Читать книгу Der Reichtagbrandprozess - Walter Brendel - Страница 4
Einleitung
ОглавлениеDie sozialdemokratische Zeitung „Vorwärts“ berichtete am 28. Februar 1933 vom Vortag, dass in den Abendstunden ein Riesenfeuer den Himmel über der City rötete und das die Kuppel des Reichstages in hellen Flammen gestanden hätte. Feuerwehr und Polizei hätten übereinstimmend die Ursache als Brandstiftung bezeichnet, da an verschiedenen Stellen Brandnester gefunden worden waren. Kurz nach 21 Uhr sei im Reichstag Feueralarm gegeben worden. Zunächst wurde ein Feuer im Restaurant gemeldet. Dort konnten die Flammen rasch erstickt werden. Aber kurz danach wurden mehrere weitere Brandherde entdeckt. In kurzer Zeit brannte der Sitzungssaal des Gebäudes lichterloh.
Das Feuer, das an den Abgeordnetensitzen, Pulten und der hölzernen Wandverkleidung überaus reiche Nahrung fand, griff wie rasend um sich. Die Feuerwehr war inzwischen mit 15 Löschzügen vor Ort. Diese nahmen den Kampf gegen den Brand mit zahlreichen Spritzen von verschiedenen Seiten auf. Allerdings war es anfangs wegen der Hitze unmöglich, an das Zentrum des Brandes heranzukommen. Daher beschränkte sich die Feuerwehr darauf, ein Ausbreiten der Flammen zu verhindern. Erst gegen 0 Uhr 25 hatte die Feuerwehr das Feuer weitgehend gelöscht. Im Laufe der Zeit sammelten sich mehrere tausend Schaulustige an. Mehrere Hundertschaften der Schutzpolizei führten Absperrungen durch, da man annahm, unter den Zuschauern Komplizen ausfindig zu machen. Das Blatt berichtete weiter, dass im Polizeipräsidium eine Sonderkommission gebildet worden sei. Diese hat eine Vernehmung des festgenommenen geständigen Täters von der Lubbe durchgeführt. Dieser sei 24 Jahre alt, von Beruf Maurer und stamme aus Leyden. Er blieb auch bei der ersten Vernehmung dabei, allein gehandelt zu haben. Der Vorwärts war allerdings der Meinung, dass der Täter gute Ortskenntnisse gehabt haben müsse und schloss indirekt eine Mittäterschaft der Kommunisten nicht aus.
Der Chef der preußischen politischen Polizei Rudolf Diels, der unmittelbar nach der Meldung an den Tatort geeilt war, berichtete im Rückblick über die Umstände der Festnahme und dem Geständnis von der Lubbes. Kurze Zeit später trafen auch Adolf Hitler, Joseph Goebbels, Hermann Göring, Wilhelm Frick sowie Wolf-Heinrich Graf von Helldorf ein. Göring äußerte dabei: „Das ist der Beginn des kommunistischen Aufstandes, sie werden jetzt losschlagen! Es darf keine Minute versäumt werden!“
Hitler hat dies nach diesem Bericht noch verschärft: „Es gibt jetzt kein Erbarmen; wer sich uns in den Weg stellt, wird niedergemacht. Das deutsche Volk wird für Milde kein Verständnis haben. Jeder kommunistische Funktionär wird erschossen, wo er angetroffen wird. Die kommunistischen Abgeordneten müssen noch in dieser Nacht aufgehängt werden. Alles ist festzusetzen, was mit den Kommunisten im Bunde steht. Auch gegen Sozialdemokraten und Reichsbanner gibt es jetzt keine Schonung mehr.“ Diels äußerte die Überzeugung, dass es sich nach Meinung der Polizei, um einen verrückten Einzeltäter handele, stieß damit bei den führenden Nationalsozialisten auf Ablehnung und diese bestanden auf der Ausrufung des Ausnahmezustandes und der Verhaftung von sozialdemokratischen und kommunistischen Funktionären. Auch ein Tagebucheintrag von Joseph Goebbels vom 9. April 1941 über eine Unterredung mit Hitler, bei der beide rätseln, wer den Brand denn nun gelegt hatte, deutet darauf hin, dass die nationalsozialistische Führung vom Brand überrascht wurde.
Der Reichstagsbrand fiel mitten in den Wahlkampf für die Reichstagswahl die am 5. März 1933 stattfinden sollte. Wie die ersten Äußerungen am Tatort gezeigt haben, war man bis in hohe Kreise der NSDAP von einem Aufstandsversuch der KPD überzeugt.
Andere zeitgenössische Beobachter hielten ihn für eine Aktion der neuen Machthaber, um geplante politische Repressalien zu legitimieren. Karl Jaspers und mit ihm ein Großteil der historischen Forschung argumentiert, dass die Nationalsozialisten – zunächst tatsächlich an den kommunistischen Aufstand glaubend – die Gelegenheit virtuos ausgenutzt und den Verdacht als Tatsache dargestellt.
