Читать книгу Einführung in die Systemische Soziale Arbeit - Wilfried Hosemann - Страница 7

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1Einführung
Das Einführungskapitel möchte einen Brückenschlag zur Systemischen Sozialen Arbeit eröffnen, der im gesamten Buch weiter geführt und im Einzelnen begründet wird. Zunächst klären wir den Nutzen dieser Perspektive und interpretieren die theoretische Ausgangslage. Dabei konzentrieren wir uns auf die „Passungen“, die Basisargumente und die zentralen Zugewinne dieses Vorgehens.
1.1Systeme und Systemtheorie
Seit der Antike wird darüber nachgedacht, wie Zusammenhänge in der beobachteten Vielfalt zu beschreiben sind und wie Ordnung in die Pläne kommt, nach denen vorgegangen wird. Als besonders attraktiv haben sich die Auseinandersetzungen um sich ,selbst ordnende Zusammenhänge‘ herausgestellt. Hier werden wesentliche Vorteile, Besonderheiten, Inhalte und Kontroversen des Systembegriffs vorgestellt.
1.1.1Die Vorzüge systemischen Denkens
Soziale Arbeit hat es mit vielen unterschiedlichen Interessen und Perspektiven zu tun. Es ist beispielsweise oft nicht klar, wer Auftraggeber ist oder wie aktuelle und längerfristige Ziele zusammenhängen. Systemtheoretische Überlegungen helfen bei solchen Ausgangslagen, fachliche Positionen zu bestimmen, Orientierungen in komplexen Situationen zu gewinnen und Interessen der Adressaten zu berücksichtigen. Eines der Motive, sich mit Systemtheorie zu beschäftigen, liegt daher in dem Mehr an Klarheit in Bezug auf eigene Zuständigkeiten und im Zugewinn von Sicherheit im Umgang mit komplexen Ansprüchen an die Soziale Arbeit.komplexe Anforderungen
Der allgemeine und häufige Gebrauch des Begriffs System führt aber auch zu Unklarheiten. Dies begründet die Notwendigkeit, sich genauer mit dem Verständnis von Systemtheorien und ihren Begriffen in der Sozialen Arbeit vertraut zu machen – auch, um sie kritisch betrachten zu können. Für das professionelle Mitgestalten des sozialen Zusammenlebens ist es notwendig, verantwortlich mit den eigenen Möglichkeiten und Grenzen des Wirkens umzugehen.
Die Systemtheorie, wie sie im Folgenden vermittelt wird, setzt bei genau dieser Verantwortlichkeit an. Sie lässt Soziale Arbeit nicht bei ihren Adressaten oder bei Problemen beginnen, sondern bei der Beobachtung der eigenen Konzepte und des eigenen Handelns. Dieses auf die eigenen Gedanken, Handlungen und Voraussetzungen gerichtete, prüfende Nachdenken ist kennzeichnend für die reflexionsbasierte Profession Soziale Arbeit (Dewe / Otto 2002, 2011) und zugleich für angewandte Ethik.Selbstbeobachtung Sozialer Arbeit
Die zunächst schwierige und abstrakte Sprache der Systemtheorie ermöglicht die Beschreibung von unterschiedlichen Zusammenhängen (z. B. biologischen, psychischen, organisatorischen und gesellschaftlichen) mit einheitlichen Begriffen. Eine Folge dieser Abstraktion ist, dass systemtheoretische Theorien und Analysen keine eindeutigen Rezepte richtigen Handelns liefern. Wenn man so will, ist Systemtheorie für sich genommen zunächst inhaltlich offen und – bezogen auf ihre Ausrichtung an menschlichen und sozialen Werten – interpretationsbedürftig. Erst durch die ,Selbstverarbeitung‘ der Theorie durch die Soziale Arbeit gewinnt Systemtheorie unmittelbar an Bedeutung.Interpretationsbedürftigkeit
Sie ähnelt in diesem Sinne einem Werkzeug. Welche Rahmen und Bezugspunkte der Sozialen Arbeit im praktischen Handeln jeweils wichtig sind, bestimmt sie auch unter Zuhilfenahme von Wissen aus anderen Wissenschaftsbereichen, wie z. B. der Soziologie oder dem Recht. Soziale Arbeit könnte ihre Entscheidungen jeweils auch an anderen Erklärungszusammenhängen ausrichten. Daher braucht sie eine Theorie, die beobachter- und kontextbezogenes Denken fördert. Genau dies leistet Systemtheorie.Systemtheorie als Werkzeug
1.1.2Die Besonderheiten systemischen Denkens
Es gibt verschiedene Arten der Beschreibung von Menschen. Dies kann beispielsweise geschehen über
●Eigenschaften (Person X ist liebenswert),
●Aussagen (Person X gibt an, Tee zu mögen statt Kaffee) und
●Zugehörigkeiten (Person X kann beschrieben werden als zugehörig zu einer Organisation, sozialen Gruppe, Schicht, Klasse oder einem Milieu).
Im Gegensatz zu einem Denken, das sich durch die Beschreibung von Eigenschaften kennzeichnet, die bestimmten Objekten oder Personen zugeordnet werden, orientiert sich systemische Theoriebildung an
●Relationen (orientiert an Beziehungen),
●Rückwirkungen (orientiert an Zirkularität) und
●zeitlichen Prozessen (orientiert an Stabilität und Veränderungen).
Diese Merkmale werden im Folgenden kurz veranschaulicht.
Beziehungsorientierung
Abb. 1: Bedeutung von Mustern
Beziehungen zwischen Einzelelementen
Wenn eine Melodie in der Notenschrift auf Papier gebracht ist, sind dort die einzelnen Töne beschrieben. Hört man nun jeden einzelnen Ton und macht dazwischen eine längere Pause, hat man zwar alle Töne nach einiger Zeit wahrgenommen, die Melodie aber trotzdem nicht gehört. Die Melodie scheint nicht in den einzelnen Tönen zu stecken (denn diese kommen z. B. auch in anderen Kombinationen vor), sondern in einem spezifischen Muster.
Beziehungen sind nicht auf der einen oder anderen Seite von Elementen oder Personen zu entdecken, sondern zwischen ihnen. Mit dem Begriff Relationen werden Verbindungen beschrieben, die aber keine Interaktionsbeziehungen sein müssen.verbindende Relationen
Rückwirkungen
Die Beschreibung von Rückwirkungen auf Ausgangszustände führt zu einer veränderten Sichtweise von Zusammenhängen. Nicht mehr die einseitige Wirkung von A auf B leitet die Beschreibung von Rückwirkungen auf Ausgangszustände, sondern auch Rückwirkungen, die von B auf A beobachtbar sind. Dieses Prinzip ist Grundgedanke aller ökologischen Überlegungen und wird hier am Verhalten von Personen veranschaulicht.Rückwirkungen statt einseitiger Kausalitäten
Abb. 2: Rückwirkungen
Diese Rückbezüglichkeiten führen nach einer Weile dazu, dass nicht mehr klar ist, was zuerst war. Das Verhalten von A wird durch das Verhalten von B beeinflusst und das Verhalten von B durch das Verhalten von A. Ebenso klar ergibt die Alltagsbeobachtung, dass in solche Rückkopplungsprozesse C (und D usw.) einbezogen sein kann. Die Schwierigkeiten der Zuordnung sind erheblich, weil sich die Prozesse überlagern können, gegenläufig sind oder sich auf verschiedenen Ebenen vollziehen.Rückkopplungsprozesse
Stabilität und Veränderungen
Stabilisieren sich bestimmte Beziehungen und Feedbackschleifen im Lauf der Zeit, kann man versuchen, Strukturen oder Systeme zu entdecken. Die Beobachtung von Systemen über eine längere Zeit ermöglicht sowohl die Wahrnehmung von Stabilität als auch von Veränderung.
Systemwandel in der BiologieDie Amöben Dictyostelium disoideum bilden unter guten Nährstoffbedingungen eine Population von isolierten Zellen, die sich isoliert fortbewegen und durch Zellteilung vermehren. Bei knapper werdenden Nährstoffen schließen sie sich zu einem schneckenähnlichen Zellaggregat zusammen, das in eine nährstoffreichere Gegend kriechen kann. Eine Metamorphose ermöglicht die Herausbildung eines Stiels mit einem Sporenkopf, der Sporen abtrennt und verstreut – was den isolierten Amöben die Gründung einer neuen Kolonie ermöglicht.
Abb. 3: Lebenszyklus der Amöbe (Kriz 1999, 59)
Die Beobachtung des Lebenszyklus verdeutlicht, dass
1.ständiger Wandel zur Normalität des Kreislaufs gehört,
2.sehr unterschiedliche Zustände Bestandteil dieses Lebenszyklus sind,
3.die Beobachtung einzelner Stationen eine Auswahl durch den Betrachter bedeutet,
4.sich der Vorgang wiederholt, aber die Elemente bei aller Ähnlichkeit neue Elemente sind, und
5.erst eine Gesamtschau den Blick auf die grundsätzlich passenden Umweltbedingungen erlaubt.
