Читать книгу Die gespaltene Seele der Kaiserin - Walter Brendel - Страница 4
Einleitung
ОглавлениеDa blieb kein Auge trocken, als der Film „Sissy“ über die junge Kaiserin von Österreich am 21. Dezember 1955 in Wien und einen Tag später in München über die Kinoleinwand flimmerte und später auch das Fernsehen eroberte. Eindrucks-voll von Ernst Marischka in Szene gesetzt, spielte die junge Romy Schneider an der Seite ihrer Mutter Magda und Karlheinz Böhm die Kaiserin Elisabeth von Österreich. Der Erfolg des Filmes an den Kinokassen verlangte Fort-setzungen. Es folgten „Sissi – Die junge Kaiserin“ (1956) und „Sissi – Schicksalsjahre einer Kaiserin“ (1957).Ein Mythos entstand und hält sich immer noch. Generationen von Fernsehzuschauern haben im Lauf der Jahre immer und immer wieder verfolgt, wie sich Elisabeth widerwillig an das Wiener Hofzeremoniell gewöhnen muss und schlussendlich mit ihrer Großherzigkeit Kaiser und Volk versöhnt. Von Historikern kritisiert, ist die Sissi-Trilogie Heimatfernsehen fürs Herz, das sollte Nachkriegsdeutschland wieder aufrichten. Inzwischen gehört sie zum traditionellen Kitschfernsehen: die österreichische Kaiserin - volksnah, naiv und vor allem warmherzig.
Heute gehören diese Filme neben „Der kleine Lord“ und „Die Feuerzangenbowle“ zum Standard-Weihnachtsprogramm der deutschen Fern-sehlandschaft. Doch wie weit entspricht dieses Filmwerk den Tatsachen? Die Antwort ist sehr einfach, ein Schmarren, nicht einmal der Name stimmt. Elisabeths komplexem Charakter werden die Marischka-Filme nicht gerecht.
Mit dem überflüssigen“s“ fangen die Missverständnisse schon an. Elisabeth Amalie Eugenie, Herzogin in Bayern und spätere Kaiserin von Österreich-Ungarn, wurde von ihren Eltern und Geschwistern „Sisi“ genannt. Auch ihr Ehemann Franz Joseph I. behielte diesen Namen bei. Aber seit den berühmten Filmen mit Romy Schneider aus den Fünfzigern ist der Kosename der Kaiserin mit zwei s geblieben.
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In ihren letzten Lebensjahren steht die ruhelose Elisabeth vor einem radikalen Neuanfang. Sie will der Donaumonarchie den Rücken kehren und sich auf der griechischen Insel Korfu ein “Zauberschloss“ bauen. Eine Schlüsselrolle bei diesem Lebenstraum spielt ihr Vertrauter Alexander von Warsberg. Seine bisher unveröffentlichten Briefe gewähren neue Einblicke jenseits aller Sisi-Romantik.
Kaiserin Elisabeth war ein gebildeter, liberaler Geist und hatte neben dem Status als Kaiserin auch ein Leben als Mutter und Frau. Später wurde sie Fitnessfanatikerin, ließ sich vom 30. Lebensjahr an nicht mehr fotografieren, weil sie in der Öffentlichkeit das Bild der jungen, schönen Sisi erhalten wollte. Sie sprach mehrere Sprachen, reiste gern, war passionierte Reiterin und schrieb Gedichte. Aber sie fand in all dem kaum Erfüllung, war rastlos. Das brachte ihr den Ruf einer Rebellin ein, die sich für andere eher wenig interessierte.
Sisis Pech war, dass sie schlicht in der falschen Epoche lebte, ein Jahrhundert zu früh.
„Sissi“-Romantik verkörpert von Romy Schneider
Leopold Altenburg, Ururenkel Elisabeths formuliert es so:“Würde sie heute leben, mit ihren Fähigkeiten und mit ihrem Talent, könnte sie vielleicht viel mehr Achtung erlangen als damals.“
Elisabeth, löst sich zunehmend mehr vom Hof und geht ihren eigenen Weg. An ihrem Lieblingsort, auf der Insel Korfu, will sie ihren Traum verwirklichen, einem romantischen Palast am Ionischen Meer. Sisi ist nicht nur älter, sie ist erfahren, abgebrüht, egoistisch. „Man könnte sagen, es war einfach, sie zu lieben, aber schwer, mit ihr auszukommen“, kommentiert Ururenkel Altenburg.
