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Nennt man das eine Kur?

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Lothar Velmond war heilsfroh, dass er - noch dazu auf ärztliches Anraten und Teilkosten-Übernahme vom Staat - für ein paar Wochen alle Fälle hinter sich lassen konnte. Kollege Elsterhorst hatte zwar geschäumt vor Wut und Neid, dass er nun sang- und klanglos alles hingeworfen hatte, die„Elysium-Morde“, den Toten aus dem Schilf und nun auch noch den Hanselmann, aber nun war einfach mal Pause.

Allein schon daran, wie ihn das Autofahren anstrengte, spürte er, wie angegriffen seine Gesundheit war. Früher genoss er das, fast war es eine Zeit der Meditation, wenn er so durch die Landschaft dahin gondelte. Jetzt nahm er sich vor, alle hundert Kilometer eine Rast einzulegen. Garmisch lag hinter ihm. Ehrwald, Biberwier hatte er gerade passiert. Vor dem Fernpass noch einen Kaffee, einen Doppelten, wie man hier zu sagen beliebte. Und schon hatte ihn wieder der Dienst eingeholt: War hier in dieser Gegend nicht der ehemalige Kollege Paul Krüner verschwunden, entführt worden, lag er schon tot irgendwo in einer Felsspalte? Der Tote im Schilf, der die vierhunderttausend Euro im Schlauchboot über den Starnberger See gerudert hatte und dann erschlagen wurde? Und Krüner zur falschen Zeit am falschen Ort? Schnell schüttete Velmond seinen Doppelten in sich hinein, als müsse er fliehen - fliehen vor all diesen Fällen. Bestand sein ganzes Leben nicht nur aus Fällen? Aus Toten, Ermordeten? Was für ein Scheißleben hatte er sich da eingebrockt? Und jetzt - Urlaub? Kur? Gibt es überhaupt Urlaub im Kopf? Kann man abschalten? Und wenn wie? Die sollen ihm bloß nicht mit Yoga und Pilates kommen! Mentaltraining, ach du liebes Bisschen! Lieber wollte er seine Fälle in fruchtig-trockenem Terlaner ertränken!

Landeck! Landeck? Von hier hatte der Krüner eine Karte geschickt, wollte es zumindest. Sie lag im Dreck, an einer Tankstelle. Jemand hatte sie frankiert und in den Briefkasten geworfen. Solche lieben Leute gab es also hier! Aber der Verkehr war brutal! Brutal insbesondere für die Einwohner. Gefühlte zehntausend Autos pro Stunde, die sich durch die engen Gassen quälen! Wenigstens lenkte das von Krüner ab. Mein Gott, da geht einer in Pension, glaubt, sich endlich fallen lassen zu können, verliebt sich vielleicht in die lesbische Gisela, fährt an den See, will die Abenddämmerung genießen, kriegt eins auf die Rübe und jetzt? Ist man als Kriminaler auch nach seiner lang ersehnten Pensionierung nie außer Dienst? Stets gefährdet? Jetzt im Alter kämen ja auch die frei, die er in seinen besten Mannesjahren hinter Gitter gebracht hatte. Würden sie Rache üben? Ist Krüner einem solchen Rächer in die Hände gefallen?

Pause in Nauders, ja, so könnte Urlaub beginnen: draußen in der Sonne hocken, Cappuccino, nette Bedienung. Lauter Pärchen oder Jungeltern mit Kinderchen. Und er - allein! Keine Uta! Sollte er sich einen Kurschatten zulegen? Nur so? Würde sich denn irgendein resches Weibchen noch nach ihm umschauen? Gedanken kurz vor dem Reschenpass! Ist der Krüner auch hier entlang verschleppt worden? Liegt der unten im See? Neben dem immer noch aus dem grauen Wasser herausragenden Kirchturm des versunkenen Dorfes? Die Passhöhe - ein einziger Rummelplatz! Und so viele Radfahrer! Passstraßen raufradeln scheint ein Volkssport zu werden. Und dann wieder hinunter rasen! Virtuos zwischen den Autos hindurch, die sich hinter Wohnwagen und Autobussen stauen.

Die Parkplatzsuche irgendwo an einem ruhigen Plätzchen gestaltet sich schwierig. Velmond fühlt sich unendlich müde. Ist das die Urlaubskrise schon vor dem Urlaub? Er erspäht eine Burgruine und ein kleines Dorf. Ja, mal weg von der anstrengenden Straße. Ruhe suchen auf einer Bank unter einem schattenspendenden Baum. Irgendwie fühlt man sich plötzlich wie in einem großen Freilicht-Museum. Drüben das Rauschen der nie endenden Fahrzeugkolonnen, hier scheint das Leben still zu stehen. Wäre da nicht der überquellende Papierkorb mit Zivilisationsmüll, Bier- und Red-Bull-Dosen, Marsriegel-Hüllen und Landjäger-Verpackungen.

