain. Merillium wird bei den Qriid nur bei religiösen Zeremonien in großen Mengen benötigt. Abgesehen davon ist es wertlos. Seit einiger Zeit zahlen die Heiligen Händler der Qriid, die unser System anlaufen, fast jeden Preis. Der Gewinn pro Kilogramm unbehandeltem Roh-Merillium steigt exponentiell, Captain. Das ist unserer Ansicht nach ein sicheres Zeichen. Entweder bereiten sich die Priester auf ein Ritual vor, wie es seit über 15 Jahren nicht geschehen ist – oder sie sind verzweifelt…« Der Abt zuckte die Achseln.

»Was halten Sie für wahrscheinlicher?«

»Ist es möglich, dass Sie Ihre wenigen Quellen falsch deuten?«

Abt Montgomery schnaubte. »Angesichts unserer bruchstückhaften Informationen über das Heilige Imperium der Qriid wäre das nicht weiter verwunderlich. Aber es ist die beste Theorie, die Ihnen der Orden der Olvanorer bieten kann.«

»Ich verstehe«, murmelte Sunfrost. »Danke für Ihre Informationen.«

»Meine Brüder und ich stehen Ihnen jederzeit zur Verfügung, falls Sie Unterstützung benötigen, Captain.«

Die Verbindung wurde unterbrochen.

Sollte die Vermutung des Abtes der Wahrheit entsprechen, kann es sich bei dem bevorstehenden Treffen eigentlich nur um eine Falle handeln!, durchzuckte es Rena wie ein greller Blitz.

*

Captain Sunfrost betrat die Brücke der STERNENKRIEGER. Die diensthabenden Offiziere waren an ihren Konsolen. Lieutenant Wong führte das Kommando und sorgte für einen reibungslosen Ablauf.

Die STERNENKRIEGER kreiste inzwischen in einem stabilen Orbit um die Wasserwelt Bannister IV, deren Hauptstadt Asimovtown ursprünglich auch das administrative Zentrum des gesamten Systems gewesen war.

Hier waren unter anderem die wenigen bewaffneten Raumboote stationiert, die für eine Verteidigung gegen Angriffe von Außen zur Verfügung standen.

Seit der Abspaltung der Freistaatler hatte Asimovtown seinen Rang jedoch mehr oder weniger eingebüßt.

Als blauweiße Kugel schimmerte Planet IV auf dem großen Panoramaschirm. Gut erkennbar schwebte auch ein Schiff der Heiligen Händler im Orbit. Wie Sunfrost inzwischen erfahren hatte, flogen die meisten Händler-Schiffe der Qriid zunächst Bannister IV an, bevor es sie zu den Merillium-Minen auf Planet VI zog. Der Grund war einfach. Sie konnten mit Hilfe ihrer Landefähren in Asimovtown Ware aufnehmen, die in den Merillium-Minen dringend gebraucht wurde. Technisches Gerät vor allem, aber auch Luxusgüter für die Minenmannschaften. So war ein schwunghafter Dreieckshandel entstanden und Asimovtown profitierte direkt vom derzeitigen Merillium-Boom auf dem sechsten Planeten.

Auch das war wahrscheinlich ein Grund dafür, dass die Qriid Asimovtown auf Bannister IV als Treffpunkt vorgeschlagen hatten. Es handelte sich um einen Ort, der ihnen durch Berichte der Heiligen Händler gewiss bekannt war.

»Sie haben die Brücke, Captain«, übergab Wong das Kommando, als er sie bemerkte.

»Danke, I.O.« Sunfrost setzte sich in ihren Sessel. »Lieutenant Kronstein, stellen Sie mir bitte eine Verbindung zum Solaren Administrator in Asimovtown her.«

»Sofort, Captain.«

Wenig später schaute ihr Connor McGrady vom Bildschirm entgegen. Er war als ziviler Administrator von Asimovtown eigentlich für das gesamte Bannister-System zuständig. Aber die Freistaatler erkannten seine Entscheidungen nicht mehr an. Sie betrachteten McGrady als jemanden, der zu der Bande von Verrätern gehörte, die letztlich nur den Ausverkauf des Systems an die Vogelartigen zum Ziel hatten. Zumindest wenn man der Interpretation der Freistaatler folgte.

In den letzten 24 Stunden hatte Sunfrost immer wieder Kontakt zu McGrady gehabt – insbesondere seitdem bekannt war, dass die Qriid offenbar Bannister IV als Treffpunkt bevorzugten.

»Guten Tag, Captain«, grüßte McGrady.

Sunfrost nickte ihm zu und kam sofort zur Sache. »Haben Sie sich inzwischen Gedanken darüber gemacht, wo genau das Treffen zwischen Botschafter Aljanov und den Qriid-Unterhändlern durchgeführt werden könnte?«

Genau um diesen Punkt hatte sich McGrady in ihren letzten Gesprächen immer zu drücken versucht. Am liebsten hätte er wahrscheinlich gehabt, wenn das Treffen möglichst weit von seiner Stadt und seinem Planeten entfernt anberaumt worden wäre.

Aber als treuer Verwalter im Dienst der Humanen Welten und des Rates konnte er noch nicht einmal seinen Protest anmelden.

»Ich habe Ihnen ja auseinander gesetzt, dass unsere Stadt von Freistaatlern – oder Subjekten, die mit ihnen sympathisieren – nur so durchsetzt ist«, begann er. »Wir verfügen nicht über die Möglichkeiten, das unter Kontrolle zu halten. Aber etwa zehn Meilen von der Stadt entfernt gibt es eine stillgelegte Plattform mit der Bezeichnung WHALE ONE. Sie gehörte ursprünglich zu einem Komplex von hydroponischen Anlagen. Die Plattform reicht aus, damit dort eine ganze Staffel von Landefähren aufsetzen kann. Für potentielle Attentäter ist sie dagegen schwer erreichbar. Sie könnten mit ihren Marines dort rechtzeitig vor dem Treffen landen und hätten alles unter Kontrolle.«

»Das klingt gut.«

»Ich kann Ihnen nichts Besseres anbieten, Captain.«

»Ich werde Ihren Vorschlag an Botschafter Aljanov weiterleiten«, sagte Sunfrost. »Er wird die Einzelheiten mit seinen Verhandlungspartnern besprechen müssen.«

»Das versteht sich von selbst.«

Die Verbindung wurde unterbrochen.

