Читать книгу FRENCH BULLY JO - WALTRAUD WETTENGEL-WOLLENBERG - Страница 5
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SLINKY SPRINGS TO FAME
Mein Herrchen Konrad öffnet ein gerade geliefertes Päckchen, reißt mit einem einzigen Ruck das komplett umlaufende Plastik-Klebeband von der Kartonage ─ und schon quellen einige transparente Airbag-Luftkammerbeutel hervor, die herunterfallen und leicht federnd auf den Bodenfliesen niedergehen.
Mein Jagdtrieb erwacht spontan und, nach dem knackenden Zerbeißen von fünf Luftkammerbeuteln, lege ich eine kurze Regenerationspause ein und beäuge ein hervorgezogenes Objekt, das sicher in einem grünen Kunststoff-Schutznetz ruht.
Neugierig folge ich meinem Herrchen auf der Treppe bis auf das Podest.
Mit kreativer Leichtigkeit und dem irren Mut im Seitenblick durchschneidet er hier hart an der Absatzkante mit einer Schere das straffe Schutznetz.
Mit einem Ruck entspannt und dehnt sich eine komplett komprimierte Schraubenfeder, die er oben anstößt und die dann von Stufe zu Stufe bis zum Treppenende heruntersteigt.
Ich bin erregt ─ eher negativ erregt ─ und verbelle das metallisch klimpernde Ungeheuer.
Ist es denn wahr, da singt mein Herrchen Konrad:
„So ein Tag, so wunderschön wie heute,
So ein Tag, der dürfte nie vergehn… “, zieht sein Handy aus der Hosentasche und begrüßt lauthals seinen Spezi Scout Adrian und setzt ihn sofort in Brand:
„Heute, ja heute, an diesem wunderbaren sonnigen Sommertag, dazu dunstfrei und mit einer Himmelsbläue von so übertriebener Tiefe, dass sie leicht ins Schwärzliche hinüberspielt, ja, heute bin ich bereit für einen Videoclip auf der Brücke Slinky Springs To Fame.
Die Brücke ist ein Kunstwerk des Frankfurter Künstlers Tobias Rehberger, und mein angedachter Videoclip kommt als ein weiteres Kunstwerk zum Thema Kunst einher. Als erzählender Zauberer agiere ich auf der schwingenden Brücke aufrührerisch, wild und dramatisch.
Dieser Kurzfilm wird während meines nächsten Kunsthappenings in einer Endlosschleife abgespielt.“
„Mit diesem Vorschlag bin ich voll und ganz eiverstanden, denn die Zukunft gehört uns, äh, uns, den Kreativen!
Nadeschda ist meine neue Praktikantin. Sie kommt mit und filmt ─ und ich mache parallel die ultimativen Quickshots.“
„Einverstanden, wir treffen uns hier bei mir in einer Stunde zur Abfahrt. Dann kommen wir zur Mittagszeit im Kaisergarten Oberhausen an, wo wir uns im dortigen Biergarten, direkt neben dem Karussell, vorab stärken können.
Jetzt muss ich mich schnell durchstylen mit meinen neuen Designer-Jeans, dem Flatterhemd und dem handgeflochtenen Borsalino Classico. Auch der Bully JO wird ausgehfein gemacht, also zweimal gegen den Strich und zweimal mit dem Strich gebürstet.“
Frechheit!
Ohne mich zu fragen, dazu ein Ausflug ohne Renate und ohne Krummbein. Und jetzt noch diese doppelt gründlichen Striegeleinheiten.
Doch sollte ich das Leben hassen und in die Wüste flieh‘n, weil nicht alle meine Kuschelträume in Erfüllung geh‘n?
Könnte womöglich eine schwingende Brücke ein ultimativer Kick sein?
Sehen wir mal, wie die Dinge sich so entwickeln.
Die Partie fängt vielversprechend mit der neuen Zweibeinerin Nadeschda an, eingefahren in Knautschlack-Stiefeletten, die nicht nur spannungsgeladen knistern, sondern auch in meinem Riesen-Riechhirn die Speicher-Schublade für Pferdeäpfel öffnen.
Ich wusele daher in gesteigertem Tempo um sie herum und lasse überdies die Gelegenheit nicht aus, diskret meine tangerinrosarote Zunge an einer Stiefelette hervorschnellen zu lassen, wobei sie treffend feststellt:
„Därr Hünd machen mega maschinski!“
Auch während der gemeinsamen Autofahrt im Kombi meines Herrchens dringt dieser Geruch zu mir nach hinten auf die Ladefläche durch. Ich schnüffele begierig, ich kann nicht schlafen und lausche daher seinem Wortschwall:
„Die schwingende Spiralbrücke – daher auch der von der laufenden Feder "Slinky" inspirierte Name – umfasst 496 Aluminiumbögen. Zur Überwindung des 50 Meter breiten Kanals ranken sich in einer Höhe von zehn Metern an beiden Seiten lange Rampen in Kehren und Schleifen ohne Treppen in die Höhe und lassen das Bauwerk zu einer Länge von 406 Meter anwachsen.“ Und weiter:
„Slinky, erfunden um 1945 von dem Ingenieur Richard James aus Philadelphia, ist ein Spielzeug aus einer Metall- oder auch Kunststoff-Schraubenfeder, das zu verschiedensten Spielen animiert. So kann Slinky zum Beispiel eine Treppe heruntersteigen.“
Genau!
