Читать книгу Der Glückspilz und andere Märchen - Wilhelm Ernst Asbeck - Страница 5
Der Glückspilz
ОглавлениеEs war einmal ein wilder, weiter Wald, in dessen Mitte sich eine Lichtung befand. Hier wohnten viele kleine Pilze. Alle trugen ein rotes Käppchen, aber einer unter ihnen überragte alle anderen an Größe, auch trug er einen scharlachroten Mantel und auf seinem Haupt ein rotes Krönlein mit weißen Tupfen. Er war der König der Pilze, und wem er wohlgesinnt war, vermochte er Glück zu spenden. Ihm zur Seite lag im Grase ein winziges Männlein. Es mußte uralt sein, denn sein Gesicht bestand aus lauter Runzeln und Falten. Im Sommer war es grün gekleidet. Selbst sein Antlitz, die Augen und der lange Bart nahmen dann diese Farbe an, so daß niemand es von seiner Umgebung zu unterscheiden vermochte. Es hieß Mucki-Pucki und war ein Waldgeist, der guten Menschen gern Beistand gewährte, schlechten aber mancherlei Schabernack spielte.
Unweit dieses Forstes befand sich ein Dorf. Es war in ein liebliches Tal inmitten baumbestandener Höhenzüge gebettet. Ein munteres Bächlein schlängelte sich hindurch, das mit lustigen Sprüngen über Steine und Felsgeröll setzte, und in dessen klarem Wasser Forellen wie Silberstreifen vorüberhuschten. An diesem Bach stand eine alte Mühle, die sich seit grauen Zeiten vom Vater auf den ältesten Sohn vererbt hatte.
An einem schönen Sommertag kam ein Bauer mit seinem Esel, der zwei prallgefüllte Säcke trug, von der Höhe zum Tal hernieder. Er wunderte sich nicht wenig, keine Seele im Dorf anzutreffen; nur von der Mühle klangen Geigentöne an sein Ohr, und eine Stimme sang ein altes Volkslied dazu. Er konnte sich schon denken, wer dort spielte und sang. Richtig, auf einem Mühlstein saß der Fiedelfritz und ließ den Bogen über die Saiten streichen, daß es eine Lust war, ihm zuzuschauen.
Dem Esel schien die Sache absonderlich. Er stieß ein langes „I“ hervor, fügte dann aber bewundernd sein „Ah“ hinzu.
Der junge Müllerssohn fuhr aus seinen Träumereien empor, legte sein Instrument beiseite, liebkoste den Grauen und reichte alsdann dem Besucher beide Hände, indem er ausrief: „Willkommen Lindenbauer!“
„Grüß Gott, Fiedelfritz, ganz allein auf weiter Flur?“
„Ihr müßt wissen, heut ist ein großer Festtag. Bruder Peter kehrt heim. Fünfzehn Jahre ist er fortgewesen, auf der Universität. Medizin hat er studiert. Nun hat er es aber geschafft und ist Doktor geworden!“
„So, so, hm, was lange währt, wird endlich gut. Und du? Du siehst doch auch nicht aus, als seiest du mit dem Dummbeutel geklopft.“
„Für einen von uns beiden reichte das Geld nur, und da der Peter der ältere ist, so hat Vater ihn auf die Hohe Schule geschickt und mich Müller werden lassen.“
Der Lindenbauer sah Fritz sonderbar an, runzelte die Stirn ein wenig und sagte: „So, so, ich dachte, was dem einen recht ist, sei dem anderen billig. Na, mir kann es ja gleich bleiben. Hier sind zwei Sack Korn, die ich gemahlen haben möchte.“
„Soll geschehen,“ antwortete Fritz, nahm die beiden Säcke und trug sie in die Mühle. Als er wieder ins Freie trat, wollte der Lindenbauer gerade davongehen. Fritz stieß einen Seufzer aus.
„Denkt Euch, ich bin noch nie aus unserem Dorf herausgekommen!“
„Ne so was! Ich mein: es müßt ein schlechter Müller sein, dem niemals fiel das Wandern ein!“
„Solange der Peter fort war, mochte ich es meinen Eltern nicht antun, sie allein zu lassen. Aber er wird ja jetzt im Dorf bleiben, und dann hoffe ich wandern zu dürfen.“
„Merk dir’s, Fritz: ein tüchtiger Spielmann ist überall gern gesehen, und wenn dich dein Weg zum Lindenhof führen sollte, vergiß nicht, mich zu besuchen! — Gelt, Grauer, auch der armen, kranken Trina würde eine Aufmunterung guttun?“
Der Esel blickte traurig drein, nickte mit dem Kopf und schrie gar kläglich „I - ah!“
„Ach, Eure Trina ist krank?“ fragte Fritz voller Teilnahme.