Sunfrost nahm sich vor, mit Sergeant Rolfson über die sicherheitsrelevanten Details eines Treffens auf WHALE ONE zu sprechen, wandte sich jedoch zunächst an Rendup. »Was halten Sie davon?«

»Ich werde mir die Daten dieser Plattform genau ansehen, dann kann ich mir eine Meinung dazu bilden.«

»In Ordnung, Mister Rendup. Ich nehme an, Administrator McGrady wird Ihnen dabei sicher behilflich sein.«

In diesem Moment meldete sich Kronstein zu Wort.

»Ich orte insgesamt fünf Kriegsschiffe der Qriid mit Kurs auf die Inneren Planeten des Bannister-Systems, Captain.«

Sunfrost wechselte mit Wong einen verblüfften Blick.

»Eine ziemlich große Flottille, um nur Verhandlungen zu führen«, meinte der Erste Offizier und brachte damit auch Renas Gedanken auf den Punkt.

»Senden Sie eine Grußbotschaft, Lieutenant Kronstein«, verlangte Captain Sunfrost.

»Schon geschehen«, meldete der Kommunikationsoffizier einen Lidschlag später.

Augenblicke des Schweigens vergingen auf der Brücke der STERNENKRIEGER. Aber die

Grußbotschaft blieb unbeantwortet.

In Renas Kopf arbeitete es fieberhaft.

Irgendetwas stimmte hier nicht. Sie hatte das Gefühl in einem unsichtbaren Netz gefangen zu sein.

»Wann werden die Qriid hier eintreffen, Lieutenant Kronstein?«, fragte Rena.

»Wenn sie entsprechend abbremsen, um in einen Parkorbit um Bannister IV zu gelangen, in etwas mehr als drei Stunden.«

»Also noch vor der JEFFERSON.«

»Exakt«, stimmte Kronstein zu.

»Stellen Sie mir einen Kontakt zu Botschafter Aljanov her.«

»Sofort.«

*

Zorstan-Gas saß in sich versunken im Kommandosessel der SARAGSHAN, dem Flaggschiff der kleinen Begleit-Flottille, die sich System 5147 näherte. Nur das Raumschiff von Dor-Moktron, dem priesterlichen Verhandlungsführer, unterstand nicht seiner Befehlsgewalt. Es war im Gegensatz zu den anderen im Anflug auf den Verhandlungsort befindlichen Qriid-Schiffen auch nicht mit Tanjaj bemannt, sondern mit gewöhnlichen Tempelwächtern.

Dor-Moktron schien den Gotteskriegern seines Volkes nicht zu trauen.

Zorstan-Gas erinnerte sich an die Worte seines großen Mentors, des Tanjaj-Mar, der ihm gesagt hatte: »Du hast vollkommen freie Hand. Was immer du für die Erhaltung und Fortführung des Imperiums für richtig erachtest, das tue! Aber tue es schnell und entschlossen. Vor Zauderern habe ich keine Achtung.«

Die Worte klangen immer wieder im Bewusstsein des jungen Tanjaj-Kommandanten wider.

Ich werde mich würdig erweisen!, so hatte er es sich vorgenommen.

Und das bedeutete paradoxerweise diesmal weniger einen genauen Blick auf den Feind als auf Dor-Moktron, den Ersten Verhandlungsführer der Priesterschaft.

Der Ortungsoffizier meldete sich. »Das Menschenschiff namens STERNENKRIEGER befindet sich bereits im Orbit um den Planeten, den wir mit dem Verhandlungsführer der Ungläubigen als Treffpunkt vereinbart haben… Sie senden Grußbotschaften.«

»Ignorieren!«, befahl Zorstan-Gas. »Wir wissen, dass unter den Ungläubigen ungehobelte Sitten herrschen, aber dass sie uns verhöhnen, indem wir durch einen Lakaien gegrüßt werden, hätte ich nicht für möglich gehalten.«

»Nach allem, was wir wissen, ist das keineswegs als Verhöhnung gemeint«, erklärte der Erste Offizier, der als Experte für Menschen galt.

Zorstan-Gas hob die Schulter und rieb die Schnabelhälften hörbar gegeneinander.

»Es gibt gewisse Gesten, die sind universell verständlich«, war er überzeugt. »Das hat mit einer verschiedenartigen Kultur nichts zu tun.«

»Wir empfangen gerade eine getarnte Nachricht, ehrenwerter Kommandant«, meldete der Funker. »Offenbar ist das, was wir in Empfang nehmen wollen, tatsächlich an Bord der STERNENKRIEGER.«

»Gut«, sagte Zorstan-Gas nachdenklich. Ein triumphierendes Schnabelschaben konnte er sich nicht verkneifen.

Es gilt einen Schatz von unschätzbarem Wert entgegenzunehmen!, ging es Zorstan-Gas durch den falkenartigen Kopf, dessen große, hervortretenden Augen einen Rundumblick erlaubten. Danach mag der Krieg weitergehen… je schneller desto besser für das Reich und die Tanjaj… Vielleicht konnte er ja einen Beitrag dazu leisten.

Hatte ihn der Tanjaj-Mar nicht geradezu ermutigt?

Krieg, dachte Zorstan-Gas, ist die Grundlage unserer Existenz als Diener Gottes. Das sollten wir niemals vergessen…

*

»Wir sind uns in allen Details über den äußeren Ablauf der Verhandlungen einig«, erklärte Botschafter Aljanov. »Die Qriid haben WHALE ONE vor der Küste von Asimovtown als Treffpunkt sofort akzeptiert.«

»Das freut mich zu hören«, erwiderte Rena, während sie auf den Bildschirmausschnitt schaute, auf dem Kopf und Oberkörper des Botschafters zu sehen waren.

