Читать книгу Kommissar Herbst und der Rüde Rüdiger - Waldemar Paulsen - Страница 7
Kapitel 2
ОглавлениеMontag, 18.08.1975, 21:00 Uhr, Hamburg- St. Georg, Nobelbordell „Blauer Engel“.
Es war die Erste und teuerste Adresse Hamburgs für die Hanseatische Gesellschaft, die etwas Zerstreuung suchte und Dampf ablassen wollte von dem beruflichen und häuslichen Alltagsstress.
Der Portier des Etablissements in seinem Livre` war für angenehme Benimmregeln und Diskretion bekannt. Täglich ab 22:00 Uhr war er bis 04:00 Uhr in der Früh auf seinem Posten. Leck- Hans war stolz, seine Berufskleidung gestellt bekommen zu haben; und dass er nun seit Jahren endlich im ersten Haus am Platze angekommen war. Stets setzte er eine vergnügliche Miene auf, wenn ein Gast um Einlass bat; seine Zungenspitze kreiste dabei unaufhörlich über Ober- und Unterlippe.
Im Foyer des Hauses hing ein überdimensionales, mit Goldrahmen verziertes Bild auf dem zu lesen war:
Der Blaue Engel steht für Sinnhaftigkeit, Jungfräulichkeit und einer Spur Ruchbarkeit. Wir wünschen Ihnen angenehme, entspannte Stunden in unserem Haus. Sie kamen als Fremder und gehen als Freund.
Schweine-Willy hatte sein Haus über Jahre mit Akribie zu dem gemacht, was es nun darstellte. Er hatte ein neues Frauenbild kreiert, die Femme Fatale geschaffen.
Es waren männerverschlingende Frauen, die den testosterongesteuerten Freier ins Verderben lockten. Die anwesenden Dirnen waren sorgfältig von ihm nach Schönheit, Intellekt und ausgezeichneten Manieren ausgewählt worden, wie auch das weibliche und männliche Personal an der Bar.
Allesamt hatten die Edelhuren einen Zuhälter. Willy Wichtig hatte ausdrücklich untersagt, dass die Dirnen von ihren Luden bei Schichtbeginn vor dem Portal aus den protzigen Schlitten ihrer Beschützer aussteigen durften. Sie hatten über den Hinterausgang das Bordell zu betreten und zu verlassen.
Schweine- Willy hatte eine Vereinbarung mit dem Pächter des auf der gegenüberliegenden Straßenseite befindlichen Hotels getroffen. Die Dirnen gingen ausschließlich bei ihm der Prostitution nach und nutzten den Blauen Engel lediglich zur Kontaktaufnahme. Die Zimmermiete für das Stundenhotel hatten die Freier zu zahlen. Der Hotelier wiederum zahlte Schweine- Willy vierzig Prozent Provision von der Zimmermiete, natürlich cash. Irgendwie musste Willy sich seinen Rolls Royce, die Yacht und die Villa in Blankenese nebst den sonstigen Annehmlichkeiten leisten können.
Ausnahmslos montags, um 21:00 Uhr, traf sich im Kellergeschoß des Blauen Engel der von Schweine -Willy ins Leben gerufene Verein „Immertreu“.
Willy Wichtig hatte den Verein vor zwei Jahren aus egoistischen Gründen hauptsächlich zu seiner Gewinnmaximierung gegründet.
Es war der sogenannte Ringverein, der für die Mitglieder durch einen besonderen Siegelring erkennbar wurde, den man sich verdienen musste.
Der protzige Ring bestand aus achtzehnkarätigem Weißgold, die Fassung zeigte einen üppigen, furchtaussehenden Totenkopf. Links und rechts des Ringes war jeweils das Monogramm des verdienenden Trägers graviert.
Schweine- Willy finanzierte die Ringe und ließ sie bei besonderem Anlass von einem Juwelier auf der Reeperbahn zu vereinbarten Sonderkonditionen in Auftrag geben.