Nun vergiss heißes Flehn, süßes Kosen ...“ - sein Handy meldet sich. Auch das noch. Er hatte vergessen, es abzuschalten. Ein äußerst erregter Elsterhorst ist dran:

Entschuldigen Sie, dass ich Sie in Ihrem Paradies aufschrecke, aber das muss ich Ihnen schon noch brühwarm mitteilen: Der Hanselmann hat höchstwahrscheinlich diese attraktive Türkin ermordet. Die Zeit zwischen der Landung des Flugzeugs aus Dubai und dem Eintreffen in der Firma hat locker gereicht, erst nach Gern zu fahren, der Frau Dr. Yülmaz zur Wahl in den Vorstand mit einem Glas Prosecco zu gratulieren und dort E-605 hineinzumischen, was wir im Geräteschuppen bei den Hanselmanns sichergestellt haben. Das Zeug ist seit langem verboten. Frau Hanselmann glaubt, man habe es angeschafft, um die Fichtenlaus zu bekämpfen. Aber ihr Mann habe sich nie um den Garten gekümmert und mutmaßlich gar nicht gewusst, was im Schuppen so alles ist. Wird gegenwärtig geprüft. Einen sauberen Herrn Hanselmann haben Sie da an der Backe! Sich an so einer schönen Frau zu rächen. Pure Eifersucht! Nun kuren Sie mal schön, während wir hier rotieren! Aber einer muss es ja gut haben. Auf möglichst baldiges Wiedersehen, Herr Kollege!“

Ärgerlich, ärgerlich! In irgendeinem Magazin war er mal auf eine ganzseitige Reklameseite gestoßen: ein motziges Auto am Straßenrand, vor einer strahlenden schweizer Alpenkulisse, blauer Himmel, ein eleganter Herr, der sich lässig an seine Luxuskarosse lehnt und mit seinem Handy telefoniert, darunter die Botschaft „Das wunderbare Gefühl, überall erreichbar zu sein!“ Der Wahnsinn! Spontan hatte er damals beschlossen, nie ein Mobiltelefon haben zu wollen, und schon gar nicht von dieser Firma. Und jetzt hier, beim Blick auf die verschneite Ortler-Gruppe, war er erreichbar – noch dazu von Elsterhorst! Nein, Schluss damit! Ausschalten! Fliehen!

Im Hotel hatte er sein Kommen auf 17 Uhr angekündigt, Zeit genug, noch in Schluderns, das jetzt Sluderno heißt, einen Espresso zu trinken. Ob das nun gut für sein Herz wäre? Ach, bald müsse er sich dem Terror der Kurärzte fügen und sich unter der Knute unbarmherziger Schwestern gesundes Leben aufzwingen lassen. Ach ja - noch einen Espresso bitte!

Dann war es soweit. Er kam sich vor wie beim Einrücken in die Kaserne. Allerdings - dieses Kurhotel hatte einen gewissen alten Charme, und die Leute am Empfang waren richtig nett. Nur zum Empfang? Velmond traute dem Frieden nicht. Er solle sich erst einmal einrichten. Das Zimmer hatte gar nichts, was an ein Sanatorium erinnert. Es war gemütlich. Der Balkon ging zu irgendeinem Tal hinaus, war es das Passeier Tal oder glänzte da silbrig die Etsch? Ach ja, irgendwann hatte man doch gesungen „von der Etsch bis an die Memel“ irgendwas mit dem heiligen Vaterland. Velmond, denke doch mal positiv, sagte er zu sich selbst: Du hast es gut, supergut, supersupergut hier. Meran! Mit Beihilfe vom Staat, und nicht mehr von der Etsch bis an die Memel, sondern ganz Europa ohne Schlagbäume, keinen Krieg mehr, alles so friedlich, die Apfelplantagen, die Weinberge, das Rauschen der Bäche. Morgen früh erst Sprechstunde beim Kurarzt. Also heute noch frei! frei! frei! Ab in die Altstadt. Unter die Lauben. Er kannte sie von vielen kurzen Besuchen und Besichtigungen. Früher. Als er noch Tarifurlaub nahm. Im vergangenen Jahr, oder war es schon zwei Jahre her, ermittelte er in Kastlruth und Bozen: die tote Frau an der sogenannten Rosenbank! In den Dolomiten, am Schlern. Könnte man den von hier aus sehen? Scheußlich - schon wieder an einen Fall erinnert zu werden. Bald wäre die Landkarte nur noch eine Fällekarte! Damals von Bozen aus hatte die Zeit nicht gereicht, auch noch Meran eine Stippvisite abzustatten.