„Ja. Schon seit vielen Jahren.“
„Wenn ich Euch nur helfen könnte, wie gern würde ich’s tun!“
„Ach, Fritz, da kann kein Mensch mehr helfen. Gelt, Grauer?“
Der Esel schrie aus Leibeskräften: „I - ah! I-ah! I-ah!“ hob den Vorderfuß und deutete auf den jungen Müller.
„Ne so was! Der Graue meint, durch dich könnte der Trina geholfen werden!“
„Er wird den Bruder Peter gemeint haben.“
Langohr schüttelte energisch mit dem Kopf und zeigte erneut auf Fritz.
„Esel sind kluge Tiere! Da siehst du es selbst! Es sollte kein Schimpf, sondern ein Lob sein, wenn ein Mensch den anderen einen Esel nennt,“ sagte der Lindenbauer, und sein Grauer rief voller Begeisterung: „I-ah! I-ah! I-ah!“
Fiedelfritz blickte beiden sinnend nach, er wurde aber bald durch das Posthorn aus seinen Träumereien gerissen, und gleich darauf erscholl großer Jubel. Es währte nicht lange, und die ganze Dorfbevölkerung eilte herbei, in ihrer Mitte Doktor Peter und das Müllerpaar.
Fritz betrachtete den Bruder. Nein, der wollte ihm gar nicht gefallen. Er trug die Nase so hoch, als sei er ein Königssohn, und seine Kleidung war bunt und auffällig und paßte gar nicht in diese Umwelt hinein.
Jetzt pflanzte sich der dicke Dorfschulze recht breitbeinig vor dem Angekommenen auf.
„Herr Doktor,“ begann er, „es ist uns eine große Ehre, daß er, sozusagen, aus uns hervorgegangen ist. Wir alle wissen, wie gewissenhaft unser Peter schon als Schuljunge gewesen ist.“
„Jawohl,“ fiel ihm der spindeldürre Schulmeister ins Wort, „ich als Peters Lehrer kann es bezeugen: wozu andere Jungen ein Jahr brauchten, hatte er deren drei bis vier nötig!“
„Nun ist’s aber genug!“ rief Peter. „Schert euch nach Haus! Glaubt ihr dummen Bauern, ich habe so viel Weisheit gesammelt, um sie bei euch zu verschwenden? Ich werde künftig nur noch an Fürsten- und Königshöfen weilen!“
Der Schulze wollte dem aufgeblasenen Burschen gerade über den Schnabel fahren, als dreimalige Trompetenstöße ertönten, und auf reichgezäumtem Pferd ein Herold erschien. Er entfaltete ein Pergament und verkündete mit lauter Stimme:
„Unser Landesherr, König Gundermann, tut hiermit kund und zu wissen, daß sein Töchterlein, Prinzessin Goldhaar, schwer erkrankt ist. Sie lacht nicht, tanzt nicht, singt nicht und kann sich an nichts erfreuen. Wer da glaubt, dem Prinzeßlein wieder ein Lächeln auf die Lippen zaubern zu können, ist am Königshof willkommen, und wenn es der Geringste unter des Königs Untertanen wäre. Sollte jemand dem Prinzeßlein den Frohsinn wiederschenken, so erhält er einen Sack, gefüllt mit blanken Goldstücken, und findet Goldhaar Gefallen an ihm, soll er sogar des Königs Eidam werden!“
Kaum hatte der Herold seine Botschaft vorgelesen, als Peter ausrief: „Das ist mein Fall! Ich werde des Königs Eidam werden!“
Der Schulze war entschieden anderer Ansicht, lachte geringschätzig und entgegnete: „Du des Königs Eidam? Nichts kannst du, als prahlen!“ und zum Müller gewandt, fügte er hinzu: „Wegen der fälligen Pacht spreche ich nachher bei Euch vor.“ Dann ging er ohne Gruß davon, und alle Dorfbewohner folgten ihm.
Der Müller schüttelte betrübt den Kopf. Nun, nachdem sich die Menschen verlaufen hatten, fand auch Fritz endlich Gelegenheit, seinen Bruder zu begrüßen. Er wurde sehr von oben herab abgefertigt.
„Komm, mein Junge,“ sagte die Müllerin, „die beste Stube haben wir für dich eingeräumt.“
Peter machte eine abwehrende Bewegung. „Ich muß euch gleich wieder verlassen, damit mir niemand an König Gundermanns Hof zuvorkommt. Aber ihr versteht, bei Hofe muß ich standesgemäß auftreten, das kostet viel Geld, viel Geld!“
Der Müller kratzte sich hinter den Ohren. Er beteuerte, daß er kein Geld mehr habe, ja, sogar die Mühle verkaufen mußte und jetzt nur noch Pächter sei.