Jedes Mitglied war sich des besonderen Rituals bewusst, dass nur bedingungsloser Gehorsam bis in den Tod ihr Handeln bestimmte.
Es waren die Regeln, die Schweine- Willy formuliert hatte und ständig von ihm evaluiert wurden. Sie verhalfen ihm zu einem Vermögen der besonderen Art. Er wollte seinen Clan ganz oben sehen, allen Widerspenstigen sein Mal einbrennen. Schon gar nicht war es seine Absicht, der Billigheimer der Nation zu werden. Nichts gab es zum Nulltarif. In diesem Land ging nur die Sonne umsonst auf, alles andere musste man sich nehmen, war Willy s Maxime. Er war eben ein Gewinner, der sich von nichts und niemandem bremsen ließ.
Sein Ego war so groß wie der Mount Everest. Das übersteigerte Imponiergehabe verstand er prima zu inszenieren. Wer waren sie alle ohne ihn? Ein nichts, meinte Schweine- Willy und schmunzelte bei dem Gedanken.
Willy hielt stets das akademische Viertel ein, obwohl die Wanduhr bereits 21:00 Uhr zeigte.
Er wollte durch sein Verhalten seine Machtstellung unterstreichen und gleichzeitig sollte es als präventive Warnung dienen.
Er war der Silberrücken unter den Alphatieren des Rotlichtmilieus.
Seine Fußsoldaten hatten bereits an dem viermal einen Meter großen Tisch Platz genommen, der sich in zwei Metern Entfernung vor dem fünfzig Zentimeter hohen Holzpodest befand. Auf dem Podest stand ein überbordender, barocker Thronsessel, wie man ihn ansonsten nur in englischen Herrschaftshäusern finden konnte. Neben dem Holzpodest war ein ebensolches angelehnt, das jedoch nur mit dreißig Zentimetern Höhe geschreinert worden war. Auf diesem stand ein schlichter, lederner Armlehnsessel, der ebenfalls noch unbesetzt war.
Nasen- Peter, Kinn- Dieter, Nerven- Müller, Glatzen- Horst, Grübel- Otto, Ochsen- Gerdie, Bacardi- Fred, Sado- Schorsch und Psycho- Siggi hatten bereits Platz genommen.
Es fehlte Dödel- Alex, Alex Meyer, der mit dem Zauberschwanz. Sein Platz neben dem Thron von Schweine- Willy war leer.
Er war Willys Adlatus, der von Willy ernannte Staatsanwalt. Man erzählte sich, dass er einen unruhigen Halm haben würde, der stärker als Eisen, härter als ein Diamant und dicker als ein Baseballschläger sein würde. Sex ohne Bohrhammer in sechzig Sekunden, sagte man ihm nach.
Alex wurde zum Tier, wenn jemand nur ansatzweise versuchte, eine seiner einkommensträchtigen Bräute abzugraben oder nur den Versuch unternahm, ohne lukrative Abstecke eine abzuwerben. Andere Prostituierte mieden ihn wegen seiner unendlichen Ausdauer, konnten sie doch in derselben Zeit drei andere Freier bedienen und somit die Krumme für ihre Luden zufriedenstellender mehren. Damit stieg auch ihr Ansehen bei ihren Beschützern.
Der Verein „Immertreu“ mit seinem Richter Schweine- Willy achtete peinlichst genau darauf, dass hauptsächlich keine männlichen Luden die von ihm aufgestellten ehernen Regeln missachteten. Ebenfalls kamen auch Dirnen bei ihm vor Gericht, die versuchten, sich als Lampenbraut anzubieten. Jeglicher Kontakt zur Schmiere war untersagt, ebenfalls offen ausgetragene Konflikte. Die Proteste dienten nur dazu, die Polizei auf den Plan zu rufen und ihre Gewinnmaximierung zu schmälern; Geschäfte zu stören und zu schädigen. All das war ein strenger Verstoß, der stringent geahndet wurde.
