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Fußball für Einsteiger
ОглавлениеFür all jene, die noch keinen rechten Zugang zur Welt des Freizeitfußballs gefunden haben, seien zunächst wesentliche Merkmale dieses Spiels erläutert. Dieser Grundkurs ist unabdingbare Voraussetzung, um später im Buch den Spielberichten aus den Epizentren des Freizeitfußballs einigermaßen folgen zu können. Fußball ist dem Wesen nach anarchisch und wenig kontrollierbar. Immerhin streiten zweiundzwanzig Spieler um nur einen Ball. Dies birgt naturgemäß die Gefahr von schnell eskalierenden Konflikten. Vielerorts wurde schon der Vorschlag unterbreitet, es solle doch jeder seinen eigenen Ball bekommen. Dann würde nicht mehr so ein Gerangel um den einen Ball entstehen. Aber, solltest du auch schon mal diesen Gedanken im Dunkeln verspürt haben, sprich ihn nie aus. Schon gar nicht im Beisein eines Sachverständigen. Ich kann dir sagen, zweiundzwanzig Bälle würden die Grundlage des Spiels vernichten. Es bleibt besser bei nur einem Ball, eine prall mit Luft gefüllte Lederkugel. Wenn du mal den Satz ‚der Ball will heute nicht ins Tor‘ hören solltest, sei nicht irritiert. Der Ball hat keinen eigenen Willen und kann auch nicht zwischen heute und gestern unterscheiden. Ja, ich würde sogar so weit gehen und behaupten, der Ball lebt überhaupt nicht. Somit kannst du Sprüche wie ‚der Ball führte ein Eigenleben‘, eindeutig dem Reich der Fabel zuweisen.
Für ein Fußballspiel benötigt man zwei Tore. An den beiden schmalen Enden des Spielfeldes mittig, befindet sich jeweils ein Gehäuse. Dieses besteht aus einem Rahmen, dem sogenannten Gebälk, und einem aufgespannten Netz dahinter. Das sind die beiden Tore. Jede Mannschaft verteidigt das eigene Tor, versucht aber gleichzeitig den Ball im anderen Tor unterzubringen. Hier ist der tiefere Sinn dieses Spiels zu finden. In diesem Zusammenhang hört man gerne den Satz ‚das Runde (der Ball) muss ins Eckige (das Tor)‘. Natürlich ohne Beteiligung der Hände, denn dann wäre es ja Handball. Eine andere Sportart. Tritt man den Ball versehentlich in das falsche Tor, so spricht man von einem Eigentor. Ganz schlimm, kann aber den besten Fußballspielern passieren. Wenn es dauerhaft gelingt, den Ball vom eigenen Tor fernzuhalten, so hat der Torhüter seinen Kasten sauber gehalten. Dafür ist keine Putzkolonne notwendig und auch kein Besen, sondern lediglich ein talentierter Torhüter. Der Torhüter ist offenbar wichtig, weil er als letzter Akteur den Einschlag des Balles ins eigene Tor noch verhindern könnte. Nervenstärke, Besonnenheit und Reaktionsvermögen sind da gefragt.
Um das potentielle Chaos auf dem Feld ein wenig einzudämmen, ist eine sichtbare Unterscheidung der zwei Mannschaften von großer Bedeutung. Dies erreicht man durch ein einheitliches Farbdesign der Sportwäsche einer Mannschaft, nämlich Trikots, Hosen und Stutzen. Was Trikots und Hosen sind, sollte klar sein und keiner weiteren Erläuterung bedürfen. Stutzen sind spezielle Wadenwickel für Fußballer. Sie werden gerne lässig nach unten gerollt. Damit soll signalisiert werden, dass man ohne Rücksicht auf eigene Verluste bereit ist in den Kampf zu ziehen. Aber das nur am Rande. Ängstliche Naturen stecken in die Stutzen auch noch sogenannte Schienbeinschützer. Es kann nämlich nie ausgeschlossen werden, dass ein Fußballspieler beim Tritt nach dem Ball selbigen nicht trifft, dafür aber das Schienbein des Gegners. Das kann fatale orthopädische Folgen nach sich ziehen, deshalb Schienbeinschützer. Und dann gibt es noch die Kameraden, deren Waden so dick sind, dass Stutzen gar nicht darüber passen würden. Sie dürfen ausnahmsweise auch ungeschützt spielen.
