Читать книгу Vom Mond aus links - Teil 2: Farbe des Universums - Weltenwandler - Страница 7

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2 – Ihr Anfahrtsweg

»Das kann nicht sein«, beharrte Naajab und blickte noch einmal zwischen Selene und dem einheitlich grauen Steuerpult hin und her. »Deine Haare sind noch rot.«

Selene ließ eine lange Haarsträhne zwischen ihren Fingern hindurchgleiten und betrachtete sie kritisch. Das flammende Dunkelrot war bereits im Begriff, heller zu werden, wie ein Stoffstück, das in der Sonne ausbleichte.

»Lässt mit der Zeit bestimmt nach. Ist eine Spülung für besonders langanhaltende Farbe«, sagte sie. Die Produkte hielten selten, was ihre Werbung versprach, aber dieses eine Mal schien der Hersteller nicht gelogen zu haben.

Sie erhob sich aus dem Kapitänssitz und klatschte geschäftig in die Hände. Naajab zuckte zusammen. In vielen Kulturen kam Händeklatschen einer Kriegserklärung gleich. Manch intergalaktischer Konflikt war durch nichts weiter als einen Theaterbesuch ausgelöst worden. Selene sollte sich diese Geste dringend abgewöhnen.

»Dann wollen wir uns mal draußen umsehen«, schlug sie vor und griff nach dem Helm ihres Raumanzuges.

»Oder wir fliegen ganz schnell ganz weit weg von hier«, brachte Naajab seinen Gegenvorschlag vor.

»Du weißt, dass das keine Option ist, wenn wir schon mal hier sind«, sagte Selene und schob sich an ihm vorbei, um den Gang in Richtung der Verladerampe anzutreten.

Naajab folgte ihr, obwohl er dabei einen tänzelnden Schritt anschlug, als hätten sich seine Beine noch nicht ganz entschieden, in welche Richtung er eigentlich steuerte.

»Das mit der Farbe hier ist bestimmt kein gutes Zeichen«, sagte Naajab flehend. »Wenn wir jetzt abfliegen, normalisiert sich vielleicht alles wieder.«

»Und was, wenn nicht?«, hielt Selene dagegen, ohne sich umzudrehen.

»Ich könnte damit leben. Die Betonung liegt vor allem auf dem Wort leben. Ich war schon immer ein Freund des Schwarz-Weiß-Denkens«, sagte Naajab.

Irgendwo im Gang hinter ihnen ertönte ein lautes Poltern und dann ein tiefes Brummen. Selene war froh, dass sie auf den Kauf eines Übersetzungschips für ihren Anzug verzichtet hatte. Sonst hätte sie jetzt statt des Brummens einen ziemlich deftigen Fluch zu hören bekommen. Andererseits beunruhigte die Abwesenheit einer Übersetzungshilfe Selene auch ein wenig. Ihr Hochgalaktisch war seit ihrer Schulzeit schon sehr eingerostet, und auf den meisten Planeten kam man damit ohnehin nicht weiter. Die Vereinheitlichung der Sprache war in der Theorie leichter gewesen als in der praktischen Umsetzung. Als Mensch bekam Selene außerdem die korrekte Aussprache des skiefncndc-Lautes einfach nicht richtig hin. Ihr fehlte der zweite Gaumen.

Eine organische Kugel sauste durch den Gang schwebend auf sie zu. Wie nicht anders zu erwarten, war sie grau. Sie brummte ziemlich aufgebracht.

»Was sollte das?«, beschwerte Kas sich, sobald er nahe genug an sie herangekommen war.

»Wir hatten nicht vor, ohne dich das Schiff zu verlassen. Eigentlich hatte ich überhaupt nicht vor, das Schiff zu verlassen«, verteidigte Naajab sich.

Selene kannte den Zeitgobble besser. Auf dem Mond hatten sie viele Stunden miteinander verbracht.

»Die Landung war so holprig, dass ihr mich geweckt habt«, schimpfte Kas.

Naajab sah ihn verdattert an.

»Hättest du etwa weiterschlafen wollen, während wir unser Leben da draußen riskieren?«, fragte Naajab und deutete zur Luke hinüber.

Selene unterbrach das Gespräch, da sie die Antwort bereits kannte: Es handelte sich um ein ganz entschiedenes Ja!

