Читать книгу Bekenntnisse eines Literaturagenten - Werner Schatten - Страница 3
1. Über die Tücken des Literaturmarkts
ОглавлениеIn den vielen Jahren, in denen ich nun schon Teil des Literaturbetriebs bin, wurde mir oft von jungen, aufstrebenden, gerade erst frisch abgelehnten Autoren die Frage gestellt, wie man es heutzutage schaffen könne, als Schriftsteller auf dem hart umkämpften deutschen Buchmarkt zu reüssieren. Einige Male, vor allem in meiner Anfangszeit als Lektor, habe ich versucht, meine Eindrücke in eine sinnvolle Antwort zu fassen, den Schreiberlingen einen Stupser in die richtige Richtung zu geben, Verbesserungspotentiale zu erläutern. Mittlerweile jedoch verzichte ich meistens auf derartige Darlegungen meines Standpunkts, denn zu häufig schon haben meine Einwendungen einen langwierigen E-Mail-Verkehr zur Folge gehabt. Hierbei versuchen die in ihrer Eitelkeit gekränkten Autoren meine Kritikpunkte in der Regel dadurch zu entkräften, indem sie sich auf Verwandte, gute Freunde oder Bekannte berufen, die meine Kritik nach ihrer eigenen Lektüre des Textes so beim besten Willen nicht teilen könnten. Manchmal werde ich in dem Zusammenhang als Ignorant beschimpft, gelegentlich als neidischer Spießgeselle, als Pedant, der den Talenten dieses Landes ihren Weg zum Buchvertrag verstelle, nur weil er selbst nicht in der Lage sei, vergleichbare schöpferische Werke zu verfassen. Man wird mir also hoffentlich nachsehen, wenn ich meine Reaktion auf unverlangt zugesendete Manuskripte auf nichtssagende, sprachlich monotone Standard-Absagen beschränke, kombiniert mit dem freundlich umschriebenen, heuchlerischen Wunsch, ein anderer Lektor, respektive Literaturagent, werde sich sicherlich irgendwann einmal des Textes erbarmen und ihm die Aufmerksamkeit zuteil werden lassen, die ihm eigentlich keinesfalls gebührt. Es ist eine schlichtweg notwendige Maßnahme, denn ansonsten bliebe mir wohl kaum die Zeit, um all das zu tun, was ich als Lektor und Literaturagent eben notwendigerweise tagtäglich tun muss: Mit meinen Kollegen bei den großen Verlage gemeinsam zu Mittag essen, mit den Sekretärinnen der Verlagsbosse telefonieren, und, nicht zuletzt, all jene Exposés lesen, die mir meine Praktikanten in stundenlanger, mühsamer, von studentischem Ehrgeiz geprägten Arbeit zusammengeschrieben haben.
Der Literaturmarkt ist heute deutlich unübersichtlicher als früher, als die Verlage noch von ihren Inhabern geführt wurden, von Inhabern, die die Manuskriptzusendungen meist sogar noch selbst lasen. Stattdessen hat die deutsche Literaturlandschaft in den letzten Jahrzehnten eine sukzessive Wandlung hin zur modernen, erfolgsorientierten Buchindustrie erfahren, in der es nicht mehr wichtig ist, einen relevanten Beitrag zur kulturellen Weiterentwicklung des Landes zu leisten, der Bildung breiter Massen der Gesellschaft zu dienen oder kontroverse Standpunkte einzunehmen. All diese biederen, konservativen, primitiven Kriterien für ein gelungenes Buch sind in der Welt des 21. Jahrhunderts glücklicherweise obsolet, also nicht mehr von Bedeutung. Denn heutzutage handelt es sich bei den meisten Verlagen nur noch um Wirtschaftsunternehmen, die den gängigen Regeln der globalisierten Weltwirtschaft gehorchen müssen. Literaturagenten sind in diesem Sinne outgesourcte Lektoren, intellektuelle Leiharbeiter, deren finanzielles Überleben einzig vom Markterfolg der von ihnen vertriebenen Publikationen abhängt. Den Lesern und auch den Autoren fehlt es leider grundsätzlich an Überblick und Verständnis für die aus diesen Tatsachen resultierenden Zwänge. Viele Autoren scheitern mit ihrem Traum von einer Karriere als Schriftsteller folglich bereits daran, dass sie sich im Vorfeld falschen, neoromantischen Vorstellungen vom Wesen der Literaturszene hingeben. Um also all jenen auf die Sprünge zu helfen, die Schwierigkeiten damit haben, sich den Gepflogenheiten der gegenwärtigen Kunstbranche anzupassen, habe ich diesen Ratgeber geschrieben, um über meine Arbeit zu berichten, den Autoren und Interessierten einen Einblick zu geben, wie Literaturagenten und Lektoren heutzutage arbeiten, und um die Wege aufzuzeigen, die ein Buch manchmal gehen muss, um hierzulande publiziert zu werden.