Sie waren die Geräuschlosen Kaufleute, eine verschworene Gemeinschaft und so sollte es bleiben. Willy war stets auf der Suche nach Leuten, die nichts mehr zu verlieren hatten und sie alle waren diese Klientel zuzuordnen.
Nachdem der Barkellner aus der Kontaktbar im Obergeschoß neun saubere Aschenbecher und diverse alkoholfreie Getränke auf dem Tisch platziert und mit eiligen Schritten den Raum verlassen hatte, zeigte die Wanduhr 21:15 Uhr, als Schweine- Willy den rauchgeschwängerten Raum betrat und mit gespielter, bedeutungsloser Miene und unterkühltem Ton äußerte: „Entschuldigt Jungs, ich habe eben noch die Kühlerfigur meines Rolls Royce nachpolieren müssen.“
Schweine- Willy gluckste bei der Bemerkung, gleichzeitig achtete er auf das Mienenspiel und die Reaktionen der Rotlicht- Truppe.
Er erwartete hörbaren Beifall, den er jedes Mal in Form von Klopfgetöse auf den Tisch erhielt, wenn er montags mit einem neuen Joke den Raum betrat. Es war seine feinsinnige Witterung mit der er den absoluten Gehorsam checkte.
Ein unpassendes Mienenspiel eines seiner Soldaten deutete er stets als negative Botschaft. Seine Scharfsinnigkeit war sein Kapital. Man muss Menschen lesen können, war seine Maxime, die ihm zum Erfolg geführt hatte. Er war nun mal der Silberrücken, der Leitwolf in dieser Herde. Sein Spürsinn hatte ihm stets zu Profit verholfen.
Er lebte nach dem Motto, dass der Feind seines Feindes sein Freund werden sollte. So hatte er auch seinen einstigen Rivalen Ochsen- Gerdie für sich einnehmen können.
Willy lebte nach dem Motto: Meine Feinde rauben mir nicht den Schlaf, es sind meine Freunde, die mich wachhalten. Er war nun mal ein Mann der führte und nicht folgte. Das war den anderen Jungs im Raum vorbehalten, die meistens nicht mit dem Strom, also Geld, umgehen konnten. Sie handelten nach dem Motto: Ich lebe heute, was schert mich das Morgen. Und das rächte sich häufig. Sie waren geputzt, ausgemistet, einfach nur pleite. Er hingegen war gefüllt, vermögend und das sollte auch so bleiben. Was ihn am meisten störte, waren die Abgaben an den Staat, die Scheiß- Steuern, die sich doch lieber die Soliden auf die Fahne schreiben sollten.
Willy nahm auf dem opulenten Sessel Platz, öffnete das Jackett seines schwarzen Maßanzugs aus feinstem englischen Zwirn, griff mit der Rechten über den Krawattenknoten und löste die schwarzweiß gestreifte Krawatte bis unterhalb des Knorpels. Lässig langte er nach rechts auf den Tisch des Teewagens, der sich neben seinem Sessel befand und entnahm der Zigarrenkiste eine mächtige Havanna. Willy biss mit seinen scharfen Zähnen ein Stück der Zigarrenspitze ab und spuckte das Teil in den Raum.
Genüsslich steckte er die Zigarre in den Mund, fingerte sein mit Brillanten besetztes, gelbgoldenes Dupont- Feuerzeug aus der linken Anzugsjackentasche und befeuerte den Schmauch.
Fast beiläufig fragte er lakonisch in die Runde, wobei er mit einladender Bewegung seines rechten Armes auf den leeren Stuhl links neben sich wies:
„Und, wo ist mein Nachbar, Staatsanwalt Alex Meyer?“
Die Reaktion auf seine Frage war lediglich ein müdes Schulterzucken der Hanseatischen Vermieter weiblicher Geschlechtsteile.
Dödel- Alex hat noch nie unentschuldigt gefehlt, er weiß doch, dass er selbst als Staatsanwalt dem Gericht Rede und Antwort stehen muss. Hoffentlich hat dieser Scharfmacher eine plausible Erklärung für seine Abwesenheit, sonst? sinnierte Schweine- Willy…