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II.

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Inhaltsverzeichnis

Um die vierte Nachmittagsstunde war vor der gelben Fassade des riesigen, extravagant modernen Mietpalastes in der Bleibtreustraße eine förmliche Verkehrsstockung eingetreten. Zwar hatte die Polizei etwas derartiges vorausgesehen und eine Abteilung von Schutzleuten unter Führung eines Polizeileutnants zur Aufrechterhaltung des Verkehrs abgeordnet; aber der Zudrang der Neugierigen, die das Leichenbegängnis des allverehrten Gelehrten angezogen hatte, der von eigener Hand unter so tragischen Umständen geendet hatte, übertraf bei weitem den polizeilichen Voranschlag. Die Mittagsblätter hatten die Verhaftung der Witwe des Dahingeschiedenen gemeldet. Die Beisetzung des hochverdienten Arztes wäre selbst im unermeßlichen Getriebe der Weltstadt schon unter normalen Umständen ein außergewöhnliches Ereignis gewesen und hätte zum mindesten die unmittelbare Nachbarschaft auf die Beine gebracht. Nun war neben dem Sarge des großen Toten plötzlich die grelle Stichflamme der Sensation emporgeschossen und hatte den taumelnden Mottenschwarm der Gaffer in dichten Massen herbeigelockt ...

Auf der sonst verhältnismäßig ruhigen Straße konnten die Automobile, die Taxameter, die Lastwagen sich nur mühsam ihren Weg durch die aufgestauten Menschenmassen bahnen. Vor dem Haupteingang harrte der Leichenwagen. Die endlose Auffahrt der herrschaftlichen Fuhrwerke, welche von den Freunden des Hauses und den Kollegen des Verstorbenen entsandt worden waren, der Mietfahrzeuge, welche seitens der Familie für das Trauergefolge bereitgestellt waren, zog sich die Bleibtreustraße herunter bis zur nächsten Kreuzung und tief in die Mommsenstraße hinein. Und unter der fröstelnden Schar derer, die innerlich unbeteiligt an der irritierenden Witterung des ungeheuerlichen Ereignisses schmarotzten, harrte auch mancher, der sich mit ehrfürchtiger Dankbarkeit des Verstorbenen erinnerte als seines Retters aus schwerer Leibesnot ... Da stand mancher wieder aufrecht auf seinen Knochen, die der stille Mann da oben nach schweren Unfällen geschient und zusammengeflickt hatte ... Tief atmete da in geheimem Grausen manche Brust, aus der seine sichere Hand fressende Eiterherde entleert, wuchernde Krebsgeschwülste ausgeschnitten ... Manches Auge, das umflorten Blickes emporschaute zu den tief herabgelassenen Jalousien des ersten Stockwerkes, hatte einst angstbebend an der leicht geneigten Gestalt des Toten droben, an seinen gern zu gutmütigem Spott geschürzten Lippen gehangen.

Und nun war es da oben zu Ende. Die schwarzen Zylinder, die vorher einzeln und hastig aus allen Teilen Berlins in die enge Pforte dort hineingeschlüpft waren, strömten nun in einem einzigen endlosen Schwall hervor, stauten sich zu beiden Seiten auf dem Bürgersteig, auf dem die wenigen Polizeibeamten mühsam und aufgeregt die lauschende Menge zurückdrängten. Unter den Hüten eine Überfülle prachtvoller Köpfe, deren Träger in der Menge hier und dort erkannt und ehrerbietig benannt wurden. Erlauchte Namen der Wissenschaft, der Literatur, der Kunst, des Journalismus, des Handels und der Finanz. Auch Uniformen – scharfgeschnittene, wetterfeste, grauschnurrbärtige Gesichter unter den eckigen Schienen der Gardehelme, aus den noch halbgeöffneten grauen Paletots hervorblitzend die dichtgereihten Sterne endloser Ordensschnallen. Auch der Vertreter des Kaisers darunter, der am Sarge des Fürsten der Wissenschaft einen letzten königlichen Dank niedergelegt ...

Und nun flogen weißbehandschuhte Hände an die Helme, nun lüfteten sich die Zylinder und entblößten hohe, tiefgefurchte Stirnen, kahle Schädel oder schneeweißes Gelock hier, leicht angegraute, korrekte Scheitel dort ... Und aus der Pforte schwankte auf den Schultern der Träger ein schwarzer Sarg ... Er umschloß, was übrig war von einem starken Ringer, der so manches liebe Mal den Riesen Tod in den Sand geworfen, so lange der seine Sense nach fremden Häuptern zückte ... Und der sich endlich nun dem oft bekämpften Feinde still und gelassen in die Arme gelegt ... statt geduldig sein tückisches, langsames Heranschleichen abzuwarten ...

Wirklich –?! Oder war es nicht doch vielleicht anders –?! Hatte nicht ein anderer Wille den immer noch aufrechten, in der Vollblüte der Geisteskraft prangenden Mann mit eisiger Hinterlist in die lauernden Arme des Sensenmannes hineingestoßen –? ein Wille, der sich einst mit dem des Hingeschiedenen zu gemeinsamen Lebensgange vereinigt hatte –?

Da war kaum einer in dem Kreise der vielen Hunderte der Zuschauer, der diese Möglichkeit, diesen Verdacht nicht mit geheimem Gruseln erwogen hätte ... Denn das war es ja, was weitaus den größten Teil der gaffenden Menge hergelockt hatte – eben dies Gruseln, dieser Verdacht ... Die Mittagsblätter gingen im Schwarme von Hand zu Hand. Jeder wußte auch hier drunten bereits: in dem Trauergeleite da oben hatte eine gefehlt ... eine, die dieser Trauerfall, dieser unersetzliche Verlust am nächsten anging von allen Menschen ... auf diese eine hatte schon seit gestern abend das Gesetz die eherne Faust gelegt ...

