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Röttenbach, Kirchgasse, Donnerstag, 28. Juni 2012

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Kunigunde Holzmann und Margarethe Bauer, die beiden fränkelnden Röttenbacher Urgesteine und langjährigen Busenfreundinnen saßen in Kunnis Küche und beratschlagten, wie sie ihre bevorstehenden achtzigsten Geburtstage ordentlich feiern sollten. „Do lass mer scho an grachn“, meinte die Retta im Brustton der Überzeugung, „su ald wird ka Sau.“ Dritte im Bunde war Theresa Fuchs, die rüstige Nachbarin aus der Lindenstraße, und zwei Jahre jünger als die beiden angehenden Jubilare. Genau wie Kunni und Retta war auch die Fuchsn Deres bereits langjährige Witwe. Doch im Unterschied zu den beiden Geburtstagskindern hatte sie noch direkte Familienbeziehungen ersten Grades im Dorf. Ihr Sohn Bruno und seine Frau Julia, ebenso eine gebürtige Röttenbacherin, wohnten drüben, im Neubaugebiet „Bucher Weg“. Julia war zwar schon einmal verheiratet gewesen, mit einem Amerikaner, und hatte in der Nähe von Dallas gelebt, doch drei Jahre nach ihrer Eheschließung und nur ein Jahr nach der Geburt des gemeinsamen Sohnes Michael schlug das Schicksal unbarmherzig zu: John Hausman, ihr erster Mann, verstarb überraschend an Krebs. Glücklicherweise war John Hausman kein armer Mann, sondern ein sehr erfolgreicher Immobilienmakler. Er hinterließ seiner Frau Sachwerte wie das gemeinsame Haus, zwei Autos, ein ansprechend wertvolles Aktienpaket sowie ein Barvermögen von knapp über drei Millionen US-Dollar. Als gemachte Partie kehrte Julia Hausman, geborene Sapper mit ihrem Söhnchen Michael 1983 wieder in ihre fränkische Heimat Röttenbach zurück. Sechs Jahre später, im September 1989, heiratete sie Bruno Fuchs, Theresas Sohn. Die Ehe blieb kinderlos. Nachdem viele Jahre später Julias Sohn Michael im Alter von fünfundzwanzig Jahren in der Sandstraße einen eigenen Hausstand gründete, bauten sich die beiden Eheleute im Neubaugebiet „Bucher Weg“ ein neues, schmuckes Einfamilienhäuschen. Geld war ja genug da. Julia und Bruno führten eine gute Ehe. Die Kritik, dass sie zu viel rauche, musste sich Julia allerdings immer wieder von ihrem Mann gefallen lassen.

Die Fuchsn Deres hatte als gute Nachbarin der Holzmanns Kunni und der Bauers Retta angeboten, ihnen bei der Organisation ihrer bevorstehenden Geburtstagsfeierlichkeiten mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Sie wusste, dass die Kunni Probleme mit ihren Knien hatte und immer öfter auf ihren Rollator angewiesen war. Wie oft hatte sie ihr schon geraten, etwas abzunehmen. Bei einer Körpergröße von nur einem Meter neunundfünfzig waren fünfundachtzig Kilogramm Lebendgewicht einfach zu viel. Kein Wunder, dass die Pfunde auf die maroden Gelenke drückten. „Edz lass mi doch endlich in Ruh mid deine schdändichn Radschläch“, bekam sie immer wieder von der Kunni zur Antwort, „du waßd doch, dassi gern viel und gud ess! Mier schmeggds hald! Wie solln iech do abnehma?“

Die Retta war das Gegenteil von Kunni Holzmann. Rank und schlank war sie und lief ausdauernd wie ein Mercedes Diesel. Aber ihr machte die Gicht in ihren Fingergelenken immer mehr zu schaffen. Das feinste Gehör hatten zudem beide nicht mehr. Ein Hörgerät wollten sie aber auch nicht tragen. „Dees is doch was fier alde Leid“, pflegten sie zu behaupten, „nix fier uns junge Hubfer!“

