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Viertes Kapitel.
ОглавлениеPrior Aymer hatte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, sein Reitkostüm abzulegen und in einem Anzug aus feinerem Stoffe zu erscheinen, über dem er einen Chorrock mit prachtvoller Stickerei trug. Außer dem großen Siegelring, an dem sein Rang als Geistlicher zu erkennen war, hatte er, im Widerspruch zu den Ordensregeln, noch viele kostbare Ringe an den Fingern. Seine Sandalen waren aus feinstem Leder, und den Bart hatte er so zierlich gestutzt, als es sich nur irgend mit den Vorschriften vertrug. Die Tonsur wurde von einer scharlachroten Mütze verdeckt. Auch der Tempelherr erschien in anderem Kleide. Seine Erscheinung, weniger mit Schmuck überladen als sein Gefährte, machte einen gebieterischen Eindruck. Statt seines Panzerkleides trug er ein Untergewand aus purpurner Seide mit Pelz verbrämt, über den ein langes Oberkleid von fleckenlosem Weiß in weiten Falten herabfiel. Das achteckige, aus schwarzem Samt geschnittene Kreuz seines Ordens war auf die Mantelachsel genäht. Er trug nicht mehr die hohe Scharlachmütze, seine Stirn war nur noch beschattet von seinem vollen, krausen, rabenschwarzen Haar, das ihn bei seinem ungewöhnlich dunkeln Teint gut kleidete. Sein Gang und seine Haltung wirkten majestätisch, nur ein auffallender Ausdruck des Hochmutes, wie er einem Manne von unbeschränktem Ansehen leicht zur zweiten Natur wird, beeinträchtigte ein wenig die imposante Wirkung. Hinter diesen beiden hohen Herren kamen die Diener, und in bescheidener Entfernung der Wegweiser, an dem nur das eine auffiel, dass seine Tracht von dem gebräuchlichen Habit der Pilger abwich. Ein grober Mantel umschloss den ganzen Körper. Derbe Sandalen waren mit Riemen an seine nackten Füße gebunden. Ein breiter Hut, der an der Krempe mit Muscheln besetzt war, und ein langer, eisenbeschlagener Stab vervollständigten die Ausstattung des Pilgers. Bescheiden schritt er hinter den anderen drein, und als er sah, dass an der niedrigen Tafel kaum Platz für Cedrics Dienerschaft war, zog er sich auf einen Sitz neben einem der breiten Kamine zurück und schien hier seine Kleider trocknen und so lange warten zu wollen, bis am Tisch ein Platz frei oder ihm der Haushofmeister Speise und Trank an seinen Platz bringen würde.
Cedric erhob sich und empfing seine Gäste mit aller Würde der Gastlichkeit. Er kam von seiner Thronerhöhung herab und ging ihnen drei Schritte entgegen, ihrer Ankunft harrend.
»Hochwürdiger Prior,« sagte er, »es tut mir leid, dass mich ein Gelübde bindet, auf der Diele meiner Väter irgendwem weiter entgegen zu gehen, seien es auch so hohe Gäste wie Ihr und der tapfere Ritter des heiligen Tempels. Aber mein Haushofmeister hat Euch den Grund mitgeteilt, warum ich so unhöflich erscheinen muss. Ich muss Euch gleichfalls ersuchen, es mir nicht zu verübeln, wenn ich mich meiner Muttersprache bediene und Euch bitte, mir auch in ihr zu antworten. Doch wenn Ihr ihrer nicht mächtig seid, so verstehe ich vom Normannischen genug, dass ich Euern Worten folgen kann.«
»Gelübde,« sagte der Abt, »müssen gehalten werden, würdiger Franklin, oder lasst mich lieber sagen würdiger Thane, obschon dieser Titel jetzt veraltet ist. Gelübde sind Bande, die uns an den Himmel knüpfen. Was die Sprache betrifft, so will ich mich gern in der unterhalten, die meine Großmutter gesprochen hat.«
Nach diesen versöhnlich gemeinten Worten des Priors sagte sein Gefährte in kurzen nachdrücklichen Ton:
»Ich spreche stets Französisch, die Sprache Richards und seiner Edeln, doch verstehe ich auch Englisch genug, um mich mit den Eingeborenen unterhalten zu können.«
Cedric warf ihm einen raschen unruhigen Blick zu, aber er gedachte seiner Pflichten als Wirt und unterdrückte jede weitere Äußerung seines Unwillens. Er winkte seinen Gästen, zwei Sitze neben ihm einzunehmen, die nur ein wenig niedriger waren als der seine. Dann gab er das Zeichen, das Abendessen aufzutragen. Während die Befehle des Herrn ausgeführt wurden, gewahrte Cedric den Schweinehirten Gurth, der eben mit Wamba hereintrat.
