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Die Ehe mit Ludwig
ОглавлениеAnna und Ludwig XIII. waren ein Paar, das unterschiedlicher nicht sein konnte: Er bevorzugte die Jagd, sie war dem Theater, dem Tanz und der leichten Muse zugetan.
Das zeigte sich schon in der Kindheit. Ludwig XIII. wurde am 27. September 1601 in Fontainebleau geboren und war der zweite französische König aus dem Haus Bourbon. Er war der älteste Sohn von Heinrich IV. von Frankreich und dessen zweiter Gemahlin Maria de’ Medici. Nach der Ermordung seines Vaters im Jahr 1610 folgte er diesem im Alter von neun Jahren auf den Thron.
Ludwig wuchs fern vom Hof unter der Obhut der Madame de Mouglat und des Leibarztes Jean Héroard (1551–1628) auf. Letzterer führte ein genaues Tagebuch über die gesundheitliche Verfassung, Psyche, Neigungen und Beschäftigungen des jungen Thronerben und hinterließ damit ein einzigartiges Dokument über die Prinzenerziehung aus einer Zeit, die kaum schriftliche Quellen über Kinder kennt. Das empfindsame Kind litt unter der strengen, durch Schläge geprägten Erziehung und der Trennung vom vergötterten Vater.
Wie wir wissen, wurde Heinrich IV. wurde - kurz nach der Krönung der Maria de’ Medici und kurz vor seinem Aufbruch in den Krieg gegen Habsburg - am 14. Mai 1610 von dem religiösen Fanatiker François Ravaillac ermordet. Ludwig XIII. wurde am 17. Oktober 1610 in der Kathedrale von Reims zum König gekrönt.
Über sein Verhältnis zur Mutter lesen wir nach:
„die Königin ist ihren Kindern eben nicht zugetan, außer vielleicht dem kleinen Gaston. Schwanger sein, ja, das findet sie schön, aber sobald die Frucht vom Baum fällt, löst sie sich als erste von ihr. Mein armer seliger Cousin (denn so nannte Madame de Guise unseren verstorbenen König) hat es ihr oft genug vorgeworfen. Was scherte es sie, wenn eines der Kinder krank war. ›Man soll es zur Ader lassen!‹ sagte sie mit an-gewiderter Miene, ohne ihren erhabenen Arsch auch nur von der Stelle zu rühren, um nach ihm zu sehen.“7
Nach seiner Krönung übernahm für den Minderjährigen die Mutter die Regentschaft. Sie betrieb im Gegensatz zu ihrem Mann und Vorgänger unter der Leitung zweier Günstlinge aus dem italienischen Gefolge, Leonora Dori Galigaï und Concino Concini, eine spanienfreundliche Politik. Sichtbarstes Zeichen war 1615 die Doppelhochzeit ihrer beiden ältesten Kinder: Ludwig mit der spanischen Prinzessin Anna von Österreich und Elisabeth mit dem spanischen Thronfolger, dem späteren Philipp IV. von Spanien.
Anlässlich der Erklärung der Volljährigkeit des Dauphin und auf Druck von Heinrich II. von Bourbon, Prince de Condé, dem nächsten Anwärter auf den französischen Thron, wurden 1614 - zum letzten Mal vor 1788/89 - die Generalstände einberufen. Der junge König wurde gleichwohl als „das kindischste Kind“ von der Regierung und dem Rat ferngehalten. Die Generalstände wurden die erste öffentliche Plattform für Jean Armand du Plessis, den ehrgeizigen Bischof von Luçon und späteren Kardinal Richelieu.
Am Hof hielt man Ludwig XIII. für einen unfähigen Idioten. Umso größer war die Überraschung, als der kaum sechzehnjährige König am 24. April 1617 Concino Concini ermorden ließ und die Macht an sich riss.
Maria von Medici mit Leonora Galigaï und Concino Concini
Fünf Kugeln feuerten die Verschworenen auf den Schurken Concini ab, als er am 24. April 1617 den Louvre über die ›schlafende Brücke‹ betrat. Die zwei ersten verfehlten ihn, die dritte traf ihn zwischen den Augen, die vierte unterm rechten Auge, die fünfte zerriss ihm die Kehle. So konnte man – leicht übertrieben – sagen, er wurde dreimal getötet, zu Frankreichs Ruhe und Erlösung hätte schon einmal genügt. „Jetzt bin ich König“, war alles, was Ludwig danach sagte.
Zehn Tage später, einen Tag vor Himmelfahrt, am 3. Mai um halb drei Uhr nachmittags ging die schluchzende Maria von Medici nach Schloss Blois in die Verbannung. Mit undurchdringlichem Gesicht sah Ludwig von einem Fenster des Louvre die Karosse seiner lieblosen Mutter davonrollen. Der vormalige Falkner des Königs, Charles d’Albert de Luynes8 übernahm Titel, Besitz und Position des Ermordeten und wurde bald ebenso unbeliebt.
Kommen wir zur Darstellung des schwierigen, ja dramatischen Verhältnisses zwischen Anna von Österreich und Ludwig.
Ludwig wurde durch seinen Beichtvater, Pater Cotton, regelrecht entmannt, indem er ihm von früh bis spät eintrichterte, das Fleisch sei der Satan, und das Fleisch heiße Weib. Tatsächlich fiel diese Saat in einen unbedingten, gewissenhaften Charakter und entfaltete eine Sittenstrenge, von der Ludwig sein Leben lang Beweise ablegte. Jedenfalls flößte sie ihm besonders eine unbesiegliche Abscheu vor dem Ehebruch ein, ob er von anderen betrieben wurde oder ob er ihn für sich selbst als Versuchung fürchtete.
Dabei versuchte Ludwig nur seine Aufregung und Angst zu überspielen und das mit flegelhaften Manieren. Bei der ersten Begegnung mit Anna passierte folgende.
In spanischer Strenge wurde sie von Dona Maddalena de Gusman aufgezogen, der Marquesa del Valle, Gräfin von Altamira, der Schwester des Herzogs von Lerma, des Günstlings von Philipp III. Rücksichtslos wird die vierzehnjährige Infantin nach Frankreich verpflanzt, sie bebt vor Angst und Bereitwilligkeit. Damit sie sich nicht zu fremd fühlt, umgibt man sie mit einer Handvoll Heimaterde, einem ganzen spanischen „Hofstaat“, der sie nach Paris begleitet und dort bleibt.