Und schon war's vorüber. Die kahlen Schädel, die silbernen und die grauen Scheitel bedeckten sich, es senkten sich die weißbehandschuhten Hände. Hüte und Helme hasteten der Wagenkolonne zu, um sich einen Platz zu sichern für die letzte Geleitfahrt hinter dem Toten drein. Und nun wogte ein unendlicher Schwall von Grün und Blüten aus der weit aufgesperrten Tür hervor – unterbrochen vom starren Glanz der schwarzen und weißen Schleifen mit den dicken goldenen Fransen, den mächtigen Gold- und Silberbuchstaben der Inschriften. Schier unversieglich schien der Strom der welkenden, in morbidem Duft hinsterbenden Liebesspenden, die Freundschaft und Herzensdank dem stummen Mann mitgaben in die Gruft ...

Und endlich war auch das vorüber. Endlich zogen die von schwarzen Prunkschabracken umhüllten Gäule des Leichenwagens an ... zwei Wagen folgten, hochbestapelt mit der Last der Kränze und Palmenarrangements ... und hinterdrein rollte der unabsehbare Park des Wagengeleits.

Nun erst fluteten die dicken Menschenmauern auseinander, die bis dahin dem finstren Schauspiele den stumpfen Rahmen gestellt hatten ... In wenigen Minuten lag die Bleibtreustraße wieder da in breiter, vornehmer Ruhe, und nur die zertretenen Blüten auf der Schwelle des gelben Hauses erinnerten noch an das Gewesene.

Und nun erst kam auch eine Gruppe schwarzgekleideter Damen aus der Pforte und verteilte sich in kleine, erregt plaudernde Trüppchen, die nach allen Richtungen der Straßenzüge auseinanderstrebten oder die vorübersausenden Automobile, vorüberklappernden Taxameter heranwinkten.

Frau Helene Herold trat als eine der letzten heraus mit zwei anderen Damen, die sich gleich ihr zu den Intimen des Hauses rechnen durften und sich daher verpflichtet gehalten hatten, der Familie so lange Gesellschaft zu leisten, bis das Trauergefolge sich völlig aufgelöst hatte – den beiden verheirateten Schwestern des Verstorbenen, die von auswärts mit ihren Gatten zur Bestattungsfeier des berühmten Bruders herbeigeeilt waren, und der völlig gebrochenen Schwiegermutter, die seit der Verhaftung ihrer Tochter ganz in sich zusammengesunken war.

Frau Helenes Augen waren noch immer vom Weinen gerötet. Ihr leicht erschüttertes Herz hatte in dem verhaltenen Grauen der Stunde förmlich geschwelgt. Bei der Toilette hatte sie sich verspätet. Nur mit Zuhilfenahme eines Automobils hatte sie noch im allerletzten Augenblick den Anschluß an die Bestattungsfeier erreicht, hatte sich nur mühsam durch die dichtgekeilte Menge der versammelten Männlichkeit bis in das Wohnzimmer hindurchwinden können, in welchem der Sarg aufgebaut war – und die Plätze für die Familie des Entschlafenen und die Damen vorgesehen waren. In den Morgenblättern hatte sie vergeblich nach einer Notiz über die ungeheuerlichen Vorgänge des verflossenen Abends gesucht ... Und daß die Mittagsblätter ausführliche Artikel brachten, hatte sie erst soeben aus dem Munde der Frau Kommerzienrat Goldenberg erfahren, während sie mit dieser und der dritten Freundin des Verstorbenen, der geschiedenen Frau eines der berühmtesten Berliner Rechtsanwälte, die mit tiefem Schwarz ausgeschlagenen Treppen des Trauerhauses hinunterschritt ... Nun lauschte sie gierig dem genaueren Bericht der beredten Dame, welche die Notiz der Mittagsblätter vom vielen Erzählen bereits auswendig konnte ...

»Ja, meine Damen,« hastete die wohlbeleibte Dame im schwarzen Sammetpaletot, deren kugelrundes Gesicht nur zur unteren, fast krebsrot angelaufenen Hälfte unter dem riesigen, von enormen schwarzen Pleureusen überwogten Hute hervorlugte, »die ist es, gerade die! Sie machten mich noch darauf aufmerksam, liebe Frau Helene, und meinten, saures Gras und rotes Haar wüchsen auf keinem gesunden Boden. Und nun hat unsere Freundin den Schaden!«

Die einstige Frau des berühmten Kriminalisten, eine schlanke, herrische Gestalt im langschößigen Paletot von schwarzem Brokat, runzelte die schmale Stirn über den grünlich schillernden Augen, fragte mit nervöser Ungeduld:

»Also, was will sie denn eigentlich – die Person?!«

»Ach, meine Liebe, das ist ein reines Märchen – eine Spukgeschichte, Sie kriegen eine Gänsehaut dabei –! Sie haben doch gewiß einmal eine Vorstellung gesehen von einem ... einem ... Hyp ...«

»Hypnotiseur – wollen Sie sagen ... nicht wahr?« half die Ungeduldige ein.