So, jetzt ist schon mal einiges klar. Es gibt einen Ball, zwei Tore und zwei Mannschaften. Nun kommt noch das in der Evolution gereifte Gehirn des Freizeitkickers dazu. Die menschliche Spezies ist ja heutzutage zumindest zeitweise dem Denken nahe, kann mitunter rationale Entscheidungen treffen. Das unterscheidet uns aber noch nicht von anderen Säugetieren. Erst die Fähigkeit Aufgaben strategisch anzugehen, trennt uns vom Affen. Deshalb darf man erwarten, dass Menschen Strategien entwickeln, damit der Ball öfters im gegnerischen Tor landet, als im eigenen. Die schwierige und unangenehme Aufgabe des Nachdenkens fällt im Fußball üblicherweise dem Trainer zu. Trainer sind meist etwas verwegene Gestalten, die häufig wegen skurriler Sprüche auffallen. Diese grenzwertigen Naturen wären für Psychologen ein gefundenes Fressen. Ein Leuchtturm der Trainergilde ist ein gewisser Otto Rehagel. Seine Aussagen zu Taktik und Strategie sind legendär. ‚Mal verliert man und manchmal gewinnen die Anderen‘, oder: ‚Wir spielen am besten, wenn der Gegner nicht da ist‘. Da geht doch das Herz eines jeden Freizeitkickers auf und man möchte König Otto in inniger geistiger Verwandtschaft umarmen. Wer nun aber glaubt, Freizeitfußballer benötigen im Spiel gar keine Organisation, der irrt. Ja, die Position des Trainers wird bei Freizeitkickern argwöhnisch beäugt, die strategische Ausrichtung ist sicher etwas verkümmert. In einer Horde von Freizeitkickern ist der Trainer aber entweder der Älteste, oder der Schlaueste, oder der mit dem höchsten Bierkonsum, oder der am meisten redet, oder der am wenigsten redet. Wenn du nun selbst die grandiose Idee verspüren solltest, man könnte doch einfach alle elf Spieler auf der eigenen Torlinie platzieren, so kann ich dir versichern, dies hilft nicht wirklich weiter. Der Fachausdruck für diese Strategie lautet übrigens: Beton anrühren.
Natürlich braucht es auch richtige Regeln, um das potentiell anarchische Treiben in ein geordnetes Gegeneinander zu überführen und ohne ernste Gewaltanwendung, nach neunzig Minuten, gesittet beenden zu können. Diese Regeln werden von einem Seniorenbund, der sogenannten FIFA mit Sitz in Zürich, festgelegt. Die Königsdisziplin ist die Abseitsregel. Ich will gleich anmerken, auf die Einzelheiten der Abseitsregel werde ich an dieser Stelle nicht näher eingehen. Zugegeben, auch weil ich selbst diese Regel nicht in allen Einzelheiten verstehe. Unkundige in der Welt des Fußballs müssen sich mit folgender Erklärung zufrieden geben: Wenn der Schiedsrichter auf Abseits entscheidet, ist der Angriff der einen Mannschaft leider beendet. Selbst wenn der Ball im Tor des Gegners war, das Tor zählt nicht. Diese Situation kann als coitus interruptus des Fußballs gelten und führt immer zu großer Weinerlichkeit. Jede Entscheidung des Schiedsrichters auf Abseits, wird von der angreifenden Mannschaft grundsätzlich mit einem stöhnenden und langgezogenen ‚Neiiiiiin‘ kommentiert. Und dies ist noch die höfliche Variante. Der Seniorenbund aus Zürich hat die Abseitsregel im Lauf der Jahre immer weiter verkompliziert. Deshalb braucht es einen Sachverständigen auf dem Platz, der die Abseitsregel versteht, oder wenigstens so tut als würde er sie verstehen, und der eine Entscheidung treffen kann. Dabei ist unwesentlich, dass Spieler und Zuschauer diese Regel nicht verstehen. Dieser Sachverständige ist der Schiedsrichter. Er wird auch gerne als schwarzer Mann bezeichnet, was aber nichts mit seinen Pigmenten zu tun hat. Vielmehr waren Schiedsrichter in früheren Jahren schwarz gekleidet. Das ist heute nicht mehr so. Man kann sich nun sehr gut vorstellen, dass aktive Teilnehmer und passive Zuschauer eher selten mit den Entscheidungen des schwarzen Mannes einverstanden sind. Dies ist ganz normal und Teil des Spiels, weil doch jede Wahrnehmung selektiv, respektive