Sie hat Ludwig XIII., ihren Verlobten, zum ersten Mal am 21. November 1615 gesehen, zwei Meilen vor Bordeaux, auf der Straße, durch die Scheiben ihrer Karosse hindurch. Der König saß in der seinen. Die beiden riesigen Kutschen rollten nebeneinander her. Der Junge zeigte mit dem Finger auf sich und schrie dem Mädchen zu: „Io son incognito! Io son incognito!“ Er mustert sie, und während sie erhobenen Hauptes auf die Karosse zugeht, muss sie sich die ungenierten Bemerkungen anhören, die da ohne den Versuch, die Stimme zu dämpfen, von den Begleitern des Königs fallen. Was hab ich denn jetzt zu tun? Verlangt die Sitte, dass ich sie irgendwie abschlecke? Den Umlegen soll ich sie ja wohl erst in der Brautnacht, oder? Anna ist stehengeblieben. Das höfische Lächeln erstarrt vor Empörung auf ihrem Gesicht zur Grimasse. Der Gedanke, dass dieser frühreife rüpelhafte Vierzehnjährige morgen ihr Mann sein soll, versetzt sie in Zorn. Neben ihr steht ihr Bruder, sie hat ihre Hand auf der seinen, und sie packt zu und presst krampfhaft seinen Handschuh. Er ist der Beschützer ihrer Ehre. Müsste er bei diesen Bemerkungen nicht längst die Klinge in der Scheide lockern?
Aber in seinem Gesicht zuckt kein Muskel, seine Augen bleiben völlig unbeteiligt. Alfonso hat nichts gehört, und er wird auch nichts hören. Der Handel ist getätigt. Warum soll er so töricht sein und irgendwelchen Ärger aufkommen lassen. Sie ist das Unwichtigste bei dieser Sache.
Die Braut ist klein und zierlich. Ihr eng am Körper anliegendes Kleid in Grün und Rosa lässt ihren festen, gutgebauten Leib erscheinen wie die alten Standbilder, die überall im Gebüsch herumstehen. Sie trägt ihre große Schleppe mit abgespreizten Fingern, was ihren Bräutigam amüsiert, aber wie sie mit ihren dünnen Seidenschuhchen unverdrossen durch den Morast stiefelt, das gefällt ihm. Ihr Profil, mit kleinem Kinn und kleinem Mund, runder Stirn und einer lustigen Nase, die sich an der Spitze ein bisschen verdickt, erinnert ihn an nichts Vergleichbares, seine Tänzerinnen sehen alle ganz anders aus. Ihre Brauen sind mit dem Stift gezeichnet.
Ludwig betrachtet sie abschätzend, ihren schmalen Nacken und die weißen Schultern, die aus dem weit ausgeschnittenen Kleid hervorschauen. Keine alte Schachtel. Ein Püppchen. Aber was steckt dahinter?
Am 25. November vermählt der Bischof von Saintes in der Kathedrale Saint-Andre in Bordeaux die beiden Unbekannten. Anna bricht fast zusammen unter dem Königsmantel aus rot-violettem Samt, mit goldenen Lilien bestickt, mit Hermelin verbrämt und mehr als acht Meter lang.
Sie sieht zu ihm auf, fragt etwas. Ihre Augen unter den gepinselten Brauen sind braun und freundlich.
So musste bereits die Hochzeitsnacht vom fünfundzwanzigsten November 1615 zum Desaster werden. Fast noch ein Kind für damalige Verhältnisse mit vierzehn Jahren und mit einem gleichaltrigen Mädchen, das ebenso unerfahren ist wie der Gemahl und obendrein höchstwahrscheinlich voller Ängste war. Vier lange Jahre hing von dem, was zwischen Ludwig und Anna geschah oder eben nicht geschah, das Schicksal Frankreichs ab.
Louis XIII., gemalt von Frans Pourbus der Jüngere (1611), (Palazzo Pitti).
Da also im königlichen Bett nichts geschah, musste man Ursachenforschung betreiben. Und da gibt es eine ganze Reihe.
Als erstes wäre Ludwigs große Abneigung gegen alles Spanische zu sehen. Ludwig wusste genau, dass von dorther alle Dornen und Prüfungen rührten, unter denen Frankreich zu Lebzeiten seines Vaters und auch schon früher zu leiden hatte. Bekannt war Ludwig auch, dass sein Vater ihn niemals mit einer Infantin vermählt hätte, und allein schon, dass seine Mutter diese Wahl traf, galt ihm als Verrat.
Zweitens kam ein sehr unglücklicher Umstand hinzu, dass Anna von Österreich in Ludwigs Leben im selben Moment trat, als seine Schwester Elisabeth ihn auf immer verließ, um Königin von Spanien zu werden. Dieser Verlust, der ihm lange Wochen Appetit und Schlaf raubte, musste die Ankunft von Anna für ihn zwangsläufig in düstere Farben tauchen. Spanien verwundete Ludwig gleich zweimal: Es nahm ihm seine geliebte Schwester und gab ihm dafür eine Frau, die er gar nicht wollte.
Drittens war zu verzeichnen, wenn die Königinmutter diesem wenig geliebten Sohn die Zeit gelassen hätte, sich mit der Fremden anzufreunden und sich von seiner brüderlichen Trauer zu erholen! Aber wie hätte ihr diese zartsinnige Idee auch nur einfallen sollen, hatte die Trennung von ihrer ältesten Tochter sie ja selbst kaum berührt. Stattdessen führte sie das Ganze trommelschlagend mit ihrer üblichen Rohheit in einem Zuge durch bis zur Hochzeitsnacht. Der kleinen Königin blieb kaum Zeit, sich von der langen, holprigen Reise auszuruhen, da befahl die Regentin auch schon, die zu Burgos in Stellvertretung geschlossene Ehe durch eine große Messe in Saint-André zu bestätigen. Nie schien eine Messe länger zu dauern, denn Ludwig war morgens mit schweren Kopfschmerzen aufgewacht, die ihn seit dem Abschied von seiner liebsten Schwester quälten. So ahnte man, wie übel er sich bei dieser Zeremonie fühlen musste, die traditionsgemäß die Liturgie endlos dehnte und die Vermählten erschöpfte.