»Ich nehme doch an, dass Sie an der Verhandlung teilnehmen, Captain Sunfrost.«

»Es wäre mir eine Ehre. Aber ich schlage vor, dass sich mein Erster Offizier bereits jetzt mit einem Landeteam hinunter begibt, um alle Sicherheitsfragen zu checken.«

»Dasselbe Recht müssen wir der anderen Seite auch zugestehen«, gab Botschafter Aljanov zu bedenken.

Sunfrost atmete tief durch. »Gut, wie Sie meinen!«

»Instruieren Sie Ihren I.O., aber lassen Sie ihn erst starten, wenn ich mit den Qriid gesprochen habe und ich Ihnen das Okay gebe«, verlangte der Botschafter. »Eventuell wünschen unsere Verhandlungspartner eine zahlenmäßige Einschränkung der anwesenden Sicherheitskräfte.«

»Auch damit wäre ich einverstanden.«

»Schön, dass wir uns einig sind, Captain Sunfrost. Wir werden in circa zwei Stunden bei Ihnen sein. Aljanov Ende.«

Das Bild des Botschafters verschwand.

Sunfrost wandte sich an den Waffenoffizier, Lieutenant Robert Ukasi. »Sorgen Sie bitte sicherheitshalber dafür, dass wir gefechtsbereit sind. Man kann nie wissen. Und im Ernstfall haben wir es mit einer Übermacht zu tun.«

»Aye, aye«, bestätigte Ukasi.

Rena wandte sich an Wong. »Sie sollten sich vorbereiten, I.O.«

»Jawohl, Captain.«

»Sergeant Rolfson und ein paar seiner Männer werden Sie begleiten.«

Wong nickte. »Ich möchte außerdem Bruder Guillermo mitnehmen. Auf seinen Sachverstand will ich nicht verzichten.«

»Einverstanden.«

»Ich bestehe darauf, ebenfalls bei den Verhandlungen anwesend zu sein«, erklärte Rendup.

Sunfrost drehte sich zu ihm herum. »Ich bin etwas überrascht, Mister Rendup.«

»Warum?«

»Nun, bisher zeigten Sie nicht gerade übermäßigen Eifer, wenn es darum ging an einer Landemission teilzunehmen. Auf Bannister III haben Sie sich zum Beispiel nicht gerade vorgedrängelt.«

»Jeder nach seinen Fähigkeiten, Captain.«

»Das ist wohl wahr«, seufzte Rena.

Sie mochte Rendup nicht, das war ihr klar, seit sie ihm zum ersten Mal begegnet war. Schon in dem Moment, als er die Brücke betreten hatte, war sie förmlich vor ihm geflohen.

Eine instinktive Entscheidung, ging es ihr durch den Kopf.

Aber es gab keine Handhabe, ihn daran zu hindern, den Trupp zu begleiten. Ganz im Gegenteil! Seine Qualifikationen und seine Position beim Geheimdienst der Humanen Welten sprachen eindeutig dafür, ihn mitzunehmen.

Schließlich nickte Captain Sunfrost.

Ihr Erster Offizier fasste das als Befehl auf.

»Also kommen Sie, Mister Rendup«, sagte er.

Die beiden hatten noch nicht einmal die Brücke verlassen, da traf bereits das Okay von der JEFFERSON ein.

Es konnte losgehen…

*

Die L-2 landete auf der stillgelegten Plattform WHALE ONE.

Diese hatte eine quadratische Grundfläche, deren Kantenlänge ungefähr einen Kilometer betrug. Es gab mehrere kleinere Aufbauten – die ehemaligen Mannschaftsquartiere.

Hangars für Transportgleiter und ähnliches befanden sich im Inneren der Plattform, die fest mit korrosionsbeständigen Stahlseilen am Meeresboden verankert war.

Insgesamt bildete sie einen gewaltigen Stahlkubus, dessen größerer Teil unterhalb der Wasseroberfläche lag. Auch die hydroponischen Anlagen zur Aufbereitung von nährstoffhaltigen Algen hatten sich dort unten befunden. In ihrer aktiven Zeit hatte WHALE ONE den neunzig Prozent der Planetenoberfläche bedeckenden Ozean befahren und dabei Milliarden Kubikmeter Meerwasser verschlungen, wieder ausgespuckt und auf Plankton und Algen hin gefiltert. Ein Grundstoff, aus dem später die Steaks in den Restaurants von Asimovtown gemacht wurden.

Angeblich schmeckte man keinen Unterschied.

Allerdings waren die hydroponischen Anlagen in die Krise gekommen, seit die Landwirtschaft auf Bannister III florierte, sich mehr Siedler dort niedergelassen hatten und vor allem die Transportkapazität an Unterlicht-Schiffen stark zugenommen hatte, die innerhalb des Systems operierten.

Vielleicht holte man die alten Plattformen wieder aus der Versenkung hervor, wenn die Krise mit dem neuen Bannister Freistaat auf dem Nachbarplaneten anhielt.

Wong trat durch das Außenschott der L-2 ins Freie. Ein wolkenloser Himmel herrschte über dieser Region von Bannister IV. Zwei auch am Tag als unregelmäßig geformte weißgraue Flecken am Himmel sichtbare Monde machten einem allerdings sofort klar, dass dies nicht die irdische Karibik war.

In einiger Entfernung waren auf dem Festland die Häuser von Asimovtown zu sehen.

Abgesehen von Kassan Rendup und Bruder Guillermo waren die anderen Mitglieder des Landeteams allesamt Marines.

Sergeant Oliver Rolfson bellte ein paar Befehle.

»Nehmen Sie das mobile Ortungsmodul, Kelleney!«, wies er einen der Männer an. »Wir müssen uns sicher sein, dass mit diesem Haufen Alteisen alles in Ordnung ist.«

»Ja, Sir!«

Die Marines schwärmten aus und sahen sich um.