Nun saßen sie in Kunnis Küche, jede eine geöffnete Flasche „Storchenbier“ von der Brauerei Sauer vor sich. Biergläser brauchten sie nicht. Sie tranken aus der Flasche. Die Zeiger der Wanduhr krochen langsam, aber beständig auf zwanzig Uhr zu, und die drei Witwen waren gerade mit einem späten, deftigen Abendessen zu Gange. Auf einer riesigen Platte waren roter und weißer Presssack, geräucherte Leberwurst, Obatzter, grobe Mettwurst, aufgeschnittener Leberkäse, geräucherter Schinken und eine knoblauchhaltige Stadtwurst angerichtet. In einem kleinen Suppenteller lagen dünn geschnittene, kräftig gesalzene Rettichscheiben, und das frisch geschnittene Bauernbrot von Peters Backstube duftete verführerisch. Deutsche Markenbutter, ein Glas Gewürzgurken und aufgeschnittene Tomaten aus dem eigenen Garten rundeten das verlockende Essensangebot ab. Kunigunde Holzmann hatte den Hals der Bierflasche mit geschlossenen Augen an ihre Lippen angesetzt und entließ den Gerstensaft gluckernd und genießerisch in ihre Kehle. „Aah, dud dees gud! Es gibd doch nix ieber an gscheidn Schlugg frischs Sauer Bier, wemmer durschdich is“, kommentierte sie, nachdem sie die Flasche wieder auf den Tisch zurückgestellt hatte. „Also Maadli, wos is edz? Wu schdemmer denn in unserer Blanung?“, wollte sie wissen. „Lang zu, Deres, der Bressagg is vom Baumüller. Ganz frisch. Habbi heid erschd kaffd. Soller der an Senfd dazu hulln, odder mogsd lieber an Sahnemeerreddich? Schmeggd aa gud!“

„Na, Kunni, dangschee, iech kann auf der Nachd nemmer suviel essn. Bekummd mer ned. Lichd mer bloß im Moogn. Abber– weilsd scho fragsd – iech hab mer dengd, dees Kugnbaggn iebernehm iech. Do brauchd iehr eich scho nemmer mid zu belasdn. Habd eh gnuch um die Ohrn. Und Eikaafn kanni aa. Blabds denn edz beim sibbzehndn Augusd? Eiere große Feier? Wieviel Leid habd der denn ieberhabds eigloodn?“

„No, du gfällsd mer, Deres!“, antwortete die Kunni. „Die Fuchsn Werdschafd habbi scho vor ieber an Joahr reserviern lassen! Die zwaa Wirdsschduubn und dees Nebenzimmer. Gschlossne Gsellschafd! Die Retta had am fuchzehndn Augusd Geburdsdooch, dees waßd ja, und iech zwaa Dooch schbäder. Do hammer uns dengd, dass mer gor nemmer lang rummachn und gleich am sibbzehndn feiern. Dees is a Freidooch. Do kenna die Leid am näxdn Dooch aa ausschloofn.“

„Wieviel werns denn sei? Wer kummd denn alles?“, hakte die Theresa nochmals nach.

„Dees wiss mer edz doch aa ned auswendich, wen mier alles eigladn hamm. Dees misserdn mier edz aa erschd nochschaua“, meldete sich nun die Retta zu Wort, nachdem sie ebenfalls einen kräftigen Schluck Bier genommen hatte und leicht rülpste. „Jedenfalls kumma su umera hunerdfufzich Leid, die meisdn aus Röttenbach, abber aa a boar Auswärdiche sen dabei. Danzd werd aa. Der Gerald Harter machd Mussigg im Nebenzimmer. Der had scho lang zugsachd, dasser kummd!“

„Jessasla, do musser mer ja exdra was Neis zum Oziehchn kaafn“, meinte die Fuchsn-Nachbarin. „Habd der dees Essn a scho bschdelld?“

„Naa, dees langd nu a Wochn vorher, had die Wirdin gmaand, abber deswegn hoggn mier edzerdla ja aa grood zamm“, kam die Kunni wieder zur Sache. „Wos maandn na iehr, was mer zum Essn bschdelln solldn?“

„Auf jedn Fall nix Ausländischs!“, schlug die Retta vor.