Kaum war sie zu Ende, eilte Ludwig mit großen Schritten in seine Gemächer, wo er zu Héroard sagte, er gehe ohne Essen zu Bett. Sofort legte er sich mit einem großen Seufzer nieder. Kaum eine Viertelstunde später erschien mit großem Getöse der Großkämmerer wie ein Unglücksvogel und sagte zum König, auf Befehl der Regentin müsse er aufstehen, sich ankleiden, soupieren und nach dem Souper seine Ehe vollziehen.
Am Abend, im erzbischöflichen Palais, führt ihr die Königinmutter, die Rolle der Ma-trone spielend, Anna in ihrem Schlafzimmer ihren kleinen Ehemann zu. Der ist auch mehr tot als lebendig. Monsieur de Guise, Monsieur de Gramont und andere Spaßvögel haben ihm schlüpfrige Geschichten erzählt, um ihn anzustacheln. Die Königinmutter ist begleitet von Souvre, dem Arzt Heroard, dem Marquis von Rambouil-let als Maitre de la garderobe, der Amme des Königs, der Amme der Königin und von Beringhen, dem ersten Kammerdiener, der den Leuchter trägt.
Nachdem Maria von Medici den beiden „Ehegatten“ ein paar Worte gesagt hat, befiehlt sie: „Los, gehen wir alle hinaus!“ Scheinabgang. Keine Intimität zwischen den beiden kleinen Monarchen.- Sie sind nicht zum Vergnügen hier, auch nicht zur Liebe. Wie hätte sie auch entstehen sollen zwischen zwei Geschöpfen, die sich nicht kennen, die nie allein gelassen, die zueinander getrieben werden. Sie gehören einander nicht an. Sie sind zwei Tiere aus dem königlichen Gestüt, die Kinder bekommen sollen. Durch die Augen und Ohren der beiden Ammen, die im Schlafzimmer bleiben, überwachen Frankreich und Spanien den Vorgang. Die Matrone Medici befiehlt den beiden Wächtern in Röcken, die beiden Zuchttiere nur anderthalb oder zwei Stunden zusammenzulassen.
Vollzogen oder nichtvollzogen? Das allein interessiert die Ammen. Diese Ehe hat in der Partei der Prinzen einen solchen Wirbel hervorgerufen, dass Maria von Medici ihre Hand dafür ins Feuer legen möchte, dass sie vollzogen worden ist. Zweimal, wie der König selber und die wachhabenden Ammen sagen. Dann schläft das Männchen ein, wacht auf, ruft nach seiner Amme, zieht seine Hausschuhe und seinen Schlafrock an und geht in sein Zimmer. Anna steht auf und legt sich in ihr aus Spanien mitgebrachtes Jungmädchenbett.
Der Arzt steckt seine Nase in die Bettücher. Heroard fasst seinen Bericht ab.
»Er verlangt seine Pantoffeln, nimmt seinen Schlafrock und geht um acht Uhr ins Schlafzimmer der Königin, wo er neben der Königin, seiner Frau, in Gegenwart der Königin, seiner Mutter, ins Bett gelegt wird. Um ein viertel nach zehn Uhr erscheint er, nachdem er ungefähr eine Stunde geschlafen und es zweimal getan hat, wie er uns sagt. Es hatte den Anschein, denn der P... war rot.«
Die beiden Miniatur-Gatten sind von dieser tierischen Rohheit so abgestoßen, dass sie es während der folgenden vier Jahre nicht wieder versuchen.
Am nächsten Tag gab die Regentin ein Kommuniqué heraus, ohne Scheu davor, wie lächerlich und peinlich dies war. Das Dokument der Schamlosigkeit, Dummheit und Taktlosigkeit –, in welchem triumphierend verkündet wurde, der König habe seine Ehe zweimal vollzogen. Der ganze Hof verstand: Wäre dieses Dokument wahr, hätte es seiner Publikation nicht bedurft … Hinter vorgehaltener Hand oder hinterm Fächer wurde nur gespottet.
Ludwig hüllte sich an den darauffolgenden Tagen in Schweigen und in eine undurchdringliche Miene wie nach allen Abstrafungen und Demütigungen, die er seit dem Tod seines Vaters erlitten hatte.
Und Anna? Hätte ihr, so erschöpft von der langen Zeremonie und dem Gewicht der Prachtkleider und der Krone, nicht auch ein wenig Ruhe nötig getan, bevor sie diese neue Prüfung antrat? Sie weint, sie schluchzt und ist in tausend Ängsten. Vor Verzweiflung hat sie sich an den spanischen Gesandten gewandt, der den Nuntius unterrichtet hat, der wiederum mit allem gebotenen Takt an den Beichtvater des Königs herantrat, Pater Arnoux. Und dieser gewiefte Jesuit hat sie mit dem Wort beruhigt: Versuchung heiße noch nicht Sündenfall.
Es gibt nur eine logische Schlussfolgerung: Die Regentin hatte es sogar abgesehen auf dieses Scheitern. Denn es war für Ludwig wiederum eine Demütigung, die sein Selbstvertrauen erschüttern musste. Damit verhinderte sie von vornherein ein gutes Einvernehmen zwischen Anna und ihm, das ihrer eigenen Macht auf die Dauer bedrohlich werden konnte.
Ludwig war nicht jener Frauenverächter, als den man ihn anhand einiger seiner kindlichen Aussprüche meistens hinstellt. Aber, wie erklärt man sich das: Die Königin ist hübsch, jung und anziehend, das Sakrament der Kirche hat sie ihm zur Frau gegeben, und doch bringt er es nicht über sich, von Anfang an seine Gattenpflicht und seine Pflicht als König zu erfüllen? Müsste seine Tugend hier nicht für den Akt sprechen?
Doch Monat für Monat verrann, auch das ganze Jahr 1618, und er ergriff nach dieser Seite hin nicht die mindeste Initiative. Seiner Königin gestand er einen täglichen Besuch von fünf Minuten zu. Nie lud er sie zum Essen oder zu Reisen ein, und immer mied er ihr Lager.