»Ich hoffe nicht, dass diese radikalen Freistaatler-Terroristen uns hier in die Suppe spucken«, brummte Rolfson.

Wongs Armbandkommunikator summte – Lieutenant Kronstein.

»Die Qriid haben mehrere Beiboote ausgeschleust«, berichtete dieser. »Erwartete Ankunftszeit bei Ihnen in circa zwanzig Minuten.«

»Was ist mit der JEFFERSON?«, fragte der Erste Offizier der STERNENKRIEGER.

»Ist im Anflug. Aber es wird noch etwas dauern, bis Botschafter Aljanov bei Ihnen ist.«

»Danke, Lieutenant« Wong unterbrach die Verbindung.

»Es sind die Qriid, die sich nicht an die Absprache halten und zu früh eintreffen«, erinnerte ihn Bruder Guillermo, der Wongs Gespräch mit angehört hatte.

»Was schließen Sie daraus?«

»Kann ich noch nicht sagen«, wehrte Guillermo ab.

»Ich wusste gar nicht, dass die alienfreundlichen Olvanorer so misstrauisch sein können«, mischte sich Rendup ein.

»Der Mensch täuscht sich, solange er lebt«, sagte Bruder Guillermo. »Sich selbst am meisten, Gott aber nie.«

Rendup verzog das Gesicht zu einer Grimasse. »Tiefsinnige Sprüche haben Sie also auch drauf!«

»Ist nicht von mir, sondern ein Zitat unseres Ordensgründers Abt Mombo Uruwo. Sie sollten seine Schriften lesen, dann wäre Ihr Inneres deutlich ausgeglichener.«

Rendup machte eine wegwerfende Geste, wandte sich abrupt um und schlenderte über die Plattform.

»Ein widerlicher Kerl«, sagte Wong spontan und froh, dass nur Bruder Guillermo diese emotionale Entgleisung mitbekam und nicht ein reguläres Mitglied ihrer Crew.

Der Olvanorer tat das einzig richtige und ignorierte diesen Ausrutscher schlicht und ergreifend.

Wong bemerkte, wie Rendup eine seltsam ruckartige Bewegung vollführte. Er griff sich in den Nacken, so als würde er unter plötzlich einsetzendem Schmerz leiden.

Im nächsten Augenblick schien es vorbei zu sein.

Wong maß dieser Beobachtung zunächst keinerlei besondere Bedeutung zu…

*

Zorstan-Gas stakste auf seinen Vogelbeinen in der Zentrale seines Flaggschiffs auf und ab.

Dor-Moktron, der priesterliche Verhandlungsführer, hatte darauf bestanden, dass kein Tanjaj an den Verhandlungen mit den Menschen teilnahm.

Er muss sich sehr mächtig wähnen, wenn er diesen Affront gegen mich, den Vertrauten des Tanjaj-Mar wagt!, überlegte der Kommandant.

Die Abmachung hatte eigentlich anders gelautet und mochte der Priester ihm auch formal in der Hierarchie des Imperiums übergeordnet sein, so war diese Vorgehensweise doch sehr ungewöhnlich.

Aber Zorstan-Gas dachte nicht im Traum daran, auf deren Einhaltung zu bestehen und etwa mit einer eigenen Landefähre auf der Plattform zu landen, die als Treffpunkt dienen sollte.

Vielleicht war es auch ganz gut, wenn Dor-Moktron sich mit dem Menschenbotschafter unbeobachtet glaubte.

Zorstan-Gas hatte jedoch vorgesorgt. Unter den Tempelkriegern, die Dor-Moktron begleiteten, befand sich ein Agent, der Zorstan-Gas treu ergeben war.

Mein Auge und mein Ohr am Ort der Schande!, durchfuhr es ihn.

»Ehrenwerter Kommandant«, durchbrach der Funker in diesem Moment seine Grübeleien, »ich erhalte soeben die erwarteten Peilsignale von der Planetenoberfläche. Das, was wir an Bord nehmen wollten, befindet sich inzwischen dort…«

»Gut«, murmelte Zorstan-Gas und schnalzte dabei mit dem Schnabel.

*

Die Landefähren der Qriid setzten sanft auf der Plattform auf.

Bewaffnete stürzten in staksigem Gang heraus und gingen mit ihren Waffen in Stellung. Sie misstrauten der Menschengruppe augenscheinlich.

»Wäre nicht schlecht, wenn wir jetzt auch einen Verhandlungsführer hier vor Ort hätten«, raunte Bruder Guillermo.

»Geduld«, forderte Wong, obgleich auch seine Nerven bereits zum Zerreißen gespannt waren.

Die Qriid-Krieger waren gegenüber den Marines in einer vielfachen Übermacht.

Das entspricht nicht den Abmachungen, dachte Wong.

Aber das natürlich kein Grund, die Verhandlungen abzubrechen, noch bevor sie eigentlich begonnen hatten.

Rolfson trat neben ihn und sagte: »Kelleney hat da etwas auf dem Schirm des Ortungsmoduls, was mir gar nicht gefällt.«

»Was ist es?«

»Eine sehr schwache Energiesignatur. Ich halte es für eine Bombe. Irgendein Ei, das uns die Freistaatler hier gelegt haben.« Wong stellte keine Fragen. Wenn die Marines sagten, dass sie etwas gefunden hätten, hatten sie etwas gefunden.

Rolfson und er wechselten einen kurzen Blick. Auch das noch, schienen beide zu denken.

Der Marine hob die Schultern. »Tut mir Leid, Sir, aber wir hatten keine Zeit, die Überprüfung abzuschließen, bevor diese Vogelschädel hier auftauchten!«

»Es macht Ihnen niemand einen Vorwurf, Sergeant. Kennt sich einer Ihrer Männer mit so etwas aus?«

»Ich werde persönlich hinuntergehen und den Dreck beseitigen, den uns da jemand hinterlassen hat. So einen Befehl würde ich keinem meiner Leute gerne geben…«

»Ich werde Sie begleiten«, mischte sich Rendup ein, der sich unbemerkt von hinten genähert und alles mitbekommen hatte. Dafür schien er eine Art siebten Sinn zu haben.

