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Ist Brühl mehr als die Brühlsche Terrasse?
ОглавлениеHeinrich Graf von Brühl, Kabinettsminister unter August dem Starken und Premierminister seines Nachfolgers Friedrich August II., zählt zu den bekanntesten, aber auch widersprüchlichsten Persönlichkeiten der sächsischen Geschichte. Sein Name wird oft mit Korruption, Misswirtschaft und Verschwendungssucht in Verbindung gebracht. Sein offizielles wie literarisches Bild erhielt im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte immer mehr negative Facetten, während sein wichtigster Gegenspieler, Friedrich der Große, glorifiziert wurde. So heißt es zum Beispiel in der „Deutschen Geschichte“, Bd. 1, S. 508: „Der gewissenlose Minister Brühl“ schädigte „das Land durch seine Misswirtschaft aufs äußerste“.
Wie war es möglich dass ein derart nachteiliges Porträt des ranghöchsten sächsischen Regierungsbeamten die Zeiten überdauerte?
Zunächst war da die Meinung des sächsischen Herrscherhauses selbst. Die bankrotte Staatskasse und der verlorene Siebenjährige Krieg hatten das Ansehen Sachsens gründlich ramponiert. Dass ein gekröntes Haupt keine Schuld daran tragen konnte, verstand sich von selbst. Auch das absolutistische Herrschaftssystem an sich konnte und durfte nicht in Frage gestellt werden. Also musste ein Schuldiger gefunden werden – und der hieß Brühl.
Zum Zweiten nahm Preußen starken Einfluss auf das öffentliche Bild von Brühl. Damit wollte man versuchen, das eigene Negativimage aufzupolieren, das sich durch den Überfall auf Sachsen ohne Kriegserklärung am 29. August 1756 die gnadenlose Ausplünderung des Landes und den darauf folgenden Handelskrieg herausgebildet hatte. Friedrich II. leitete bekanntermaßen eine Annexions- und Eroberungspolitik im großen Stil ein, die erst 1945 mit der Auflösung des Königreichs Preußen ihr Ende fand. Der schlechte Ruf Brühls hatte sich da allerdings in aller Ruhe bereits von Generation zu Generation weiterverbreiten können.
Dabei ist – zum Dritten – der Einfluss der Literaten nicht zu unterschätzen. Aus der Feder einer gewissen Rita Sonneck floss der Roman „Graf von Brühl Der Roman eines Mächtigen“, welcher 1920 beim Verlagshaus Bong/Berlin erschien. Von dem schlechten Schreibstil einmal ganz abgesehen, verharrte dieses Werk fern jeder historischen Wahrheit und hatte nur ein Ziel: Brühl weiter zu verunglimpfen. Fortsetzung der preußischen Geschichtsschreibung in der Literatur? Dieser Roman jedenfalls prägte besonders in der Weimarer Republik das Bild von Brühl und von Sachsen. Zum Glück ist er heute fast vergessen.
Ein weiterer Literat hatte sich zuvor schon an Brühl versucht, 111 Jahre nach dessen Tod, in seiner Wahlheimat Dresden: der Pole Józef Ignacy Kraszewski. Zweifellos einer guter Romancier, aber nicht mit dem Anspruch einer objektiven historischen Darstellung ausgestattet, hat Kraszewski insbesondere in seinen Romanen „Brühl“ und „Aus dem Siebenjährigen Krieg“ leider ein Zerrbild von Sachsen und Brühl gezeichnet.
Mit leichter Feder, lebenspraller Charakterzeichnung und spannungsreicher Handlung gelingt dem seit 1863 zunächst als politischer Flüchtling, danach als sächsischer Staatsbürger in Dresden lebenden Autor 1874 dann ein weiterer Band seiner Sachsen-Trilogie, bei einem großen Leserkreis bis heute beliebt. Die auf der Trilogie fußende DEFA-Produktion „Sachsens Glanz und Preußens Gloria“ mit Straßenfeger-Qualitäten schrieb – wenngleich aus einem anderen ideologischen Blickwinkel – dieses mitunter deutlich von den wahren Fakten und Begebenheiten abweichende Bild fort und in die Herzen und Hirne von neuen Generationen, und so tut man Brühl – wissentlich oder aus Unkenntnis – weiterhin unrecht.
Erst Ende des 20./Anfang des 21. Jahrhunderts waren Schriftsteller, Biografen, Historiker und Wissenschaftler verstärkt um eine objektive Darstellung bemüht. „Heinrich Graf von Brühl“ von Walter Fellmann und „Heinrich Graf von Brühl. Eine Biografie“ von Dagmar Vogel sind zwei Belege dafür.
Kommen wir nun zu Punkt vier:
Nach dem verlorenen Siebenjährigen Krieg und dem Staatsbankrott wurde 1765 in Sachsen ein Prozess gegen Brühl angestrengt. Hofjuristen, vergleichbar heutigen Staatsanwälten, befassten sich mit Brühl in der erklärten Absicht, ihm Verfehlungen nachzuweisen. Eine Unschuldsvermutung gab es nicht. Brühl musste schuldig sein, und er sollte Rede und Antwort stehen. Doch das konnte er gar nicht mehr, denn er war 1763 verstorben. Man führte also einen Prozess gegen eine Leiche.
Denkmal für Minister von Brühl im Seifersdorfer Tal, konzipiert von Schwiegertochter
Christina von Brühl, in Form eines fiktiven Grabes
Und es kam, wie es kommen musste: Dichtung und Wahrheit verschmolzen, und Vermutungen wie Spekulationen waren Tür und Tor geöffnet. Unter der Feder von Literaten und Historikern wurde sein Vermögen immer größer.
„Sein Vermögen schätzte man auf 100 Millionen“ Taler, so Lauterbach („Deutschen Geschichte“, Bd. 1, S. 99), doch ist nur wenig davon vorhanden, „weil seine sprichwörtliche Leichtlebigkeit und die riesigen Ausgaben seiner Familie alles verschlangen“.
Doch greifen wir dem Ganzen nicht vor. Recherchieren wir lieber gründlich und objektiv, um aus rechtsgeschichtlicher Sicht das einseitige Bild des Staatsmannes und Menschen Brühl durch neue Facetten zu objektivieren.
Das also war die Ausgangslage, als sich am 27. Oktober anno 1763 ein gewisser Hofrat Ferber auf den Weg zu Brühl machte.