Mit diesem Blödsinn startete dieser Tag. Und er legt nach:
„Besonders cool ist, dass die Brücke knapp 106 Meter lang ist, und davon 65 Meter frei über dem Rhein-Herne-Kanal (in 10 Metern Höhe) zu schwingen scheint. Und tatsächlich, wer den Weg wagt, hat auf dieser Brücke das Gefühl, auf dem Boden mitzuschwingen. Sanft zwar, aber schon spürbar. Während sich über den Köpfen die reifenförmigen Eisenstangen erstrecken, kommt der Bodenbelag in Farbwellen einher. Alle paar Meter beginnt eine neue Farbe, und in der Nacht wird die Brücke ab 20 Uhr in verschiedenen Farben beleuchtet. Eine wahre Farbenflut also, die man in aller Ruhe genießen sollte.“
Und abschließend:
„Wirkliche Kunst begnügt sich nicht damit, vorgefundene Modelle zu variieren, sondern drängt danach, die inneren Bedürfnisse der Menschen ─ der Menschheit ihrer Zeit ─ auszudrücken, denn wirkliche Kunst kann gar nicht anders als revolutionär sein.
Deswegen habe ich diese spannungs- geladene Location für den Videoclip ausgesucht.“
In Spendierlaune lädt er zum Imbiss im Biergarten ein, direkt neben dem Karussell.
Dabei kann ich mich wirklich nicht beklagen, denn in einer ausladenden Alu-Schale orte ich zwei Bratwurst-Rohlinge und mehrere Salami-Sticks. Auch für eine Schlabberschale mit Wasser ist gesorgt. Beim Fressen, beim Wasserschlabbern und beim Betrachten des kreiselnden Karussells wird mir irgendwie komisch.
Richtig!
Dieses drehende Bauch- und Kopfgefühl erinnert mich an meine ersten Fahrten im Auto meines Herrchens Konrad vor langer Zeit, wobei meine Erinnerungen wirklich nicht angenehm sind!
Auf dem Weg zur Brücke präsentieren sich kurz davor italienische Eisspezialitäten in einem mobilen Verkaufsstand ─ alternativ vor oder nach der Brückenbegehung zu verspeisen.
Nadeschda spechtet auf eine doppelte Portion Mango-Eis im Maxi-Hörnchen, Scout Adrian steht nicht auf Eis, mein Herrchen Konrad ebenso, und ich werde geflissentlich übergangen.
Frechheit hoch zwei!
Ich wusele daher wieder im gesteigerten Tempo um Nadeschda herum und lasse überdies die Gelegenheit nicht aus, diskret meine tangerinrosarote Zunge an einer Stiefelette hervorschnellen zu lassen und hopsala, da entgleitet ihr das bereits durchweichte Hörnchen mit einer verbliebenen Mango-Matsch-Eiskugel und fällt mir direkt zwischen die Vorderbeine.
„JO, fressen! Leckerli.“
Jaja, das lasse ich mir nicht zweimal sagen. Die zerfließende Eiskugel in dem durchweichten Hörnchen ist in der Tat gut bemessen, wobei mir kleine Stücke der Mangofrucht besonders gut schmecken.
Kurz danach starten wir mit der Begehung der Brücke.
Scout Adrian bespricht seinen Voice-Recorder:
„Hier versprechen sich Paare Freundschaft und Treue und Heirat und hinterlassen als Symbol ihrer Liebe und Verbundenheit ein Vorhängeschloss an den Geländern von Slinky Springs To Fame. Sie begreifen ihre Liebe hoffentlich als Brücke und nicht als eine Jonglierfeder, die sich auch mal selbständig machen kann.“
Seine Worte wollen mich, warum auch immer, nicht erreichen.
Ich habe just auf dieser Brücke das Gefühl, mit dem Boden mitzuschwingen. Sanft zwar, aber schon spürbar wie dieses drehende Bauch- und Kopfgefühl bei meinen ersten Fahrten im Auto meines Herrchens Konrad vor langer Zeit, wobei meine unangenehmen Erinnerungen jetzt voll und ganz hochkommen.
Wir sind inzwischen am Scheitelpunkt der Brücke angekommen, Skylla und Charybdis inkludierend.
Noch ‘ne Frage?
Ich mache mich platt wie eine Flunder, strecke Vorder- und Hinterläufe weit von mir, schniefe und registriere dabei das aktuelle Filmgeschehen:
Angelehnt am filigranen Geländer, steht mein Herrchen Konrad, fuchtelt mit beiden Armen und verkündet:
„Macht Kunst!
