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3. Die tieferen Ursachen für den Erfolg des Hedonismus
ОглавлениеGelebter dionysischer Hedonismus entsteht prinzipiell immer aufgrund eines ideellen Engpasses in Folge falscher Lebensvorstellungen und Grundhaltungen. Er füllt in der Regel ein bestehendes Sinngebungs-Vakuum. Aktion und Reaktion ersetzen hierbei die geistige und tiefen-emotionale Selbstreflexion des Einzelnen. Dionysischer Hedonismus ist damit die Urkatastrophe der Neuzeit, weil mit dieser Philosophie alle anderen Probleme verbunden sind:
Der Gegensatz zur islamischen Welt, weil dort die Verlogenheit des Westens als Hauptursache des Konflikts der kulturellen Welten angeprangert wird, da christliche Werte vom Westen nach Außen gepredigt, hedonistische aber real ausgelebt werden.
Sinkende Geburtenraten, da Kinder als Hindernis für den gelebten Hedonismus des Einzelnen gelten.
Soziale Ungerechtigkeiten, da der Selbstbezug des Einzelnen dazu führt, dass jede Rücksichtnahme als eigene Schwächung missverstanden wird und jeder folglich nur auf den eigenen Vorteil schielt.
Der sogenannte „Wertewandel“,(5) denn klassische Werte gelten eben lediglich im Rahmen klassischer Weltbilder.
Zukunftsängste der Jugend, die als erste Generation ausschließlich nach hedonistischen Lehren erzogen wurde, und die nun auf ihrer verzweifelten Suche nach einem Sinn für ihre Existenz zumindest in Teilen ihr Heil in radikalen, mittelalterlichen Ideologien gefunden zu haben glaubt.
Ich will mir die Aufzählung weiterer Problemfelder ersparen, hoffe stattdessen auf viele gut gemeinte Vorhaltungen und Richtigstellungen mit zahlreichen abstrusen, abwegigen Gegenbeispielen. Ich empfehle hierzu Hühneraugen und Mundgeruch.
Zunächst erscheint es mir nun also als notwendig, ursächlich herauszustellen, weshalb sich der dionysische Hedonismus als vorherrschende Grundhaltung in fast allen Teilen der westlich-demokratischen Welt durchsetzen konnte. Dabei möchte ich der Versuchung aus dem Weg gehen, meiner ureigenen geistigen Unbeweglichkeit zu dienen, die Ursachen mit der Wirkung zu verwechseln und das Problem somit als Lösung auszugeben. Denn nicht wegen des Konsumterrors, wegen kapitalistischer Raffgier, sozialen Ungewissheiten, gescheiterten Ehen, medialer Verunstaltung oder der bösen bösen Globalisierung hat sich der Hedonismus als vorherrschende Philosophie etabliert, sondern schlicht als Antwort auf den funktionalistischen Rationalismus der Nachkriegszeit, bei der die Wirklichkeit und der fortschreitende Verlust des traditionellen, christlichen Glaubens, der durch die Erfahrungen des unchristlichen Holocausts in seinen Grundfesten erschüttert worden war, über eine neu gewonnene Sachlichkeit kompensiert werden sollten. Es galt ab Mitte der 1960er Jahre als Ziel, eingefahrene Strukturen zu beseitigen. Die Prüderie der konservativen Schein-, Unterdrückungs- und Stolz-Gesellschaft der Ära Adenauer wurde richtigerweise als lebensfeindlich erkannt und provozierte fast notgedrungen eine radikale Gegenreaktion der damaligen Jugendbewegung samt ihrer Nachfolger. Ab dem vierten Quartal des letzten Jahrhunderts, und befeuert von der zunehmenden Amerikanisierung und Medialisierung Europas, wurde der Hedonismus dann endgültig zur vorherrschenden Geisteshaltung, nun auch in der bürgerlichen Masse der Gesellschaft. Denn diese eroberte sich in den 1980er und 1990er Jahren jene scheinbar revolutionäre Philosophie als neue psychologische Lebenshilfe, nur um dem Vakuum des eigenen Unglaubens und des Verlustes der eigenen Ideale entgegen zu wirken. Natürlich erscheint dieses Verhalten rational bedingt verständlich, denn der Mensch benötigt schließlich eine Rechtfertigung für seine Existenz, auch wenn sie eben nur im Spaß am Genuss bestehen sollte.