„Do gebber der scho rechd, Redda“, bestärkte sie die Theresa Fuchs, „do solled iehr scho bei der deidschen Kichn bleibn.“

„Dees habbi eigendli ned damid gmaand“, widersprach ihr die Retta. „Fier miech is a rheinischer Sauerbradn mid Rosina in der Soß aa was Ausländischs! Iech deng mier solledn scho ehra in unserer Gegend bleibm mid der Auswahl vo dem Essn. Was maansd no du Kunni? Sogsd goar nix mehr!“

„Dees hängd ja aa a weng vom Wedder ab, maan iech. Wenns draußen dreißg Grad had, waßi aa ned, ob mer a Schäuferla schmeggn däd. Iech schlooch vor, wir dreffn a edwas breidere Auswahl. A Wochn vor der Feier, wenn mier wissen wie dees Wedder wern soll, legn mier uns endgüldich fest. Was maandnd iehr?“

„Allmächd!“, Retta sah auf die Uhr und schoss hoch, wie von der Tarantel gestochen. „Is heid ned der achdazwanzigsde Juni?“

„Und was is am achdazwanzigsdn Juni?“, riefen die beiden anderen im Chor.

Retta schlug sich auf die Stirn, „No, heid schbieln doch die Deidschn gegen die Schbagheddifresser im Halbfinale! Wer gwinnd kummd ins Endschbiel gegen die Schbanier! In zehn Minuddn gehds los!“

„Kunni sah ebenfalls zur Uhr. „Schnell“, würgte sie auf ihrem Bauernbrot kauend hervor, „räumer ab! Redda, schdell die Wurschdbladdn, die Budder und dees Gurgnglas in Kiehlschrank nei! Deres, schald scho amol den Fernseher ei. Wer will nu a Bier?“

„Iech!“

„Iech aa!“

„Redda, die Deidschlandschminke is aa im Kiehlschrank. Brings mied ins Wohnzimmer! Iech hul schnell nu die Deidschlandfohna ausm Keller. Bin glei widder da.“

Punkt zwanzig Uhr fünfundvierzig saßen die drei Witwen auf dem Sofa. Jede hatte zwei breite, schwarz-rot-goldene Streifen auf den Backen. Kunni schwang die Deutschlandflagge gefährlich nahe an der Wohnzimmerlampe vorbei. Retta trötete auf einer Vuvuzela, welche die Kunni noch im Keller gefunden hatte. Die Theresa war mit einer Trillerpfeife ausgestattet worden. Als die deutsche Nationalhymne erklang, sangen alle drei aus voller Kehle: à „Einichkeid-und-Rechd-und-Frei-heid-für-das-deudsche-Va-hader-land-danach-lassd-uns-alle-schdre-heben-briederlich-mid-He-herz-und-Hand …“

„Warum singa der deidsche Necher, der deidsche Dirg und der deidsche Bollagg ned mied?“, erboste sich die Kunni.

„Die dädi gor ned aufschdelln“, gab ihr die Retta recht. „Wolln Deidsche sei und singa dees Deidschlanlied ned mied! Is a Schand! Wenn iech der Joogi Löf wär, dena däd iech abber schee die Meinung geign. Suwas geberds bei mier ned! Dees is doch a wergli a Schand, und die ganze Weld schaud zu.“

Als der französiche Schiedsrichter wenige Minuten später das Spiel anpfiff, wurde Kunnis Wohnzimmer zum Tollhaus. „Renn, renn, renn“, schrie Retta, als Özil den Ball nach vorne passte. „Schieß, schieß, schieß“, rief die Kunni, als der vorgestürmte Hummels versuchte, die Kugel im gegnerischen Tor unterzubringen.

„Wer isn der idaljenische Necher, dem des Sauergraud ausm Kubf wächst?“, wollte Theresa Fuchs wissen.

„Dees is doch der idaljenische Middlschdürmer, der Ballodelli, kennsdn du denn den ned?“, fragte die Retta verwundert.

„Ballodelli? Ballodelli? Is dees ned a Nudlsordn?“, bezweifelte Theresa Rettas Sachkenntnis.

Das Spiel wogte hin und her. Es stand immer noch 0:0. Bis zur zwanzigsten Minute. Die Nudelsorte Balotelli verarschte Mats Hummels, nahm einen zielgenau geschlagenen Pass mit dem Kopf auf und köpfte trotz Sauerkraut den Ball wuchtig in Manuel Neuers Tor. 1:0 für Italien!

„Bschieß!, Bschieß! Dees Sauerkraut woar im Abseids! Warum bfeifdn der französische Debb ned, had der Domadn auf die Augn?“, rief die Kunni entsetzt.