»Warum habt Ihr so lange draußen herumgebummelt?« rief ihnen der Sachse zu. »Ist deine Herde in Sicherheit oder ist sie Räubern zur Beute gefallen?«
»Sie ist in Sicherheit,« antwortete Gurth.
»In Sicherheit, Spitzbube!« schalt Cedric. »Hab ich nicht hier zwei Stunden lang in Angst geschwebt und auf Rache gegen meine Nachbarn gesonnen wegen eines Unrechtes, das sie mir nun gar nicht zugefügt haben? Prügel und Kerker sind dir sicher, wenn du mirs noch einmal so treibst.«
Gurth, der seines Herrn Jähzorn kannte, wagte nicht, sich zu entschuldigen. Das Abendessen, das jetzt aufgetragen wurde, machte dem Wirt alle Ehre. Mannigfaltig zubereitetes Schweinefleisch stand am unteren Ende der Tafel, Geflügel-, Hasen-, Bock- und Hirschbraten, verschiedene Fische, große Kuchen und eingemachte Früchte. Die Herrschaft hatte silberne Becher, auf der Gesindetafel standen große Trinkhörner. Als eben die Mahlzeit beginnen sollte, hob der Haushofmeister den Stab und rief laut:
»Platz für Lady Rowena!«
Am oberen Ende der Halle ging eine Seitentür auf und Rowena trat, von vier Zofen begleitet, herein. Cedric war nicht angenehm überrascht, dass sein Mündel an diesem Abend doch kam, er erhob sich aber sofort und ging ihr rasch entgegen, um sie ehrfurchtsvoll zu dem für die Herrin des Hauses bestimmten erhöhten Platz zu seiner Rechten zu geleiten. Nun standen alle auf, sie zu begrüßen, die Lady erwiderte diese Höflichkeit mit einer stummen Verbeugung und schritt voller Anmut zu ihrem Platz am Tische, aber noch ehe sie ihn erreicht hatte, flüsterte der Templer dem Prior zu:
»Ich werde beim Turnier kein goldenes Halsband von Euch tragen, Ihr habt den Chioswein gewonnen.«
»Hab' ichs Euch nicht gleich gesagt?« versetzte der Abt, »doch mäßigt Euch in Euerm Entzücken, der Franklin hat Euch im Auge.«
Rowena war von hoher Gestalt. Sie hatte eine außerordentlich feine und zarte Haut, aber bei ihrer edlen Haltung und dem erhabenen Ausdruck ihres Angesichts fehlte der inhaltlose Zug, der oft vollendeten Schönheiten eigen ist. Ihre Augen waren blau und klar und schienen ebenso gut flammen wie schmachten, befehlen wie bitten zu können. Ihr reiches Haar spielte zwischen braun und blond und war in phantastischer und zugleich geschmackvoller Art in zahllose Locken gekräuselt, wobei die Natur durch Kunst unterstützt worden zu sein schien. Diese Locken waren mit Edelsteinen geschmückt, eine goldene Kette mit einer Reliquie von gleichem Metall zierte ihren Nacken, an den bloßen Armen trug sie Armbänder. Ihr Anzug bestand aus Unterkleid und Mieder von blasser, seegrüner Seide, darüber trug sie ein langes, weites Gewand, das fast bis auf den Boden reichte. Das Kleid war aus reinster Wolle und von karmesinroter Farbe. Ein seidener golddurchwirkter Schleier konnte entweder über Busen und Gesicht gezogen oder um die Schultern geschlungen werden. Als Rowena sah, dass die Augen des Templers voll Feuer auf sie geheftet waren, zog sie würdevoll den Schleier über ihr Gesicht, wie um anzudeuten, dass ihr ein so kecker Blick unangenehm sei.