Wer auch immer den Brand gelegt hat, kam dieses Ereignis für die Nationalsozialisten äußerst gelegen, um gegen ihre politischen Gegner vorzugehen. Der Wahlkampf der NSDAP wurde ohnehin bereits als „Kampf gegen den Marxismus“ geführt. Der Brand gab der Partei nunmehr die Möglichkeit zur Radikalisierung und den Einsatz staatlicher Machtmittel gegen die Linksparteien.
Die NSDAP sprach unmittelbar danach von einem „Fanal zum blutigen Aufruhr und zum Bürgerkrieg“. Hinter dem Brand sollten angeblich kommunistische Kräfte stecken. Noch in der Brandnacht ordnete Hermann Göring in seiner Funktion als kommissarischer preußischer Innenminister das Verbot der kommunistischen Presse an.
Außerdem wurden die Parteibüros geschlossen und zahlreiche Funktionäre der Partei in die so genannte Schutzhaft genommen. Allein in Berlin wurden 1500 Mitglieder der KPD festgenommen. Darunter war fast die gesamte Reichstagsfraktion. Der Polizei gelang es jedoch nicht die eigentliche Parteiführung zu verhaften, weil sich das Politbüro zu einer geheimen Sitzung getroffen hatte. Der Fraktionsvorsitzende der KPD im Reichstag Ernst Torgler stellte sich kurze Zeit später freiwillig, um so die Behauptung er sei am Brand beteiligt gewesen, als absurde Behauptung erscheinen zu lassen.
Da der am Tatort festgenommene Marinus van der Lubbe angeblich auch Verbindung zur SPD zugegeben hatte, geriet auch diese Partei in den Fokus der Behörden. Die sozialdemokratische Presse aber auch die Wahlplakate der Partei wurden für 14 Tage verboten.
Am 28. Februar noch wurde vom Reichskabinett die Notverordnung „Zum Schutz von Volk und Staat“ verabschiedet. Damit wurden die Grundrechte außer Kraft gesetzt. Der Polizei und ihren Hilfsorganen (namentlich der SA) war es nunmehr möglich Verhaftungen ohne die Nennung von Gründen vorzunehmen und den Betroffenen jeden Rechtsschutz zu verweigern. Weder die Unversehrtheit der Wohnung noch des Eigentums waren mehr gewährleistet. Das Post- und Fernmeldegeheimnis war ebenso aufgehoben wie die Meinungs-, Presse- und Vereinsfreiheit. Gleichzeitig waren darin stärkere Eingriffsmöglichkeiten des Reichs in die Angelegenheiten der Länder verbunden. Für verschiedene Terrordelikte wie auch für Brandstiftung wurde rückwirkend die Todesstrafe eingeführt. Diese Verordnung war gleichbedeutend mit dem Ende des Rechtsstaates in der bisherigen Form. Die Verordnung blieb bis zum Ende des Dritten Reiches in Kraft und war die Grundlage für ein Regime des permanenten Ausnahmezustandes.
Aus taktischen Gründen sah die Regierung noch von einem formellen Verbot der KPD ab. Aber Adolf Hitler machte noch am 28. Februar unmissverständlich deutlich, dass jetzt rücksichtslose Auseinandersetzung mit der KPD dringend geboten sei. Das erklärte Ziel war die völlige Vernichtung der Kommunisten. Daneben konnte die Notverordnung auch auf Sozialdemokraten und letztlich auf alle Gegner des Regimes angewandt werden.
Die Notverordnung schuf die Grundlage zur Verhaftung nicht nur zahlreicher weiterer Funktionäre der Arbeiterparteien, sondern auch zahlreicher kritischer meist linker Intellektueller. Unter diesen waren noch am 28. Februar Carl von Ossietzky, Erich Mühsam, Ludwig Renn, Egon Erwin Kisch, Max Hodann oder Hans Litten. Einige Tage später gelang der Polizei auch die Verhaftung des kommunistischen Parteivorsitzenden Ernst Thälmann.
Der laufende Reichstagswahlkampf konnte von der NSDAP nach dem Brand in offen terroristische Bahnen gelenkt werden. Bis Mitte Mai 1933 wurden allein Preußen über 100.000 politische Gegner, die Mehrzahl Kommunisten, verhaftet und in provisorischen Konzentrationslager und Folterkeller gebracht. Am Wahltag zählte man 69 Tote und hunderte Verletzte allerdings nicht nur auf Seiten der Opposition sondern auch bei SA und NSDAP.
Die nationalsozialistische Führung hätte gerne auf einen ordentlichen Prozess verzichtet. Aber dies war nicht möglich, da der Übergang zur Diktatur noch nicht abgeschlossen war. Hinzu kam der Druck des Auslandes. Dabei spielte die Exil-KPD eine starke Rolle. Allerdings wurde einen Monat nach dem Reichstagsbrand von der Reichsregierung mit einer Lex van der Lubbe das Strafmaß erhöht, so dass für Brandstiftung auch die Todesstrafe verhängt werden konnte.