Um Ihnen den Einstieg in systemische Überlegungen zu erleichtern, möchten wir Sie noch zu der folgenden kleinen Geschichte einladen.
Systemtheorie im Alltag
Stellen Sie sich vor, Sie stehen an einer Bushaltestelle. So wie Sie stehen, kann man Sie als Teil einer Gruppe von Wartenden beschreiben. Der Bus kommt, Sie steigen ein und bezahlen beim Busfahrer. Nach dem nächsten Stopp des Busses bekommt einer der Fahrgäste plötzlich Herzschmerzen und japst nach Luft. Ihm wird ganz schwindelig, und einige andere Fahrgäste beginnen, sich um ihn zu kümmern. Eine der Mitfahrenden gibt sich als Krankenschwester zu erkennen und versucht, dem Mann zu helfen. Ein anderer Mitfahrer berichtet, er sei Arzt, und mithilfe eines weiteren Fahrgastes wird der Betreffende auf die Rückbank des Busses gelegt. Die drei Fahrgäste kümmern sich um ihn, andere Fahrgäste schauen dem Geschehen interessiert zu, einige erscheinen dagegen vom Geschehen unbeeindruckt zu sein. Währenddessen benachrichtigt der Fahrer über Funk den Rettungsdienst. Nach einer Weile kommt der Krankenwagen und überführt den vermutlich Herzkranken ins Krankenhaus.
Anhand dieser Geschichte lassen sich unterschiedliche Systeme und die Entstehung eines Interaktionssystems beobachten. Aus den zunächst unverbundenen, miteinander den Bus benutzenden Personen entwickelt sich ein soziales System, ein kommunikatives Netzwerk von Helfenden, das abgegrenzt werden kann von denjenigen, die nicht mithelfen. Darüber hinaus bildet sich innerhalb der Helfergruppe eine Ordnung, die eine unterstellte Kompetenz zur Basis hat. Das System stabilisiert sich um einen Zusammenhang herum als Interaktionssystem und löst sich wieder auf, als der Herzkranke von Sanitätern des Krankenwagens übernommen wird.Entstehung von Systemen
Je nach Betrachtung lassen sich verschiedene Systeme analysieren, u. a. das System ,öffentlicher Nahverkehr‘ oder das ,Medizinsystem‘. Anhand der Geschichte lässt sich erkennen, dass jemand ein bestimmtes System bei seiner Beschreibung zugrunde legen muss, damit auf dieses Bezug genommen werden kann. So lässt sich aus der Perspektive des öffentlichen Nahverkehrs fragen, wie mit Notfällen umgegangen wird, und welche Rettungsdienste direkt vom Fahrer oder anderen Personen kontaktiert werden können. Völlig andere Beschreibungen entstehen, wenn man aus einer anderen Perspektive nach dem Zustandekommen von medizinischer Hilfe fragt, oder sich dafür interessiert, wie hilfreiche, effektive Kommunikation beschaffen ist.unterschiedliche Betrachtungsweisen
1.1.3System – eine Annäherung an den Begriff
In der Geschichte systemtheoretischen Denkens finden sich verschiedene Vorstellungen von dem, was unter einem System zu verstehen ist. Der Begriff System basiert auf dem Grundgedanken, dass sich Wirklichkeit über die Beobachtung und Beschreibung bestimmter Ordnungsmuster erfassen lässt.verschiedene Systemvorstellungen
DefinitionHier wird von einer Definition ausgegangen (Willke 1991), welche unter einem System ein Netz zusammengehöriger Operationen versteht, das sich von einem Beobachter von nicht dazugehörigen Operationen abgrenzen lässt. Mit Operationen werden die grundlegenden Aktivitäten eines Systems verstanden (Operation = ein System vollzieht eine Unterscheidung, es macht dieses und nicht jenes).
Merkmal dieser Definition ist, dass ein relationales Begriffsverständnis zur Anwendung kommt, das sich grundlegend auf die Differenz zwischen System und Umwelt bezieht. Ein System konstituiert sich, indem es eine Grenze zu seiner Umwelt bildet, es verfügt über die Fähigkeit, sich durch eigenes Handeln abzugrenzen. Die Vorzüge dieser Definition sind, dass ein System auf Operationen aufbaut und nicht auf untereinander geordneten Elementen oder Objekten und, dass der Beobachter einbezogen wird.
Ältere Systemdefinitionen stellen darauf ab, dass in Systemen Elemente miteinander verknüpft werden und sich Regeln beobachten lassen. Bertalanffy (1979) bestimmt ein System z. B. als eine Menge von Elementen, zwischen denen wechselseitige Relationen bestehen. Eine weitere Idee ist, dass das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile (Prinzip der Übersummation). So ist eine Schule mehr als die Summe der Schüler, der Lehrer und der Verwaltungsangestellten. Das, was die hochspezialisierte Verknüpfung der einzelnen Elemente ermöglicht, unterscheidet sich wesentlich von dem, was den einzelnen Elementen an Handlungsmöglichkeiten zur Verfügung steht.ältere Systemdefinitionen
DefinitionDie besondere Leistung, die erbracht werden kann, weil Systeme Elemente miteinander verbinden, wird häufig als Emergenz bezeichnet (Luhmann 1997, 134).
Beschreibt man Systeme unter dem Gesichtspunkt ihrer Leistungen, kann man analysieren, welche Vorteile in der Umwelt von Systemen dadurch entstehen, dass Systeme Aufgaben und Funktionen übernehmen und bestimmte Effekte die Folge sind. Zu diesen Effekten gehört z. B. die Aufrechterhaltung von Strukturen (z. B. kann man sich darauf verlassen, dass es weiterhin Schulen gibt).
Ein anderer Aspekt zeigt, dass Systeme intern auf Veränderungen ihrer Umwelt reagieren und Integrationsleistungen erbringen (z. B. nehmen Schulen neues Wissen auf und verändern ihren Aufbau, ihre Lehrformen, wenn andere Bildungsergebnisse erwartet werden). Für soziale Systeme lassen sich darüber hinaus Ziele identifizieren (z. B. die Bemühungen der Schulleitung, das Niveau der Schülerleistungen zu heben). Nach Parsons (1951) erfüllen soziale Systeme vor diesem Hintergrund vier Funktionen:System und Umwelt
●Anpassung an die Umwelt (adaption),
●Zielverwirklichung (goal-attainment),
●Integration (integration) und
●Strukturerhaltung (latent pattern maintenance).
Parsons ordnet diese Grundfunktionen von Systemen entlang einer Innen / Außen–Dimension und einer zeitlichen Dimension, die das Problem der Bestandserhaltung umfasst. Aus der Kombination dieser beiden Achsen und den Anfangsbuchstaben der englischen Begriffe ergibt sich eine Vier-Felder-Tabelle: das AGIL-Schema.
Abb. 4: AGIL-Schema (nach Habermas 1980, 73)
Das AGIL-Schema bezeichnet allgemeine Problemstellungen für Handlungen von sozialen Systemen (Willke 1991). Heute stehen Konzepte der Theorieentwicklung im Vordergrund, die den Selbstbezug der Systeme stärker betonen. Stichworte dafür sind Selbstreferenzialität, Selbstorganisation, operationale Geschlossenheit und Autopoiese (siehe Kap. 2.3).
Eigenartigerweise hat gerade die Orientierung daran, Menschen helfen zu wollen, dazu geführt, dass sich im sozialen Bereich ein Systemverständnis durchsetzt, das gerade nicht Menschen als Elemente von Systemen betrachtet, sondern kleinere und anders geartete Einheiten zugrunde legt. Diese an Entscheidungen ausgerichteten Theoriebildungen arbeiten mit Kommunikation und dem Begriff der Operation. Systeme kommen demnach durch das Netz der sie erstellenden Operationen zustande. Systeme und Operationen stehen daher in einem zirkulären Verhältnis, d. h. Systeme führen Operationen aus und konstituieren sich zugleich durch diesen Vollzug. Durch das Zusammenhängen der Operationen und ihrer Fortsetzung entsteht eine Differenz von System und Umwelt. Nach diesem Verständnis stellen die Einheit der Operationsweise und ihre Fortsetzung die Grundlagen von Systemen dar. So ist es auch möglich, dass sich – obwohl dieselben Menschen in einem Raum sind – verschiedene Systeme beobachten lassen.Grundbausteine von Systemen
Das Zusammenspiel der Systeme
In der Trennungs- und Scheidungsberatung geht es z. B. einmal um Fragen der Versorgung und Erziehung der Kinder (Elternsystem) und dann um Fragen des ,Wir‘ in der Liebe (Paarsystem). Die Struktur der Sorgerechtsregelung sieht vor, dass die gemeinsame elterliche Sorge (Elternsystem) weiterbestehen kann, während die Partnerschaft der Eltern (Paarsystem) beendet wird. Die Differenz, dass das Elternsystem bestehen bleiben soll, während das Paarsystem zerfällt, kann in seiner Bedeutung mithilfe eines Systemverständnisses angesprochen werden, das die Fortsetzung von Operationen im Blick hat.