»Herr Templer,« sagte Cedric, der diese Gebärde sah und ihre Ursache erkannte, »die Wangen unserer Jungfrauen im Sachsenland sind zu wenig an die Sonne gewöhnt, als dass sie den dreisten Blick eines Kreuzfahrers ertragen könnten.«
»War ich beleidigend, so bitte ich um Verzeihung, das heißt, ich bitte Lady Rowena um Verzeihung,« erwiderte der Templer, »denn weiter geh ich in der Demut nicht.«
»Spart Euch die Artigkeiten, Herr Ritter,« sagte Rowena, ohne den Schleier wieder zu lüften, »oder erlaubt mir vielmehr, sie so hoch anzurechnen, dass ich Euch um Nachrichten aus Palästina ersuche, die englischen Ohren lieber sind als alle Komplimente, die Euch französische Galanterie gelehrt haben mag.«
»Da habe ich wenig Nennenswertes zu erzählen, Mylady,« antwortete Sir Brian de Bois-Guilbert, »außer dass sich die Nachricht von dem Waffenstillstand mit Saladin bestätigt hat.«
In diesem Augenblick wurde das Gespräch unterbrochen, denn der Türhüter trat herein und meldete, es sei ein Fremder vorm Tor, der um Unterkunft bitte.
»Wer es auch sein mag,« sagte Cedric, »lass ihn herein. Solch eine Nacht, wo das Wetter fessellos wütet, treibt selbst wilde Tiere dazu, bei den zahmen Schutz zu suchen und zu ihrem Todfeinde, dem Menschen, zu flüchten, ehe sie im Sturme zugrunde gehen. Sieh danach, Oswald, dass es ihm an nichts fehle.«
Der Haushofmeister ging hinaus, um dafür Sorge zu tragen, dass seines Herrn Weisungen befolgt würden.
Oswald kam wieder und flüsterte seinem Herrn ins Ohr: »Es ist ein Jude, der sich Isaak von York nennt. Darf ich ihn hereinführen?«
»Gib dein Amt an Gurth ab,« sagte Wamba mit seiner gewohnten Keckheit. »Der Schweinehirt passt besser zum Zeremonienmeister für Juden.«
»Heilige Maria!« rief der Abt. »Soll ein ungläubiger Jude in unsere Gemeinschaft?«
»Ein Hund von einem Juden soll einem Verteidiger des heiligen Grabes nahe kommen?« setzte der Templer hinzu.
»Meiner Treu!« meinte Wamba, »mir scheint, die Templer lieben mehr das Gold der Juden als ihren Umgang.«
»Gemach, meine werten Gäste!« rief Cedric. »Euer Unwille kann meine Gastfreiheit nicht beeinträchtigen. Der Himmel hat das ganze Volk der Ungläubigen schon viele Jahre lang geduldet, also werden wir wohl die Gegenwart eines Juden auf ein paar Stunden ertragen können. Es soll auch niemand gezwungen sein, mit ihm zu essen oder zu reden. Er soll seinen Tisch und seine Schüssel für sich allein haben. Er kann bei Wamba sitzen,« fügte er launig hinzu, »der Narr und der Gauner passen gut zusammen.«
»Der Narr,« antwortete Wamba, indem er einen Schinkenrest emporhielt, »wird sich ein Bollwerk gegen den Gauner errichten.«
»Still!« sagte Cedric, »der Jude kommt.«
Ohne irgendwelche Umstände hereingelassen, trat ein langer, hagerer Greis ein, furchtsam und zaghaft und mit mancherlei Bückling – vom gewohnheitsmäßigen Verneigen des Oberkörpers hatte er viel von seiner natürlichen Größe verloren – und schritt auf die niedrige Tafel zu. Seine scharfgeschnittenen Züge, seine Adlernase, die stechenden, schwarzen Augen, die hohe, gefurchte Stirn und das lange, graue Haupt- und Barthaar hätten schön genannt werden können, hätte nicht sein Gesicht all jene charakteristischen Kennzeichen eines Geschlechtes getragen, das in diesem unaufgeklärten Zeitalter vom vorurteilsvollen Pöbel verachtet und vom räuberischen Adel ausgebeutet wurde, und das zufolge der beständigen Unbilden, denen es ausgesetzt war, einen Nationalcharakter angenommen hatte, der, gelinde gesagt, erbärmlich und verabscheuungswürdig war. Der Anzug des Juden, den das Unwetter sehr mitgenommen hatte, bestand aus einem weiten faltigen Bauernrock, unter dem er ein dunkelrotes Untergewand trug. Er ging in hohen Pelzstiefeln und hatte einen Gürtel um den Leib, in dem ein kleines Messer und ein Schreibzeug steckte. Ein hoher, viereckiger Hut von gelber Farbe und ganz besonderer Form – wie ihn die Juden zum Unterschied von den Christen kraft Gesetzes tragen mussten – wurde von ihm in aller Demut an der Tür abgenommen.