»Wir hätten dich so oder so noch geweckt. Wir könnten dich dort draußen brauchen.«

Kas war ein derart schlechter Zeitgobble, dass er die Zeit nur um etwa eine Minute zurückdrehen konnte. Aber eine Minute konnte einem oft genug das Leben oder die Frisur retten – je nachdem, worauf man größeren Wert legte.

»Ihr wollt, dass ich einfach so da raus gehe? Ungeschützt? Vielleicht herrscht dort draußen nicht einmal eine richtige Atmosphäre«, vergewisserte Kas sich und trudelte in der Luft auf und ab. Die Bewegung wirkte sehr unentschlossen.

Raumanzüge beziehungsweise lebenserhaltende Maßnahmen waren bei seiner Körpergröße nur als Sonderanfertigungen zu erwerben. Sonderanfertigungen waren extrem teuer. Selene hatte entschieden, es darauf ankommen zu lassen.

»Du brauchst keine Atmosphäre zum Überleben«, erinnerte Selene ihn.

Die Zeitgobbles hatten schon vor Erzeugung der künstlichen Atmosphäre auf dem Mond gelebt und auch danach. Sie brauchten keinen Sauerstoff und keine stoffliche Nahrung. Außerdem waren sie feuer-, wasser- und säurefest. In Notsituationen konnten sie die Zeit zurückdrehen. Die Zeitgobbles hatten das Überleben perfektioniert. Ironischerweise betrug ihre natürliche Lebensspanne nur wenige Jahre.

»Jetzt hört beide auf zu jammern. Ich bin euer Kapitän.«

Selene schlang ihr Haar zu einem Zopf zusammen und zog dann den Helm über den Kopf. Mit einem leisen Klacken rastete der Mechanismus ein und teilte ihr mit, dass sie sich nun in einem geschlossenen, autonomen System befand. Tief holte sie Luft. Ihr Atmen klang laut innerhalb des Helms. Geräusche von draußen wurden jetzt elektronisch übermittelt und von einem leisen Hintergrundrauschen begleitet, das man nie ganz loswurde, außer man hatte wirklich sehr, sehr viel Geld zur Verfügung.

Mit einem kurzen Blick vergewisserte Selene sich, dass Naajab seinen Helm ebenfalls übergezogen hatte. Dann griff sie nach dem Rucksack, der bereits seit Tagen fertig gepackt neben der Schleuse wartete, und betätigte den Knopf, der die Rampe herunterließ. Der Boden senkte sich vor ihnen ab, und für einen kurzen Augenblick fragte Selene sich, ob das hier wirklich so eine gute Idee war.

Sie waren blind einem Navigationsgerät gefolgt, das ihnen nicht einmal den Grund für ihre Reise verraten hatte. Und dann die Sache mit den Farben. Naajab hatte recht. Wie ein gutes Zeichen sah das sicherlich nicht aus. Aber im Universum gab es so viel. Planeten, deren Atmosphäre die Übermittlung von Schallwellen verhinderte und deren Bewohner daher nur telepathisch miteinander kommunizierten. Planeten, auf denen keine Pflanzen gediehen, aber die Steine wuchsen. Planeten, auf denen Politiker tatsächlich ihre Wahlversprechen hielten. (Ryalner konnten aufgrund kognitiver Verknüpfungen nicht lügen. Versuchten sie etwas auszusprechen, das sich nicht mit den Fakten in ihrem Gehirn deckte, starben sie augenblicklich an einem Aneurysma.) Warum sollte es also nicht auch einen Planeten geben, dessen Atmosphäre das Wahrnehmen von Farbpartikeln verhinderte? In den Online-Reiseführern hatte zugegebenermaßen nichts davon gestanden, aber vielleicht hatte man die Touristen nicht verschrecken wollen. Es machte schrecklich viel Arbeit, die Urlaubsfotos von Hand nachkolorieren zu müssen. Seit ihrem Aufbruch vom Mond waren Selene und Naajab auch schon auf anderen Planeten von Bord gegangen. Es gab keinen grundlegenden Unterschied, über den sie sich diesmal den Kopf zerbrechen musste.

Die Rampe schlug mit einem metallenen Kratzen auf dem Boden auf.

»Sag mal, haben wir auch irgendwelche Waffen dabei? Nur für den Fall«, wollte Naajab wissen.

Selene trat auf die Rampe hinaus und klopfte auf den Schulterriemen ihres Rucksacks.

»Natürlich. Nur für den Fall«, sagte sie.