Welche Vorteile bietet letztgenanntes Verständnis von Systemen noch? Der Zwang entfällt, eine oder eine Reihe von bestimmten Funktionen zu beschreiben, die Systeme aufgrund ihrer Strukturen haben. Jetzt kann man davon ausgehen, dass sich Funktionen je nach Situation und Art der Beobachtung ändern können – denkt man z. B. daran, welche unterschiedlichen Funktionen die Zugehörigkeit zu einer Familie oder einem Verein für die unterschiedlichen Mitglieder hat und welche unterschiedlichen Effekte damit verbunden sind. Mit diesem Verständnis von Systemen ist man nicht mehr daran gebunden, alles, was ein System vollzieht, unter dem Aspekt des Selbsterhalts zu betrachten.Funktionen von Systemen
Schritte bei der Entwicklung von Systemtheorien (nach Baecker 2012, von den Autoren modifizierte Fassung):●Verständnis des Systems als Differenz und Selbsterhalt (Parsons),●Modellierung von Systemen anhand ihrer eigenen Funktionen und internen Zustände (v. Foerster),●Beschreibung der Schließung des Systems im Netzwerk der Elemente, aus denen es besteht und sich selbst erschafft (Maturana / Varela) und●zeitliche Begrenzung der Operationen von Systemen, die das Problem der Fortsetzung des Systems laufend sowohl stellen als auch lösen (Luhmann).
Überträgt man diese Themen auf die Soziale Arbeit, lassen sich verschiedene Herausforderungen beschreiben.
Auch Soziale Arbeit ist gezwungen, zu entscheiden, was (z. B. im Hinblick auf Aufgaben, Ziele, Situationen) zu ihr gehört und was nicht. In der Arbeit mit Familien muss beispielsweise stets neu bestimmt werden, ob Nachbarn an Gesprächen teilnehmen sollen oder ob es notwendig erscheint, über Generationsfragen oder kulturelle Aspekte zu sprechen. Soziale Arbeit hat mit dem zu tun, was sie aus ihren Traditionen, aktuellen Erfordernissen und Zielsetzungen für bedeutsam hält und realisieren kann. Anhand welcher Merkmale Soziale Arbeit ihre Komplexitätsreduktionen betreibt, muss sie selbst beobachten und reflektieren. Sie achtet darauf, ihre Arbeit und ihre Aufgaben so zu beschreiben, dass sie vorrangig von entsprechend ausgebildeten Sozialarbeitern ausgeführt werden. In ständig neu entstehenden Situationen muss sie sich bewähren und die Fortsetzung ihrer Leistungen ermöglichen.Entscheidungszwang der Sozialen Arbeit
1.1.4Systemtheorien – unterschiedliche Ansätze
In der Sozialen Arbeit sind mehrere Systemvorstellungen im Umlauf. Die verschiedenen Ansätze (Krieger 2010) finden unterschiedliche wissenschaftliche Anerkennung, legen verschiedene Vorgehensweisen und professionelle Selbstbilder nahe. Die weitreichenden Konsequenzen betreffen zentrale Arbeitsgrundlagen:unterschiedliche Systemtheorien
●Wie werden die Beziehungen zu den Adressaten und Klienten verstanden?
●Welche gesellschaftlichen Funktionen hat die Soziale Arbeit?
●Welche Bedeutung kommt normativen Grundlagen zu?
Eine erste Annäherung betrifft die Unterscheidung zwischen den Begriffen systemtheoretisch und systemisch.
DefinitionUnter dem Begriff systemtheoretisch fasst man eher den Bereich zusammen, der an der Theoriearbeit und der Reflexion ausgerichtet ist. Systemisch beschreibt dagegen den Bereich, der sich auf die praktische Veränderung von Systemen bezieht und unter dieser Perspektive auch Anregungen einbezieht, die aus verschiedenen Theorie- und Praxiszusammenhängen stammen.
Die zweite Annäherung bezieht sich auf den Zusammenhang von systemischem und konstruktivistischem Denken.
Definition:Mit dem Oberbegriff Konstruktivismus werden philosophische und erkenntnistheoretische Perspektiven bezeichnet, die betonen, dass die vom Menschen erkannten und beschriebenen Dinge und Sachverhalte nicht unabhängig von der Erkenntnisleistung sind.
Der hier vertretene Ansatz wird zu den systemisch-konstruktivistischen Theorien gezählt (Lambers 2018), der u. a. auf die Theorien sozialer Systeme von Niklas Luhmann zurückgreift. Sein Werk nimmt eine bedeutende Stellung ein, da seine Arbeiten auf der Beratungsebene (zum Teil über die Familientherapie) als Grundlage für Professions- und Reflexionstheorien Sozialer Arbeit (Bommes / Scherr 2012; Lambers 2010) und als Rahmentheorie Sozialer Arbeit (Schöning 2012) Eingang in die Debatten der Profession und Disziplin gefunden haben. Die Grundlagen unseres Ansatzes sind aber systemtheoretisch breiter angelegt und beruhen auf Ideen, Modellen und Theorien, die an folgende wissenschaftliche Diskussionen anschließen.systemisch-konstruktivistischer Ansatz
1.Konstruktivistischer Diskurs: Die Fragen, wie der Status unseres Wissens eingeschätzt werden kann und Wahrnehmungen so auf einander abgestimmt werden können, dass Prozesse der Verständigung und wechselseitigen Anerkennung möglich werden, leiten die Soziale Arbeit. Die prinzipiellen Annahmen des Konstruktivismus wurden in den Kognitionswissenschaften empirisch bestätigt (Singer 2002). Die Anschlüsse an die Diskussionen um die soziale Konstruktion von Wirklichkeit und die Selbstverantwortlichkeit von Klienten kann Soziale Arbeit auf der Basis konstruktivistischer Theoriebildung herstellen (Kraus 2013, 2019).2.Grundkonzepte der Systemischen Beratung und Therapie: Systemische Familientherapie ist ein wissenschaftlich anerkanntes Verfahren. Erfolge auch in herausfordernden Fällen erreichen zu können, hat den methodischen Ansätzen (Schlippe / Schweitzer 2016; Schwing / Fryszer 2015) auch zu einer hohen Bedeutung in der Sozialen Arbeit verholfen. Soziale Arbeit steht mit der Systemischen Therapie in einem fortlaufenden und wechselseitig gewinnbringenden Anregungsverhältnis.3.Interdisziplinärer Diskurs: Die hier präsentierten systemtheoretischen Positionen haben auch in benachbarten Wissenschaften Anerkennung gefunden (z. B. Soziologie, Psychologie, Pädagogik) und korrespondieren zu Auffassungen in den Fachgesellschaften Systemische Gesellschaft (SG), Deutsche Gesellschaft für Systemische Therapie, Beratung und Familientherapie (DGSF), Gesellschaft für systemische Pädagogik (DGsP).Wissenschaftliche Grundlagen
Welche Schwerpunkte kennzeichnen das hier vorgelegte Theorieangebot? Der Ansatz ermöglicht, ökologische Perspektiven, wie die Beziehungen zur Natur, dem Klimawandel und zu sozial-ökologischen Prozessen, einzubeziehen, ohne einen grundsätzlich anderen Theoriezusammenhang heranziehen zu müssen. Die weiteren Merkmale betreffen die Rolle der Selbstreflexion als Ausgangspunkt des theoretischen und praktischen Vorgehens sowie den Zusammenhang von systemtheoretischer und systemischer Perspektive.
Es hat Konsequenzen, die theoretischen Überlegungen beim Beobachter beginnen zu lassen. Systemische Konzepte, wie sie hier vertreten werden, lehnen sich nicht an die Vorstellung einer möglichst genauen Abbildung von ,objektiver Realität‘ an, auf denen dann aufgebaut werden kann. Sie beziehen den Prozess der Beobachtung viel mehr mit ein und verlangen eine Präzisierung von Beobachtung. Wichtig sind dabei vor allem die folgenden Fragen:Beobachtung als Startpunkt
●Welche Unterscheidung liegt einer Beobachtung zugrunde?
●Welche Konsequenzen sind mit dieser Beobachtung verbunden?
●Wer legt welche Beschreibung von sozialer Wirklichkeit mit welchen Folgen zugrunde?
Wesentlich ist uns, diesen Gedankengang auf Organisationen zu übertragen, da auch diese auf Beobachtungen und Unterscheidungen ihrer sozialen Umwelt aufbauen. Organisationen z. B. entscheiden, ob sie sich für Hilfeleistungen zuständig erklären oder nicht. Soziale Arbeit steht in der Verantwortung, ihre Unterscheidungen und Beobachtungen zu reflektieren, die ihrer Praxis zugrunde liegen.
Eine der grundlegenden Herausforderungen in der Praxis besteht darin, Soziales zu gestalten, ohne letztlich sicher sein zu können, wie etwas ist bzw. wirklich war. Ein Beobachter unterliegt keiner zwingenden Notwendigkeit, jeweils genau so und nicht anders zu beobachten. Denn soziale Systeme (ebenso wie soziale Situationen, soziales Handeln) lassen sich nicht voraussetzungslos erkennen, sondern ,nur‘ durch einen aktiven Akt entwerfen – und der kann nicht losgelöst von seinen Bedingungen verstanden werden.