Leopold Altenburg
Jetzt erfährt Sisi mehr als sechzig Jahre nach der Marischka-Trilogie eine überfällige Renaissance. Die wahre Elisabeth passt mit ihrem kantiger Charakter doch viel besser in unsere Zeit als das süße „Mäderl“, als das Romy Schneider durch die Wiener Hofburg wirbelt.
Die Bedingungen für das Heranwachsen von Diven aller Art haben sich im 19. und 20. Jahrhundert keineswegs verschlechtert. Mehr denn je bemühen sich junge Frauen, so schön und kapriziös zu werden, dass die Welt endlich auf sie aufmerksam wird. Trotzdem: Nur wenige dieser Wesen besitzen die Aura der österreichischen Kaiserin Elisabeth, die nach deren Tod, im Gegensatz zur englischen Prinzessin Diana, noch einmal einen Schub bekommen hat. Mehr als ein Jahrhundert nach ihrer Ermordung thront die rätselhafte Kaiserin immer noch im Olymp der Superfrauen. Ihr Kosename Sisi suggeriert zwar Volksnähe, führt aber in die Irre. Kaiserin Elisabeth von Österreich war vor allem eine scheue, eigensinnige und hochkomplizierte Frau.
Es ist haufenweise Literatur über Sisi verfasst worden, das Spektrum reicht vom Groschenroman bis hin zur wissenschaftlichen Analyse. Die Existenz dieser Frau ist weitgehend ausgeleuchtet.
Ausgangspunkt der Feldforschung ist die Renitenz der jungen Frau, die ihre Rolle als Kaiserin des Habsburgerreichs ablehnte. Sie war ein 17-jähriges Hascherl, als sie im April 1854 in Wien mit dem Kaiser Franz Joseph verehelicht wurde. „A Provinzlerin, aber bildhübsch halt“, so zitierte die Presse die abschätzige Meinung der Wiener Aristokratie über das überforderte Mädchen aus Bayern, das als Kindfrau zur Kaiserin aufstieg. Das rigide Hofprotokoll, die strenge Etikette und die drastische Einengung der Persönlichkeit irritierten sie. „Ich bin erwacht in einem Kerker und Fesseln sind in meiner Hand“, schrieb sie in einem Gedicht.
Auch in ihrer Rolle als Mutter und Ehefrau war sie heillos überfordert. „Die Ehe ist eine widersinnige Einrichtung“, klagte sie. „Als 15-jähriges Kind wird man verkauft und tut den Schwur, den man nicht versteht und dann 30 Jahre oder länger bereut und nicht mehr lösen kann.“ Sie ergriff die Flucht, zunächst nach Madeira, eine Sucht, die lebenslang anhalten sollte. Sisi reiste meistens spontan ab. Oft wusste nicht einmal ihr Mann, wo sie sich gerade aufhielt. In ihrem 44-jährigen Reiseleben wechselte sie gut 2000 Mal den Ort.
In erster Linie bleiben die spinnerten Menschen im Gedächtnis haften, vermutlich weil sie jene Welt verkörpern, die allein mit der Kraft des Verstandes nicht zu durchdringen ist. Sie stehen für die Sehnsucht vieler, aus den Fesseln des Alltags auszubrechen, wie es Sisi exzessiv vorgelebt hat. Wobei eines leicht übersehen wird: Trotz ihres ungebundenen Lebensstils ist diese Frau nicht glücklich geworden, vielmehr kommt in ihr eine Person in ihrer ganzen Verlorenheit und Rastlosigkeit zum Vorschein.