»Ach Gott ja, wissen Sie, Frau Mirjam, ich bin so vertattert von der ganzen Geschichte – so angegriffen ... man kommt ja überhaupt nicht zu sich selber in diesen entsetzlichen Wochen der Hochsaison ... und nun müssen auch noch solche überflüssigen Geschichten passieren ... Also ein Hypnotiseur, wissen Sie, der bringt es fertig, Leute einzuschläfern und ihnen dann allerhand zu befehlen, was sie ausführen – später, wissen Sie, wenn sie anscheinend wieder ganz wach sind ... dann tun sie ganz willenlos, was der Hyp ... Hypnotiseur ihnen befohlen hat – nicht wahr. Sie erinnern sich, Sie haben es sicher schon einmal gesehen!«

»Aber ich bitte Sie, liebe Frau Kommerzienrat, was hat das denn mit unserer unglücklichen Freundin zu tun?!«

»Leider mehr als zuviel, liebe Freundin. Also stellen Sie sich vor: dieses Frauenzimmer, diese – wie hieß sie doch? – ach ja, Elsbeth hieß sie – das heißt, sie ließ sich nur so schimpfen, in Wirklichkeit hieß sie Krölke, Anna Krölke, ganz einfach, ihre Wiege stand in der Mulackstraße, müssen Sie wissen –! Und Gott allein mag ahnen, wie sie sich so weit in die Höhe geschoben hat, daß sie sich in herrschaftlichen Häusern als Gesellschaftsdame hat anbringen können, he – he – he! Nun also: Elsbeth Anna Krölke behauptet, unsere liebe gute Susanne habe ihren Mann – aber bitte, fallen Sie nicht um, meine Damen! habe ihren Mann hyp ... hypnotisiert – he – he! und habe ihm dann den Befehl gegeben, den bewußten Brief an sie zu schreiben ... und sich dann das Leben zu nehmen – haben Sie Worte, meine Damen?!«

Schon als das Wort Hypnotiseur zum erstenmale über die Lippen der schwatzhaften Dame gekommen, hatten Frau Helene Herold und Frau Mirjam Bogdanski einen jähen, bestürzten Blick der Erinnerung, der Ahnung gewechselt ... Frau Mirjam, die sich für die Öde ihres Daseins an der Seite eines durch seinen Beruf gänzlich mit Beschlag belegten Mannes so lange durch zahllose Liebesabenteuer entschädigt hatte, bis ihr Gatte sie eines Tages mit einem seiner jüngsten Referendare überrascht hatte, und der Skandal unvermeidlich geworden war – ihr war nichts Menschliches fremd, und für die Seelen- und Leibesnot ihrer Freundin Susanne hatte sie stets das innigste Mitfühlen gehabt ... Frau Mirjam stieß nun hinter dem Rücken der Kommerzienrätin, die in der Mitte ging, die Frau des Kollegen ihres verflossenen Gatten mit ihrem Regenschirm an und warf ihr heimlich einen zweiten Blick zu, halb des Einverständnisses, halb des Befehls – dabei legte sie ihren Finger an den Mund, um der Freundin unbedingtes Schweigen gegenüber der Dritten im Bunde zu gebieten.

Und vor beider Frauen Augen stand in diesem Augenblick die Erinnerung an eine Teestunde, die sie vor wenigen Monaten in dem kühlen, im englischen Geschmack eingerichteten Salon Frau Susannes verlebt hatten. Die verblüffenden Gedankenübertragungs-Experimente des Italieners Bellini faszinierten damals die Gesellschaft ... Es war gerade Mode geworden in den mondänen Zirkeln, sich mit allerhand Übergriffen in das Unterbewußtsein, in die tieferen Regionen des menschlichen Seelenlebens die Zeit zu vertreiben. Von diesen Dingen war das Geplauder der drei Frauen ausgegangen und war dann ganz unmerklich von der Frage des Eindringens in eine fremde Gedankenwelt zu dem Problem ihrer Beherrschung durch den eigenen Willen hinübergeglitten. Keine der drei Frauen war gebildet genug, um diesen Problemen mit der gelassenen Überlegenheit eines Geistes gegenüber zu stehen, dessen Weltanschauung auf dem unerschütterlichen Grunde des Glaubens ruht, daß alles Erdengeschehen, daß alles Geschehen überhaupt vom lücken- und widerspruchslosen Walten ewiger und segensvoller Naturgesetze regiert werde. In allen spukte noch ein Rest von Köhler- und Kinderglauben an geheimnisvolle, übernatürliche und unternatürliche Mächte, mit denen am Ende wohl gar ein Bündnis möglich sein möchte ... ein Bündnis, das Hilfe verhieße wider allerhand Umstände des Daseins, die zu besiegen Intelligenz, Wille, Charakter, Anpassungsfähigkeit nicht ausreichten ...

Und so hatte denn eine nach der andern immer unheimlichere Geschichten von Fällen des zweiten Gesichts, der Ahnungen, der eingetroffenen Prophezeihungen und seherischen Träume zu berichten gewußt ... Und endlich hatte Frau Helene eine halbvergessene Zeitungsnotiz beigesteuert, über die ihr Mann gelegentlich einmal mit ihr geplaudert hatte – es war da von ungeheuerlichen Experimenten berichtet worden, die ein französischer Gelehrter in seiner Klinik mit seinen Patienten vorgenommen hatte. Er hatte sie in den Zustand des hypnotischen Schlafes versetzt und ihnen dann alle möglichen Verbrechen suggeriert, die sie begehen sollten, wenn sie wieder erwacht sein würden. Und regelmäßig hatten die Versuchspersonen mit kaltblütigem Raffinement die ihnen angesonnenen, ihrem Wesen sonst ganz fremden Schandtaten durchzuführen versucht ... Selbstverständlich war das Experiment stets so eingerichtet worden, daß die Versuchspersonen weder sich noch anderen Schaden zufügen konnten ... Immerhin schien die Möglichkeit nachgewiesen, im Wege hypnotischer Suggestion einem entsprechend bearbeiteten Individuum eine Straftat zu suggerieren, die dieses dann willenlos, bewußtlos, automatisch ausführen würde ...