„Na Kunni, des woar scho a regulärs Door. Die deidsche Abwehr had hald amol widder gschloofn. Da had der Löf meisdens sei Broblem“, kommentierte die Retta. „Warum er den Bodolsgi, die Flaschn, scho widder aufgschdelld had, verschdeh iech abber aa ned. Der dorgld doch auf dem Bladz rum, wie a Bsuffner. Und jedesmol, wenner den Ball ned drifft odder drieber haud, lachdder aa nu wie a Eichhernla wenns blidzd.“

„Na ja“, warf die Theresa ein, „wu kummdern aa scho her? Aus Boln und aus Köln! A bolnischer Breiß, kwasi. Dees kann ja nix wern!“

Die drei Fußballsachverständigen ließen sich – trotz des 1:0 für Italien – in ihrer Begeisterung nicht bremsen. Sie tröteten, trillerten und schwenkten die deutsche Fahne. Dann kam die sechsunddreißigste Minute, als sich das „Sauerkraut“, alias „italienische Nudelsorte“, einen von Riccardo Montolivio geschlagenen Pass erlief und das Leder knallhart linkerhand knapp unter die Latte einhämmerte. 2:0 für Italien! Die Nudelsorte war mächtig stolz über seinen zweiten Torerfolg. So stolz, dass er sein blaues Trikot auszog und den Zuschauern seinen nackten, muskulösen Oberkörper zeigte. „Ich war es“, wollte er damit sagen. „Ich habe die Deutschen aus dem Wettbewerb geschossen. Ich bin der Größte.“ Er stand da, wie ein wild glotzender Gorilla, der sich gleich auf die Brust trommeln würde. Das unterließ er dann doch, als der Schiedsrichter auf seiner Pfeife trällerte und ihm die gelbe Karte zeigte.

„Oh weh, des hul mer nemmer ei!“, klagte die Retta. „Scho widder su a Scheiß-Idaljenschbiel!“

„Schald mer hald den Fernseher aus?“, schlug die Theresa vor. „Hogg mer uns widder in die Kichn und beradn mer weider ieber die Essensauswahl vo eirer Geburdsdagsfeier. Unser Bier kemmer in der Kichn aa dringn.“

„Iech hab scho gor kan richdign Durschd mehr“, kommentierte die Kunni Theresas Vorschlag. „Mier is ganz schlechd.“ Die deutsche Fahne hatte sie in die Ecke hinters Sofa gestellt.

„Der schwarze Schbagheddi had mer mei ganze Schdimmung verdorbn“, lammentierte auch die Retta herum. „Gscheid sollns gecher Schbanien eigeh, die Iddagger!“ Dann schaltete sie das Fernsehgerät aus. „Kummd, gemmer widder in die Kichn, red mer a weng drieber was im Dorf Neis gibd. Iech hab gherd, der Müllers Hanna iehr Ingried soll schwanger sei.“

„Dees arme Kind“, hakte die Kunni ein, „dees werd doch ned gor vo dem Berser sei, mid dem der Hanna iehr Madla in der ledzdn Zeid rumzuugn is?“

„Dees kann scho sei“, merkte die Theresa an, „den habbi scho lang nemmer gsehgn. Der is beschdimmd nach Affganisdaan abghaud, wieer dees midgrichd had. Der had ja ausgschaud mid seim Zoddlbard. Vor dem hasd ja richdich Angsd grichd!“

„Vielleichd isser ja a Dalibaan“, gab auch die Retta noch ihren Senf dazu. „Waß mers?“ Das 2:1 der deutschen Nationalmannschaft bekamen die drei Witwen gar nicht mehr mit. Sie unterhielten sich über ledige Schwangere, die Seitensprünge des verheirateten Nachbarn gleich gegenüber, über die Bemühungen einiger Röttenbacher Bürger, im Dorf einen Ableger der Partei Freies Franken zu gründen, und darüber, wer sich nächstes Jahr als Kandidat für die Bürgermeisterwahl aufstellen lassen würde. „No der Ludwich, der Ludwich machd doch widder dees Renna“, gab sich die Kunni überzeugt. „Da beißd doch die Maus kann Fadn ab.“

Zeckenalarm im Karpfenland

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