Jeder Beobachtung liegt eine Unterscheidung zugrunde, die begrifflich gefasst werden kann (z. B. arm/reich, jung/alt, vorher/nachher, gut/böse oder normal/abweichend). Wer ,schön‘ sagt, muss eine Vorstellung von ‚hässlich‘ haben – unabhängig davon, ob er die Vorstellung explizit benennt oder nicht. Begriffe führen Unterscheidungen ein und führen die unbenannte Seite als aktualisierbare Möglichkeit der Bezeichnung mit. Die jeweiligen Wirklichkeitskonstruktionen sind nicht beliebig oder gar willkürlich, sondern voller Voraussetzungen und Auswirkungen. Die Autonomie und die Abhängigkeiten des Beobachters sind Teil der Theorie und bilden den Hintergrund für die Reflexion von Verantwortung.Bedeutsamkeit von Unterscheidungen
„Was ein Beobachter sieht und beschreibt, hängt nicht nur von seiner Theorie, sondern auch von seinem Beobachtungsstandort, seiner gesellschaftlichen Rollendefinition und dem institutionellen Rahmen der Beobachtung ab.“ (Simon 1993, 284)
Im Interaktionsgeschehen werden die Voraussetzungen ständig durch das Handeln anderer Personen und Organisationen beeinflusst. Diese erkenntnistheoretische Grundausrichtung ist wichtig, damit der Ansatz sozusagen nicht „frei in der Luft hängt“, ohne die eigenen Entscheidungen mit zu berücksichtigen (siehe Kap. 2.1).
Das zweite besondere Merkmal unseres Ansatzes liegt darin, dass er sich sowohl auf systemtheoretische Erkenntnisse als auch auf systemische Konzepte aus dem therapeutischen und beraterischen Umfeld bezieht. Wir plädieren dafür, die beiden unterschiedlichen Perspektiven aufeinander zu beziehen (Merten 1997; Kosellek 2009) und daraus Gewinne für die Soziale Arbeit zu entwickeln. Die These lautet: Je intensiver und differenzierter der Austausch von praktischen Erfahrungen und theoretischen Reflexionen – und umgekehrt – sein wird, umso deutlicher und schneller werden sich professionelle Erfolge für die Soziale Arbeit zeigen.Vorteil von Zusammenschau
Es wird deshalb eine Auswahl systemtheoretischer Begriffe, Konzepte und Theorien präsentiert, die dieses Vorhaben unterstützen. Der vorliegende Entwurf Systemischer Sozialer Arbeit bietet die Möglichkeit, die Arbeitskonzepte und praktischen Vollzüge von beiden Seiten her zu entwickeln und zu reflektieren und ihre Integration auf den Prüfstand zu stellen. Die vorgestellten Begriffe erlauben es, Gelingen als auch Misserfolg zum Ausgangspunkt professioneller Reflexion und Theoriebildung zu nehmen.So kann ein Beitrag zur Einheit der Sozialen Arbeit geleistet werden, da der Zusammenhang von Vollzug, Grenzbeobachtung (z. B. Erfolge oder Scheitern) und Theoriebildung analysierbar wird.
Zusammenfassung
●Systemtheoretisches Denken zeichnet sich als Denken in Relationen, mit Respekt vor Eigensinn und dem Blick auf Wirkungszusammenhänge aus.●Systeme existieren, sind wirksam und können beobachtet werden. Welche Systeme wie beobachtet und beschrieben werden, ist aber von Personen oder Systemen abhängig.●Systemisch-konstruktivistisches Denken hilft, Komplexität zu ordnen und die dabei vorgenommenen Beobachtungen und Entscheidungen der Reflexion zugänglich zu machen.●Systemtheoretische Ansätze sind in der personenorientierten Praxis (z. B. in der Beratung von Einzelnen, Familien und Organisationen), in der Reflexion der Praxis und in der Weiterentwicklung ihrer Theorien erfolgreich einsetzbar.
1.2Merkmale Systemischer Sozialer Arbeit
Wir wollen die systemische Herangehensweise so beschreiben, dass Raum für unterschiedliche Arbeitsfelder, methodische Konzepte und Ebenen der Intervention zur Verfügung steht. Für uns ist es systemische Praxis, wenn sich Soziale Arbeit auf eine Sicht- und Vorgehensweise stützt, dieDefinitionen
●sich auf Systeme bezieht, d. h. die Systemgeschichte einbezieht,
●Systeme in ihrem Eigensinn und ihren wechselseitigen Abhängigkeiten betrachtet,
●systemische Grundsätze des Vorgehens als Orientierung in der Praxis nutzt,
●sich selbst in die Beobachtung einbezieht und mit verschiedenen Systemen verbunden betrachtet und
●Systeme unter den Aspekten von sozialer Teilhabe beobachtet.
Die Frage nach typischen Merkmalen für eine Systemische Soziale Arbeit wird in diesem Text über die in Tab. 1 aufgeführten inhaltlichen Kriterien beantwortet.Merkmale und Inhalte
1.2.1Inhalt Systemischer Sozialer Arbeit
In den folgenden Textpassagen werden die analytischen Darstellungen mit inhaltlichen Hinweisen gefüllt, um Antworten auf die Fragen zu geben, wie sich eine Systemische Soziale Arbeit zugleich theoretisch und empirisch bestimmen lässt.
Tab. 1: Inhalte, Grundsätze und Ethik Systemischer Sozialer Arbeit
Inhalt Systemischer Sozialer ArbeitSystemische Grundsätze des VorgehensSystemische Ethik•Gegenstandsbestimmung der Sozialen Arbeit•Ort der Leistung•Art der Leistung•Theorieentwicklung und Reflexion•Forschung•Respekt und Bescheidenheit•Zirkularität und Vernetztheit•Leitdifferenz soziale Teilhabe•Ressourcen- und Lösungsorientierung•Kontextsensibilität•Reflexivität•Menschenbild•Wertschätzung•Soziale Gerechtigkeit•Nachhaltigkeit
Gegenstandsbestimmung
Soziale Arbeit beobachtet und beeinflusst soziale Situationen unter Bezugnahme verschiedener sozialer Entwicklungen und Systeme, umDimensionen Sozialer Arbeit
●den Handlungsraum der Adressaten und Klienten zu erweitern,
●auf der Ebene von Bund, Ländern und Kommunen soziale Leistungen zu erbringen und
●sich an der Entwicklung der Gesamtgesellschaft über Innovationen, Konflikte und Gesetze zu beteiligen.
Über den Gegenstand Soziale Arbeit verdichtet sich die fachliche Diskussion und es kommt zunehmend zur Klärung theoretischer und methodischer Positionen in der Wissenschaft der Sozialen Arbeit. Die Dimensionen, anhand derer Soziale Arbeit ihre Bezüge in der Praxis beobachtet und gestaltet, lassen sich systematisieren hinsichtlich
●Adressaten und Klienten (wie Lehrer oder Jugendliche),●Organisationen (wie Stadtwerke, Allgemeiner Sozialdienst),●soziale Räume (wie Stadtteilbezug oder soziale Netzwerke im Internet),●Funktionssysteme (wie Medizin, Recht, Politik) und●der Gesellschaft (wie Beiträge zur Sozialpolitik).
Bei dieser systematischen Dimensionierung des professionellen Handlungsspektrums handelt es sich um eine Orientierung für die Realisierung systemischer Handlungsmuster (siehe Kap. 3.2.3) und nicht um einen anzuwendenden ‚Handlungsbogen‘. Über die konkrete Ausgestaltung systemischer Praxis wird auf der Grundlage von Interpretation und Reflexion entschieden. Die Leistungen Sozialer Arbeit bestehen in der reflexionsbasierten Bezugnahme auf verschiedene Personen und soziale Systeme, um zusätzliche soziale Optionen und Teilhabechancen zu schaffen. Dieses Leistungsbündel wird von einigen Autoren mit dem Begriff Hilfe zusammengefasst (Baecker 1994; Weber /Hillebrandt 1999). Über Hilfe muss entschieden werden, wie anhand des folgenden Beispiels deutlich wird:
Streitet ein Klient mit einem Mitarbeiter einer Sozialbehörde, dann kann dieser Streit unterschiedlich interpretiert werden. Mögliche Interpretationsebenen wären z. B. die Persönlichkeit des Klienten, der soziale Nahraum des Klienten, die Interaktion von Klient und Sozialarbeiter, rechtliche Vorschriften, die beteiligten Organisationen, gesellschaftliche Teilsysteme (z. B. Wirtschaft, Recht), kulturelle Muster von Männern und Frauen.