„Nun,“ antwortete Peter, „so muß ich mich mit der im Hause befindlichen Pachtsumme begnügen.“
Davon wollte der Müller nichts wissen, und auch Fritz bestand darauf, daß der Schulze zu seinem Recht kommen müsse. Peter wußte aber seine Eltern zu überreden, indem er ihnen vorhielt, sie würden den Betrag in Kürze zurückerhalten und dürften ihm doch solcher Kleinigkeit halber seine glänzende Zukunft nicht verderben. Kaum hatte er jedoch den gefüllten Beutel in der Hand, so sagte er hastig Lebewohl und machte sich eilends aus dem Staube.
Es währte nicht lange, und der Schulze trat ins Zimmer. Als er erfuhr, daß Peter mit der Pacht auf und davongegangen sei, ward er fuchsteufelswild und rief: „Bis der Peter den Betrag zurückzahlt, würde ich warten können, bis Ostern und Pfingsten auf einen Tag fallen! Darauf lasse ich mich nicht ein. Oft genug hat’s mich geärgert, wie ihr eurem Ältesten immer mit vollen Händen gegeben habt und für euren Jüngsten nichts übrig hattet.“
Da zeigte Fritz auf seine Fiedel, beruhigte den Schulzen und erzählte, wie der Lindenbauer ihm gesagt habe, einem Spielmann stehe die ganze Welt offen. Er wolle jetzt hinausziehen. In Jahresfrist käme er wieder, bis dahin möge sich der Schulze noch gedulden. Nach einigem Zögern war der mit dem Vorschlag einverstanden, und am anderen Morgen, bei Sonnenaufgang, trat Fiedelfritz frohen Herzens seine Wanderschaft an.
Kehren wir zu Peter zurück. Er marschierte hocherhobenen Hauptes, ohne auch nur einen der Dorfbewohner anzusehen oder zu grüßen, durch seinen Heimatort. Als er einige Stunden rüstig ausgeschritten hatte, kam der große, weite Wald in Sicht. Gern würde er einen anderen Weg gewählt haben, denn er wußte, daß es dort nicht recht geheuer war, und allerlei spukhafte Geister ihr Wesen treiben sollten. Ihm blieb jedoch keine Wahl, wenn er zu König Gundermanns Hof wollte, so mußte er durch diesen tiefen Forst.
Um sich Mut einzuflößen, stimmte er wüste Lieder an, und da er vierzehn Jahre studiert hatte, war er darin besser bewandert als in der medizinischen Wissenschaft. Zum Takt schwang er seinen dicken Knotenstock und schlug bei der Gelegenheit Zweige von den Bäumen und den am Saumpfad wachsenden Blümchen die Köpfe ab.
Die Vöglein flatterten erschreckt in die Gipfel der Buchen und Tannen, und das Wild flüchtete entsetzt in das dichteste Unterholz.
Der wüste Gesang drang bis zu des Pilzkönigs und Mucki-Puckis Ohren. „Wer stört denn in so frevelhafter Weise die heilige Stille des Waldes?“ fragte er entrüstet.
„Das muß ein schlimmer Bursche sein!“ antwortete das Männlein mit dem Krönchen.
„Na warte, dem werde ich heimleuchten!“ sagte der Waldgeist und stellte sich hinter einen dicken Stamm.
Die kleinen Pilze, die eben noch einen lustigen Reigen aufgeführt hatten, blieben vor Schreck wie gebannt stehen.
Auch Peter stockte plötzlich mitten im Lauf. Er hielt die Hand vor Augen und sprach:
„Da mein ich doch eben ganz deutlich gesehen zu haben, wie lauter kleine Pilzmännlein auf einem Bein tanzten, und wie ich gerade richtig zugucken will, ist alles vorbei. Das ist doch zu dumm!“
Mucki-Pucki rief aus seinem Versteck: „Du dumm!“
Peter sah sich erstaunt im Kreise um, da er aber niemand entdecken konnte, fragte er: „Wie war das? Ich dumm? Ist hier jemand, der mich narrt?“
„Na wart!“ tönte es zurück.
„Bleib er mir gewogen!“ schrie Peter voller Zorn.
„Gelogen!“ gab Mucki-Pucki prompt Bescheid.
„Meint er mich?“
„Ja, dich!“
Ganz entsetzt entfuhr es Peter: „Wie, er weiß, daß ich gelogen?“
„Und betrogen!“ ward ihm zur Antwort.