»Ich weiß nicht«, knurrt Rolfson. Dem Marine-Sergeant war anzusehen, dass ihm dieser Gedanke nicht gefiel.

Rendup setzte sein verzerrtes Lächeln auf.

»Ich habe in einer Sprengstoffspezialeinheit angefangen«, verriet er. »Außerdem habe ich eine Ausbildung als Spezialist für Sender- und Empfangstechnik in mikrotechnischen Systemen.«

»Klingt ja beeindruckend«, sagte Rolfson unbeeindruckt.

Wong bemerkte die Ironie in den Worten des Marine sofort, Rendup schien dazu unfähig zu sein.

Rolfson nickte schließlich. »Soll er mitkommen. Mehr als dass uns hier alles um die Ohren fliegt, kann ja nicht passieren!«

Doch, dachte Wong. Die erste Verhandlungsrunde, die es überhaupt zwischen Menschen und Qriid je gegeben hat, droht zu platzen, wenn ich der anderen Seite sagen muss, dass sie in Lebensgefahr ist und schleunigst verschwinden soll!

»Jetzt hilft wohl nur noch beten«, meinte Bruder Guillermo.

»Dafür, dass Rolfson die Bombe entschärft?«, fragte Wong und fügte dann hinzu: »Das setze ich voraus!«

»Nein. Dafür, dass die Qriid weniger gute Ortungsmodule besitzen als unsere Marines und das Ding möglichst lange übersehen…«

*

Rolfson und Rendup stiegen in die Tiefe des Stahlkubus. An der Mündung von Rolfsons Gauss-Gewehr befand sich eine leistungsstarke Lampe. Rendup hatte einen Microlenser bei sich, mit dem man sich ebenfalls hervorragend in der Dunkelheit orientieren konnte.

Rendup hatte das Ortungsmodul in der Linken und ging voran.

»Ich hoffe, das, was Sie gerade über Ihre Zeit bei den Sprengstoffspezialisten gesagt haben, war nicht nur Angabe«, knurrte er.

Es gefiel ihm nicht, bei diesem Einsatz zur zweiten Geige degradiert zu werden, Andererseits war Rolfson natürlich Profi genug, um in einer derartigen Situation jede Hilfe anzunehmen.

In fast fünfzig Meter Tiefe fanden sie schließlich mit Hilfe des Ortungsmoduls, was sie gesucht hatten: Einen quaderförmigen Gegenstand, der die gesuchte Energiesignatur auf wies.

»Also, an die Arbeit«, sagte Rendup. »Oder soll ich Ihnen den Vortritt lassen, Sergeant?«

*

Die JEFFERSON traf ein.

Majestätisch schwebte der Dreadnought in einer Entfernung von nur zehn Kilometern an der STERNENKRIEGER vorbei. Eine Landefähre wurde ausgeschleust.

»Eine codierte Nachricht vom I.O., Ma'am«, meldete Kronstein an Sunfrost gerichtet. »Offenbar gibt es ein Sicherheitsproblem. Im Inneren der Plattform existiert eine Bombe, die aber entschärft werden kann…«

»Stellen Sie Kontakt zur JEFFERSON her!«, verlangte Sunfrost.

»Verbindung steht.«

Auf dem Panoramabildschirm erschien jetzt das Gesicht von Captain Damien D. Waters, dem Kommandanten der JEFFERSON.

Sunfrost fasste knapp zusammen, wie die Lage war.

»Botschafter Aljanov ist bereits von Ihrem Ersten Offizier über den Sachverhalt informiert worden«, erklärte Waters. »Er denkt nicht daran, die Verhandlungsmission abzubrechen und geht das Restrisiko ein. Die Chance auf Frieden ist es wert, sagt er.«

Ist da ein Vorbehalt gegenüber Aljanovs Ansichten?, ging es Sunfrost durch den Kopf.

Aber die Argumente des Botschafters waren nicht von der Hand zu weisen. Wenn die Qriid Wind von dem Attentatsvorbereitungen bekamen, fand das Treffen nicht statt.

Und wer wusste schon, wann sich die nächste Gelegenheit ergab…

Der nach dem neuen Verschlüsselungssystem codierte Kanal zur JEFFERSON wurde geschlossen.

»Hier ist etwas, was Sie sich ansehen sollten, Ma'am«, sagte Kronstein plötzlich.

Sunfrost hatte schon die ganze Zeit über bemerkt, dass der Lieutenant an seiner Konsole stark beschäftigt war. Viel stärker, als es die Position eines Ortungs- und Kommunikationsoffiziers in der derzeitigen Situation eigentlich erforderte.

Sie trat an Kronsteins Konsole und blickte auf die Displays.

»Ich konnte es einfach nicht lassen, und habe weiter an der Aufklärung von Captain Reillys Tod gearbeitet.« Der Lieutenant deutete auf eines der Displays.

Sunfrost begriff sofort. »Es ist Ihnen gelungen, einige der kurz vor der Explosion gelöschten Daten zu rekonstruieren!«

»Exakt. Das Material ist bruchstückhaft und enthält noch viel Datenschrott. Aber es handelt sich um Privataufzeichnungen von Captain Reilly. Er beschreibt hier seinen Eindruck von Kassan Rendup, dem Geheimdienstoffizier, der ihm für die bevorstehende Mission im Bannister-System zugeteilt wurde. Besonders gut kommt der Kerl nicht weg…«

»Überrascht Sie das, Lieutenant?«

»Nein, Ma'am, nicht im Mindesten. Wir alle wissen ja, dass er nicht gerade ein sympathischer Typ ist.«

»Sie sagen es.«

»Aber das hier geht über Sympathie und Antipathie weit hinaus«, berichtete Kronstein. »Wie gesagt, der Text hat Bruchstücke, aber es lässt sich das Wesentliche zusammenfassen. Captain Reilly überwachte die Reparaturen an Bord der STERNENKRIEGER. Rendup kam an Bord, um sich das erste Mal mit Reilly zu treffen, weil Reilly keine Lust hatte, deswegen zur Erde zu fliegen. Was Rendup nicht wusste: Es lief gerade ein Test-Scan der Ortungssysteme. Sie zeichneten eine sehr schwache, abgedämpfte Energiesignatur auf, die Reilly sofort bekannt vorkam. Sie ähnelte den Energiemustern, die wir aus der Qriid-Technik kennen. Er ging der Sache nach und fand das hier!«

Kronstein drückte auf einen Knopf. Auf einem der Displays erschien eine Abbildung, die einem antiken Röntgenbild ähnelte.