Ob der Arzt noch Restalkohol feststellen könnte? Der Wein war gut, die Abendleute nett. Er teilte die Passanten immer ein: Tagesleute, das waren die lauten Touristen, peinlicherweise meist Deutsche, obwohl schon wenige Italiener sie leicht in ihrer Lautstärke zu übertreffen vermochten. Die Tagesleute bewegten sich hektisch, hastig, Einkäufe in Plastiktüten schwenkend, ein Eis auf der Hand oder Coffee-to-go, natürlich auch Wasserflaschen, Fotoapparate und Smartphones. Als Tourist müsste man mindestens sechs Hände haben oder eine geduldige Frau mit Umhängetasche. Velmond fühlte sich über die Touristen erhaben; denn er gehörte ja zu den Abendleuten, die langsam und genussvoll die Ruhe nach dem Sturm genießen können. Abends an der Passer entlang schlendern, den ersten Blütenduft einatmen, die Pracht der gepflegten, hell leuchtenden Jugendstil-Paläste bewundernd.

Der Doktor stellte nichts Beunruhigendes fest: Erschöpfung, Verdacht auf Alters-Diabetes, müsse man prüfen, könnte die Folge einer einseitigen Ernährung sein (Kohlenhydrate? Zuviel Kuchen und Pizza? Nudeln?), Calcium-Mangel, viel Milch trinken (Brrr!), Wassergymnastik, Kneipp, Pilates (!!!) empfohlen, nicht verordnet (ha!). Schwimmen, jeden Tag zweimal eine halbe Stunde (langweilig). Viel Bewegung! Aber langsam anfangen, auf dem Tappeiner Weg. Nicht gleich zuviel! Sisi-Promenade.

Nochmal davon gekommen! dachte sich Velmond. Alles halb so schlimm. Er würde ja nun „bekocht“, also nicht mehr Junggesellenkost und Nahrungsaufnahme im Kantinentempo. Der Nachmittag war frei von Anwendungen, also wieder auf die Promenade. Und mal hineinschnuppern ins alte, ehrwürdige Kurhaus mit seiner heilsamen Stille. Hier wurde nur betont leise gesprochen, geflüstert, gewispert! Er erschrak, als ihm dieses Wort einfiel; denn Wispern, das war ja seine spezielle Methode, um einen Tatort zum Reden zu bringen, ihn wispern lassen. Nun befand er sich sozusagen im Tempel des Wisperns. Tafeln waren aufgestellt und verwiesen auf diverse Veranstaltungen, Vorträge mit äußerst gesunden Bio-Themen, über Positives Denken. Dazwischen eine, die sehr geheimnisvoll klang: „qFQ - Meet“. Im 1. Stock. qFQ und Meet ohne ing? Er gab sich gelangweilt, als er vor der großen offenen Tür entlang flanierte, ein bisschen neugierig hineinlugte. Da standen Flipcharts und Pinwände mit vielen bunten Kärtchen. Es war wohl gerade Kaffeepause oder man war zu spät zum Mittagessen gegangen. Allmählich trafen wieder einige Herren ein, aber nicht in feinem Tuch mit weißem Hemd und Krawatte, sondern im Freizeit-Look, Casual Wear nannte man das wohl. Es wurde lebhaft geschwätzt, ganz anders als unten im Foyer. Da, auf einmal steuerte ein älterer Herr auf ihn zu:

„Herr Dr. Marquardt, nicht wahr? Anzengruber, Sie erinnern sich, Baden-Badener-Gespräche! Ja, das ist aber nett, dass Sie es doch noch einrichten konnten an unserem Treffen teilzunehmen ... hatten Sie eine gute Anreise? Ach, Sie haben noch nicht viel verpasst. Heute morgen ging es ja nur um die Gesetzeslage, Frauenquote, wieviel Prozent bis wann, in welchen Führungsrängen ...“

Lothar Velmond zuckte zusammen. Sollte er den Irrtum aufklären? Ich bin nicht der, den Sie meinen? Oder das Spiel mitmachen? Frauenquote? FQ? Eine Manager-Konferenz über die Frauenquote? Blitzschnell entschloss er sich, das Spiel mitzumachen.