Peter wurde die Sache unheimlich. Er fragte voller Furcht: „Das weiß er auch?“
„Das auch!“ rief Mucki-Pucki, der seinen Spaß daran hatte, dem üblen Burschen einen kräftigen Denkzettel zu geben. Dem schlotterten bei seinem schlechten Gewissen vor Angst die Knie, und gar kläglich kamen ihm die Worte über die Lippen: „Aber das weiß doch keiner!“
Der lustige Waldgeist erwiderte übermütig:
„Doch einer!“
Nun packte den Wichtigtuer die Wut „Ah, jetzt habe ich die Richtung der Stimme heraus!“ schrie Peter.
Vor dem Pilzkönig blieb er stehen, hob drohend seinen dicken Knotenstock und schimpfte: „Da hab ich also den Frechdachs! Warte, mein Junge, das soll dir schlecht bekommen!“ und ehe das Pilzlein sich dessen versah, schlug er ihm das Krönlein vom Kopf.
„Halt ein! Halt ein! Schlag mich nicht! Wenn du mich ferner schlägst, verscherzt du dein Glück, ich bin nämlich der Glückspilz!“
Peter lachte höhnisch auf: „Ein Hanswurst bist du!“ Schwuppdiwupp, da lag das arme Pilzlein hilflos am Boden und rief: „Nun hast du dein Glück verscherzt!“
Der Grobian lachte den Ärmsten noch aus und verspottete ihn, hatte aber nicht bemerkt, daß sich Mucki-Pucki auf den Boden geworfen hatte, und stolperte nun über den Grünen. Der hielt den der Länge lang Hingefallenen am Hosenboden fest und zog ihm den Beutel mit Geld aus der Tasche, den er ins Gras warf. Ehe Peter recht wußte, was geschehen war, hatte sich Mucki-Pucki aus dem Staube gemacht.
Mühsam erhob sich Peter. Sein Knie schmerzte. Er humpelte. „Ich bin in einen Zauberwald geraten und wurde verhext,“ schrie er kläglich, „ach, wär ich erst mit heiler Haut hier heraus!“
„Raus! Raus! Raus!“ tönte es ihm von allen Seiten entgegen. Er lief so schnell er es nur vermochte. Der Wind fuhr durch die Bäume und pfiff ihm ein lustiges Lied, und alle Zweige schlugen auf Peters Rücken den Takt dazu. Als er endlich das Ende des Forstes erreicht hatte, war er grün und blau geprügelt und konnte sich kaum mehr auf den Beinen halten.
Am anderen Tag hallte eine helle, fröhliche Stimme durch Busch und Laub, und die Klänge einer Fiedel begleiteten sie. Lauter liebe alte Volkslieder erklangen.
Alle Vöglein und alles vierbeinige Getier wurden angelockt und begleiteten den Wanderer, und die Pilzlein hüpften im Kreise herum, daß es eine helle Freude war, ihrem Reigen zuzuschauen. Als der Fiedelfritz — denn wer sollte es sonst wohl sein? — das sah, setzte er den Bogen an und spielte: „Ein Männlein steht im Walde“, und da tanzten die kleinen Rotkäppleinträger noch einmal so munter darauf los.
Mitten im Spiel stockte Fritz. Er sah den hilflos am Boden liegenden Pilzkönig, richtete ihn sorgsam auf, holte auch das Krönlein herbei und setzte es ihm aufs Haupt.
„Bist du ein hübsches Kerlchen,“ sagte er, „schaust wie ein König aus!“
„Ich bin doch auch der König aller Pilze, und da du mir, einem Glückspilz, geholfen hast, wirst du selber künftig vom Glück begleitet sein!“
Kaum waren die Worte gesprochen, da stieß Fritzens Fuß gegen etwas Hartes, und wie er es aufhob, hatte er den Beutel mit der Mühlpacht in Händen. Aber statt sich zu freuen, machte er ein betrübtes Gesicht und sagte: „O, ich Unglücksrabe, kaum habe ich meine Wanderung begonnen, schon muß ich wieder umkehren!“
„Warum denn?“ fragte Mucki-Pucki.
„Ich muß doch die Pacht im Hause abliefern!“
„Dummbart, das hat doch ein volles Jahr Zeit!“
Das leuchtete Fritz ein. Daran hatte er gar nicht mehr gedacht.
Nun kam der Pilzkönig angehüpft und sprach: „Mein lieber Junge, weil du gut und hilfreich zu mir gewesen bist, möchte ich auch dir eine Freude bereiten. Wie denkst du darüber, wenn künftig jeder nach deiner Fiedel tanzen muß, so oft du es wünschest?“
„Das wäre freilich die lustigste Sache der Welt,“ entgegnete Fiedelfritz, aber es klang ein wenig ungläubig.