Diese halbverstandenen Schauergeschichten hatte Frau Helene ihren Freundinnen aufgetischt und dadurch den Anlaß zu einer erregten Diskussion gegeben, bei der die Frauen sich allerhand bizarre Möglichkeiten ausgemalt und sich dadurch in eine immer größere Erregung hineinfabuliert hatten. Schließlich war Frau Susanne auf den Einfall gekommen, sie wolle doch einmal versuchen, ob sie nicht die Macht besitze, eine der anderen Frauen in hypnotischen Schlaf zu versetzen. Es hatte sich dabei herausgestellt, daß Susanne sich mit derartigen Problemen schon früher beschäftigt haben müsse, denn sie kannte eine Methode, den hypnotischen Schlaf herbeizuführen. Sie hatte Frau Mirjam Bogdanski einen silbernen Löffel in die Hand gegeben, den diese unverwandt minutenlang anstarren mußte. Dann hatte sie ihr in herrischem Tone den Befehl erteilt, sie werde nun einschlafen, und nach ziemlich kurzer Zeit war Frau Mirjam auch tatsächlich in einen völlig apathischen Zustand gefallen, ihre Muskeln waren erschlafft, sie war unfähig gewesen, trotz sichtbarer Anstrengungen, die Hände von ihren Knien zu erheben, die zugefallenen Augen zu öffnen ...

Da hatte Frau Susanne sie rasch aufgeweckt, sie aber alsbald zum zweitenmale und nun noch viel schneller in den widerstands- und bewußtlosen Zustand zu versetzen gewußt ... und nun hatten die beiden Frauen mit der Eingeschläferten Schabernack getrieben. Frau Helene, anfangs etwas entsetzt über diese unheimliche Gewalt, die von Susanne auszugehen schien, hatte sich schließlich doch, von Susannes Temperament hingerissen, an dem Unfug beteiligt: man hatte der Entschlummerten eine brennende Zigarette unter die Nase gehalten und ihr eingeredet, es sei eine Rose, eine duftende Rose ... und Mirjam hatte mit allen Zeichen des Entzückens den qualmenden Stummel berochen ... man hatte ihr einen halbwarmen Tee zu trinken gegeben, und Frau Susanne hatte dazu erklärt, es sei schäumender, frappierter Pommery ... und Mirjam hatte mit Entzücken und Zungenschnalzen den faden Trank heruntergeschlürft. Schließlich war Mirjam in einen so tiefen Schlaf versunken, daß es selbst dem hartnäckigsten Befehl Frau Susannes nicht möglich gewesen war, sie wieder munter zu bekommen. Da hatten die Frauen Angst bekommen. Erst hatten sie geplant, nach Geheimrat Mengershausen zu telephonieren ... hatten sich's dann aber doch nicht getraut, sondern Mirjam auf eine Chaiselongue gelegt und anderthalb Stunden mit kreidebleichen Gesichtern und schlotternden Fingern gewartet, bis endlich Mirjam mit einem tiefen Atemzug die Augen aufgeschlagen hatte und, wie erquickt von tiefem Schlummer, mit unschuldigen Kinderaugen um sich geblickt und ihre Verwunderung ausgesprochen hatte, daß man sie so lange habe schlafen lassen. Nun hatten die beiden andern Frauen ihr gebeichtet, was sie mit ihr vorgenommen ... und dann hatten sie alle drei einander Stillschweigen gelobt. Und wenigstens Helene konnte sich mit gutem Gewissen das Zeugnis ausstellen, daß sie ihr Versprechen bis heute gehalten habe. Aber in diesem Augenblick legte sich die Erinnerung an jene aufregenden Spätnachmittagsstunden wie der Griff einer eiskalten Knochenfaust auf Frau Helenes Nerven. Also das ... das war die Anschuldigung, die nach dem Haupte der Rivalin zielte! Hypnotisiert haben sollte sie ihr Opfer ... den eigenen Gatten ... und ihm selber den Todesbefehl eingeflößt ... ihn selber gezwungen, willenlos niederzuschreiben den rettenden Brief, der die Spur des Mordes zu verwischen bestimmt war ...

Eine Beschuldigung, über die Frau Helene gewiß gelacht haben würde ... vor drei Monaten ... heute lachte sie nicht, denn ... Frau Susanne konnte hypnotisieren –!

Freilich – das wußten ja nur zwei Menschen auf Erden, sie selber, Helene – und die vielerfahrene lebenshungrige Frau da drüben ... Und sie beide hatten einander doch geschworen, nichts zu verraten ...

Nichts zu verraten? Auch jetzt nicht? Jetzt, wo Frau Susanne die Macht ihres Willens nicht mehr zu einem unbesonnenen, müßigen Spiel angewandt hatte, sondern –?

Ach, Unsinn! so etwas gab's ja gar nicht!