„Ach wissen Sie, Herr Dr. Anzengruber, am liebsten wäre mir, Sie würden kein großes Aufhebens von mir machen. Ich bin sozusagen inkognito hier. Ich habe ja auch in meinem Alter nicht mehr viel beizutragen. Frauenquote - da habe ich wohl nichts mehr mit am Hut. Ich setze mich ganz ruhig hinten hin.“

„Mehr oder minder sind wir hier alle inkognito. Niemand und schon gar nicht die Presse soll wissen, dass wir uns hier treffen, um Strategien auszudenken, wie wir diese Frauenquote aushebeln können. Wir tarnen uns absichtlich als Touristen. Einige unter falschem Namen. Keine Namensschilder. Keine Entourage. Keine Limousinen. Keine Krawatten. So wie Sie, Dr. Marquardt, mal wieder toprichtig, leger. Aber jetzt müssen wir rein!“

Im Saal scharten sich wohl an die dreißig als Touristen verkleidete Manager um drei Pinwände mit vielen, vielen bunten Kärtchen, rechteckig, kreisrund, wolkenförmig, manche mit vielen, manche mit sehr wenigen bunten Punkten beklebt.

Also, meine Herren, darf ich nochmal zusammenfassen, auch für die, die leider erst jetzt zu uns stoßen konnten“, begann ein ziemlich beleibter Mann in mittlerem Alter, eine Narbe an der rechten Wange, ehemaliger Corps-Student? „Mit der Nor-Effkuh hat alles angefangen, die niemand richtig hinterfragt hat, aber für uns viel Potenzial birgt. Ich darf daran erinnern: Die Norweger haben die Frauen elegant in die Aufsichtsräte geschoben. Die tagen ja nur ein paarmal im Jahr. Da können sie zwischendurch ihre Familienpflichten erfüllen und reden nicht in die operative Arbeit hinein. Interessanter Ansatz für uns: Je höher wir die Frauen nach oben schieben, desto weniger pfuschen sie uns unten rein. (Gelächter) Hinzu kam die von der US-Börse aufoktroyierte US-Effkuh. Nun sprang Brüssel an. Nor-Effkuh, sie erinnern sich, waren 30 Prozent, US waren 40, also forderte Brüssel ebenfalls die 40 Effkuh. So, als ob das nicht ohnehin schon weit übertrieben war, schwappte das über nach Berlin! Wir müssen ja immer die Musterschüler der ganzen Welt sein! Hier verbündete sich die Frau Dr. Sabine von der Lauer mit der Grinsefrau Roth, der Ministerin Schnarri und natürlich mit der Oberfeministin Weißer. Na klar - 50 Prozent müssten es sein! Nein, 50 Prozent nicht genug, es müssen 51 Prozent sein, aller Führungskräfte, nicht nur Vorstand, Majorisierung als Ziel! Endlich! Endlich Schwanz ab! Schließlich einigte man sich auf 50 komma fünf.“

Ansteigendes Gemurmel, einige Zwischenrufe und Fragen gipfelten in der Forderung, man solle endlich kleine Gruppen bilden, die erarbeiten sollen, mit welchen Strategien man einigermaßen erfolgversprechend gegensteuern könnte. Es erhob sich ein anderer, ziemlich schlanker Mann mit amerikanischem Akzent:

Nein, I think, sorry, ich meine, wir mussen nicht gegen steuern, but if you can’t beat them, join them. Sagen wir immer. Wenn du sie nicht schlagen kannst, verbunde dich mit ihnen, um das von innen korrumpieren! Wir könnten zum Beispiel noch viel weitergehende Forderungen stellen!“

Richtig!“ sagte der erste Sprecher. „Jetzt kommt nämlich unser kleines q ins Spiel! Genau, wie es unser Mister Bronfield vorgeschlagen hat. Wir fordern die qualifizierte Frauenquote, nicht die einfache! und zwar ungefähr so: Von den Frauen müssen soundsoviele katholisch, evangelisch, jüdisch oder Muslima sein, dem DGB angehören, dem Arbeitgeberflügel. Qualifiziert heißt auch paritätisch. Natürlich müssen auch alle Parteien vertreten sein. Es gibt ein Punktesystem, und jetzt wird’s richtig kompliziert, weil es den Börsenwert steigert oder senkt, zu Steueraufschlägen oder Vergünstigungen führt. Für eine Frau mit Migrationshintergrund gibt es fünf Sonderpunkte, für eine Langzeitarbeitslose drei Sonderpunkte, für eine Vegetarierin oder Veganer-Biofrau zwei Punkte, die übrigen Qualifikationen je einen Punkt. 10 Punkte müssen zu soundsoviel steuerlicher Vergünstigung führen, fordern wir. Vorgeschrieben ist, wie Sie ja alle wissen, ab Betrieben mit mehr als zehn Mitarbeitern eine Frauenquote-Beauftragte.“