subjektiv ist. Dadurch entstehen emotional überladene Situationen auf dem Feld und bei den Zuschauern, die dem Spiel eine gewisse Würze geben. Verbale Unmutsäußerungen sind absolut üblich und werden im Rahmen eines Fußballspiels auch von allen Beteiligten toleriert. Angedrohte und manchmal auch tatsächlich vollzogene Gewalthandlungen kommen eher selten vor, sind aber auch nie auszuschließen. Eine gewaltfreie Konfliktlösung hängt wesentlich von einer gelungenen Sozialisation der Beteiligten ab. Eine schwere Kindheit wäre da hinderlich. Hier erleben wir natürlich eine große soziale Differenzierung. Der Schiedsrichter muss im Konfliktfall autoritär und regulierend eingreifen. Seine wichtigsten Waffen sind zwei Karten in der Brusttasche. Vielleicht hast du diese schon mal im Fernsehen gesehen. Die eine ist gelb und die andere ist rot. Die gelbe Karte ist nicht so schlimm. Sie wird durch den Schiedsrichter als pädagogische Maßnahme häufig und gezielt eingesetzt. Die rote Karte dagegen löst schlagartig Entsetzen aus. Der Spieler muss wegen ungebührlichen Verhaltens den Platz verlassen, kann vorzeitig und alleine duschen. Manche mögen sagen, das hat auch seine Vorteile. An alle Unwissenden sei aber gesagt: Dies ist eine Schande und wird von den Betroffenen auch so erfahren. Es kam übrigens auch schon vor, dass ein Spieler, nach einer vermeintlichen Fehlentscheidung des Schiedsrichters, diesem die rote Karte aus der Brusttasche zog und sie dem Schiedsrichter selbst zeigte. Wenn du dies mal im Fernsehen sehen solltest, lass dich nicht verwirren. Du weißt jetzt, Spieler haben keine Karten, nur der Schiedsrichter hat welche.
Körperliche Attacken im Kampf um den Ball sind Teil des Spiels und unter bestimmten Voraussetzungen auch erlaubt. Attackiert ein Spieler seinen Gegenspieler aber mit roher Gewalt, spricht man von einem Foul. Ob eine körperliche Attacke als rohe Gewalt oder als ein sauberes Tackling zu bewerten ist, darüber gehen die Meinungen bei allen Beteiligten regelmäßig weit auseinander. Auch hier gilt zunächst die alte Weisheit: Ein Foul liegt vor, wenn der Schiedsrichter pfeift. Der Gefoulte darf dann als Trost einen Freistoß ausführen. Ein Freistoß ist aber nicht etwa ein Revanchetritt gegen den Übeltäter, sondern lediglich ein Tritt gegen den Ball, müsste also eigentlich Freischuss heißen. Ein Freistoß kurz vor dem Tor ist natürlich besonders aufregend, weil ja vielleicht mit einem einzigen Schuss der Ball direkt ins Tor des Gegners gewuchtet werden könnte. Deshalb bildet die verteidigende Mannschaft eine Mauer aus Menschenleibern, deren Mitglieder sich ängstlich die primären Geschlechtsmerkmale abdecken, damit der Freistoß keine bleibenden Schäden am Genmaterial anrichten kann. Vor diesem Hintergrund ist nur zu verständlich, dass manche Fußballspieler mit Vorliebe in der Nähe des gegnerischen Tores reklamieren, sie wären gefoult worden, um einen spannenden Freistoß zu erhalten. Diese Schauspieleinlage nennt man Schwalbe, hat aber nichts mit dem Tierreich zu tun. Ein Kamerad, der schon bei geringster Berührung, oder gar bei einem Luftzug fällt und Foul reklamiert, wird von den Zuschauern als Schwalbenkönig verspottet. Er ist auch bei den Gegenspielern nicht gut gelitten, weil eben eher Schau- und nicht Fußballspieler.
Im Zentrum des Spiels steht also der Schiedsrichter. Er allein entscheidet, ob Schwalbe oder Foul, gelbe oder rote Karte, Tor oder kein Tor, Abseits oder kein Abseits. Der Schiedsrichter hat offensichtlich einen sehr schweren Job. Dafür erhält er bei Spielen von Freizeitkickern auch eine Antrittsprämie von 40 Euro, quasi Schmerzensgeld. So, ich habe nun einige Grundlagen für Unwissende erklärt. Im Hauptteil aber nicht mehr. Irgendwann müssen diese Dinge auch verstanden werden. Wir kommen jetzt zur Sache und nun ist Schluss mit Erklärungen!