An diesen Möglichkeiten der Ausdeutung knüpft Soziale Arbeit an. Sie übersetzt Seinsbeschreibungen in soziale Relationen, und wo andere Ansätze Probleme wie Dinge behandeln, führt sie Prozesse ein. Soziale Arbeit entscheidet wesentlich darüber mit, wem Hilfe wie, wann und wo gewährt wird. Über ihre Traditionen, Erfordernisse und Wertsetzungen verdichtet sie soziale Zusammenhänge zu ihrem Gegenstand. Da schwierige soziale Situationen in vielen verschiedenen Lebenslagen auftreten, ist es auch nicht verwunderlich, dass Soziale Arbeit so unterschiedliche Praxisausprägungen hat. Damit wird weder theoretisch noch praktisch eine Allzuständigkeit begründet. Aufgrund der Vielzahl von Akteuren, die am Aushandlungsprozess um Hilfe beteiligt sind, entsteht ein sich stetig wandelnder, aber nicht beliebiger Gegenstand sozialarbeiterischen Handelns.Dimensionierung von Praxis
Eine systemische Gegenstandsbestimmung der Sozialen Arbeit ist relational ausgelegt. Als Gegenstand wird eine abgegrenzte Kommunikation verstanden: Sie verknüpft die gesellschaftliche Ebene über eine Analyse von Aufgaben, Funktionen und Traditionen der Sozialen Arbeit mit einer organisations- und interaktionsbezogenen Ebene. Je nachdem, wie gut Personen der Anschluss an Interaktionen, Organisationen bzw. an gesellschaftliche Teilsysteme gelingt, werden ihre Chancen der Teilhabe am Sozialleben und an gesellschaftlichen Gütern verbessert. Dies wirkt sich auf die Selbstwahrnehmung und das Selbstmanagement aus. Mit systemtheoretischen Begriffen lassen sich die Verwirklichungschancen von Menschen präzise über die Teilhabebedingungen von Personen aus der Perspektive von Systemen analysieren. Gesellschaftliche Teilhabe vollzieht sich regelhaft über Organisationen und die Beteiligung an Kommunikation. Der Gesellschaft als Abstraktion kann man nicht ‚begegnen‘ – ihr auch nicht gegenüber stehen. Begegnen kann man Organisationen, und man kann über passende Kommunikationsmöglichkeiten verfügen oder nicht. Die Gegenüberstellung von Mensch und Gesellschaft macht aus systemtheoretischer Perspektive wenig Sinn. Die Perspektiven der Systemischen Sozialen Arbeit sind ausgerichtet auf Kommunikation, soziale Systeme und Organisationen. Das Selbstverständnis geht von der Sozialen Arbeit als einem Kommunikationszusammenhang aus, der sich als Lösung für die Probleme der modernen Gesellschaft etablieren konnte (Maaß 2009).soziale Teilhabe
Ort der Leistung
Der Ort der Leistung Sozialer Arbeit wird hier nicht als räumlicher Ort verstanden, sondern systemisch (relational) gedeutet und als zwischen den Systemen bestimmt (z. B. zwischen Klienten und einer Organisation). Soziale Arbeit steht in ihren Praxisvollzügen vor der Notwendigkeit vermitteln zu müssen und zu entscheiden, auf welche Systeme sie sich in ihrer Arbeit bezieht. Bei diesen Verknüpfungsentscheidungen und -leistungen zwischen Systemen ist ein hohes Maß an Wissen, kommunikativem Geschick und Verantwortungsübernahme erforderlich, um
●sich für Klienten engagieren zu können (Adressatenbezug),
●die eigenen Ressourcen effizient einzusetzen (Selbstbezug) und
●nachhaltige Lösungen mit gestalten zu können (Gesellschaftsbezug).
Soziale Arbeit hat es mit mehreren Beteiligten zu tun (z. B. mit Vertretern einer Kommune, Geldgebern, Bürgern, Klienten) und richtet sich an verschiedenen Personen und Systemen mit unterschiedlichen Geschichten, Besonderheiten und Erwartungslagen aus. Eine Voraussetzung, dass dies in der Praxis gelingen kann, besteht in der genauen Reflexion und Überprüfung von Kooperationen und Parteilichkeiten. Mehrere Auftraggeber und Auftragslagen zu haben, ist nicht ehrenrührig, sondern als normal erwartbar. Sowohl die Geber von Ressourcen (Geld, Zeit, Rechte) haben Interessen, wie auch die Nehmer (Soziale Arbeit, die Personengruppen und Organisationen, für die sie Leistungen erbringt). Bürger, Adressaten, Klienten begegnen sich als Gestalter und als Betroffene.zwischensystemische Stellung
Um zwischen den Systemen zu bleiben und erfolgreich an diese anschließen zu können, ist eine Kenntnis deren interner Logik notwendig. Deswegen fördert Wissen aus Gebieten wie Soziologie, Recht, Medizin, Wirtschaft und Psychologie die Kompetenz des Wahrnehmens, Erklärens, Verstehens, Bewertens und Handelns. Ebenso notwendig ist das Wissen um das Zusammenwirken unterschiedlicher Dynamiken in der Lebenswelt und der Lebenslage der Adressaten.Bedeutung anderer Gebiete
Ob auf der Ebene von Interaktion mit Adressaten oder auf der Ebene von Organisationssystemen: Soziale Arbeit ist auf Kommunikation angewiesen. Kommunikative Anschlussfähigkeit bildet die Plattform ihrer Leistungserbringung. Durch Selbstbeobachtung in der Praxis (z. B. im Rahmen von Supervision bzw. Evaluation) besteht die Möglichkeit, die eigene Positionierung zu prüfen, beschreibbar zu machen und diesen ‚nichtstationären Ort‘ auszuhalten.
Theorieentwicklung
Die systemtheoretische Ausrichtung erlaubt eine Vielzahl von theoretischen und praktischen Verbindungen und bezieht sich auf die Alltags- und Lebensweltorientierung wie auf Aspekte von gesellschaftlicher Beteiligung und Sozialer Gerechtigkeit (Ritscher 2020; Heiner 2004, 158). Der systemische Ansatz in der Sozialen Arbeit erarbeitet sich seine besondere Form in Abgrenzung zu anderen Ansätzen, auch zu paar- und familientherapeutischen, und ist unabhängig von soziologischen Analysen systemtheoretischer Art (Bommes / Scherr 2012).
Die Ansprüche an die Reflexionsleistung werden systemtheoretisch bestimmt und orientieren sich daran, dass Reflexionsleistungen geeignet sind, die Einheit des Systems einzubeziehen. Mit der Thematisierung der Einheit als Bezugsrahmen besteht die Möglichkeit der professionellen Selbstvergewisserung und der Weiterentwicklung. Theorien dienen nach unserem Verständnis dem Justieren von Grundüberzeugungen und Handlungsausrichtungen.Reflexionsleistung
Im Handbuch „Forschung für Systemiker“ (Ochs / Schweitzer 2012) weist Hollstein-Brinkmann darauf hin, dass systemische Forschung keine Verengung auf eine bestimmte Forschungsmethodik bedeutet, sondern durch eine spezifische systemtheoretische Fundierung gekennzeichnet ist. In Anlehnung an Schiepek (2010) nennt er als Gegenstand der empirischen bzw. theoretisch ausgerichteten Systemforschung die Struktur, Funktion und Dynamik von Systemen sowie deren Interaktionen und System-Umwelt-Relationen (Schiepek 2010). Für die systemische Forschung in der Sozialen Arbeit dimensioniert Hollstein-Brinkmann Forschungsmethodiken sowie drei Verständnisse empirischen systemischen Forschens. Diese werden über die Abb. 5 dargestellt.Forschungsmethoden
Abb. 5: Drei Verständnisse empirischen systemischen Forschens in der Sozialen Arbeit (aus Hollstein-Brinkmann 2012, 77)
Diese Dimensionen werden durch den Autor um zwei weitere ergänzt: um eine theoretische und historische und um die Dimension Praxisentwicklung und –reflexion (Hollstein-Brinkmann 2012). Konkrete Forschungsdesigns können sich z. B. auf komplexe Dynamiken von Inklusion und Exklusion oder auf Bedingungen für ‚best practice‘ hinsichtlich der Organisations- und Interaktionsformen Sozialer Arbeit beziehen.
1.2.2Systemische Grundsätze des Vorgehens
Die folgenden sechs Grundprinzipien veranschaulichen, woran systemische Praxis ausgerichtet werden kann (siehe Kap. 3). Je nach Arbeitsfeld und programmatischer Ausrichtung kommen die skizzierten Grundsätze des Vorgehens in unterschiedlicher Gewichtung zum Tragen.