Das Pilzlein hörte wohl den Unterton heraus und meinte: „Versuch’s nur einmal!“
Das ließ Fritz sich nicht zweimal sagen, er setzte die Fiedel an, spielte eine lustige Weise und rief: „Ich wünsche, daß alle Bewohner des Waldes einen Reigen nach meiner Melodie tanzen!“
Da entstand plötzlich auf der Lichtung ein buntes Gewimmel; aus den Blumen schlüpften zierliche Elfen, alle Käfer und Insekten eilten herbei, Rehe, Hirsche, Füchse, Wildschweine, Dachse, Hasen kamen gelaufen, und in der Luft schwirrten die Vögel. Mucki-Pucki hatte das Pilzköniglein umgefaßt und eröffnete mit ihm den Reigen.
Ei, war das ein fröhliches Drehen und Wiegen, und alle summten, surrten oder brummten, so gut sie es vermochten, zum Takt der Geige die lieben alten Kinderliederweisen, die der Fritz unermüdlich aufspielte.
Endlich wurde ihm der Arm lahm, und er setzte den Bogen ab. Alle dankten ihm und behaupteten, so schön hätten sie nie zuvor getanzt und baten, er möge doch bei ihnen bleiben. Da auch der Pilzkönig und Mucki-Pucki ihn einluden, ihr Gast zu sein, so willigte er gern ein. An jedem Morgen lachte die Sonne und freute sich zu dem lustigen Treiben in der Waldlichtung.
Wie lange Fiedelfritz dort geweilt hatte, vermochte er nicht zu sagen, denn die Tage vergingen ihm wie ein schöner Traum. Als er endlich aufbrach, begleiteten ihn alle Bewohner des Waldes und wünschten ihm Glück.
„Daran wird es ihm nicht fehlen,“ sagte Mucki-Pucki, „denn wen das Glückspilzlein begleitet, dem kann kein Unglück zustoßen!“
Und wirklich, der kleine Pilzkönig wich künftig nicht mehr von Fritzens Seite, er begleitete ihn, wohin er immer den Fuß setzen mochte.
Kehren wir zurück zum Peter. Am zweiten Tag seiner Wanderung war er abends hungrig und durstig auf dem Lindenhof eingekehrt und von dem gutherzigen Bauer aufs beste bewirtet worden. Als Peter sah, daß er sich hier an einem Ort befand, an dem Wohlstand herrschte, und obendrein hörte, Trina, die Bäuerin sei krank, da lachte ihm das Herz im Leibe, denn er hoffte, den guten Leuten manches Goldstück aus der Truhe locken zu können.
Ein voller Monat war ins Land gegangen, da saß eines Morgens der Bauer mit seiner Frau auf der Rundbank unter der großen Linde. Die Pfeife war längst ausgegangen und hing ihm schief im Mundwinkel, ein untrügliches Zeichen, daß er schlechter Laune war.
„Trina,“ begann er, „ich war so froh, als der Doktor zu uns kam, und glaubte seinen hochtönenden Versprechungen. Geholfen hat er nicht, stattdessen läßt er sich das Beste aus Küche und Keller geben, trinkt uns unseren Wein aus und prahlt, er sei es gewohnt, an Fürsten- und Königshöfen zu verkehren. Ich glaube, er ist nichts als ein Windbeutel!“
„Das habe ich längst festgestellt, aber weil du so große Hoffnung auf seine Heilkunst setztest, wollte ich sie dir nicht rauben,“ sagte die Bäuerin.
Peter, der unbemerkt herbeigekommen war, wurde unfreiwillig Zeuge dieser Unterredung. Er setzte eine hochmütige Miene auf, trat hervor und sprach:
„Undank ist der Welten Lohn, ich will aber nicht Gleiches mit Gleichem vergelten. Wenn du auch kein gebildeter Mann bist, Lindenbauer, so viel mußt du doch verstehen, daß man nicht in einem Monat heilen kann, was in hundert Monaten versäumt wurde. Ihr braucht jedoch deswegen nicht den Kopf hängen zu lassen, denn ich habe meine Nachtruhe geopfert und aus den kostbarsten und heilkräftigsten Kräutern des Orients einen Wundertrank gebraut, der unfehlbar hilft. Ich will ihn Euch für ein Spottgeld überlassen, nur ein lumpiges Goldstück sollt Ihr dafür bezahlen.“
Ganz langsam erhob sich der Lindenbauer von seinem Sitz: „So, so, Herr Doktor, nur ein ‚lumpiges‘ Goldstück? Nun, da will ich Euch lieber in frischgeschlagener Münze zahlen!“ Sprachs, holte einen dicken Eichenknüppel hervor und gerbte dem Peter nicht übel das Fell, indem er rief: „Da, Herr Beutelschneider, frischgeschlagene Münze!“
Diesmal war es dem Peter noch schlimmer ergangen, als im Walde. Er war froh, als er zum Tor des Lindenhofes hinaus war, und der erzürnte Bauer ihm seine sieben Sachen auf die Landstraße warf. Wie zum Hohn tönte ihm der Klang einer Fiedel ins Ohr.