Diesem Mann wurde in der Halle Cedrics des Sachsen ein Empfang bereitet, mit dem selbst der vorurteilsvollste Feind der Israeliten hätte zufrieden sein müssen. Cedric selbst hatte auf seine wiederholten Verneigungen nur ein flüchtiges Kopfnicken. Er winkte ihm, am unteren Tische Platz zu nehmen, dort fiel es aber niemand ein, ihm Platz zu machen, und als er mit schüchtern flehendem Blick die Reihe hinunterging, zuckten die sächsischen Diener die Achseln und aßen ruhig weiter, die Diener des Abtes bekreuzten sich und sahen mit einem Ausdruck frommen Abscheus nach ihm hin, die Sarazenen gar wühlten grimmig in ihren Knebelbärten und griffen nach den Dolchen, als seien sie entschlossen, sich vor der Verunreinigung durch seine Person bis zum äußersten zu schützen. Während Isaak hier von der Gesellschaft ebenso ausgeschlossen wurde wie sein Volk von der Nation, erbarmte sich seiner der Pilger am Kamin, bot ihm seinen Platz an und sagte zu ihm: »Alter, meine Kleider sind trocken, mein Hunger gestillt, du aber bist durchnässt und hungrig.« Damit schürte er die zerstreuten Brände zusammen, blies das Feuer an, holte Suppe und Gemüse, stellte sie ihm auf den Tisch, an dem er selber gegessen hatte, und ging dann, ohne auf den Dank des Juden zu hören, nach dem oberen Ende der Halle. Ob er mit dem Manne weiter keine Gemeinschaft wünschte, oder ob er nur einen Vorwand suchte, in die Nähe der oberen Tafel zu kommen, sei dahingestellt.
Inzwischen unterhielten sich der Abt und Cedric weiter über die Jagd, und Rowena besprach sich mit einer ihrer Zofen, und der Templer, dessen Blicke von dem Juden zu der sächsischen Schönheit wanderten, schien in tiefes Sinnen versunken.
»Ich denke, würdiger Cedric,« sagte der Abt, »bei aller Vorliebe für Eure männliche Sprache werdet Ihr doch auch ein wenig übrig haben für das Normannisch-Französisch, wenigstens was das edle Weidwerk anbetrifft.«
»Guter Vater Aymer,« versetzte der Sachse, »dass Ihrs nur wisst, ich frage nichts nach diesen überseeischen Verfeinerungen, ich komme ohne sie aus.«
Der Templer fiel ihm in hochfahrendem Ton ins Wort.
»Französisch,« sagte er, »ist nicht allein die natürliche Sprache der Jagd, es ist auch die Sprache der Liebe und des Krieges. Damen müssen erobert werden in ihr und Feinde geschlagen werden in ihr.«
»Herr Templer,« versetzte Cedric, »tut mir Bescheid auf diesen Becher Weins und schenkt auch den des Herrn Abtes voll! Dann will ich um dreißig Jahre zurückgehen und Euch ein anderes Stück erzählen. Als damals Cedric der Sachse in echtem Englisch seiner Schönsten anvertraute, wie ihm ums Herz war, da brauchte es keines französischen Troubadours, und das Schlachtfeld von Northallerton kann Zeugnis dafür ablegen, dass das sächsische Kriegsgeschrei ebenso vernichtend in die Reihen des schottischen Heeres gedrungen ist, wie des kühnsten normannischen Barons cri de guerre. Tut mir Bescheid, werte Gäste, die Manen derer, die dort gefallen sind, zu ehren!« Er trank und fuhr in steigender Wärme fort: »Das war ein Tag, das war ein Schildespalten! Hundert Banner flatterten zu Häuptern der Tapferen, in Strömen floss das Blut, und der Tod war willkommener als schmachvolle Flucht. Ein sächsischer Barde nannte diesen Tag das Fest der Schwerter, er pries das Klirren der Schilde und Helme höher als das Jauchzen auf einer Hochzeit. Aber diese Barden sind nicht mehr, unsere Taten versinken in einem fremden Strome, unsere Sprache, unser Name selber verschwinden, und niemand trauert darum als ein einsamer alter Mann. Mundschenk gieß ein! Herr Templer, aufs Wohl der Tapferen – welches auch ihr Stamm und ihre Sprache sei – die jetzt am eifrigsten in Palästina für das heilige Kreuz streiten!«
