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Kapitel 3 Fröhliche Erlebnisse und die Währungsreform

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Im Frühjahr 1945 mussten wir Kinder (es war eine Kinder Landverschickung nach Niendorf an die Ostsee. Auch Heimkinder wurden verschickt) so komische weiße ‚Bonbons‘ sammeln, zwischen Niendorf und Timmendorfer Strand. Wir sollten die Finger nicht in den Mund stecken. Die sahen aus wie die rechteckigen Vivil-Bonbons von heute. Es war aber ‚Karbiet‘ - Kernit! Kurz darauf, am dritten Mai, 1945 versenkten die Briten die Cap Arcona in der Lübecker Bucht, vor Neustadt, am helllichten Tag! Es war ein Riesiges Schiff, so große Schiffe waren da sonst nicht zu sehen. Ich erinnere mich genau, wie das Schiff versank. Wir konnten es klarsehen. Es vergingen einige Tage bis ich eigentlich erfuhr wie das Schiff überhaupt hieß. Für uns Kinder war das ein schreckliches Erlebnis. Wir Kinder schrien und liefen alle ins Haus. So große Schiffe waren da sonst nicht zu sehen. Es vergingen einige Tage bis ich eigentlich erfuhr wie das Schiff überhaupt hieß. Für uns Kinder war das ein schreckliches Erlebnis. Wir Kinder schrien und liefen ins Haus.

Am nächsten Morgen spielten wir am Strand und fanden zwei kleine Mädchen; die zitterten und froren. Sie waren vielleicht so alt wie ich; etwa sechs oder sieben. Unsere Gruppen Tante hat sie mit ins Heim genommen, ihnen trockenes Zeug gegeben und dann wurden sie in den Dachseiten versteckt. Sie wurden sehr sorgfältig versorgt und wir Kinder durften ihnen ab und zu Brot oder einen Apfel bringen. Ich wusste nicht, warum sie versteckt wurden, aber man sollte nichts über sie sagen. Das war unser Geheimnis. Ich fand sie sehr hübsch, mit ihren schwarzen Haaren und dunklen Augen; aber ‚so dünn’ dachte ich. Wir wollten mit ihnen Spielen, aber wir durften es nicht, weil sie zu verängstigt waren. Auch, weil niemand sie sehen sollte.

Gleich am nächsten Tag kamen viele Soldaten und Ärzte ins Heim. Sie haben uns vermessen und gründlich untersucht. Der Druck in die Augenhöhlen Tat sehr weh! Blond und Blauäugige die wurden nicht so gründlich untersucht. Ich hatte graugrüne Augen, aber blonde Haare und wurde nicht vorgeführt; nur grob angeguckt. Dann wurde das ganze Haus durchsucht. Am nächsten Tag wurden alle Kinder wieder zurück nach Haus oder in ein anderes Heim geschickt. Alle Heimkinder, ich auch, wurden nach Hamburg-Volksdorf in die Schemmannstraße sechsundfünfzig, mit der Grünen Minna, gebracht. Was mit den beiden Kindern, die wir am Strand gefunden hatten, passierte, wusste ich nicht. Danach ging es wieder für mich nach Barbüttel.

Dies war eine schöne Zeit für mich, aber leider sehr kurz. Eines Morgens, 1946, kamen viele große Busse vor das Heim in Barbüttel gefahren. Der Tommy wollte das Haus zurückhaben. Das ganze Heim wurde umgesiedelt nach Bergedorf-Heckkaten. Vor der Ausfahrt Kinderheim Barsbüttel wurden wir still traurig. Als sich der Bus in Bewegung setzte, fingen wir alle an zu weinen und es wurde uns gesagt das Lied ‚Nun ade du mein lieb Heimatland‘ laut und kräftig zu singen:

'Nun ade du mein lieb Heimatland'

Nun ade, du mein lieb Heimatland

lieb Heimatland, ade!

Es geht nun fort zum fremden Strand

„lieb Heimatland, ade! …“

Melodie: nach einem westfälischen Soldatenlied, 1853. Text: August Disselhoff

Das Kinderherz versteht aber nicht, Trauer zu verbergen: Wir heulten fast den ganzen Weg. Bei der Ankunft in Heckkarten wurden wieder viele Kinder aussortiert, die keine Angehörigen hatten, die kamen gleich nach Bad-Harzburg, Alter Kaiserweg 2. Meine kleine Freundin, Hannelore, ist auch weggekommen und ich war krank vor Sehnsucht. Ich habe nicht mehr gegessen. Es war die Mais-Mehl- Zeit; Mais-Brot, Mais-Suppe, Mais-Pudding, aber mich hatte nichts interessiert. Nicht mal Mais-pudding! Ich war bockig und traurig und weinte ständig. Dank meiner lieben Gruppen Tante, wurde ich gründlich untersucht und mir wurde ein ‚Lungenschaden‘, angedichtet. Meine Lunge war eigentlich kräftig. Ich konnte ganz gut schreien! Es gab aber keine Behandlungsmöglichkeiten in Heckkatenweg. Also musste ich nach Bad-Harzburg, in das Haus, „Lug ins Land“, am alten Kaiserweg 2. Klasse! Dort fand ich meine kleine Hannelore wieder: große Freude! Nicht nur Hannelore, sondern auch Tante Helga, Tante Anne, Tante Trudel; alle waren da. Wir waren wieder alle zusammen. Dort blieb ich etwa zwei Jahre.