Peter humpelte schnell davon. Kaum war er um die Wegbiegung verschwunden, da tauchten von der entgegengesetzten Richtung Fiedelfritz und das Glückspilzlein auf.
Der Lindenbauer steckte den Kopf zum Tor hinaus, und als er den Müllersohn daherkommen sah, lief er ihm entgegen und rief ein über das andere Mal: „Das ist aber lieb von dir, daß du Wort gehalten hast! Nun mußt du auch unser Gast bleiben!“ Auch Trina freute sich, den lustigen Gesellen kennenzulernen.
Eine fröhliche Zeit begann. Am Tage machte Fritz sich nützlich, packte überall an, wo es etwas zu tun gab, und nach Feierabend saß er mit den beiden Alten auf der Bank unter der Linde und spielte ihnen auf seiner kleinen Geige liebe, bekannte Lieder vor und sang dazu.
Eines Tages sagte Fritz zum Pilzkönig: „Mich dauert die arme Trina so sehr, gibt es denn kein Mittel, sie von ihrer Lähmung zu heilen?“
Da setzte der Kleine ein verschmitztes Lächeln auf und antwortete: „Du selbst hältst es in der Hand“, und der Esel, der sich bei ihnen befand, schrie ein über das andere Mal: „I-ah! I-ah! I-ah!“
„Ich?“ fragte Fritz verwundert.
„Ja, du! Wenn du heute abend fiedelst, so wünsche dir heimlich, daß Trina dazu tanzen soll, du mußt jedoch langsam und sinnig mit deinem Spiel beginnen.“
Als nach vollendetem Tagewerk die drei Menschen und das Glückspilzlein wieder unter der Linde saßen, begann Fiedelfritz ganz zart die Saiten zu streichen und tat dabei, wie ihm gesagt worden war. Es währte nicht lange, da machte Trina einige Bewegungen, die an einen Vogel erinnerten, der fliegen wollte. Die Augen des Lindenbauern wurden immer größer, als er nun sah, wie seine Frau sich langsam erhob. Anfangs waren ihre Bewegungen noch unsicher und schwankend, aber allmählich wurden sie immer sicherer, und schließlich begann sie die Füße im Takt zu bewegen.
Langsam, fast unmerklich, steigerte Fritz das Tempo, und Trina drehte sich dazu im Takt.
Dem Lindenbauer blieb vor Staunen der Mund weit offenstehen, dann erhob er sich, faßte seine Trina unter, und jetzt spielte Fiedelfritz: „Ringel-Rangel-Rosenkranz, ich tanz mit meiner Frau“, die Melodie allmählich schneller und schneller werden lassend, bis beide wie verjüngt über die Wiese wirbelten.
Die Musik verstummte.
Arm in Arm gingen Bauer und Bäuerin zu dem lustigen Spielmann zurück. Sie konnten das große Wunder gar nicht fassen. So viele hatten all ihre Kunst vergeblich aufgeboten, und nun kam ein einfacher Müllergeselle mit einem unverdorbenen Herzen und fröhlichem Gemüt daher, setzte seine kleine Geige an und fiedelte die Lahme im Handumdrehen gesund!
Die beiden Alten wollten den lieben Gast nun gar nicht wieder fortlassen, aber endlich war doch die Abschiedsstunde gekommen, und da es für das Glückspilzlein gar zu beschwerlich war, so weite Wege auf einem Bein zu hüpfen, hatte es sich auf Fritzens Hut gesetzt, die breite Krempe als Fußschemel benutzend.
Die Bauersleute hatten Fritz Geld geben wollen, doch davon wollte er nichts wissen, heimlich hatten sie ihm aber doch einen mit Goldstücken straffgefüllten Beutel in den Ränzel gesteckt.
Die Mär von Trinas wunderbarer Heilung verbreitete sich wie ein Lauffeuer, und mancher Kranke wurde noch durch Fritzens lustige Fiedel geheilt.