»Der M-Scan!«, entfuhr es Sunfrost.

Jeder, der ein Kriegsschiff wie die STERNENKRIEGER betrat, wurde in der Schleuse durch ein so genanntes M-Strahlungsfeld durchleuchtet, um Sabotage zu verhindern. Das war auch mit Rendup geschehen, als er zum ersten Mal die Schleuse passiert hatte.

Kronstein zoomte den Kopf heran. Im Nackenbereich befand sich etwas Metallisches von der Größe eines Fingernagels.

»Ein implantierter Chip, würde ich sagen«, sagte Sunfrost.

»Exakt«, bestätigte Kronstein.

»Aber das ist noch nichts Besonders. Milliarden von Menschen haben Chips, die Medikamente oder ultraleichte Stromstöße abgeben und meistens medizinischen Zwecken dienen.«

»Dieser nicht. Er arbeitet wie eine Kamera, ist mit dem Auge verbunden und speichert alles, was der Betreffende sieht. Captain Reilly fand das allerdings allein heraus. Er nahm Kontakt mit einem Spezialisten an der University of New L.A. auf und der bestätigte anhand des Scans, dass es sich wahrscheinlich nicht um menschliche Technik handelt.«

Lieutenant Kronstein blickte seinen Captain jetzt direkt an. »Ich denke, Rendup bekam Wind von Reillys Aktivitäten. Vermutlich überwachte er Reillys Datenverkehr. Er kehrte noch einmal zurück zur STERNENKRIEGER und den Rest wissen wir. Er tötete Reilly, bevor dieser seine Erkenntnisse weitergeben konnte, brachte ihn dorthin, wo die Explosion stattfand und konnte sich sicher sein, dass keine Spuren bleiben.«

Sunfrost nickte. »Das macht erschreckend viel Sinn.«

»Nicht wahr? Captain Reilly hat übrigens einige aufschlussreiche Dinge über Rendup herausgefunden. Er war für mehrere Wochen auf einem Planeten verschollen, den die Qriid überrannt hatten. Irgendwie schaffte er es dann aber doch zu entkommen… Und wenn er ihnen eigentlich gar nicht entkommen ist… ? Die Qriid müssen über sehr wirksame Konditionierungsmethoden verfügen.«

»Vielleicht dient auch dazu der Chip«, vermutete Sunfrost.

Rendup hatte Karriere gemacht und Zugang zu Geheimwissen erhalten.

Und jetzt soll er sein gesammeltes Wissen abliefern, ging es Sunfrost schaudernd durch den Kopf. Darum das Treffen!

»Ich brauche eine Verbindung zum I.O.«, befahl sie. »Und zwar sofort!«

*

Mit überraschender Leichtigkeit hatte Rendup die Bombe entschärft. Rolfson stand nur staunend daneben.

»Die Gefahr ist vorüber«, sagte der Geheimdienstoffizier und gab über seinen Armbandkommunikator eine entsprechende Meldung an Sunfrost weiter.

Er richtete sich auf – zog plötzlich einen Nadler hervor und richtete die Waffe auf Rolfson. Ohne zu zögern feuerte er auf das Gesicht des Marine.

Durch die ruckartige Bewegung des Geheimagenten alarmiert, übernahmen Rolfsons antrainierte Reflexe die Kontrolle. Das Visier seines Helms glitt hinab. Gleichzeitig wich der Marine mit – für einen Mann seiner Größe – erstaunlicher Geschwindigkeit zur Seite.

Der Nadelstrom zischte dicht am Kopf des Sergeants vorbei.

Ein paar der Projektile trafen Helm und Visier.

Rolfsons Fuß schnellte hoch, kickte Rendup den Nadler aus der Hand, obwohl dieser bei versiegelter Panzerung kaum eine Gefahr darstellte. Er verzichtete auch bewusst auf den Einsatz des Gauss-Gewehrs. Es schien ihm nicht ratsam, Löcher in einen schwimmenden Hohlkörper zu stanzen.

Sein Gegner hatte auch so keine Chance. Ein weiterer Tritt traf Rendup vor den Solarplexus, bevor Olaffsson ihm mit einem Faustschlag den Rest gab.

In diesem Moment summte sein Armbandkommunikator.

»Seien Sie vorsichtig«, erklang Wongs Stimme. »Rendup ist ein Agent der Qriid. Nehmen Sie ihn fest!«

»Schon geschehen, Sir.«

*

Als Rolfson auf die Plattform zurückkehrte, starteten die Qriid-Beiboote eines nach dem anderen. Er trug den sehr viel kleineren Rendup über der Schulter und runzelte die Stirn.

Botschafter Aljanov wirkte etwas orientierungslos und war in ein hitziges Gespräch mit einigen der ihn begleitenden Diplomaten verwickelt.

»Was ist denn hier los?«, rief Rolfson.

»Der Teufel, das sehen Sie doch, Sergeant«, knurrte Wong.