Frau Kommerzienrat Goldenberg redete inzwischen unausgesetzt weiter – Helene hörte kaum hin. Alles wirbelte in ihrem Kopf durcheinander ... Mein Gott, es war doch eine wunderliche Geschichte ... wenn ihr die von irgendeiner andern Frau erzählt worden wäre – sie hätte sich vor die Stirn getippt und den Erzähler ausgelacht –! Hypnotisieren –?! Eine Frau einen Mann hypnotisieren? Und noch dazu ... ihren eigenen –?! Ach Gott – die armen Weibchen wurden ja höchstens hypnotisiert ... von den Männern –! Aber – Susanne? Teufel ja – eine Frau mit solchen Augen –?

Und dann – wenn man doch sogar wußte –?!

Man – wußte? Wer – man?

Frau Mirjam Bogdanski und – Frau Helene Herold. Und sie ... sie würden schweigen ...

Wirklich? würden sie –?

Freilich – die da drüben – die schwieg sicher. Die war ja eine von derselben Sorte wie Frau Susanne – auch ein Stück Vagabundin, ein Stück Zauberin, ein Stück ... Hexe ... Die fühlte sich mit allem verwandt, was auf Erden verboten war, geheimnisumschleiert, gefährlich und verrucht ...

Nein, Frau Mirjam würde nicht reden ...

Ihr wollte ja auch niemand den Mann rauben ... sie hatte ja keinen mehr – oder vielmehr, sie hatte so viele, als sie nur haben wollte ... auf ihre Art ...

Aber – Helene Herold? war sie nicht – wie sagte doch Gustav manchmal –? »im Stande der Notwehr«?! Aber – vielleicht war es gar nicht einmal notwendig ... vielleicht wußten die Herren vom Gericht überhaupt schon alles – auch die Geschichte von dem Nachmittagstee ... denn wenn die bewußte Elsbeth mit den brandroten Haaren das Mengershausensche Paar nachts im Schlafzimmer bespitzelt hatte – warum sollte die nicht auch das frivole Spiel jenes Nachmittages ... belauscht haben?

Ja – war es nicht am Ende gar denkbar, daß die Zofe überhaupt nur von diesem Nachmittag wußte ... und sich das übrige – die eigentliche Tat ... nur aus den Fingern gesogen hatte –? nur hinzuphantasiert –?

So kreuzten sich die Vermutungen in Helenes Hirn – ein toller Wirbel von Verdacht und Entschuldigung, von Gewißheit und Zweifel – Frau Goldenberg aber redete und redete. Sie habe dieser ekelhaften Person niemals getraut – ja, wenn man seine Fünfzig hinter sich habe und immer mit offenen Augen durch die Welt gegangen, dann sei man eine Menschenkennerin, dann brauche man den Leuten nur in die Augen zu sehen und wisse Bescheid ... Und diese Berliner Wohnungen mit den papierdünnen Wänden seien für die Dienstboten überhaupt eine ganz entsetzliche Verführung ... man lebe gewissermaßen unter beständiger Kontrolle seiner Leute ... und daß es in der Mengershausenschen Ehe eines Tages eine Katastrophe absetzen werde, das habe sie auch schon immer gewußt ... es sei ja auch ein Unsinn sondergleichen gewesen, daß ein älterer, ruhebedürftiger Herr sich so eine schöne, junge, temperamentvolle Frau genommen habe ... Und woher nur die Zeitungen das alles wissen könnten – die Untersuchung werde doch jedenfalls ganz geheim geführt ... freilich, die Zeitungen seien allmächtig ... sie seien noch viel schlimmer als die Dienstboten, die hörten nicht nur, die sähen auch durch die Wände hindurch ...

Inzwischen waren die drei Damen die Bleibtreustraße hinunterspaziert, hatten den Kurfürstendamm gekreuzt. Die Straße war um diese winterlich-schöne Nachmittagsstunde von Menschen und Gefährten belebt ... Die drei Damen hatten jede einen ausgedehnten Bekanntenkreis, und es konnte nicht fehlen, daß sie hier im Westen, wo ringsum fast in jeder Straße das eine oder andre Haus Wohnungen von nahestehenden Familien barg, häufig begrüßt wurden. Sie waren alle drei in tiefem Schwarz, und an dem teilnahmvollen Gruß der begegnenden Freunde konnten sie gar wohl erkennen, daß jeder wußte, woher sie kamen ...

Jawohl, jawohl – allerdings! wir wissen natürlich schon alles! wir sind ja die nächsten dazu! Diese fabelhaft interessante Geschichte ... uns geht sie ja noch viel, viel mehr an als euch –! Gott, und wie interessant das ist, so gewissermaßen im Brennpunkt einer Affäre zu stehen, die augenblicklich ganz Berlin beschäftigt! Mit feierlichen, tiefernsten Mienen dankten die drei Damen für die feierlichen, tiefernsten Grüße der Bekannten. Sie waren sich durchaus bewußt, daß sie die Verpflichtung hatten, erregt, erschüttert, sorgenvoll, tiefbekümmert auszusehen. – Und sie sahen erregt aus, erschüttert, sorgenvoll und tiefbekümmert. Es hatte alles seine Richtigkeit.

Frau Kommerzienrat Goldenberg hatte die Unterhaltung fast allein geführt. Sie hatte gar nicht bemerkt, daß ihre beiden Begleiterinnen völlig verstummt waren und nur gelegentlich ein paar belanglose Redensarten oder Interjektionen dazwischen warfen. So etwas merkte sie nie, so lange man ihr nur zuhörte oder wenigstens so tat. Nur hinter ihrem Rücken hatten die beiden anderen Frauen gelegentlich Blicke gewechselt: Gott im Himmel, wenn man sie doch erst nur los wäre! Sie ist unerträglich! Das Organ allein kann einen schon wahnsinnig machen.