Respekt
Systemisches Arbeiten erkennt die Autonomie und Eigendynamik der Systeme, mit denen sie arbeitet, an. Der damit eng verbundene sensible Umgang mit der eigenen Expertenschaft spiegelt sich in der Orientierung an Beteiligungsformen in Bezug auf Adressaten wider und in der Ausrichtung auf abgestimmte Hilfeprozesse. Die Ergebnisse von Hilfeprozessen können nur begrenzt vorhergesagt werden, da sie auf der Mitwirkung verschiedenster Akteure aufbauen. Respekt und Bescheidenheit sind notwendige Korrektive zu institutioneller Macht, Überlegenheit aus Expertenwissen und persönlichen Bedürfnissen. Die Haltung von Respekt und Bescheidenheit begünstigt, dass Adressaten Gegengewichte zu den Einflussmöglichkeiten von Sozialarbeitern und ihren Organisationen bilden können.persönliche Haltung
Zirkularität und Vernetztheit
Systemische Praxis arbeitet mit Kommunikation und deren Regeln und Mustern. So wird weniger die Suche nach der Problemursache, als vielmehr die Frage des Umgangs mit unterschiedlichen Ursachen- und Kausalitätsvorstellungen in der sozialen Praxis bedeutsam. Die Betrachtung von isolierten Problemen wird selten dem Zusammenwirken von Alltagserfordernissen, emotionalen und sozialen Erfahrungen und den Erfordernissen von Organisationen gerecht. Die Aufmerksamkeit wird auf Komplexität und Wechselwirkungen zwischen Systemen gelenkt (z. B. Familie – sozialer Raum – Erwerbsleben). Diese Perspektive ermöglicht, die Zirkularität und Vernetztheit sozialer Zusammenhänge zu erfassen.praktischer Umgang
Leitdifferenz sozialer Teilhabe
Als Leitdifferenz der Sozialen Arbeit wird aus systemischer Perspektive das Problem der sozialen Teilhabe oder Nicht-Teilhabe diskutiert. Nicht generell Defizite an individueller Kompetenz, Gesundheit oder Bildung lassen Soziale Arbeit notwendig werden. Erst wenn bestimmte Definitionsgrößen des sozialen Zugangs, der gesellschaftlichen Teilhabe an Gütern und der Eigenverantwortung unterschritten werden, wird Soziale Arbeit herausgefordert, Formen der Leistungserbringung zu prüfen. Soziale Teilhabe umfasst auch die Mitwirkung an der Gestaltung der Zukunft und gleiche Chancen für gesellschaftliche Anerkennung.Teilhabe oder Nicht-Teilhabe
Nicht Not, sondern soziale Gerechtigkeit ist konstituierender Bezugspunkt für die Soziale Arbeit (siehe Kap. 2.8 und 3.3.5). Die Begründung hierfür findet sich in den Aufgaben und Funktionen der Sozialen Arbeit:Ausgangspunkt Sozialer Arbeit
●Gewährleistung der Freiheitsrechte,
●Legitimation der Gesellschaftsform und
●Beitrag zur Transformation der Gesellschaft (Erath 2004).
Daraus ergeben sich die Legitimation und die Aufgabe, andere gesellschaftliche Bereiche wie z. B. den Arbeitsmarkt oder das Bildungswesen zu thematisieren. Die Übernahme sozialer Dienstleistungen und der damit verbundenen Kosten muss demokratisch legitimierbar sein.
Ressourcen- und Lösungsorientierung
In der Arbeit mit Klienten fokussiert eine systemische Vorgehensweise nicht nur auf Defizite und Probleme im Klientensystem, sondern auch auf vorhandene bzw. noch verdeckte Stärken, Kompetenzen, Ressourcen und Lösungspotenziale. Soziale Arbeit setzt bei der Orientierung an Lösungen sowohl an Personen als auch an deren Umwelt an (Eger 2015). Leitend in der Beziehung zu Klienten ist die Perspektive auf Lösungen im Sinne von Erweiterungen von Handlungskompetenzen, der Austauschbeziehungen und der Möglichkeiten sozialer Teilhabe. Der systemisch-konstruktivistische Ansatz bietet für eine Lösungsorientierung die passenden theoretischen Grundlagen.systemischer Fokus
Abb. 6: Zirkulärer Kreis positiver Rückmeldungen
Abb. 6 veranschaulicht stark vereinfacht eine zirkuläre Dynamik in Folge einer Orientierung an Bewältigungskompetenzen.
Kontextsensibilität
Systemische Praxis ist daran orientiert, sensibel mit dem Kontext jeden Verhaltens bzw. jeder Kommunikation umzugehen. Mit Kontext wird der Zusammenhang benannt, an denen Personen und Systeme ihre Entscheidungen ausrichten. Durch Kontextsensibilität gewinnt Soziale Arbeit Zugänge zu Sinn und zu Möglichkeiten der Veränderung. Verhalten kann vor einem bestimmten Hintergrund sinnvoll entschlüsselt werden (z. B.: Für welche soziale Situation aus der Vergangenheit könnte dieses Verhalten eine Antwort gewesen sein?). Die Frage, an welchen Kontexten Systeme ihre Entscheidungen und Handlungen ausrichten, bezieht sich u. a. auf soziale und gesellschaftliche Traditionen, Verhältnisse und Wertvorstellungen, Erfahrungen und Erwartungen. Mithilfe von Kontextsensibilität wird der Spagat zwischen Erfahrung und aktuellen Ausrichtungen bearbeitbar. Die ökologische Krise und der Klimawandel verändern den Gesamtkontext aller Gesellschaften auf der Welt.Ursache von Entscheidungen
Reflexivität
In der Sozialen Arbeit wird organisatorisch entschieden und methodisch gehandelt. Wirkungen werden beobachtet und bewertet. Alle diese Aktivitäten haben spezielle Voraussetzungen, Erfordernisse und Folgen, die reflektiert werden müssen. Da in der Praxis mehrere Themen und Beteiligte angesprochen werden, muss eine Auswahl getroffen werden: Wer, was, wie, wann und warum wird aktuell thematisiert? Diesen Selektionsprozess unter professionellen Gesichtspunkten zu gestalten, kann als Merkmal eigenständiger und verantwortungsvoller Praxis verstanden werden. Die Autonomie Sozialer Arbeit zeigt sich in Entscheidungen darüber, welche Wissensvorräte aus anderen gesellschaftlichen Bereichen Bedeutung erlangen sollen (z. B. aus der Medizin bei der Betreuung psychisch Kranker oder auffälliger Jugendlicher). Soziale Arbeit versteht sich aus den genannten Gründen als wissens- und reflexionsbasierte Wissenschaft und Praxis.reflexionsbasierte Wissenschaft
1.2.3Ökologische Herausforderungen und Systemische Ethik
Lebensfähige Einheiten können nur im Zusammenhang von Organismus und Umwelt existieren, so der Grundgedanke des Pariser Klimaabkommens. Der Klimawandel erfordert Reaktionen auf der Ebene der Menschheit zur natürlichen Umwelt. Bateson (1981) hat auf das Risiko des Abschmelzens der Eisberge hingewiesen und darauf, dass diese nicht diskutieren und kein soziales Gewissen haben. Die Antworten auf klimatische und ökologische Veränderungen müssen in sozialen Zusammenhängen gefunden werden. Sie können nicht aus der Natur abgelesen werden. Die Fähigkeit, Gefährdungen im Verhältnis von Gesellschaft und Natur zu realisieren, ist mit der gesellschaftlichen Möglichkeit der Erkenntnis und der Kommunikation verknüpft. Grundlegend ist, dass ökologische Fragestellungen bei den Systemen, die sich selbst beobachten und entwickeln, angesetzt werden müssen und „nicht bei einer zu unterstellenden Ontologie der Kausalität“ (Luhmann 1986, 29). Kausalität ist ein umkämpftes Gut (siehe Kap. 2.6).Ökologischer Wandel
DefinitionDer Titel „ökologisch“ soll beschreiben, dass ein Zusammenhang von Systemen erkennbar ist. Dieser realisiert sich über Informationen und Kreisläufe, wobei kennzeichnend ist, dass Aktivitäten eher durch das reagierende System als das auslösende System angeregt werden (Bateson 1981).
Die Klimaveränderungen führen zu sozialen Konflikten und die Möglichkeiten, darauf mit sozialer und wirtschaftlicher Flexibilität zu reagieren, sind höchst ungleich verteilt. Diese wird durch die Auseinandersetzungen um Antwortstrategien öffentlich. Die Gegensätze treffen konflikt- und folgenreich aufeinander, obwohl die Unterschiede zwischen Armut und Reichtum und unterschiedlichen Klassen in Deutschland vergleichsweise verdeckt sind. Die inhaltliche Struktur der Konflikte ist u. a. davon abhängig, welche Unterschiede, Risiken und Folgen wahrgenommen werden und welchen der Status verliehen wird, darauf reagieren zu müssen. Die Auseinandersetzungen konkretisieren sich in den Dimensionen Zeit, Inhalt und Raum, sowie den sozialen Konsequenzen und den Inhalten der Reaktion. Die Leitfragen und ihre Antworten: Wer hat welche Folgelasten zu tragen und wer hat Ansprüche auf Kompensation seiner Belastungen, ergeben sich aus den sozialen Konstruktionen mehrerer Akteure. Die Herausforderungen für die Demokratie sind hoch, da von unterschiedlichen Auswirkungen auf die Bedarfs-, Leistungs-, Geschlechter- und Generationengerechtigkeit auszugehen ist. Konflikte werden die gesellschaftlichen Kontexte bestimmen, und den demokratischen Institutionen kommt die besondere Bedeutung zu, diese im Rahmen demokratischer, ziviler Prozesse auszutragen. Repräsentanten einer naturwissenschaftlichen Logik können, gestützt auf ihre Beobachtungen und ihre Beobachtungsinstrumente, Folgeabschätzungen vertreten, treffen aber auf gesellschaftliche Gruppen und Teilsysteme verschiedenster Art sowie auf weit abweichende Vorstellungsgewissheiten („Gott hat mit uns vor …“). Es ist schwierig zu bestimmen, wer in der Gesellschaft eine anerkannte Rationalität verkörpert, um Entscheidungen mit weitreichenden Folgen zu treffen.
