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Die Nachdenklichkeit des Nicolas de la Reynie
ОглавлениеNicolas de la Reynie kehrt stets nachdenklich von seinen Besuchen in Versailles zurück. Er spürt, dass der König unliebsame Beweise unterdrücken möchte - einer ehemaligen Geliebten hat Ludwig bereits zur Flucht verholfen.
Gleichzeitig glaubt La Reynie, so notiert der Polizeileutnant in einem Bericht, dass es noch furchtbarere Geheimnisse zu entdecken gibt.
Dieser ruhige, melancholische Mann, mit wenig Fantasie begabt, trifft in seinen Verhören auf Menschen ganz anderer Art - Menschen, die ihr Geld damit verdienen, zu lügen, zu betrügen und stets das zu sagen, was ihr Gegenüber hören möchte. Und La Reynie glaubt den fantastischen Anschuldigungen seiner Informanten - oder hält sie zumindest für möglich. Zu seiner zweiten Hauptzeugin wird nach La Voisin ausgerechnet eine verstörte, hoch nervöse und impulsive junge Frau mit einer lebhaften Vorstellungskraft: Marie-Marguerite Montvoisin, die 21-jährige Tochter der Giftmischerin.
Sie ist kurz vor der Hinrichtung ihrer Mutter verhaftet worden und berichtet freimütig von der Kindheit in der Rue Beauregard. Wie es aus dem Beratungszimmer nach Schwefel stank, wie sie einmal eine weiße Taube kaufen musste, der die Kehle durchgeschnitten wurde, wie sie sich fast an einer Suppe vergiftet hätte, die für ihren Vater bestimmt war.
Aus anderen Verhören glaubt der Polizeileutnant zu wissen, dass La Voisin damit gerechnet hatte, demnächst gut 100 000 Ecus einzunehmen (was mehr als 2000 Kilogramm reinen Silbers entsprochen hätte). Und dass sie dem König eine Petition überreichen wollte. Warum? Und wofür könnte ihr die gewaltige Belohnung versprochen worden sein? Marie weiß nichts darüber.
Doch bis zur nächsten Vernehmung hat sie drei Monate Zeit, um nachzudenken. Dann packt sie aus: Das Papier, auf dem die Petition verfasst gewesen war, sei vergiftet gewesen - La Voisin habe versucht, Ludwig XIV. zu ermorden.
Auch die Auftraggeberin kennt Marie angeblich: Madame de Montespan. Die langjährige Mätresse des Königs.
Ludwig XIV. hat sich stets mit vielen Liebhaberinnen vergnügt: „Er benutzt diese Art Frauen wie Postpferde, die man einmal besteigt und nie wieder sieht“, schreibt ein Höfling. Doch Francoise-Athenai's de Rochechouart, Marquise de Montespan, ist – wie wir zwischenzeitlich wissen - mehr. Blond, blauäugig, üppig geformt - ihre Zeitgenossen preisen die Schönheit der Adeligen.
Als La Voisin stirbt, teilt Madame de Montespan allerdings schon nicht mehr Ludwigs Bett. Sie ist fett geworden nach den vielen Schwangerschaften, der König hat sie vor einem Jahr durch eine Jüngere ersetzt.
All dies passt beunruhigend genau zu Maries Geschichte: Die Mätresse des Königs sei fünf oder sechs Jahre lang zu ihrer Mutter gekommen. La Voisin habe ihr Liebespulver geliefert, um die Gefühle des Königs zu stärken. Als Ludwig sich einer anderen zuwandte, habe sie ihn bestrafen wollen: mit dem Tod.
Mit jedem Verhör werden Maries Aussagen fantastischer: Auf Madame de Montespans Bauch seien schwarze Messen abgehalten worden. Ein ebenfalls inhaftierter Priester, der angebliche Komplize, liefert bereitwillig die Details. Viermal im Laufe der Jahre habe er über der nackten Dame die Dämonen Astaroth und Asmodäus angerufen und jedes Mal ein Kind geopfert, damit der König sie weiter liebe. Er habe den zuvor gekauften Säugling geschlachtet, aus dem Herz und Eingeweiden seien Pulver hergestellt worden, die Montespan dem König verabreicht habe.
La Reynie weiß nicht, wie viel er glauben soll. Aber er hält den König über alle Aussagen auf dem Laufenden.
Ludwig bereist im Sommer 1680 Nordfrankreich, gefolgt von seinem Hof. Er muss lesen, dass seine langjährige Geliebte ihre Beziehung mit widerlichen Methoden zu stärken versucht hat, ja vielleicht sogar seinen Tod plante. Und auch die merkwürdigen Dämpfe und quälenden Kopfschmerzen, die seine Ärzte jahrelang mit Abführmitteln behandelten, könnten plötzlich eine Erklärung finden.
Die Höflinge beobachten, wie selten Madame de Montespan den König auf dieser Reise sieht. Sie deuten dies als weiteres Zeichen für ihren Abstieg. Niemand ahnt jedoch den wahren Grund.