»Für einen Ritter,« antwortete Brian de Bois-Guilbert, »der das Zeichen des Ordens trägt, geziemt es nicht, hierauf zu erwidern. Doch sagt mir, welche haltet Ihr neben den Streitern des heiligen Grabes für die besten Kämpfer dort unten?«
»Die Hospitalritter,« sagte der Abt, »ich habe unter ihnen einen Bruder.«
»Ihren Ruhm will ich nicht schmälern,« antwortete der Templer. »Indessen . . .«
»Waren in der englischen Armee,« unterbrach ihn Lady Rowena, »keine, deren Name neben denen der Templer und Johanniter genannt zu werden verdient?«
»Verzeiht, Mylady,« erwiderte Brian, »der englische Fürst hat in der Tat eine Schar von Helden nach Palästina gebracht, und sie haben nur denen nachgestanden, deren Brust von jeher ein Bollwerk des Heiligen Landes war.«
»Keinem standen sie nach,« fiel ihm hier der Pilger ins Wort, der nahe genug stand, dass er dieses Gespräch hatte mit anhören können. Alle wandten sich nach der Seite, von wo diese unerwarteten Worte fielen. »Ich sage es nochmals,« wiederholte der Pilger festen Tones, »die englische Ritterschaft hat keinem nachgestanden, der je mit dem Schwert das Heilige Land verteidigte. Ich sage ferner – denn ich habe es selber mitangesehen – König Richard und sechs seiner Ritter haben nach der Einnahme von St. Jean d'Acre ein Turnier abgehalten und sich mit jedem, der da wollte, gemessen. An diesem Tage hat jeder Ritter drei Gänge gemacht und in jedem einen Ritter zu Boden geworfen. Und sieben von diesen waren Tempelritter, und Sir Brian de Bois-Guilbert weiß recht gut, dass ich die Wahrheit rede.«
Mit Worten lässt sich nicht die Wut schildern, die jetzt das dunkle Gesicht des Templers noch mehr verdunkelte. Mit bebender Hand griff er nach dem Schwert, aber er bezwang sich in dem Bewusstsein, dass er sich hier nicht zu Gewalttätigkeiten hinreißen lassen dürfe. Cedric merkte in seiner Freude über den Ruhm seiner Landsleute nicht den Zorn seines Gastes.
»Pilger,« rief er, »dieses goldene Armband ist dein, so du mir die Namen der Ritter nennst, die so tapfer den Ruhm des glücklichen Englands vertreten haben.«
»Das tu ich gern,« war die Antwort, »doch ohne Lohn, denn Gold zu tragen, verbietet mir mein Gelübde.«
»Dann nehme ich an deiner Statt das Armband,« sagte Wamba, »sofern dirs recht ist, Freund Pilger.«
»Der erste,« begann der Pilger, »an Ehre und Waffenruhm war der tapfere Richard, König von England. An zweiter Stelle steht Graf von Leicester, an dritter Thomas Multon von Gilsland.«
»Der wenigstens ist von sächsischem Blut,« rief Cedric erfreut.
»Sir Foulk Doilly der vierte.«
»Auch Sachse mütterlicherseits,« sagte Cedric abermals, mit großer Spannung dem Berichte folgend. »Und wer war der fünfte?«
»Der fünfte war Sir Edwin Turneham.«
»Ein Sachse vom reinsten Blut beim Geiste Hengists!« rief Cedric. »Und der sechste? Nenne mir den sechsten!«
Der Pilger schien sich eine Weile zu besinnen. »Der sechste,« sagte er dann zaudernd, »war ein junger Ritter, geringer an Rang und Ruhm als die anderen. Sein Name ist meinem Gedächtnis entfallen.«
»Herr Pilger,« sagte Brian de Bois-Guilbert, »Eure erheuchelte Gedächtnisschwäche – wo Ihr Euch doch alles anderen so gut zu entsinnen vermochtet, hilft Euch nichts. Ich will Euch selber den Ritter nennen, dessen Lanze mich niederwarf, weil unglücklicherweise mein Pferd strauchelte. Es war der Ritter von Ivanhoe. Unter den Sachsen war keiner, der sich bei seiner Jugend gleichen Waffenruhmes erfreut hätte. Doch ich verkünde es laut, wäre er in England und wiederholte er auf dem Turnier, das in dieser Woche stattfindet, die Herausforderung von St. Jean d'Acre, so sollte mir um den Ausgang nicht bange sein.«