Wir spielten auf dem großen und kleinen Burgberg und in der Burgruine. Dort verspielten wir Stunden und Tage. Unserem Heim gegenüber war ein Flüchtlingslager, rund herum ein großer Bretterzaun. Wir durften dort nicht hin und die nicht zu uns. Für uns waren aber auch kleine Regeln, die wir nicht immer so beachteten. Am Waschtag mussten immer vier Kinder, zwei Mädchen und zwei Jungs, Wäsche-Wache halten während der Mittagszeit, wenn keiner draußen spielte. Es wurde zu viel geklaut. Uns gegenüber war ja das große Flüchtlingslager. Wir durften nicht mit den Kindern spielen. Die Flüchtlinge hatten ja fast gar nichts. Ob sie sich freuten über unsere Reste und ungewolltes wussten wir nicht. Von den Bäumen haben wir Äpfel geklaut und sie den Flüchtlingen über den Bretterzaun geworfen. Haferflocken und Spinatkekse kamen auch dazu. Und wenn wir schnell und raffiniert genug waren, flogen auch die gehassten kleinen Lebertran Kügelchen mit über den Zaun. Das ging gut für eine kurze Zeit. Dann merkten die Tanten unser Geheimnis. Danach mussten wir stramm stehen vor dem Ambulanz-Zimmer und mussten die Pillen, (die kleinen Lebertran Kügelchen), jeder zwei, unter Aufsicht einnehmen. Das mit dem ‚Spielen‘ vor dem Bretterzaun wurde auch mit Nachdruck noch mal strengstens verboten.

Auch ein großartiges Erlebnis, die Walpurgisnacht!

30. April zum 1. Mai. Wie schön das war!!! In der Nacht sind wir durch die Stadt gewandert, um die Hexenverbrennung zu sehen. Es war ein schönes Erlebnis und wir Kinder durften ganz lange aufbleiben. Am nächsten Morgen ging es sehr früh zum Radau Wasserfall, um den Mai zu begrüßen mit dem Lied ‚Grüß Gott, du schöner Maien‘.

Dieses ‚Ritual‘ habe ich später mit meinen eigenen Kindern zweimal wiederholt. Ich hatte einen alten VW-Bully. Da haben wir alle drin geschlafen. Es war die Walpurgisnacht und die Hexenverbrennung. Dann gab es abends davor Ochse am Spieß; Aber es sollten noch schöne Zeiten kommen. Immer ein Fest für meine Kinder; und morgens? „Grüß Gott, du schöner Maien‘ am Radau Wasserfall.

Ja, da war zum Beispiel der Butterberg, wo wir oft hingewandert sind. Da gab es die schönsten ‚Himmelschlüsselchen‘. Die wuchsen aber nur hinter dem Berg, unten am Bach, und wir hatten viele Sträuße gepflückt. Eines Tages hieß es, wir dürfen nicht mehr über den Bach springen. Auf der anderen Seite standen Männer, vermutlich Soldaten, mit Gewähren. Das war nun die Grenze, so wurde es uns erklärt.

Für eine andere Wanderung wurden uns Handschuhe ausgeteilt: Ein ungewohnter Anblick. Brennnessel pflücken war angesagt und am nächsten Tag – Tage! – gab es Spinat! Der knirschte immer so, wie Sand, an den Zähnen. Dafür gab es auch eine ‚wissenschaftliche Erklärung‘.

„Das ist das Eisen, was der Körper braucht“.

Aha. Aber geschmeckt hat es immer. Im Speisesaal, vor jeder Mahlzeit musste reihum ein Kind einen Tischspruch sagen, zum Beispiel eine Abkürzung des Originals:

“Es grüne die Tanne, es wachse das Erz”,

Es Grüne die Tanne

Es wachse das Erz

Gott schenke uns allen

ein Fröhlichs Herz.

Guten Appetite!”

(Text und Musik: keine Angaben; im Bergmännisches Liederbuch (1956)

Im Sommer war die Himbeerzeit. Wir bekamen kleine Dosen und gingen los, zur Okertalsperre sammeln. Tage sammelten wir. Die Tanten passten auf das Wir ständig gesungen haben: Es sollten ja nicht so viele aufgegessen werden! Dann gab es frische Grütze und Marmelade. Wir hatten auch viele Ausflüge, zum Beispiel von Bad Harzburg zu den Raben-Klippen. Da haben uns die Jungs immer geärgert: ‚Auf den Raben-Klippen, bleichen Knaben Rippen‘ was auch ein Gedicht ist: Dieses Gedicht kannte ich nicht, sonst hätte ich mich mit meiner frechen Klappe bestimmt geäußert.

Diese Erlebnisse blieben haften. Wir wurden streng, aber liebevoll behütet und erzogen. Es wurde mal geschimpft, auch mit strengen Worten. Aber Haue gab es nie und es fehlte uns an nichts! Wir waren lustig. Lachten, sangen und waren fröhlich.

Dann kam die Währungsreform vom 20. Juni 1948. Da kann ich mich noch sehr gut erinnern, plötzlich waren alle Schaufenster voll mit Auslagen: Spielzeug; neue Anziehsachen (Bekleidung). Es war, als ob es nie einen Mangel gab. Das neue Geld und schon gab es viele neue Sachen zu kaufen. Zum ersten Mal fuhren wir mit der Schwebebahn zum großen Burgberg. Dies sollten meine letzten lebenslustigen und fröhlichen Jahre sein.

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