Vier Jahre später muss der König gezwungen werden, die Prozedur zu wiederholen. Alle Welt treibt ihn dazu, mit den derben Scherzen jener Epoche, in der sich Brautfeste im allgemeinen Trubel abspielen. Am 21. Januar 1619 findet die Verlobung von Christine von Frankreich, der Schwester Ludwigs XIII., mit Viktor Amadeus von Savoyen statt. In einer für heutige Begriffe erstaunlich freizügigen Redeweise, vor al-lem im Mund eines Diplomaten, sagt der Nuntius zum König: „Sire, ich glaube, Sie sollten die Schande nicht hinnehmen, dass Ihre Schwester einen Sohn bekommt, bevor Eure Majestät einen Dauphin hat.“
Diese Predigt wurmt Ludwig XIII. Am 20. Januar heiratet seine natürliche Schwester, Mademoiselle de Vendome, den Herzog von Elboeuf. Am Abend nach dem Souper begibt er sich zu der Jungverheirateten, „um sie von der Sache abzuhalten“, schreibt der Arzt Heroard in seinen Aufzeichnungen. Aber nicht, um ihr, wie bei solchen Gelegenheiten üblich, aus Spaß das Bett durcheinanderzubringen oder Juckpulver hineinzustreuen. Er braucht eine Vorführung. Er wohnt dem Vollzug der Ehe bei. Die junge Frau hat weder die Feinfühligkeit noch die Komplexe ihres Halbbruders. Nach dem Liebesakt gurrt sie wie eine Taube und sagte „Sire, machen Sie dasselbe mit der Königin, und es wird Ihnen gut bekommen.“
Ludwig XIII., gemalt von Philippe de Champaigne
Als im ganzen Jahr 1618 also nichts geschah, herrschte in Paris große Aufregung unter bestimmten ausländischen Gesandten, wenn auch im Flüsterton und mit verdeckten Worten. Philipp III. fühlte sich durch die beunruhigenden Nachrichten aus Paris in seiner königlichen Ehre und seiner väterlichen Liebe empfindlich gekränkt, denn er hing an seiner Tochter weitaus mehr als Maria von Medici an der ihren. Er suchte den Nuntius auf, und im Beisein des Paters Arnoux, des königlichen Beichtvaters, beratschlagte das Trio. Der spanische Gesandte fragte zunächst bei Ludwig nach, ob die Ehe vollzogen wurde. Seine Frage wurde verneint.
Und ein weiterer Grund für Ludwig war, dass der spanische Gesandte, der täglich zu jeder Stunde freien Zutritt zu seiner Gemahlin hat, und annähend hundert iberischen Damen, die ihn offen verachteten, die ständige Umgebung der Königin bildete. Wem wundert es, dass der König die Gemächer der Königin als ein Klein-Spanien ansah und wenig Lust verspürt hat, sich dort hineinzubegeben.
Ludwig war gegen Monteleone und die spanischen Damen so erzürnt, dass er die arme junge Königin nicht mal wenigstens fünf Minuten am Tag besuchte. Trotzdem trug die gute Arbeit des Paters Arnoux bei Anna bereits Früchte. Luynes war für eine Annäherung des königlichen Paares mittlerweile ganz gewonnen, zumal da Madame de Luynes die engste Freundin Annas von Österreich geworden war und eine intimere Verbindung der Gatten die Gunst des Günstlings nur begünstigen konnte.
Luynes also bemühte sich aufs Neue, und lud Ludwig hatte auf sein Schloss Lesigny-en-Brie ein. Und weil es ihm wenig ausmachte, den Louvre und Klein-Spanien hinter sich zu lassen, nahm er die Einladung freudig an, einige Tage im Schloss seines Favoriten zu verbringen. Tatsächlich blieb er über einen Monat, vom elften September bis zum sechsundzwanzigsten Oktober, und feierte dort seinen siebzehnten Ge-burtstag. Am fünfzehnten September traf die Königin ein, mit Gott sei Dank sehr begrenztem Gefolge. Luynes hat dieses Beisammensein des Königspaares regelrecht organisiert, in der Hoffnung, die beiden Gatten einander näherzubringen. Trotzdem, als Anna von Österreich der Karosse entstieg, empfing Ludwig sie zwar mit größter Höflichkeit, aber ohne dass sein Gesicht die mindesten Gefühle zeigte.
Es war ja kein Geheimnis, dass die Umgebung der Königin ihn bisher von ihr fernhielt, um es vorsichtig auszudrücken – ein Fernhalten, unter dem die Königin litt. Deshalb verfügte der König nun, die spanischen Damen ebenso zurückzuschicken wie er auch das Besuchsrecht des spanischen Gesandten beschnitt. Wie damals, als seine Mutter in die Verbannung nach Blois ging, sah Ludwig wortlos zu, wie die Karossen der spanischen Damen am vierten Dezember 1618 sich entfernten.
Mit einer Woche Unterschied waren König und Königin im selben Alter, und beide würden in sieben Monaten ihr achtzehntes Jahr erreichen. Das Schlimme war aber, dass sie gegeneinander so bittere Gefühle hegten. Und das war ein Jammer, denn Ludwig mangelte es nicht an Ansehnlichkeit, er hatte einen kräftigen Körper und ein männliches Gesicht, und wenn Anna auch nicht die Schönheit war, die von den Malern und Hofpoeten in den Himmel gehoben wurde, fand ich sie doch hübsch und anziehend mit ihrem reichen und lockigen blonden Haar, ihren großen blauen Augen, ihrem kleinen Purpurmund und ihrem sehr anmutig gebildeten Gesicht. Wollte man strenger sein, was ich freilich nicht war, hätte man bemängeln können, dass die Nase im Verhältnis zur Gesamtheit ihrer Züge ein bisschen groß war. Der Seele oder dem Geist, wie man will, der diese reizende Hülle bewohnte, eigneten sprudelnde Fröhlichkeit, ursprüngliche Lebhaftigkeit, weiblicher Charme und gegebenenfalls viel liebendes Empfinden; woran es aber fehlte, waren Gewandtheit, Besonnenheit und Urteil.
Als verlassene Gemahlin, bevor sie überhaupt erobert worden war, litt sie schwer unter dieser Kränkung sowohl in ihrem Stolz wie in ihrem Fleisch. Wäre sie jedoch klüger gewesen, hätte sie bei diesen täglichen Besuchen trotzdem nicht auf Ludwigs verlegene Komplimente in jener frostigen, distanzierten, geradezu hochfahrenden Weise geantwortet, die sie an den Tag legte. Denn für Ludwig war dieses Betragen ein zusätzlicher Panzer, der ihm diesen Körper, der ihm ohnehin Angst machte, noch uneinnehmbarer erscheinen ließ.