Allgemeines Gelächter. Viel Zustimmung! „So hebeln wir das System aus! Macht es kompliziert, aber so, dass niemand widersprechen kann. Wer will denn was gegen eine Muslima im Vorstand oder Aufsichtsrat haben? Oder eine langzeitarbeitslose Akademikerin, die nach ihrem Doktor „summa cum laude“ bisher Taxi fahren musste?“

Nun bildeten sich Gruppen von Befürwortern und Gegnern dieses Vorschlags.

Ein anderer, außerordentlich gepflegt aussehender Mann in sichtbar teurem, noch nie vorher getragenen Touristen-Outfit meinte:

Wenn schon Frauen im Vorstand und wo auch immer, wie sollten sie sein, damit wir auch unsere Freude daran haben? Irgendwie, Schiller oder Mörike oder so einer von diesen sogenannten Romantikern hat doch gesagt ‚Ehret die Frauen, sie flechten und weben himmlische Rosen ins irdische Leben!’ Das muss doch unsere Maxime sein; denn wir können gegen die Frauenquote eigentlich gar nichts mehr machen. Also ich bilde jetzt eine Gruppe, wir gehen hinten in die linke Ecke am Fenster, und dann schreiben wir mal wieder Kärtchen, welche Eigenschaften denn eine Frau haben sollte, die wir gern im Vorstand oder anderen Gremien gern neben uns sitzen haben würden. Daran können Sie sich dann bei Ihren Entscheidungen orientieren. Wollen sie so eine strubbelige, kurzhaarige mit Schlagring-ähnlicher Armbanduhr und Schaftstiefeln bis zum Arsch? Wollen Sie so eine mit ?ner evangelischen Glaubenszwiebel? Oder was junges, lernbegieriges, mit ?nem hübschen Busen?

So geschah es. Lothar Velmond, alias Dr. Marquardt, wurde es zunehmend unbehaglich. Wo war er hier hinein geraten? In diesem Tempel des Wisperns! In eine Macho-Management-Konferenz! Eine Muslima im Vorstand war vorgeschlagen worden, ja, da kam ihm doch gleich die Yasemin Yülmaz ins Gedächtnis, noch dazu Akademikerin! Ach, nicht schon wieder an einen Mordfall erinnert werden. Klammheimlich stahl er sich davon. Ohnehin war es Zeit für einen Kaffee an der Promenade, wo er die Leute an sich vorbeiziehen lassen könnte, die jungen Frauen mit den übermütigen Kindern, die alten Damen, die sämtliches Gold umgehängt hatten, das sie sich im Laufe des Ehelebens haben schenken lassen - oft als Kompensation für erlittenes Liebesleid. Reparationen für erwiesene Untreue. Er beneidete die Eisesser, die schleckend und leckend ihre Spitzhörnchen oder Pappdöschen vor sich her trugen. Das durfte er früher nie! Das ziemte sich nicht! Und noch heute traute er sich nicht, sich an dieser umlagerten Gelateria anzustellen, um sich drei Kugeln von Wasauchimmer aufschichten zu lassen.

Während er da so hockte, erkannte er immer mehr von den Macho-Managern, die in kleinen Trupps lebhaft diskutierend daher kamen. Er verbarg sein Gesicht hinter einer zerlesenen BILD, die auf dem Nachbarstuhl lag. War die Konferenz zuende? Velmond zahlte. Dann schlich er sich nochmal ins Kurhaus, hinauf die die erste Etage, bemüht, niemandem zu begegnen. Ja, offenbar hatten die Quotengeschädigten den Saal verlassen. Eine Bedienstete war dabei, die bunten Kärtchen einzusammeln. Da erbot er sich, ihr dabei zu helfen, und übernahm die linke Ecke, wo die Qualitäten der Quotenfrauen ersonnen wurden. Alle Kärtchen stopfte er schnell in eine Tasche seines Blousons. Er würde sie später durchsehen. Drei zusammengerollte Flipchart-Bögen ließ er auch gleich noch mitgehen.

Mein Gott, sagte er sich beim Hinausgehen auf die sonnige Passeier-Promenade, Lothar, du sollst doch hier eine Kur machen und nicht schon wieder Indizien sammeln. Du kannst es einfach nicht lassen.

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