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Ernten

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An einem Tag im Herbst habe ich bei einem Spaziergang Haselnuss-Sträucher entdeckt, die frei am Weg standen und voll hingen mit großen, braunen Nüssen. Ich konnte nicht widerstehen, da waren wohl Erinnerungen an meine Kinderzeit im Spiel: Erst pflückte ich mir eine, knackte sie (ich weiß, das ist ungesund) mit den Zähnen und zerkaute langsam und genießerisch das würzige, noch saftige Fruchtfleisch. Dann holte ich mir die nächste, und auf einmal war ich wie im Fieber. Ich kroch in die Büsche, bog Zweige zu mir herunter, grapschte und füllte mir systematisch die Hosentaschen.

Auf dem Heimweg begegneten mir andere Spaziergänger; ich versuchte unauffällig und verschämt, meine ausgebeulten Hosentaschen mit den Händen zu tarnen. Aber stolz war ich und glücklich wie ein Schulbub. „Schau, was ich geerntet habe“, sagte ich zu Hause und leerte meine Schätze in eine ziemlich große Schüssel, in der sie schon wieder bescheidener aussahen. Meine Frau hat gelacht, aber nicht spöttisch.

Ich glaube, was mir da passiert ist, war nicht bloß eine Kindheitserinnerung. Es war dieses Ur-Vergnügen am Ernten, das zu den einfachen, aber großen Freuden der Menschen gehört, seit sie in Höhlen schliefen und ein Leben als Jäger und Sammler führten. Wenn man so will, hat sich da der Neandertaler in mir wieder gemeldet. Heute produzieren immer weniger Bauern immer mehr Lebensmittel und die meisten Menschen leben in großen Städten; wohin also heute mit diesem Ur-Vergnügen?

Ich möchte es mir wenigstens im Kleinen erhalten und kultivieren. In dem Wort „ernten“ steckt das englische Wort „to earn“, durch Arbeit verdienen. Das tun wir ja alle nach Möglichkeit für unseren Lebensunterhalt. Aber am Fließband, an der Ladenkasse, am Bankschalter, am Steuer oder am Schreibtisch denkt ja kein Mensch mehr an wogende Kornfelder, Ackerbau und Obstgärten. Unsere alltägliche Ernte ist sehr abstrakt und un-sinnlich geworden.

Dass diese sinnliche Freude nicht verloren geht, ist mir aber wichtig. Vielleicht hat mancher Grundstücks- oder Gartenbesitzer genau aus diesem Grund so viel Arbeit in seinen Besitz gesteckt und so viel Freude an der Plackerei, obwohl das nicht jedem bewusst ist. Das muss auch nicht sein. Erntefreude ist tief im Menschen verankert und nicht auszurotten. Für die meisten Zeitgenossen ist es nicht immer leicht, ein Schlupfloch, ein Ventil für diesen Trieb zu finden. Man hat selten das Glück, ernten zu können, wo man nicht gesät hat. Um die meisten Verlockungen dieser Art stehen Zäune, die man respektieren muss.

Wer im Spätsommer oder Herbst mit dem Auto oder Fahrrad in die Gegend um den Bodensee fährt, kann zahlreiche Erntefreuden haben, auch wenn

er kein Stück Land mit einem Zaun drum besitzt. Überall darf man mit den Augen ernten: Äpfel, Birnen, Zwetschgen, Nüsse, Quitten, Zwiebeln, Kohl – alles ist voll von Obst und Gemüse, so weit das Auge reicht. Man sieht die Leute bei der Arbeit, und am Straßenrand kann man alles kaufen: direkt. Frischer und preiswerter als beim Erzeuger geht´s nicht. Ich habe auch schon auf einem Erdbeerhof mein Obst selbst geerntet. Immer mehr Bauern laden dazu ein; es wird billiger, wenn man ihnen Arbeit abnimmt. Und es kann einen Riesenspaß machen.

Wenn ich überhaupt keine Zeit für solche Ausflüge habe oder nicht die rechte Jahreszeit dafür ist, gehe ich manchmal nur auf den Markt, um in Berührung mit dem Naturereignis Ernte zu kommen, um zu riechen, zu sehen und vielleicht auch zu schmecken. Vielleicht sollte ich das viel öfter tun. Man verlernt sonst so vieles. Es ist doch schön und gar nicht mehr so selbstverständlich, wenn man eine Fenchelknolle von einer Lauchstange unterscheiden kann.

Nächsten Herbst gehe ich bestimmt wieder spazieren und schaue nach, ob „meine“ Haselnüsse noch kein anderer entdeckt hat.

Bautz!

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