»Ich meine, richtige Waffen«, präzisierte Naajab. »Keine Lockenwickler.«

Selene schnaubte, ohne sich zu Naajab umzudrehen. Seine Schritte hallten auf der Rampe wider und erzeugten ein hohles Scheppern.

Er hatte ja keine Ahnung, was Selene alles mit Lockenwicklern anstellen konnte.

»Und was ist mit dir? Du bist doch Polizist, solltest du nicht ausgerüstet sein?«, fragte sie geistesabwesend und kontrollierte die Anzeigen, die ihr in den Helm übermittelt wurden. Die Schwerkraft lag ein geringes Maß über dem, womit sie aufgewachsen war, doch der Anzug neutralisierte die Wirkung weitgehend. Sie konnte sich auf Shin K-T 131 frei bewegen, auch wenn sie einen Marathon besser vermeiden sollte. Außerdem war die Atmosphäre sauerstoffhaltig, was durchaus Sinn ergab, denn ihren Informationen zufolge war die heimische Spezies humanoid, was auf erdähnliche Bedingungen hatte schließen lassen.

»Ich habe einen Taser dabei«, verkündete Naajab hinter ihr. »Aber er erzeugt maximal 200 Volt.«

Ungläubig drehte Selene sich nun doch zu ihm um. Er stand noch immer auf der Rampe. Kas hatte das Raumschiff noch überhaupt nicht verlassen. Ihre Mannschaft bestand aus wahren Helden.

»200 Volt? Das ist aber nicht viel«, vergewisserte sie sich.

»Wasser leitet Strom«, erinnerte Naajab sie. »Es funktioniert besser, wenn der Betreffende nass ist.«

Seufzend schüttelte Selene den Kopf, was sich mit dem Helm komisch anfühlte, da sich auch ihr Sichtfeld dadurch veränderte.

»Vergessen wir das«, sagte sie und sah sich prüfend um.

Naajab hatte die Liberty bis ans Ende der Landebahn gefahren und sie dort neben einigen anderen Raumschiffen geparkt. Der Parkplatz war nicht einmal überdacht. Selene zählte sechs weitere Schiffe. Nicht besonders viel, aber wenn sie zum Raumhafen hinüberblickte, erklärte sich so einiges. Sie hatte den Hafen auf dem Mond für klein gehalten. Dieser hier glich eher einer überdimensionierten Schulsporthalle. Er war ungefähr genauso gut in Schuss.

Es war taghell, zwei Sonnen standen am Himmel. Ihr Licht war gleißend und weißer als das der Sonne in ihrem System. Sie glichen eher einer Neonröhre als einer Energiesparlampe.

Außerdem war alles um sie her grau. Selene hatte das erwartet, aber ganz bestätigt sah sie ihre Theorie noch nicht. Sie standen auf einer Landebahn aus Asphalt und starrten auf die Außenseite eines schäbigen Gebäudes. Auf jedem anderen Planeten wäre die Szenerie wahrscheinlich ebenso grau gewesen.

Mit einem letzten Blick auf die Anzeige löste Selene den Verschluss ihres Helmes und nahm ihn ab. Obwohl der Anzug eigentlich dazu gedacht war, ihren Körper zu schützen, fühlte sie sich darin eingeengt. Sie wollte die Umgebung mit all ihren Sinnen wahrnehmen können; dadurch fühlte sie sich sicher. Hinter einer Glasscheibe konnte ihr jederzeit etwas entgehen.

»Bist du verrückt?«, fragte Naajab.

Selene atmete ein paarmal probeweise ein und aus. Die Luft fühlte sich trocken an, wie die Luft in einem geschlossenen Raum mit einer Klimaanlage.

»Ist vollkommen ungefährlich«, erklärte sie dann und warf Naajab den Helm zu.

Er fing ihn auf und drehte ihn dann einen Moment zwischen den behandschuhten Händen, als suche er auf seiner Oberfläche nach einem Beweis für Selenes Erklärung.

Schließlich machte er eine abwinkende Armbewegung und trat wieder ins Innere des Raumschiffes. Selene nutzte den Moment, um ihre Handschuhe abzulegen. Genau wie der Helm waren sie beim Erkunden einer neuen Umgebung bloß hinderlich.

Als Naajab wieder zum Vorschein kam, hatte auch er Helm und Handschuhe abgelegt. Kas schwebte neben seiner Schulter in der Luft.

»Auxie hat sich lange nicht mehr gemeldet, oder?«, fragte Naajab und blickte prüfend auf seinen Handrücken. Das violette Auge leuchtete nicht.