Und endlich an der Kreuzung der Joachimsthaler Straße machte sie Halt und erklärte, sie müsse sich nun leider von den Freundinnen trennen. Sie müsse zum Tee zu Exzellenz von Studnitz – dort erwarte man sie sicher mit der größten Ungeduld, um ihren Bericht über die Leichenfeier in Empfang zu nehmen ... der Minister habe zwar nicht mit Geheimrat Mengershausen gesellschaftlich verkehrt, wohl aber hätten die Herren sich häufig am dritten Orte getroffen, und man könne sich doch wohl denken, wie interessiert die Herrschaften sein müßten ... Sie winkte einen Taxameter heran und schob mit etwelchem Stöhnen ihre umfangreiche, in schwarzen Sammet verpackte Leiblichkeit in das Innere des schäbigen Kastens, warf von drinnen den beiden jungen Frauen noch ein paar Kußhände zu ...

»Altes Scheusal!« zischte Frau Mirjam hinter ihr drein. »Und nun kommen Sie, meine Liebe – nun wollen wir mal einen Schlachtplan machen. Wir müssen unter allen Umständen herausbekommen, ob dies verdammte Frauenzimmer, die rothaarige Elsbeth oder Anna, auch uns damals belauscht hat. Nun, da sitzen Sie ja an der Quelle – Sie fragen einfach Ihren Mann, nicht wahr?«

»Versuchen will ich's –« sagte Frau Helene langsam.

»Das fehlte gerade noch, daß die Staatsanwaltschaft von der Geschichte Wind bekäme! Dann würden wir beide womöglich vor Gericht müssen ... und gegen unsre Freundin aussagen –! Und denken Sie nur, welch eine furchtbare Gefahr für die arme Susanne, wenn es herauskäme, daß sie sich überhaupt schon mit derartigen Geschichten befaßt hat! Na – wir zwei sagen nichts, nicht wahr, liebe Freundin?«

Die Frauen schüttelten sich die Hände und bekräftigten noch einmal das Gelöbnis des Schweigens. Jetzt war Helene allein. Es drängte sie nach Hause ... es zog sie mit aller Gewalt an die Stelle, die für sie eine Stätte völliger, wunschloser Zufriedenheit war ... wo sie alles, alles wußte, was sie sich wünschte und behalten wollte ... nur das eine nicht – das eine, das ihr das Leben nicht gewährt hatte und – seit der gräßlichen Untersuchung bei Professor Barkhausen im vorigen Winter wußte sie es, auch niemals gewähren würde ... das Glück, ihrem Gustav Kinder zu schenken. Ja, und sie fühlte es – das war die wunde Stelle ihrer Position ...

Also schweigen sollte sie – schweigen von jenem Erlebnis, dessen ungeheuerliche Bedeutung für Frau Susannes Schicksal und ihr eigenes ihr um so klarer wurde, je länger sie die Sachlage überdachte ...

Sie kaufte sich die Mittagszeitung und las im Weitergehen die Notiz ... Es war nicht schwer, sie aufzufinden – sie stand in großem Sperrdruck auf der vordersten Seite des Blattes. Darüber mit riesigen Lettern die Spitzmarke:

»Frau Geheimrat Mengershausen wegen Verdachtes des Gattenmordes verhaftet« ...

Der Bericht wußte zu melden, was Frau Helene schon wußte: und nun erst, als Helene die ungeheuerliche Beschuldigung nicht mehr nur als Klatsch aus dem Munde der zungenfertigen alten Dame vernahm, der es auf eine Handvoll kühne Hypothesen niemals angekommen war – als sie das Gräßliche so schwarz auf weiß in der Zeitung las und bedachte, daß nun der »Fall Mengershausen« in aller Munde sei ... in ganz Berlin ... nein, in der ganzen Welt – nun erst kam es ihr völlig zum Bewußtsein, daß sie selber eigentlich alle Veranlassung habe, mit dieser Entwicklung der Dinge zufrieden zu sein ... Dafür meinte sie ihren Gustav denn doch zu kennen, daß er eine Frau, die unter so ungeheuerlichem Verdachte stand, zum mindesten bis zu dem Tage, da ihre Unschuld unwiderleglich an den Tag kommen würde, ein bißchen mehr mit den kühlen, klaren Augen des Juristen, denn mit den befangenen, geblendeten des ... Anbeters betrachten würde.

Also – eine Galgenfrist – das war das mindeste, was diese unerwartete Schicksalswendung für sie selber zu bedeuten hatte.

Ob Gustav wohl schon zu Hause war? Und wie die ... Unterhaltung ... im Gefängnis wohl abgelaufen sein mochte –? Er war noch nicht daheim. Und lechzend vor Durst und Erregung goß Helene rasch zwei, drei Tassen Tee hinunter. Dann warf sie sich in ihrem Zimmer auf die Chaiselongue und gab sich wiederum ganz dem aufquirlenden Strudel ihrer Gedanken hin. Schweigen? oh gewiß ja, sie würde schweigen ... sie würde nicht zur Staatsanwaltschaft laufen und die Rivalin denunzieren ... aber – Gustav –?! Nein – dem brauchte sie die Geschichte von Susannes hypnotischen Experimenten denn doch wohl nicht zu verschweigen, dem durfte sie am Ende nicht einmal verschweigen, daß – daß die Beschuldigung der rachsüchtigen Person auf jeden Fall durchaus nicht so ganz ... aus der Luft gegriffen war!