Die polizeilichen Ermittlungen und gerichtlichen Voruntersuchungen richteten sich neben Marinus van der Lubbe auch gegen den angeblichen Anstifter den deutschen Kommunisten Ernst Torgler und drei bulgarische Kommunisten Georgi Dimitroff, Blagoi Popow und Wassil Tanew. Als Staatsschutzsache war der Fall eine Sache für das Reichsgericht in Leipzig. Insgesamt wurden bei der Voruntersuchung über 500 Zeugen vernommen. Die Ergebnisse aus 32 Aktenbänden wurden in einer umfangreichen Anklageschrift zusammengefasst. In dieser Zeit versuchte die Regierung das Verfahren zu beeinflussen, so wurde der die Untersuchung leitende Richter durch einen Mann des Regimes ersetzt, der konsequent alle Entlastungsanträge der Beschuldigten ablehnte. Der Versuch von Dimitroff einen ausländischen Verteidiger hinzuzuziehen scheiterte, den Angeklagten wurden stattdessen einige Offizialverteidiger zugewiesen.
Am 21. September 1933 wurde der Prozess vor dem IV. Strafsenat des Reichsgerichts eröffnet. Der vorsitzende Richter war Wilhelm Bünger ehemals Mitglied der DVP und Landesminister in Sachsen und kein Anhänger des neuen Regimes. Das Verfahren war in weiten Teilen geprägt von politischen Auseinandersetzungen. Dimitroff hatte sich in der Haft intensiv mit dem deutschen Strafrecht und –prozessordnung vertraut gemacht und lieferte sich als guter Rhetoriker heftige Redeschlachten mit den Vertretern der Anklage, versuchte die Belastungszeugen in Widersprüche zu verwickeln und stellte eine Vielzahl von Beweisanträgen. Durch die zahlreichen in- und ausländischen Pressevertreter konnte er sich seiner medialen Wirkung sicher sein. Die Richter sowohl von der Presse wie auch der Regierung kritisch beobachtet, erwiesen sich gegenüber Dimitroff als hilflos. Ihre einzige Waffe war dessen mehrfacher Ausschluss vom Verfahren. Bemerkenswert ist, dass einige Zeugen die als Inhaftierte in Konzentrationslagern unter Druck gegen die Angeklagten ausgesagt hatten, vor Gericht ihre Aussage widerriefen. Ein Gutachter kam zwar im Verlauf des Prozesses zu dem Urteil, dass van der Lubbe unmöglich der alleinige Täter sein könne. Insbesondere die ausländische Öffentlichkeit blieb aber skeptisch. Die Wende sollte der Auftritt von Joseph Goebbels und Hermann Göring bringen. Göring griff die Kommunisten scharf an, ließ sich aber von Dimitroff aus der Fassung bringen. Geschickter verhielt sich Goebbels aber auch ihm gelang es nicht den Eindruck eines nationalsozialistischen Schauprozesses zu entkräften.
Das Urteil, zudem keine Revision möglich war, erging am 23. Dezember 1933. Danach wurden die Angeklagten Torgler, Dimitroff, Popoff und Taneff freigesprochen. Der Angeklagte Lubbe wurde wegen Hochverrats in Tateinheit mit aufrührerischer Brandstiftung und versuchter einfacher Brandstiftung zum Tod und zum Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt. Der Freispruch der kommunistischen Angeklagten erfolgte dabei aus Mangel an Beweisen. Die These von der kommunistischen Verantwortung wurde allerdings aufrechterhalten. Das Urteil wurde im Ausland mit Erleichterung, von der nationalsozialistischen Presse mit Entrüstung aufgenommen. Marinus van der Lubbe wurde am 10. Januar 1934 durch die Guillotine hingerichtet.
In London wurde 1933 eine „Internationale Untersuchungskommission zur Aufklärung des Reichstagsbrandes“ eingerichtet, als deren Vorsitzender Denis Nowell Pritt fungierte. Außerdem gab es im Ausland einen Gegenprozess.
Wenn die Unabhängigkeit des Gerichts auch bereits deutlich eingeschränkt war, zeigte das Urteil, dass die Kontrolle des Regimes noch nicht vollständig gesichert war. Der Prozess wurde eine Haupttriebkraft zur Schaffung eines außerordentlichen Strafrechts. Dazu gehörte nicht zuletzt die Einrichtung des Volksgerichtshofes.
Es gab insgesamt drei Theorien zu den Hintergründen des Brandes:
1. Die Nationalsozialisten sprachen von einem „kommunistischen Aufstand“, zu dem der Brand des Reichstags das Fanal gewesen sein soll.
2. Kommunisten, aber auch Demokraten vermuteten schon frühzeitig, dass die Nationalsozialisten selbst den Brand gelegt hätten, um einen Vorwand für die Verfolgungen zu haben.
3. Schließlich gibt es die These von der Alleintäterschaft des am Tatort aufgefundenen Marinus van der Lubbe.