»Ich denke, es ist ziemlich eindeutig, wo wir hinmüssen«, erwiderte Selene und nickte zum Hafen hinüber.

»Also schön«, stimmte Naajab zu.

Selene schloss das Raumschiff hinter ihnen ab, welches die Verriegelung mit einem kurzen Piepen bestätigte. Dann schritten sie an den übrigen Schiffen vorbei auf die automatische Tür an der Seite des Gebäudes zu. Sie glitt problemlos auf und gab dahinter einen Pappständer zu erkennen, der eine lächelnde Familie in Lebensgröße zeigte. Der Vater war ein Erdenmensch, die Frau stammte vom Planeten Neri, und der Sohn hatte die Tentakel seiner Mutter geerbt. Alle drei lächelten gezwungen. »Willkommen« stand darunter in Hochgalaktisch.

»Bei unserem Glück hatte ich Horror und Schrecken erwartet«, sagte Kas und schwebte näher an das falsche Lächeln der Frau heran. Ihre Zähne hoben sich weiß vor ihrer grauen Gesichtsfarbe ab. »Aber nicht diese Art von Horror und Schrecken.«

»So schlimm ist das doch nicht«, zog Selene ihn auf und folgte den Pfeilen den angrenzenden Gang hinunter. Der Gang wirkte schmutzig. Aber vielleicht lag das auch nur daran, dass er grau war.

»Bestimmt gibt es hier auch noch eine Touristeninformationen, an der Broschüren über das Heimatmuseum ausliegen«, sagte Kas.

»Ich habe nichts gegen Heimatmuseen«, sagte Naajab. »Besuche dort enden selten tödlich.«

Der Gang endete schon nach einer einzigen Biegung. Selene fand sich in einer Halle wieder, die verlassen dalag. Zu ihrer Rechten befand sich ein Souvenirshop, dessen Auslage hauptsächlich aus billigen Tassen und noch billigeren Schlüsselanhängern bestand. Ein Schild davor verkündete, dass der Laden heute geschlossen hatte.

Eine Reihe von Sitzgelegenheiten in verschiedenen Größenordnungen bildete das Zentrum des Hafens. Unter einem der Sitze lag eine ehemals weiße Serviette, die inzwischen schon nicht mehr ganz so weiß aussah. Über den Sitzen hing eine Tafel, deren digitale Anzeige verkündete, dass sämtliche Shuttlebusse heute leider ausfallen mussten. Die Information hatte ebenfalls geschlossen.

»Sieht aus, als hätten wir einen schlechten Zeitpunkt für unsere Ankunft erwischt«, sagte Selene und versuchte fröhlich zu klingen. Die völlige Abwesenheit jeglichen Lebens wirkte allerdings doch beunruhigend auf sie.

»Jetzt ist der Zeitpunkt, an dem wir umkehren sollten, denke ich. Wir sollten in gemäßigtem Laufschritt zurück zum Raumschiff und dann beim Start die Geschwindigkeitsbegrenzung kein bisschen beachten«, sagte Naajab. Seine Stimme gluckste am Ende des letzten Satzes, als spräche er mit Wasser im Mund.

»Meiner Meinung nach sollten wir unseren Laufschritt gar nicht erst mäßigen«, ergänzte Kas.

Keiner von beiden rührte sich.

Angestrengt dachte Selene nach. Für reinen Pessimismus und blanke Panik hatte sie ihre Begleiter. Irgendjemand musste das rationale Denken übernehmen.

»Irgendjemand hat uns Landeerlaubnis erteilt«, sagte sie. »Also sind wir auf keinen Fall alleine auf dem Planeten.«

»Noch schlimmer«, stöhnte Naajab.

»Außerdem steht auf den Anzeigen das heutige Datum. Sie müssen also aktualisiert worden sein. Vermutlich ist heute bloß ein Feiertag oder so«, ergänzte Selene.

»Sollen wir etwa bis morgen warten, bis die Busse wieder fahren?«, fragte Kas schlecht gelaunt.

»Es ist ein kleiner Planet. Bestimmt ist die Innenstadt nicht weit weg. Wir können laufen.«

»Und wie sollen wir den Weg finden?«, wollte Naajab wissen.

Selenes Handrücken kribbelte leicht. Sie blickte darauf und bemerkte, dass Auxie jetzt nicht mehr violett, sondern weiß leuchtete.

»Ich denke, wir werden den Weg schon finden«, sagte sie.

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