»Rendup war so freundlich, die Entschärfung der Bombe auf einem ungeschützten Kanal zu senden, sodass die Qriid alles mitbekamen! Kein Wunder, dass sie jetzt davonfliegen.«

Aljanov trat auf den Ersten Offizier zu. »Wenn das alles hier vorbei ist, werden Sie mir einiges zu erklären haben – und ob ich Sie danach noch Lieutenant Commander Wong nennen muss, ist sehr fraglich!«

Der Angesprochene blieb ruhig. »Ich halte Ihnen zu Gute, dass Sie die Fakten nicht kennen, Sir!«

Da drang plötzlich die Stimme seines Captains aus seinem Armbandkommunikator. »Die Qriid greifen an!«

*

Zorstan-Gas stieß ein martialisches Krächzen aus. Die Verhandlungen zwischen den Menschen und Dor-Moktron, dem Abgesandten der Priesterschaft, waren abgebrochen worden. Sein menschliches Werkzeug Rendup hatte Erfolg gehabt.

Bei der letzten Kontaktaufnahme über ein codiertes Funksignal, das direkt seinen Chip erreichte, war er instruiert worden, die Verhandlungen zum Scheitern zu bringen. Später sollte er von einem als Heiliger Händler getarnten Qriid-Schiff an Bord genommen werden.

Zorstan-Gas hatte es kaum erwarten können, das gesammelte Spionage-Wissen in Rendups Implantat endlich nutzen zu können. Ein Wissen, das den kommenden Krieg siegreich enden lassen würde.

Aber jetzt war sein Spion in die Hände des Feindes geraten.

Er war enttarnt und gefangen. Die Menschen wussten zumindest ansatzweise von seinen Aktivitäten. Anders war das nicht erklärlich.

Dieser Augenblick war wie geschaffen, um einen Zwischenfall zu provozieren, der die Humanen Welten zu einem Angriff zwang. Dann hatte er sein Ziel erreicht, seinen Auftrag erfüllt, denn in dem Fall hatten die Tanjaj das Recht und die Pflicht, sie zu vernichten.

Der Tanjaj-Mar wird stolz auf mich sein, dachte er. Ich werde als treibende Kraft für den heiligen Krieg in die Geschichte eingehen. Und wenn die Priester nicht sehr schnell einen neuen Aarriid präsentieren, wird ihr Einfluss zusammenschrumpfen wie die Grsom-Früchte auf Qriidia in der Dürrezeit.

Der Krieg war sicher.

Ohne Aarriid…

Und mit Aarriid…

»Befehl an das Geschwader«, rief Zorstan-Gas. »Konzentriert das Feuer auf das größere der beiden Schiffe!«

*

Die JEFFERSON bekam das volle und konzentrierte Traser-Feuer der Qriid-Flottille zu spüren.

Der Angriff kam so plötzlich, dass Captain Damien D. Waters Crew nicht einmal den Plasma-Schirm aktivieren konnte. Das Traser-Feuer brannte sich unaufhaltsam durch die gepanzerte Außenhülle der JEFFERSON, fraß sich in lebenswichtige Sektionen.

Es war auffällig, dass eines der Schiffe sich nicht an dem Angriff beteiligte. Dieses war das Ziel der beiden Beiboote der Qriid. Eins davon wurde durch das eigene Traser-Feuer zerstört, doch das andere erreichte das Mutterschiff, das daraufhin beschleunigte, so als wollte es das System verlassen.

Doch für Captain Sunfrost war es nur ein Feind weniger, den man abwehren musste und sie verbannte diese Information aus ihrem Denken.

In diesem Augenblick explodierten die Sandström-Aggregate der JEFFERSON. Der Dreadnought platzte in der Mitte förmlich auseinander. Zwei gewaltige Trümmerteile trieben auf die Stratosphäre von Bannister IV zu.

Die Qriid hatten in nur wenigen Sekunden ein Dreadnought vernichtet, die größte Schiffsklasse des Space Army Corps. Nun stand ihnen nur noch ein Leichter Kreuzer gegenüber – der zweitkleinste Typ.

Aber im Gegensatz zur JEFFERSON hatte die STERNENKRIEGER Zeit, den Plasma-Schirm zu aktivieren, bevor sie unter Feuer genommen wurde.

Jetzt war es so weit.

Immer wieder jagten Traser-Strahlen auf den Leichten Kreuzer zu, trafen – und wurden vom Plasma-Schirm verschluckt.

Doch irgendwann würde dieser weggebrannt sein, das war Sunfrost nur allzu bewusst.

Der STERNENKRIEGER blieb nicht viel Zeit, um gegen diese Übermacht zu bestehen. Wenn es ihr nicht gelang, den Gegner in die Flucht zu jagen oder selbst zu entkommen – Letzteres stand für den Captain nicht zur Debatte –, bevor der Plasma-Schirm zusammenbrach, erging es ihr genauso wie der JEFFERSON.

Waffenoffizier Robert Ukasi tat sein Bestes und tippte immer neue Beschießungspläne in den Computer. Mit halber Lichtgeschwindigkeit jagten die Projektile der Gauss-Geschütze durchs All. Selbst die geringe Materiedichte im Fast-Vakuum reichte bei dieser Geschwindigkeit aus, um so viel Reibung zu erzeugen, dass sie glühten. Traf ein solches Geschoss, durchschlug es jede Panzerung wie Papier.

Nichts konnte den zweitausend Projektilen pro Minute und Breitseite widerstehen – wenn man traf!

Denn das war das Problem. Durch technische Einschränkungen war es notwendig, mit dem ganzen Schiff zu zielen und dem Feind mit den Seiten anzuvisieren.

Der Waffenoffizier konnte nur kleine Korrekturen an der Feuerrichtung vornehmen. Doch auf den großen Entfernungen beim Kampf im All wirkten sich auch diese aus. Außerdem war er dafür verantwortlich, dass der Geschossstrom unterbrochen wurde, wenn Verbündete gefährdet wurden.

Die punktgenau feuernden Traser der Qriid waren deutlich treffsicherer. Allerdings war ihre Feuerrate wesentlich geringer.

»Kurskorrektur!«, rief Sunfrost, markierte auf ihrem Display die gewünschte Route und leitete die Daten weiter.

»Ist eingeleitet, Ma'am!«, bestätigte Lieutenant John Taranos, der Rudergänger.