Peter hatte sich inzwischen an König Gundermanns Hof begeben. Durch sein großspuriges Auftreten und durch die Behauptung, ihm wäre es ein Leichtes, die Prinzessin von ihrer Schwermut zu heilen, war es ihm gelungen, die eitlen Hofherren und -damen für sich einzunehmen. Ganz besonders erfreute er sich der Unterstützung und des Schutzes des alten klapperigen Oberhofzeremonienmeisters, des Freiherrn von und zu Knickebein. Nur der Narr konnte ihn nicht ausstehen, und, was Peter besonders kränkte, auch Goldhaar hatte kein Vertrauen zu ihm.
Monate waren ins Land gegangen. Trotz aller Kuren und Medikamente blieb die Prinzessin traurig wie bisher, auch wurden ihre Wangen zusehends schmaler und blasser. Dem König ging das Leid seiner Tochter so zu Herzen, daß er selbst schwermütig wurde.
Als Goldhaar eines Tages wie ein Schatten durch den Park schlich, niemand um sich duldete und sich zu dem abgelegensten, wilden Teil am Weiher begab, war ihr der Narr heimlich gefolgt. Er wollte die Ursache ihres Kummers ergründen und hielt sich im dichtesten Strauchwerk verborgen. Es dauerte auch nicht lange, da knackte es in Busch und Ast, und ein Riese, mit einem langen, wilden Bart, einem schrecklichen Angesicht, aus dem zwei kleine, böse Augen blickten, erschien.
„Schau, Goldhaar, da bin ich,“ rief der Unhold, „hast mich wohl schon erwartet, mein Püppchen?“
Die geängstigte Prinzessin machte eine hilflose, bittende Bewegung, aber der Riese lachte nur höhnisch und wollte sie an sich ziehen. Da stürzte der Narr aus seinem Versteck hervor.
„Du rührst Goldhaar nicht an!“ schrie er. „Wer bist du, der es wagt, in des Königs Park einzudringen, und was suchst du hier?“
„Ich bin der Riese Raufebold. In einer Woche ist das Jahr um, daß ich Goldhaar zum erstenmal sah. Wenn sie mir dann nicht freiwillig auf meine Burg folgen will, so hole ich sie mir mit Gewalt!“
„Und du ungehobelter Geselle glaubst, daß König Gundermann das dulden würde?“
„Ich werde ihn lange fragen! Da sieh!“ Bei diesem Ausruf packte Raufebold einen Baum und brach dessen Stamm mitten durch.
„So würde ich die Säulen des Palastes zerbrechen, wenn man mir Widerstand entgegenzusetzen wagt!“
Der Narr hatte sein Schwert aus der Scheide gerissen und nach dem Riesen gestochen. Der stimmte ein dröhnendes Gelächter an und rief: „Du bist wirklich ein rechter Narr, denn sonst müßtest du wissen, daß ich unverwundbar bin. Berichte deinem König, daß ich in einer Woche komme, sein Töchterlein zu holen!“
Wieder krachte es in Busch und Zweig. Mit dröhnenden Schritten ging der Unhold davon.
Goldhaar hatte die Hände vors Gesicht geschlagen und weinte. Der Narr versuchte vergeblich sie zu trösten. Da wuchs plötzlich ein wunderschönes Pilzlein mit einer Krone auf dem Haupt vor ihnen aus dem Erdboden empor und sprach mit einer feinen, wohlklingenden Stimme: „Zage nicht, Goldhärchen, wo ich bin, ist auch das Glück zu Hause. Gib nur sorgsam acht, in wenigen Tagen wird es mit Spiel und Sang seinen Einzug halten!“
Bevor das erstaunte Prinzeßlein antworten konnte, war das rote Männlein wieder im Erdboden verschwunden, und zum erstenmal seit Goldhaars Begegnung mit Raufebold wich dieses furchtbare Angstgefühl von ihr, und sie faßte wieder Hoffnung. Tag für Tag wartete sie jetzt, daß das Glück mit Spiel und Sang seinen Einzug halten sollte und war neugierig, wie es wohl aussehen würde.
Nun fehlten nur noch drei Tage, und der unwillkommene Freier mußte kommen.
Goldhaar wurde von großer Unruhe befallen, die sich auch auf den König übertrug. Auch er war der endlosen Behandlung des Doktors überdrüssig geworden und hatte das Vertrauen verloren. Als daher Peter, mit einer großen Medizinflasche bewaffnet, auftauchte, wurde ihm ein wenig huldreicher Empfang zuteil.
„Wann zaubert Ihr endlich das so oft versprochene Lächeln auf die Lippen meiner Tochter?“ fragte Gundermann.