»Wenn Euer Gegner hier wäre, so wäre Eure Herausforderung angenommen,« versetzte der Pilgrim. »So aber braucht Ihr die Ruhe dieser Halle nicht zu erschüttern, indem Ihr prahlerisch von dem Ausgange eines Zweikampfes redet, der ja doch, wie Ihr wisst, nie stattfinden kann. Wenn Ivanhoe je zurückkehrt, so will ich Bürge für ihn sein, dass er sich Euch zum Kampfe stellen wird.«
»Ein Bürge, der sich sehen lässt,« sagte der Tempelritter höhnisch. »Und was gebt Ihr zum Pfande?«
»Diese Reliquie,« antwortete der Pilger, indem er ein kleines elfenbeinernes Kästchen aus der Brust zog und sich bekreuzte. »Es ist ein Stück vom wahren Kreuze aus dem Kloster Karmel.«
Der Prior bekreuzte sich und betete ein Vaterunser. Der Tempelherr nahm, ohne den Hut zu ziehen oder der Reliquie die geringste Ehrfurcht zu bezeigen, eine goldene Kette vom Halse, die er auf den Tisch warf mit den Worten:
»Prior Aymer, nehmt dies als Pfand von mir und nehmt auch das Pfand dieses fahrenden Mannes ohne Namen zum Zeichen, dass der Ritter von Ivanhoe, wenn er innerhalb der vier Seen Britanniens weilt, die Herausforderung Brian de Bois-Guilberts annehmen muss. Wo nicht, so will ich ihn in jedem Tempelhofe Europas einen Feigling nennen.«
»Wenn keine andere Stimme,« brach endlich Lady Rowena ihr langes Schweigen, »in dieser Halle das Wort ergreift für den abwesenden Ritter Ivanhoe, so soll doch meine Stimme gehört werden. Ich versichere, er wird sich ritterlich auf jede ehrenvolle Herausforderung hin stellen. Namen und Ehre verpfände ich darauf, dass Ivanhoe diesem stolzen Ritter entgegentreten wird, wie er es verlangt.«
Ein Zwiestreit von Gefühlen schien während dieses Gesprächs in Cedrics Brust zu wogen. Befriedigter Stolz, Rachsucht und Verlegenheit jagten über seine offene Stirn wie Wolkenschatten über ein Herbstfeld. Seine Diener, auf die der Name des sechsten Ritters wie elektrisierend zu wirken schien, hingen an ihres Herrn Zügen. Bei Lady Rowenas Worten fuhr er auf aus seinem Schweigen. »Das ziemt sich nicht, Lady,« sagte er, »wenn noch ein Pfand erforderlich wäre, so wollte ich selber, obwohl schwer beleidigt, meine Ehre verpfänden für Ivanhoes Ehre. Aber die Bürgschaft ist ausreichend.«
Der Abschiedstrunk wurde herumgereicht, die Gäste verneigten sich tief vor ihrem Wirt und Lady Rowena und gingen hinaus. Als der Templer an dem Juden vorüberschritt, sagte er:
»Hund von einem Heiden, gehst du auch zum Turnier?«
»Ich denke ja,« versetzte Isaak, »mit Verlaub Eurer Ritterschaft.«
»Mag dein Wucher nagen an den Eingeweiden unseres Adels,« sagte der Ritter, »magst du Weiber und Kinder betrügen mit Tand und Spielzeug – ich verspreche dir guten Gewinn in deine Judentasche.«
»Ach, nicht einen Scheckel, nicht einen Silberling, nicht einen Heller, so wahr mir helfe der Gott meiner Väter!« rief der Jude, die Hände faltend. »Nur ein paar Brüder meines Stammes will ich bitten, mir zu helfen bezahlen die Geldbuße, die unser Schatzmeister mir hat auferlegt. Soll mir beistehn der Vater Jakobs, ich bin ein armer Jud, selbst die Tasche, die ich trage, hab' ich geborgt von Ruben von Tadcaster.«
»Verwünschter falscher Lügner!« sagte der Templer mit saurem Lächeln.
Und er ging weiter, wie um dem Gespräch ein Ende zu machen und sagte dabei etwas zu seinen türkischen Sklaven, was die anderen nicht verstanden. Der Jude schien über die Ansprache des kriegerischen Mönches so entsetzt, dass er das demütig gesenkte Haupt nicht eher wieder erhob, als bis der Templer aus der Halle hinaus war. Wie einer, zu dessen Füßen der Blitz eingeschlagen hat und dem noch der Donnerschlag in den Ohren braust, starrte er um sich her.