Читать книгу Eine Gräfin und ihr verlassenes Glück - Walter Brendel - Страница 4
Statt einer Einleitung
Оглавление„Hoym!" rief jetzt August und heftete seinen Blick auf den Nachbar Fürstenbergs, einen Mann von schönem Körperbau, dessen Gesicht mit den kleinen, listigen, stechenden Augen jedoch nicht besonders anziehend war. „Hoym, jetzt ist die Reihe an dir, zu erzählen. Wir lassen keinerlei Ausflüchte gelten. Du bist, was die Weiber betrifft, ein feiner Kenner, und Glück hast du bei den Frauen wie kein anderer. Auch wissen wir alle, dass dir galante Abenteuer zum Bedürfnis geworden sind. Erzähle uns also eine lustige Geschichte. Beichte, Hoym, beichte! Du weißt ja, dass das, was an diesem Ort zur Sprache kommt, nie ausgeplaudert wird."
Hoym lachte vergnügt und blinzelte die Gäste der Reihe nach an. Die Bewegungen seines Kopfes, der bald nach dieser, bald nach jener Seite fiel, sein gezwungenes Lächeln, seine glühenden Wangen, kurz, alles an ihm verriet, dass er betrunken war.
Sowohl dem König wie seinen Gefährten war es angenehm, dass sich der Finanzminister Hoym in einem Zustand befand, in dem sich die Zunge nicht durch den Verstand im Zaum halten lässt. Sie hofften, die ergötzlichsten Geschichten aus dem Mund des Betrunkenen zu vernehmen. Hoym stand im Ruf eines Don Juan. Es hieß zwar, dass er seit einigen Jahren einen gesetzteren Lebenswandel führe, weil er sich verheiratet habe, jedoch wusste so mancher, dass er noch immer seinen galanten Abenteuern nachging, dass dies allerdings jetzt im geheimen geschah, während er früher aus seinem Glück bei den Weibern kein Hehl gemacht hatte. Seine Gattin sah man nie. Es hieß, dass Hoym sie irgendwo auf dem Lande verborgen halte.
Auf ein Zeichen des Königs füllte Kyau den Becher des Finanzministers. Dieser nahm den Pokal und trank den ambrosischen Wein mit jener unbewussten Gier, welche den Betrunkenen, die der Nachdurst verzehrt, eigen ist. Sein Gesicht wurde feuerrot.
„Meine Mätresse soll ich schildern?" lallte Hoym. „Wie wäre das möglich, da ich gar keine Mätresse besitze. Wozu auch? Ist doch meine Frau schön wie eine Göttin." Auf diese Worte folgte allgemeines Gelächter. Nur der König blieb ernst und blickte Hoym unverwandt an. „Warum lacht ihr?" fragte Hoym mit schwerer Zunge, „Glaubt ihr, was ich gesagt habe, sei nicht wahr? Oh, wer meine Frau nicht gesehen hat, weiß nicht, wie Venus aussah. Ja, ich bin überzeugt, dass Aphrodite neben ihr für eine Waschfrau gehalten würde. Haha! Wie wäre es möglich, sie zu schildern? Ihre Augen sind von unwiderstehlicher Gewalt, ihre Formen von klassischer Schönheit, ihr Lächeln... ah, dieses einzige Lächeln!..."
Die einen zuckten die Achseln, die anderen lächelten ungläubig. August aber schlug mit der Faust auf den Tisch und rief: „Weiter, weiter! Und seufze nicht so oft; schildere rascher und besser! Wir wollen ein anschauliches Bild von diesem unvergleichlichen Geschöpf haben."
„Ihr Lächeln ist unbeschreiblich", fuhr der Finanzminister in fast unverständlichem Lallen fort. „Leider lächelt sie nur selten, denn meine Göttin ist streng, ja furchtbar!" Er hielt inne.
„Fahre fort!" herrschte ihn August an. „Beschreibe uns ihre Schönheit."
„Wer vermöchte die Vollkommenheit zu schildern?" lallte Hoym und starrte zur Decke des Saales empor.
„Ich fange an zu glauben, dass seine Gattin in der Tat schön ist", bemerkte Lagnas-co.
„Liebt er sie doch seit drei Jahren", rief ein anderer Edelmann. „So lange ists, dass er auf fremdem Gebiet nicht mehr jagt."
„Bah, er übertreibt!" meinte Fürstenberg. „Er ist ja betrunken. Schöner als die Teschen-Lubomirska kann seine Frau nicht sein."
Hoym warf einen scheuen Seitenblick auf den König. Dieser fragte in ruhigem Ton, ob seine Gattin wirklich schöner sei als Lubomirska, seine, Augusts Geliebte. „Sei aufrichtig", fügte August hinzu. „Hier braucht man nichts zu berücksichtigen als die Wahrheit."
„Oh, mein Fürst!" rief Hoym in heller Verzückung. „Die Prinzessin ist schön, ich weiß es; meine Frau aber ist bei weitem die Schönere von beiden, ja, ich behaupte, dass der Hof, die Stadt, ganz Sachsen, ganz Europa nicht ihresgleichen aufzuweisen hat. Welch ein Weib! Ein einziges Wesen!"