Der glühende Vernichtungssturm der STERNENKRIEGER schwenkte bei der Kurskorrektur mit durchs All und richtete sich auf die Qriid-Raumer. Lieutenant Ukasi gab eine leichte Korrektur in den Computer – und einer der Angreifer wurde von Hunderten von Treffern durchsiebt.

Keines der Geschosse der STERNENKRIEGER explodierte beim Aufprall. Stattdessen rissen sie einen zehn Zentimeter durchmessenden Tunnel durch das komplette Ziel.

Gefrierender Sauerstoff und Stickstoff sowie Kühl- und Treibstoffgase schossen ebenso wie die Wasservorräte in schockgefrierenden Fontänen ins All. Keinen Lidschlag später wurde das Qriid-Schiff von einer Explosion zerrissen.

Trümmerteile flogen durch das All.

»Kurskorrektur abgeschlossen!«, meldete Lieutenant Taranos.

»Volle Beschleunigung liegt an.«

Der Weg führte sie jetzt zwischen die feindlichen Kriegsschiffe.

Auf diesen Augenblick hatte Sunfrost gewartet. »Bringen Sie das Schiff in Rotation, Lieutenant Ukasi!«

»Aye, Ma'am!«

Die STERNENKRIEGER begann, sich um ihre eigene Achse zu drehen und dabei das Dauerfeuer beizubehalten. Bei vier Breitseiten – oben, unten, links. rechts; wenn man so sagen wollte – schleuderten die Gauss-Geschütze jetzt achttausend Geschosse pro Minute ins All.

Das war eine Methode, mit der Space Army Corps-Schiffe gegen zahlenmäßig überlegene Gegner kämpften, um jede Breitseite einsetzen und so die Feuerkraft optimieren zu können.

Der Plasma-Schirm der STERNENKRIEGER war bereits bedenklich dünn durch das Traser-Feuer der Qriid. Wenn diese weiterfeuerten, würden sie gar nicht erst in den Vernichtungssturm der Gauss-Projektile geraten.

Aber das können die Geierköpfe ja nicht ahnen, hoffte Captain Sunfrost.

Es war nicht mehr als ein Bluff – der aufging!

Die Qriid-Schiffe änderten den Kurs und beschleunigten Richtung Systemgrenze. Schnell befand sich die STERNENKRIEGER außerhalb der Reichweite ihrer Traser.

Das Gefecht war entschieden, wenn auch zu einem hohen Preis – dem Verlust der JEFFERSON.

Rena löste die verkrampfte Hand von ihrem Talisman.

Bedenke, dass du sterblich bist, dachte sie. Und tu dennoch das Richtige…

*

»Ich gratuliere Ihnen zu Ihrem Erfolg, Ma'am«, sagte Lieutenant Commander Wong einige Erd-Standardtage später.

Er und sein Captain saßen allein im Konferenzraum der STERNENKRIEGER. »Ich muss sagen, Ihre Taktik war… wagemutig.«

»Sie war tollkühn und verzweifelt«, berichtigte Sunfrost. »Aber sie hat funktioniert…«

Rena musterte Wongs Gesicht, und in diesem Moment fiel ihr etwas auf, dass sie zuvor noch nie an ihm bemerkt hatte: Verunsicherung.

Er fragt sich, ob er selbst ebenfalls Erfolg gehabt hätte, wurde Sunfrost klar. Ob er auch alles riskiert hätte…

Einige Augenblicke verlegenen Schweigens folgten.

»Abt Montgomery hat uns berichtet, dass die Qriid einen neuen Aarriid ernannt haben«, erzählte Sunfrost, nur um irgendetwas zu sagen. »Es scheint sich um ihren höchsten Herrscher zu handeln.«

»Vielleicht können wir ja mit dem einen Frieden aushandeln«, sagte Wong hoffnungsvoll.

»Das glaube ich kaum.«

Der Erste Offizier der STERNENKRIEGER nickte traurig. »Es ist deprimierend.«

Niemand rechnete mehr mit Frieden.

Botschafter Aljanov schien diese niederschmetternde Erkenntnis nur schwer verarbeiten zu können. Seit Tagen hatte er die Kabine, die man ihm auf der STERNENKRIEGER überlassen hatte, nicht verlassen.

Längst war Verstärkung ins Bannister-System unterwegs. Den Freistaatlern war der Wind aus den Segeln genommen worden, und »Präsident« Anderson hatte bekannt gegeben, dass sie ihre Abspaltungsbestrebungen beenden würden. Sunfrost hoffte nur, dass man die Mörder ihrer beiden Marines ermitteln konnte.

»Aber wenigstens gehen wir nicht mit gekürztem Etat in die kommenden Schlachten«, fuhr Wong fort.

Rena nickte.

Die Ereignisse im Bannister-System hatten auf die Etat-Verhandlungen des Hohen Rates natürlich einen durchschlagenden Einfluss gehabt.

Renas Kommunikator summte. Es war die Schiffsärztin Dr. Simone Nikolaidev. Sie hatte Kassan Rendup in ein künstliches Koma versetzt und versuchte seit Tagen, behutsam an das Implantat heranzukommen, über das er gesteuert worden war.

»Doktor?«, sagte der Captain. »Gibt es Neuigkeiten?«

»Leider keine guten. Ich dachte, ich hätte einen Weg gefunden, ihn von diesem Ding zu befreien. Aber plötzlich kam es zu einem rapiden Anstieg des Energieniveaus. Es ist zerschmolzen und hat Rendup dabei getötet.«

»Ein Selbstzerstörungsmechanismus«, schloss Sunfrost.

»Vermutlich.«

»Ich bin gleich bei Ihnen.«

Rena unterbrach die Verbindung, erhob sich und schritt zur Tür.

»Captain!« Die Stimme ihres Ersten Offiziers ließ sie noch einmal anhalten und sich halb herumdrehen.

»Was ist noch, I.O.?«

»Es kommt vielleicht etwas verspätet, aber: Auf gute Zusammenarbeit, Commander Sunfrost…«

Sie nickte lächelnd. »Vielen Dank, I.O.«

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