Für die Soziale Arbeit stellt sich die Frage, wie sowohl ihre Adressaten, die von ihr vertretenen Gruppen und sie als eigene ressourcenabhängige Professionsgruppe sich als Teil dieser Auseinandersetzungen verhält. Mit folgenden Fragen ist zu rechnen:Gesellschaftliche Orientierungen
●Mit welchen Argumenten kann Soziale Arbeit auf moralische Forderungen ebenso mit moralischen Forderungen antworten und – auf einer anderen Begründungsebene – mit Hilfe der Ethik deren Stellenwert bestimmen? Im konkreten Fall ist gerade ein verallgemeinernder Hinweis keine Gewähr dafür, dass nicht ein vergleichbarer Hinweis ein ebenso gewichtiges Argument darstellt.
●Warum soll das Glück oder die Not eines deutschen Bundesbürgers unter Menschenrechtsaspekten höher gewichtet werden als das einer Chinesin oder eines Polynesiers?
●Was ist das verbindende Element über die verschiedenen Ansprüche hinaus?
●Wie wird im gesellschaftlichen System eine Resonanz auf die Veränderungen der natürlichen Umwelt erzeugt, und wie erreicht diese Stimulanz das Teilsystem Soziale Arbeit und seine Adressaten? Die Resonanzfähigkeit der Gesellschaft ist mit der Art und Weise verbunden, wie sie Informationen filtert, verarbeitet und als Basis zur Entscheidungsfindung nutzt. Zu diesen Themen quer liegt die Differenzierung der gesellschaftlichen Systeme wie Wirtschaft, Recht, Bildung, Soziale Arbeit, Medizin. Die zentrale Frage bezieht sich auf die Repräsentation des Gesamtsystems, da Klimakatastrophen und ökologische Veränderungen das Gesamtsystem infrage stellen und eben nicht nur Teilsysteme betreffen. Diese wiederum sind aber in der differenzierten Gesellschaft Ansprechpartner und (Mit-)Gestalter von Lösungspfaden.
Die ökologischen Herausforderungen radikalisieren weitere Fragen:
1.Wie kann in einer differenzierten Gesellschaft, die von der Rationalität von Teilsystemen abhängig ist, schnell eine koordinierte Strategie gefunden werden, die sowohl die Folgen der Klimakatastrophe in den Blick nimmt als auch die Handlungen anderer Gesellschaften weltweit? Die Vorstellung, die Aufgaben der Gesamtrepräsentation an das politische System delegieren zu wollen, ist nachvollziehbar, aber in sich widersprüchlich, da die Selbständigkeit von Wissenschaft, Wirtschaft oder Sozialer Arbeit geradezu verlangt, benötigt und von den Systemen verteidigt wird.
2.Wie ist auf die zu reagieren, die sich nicht einer Gesamtperspektive verpflichtet fühlen? Systemtheoretisch gesprochen: Wie sind die Beziehungen zu sozial differenten Akteuren und Systemen zu gestalten? Welche Inhalte und Formen hat die Kommunikation mit denen, die sich den demokratischen Verfahren und den daraus resultierenden Vorschlägen für einen Konsens nicht anschließen wollen?3.Wie erlangen Werte eine relevante Bedeutung, wenn sie systemspezifisch in Organisationen interpretiert und umgesetzt werden? Dabei kann beobachtet werden, dass sie zum einen als „Sonntagsreden“ genutzt werden und zum anderen unausgesprochen im alltäglichen Vollzug der Entscheidungsfindung und Entscheidungsbegründung von Arbeitsabläufen stecken. Die typischen Kosten für die ethische Problemstellung liegen dort, wo berechtigte Interessen von Betroffenen in Organisationen nicht wahrgenommen oder bewusst ausgeblendet werden (Baecker 2018).
Wenn Umweltethik synonym mit Moral gesetzt wird, besteht die Gefahr, dass sowohl das Reflexionspotenzial der Ethik nicht genutzt wird als auch Ethik zu einer Ansammlung von Forderungen wird („Moralpredigt“). Erfahrungsgemäß treffen Forderungen dann auf andere Forderungen – Konflikte entstehen und Zeit vergeht. Der Schutz der Lebensgrundlagen gerät auf praktischer (finanzieller usw.) Ebene in eine konkurrierende Situation zu sozialen Ansprüchen, auch wenn lautstark das Gegenteil behauptet wird. Wenn Regionen die exzessive Ausbeutung der Natur aufgeben, wird der öko-soziale Wandel Gewinner, Unbeteiligte und Verlierer hervorbringen. Es gibt keine Garantie für eine Gleichverteilung von Belastungen und zu erwartenden Nutzen.Erfordernisse ethischer Verständigung
Mit welchen Qualitäten und Inhalten kann die Soziale Arbeit ihren Forderungen und Ansprüchen Legitimität verleihen? Die Soziale Arbeit arbeitet mit Beschreibungen von Not, Belastungen und Exklusionsrisiken und setzt so an der Seite der als „betroffen“ Bezeichneten an. Zu fragen ist, ob die Soziale Arbeit ihre Leistungen nicht für diejenigen zu begründen hat, die Nutzen vom angestrebten ökologischen Wandel haben. Eine Ethik, die ökologische Themen bearbeitet, wird sich aus ihrem Reflexionspotenzial heraus legitimieren und sich nicht mit der Voreinstellung auf eine Art Klagemauer abfinden. Die Frage nach der Einheit, die ermöglicht, Unterschiede und Differenzen auszuhalten und einen sozialen und konsensfähigen Weg zu finden, gerät in den Mittelpunkt der Herausforderungen. Eine ökologische Ethik setzt verschiedene berechtigte Ansprüche unter dem Gesichtspunkt des Überlebens in der natürlichen Umwelt miteinander in Beziehung. Der Weg über die Grenzen moralischer Empörung bzw. moralisch begründetem Anspruch hinaus bedarf einer Reflexionsebene, die sich auf die Einheit trotz Differenz bezieht. Die damit angesprochene Einheit ist auf die Zustimmung und Mitwirkung gesellschaftlicher Systeme und Personen angewiesen. Wie kann Soziale Arbeit erreichen, dass trotz der Differenzierung der sozialen Systeme und der Struktur der verschiedenen Systemebenen (z. B. in der Politik über Kommunal-, Landes-, Bundes- und Europapolitik) die berechtigten Ansprüche ihrer Adressaten gehört werden? Ohne Zustimmung sind die Zentralperspektiven wie Mensch, Zukunft, Rechte ziemlich wirkungslos. Eine ökologische Ethik ist im Sinne Batesons u. a. eine, die sich selbst als Teil des sozialen und kommunikativen Zusammenhangs versteht. Die ökologischen Probleme sind internationale – der Handlungsrahmen ist national; erforderlich sind weitreichende Maßnahmen. Die konkreten Einflussmöglichkeiten sind beschränkt; die Forderungen nach einheitlichem Handeln sind plausibel – die beteiligten Akteure handeln nach ihren Interessen: In all diesen Spannungsfeldern sind Organisationen wesentliche Mittler. Die Qualität und die Ausrichtung der Binnenbeziehungen der Organisationen tragen wesentlich zum Gelingen der notwendigen Veränderungsprozesse bei. Welche Merkmale für die Binnenbeziehungen in den Organisationen der Sozialen Arbeit kennzeichnen den systemischen Ansatz?
Aufgrund des Zusammenhangs von Beobachter und Beobachtungsgegenstand (siehe Kap. 1.1) kommt die erste Priorität der Reflexion der eigenen Beobachtungen und Beschreibungen zu. In der systemischen Praxis werden ständig Entscheidungen vorgenommen, die einer kontinuierlichen und systematischen Reflexion bedürfen – aus dem Ansatz lässt sich für die Soziale Arbeit weder eine Opferrolle noch eine Begrenzung auf die Helferrolle ableiten.Systemische Reflexionsangebote
Systemisch orientierte Soziale Arbeit orientiert sich an wertebezogenen Themen. Sprachlich wird oft zwischen Moral und Ethik nicht unterschieden. In systemischer Perspektive kann Moral als eine Form der Kommunikation verstanden werden, die auf die Unterscheidung von Werten abzielt, Ethik wiederum als die Reflexion von Moral (Luhmann 1989; Foerster 1993a; Kron-Klees 1998; Krüll 1987; Rotthaus 1996, Fuchs 2004b).Definition von Moral und Ethik
Menschenbild
Eine systemtheoretische Perspektive öffnet einen differenzierten und neuen Zugang zu Vorstellungen vom Menschen. Der ‚ganze Mensch‘ besteht aus einem gleichzeitig ablaufenden Zusammenspiel mehrerer eigenständiger Systeme (organisches, psychisches, soziales System). Diese operieren verschiedenartig und miteinander verbunden. Indem die einzelnen Systeme in der Theorie zunächst als konsequent getrennt voneinander behandelt werden, werden neue Möglichkeiten der Zusammenschau eröffnet. Der einzelne Mensch kommt erst vor diesem Hintergrund zu seinem Recht, als einmaliges Beziehungsgefüge mit einer Geschichte verstanden zu werden. Gesellschaftliche Zusammenhänge wie Sprache, kulturelle Erscheinungen und gesellschaftliche Machtverhältnisse werden so nicht dem Einzelnen oder der Gesellschaft alleine aufgebürdet. Die Systemtheorie stellt auf die Relation und die Analyse dieser Beschreibung ab (siehe Kap. 2.7). Die systemische Perspektive auf den Menschen ist zusammengesetzt aus:Zusammenwirken mehrerer Systeme
●dem Zusammenwirken von biologischem, psychischem und sozialem System,
●der individuellen Geschichte aus Zugehörigkeiten und Ausgeschlossensein von sozialen Systemen und
●den aktuellen Verbindungen (System-Umwelt-Relationen) des Menschen in seinem sozialen Raum.