Schloss Miramare bei Triest, Brückenkopf für Sisis Reisen
Kaiserin Sisi war ihr Leben lang eine Getriebene. Das Bild, das die Schmalzfilme von ihr zeichnen, stimmt vorne und hinten nicht. Lebenslang von einem Ort zum anderen wechselnd, hat sie sich dennoch nirgendwo geborgen gefühlt.
Ruhelos jagte sie durch Europa und den Orient. Dabei wohnte sie nicht nur in Schlössern und Burgen, sondern auch in Villen, Landhäusern, Hotels, Jagd- und Berghütten sowie in Schiffskajüten. Die angemietete Luxushotels mussten oft erst nach den Wünschen der Kaiserin umgebaut werden. Sie brachte es sogar fertig, sich ohne langes Fragen in einem Privatquartier einzunisten.
Der Kaiservilla in Bad Ischl stand Kaiserin Sisi mehr als zwiespältig gegenüber
Oft blieb sie mit ihrem 60-köpfigen Tross nur wenige Tage, dann befiel sie schon wieder eine Unruhe. Sie war pausenlos in Bewegung und mutete ihren Begleitern Gewaltmärsche bis zur völligen Erschöpfung zu. „Man soll nur so lange als nötig in den Häusern seine Stunden verbringen“, gab sie als Motto aus. Viel wohler als in Schlössern fühlte sie sich „unter stinkenden Fellachen auf dem Basar von Kairo oder auf den überfüllten Straßen von Neapel“.
Dabei waren ihre Wohnwelten verblüffend unterschiedlich. Die Wiener Hofburg hasste sie von Haus aus, der Kaiservilla in Bad Ischl und Schloss Schönbrunn stand sie mehr als zwiespältig gegenüber. Ihre Fluchtburgen auf Madeira, Mallorca und Korfu, besonders Schloss Miramare bei Triest und Schloss Trauttmannsdorf bei Meran liebte sie. Sie fühlte sich zu einfachsten Unterkünften hingezogen, gab sich aber auch dem pompösen Lebensstil leidenschaftlich hin. Sie investierte immense Summen in den Bau des Achilleions in Korfu, das sie aber kurz nach der Fertigstellung nicht mehr interessierte.
Die junge schöne Kaiserin
Der ideale Aufenthaltsort ließ sich aufgrund ihrer gespaltenen Persönlichkeit letztlich nicht finden. Dem stand auch ihr Fatalismus entgegen. Sisi riskierte beim Reiten, in den Bergen wie auf See stets ihr Leben. „Es dürfen mich auch nur Menschen begleiten, die entweder nichts mehr zu verlieren oder mit dem Leben überhaupt abgeschlossen haben.“ Sie war nach vielen Schicksalsschlägen ganz einfach lebensmüde.
Zweifellos war die Kaiserin eine intelligente Frau mit zahlreichen Talenten, aber sie fand letztlich keine Aufgabe, die sie gefordert und zufriedengestellt hätte. Ihre Ruhelosigkeit und ihr Unglück bildeten, ähnlich wie bei ihrem Cousin Ludwig II., im Verbund mit ihren Bauwerken und Wohnwelten den idealen Grundstoff, um daraus einen Mythos zu schaffen.
Schön war sie. Glücklich nie: Mit 15 Jahren heiratet die bayerische Prinzessin Elisabeth, genannt Sisi, ihren Cousin, den österreichischen Kaiser. Doch sie fühlt sich am Wiener Hof gefangen, verliert zwei ihrer Kinder. Rastlos reist sie durch die Welt. Sie ist eine Getriebene ihrer eigenen Zweifel - exzentrisch, hart zu ihren Mitmenschen und zu sich selbst, bis sie bei einem Attentat ums Leben kommt.
Doch sie ist auch die Frau, die um ihren Sohn kämpft, sich für die österreichische „Nebenmonarchie“ Ungarn einsetzt und sich gegen das Kaisertum und den Wiener Hofstaat stellt. Wer war diese Frau, deren Faszination noch immer ungebrochen ist und die nicht zuletzt mit der Filmtrilogie „Sissi“ zur Legende wurde? Was steckt hinter dem Mythos „Sisi“?