Aber es hätte zweifellos größerer Erfahrung bedurft, als sie sie haben konnte, oder aber der Einfühlung, um zu verstehen, dass von ihnen beiden er der am meisten Bangende war und dass sie besser Verführung und Zärtlichkeit angewandt hätte, als sich hinter ihrem kastilischen Hochmut zu verschanzen.
Am Donnerstag, dem vierundzwanzigsten Januar 1619, gegen 23.00 Uhr erfolgte ein Theatercoup. Monsieur de Luynes trat ein, ging stracks auf das Bett des Königs zu, fasste ihn mit beiden Händen bei den Schultern und sagte, indem er ihn schüttelte, mit starker Stimme: »Pfui, Sire, Ihr werdet jetzt nicht schlafen! Versprochen ist versprochen! Sofort erhebt Ihr Euch und geht zur Königin!«
„Ich will nicht! Ich will nicht!“ schrie Ludwig und versuchte sich loszumachen.
Ein Diener und Luynes fasste Ludwig gefolgt von Berlinghen mit dem Degen des Königs, hoben sie Seine Majestät hoch und schleppte ihn quasi bis zum Zimmer der Königin und über die Schwelle bis vor ihr Lager.
Ludwig XIII., gemalt von Peter Paul Rubens
Es waren außer der Königin, die erwacht war und blickte, als wären alle vom Mond gefallen, nur eine sehr alte spanische Kammerfrau und Madame du Bellier, die Erste Kammerfrau, zugegen.
Man gab dem König die Freiheit kurz vor dem Himmelbett wieder, in dem Anna ruhte. Der Leuchter zu ihren Häupten umgab ihre blonden Haare mit einer Aureole. Bei unserem Eintritt kreuzte sie die Hände über ihrer Brust und setzte sich auf, wobei ihre großen blauen Augen vor Überraschung gleichsam aus den Höhlen traten. Ludwig schien bei ihrem Anblick von Bewunderung ergriffen, weil er sie aber betrachtete, ohne einen Ton zu sagen, ohne sich zu rühren oder sich ihr weiter zu nähern, zog Luynes ihm vor Ungeduld im Handumdrehen das Nachtgewand aus und hob ihn, als er nackt war, in seinen Armen hoch, ohne dass Ludwig diesmal den geringsten Widerstand leistete. So trug er ihn zum Bett seiner Gemahlin und legte ihn dort nieder. Hierauf wich er behände zurück und befahl der ganzen Gesellschaft, das Zimmer zu verlassen. Nur Madame du Bellier ließ er bei dem Paar, die ja notwendig bleiben musste, damit sie am nächsten Tag bezeugen konnte, was geschehen war.
Um zwei Uhr nachts kam der König in sein Bett zurück. Héroard, der ehrwürdiger Doktor der Medizin stellte fest: Er hat ihn zweimal drin gehabt!
Ludwig erwachte um neun Uhr, und während Héroard ihm den Puls fühlte, kündigte er an, er wolle die Königin besuchen. Anna enttäuschte die Erwartung nicht. Man sah sie rosig, erbebend, wie von Stolz erfüllt, nun Weib geworden zu sein, und zugleich hatte sie binnen einer Nacht ihren spanischen Hochmut abgeworfen. Die beiden jungen Gatten, die an diesem hellen Januartag sehr erfreulich anzusehen waren, sprachen im Stehen, wie es Vorschrift war, aber vielleicht einander ein wenig näher als sonst. Mehrmals deutete Annas Hand eine ihrem Mann zugewandte Geste an. Es schien, dass sie den König gerne berührt hätte, doch sie zügelte sich, weil sie nicht wusste, ob die Etikette es erlaube. Er redete wenig und nur Belangloses, aber dieser Besuch, der bis zum fünfundzwanzigsten Januar 1619 zehn Minuten der Zeit Seiner Majestät zu beanspruchen pflegte, dauerte bereits eine halbe Stunde.
Am nächsten Tag besuchte er die Königin zweimal, das erste Mal nach dem Mittagessen, aber nur kurz, und das zweite Mal am Abend. Und dieser Besuch dauerte fast eine Stunde. Dass Ludwig sich so lange mit der Königin unterhielt, ließ mich für die Nacht hoffen.
Am folgenden Tag hob Héroard den Zeigefinger, den Mittelfinger und den Ringfinger seiner Rechten in die Höhe. Ludwig sei sechs Stunden bei der Königin geblieben und erst bei Tagesanbruch zurückgekehrt.
Anna von Österreich wurde plötzlich krank. Vor Fieber zitterte sie am ganzen Leibe. Man rief die Ärzte. Sie disputierten eine ganze Weile, weil sie sich nicht klarwerden konnten, in welche Kategorie diese Art Fieber einzuordnen sei. Der Hof wusste sich vor Verwunderung nicht zu lassen, als er sah, wie Ludwig bei dieser Gelegenheit seinen Gleichmut abwarf und Ströme von Tränen vergoss, während er Tag und Nacht am Bett der Kranken wachte. Am sechzehnten Tag sank das Fieber, Anna nahm ein wenig Nahrung zu sich und schien endlich dem Leben wiedergegeben. Da tat Ludwig etwas, was niemand von seiner Prüderie noch von seiner scheinbaren Kälte je erwartet hätte. Er nahm die Königin in die Arme und küsste sie stürmisch vor allen Augen.
Enttäuschung. Kein Kind. Noch immer stichelnd, schreibt der Nuntius am 17. März an Monteleone: „Die regierende Königin ist bei guter Gesundheit. Ich frage sie öfters, was der Herr Dauphin mache. Sie lächelt, errötet und sagt kein Wort.“
Henri Quatre war jede Stunde recht, jede Gelegenheit und sogar jede Partnerin. Aber der fromme Ludwig XIII. erfüllte seine dynastische Pflicht stets nur im Dunkel der Nacht.
Ludwigs Beharrlichkeit trug Früchte. Doch am 6. Dezember 1619 wurde das Kind totgeboren.