Systemische Vorgehensweisen basieren auf einer wertschätzenden Perspektive gegenüber allen Beteiligten. Wertschätzende Handlungen (z. B. Komplimente oder positive sprachliche Beschreibungen) sind auf eine dazu passende Haltung angewiesen. Wertschätzung meint nicht, dass Problematisches oder Kritisches schöngeredet wird. Vielmehr geht es darum, den eigensinnigen Stilen von Menschen, ihr Leben zu bewältigen, prinzipiell mit Respekt zu begegnen und zu würdigen, dass damit auch Anstrengungen und Risiken des Scheiterns verbunden sind. Wertschätzung als grundlegende Haltung von Helfern ist unabhängig vom gezeigten Verhalten der Klienten und Adressaten. Helfer können z. B. nachvollziehen, erklären und verstehen, warum biografisch belastete Eltern ihre Kinder schlagen, ohne den Eltern gegenüber für dieses Verhalten Verständnis entgegen zu bringen. Wertschätzung ist also keine Akzeptanz oder Honorierung von bisher gezeigtem Verhalten, sondern stellt die Brücke für neues Verhalten dar, wenn Klienten dadurch die Möglichkeit geboten wird, über bisherige Formen der Problemlösung hinaus zu gehen. Wertschätzung als Haltung bezieht sich auch auf die eigenen Potenziale und Kompetenzen und auf kollegiale Formen der Unterstützung.Wertschätzung
Als ethischer Imperativ findet die Ausrichtung an der Erweiterung der Anzahl von Handlungsmöglichkeiten breite Anerkennung:
„Handle stets so, dass die Anzahl der Möglichkeiten wächst.“ (Foerster 1993b, 49)
Soziale Gerechtigkeit
Soziale Gerechtigkeit ist sowohl auf einen Begründungsdiskurs als auch auf einen Anwendungsdiskurs angewiesen. Die Grundfragen, nach welchen Prinzipien wir welche sozialen Verhältnisse als gerecht beurteilen und wie Umverteilungen vorgenommen werden sollen, betreffen die Soziale Arbeit unmittelbar. Beide Fragen sind gesellschaftlich hochstrittig. Soziale Arbeit fördert soziale Gerechtigkeit, indem sie es Menschen ermöglicht, an unserer Gesellschaft und ihren Ressourcen teilzuhaben und sie in demokratischen Verfahren mitzugestalten. Entsprechend mischt sie sich in normative Diskurse der Gesellschaft ein und beteiligt sich an Umverteilungsprozessen.Einmischung
Versteht man, wie Rawls (1979), Gerechtigkeit als erste Tugend sozialer Institutionen, wird deutlich, dass Gerechtigkeitsfragen nicht losgelöst von sozialen Systemen und Organisationen bearbeitet werden können.
Nachhaltigkeit
Eine lineare Logik der Sozialen Arbeit führt zu folgender Beschreibung: Anhand spezifischer Defizite (Auffälligkeiten) werden Zielgruppen bestimmt und spezielle Interventionsformen herausgebildet. Damit werden soziale Fragen mithilfe von defizitorientierten Beschreibungen auf eine ,technische Weise‘ behandelt und die Verantwortung für Lösungen den Adressaten und den Sozialarbeitern zugeordnet. Damit geraten jedoch strukturelle Bedingungen aus dem Blick (Castel 2008). Aus der Komplexität und Vernetztheit sozialer Verhältnisse und dem Finanzierungszwang ihrer Organisationen entstehen für die Soziale Arbeit Spannungsverhältnisse. Eine systemische Ethik richtet sich sowohl an aktuellen wie an längerfristigen Auswirkungen des Handelns aus und berücksichtigt die Risiken und Folgewirkungen in den miteinander verbundenen Personen und sozialen Systemen. Unter ethischen Aspekten sind nachhaltige soziale Entwicklungen zu fördern. Anstatt ‚schnelle Lösungen‘ zu favorisieren, kann geprüft werden, welche längerfristigen und anderweitigen Konsequenzen mit der angestrebten Lösung verbunden sind. Folgende Aspekte und Fragestellungen helfen, nachhaltige Handlungsperspektiven zu stärken und dienen als Orientierungshilfen:Kritik an linearer Logik
●Welche bisherigen Lösungsversuche können als gescheitert gelten?
●Welche unbeabsichtigten Nebenfolgen von Hilfe können in den Blick genommen werden?
●In welchem Systemzusammenhang ist ein Problem die Lösung eines anderen Problems?
●Auf welcher Systemebene lässt sich ein als Problem definierter sozialer Zusammenhang nachhaltig lösen?
Zusammenfassend lässt sich zu den ethischen Perspektiven der Systemtheorie in der Sozialen Arbeit folgender Hinweis geben:
Systemtheorie ist keine ‚kritische‘ Theorie in dem Sinne, dass sie vorab auf ein normatives Ziel ausgerichtet ist, sondern eine ‚kritisch nutzbare‘ Theorie.
Dies hat Vor- und Nachteile. Zu den Vorteilen gehört, dass die normative Zielsetzung, die der Theorieanwender unterstützen will, von ihm ausgewiesen, verantwortet und geleistet werden muss. Der Anwender bekommt nicht automatisch eine normative Zielsetzung mitgeliefert. Die Grundstruktur der Systemtheorie ist relational.Vorteile der Theorie
„Systemische Herangehensweisen zielen immer auf die Analyse und Beeinflussung von Beziehungen ab: Beziehungen zwischen sozialen Systemen (Einzelpersonen, Familien, Gruppen, Institutionen) und ihrer Umwelt.“ (Heiner 2004, 159)
Relationen konstituieren sich als ‚dazwischen Seiendes‘. Eine Beziehung ist nicht nur auf der einen oder auf der anderen Seite zu entdecken. Insbesondere normative Aussagen können daher erst im zweiten Schritt aus den vorangegangenen Beschreibungen abgeleitet werden – und sie verweisen auf den Autor der Beschreibung, wie nachfolgendes Zitat verdeutlichen soll:
„War die Sichtbarkeit des Pinselstrichs in der naturalistischen Malerei ein Hinweis auf technische Unfertigkeit, ist die Sichtbarkeit des Pinselstrichs als Pinselstrich in der abstrakten Malerei ein Hinweis auf die Konkretheit des Malens und die Beobachtung des Malers. Die Ästhetik der Systemtheorie ist dementsprechend eine Ästhetik des Pinselstrichs, d. h. sie bemüht sich erst gar nicht darum, den Gegenstand so aufscheinen zu lassen, wie er ist, weil er ja nur so ist, wie er theoretisch gemalt ist.“ (Nassehi 2003, 85)
Zusammenfassung
●Systemische Soziale Arbeit umfasst den Zusammenhang von systemischer Praxis und systemtheoretischen Interpretationen Sozialer Arbeit.●Systemische Soziale Arbeit begreift ihr Engagement als einen kommunikativen Zusammenhang für die Lösung spezifischer Aufgaben und Probleme der Gesellschaft – sie ist ein Teil der Gesellschaft und nicht außerhalb von ihr.●Systemische Soziale Arbeit berücksichtigt die Freiheit und die Unabhängigkeit der Adressaten, Klienten und Kooperationspartner und legitimiert sich über Beiträge zu demokratischen Diskursen.●Das systemische Vorgehen gründet in Respekt und einer am Dialog ausgerichteten Haltung sowie einer Orientierung an Ressourcen und Lösungen. Dabei wird das Zusammenwirken verschiedener Systeme berücksichtigt.●Systemische Soziale Arbeit reflektiert, dass Kontakte zu ihr sowohl positiv als auch negativ bewertete Folgen haben können, ebenso, dass sie selbst Menschen sozial ausschließt oder sich sozial negative Effekte zeigen können, und bezieht sich daher selbst ständig in ihre Analysen ein.
Einführung in die Systemische Soziale Arbeit

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