Macht unabhängige Kunst!
Macht revolutionäre Kunst!
Aber… macht Kunst!“
In diesem Moment tänzelt und hüpft ein juveniler Pulk von Zweibeinern vorbei und setzt spontan die Brücke in ungeahnte Schwingungen. Ich muss unter mich lassen, unkontrolliert urinieren.
Jäh wird die Filmaufnahme abgebrochen und zum Rückzug geblasen. Doch mein Abgang aus der Aktion will mir nicht gelingen. Zitternd und wie gelähmt strecke ich weiterhin alle Viere von mir. Also trägt mein Herrchen Konrad mich wie ein kompaktes Bully-Paket bis zum Basispunkt der Brücke. Dort, behutsam abgesetzt, überkommt es mich wie in alten Zeiten. Wie aus weiter Entfernung höre ich Nadeschdas aufgeregte Stimme:
„Därr Hünd hat Peristaltik. Hat volle Peristaltik. Därr Hünd kotzen mega maschinski.“
Danach schüttele ich mich und, während mir noch ein unerklärlicher, spontaner bonfortionöser Furz entfährt, ziehe ich kräftig an der Leine mit dem Ziel, zügig das Auto für die Rückfahrt zu erreichen.
Zuerst wird die Ausrüstung auf der Ladefläche verstaut und, anstelle mich danebenzulegen, springe ich in den hinteren Fußraum vor Nadeschdas Sitz und kuschele mich zwischen ihre Knautschlack-Stiefeletten, die nicht nur spannungsgeladen knistern, sondern auch wiederholt in meinem Riesen-Riechhirn die Speicher-Schublade für Pferdeäpfel öffnen. Nach einigen diskreten Licks mit meiner langen Zunge am Knautschlack, falle ich in einen Erholungsschlaf mit einem Traum, in dem ich mit Nadeschda den Ponyhof im Wichteltal besuche und feststelle, dass ich nicht angeleint bin.
Und da ist er:
Der erste wohlgeformte, noch dampfende Pferdeapfel neben der Stalltür.
Und da ist ein weiterer Interessent: Ein kapitaler Rabe im glänzenden schwarzen Frack hüpft heran. Wir stehen uns Auge in Auge gegenüber. Er hebt seinen furchterregenden Schnabel wie einen Haudegen.
Ich lasse meine tangerinrosarote Zunge im Fang zwischen den vorstehenden unteren Schneidezähnen hervorschnellen. Die Ausrichtung unserer Körper zueinander steht im Prozess der Kommunikation und der Entscheidung:
High Noon!
▬ Gestatten, mein Name ist Alt-Rabe Johann Ohnefurcht.
▬ Gestatten, mein Name ist JO, der Bully vonne Ruhr.
▬ Du scheinst ein Hund von Geschmack und Welt zu sein.
▬ Worauf du einen fallen lassen kannst. Ich überlasse dir den ganzen Pferdeapfel.
▬ Wie kommt’s, was treibt dich um?
▬ Ich will nicht aus dem Maul stinken, Nadeschda zuliebe.
▬ Du hast offensichtlich deine Gründe.
▬ Sie krault mir himmlisch den Bauch.
▬ Verstehe, Schnabelkraulen an meinen Bauchfedern schätze ich ebenfalls sehr.
▬ Johann, ich glaube, dies ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.
▬ Sehen wir uns wieder?
▬ Manchmal fahre ich zusammen mit meinem Herrchen am Sonntagmorgen zur Bäckerei Klein-Hückelkoten, um Öko-Brötchen einzukaufen.
▬ Du meinst die Bäckerei in Nähe der Staumauer vom Baldeneysee in Werden?
▬ Genau!
Dort werde ich immer während seines Brötcheneinkaufs draußen angeleint.
▬ Verstehe!
▬ Was verstehst du?
▬ Du bist angeleint wegen Gino Veloce.
▬ Stimmt!
Dieser dralle und feiste Erpel rockt den Eingangsbereich vor der Bäckerei. Der hat sich sogar im Ladenlokal vor der Theke die besten Brösel geschnappt.
▬ Ich habe mit ihm kein Problem mehr.
▬ Wieso?
▬Weil ich ihn einmal im überraschenden Sturzflug gehackt habe. Seitdem nimmt er schon Reißaus beim leisesten Flügelschlag meiner Schwingen.
▬ Dazu kann ich dich beglückwünschen. Wir sollten uns weiter austauschen.
Wuff!Wuff!
▬ Arrrgh!Arrrgh!
Von ganz weit weg her höre ich die Stimme von Nadeschda:
„Därr Hünd haben Schlappofix: Schlafen und machen WüffWüff.“
Schon klarer und deutlicher vernehme ich kurz darauf die saublöden Worte meines Herrchens Konrad:
„Ja, selbstverständlich! Wir nehmen noch einen Schlürschluck bei mir. Dabei werde ich vorführen, wie Slinky Springs To Fame von Stufe zu Stufe bis zum Treppenende heruntersteigt.“