Anfang Februar wurde die Königin wieder schwanger war, und weil sie ihre Frucht schon zweimal verloren hatte, wurde ihr von ihrem Leibarzt die größte Schonung verordnet. Sie musste früh Schlafengehen, sich oft niederlegen, durfte keine langen Spaziergänge machen, durfte sich keine späten Abende, keine Anstrengungen, keine jähen Bewegungen zumuten. Der König wiederholte ihr diese Empfehlungen immer wieder, nach so grausamen Enttäuschungen stand alles auf einer Karte für sie wie für ihn wie für das Königreich. Hinzu kam aber ein schlechter Einfluss auf Anna. Die Prin-zessin Conti und Madame de Luynes führten vor allen Augen ein ausschweifendes Leben. Mademoiselle de Verneuil war nicht viel besser, wenigstens in Worten nicht, denn die Unterhaltung in den Gemächern der Königin überschritt die Grenzen des Schicklichen. Schöne junge Herren nahmen daran teil und überboten einander vor der Königin in zügellosen Reden. All das unter der Maske von Anmut und Frohsinn. Doch am Hof und sogar außerhalb des Hofes gab es Gerede. Die Minister gerieten in Sorge, und weil sie sich dem König zunächst nicht zu eröffnen wagten, baten sie den Nuntius, beim Beichtvater der Königin vorzusprechen, damit er Ihre Gnädigste Majestät auf die Gefahr hinweise, in die ihre Freundinnen sie brachten. Der Nuntius war gewandt, der Beichtvater bewegend. Die Königin hörte es, bereute, vergoss eine Träne und hatte es am nächsten Tag vergessen. Im Übrigen, was hätte es für sie bedeutet, ihre leichtfertigen Freundinnen zu entlassen? Sie wäre ewiger Langeweile verfallen, allein zwischen einer Schwiegermutter, die ihr nicht eben wohl wollte, und einem König, den sie zwar liebte, aber der ihr durch Jagd und Krieg und die großen Reichsangele-genheiten immer wieder geraubt wurde. Ludwig seinerseits zögerte, dem verderblichen Einfluss ihrer Freundinnen ein Ende zu setzen, denn die Damen waren so hochwohlgeboren und standen ihm so nahe, dass sie nahezu unantastbar waren. Die Prinzessin Conti, zugleich Guise und Bourbonin, war seine Cousine, Mademoiselle de Verneuil seine Halbschwester, Madame de Luynes die Gemahlin seines Favoriten.
Mitten in diesen für ihn so sorgenschweren Tagen traf Ludwig ein Unglück von einer Seite, von der er es am wenigsten erwartet hatte. Als Ludwig am sechzehnten März um drei Uhr nachmittags aus dem Kronrat kam, wurde ihm gemeldet, dass die Königin zum dritten Mal ihre Frucht verloren hatte. Er ging sofort zu ihr. Sie lag zu Bett und weinte heiße, bittere Tränen. Über zwei Stunden saß er bei ihr, bemühte sich, sie zu trösten.
Dann erfuhr Ludwig die Hintergründe dieser weiteren Fehlgeburt. Die Prinzessin Condé gab am vierzehnten März einen Abendempfang. Mademoiselle de Verneuil und Madame de Luynes lotsten auch die Königin mit, die besser ins Bett gegangen wäre, weil sie sich aus bekanntem Grund schonen sollte. Sie blieb an diesem Abend bei der Prinzessin Condé bis ein Uhr nachts. Als sie sich sehr matt fühlte, bat sie Ma-demoiselle de Verneuil und Madame de Luynes, sie in ihre Gemächer zu begleiten. Auf diesem Weg nun mussten Ihre Majestät und ihre Gefährtinnen durch den großen Festsaal, an dessen Ende sich das Thronpodest befindet. Obwohl die drei Damen einen Kammerdiener bei sich hatten, der ihnen leuchtete, erschien ihnen der Saal finster. Außerdem ist er eiskalt und sehr, sehr lang. Und weil Madame de Luynes entweder fror oder den Einfall lustig fand, schlug sie der Königin vor, durch den Saal zu laufen. Die Königin protestierte, dazu sei sie zu schwach, aber Madame de Luynes hakte sie von rechts unter und forderte Mademoiselle de Verneuil auf, Ihre Majestät von links unterzuhaken. Sie liefen los, und schnell war der Kammerdiener mit seiner Laterne überholt. Jedenfalls sah das Trio am anderen Ende des Saals die königliche Estrade nicht, strauchelte darüber und fiel. Madame de Luynes und Mademoiselle de Verneuil erhoben sich mit schallendem Lachen, die arme Königin aber stieß einen Schrei aus, klagte über heftiges Reißen im Leib und musste nun mehr oder minder getragen werden. Die Folgen zeigten sich zwei Tage später und bestürzten das Königreich.
Ludwig diktierte mir mit abgehackter Stimme drei Briefe, einen an Madame de Luynes, einen an Mademoiselle de Verneuil und einen an die Königin. Alle drei Briefe waren knapp, hart, gebieterisch. Der an die Königin enthielt auch am Schluss keine Ergebenheitswendung, wie Ludwig sie gegenüber seiner Gemahlin sonst gebrauchte.
Allen dreien kündigte er an, dass er im Haus der Königin Ordnung schaffen werde. Der Kammerherr Folaine, der ihnen diese Botschaften überbringt, gab des Königs Weisung wieder. Danach hatte Madame de Luynes, ihre Louvre-Wohnung zu verlassen und nicht mehr am Hof zu erscheinen.
Denselben Befehl erhielte Mademoiselle de Verneuil, die im Übrigen der Obhut der Herzogin von Angoulême unterstellt wird.
Anna war jetzt in ihrem einundzwanzigsten Jahr, aber vom Wesen her war sie viel jünger, ohne großen Ballast im Kopf und mit einer armseligen Bildung am Madrider Hof ausgestattet. Vor allem aber lebte sie seit jeher im frivolen Geplapper eines Frauenhauses, zuerst mit ihren spanischen Damen, die nichts wie dumme Streiche im Kopf hatten, dann mit ihren französischen Freundinnen, deren Reden ebenso frei wa-ren wie ihr Betragen. Sie liebte es, sich mit ihnen zu ergötzen und zu albern, freizügige Bücher zu lesen und gegebenenfalls mit den schönen Herren des französischen Hofes zu flirten, ohne dass es aber Konsequenzen hatte. Und weil sie diese Spiele nie zu weit trieb – mit diesen Edelleuten so wenig wie später mit Buckingham – , glaubte sie sich ohne Makel und verzieh sich alles. Im Herzen noch immer die spanische Infantin voll kastilischem Stolz, hatte sie von sich die höchste Meinung und fühlte sich über die Gesetze des Reiches erhaben, dessen Königin sie war.