Hoym hielt plötzlich inne. Sein Blick war zufällig auf August gefallen, und der lauernde Ausdruck auf dessen Gesicht hatte ihn erschreckt. Der König schien keines seiner Worte, keine seiner Bewegungen verlieren zu wollen. Der Schreck ließ in Hoym die Besinnung wieder aufdämmern; er wollte seine Worte zurücknehmen, aber es war schon zu spät. Er schwieg, und ohne auf die Zurufe der Gesellschaft zu achten, die ihn bat, mit seiner Rede fortzufahren, ließ er sein Haupt auf die Brust sinken, um den seltsamsten Gedanken nachzuhängen. August aber winkte dem Freiherrn von Kyau, die Becher zu füllen. Der königliche Mundschenk gehorchte, worauf Fürstenberg einen Toast auf August-Apollo ausbrachte. Die Herren erhoben sich. Einige leerten ihre Gläser mit gebeugtem Knie, andere stehend. Hoym wankte und musste sich auf die Tischplatte stützen, um sich aufrecht zu halten. Die Trunkenheit, welche der Schreck momentan verscheucht hatte, kehrte mit verdoppelter Vehemenz zurück. Ohne zu wissen, was er tat, nahm er sein volles Glas in die zitternde Hand und trank es aus.
Hinter dem Sessel des Königs stand Fürstenberg, Augusts treuer Gefährte, der Vertraute all seiner galanten Intrigen, dem er den familiären kurzen Beinamen „Fürs-chen" gegeben hatte.
„Fürstchen", begann August-Apollo, zu seinem Günstling gewandt, in gedämpftem Ton, „der Akzisor hat die Wahrheit gesprochen. Wir müssen ihn zwingen, uns den Schatz, den er seit einigen Jahren so behutsam verbirgt, zu zeigen. Ich gebe dir car-te blanche... tu, was du willst, spare weder Geld noch Mittel, nur zeige sie mir. Ich will seine Frau sehen." Fürstenberg lächelte. Diese Laune konnte ihm und anderen Vorteile bringen. Prinzessin Teschen, die augenblickliche Geliebte des Fürsten, hatte viele Feinde, namentlich unter den Parteigängern und Freunden des Kanzlers Beichling, dessen prächtiges Palais in der Pirnaischen Gasse nach seinem Sturz in ihren Besitz übergegangen war. Zwar verteidigte Fürstenberg die Mätresse des Königs gegen alle Angriffe seitens der Damen des sächsischen Hofes, aber das hinderte ihn nicht, jetzt gegen sie aufzutreten, sie der Gefahr auszusetzen, von einem anderen Weibe verdrängt zu werden. Die etwas verwelkte Schöne mit dem sentimentalen Wesen begann August, der bei den Frauen ein heiteres, mutwilliges Naturell liebte, zu missfallen. Fürstenberg, der dies wusste, erriet den Hintergedanken seines Gebieters. Er trat zu dem Finanzminister und raunte ihm ins Ohr: „Akzisor, Akzisor, ich erröte für dich, denn du hast eine freche Lüge ausgesprochen; du hast dich über uns lustig gemacht. Vergaßest du, dass dein König zugegen ist? Wir wollen ja glauben, dass deine Frau kein gewöhnliches Weib ist, allein eine Venus, eine Göttin, eine Teschen ist sie nicht. Gestehe es nur, du hast übertrieben."
„Tausend Donnerwetter!" schrie der Betrunkene. „Ich habe nicht gelogen! Jetzt aber lasst mich in Frieden, Blitz Element!" August nahm die Heftigkeit Hoyms nicht übel. Bei den königlichen Trinkgelagen war alles erlaubt. Im betrunkenen Zustand durften die unbedeutendsten Gäste den Goliath ungestraft umarmen.
„Hoym!" rief Fürstenberg laut. „Ich wette tausend Dukaten, dass deine Frau die Schönen des Hofes an Anmut nicht übertrifft."
„Die tausend Dukaten sind mein", jubelte der Akzisor, „sie sind mein!"
„Darüber werde ich entscheiden", fiel August in ernstem Ton ein, „und zwar ohne Verzug. Hoym muss seine Gattin nach Dresden kommen lassen und sie uns beim nächsten Hofball vorstellen."
„Er soll sofort schreiben, sogleich! Der königliche Eilbote bestellt den Brief!" riefen verschiedene Stimmen. Das erforderliche Schreibzeug herbeizubringen und Hoym eine Feder in die Hand zu drücken, war das Werk eines Augenblicks.
Auf ein Zeichen des Königs fing der unglückliche Mann an zu schreiben, was ihm August diktierte. Sobald die an seine Frau gerichtete Aufforderung, unverzüglich nach Dresden zu kommen, zu Papier gebracht war, entriss man ihm den Brief, und einer der Höflinge stürzte mit demselben davon, um dem Eilboten des Königs den Befehl zu erteilen, das Schreiben nach Laubegast zu befördern.1
Abb.1:König August II. im Harnisch und Hermelinmantel sowie mit der Schärpe des Ordens vom Weißen Adler und dem Orden vom Goldenen Vlies, dessen Ritter er seit 1697 war (Gemälde auf Burg Stolpen)
So sollte also der Grundstein für das langjährige Verhältnis zwischen den sächsischen Kurfürsten August und Anna Constantia von Hoym gelegt worden sein. Zu schön, um wahr zu sein. Und nicht ein einziges Wort daran ist wahr. Ausgedacht hat sich das der polnische Schriftsteller Jozef Ignacy Kraszewski. Er schrieb dieses im Buch „Gräfin Cosel“, 1880 erschienen. Nun ganz allein hat er es sich auch nicht ausgedacht, sondern von Karl Ludwig Wilhelm Freiherr von Pöllnitz aus dessen Buch „Das galante Sachsen“ (erschienen 1735) einfach abgeschrieben. Plagiat ist also keine neue Erfindung. Und das es Kraszewski mit der historischen Wahrheit nie so genau nahm, ist nun hinreichend durch seine sogenannte „Sachsentrilogie“ belegt. Man denke nur an die Rolle, die er den sächsischen Premierminister Brühl zuschrieb.
Also ist Kraszewski für uns als Quelle ungeeignet, denn wir wollen ein wahres und ungeschminktes Buch über die legendäre Gräfin schreiben.