Nein – Gustav sollte alles wissen – alles. Er war der Jurist – er konnte die Tragweite dieser ... dieser Enthüllung besser beurteilen ... er kannte seine Berufspflicht ... er mochte erwägen, ob er eine Frau noch weiter verteidigen könne, gegen die sich solche ... solche unheimlichen Verdachtswolken zusammenbrauten –!

Und da war er. Sie hörte seine Stimme draußen auf dem Korridor, wie er nach seiner Frau, nach dem Tee fragte. Also er war doch nicht gleich zum Büro gegangen ... hatte doch wohl das Bedürfnis verspürt, sich mit der Vertrauten seines Lebens ein wenig auszusprechen ... über die »Affäre« ...

Sie betrat das Teezimmer und sah auf den ersten Augenblick, daß Gustav in ungeheurer Erregung war. Er war tiefblaß. Die Teetasse klirrte wider den Untersatz, als er sie aus der Hand setzte, um Helenens Begrüßungskusse den Kopf entgegenzubeugen, mechanisch, ohne durch ein Wort, durch eine Liebkosung zu quittieren.

Stumm legte Helene ihm die Mittagszeitung hin, wies mit ausgestrecktem Finger auf die anderthalb Zentimeter großen Buchstaben der sensationellen Überschrift. Stumm nahm Gustav die Zeitung, las die Notiz aufmerksam durch, legte sie dann ebenso wortlos auf den Tisch und schlürfte stumm seinen Tee.

»Wie war die Beisetzung?« fragte er dann, ohne aufzublicken.

»– Willst du mir nicht zuerst erzählen, Gustav? Du kannst dir doch wohl denken, daß ich ... daß ich einfach wahnsinnig gespannt bin –!«

Sie hatte sich auf den Stuhl über Eck neben ihn gesetzt. Augen, Lippen und Hände, alles an ihr bebte. Er richtete sich ein wenig auf, nahm ihre eiskalten Hände in die seinen, die nicht viel wärmer waren, sah ihr fest ins Auge und sagte:

»Liebes Kind – ich hab' mir's überlegt. Du weißt, ich habe keine Geheimnisse vor dir. Ich habe dir auch aus der Praxis manches erzählt, was in den Bereich meiner beruflichen Schweigepflicht fiel ... ich wußte, ich habe mich auf dich verlassen können. Aber ... in diesem Falle ... sieh mal, Helene, du wirst doch in der nächsten Zeit von unsren Bekannten jedenfalls mit neugierigen Fragen einfach bombardiert werden ...«

»Nun, das ist doch selbstverständlich, daß ich dann einfach nichts weiß –! das habe ich doch immer schon so gemacht!«

»Aber ... ich meine, in diesem Fall ist es doch wohl besser, du ... du weißt wirklich nichts ... sieh mal – es handelt sich um Tod und Leben eines Menschen ... eines Menschen, der uns beiden sehr nahe steht ...«

»Uns ... beiden –?!«

»Aber Helene –!«

Sie schlug die Augen nieder, denn sie fühlte wieder, wie ihr die Tränen aufstiegen ... Er sprach ruhig und fest weiter:

»Also wirklich, Helene – ich hab mir's überlegt – ich halte es für das Beste, ich sage dir in diesem Falle gar nichts. Du kannst unmöglich die ganze Tragweite beurteilen ... ich weiß, ich kann mich auf deine Verschwiegenheit verlassen ... aber man wird mit allen Mitteln versuchen, dich auszuholen ... und selbst die leiseste Andeutung, selbst eine Bewegung, ein Blick von dir kann unter Umständen diesem schnüffelnden Weibervolk irgendetwas verraten, was unbedingt geheim gehalten werden muß ... Also wirklich – in deinem eigenen Interesse –! in deinem eigenen Interesse bitte ich dich – verzichte in diesem Fall auf meine Mitteilungen!«

Helene löste ihre Hand ungestüm aus der des Gatten.

»Also gut –« preßte sie heraus und tat ein paar hastige Schritte zur Tür hin. Er war schon hinterher, legte beide Hände um ihre Hüften und hielt sie fest.

»Aber Kind – aber Kind – aber Helene!«

»Ach, laß mich! es scheint ja wahrhaftig, als ob du dich mit dieser ... dieser Dame vollständig identifiziertest! Allzu berühmt kann's aber wohl nicht um sie stehen, wenn du so viel Angst um sie hast –!«

»Helene – das ist direkt häßlich von dir!«

»Ich habe schon meine Gründe –! ich rede nicht ins Blaue hinein!«

»Das ist zu toll! diese wahnsinnige, abgeschmackte Beschuldigung – die du mit Entrüstung, mit Hohnlachen an die Wand schleudern solltest – du, du – meine Frau, die Frau des Mannes, der das unglückselige Weib da hinten schützen und retten will vor dieser infamen, abgefeimten Denunziation – du tust, als sei sie nicht unschuldig – nein, als sei sie überführt –?!«

»Na – es wird wohl ein bißchen was dran sein ... an der Beschuldigung!«

»Helene –! wenn ich nicht ganz und gar an dir irre werden soll – was hast du?! du ... du scheinst ja wirklich irgend etwas ... irgend etwas ausgetiftelt zu haben ... irgendetwas, das –?«

»Ausgetiftelt –?! oh nein, lieber Freund, ich habe nichts ausgetiftelt! aber ich weiß etwas – etwas, das deine ... deine Klientin dir wahrscheinlich nicht auf die Nase gebunden hat –!«

Gustav ergriff Helene mit Ungestüm an beiden Armen, führte sie zum Tische zurück, zwang sie auf ihren Stuhl nieder, nahm ihr gegenüber Platz und sagte gebieterisch:

»Also heraus mit der Sprache, bitte.«

Und da erzählte Helene. Und im Erzählen merkte sie, wie der eiserne Druck, der ihre Oberarme umklammert hielt, immer weicher wurde, bis die Hände, die sie auf den Sitz gezwungen hatten, schlaff am Leibe des Gatten herabsanken. Mit weitaufgerissenen Augen, mit schweren, keuchenden Atemstößen lauschte Gustav dem Bericht seiner Frau.