Dieser März 1622 war der armen Anna wahrlich nicht hold gewesen. Ihr brausendes, leichtes Blut tröstete sie jedoch über die Enttäuschung, sie war noch so jung, die Natur würde ihr eines Tages schon erlauben, ein Kind auszutragen. Dieses Vertrauen in die Zukunft lieh ihr für die Gegenwart eine wunderbare Unverwundbarkeit: Ihr törichter Lauf durch den großen Louvre-Saal war doch letztlich nur eine Kinderei, die übel ausgegangen war. Sie war gar nicht auf den Gedanken gekommen, dass der König von Frankreich diese kleine Dummheit als Verbrechen gegen seine Dynastie betrachten könnte. Sie hat in ihrem Innern nicht das atemlose Warten auf einen Dauphin gespürt, diese atemberaubende Hoffnung auf Fortbestand. Sie ist Königin von Frankreich auf dem Papier, nicht im Herzen. Durch dieses Drama wird sie wieder in das Land der Kastagnetten, jenseits der Pyrenäen zurückgeworfen.
Die mühsam zustande gekommene Verzauberung ist zerbrochen. Von der Einzig-artigkeit ihres Gesichts bleiben nur Mängel übrig. Eine zu große Nase, austerngrüne Schlitzaugen, bonbonrosa Puppenwangen, und dazu ständig das spanische Kasperletheater: Geplapper, verstohlene Blicke, marionettenhafte Handbewegungen.
War es der Mühe wert, sich anzustrengen und die künftige Mutter des Dauphins mit solcher Liebe zu umgeben und ihr zärtliche Worte zu schreiben? Er hätte seiner homosexuellen Veranlagung nachgeben können, wie sein Halbbruder Vendome, wie später sein zweiter Sohn Philipp von Orleans. Möglicherweise unterdrückt er diese Veranlagung wie auch andere Neigungen, weil er einen so hohen Begriff von seinen Pflichten hat. Trotzdem liebt er es, sich mit Männern zu umgeben, mit Baradas, Saint-Simon. Die frevelhafte Fahrlässigkeit der Königin hat diesen Hang bestärkt, wenngleich es nicht zur Ausübung kam.
Anna fügte sich, aber mit Bitterkeit und Groll. Madame de Luynes, die Frau der tausend Listen, gab sich nicht geschlagen. Auf der Suche nach einem Schild gegen den königlichen Zorn schickte sie einen Edelmann zu ihrem Liebhaber, dem Herzog von Chevreuse – er war es schon zu Lebzeiten von Luynes –, und ließ ihn bitten, sie zu heiraten. Nachdem Madame de Luynes Monsieur de Chevreuse eingewickelt hatte, Apfel und Schlange in einem, wenn ich so sagen darf, und seine Gemahlin geworden war, gewann sie sowohl ihre Louvre-Wohnung zurück, die sie übrigens gar nicht verlassen hatte, als auch ihr Amt als Haushofmeisterin der Königin und damit ihr tagtägliches, behexendes Zusammensein mit Anna von Österreich.
Dann kam ein englischer Lord, der nach Frankreich entsandt wurde, um die Eheschließung des Prinzen von Wales mit Ludwigs kleiner Schwester Henriette anzubahnen. Doch dazu mehr im nächsten Kapitel.
Ludwigs Vertrauen in seine Gemahlin nach dem verhängnisvollen Sturz im Festsaal des Louvre weit mehr erschüttert war, als es zunächst schien. Trotzdem hätte man Ludwig diese rigorosen öffentlichen Maßnahmen nicht zugemutet. Damit verlor die Ärmste das Gesicht, und ein wenig verlor er es selbst. Dass Ludwig für Anna eine Art Kloster innerhalb des Louvre schuf, musste bei der Königin unwiderruflich aus-löschen, was sie noch an Zärtlichkeit für ihn empfinden mochte, und gleichzeitig tötete er dies in sich selbst.
Anna erschien jetzt schöner, gelöster, weniger in sich gekehrt, und der König bemühte sich aufmerksamer um seine Gefährtin. Wie man von Héroard hörte, schlief er innerhalb von acht Tagen viermal in ihren Gemächern mit ihr, was wohl nicht darauf hindeutete, dass er nur einer dynastischen Pflicht genügte. Man hatte sich also getäuscht, als man dachte, seit der Eifersucht des Königs und der Einschließung der Königin sei alles unrettbar aus zwischen ihnen. Aber diese Umarmungen war sehr unglücklich, weil sie nicht mehr sein konnten als ein pflichtschuldiger Austausch. Und als dieser Umgang auf die Dauer auch nicht das erhoffte Ergebnis erbrachte, verzichtete Ludwig mehr und mehr darauf. Er schien damals jede Hoffnung verloren zu haben, Frankreich einen Dauphin zu geben, und Anna jede Hoffnung, ihn zurückzugewinnen.
Die vernachlässigte Anna von Österreich träumt von der Liebe zu anderen. Die teuflische Circe, die Herzogin von Chevreuse, verdreht ihr den Kopf mit Erzählungen über England, die Engländer und den strahlendsten aller Engländer: den Herzog von Buckingham, den Günstling Karls I. Sie selbst ist „anglisiert“, bis ins Bett hinein: ihr damaliger Geliebter ist der Graf von Holland.
Nach zweiundzwanzig Jahren kinderloser Ehe in wachsender Verbitterung hatte Anna am 5. Dezember 1637 eine schicksalhafte Begegnung mit ihrem Mann. Dieser, der eigentlich auf dem Weg in sein Jagdschloss bei Versailles war, musste wegen eines Unwetters seine Fahrt unterbrechen und übernachtete im Pariser Louvre, wo sich die Königin für den Winter eingerichtet hatte. Zur damaligen Zeit wurden in Schlössern nur diejenigen herrschaftlichen Räume beheizt, die auch bewohnt wurden. Der König sah sich also gezwungen, das einzige warme Schlafzimmer aufzusuchen: das der Königin. Neun Monate später brachte Anna am 5. September im Alter von knapp 37 Jahren ihr erstes gesundes Kind zur Welt, den späteren König Ludwig XIV. Anna führte die Geburt ihres Sohnes auf das Wirken von St. Fiacre zurück, weshalb sie im Jahre 1641 eine Wallfahrt nach Saint-Fiacre unternahm. Zwei Jahre später, am 21. September 1640, gebar sie einen zweiten Sohn, Philipp. Damit war ihre Position am Hof gesichert und sie musste nicht mehr mit der Abschiebung in ein Kloster rechnen.