»Nun –?!« sagte Helene, als sie geendet. »Wie gefällt dir das?«

Gustav verlor die Haltung. Er stützte die Ellenbogen auf die Knie, sein Kopf sank in die Hände. So grübelte er einen Augenblick, eine Minute, fünf Minuten in brütendem Schweigen vor sich hin – während Helene ihn mit einem Blick zärtlichen Triumphes betrachtete.

Nicht wahr? das brach doch den Bann –? das gab Klarheit, nicht wahr? nun würde er doch wieder wissen, wohin er gehörte –! und wo es nichts andres für ihn zu holen gab, als Wirrnis, grimmige Enttäuschung, Verstrickung in Schuld, Verrat und Mord –!

Plötzlich richtete Gustav sich auf. Eine harte Entschlossenheit lag in seinem Gesicht.

»Also der Zusammenhang ist klar. Diese Person, diese Krölke oder wie sie heißt – die hat euch einfach belauscht, als ihr diesen gottverdammten Unsinn mit euren hypnotischen Experimenten getrieben habt. Auf diese Weise ist sie zweifellos überhaupt auf den verruchten Gedanken gekommen, ihre Herrin später in dieser infamen Weise zu verdächtigen. Und nun bitte ich mir aus – absolutes, tiefstes Stillschweigen über diese Geschichte – verstanden?«

Helene starrte den Gatten an, als rede er in einer fremden Sprache.

»Also ... du bist vor wie nach überzeugt – völlig überzeugt ... daß Frau Susanne –«

»– daß sie unschuldig ist –? Wen ich einmal meinen Freund genannt habe, an den gebe ich den Glauben so schnell nicht auf. Da müßten denn doch noch ganz andere Indizien zusammenkommen! Wenn du anders denkst, ich kann's dir natürlich nicht wehren. Aber ich verbiete dir – hörst du? ich verbiete dir, die Situation der unglückseligen Frau dadurch noch zu erschweren, daß du diese läppische Geschichte in den Mund der Leute bringst.«

Mit weitaufgesperrten Augen saß Frau Helene da, regungslos. Nur das blonde Haupt nickte immerfort leise vor sich hin.

»So, so. Und du willst also deine ... deine Freundin nicht einmal zur Rede stellen? Willst ihr nicht einmal vorhalten, was ich dir heute erzählt habe?«

»Selbstverständlich will ich das. Aber fürs erste werde ich keine Gelegenheit dazu haben.«

Und er erzählte seiner Frau, daß die Unterredung, die er heute mit seiner Klientin gehabt, nur in Gegenwart eines Zeugen gestattet worden sei. Und daß dieser Zeuge von nun an bis auf weiteres bei jeder derartigen Aussprache zugegen sein würde.

Frau Helene hatte Mühe, das tiefe Aufatmen der Erleichterung zu verstecken.

»Du siehst also,« schloß der Gatte, »daß ich fürs erste nicht in die Lage kommen werde, diesen Punkt aufzuklären. Ich werde mich hüten, die Untersuchungsbehörde auf diese Geschichte zu hetzen. Kommt sie ohne mein Zutun heraus, dann werden wir uns auch mit diesem – mit diesem Verdachtsmoment ... denn selbstverständlich, ein Verdachtsmoment ist es –! du siehst, ich bin nicht blind –! dann werden wir uns auch damit abfinden müssen. Aber es ist eben für mich nur ein Verdachtsmoment – an meiner Überzeugung kann es nichts ändern.«

»Und ... darf man fragen, worauf sich diese deine Überzeugung gründet –?«

»Auf meine Ansicht von dem Wesen dieser Frau –!« rief Gustav heftig. »Daß ich sie ... daß ich sie ... verehre – daß ich den innigsten, freundschaftlichsten Anteil an ihrer Person und ihrem Schicksal nehme – Narr, wenn ich leugnen wollte –! ich sollte meinen, ich hätte nie ein Geheimnis daraus gemacht!«

»Nein – das hast du wahrhaftig nicht –!«

»Na also! Und wenn du in einem Augenblick, wo das Schicksal geradezu herumprügelt auf diesem unglückseligen Weib – wenn du da auch nur in deiner Vorstellung – mit einem hinausgeworfenen Dienstboten gemeinsame Sache machst gegen sie – dann kann ich das nur aus einer Empfindung erklären, die so – so lächerlich ist ... so gegenstandslos ... so unwürdig – daß ich dich nur dringend bitten kann, sie schleunigst aus deiner Gedankenwelt zu verbannen! denn sie ist beleidigend für mich ... für dich ... für sie –! sie ist abgeschmackt, sie ist kindisch!«

Mit einem Ruck stand Frau Helene auf. In jähem Aufschluchzen preßte sie das Taschentuch vor ihren Mund und ging mit harten Schritten aus dem Zimmer.

Und diesmal hielt er sie nicht.

Mörderin?!

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