So glücklich der König über die Geburt des Stammhalters war, so offensichtlich war er bald eifersüchtig angesichts der Zuneigung seines Sohnes zur Mutter. Er machte ihr Vorwürfe, sie nehme diesen gegen ihn ein. Die Ehe blieb jedoch bis zum Ende unglücklich, und er hegte Zweifel, ob diese Kinder von ihm abstammten.
In den letzten zwölf Jahren seines Lebens erlebte Ludwig XIII., wie unter der gemeinsamen Herrschaft mit Richelieu die Macht Frankreichs und die Macht des Königshauses in Frankreich immer weiter gestärkt wurden.
Den Triumph über Kaiser und spanischen König aber bezahlte der tief religiöse König mit schweren Gewissensbissen. Die Knebelung des aufrührerischen Adels wurde mit dem Blut seiner Verwandten, seine Autorität durch die Hinrichtung seines letzten Favoriten, Henri Coiffier de Ruzé, Marquis de Cinq-Mars9, erkauft.
Ludwig XIII. starb am 14. Mai 1643 in Saint-Germain-en-Laye. Man nimmt anhand der Symptome heute an, dass Ludwig der XIII. lange Jahre an Tuberkulose litt, und da dran auch verstorben ist. Weil man damals die genaue Ursachen der Krankheit nicht gut kannte, und sie auch nicht richtig behandeln konnte - gibt es nur wenige und wage Aufzeichnungen darüber.10 TBC soll aber bis zur 70% wahrscheinlich sein. Er wurde in der Grablege der französischen Könige, der Kathedrale von Saint-Denis, beigesetzt. Bei der Plünderung der Königsgräber von Saint-Denis während der Französischen Revolution wurde sein Grab am 15. Oktober 1793 geöffnet und geplündert, seine Überreste wurden in einem Massengrab außerhalb der Kirche beerdigt. Ludwig XIII. wollte bereits in jungen Jahren als „Ludwig der Gerechte“ in die Geschichte eingehen. Dabei verstand er Gerechtigkeit allerdings nicht im modernen Sinne, sondern im Sinne von patriarchaler Wiederherstellung von Gesetz und Ordnung. Ein verständlicher Wunsch nach jahrzehntelangen Bürgerkriegen und seinen Erfahrungen mit der nachgiebigen „Scheckbuchdiplomatie“ seiner Mutter und zerstörerischen Partikularinteressen von Hochadel, Hugenotten und den „ultramontanen“ Anhängern von Papst und spanischem König. Ludwig XIII. und sein Minister leisteten wesentliche Schritte auf dem Weg Frankreichs zur kontinentalen Vorherrschaft und zum Abso-lutismus.
Das Bild der Person und des Herrschers Ludwig XIII. ist bis heute – trotz guter Quellenlage – stärker durch literarische Fiktion als durch die Geschichtswissenschaft beeinflusst. Das Bild vom schwächlichen, uninteressierten und naiven Trottel, der das Objekt der Manipulation des ebenso genialen wie intriganten Ministers Richelieu war, wurde insbesondere durch eine Episode aus dem Jahr 1627 geprägt. Rund um Hofintrigen und die Belagerung von La Rochelle, diente sie als Vorlage für den berühmten Roman: Die drei Musketiere von Alexandre Dumas. Durch zahlreiche Verfilmungen wurde diese Vorlage gefestigt. Literarisch weniger bedeutend ist die populäre Romanreihe "Fortune de France" von Robert Merle.
Dass er homosexuell war, wird durch keinerlei Quellen bewiesen, ist allerdings auch nicht auszuschließen, denn das Adjektiv heterosexuell wird auch auf sexuelle Handlungen mit andersgeschlechtlichen Partnern angewendet, wenn die Beteiligten nicht überwiegend heterosexuell sind. Der aufgeklärte Leser weiß ja, dass nicht jeder, der heterosexuelle Erfahrungen hatte, auch zwingend heterosexuell sein muss. Se-xuelle Erfahrungen können – vor allem im Jugendalter, und das war bei Ludwig nicht auszuschließen – mehr von sexueller Neugier oder von gesellschaftlichen Erwartungen bestimmt sein als von der sexuellen Orientierung. Heterosexuelles Begehren oder Handlungen können auch gemeinsam mit homosexuellem Begehren oder Handeln vorhanden sein.
Die Gerüchte, dass seine beiden Söhne, von Richelieu untergeschoben waren, um die Dynastie zu retten, haben sich nicht bestätigt. Immerhin verzeichnete Anna bis zur Geburt der Kinder nach über 20 Jahren Ehe folgende Schwangerschaften:
Totgeburt eines Kindes */† 6. Dezember 1619
Geburt eines Kindes, das kurz nach der Geburt starb */† 14. März 1622
Totgeburt eines Kindes im Jahre 1626
Totgeburt eines Kindes am */† 11. April 1631.
Tatsächlich war Ludwig XIII. eine schüchterne Persönlichkeit, die sich in Gesellschaft nicht wohl fühlte und zum Stottern neigte. Gleichwohl besaß er einen starken Willen und die Fähigkeit, entschlossen und (auch gegen die eigenen Gefühle) rücksichtslos zu handeln. Er befand sich im ständigen Spannungsfeld zwischen dem eigenen Anspruch an seine Rolle als eines absoluten Monarchen und seinen privaten Neigungen. Von ihm stammt das Zitat: „Ich wäre kein König, leistete ich mir die Empfindungen eines Privatmannes.“
Unter der kleinlichen Eifersucht des Monarchen hatte nicht zuletzt auch sein Minister zu leiden, der stets in dem Bewusstsein regierte, dass er seine Position allein dem Wohlwollen des Königs zu verdanken habe. Ludwig behielt sich die Entscheidung in allen wichtigen Angelegenheiten stets vor. Von Richelieu stammt der berühmte Satz: „Ganz Europa bereitet mir nicht so viel Kopfzerbrechen wie die vier Quadratmeter des königlichen Kabinetts.“