„Durchlauchtigster Herr König, Ihr seid bei mir an der richtigen Quelle,“ antwortete Peter.
„Sicher, seine Medikamente bestehen nämlich aus gefärbtem Wasser,“ fügte der Narr hinzu.
„Bitte, Herr König, überzeugt Euch von der Wirkung dieses Wundertranks.“
„Sicher bleibt die Wirkung nicht aus, Goldhaar hat noch nach jedem der vielen bunten Medikamente - - Bauchweh bekommen,“ rief der Spottvogel.
Als der König sah, daß sein Kind sich sträubte, die dargereichte Flasche anzunehmen, bat er, sie möge ihm zuliebe diesen einen Trunk noch nehmen. Sie antwortete jedoch: „Vater, dir zuliebe habe ich Tag für Tag ein anderes Gebräu getrunken, mit dem einzigen Erfolg, daß mir jedesmal elend wurde.“
Peter suchte, der Prinzessin unter Katzenbuckeln und Kratzfüßen seine Flasche aufzudrängen, da riß ihr die Geduld, sie nahm ihm die Medizin aus der Hand und warf sie in großem Bogen in den Teich.
Peter erhob ein groß’ Geschrei: „Dieser Trunk hätte unfehlbar gewirkt! Ich erwarte für meine hohen Verdienste wenigstens den Titel eines königlichen Hofarztes!“
Der Narr machte eine Verbeugung und entgegnete: „Freilich sind eure Verdienste recht hoch, aber weniger um die Wissenschaft als für eure eigene Tasche!“
Der Zeremonienmeister, der ihm nicht wohlgesinnt war, meinte hämisch: „Wenn der Narr alles besser weiß, so soll er doch zeigen, was er kann!“
Da erwiderte der Mann mit der Schellenkappe: „An meinem Narrenwitz kann Goldhaar nicht genesen. Nur der Mann vermag sie zu heilen, der den Frohsinn im Herzen trägt!“
„Ach nein,“ sagte der Freiherr von und zu Knickebein, „und wo finden wir diesen Menschen?“
„Vielleicht ist er nicht fern. Am Tor wartet ein Spielmann vorgelassen zu werden, von dessen lustigen Weisen man im ganzen Lande spricht!“
„Lächerlich,“ schrie Peter wütend, „ein windiger Spielmann soll helfen, wo bisher meine sonst unfehlbaren Tränke versagt haben?“
Und der Zeremonienmeister zeterte: „Spielmann! Gaukler! Straßensänger! Auf die Gasse gehört er, aber nicht an einen Königshof!“
In diesem Augenblick hörte man den Ton einer Geige, und eine wohlklingende Stimme sang dazu:
„Herzei was kränkt dich so sehr,
Als wenn im Himmel kein’ Hoffnung mehr wär?
Wenn schon das Wetter gefährlich aussieht,
Hoffe das Beste, verzage nie!
Sagt man doch insgemein:
Auf Regen, auf Regen folgt Sonnenschein!“
Goldhaar klatschte in die Hände und rief: „Ich will den Spielmann sehen und hören!“
Der König gab Befehl, ihn vorzulassen.
Peter erbleichte, als er Fiedelfritz eintreten sah. Als dieser ihn erkannte, eilte er auf ihn zu und rief: „Welche Freude, Peter, dich hier wiederzufinden!“
Peter übersah geflissentlich die ihm dargereichte Hand und antwortete recht hochmütig: „Der Kerl ist ein Tollhäusler! Fehlt nur noch, daß er behauptet, mein Bruder zu sein!“
Fiedelfritz sah ihn ganz verstört an und vermochte nur noch stotternd zu fragen: „Bin ich es denn nicht?“
„Da haben wir’s! Unerhört! So ein Schwindler!“
Der Narr trat dicht an Peter heran und rief, daß alle es hören mußten: „Ich weiß noch nicht so genau, wer der Schwindler ist!“
Gundermann machte der Szene ein Ende. Er beauftragte die Wache, dafür zu sorgen, daß Fiedelfritz ohne des Königs Erlaubnis nicht das Schloß verlassen dürfe.
Peter blickte seinen Bruder schadenfroh an, verbeugte sich dann unterwürfig und sagte: „Herr König, ich danke Euch für das mir geschenkte Vertrauen.“
„Ich habe weder Vertrauen noch Mißtrauen ausgesprochen.
Auch für Euch, Herr Doktor, gilt der Befehl!“
Peter fiel aus allen Wolken, als auch er von einigen Soldaten in die Mitte genommen und in Haft abgeführt wurde.
Wie nun Fritz trübselig in der Zelle saß und nicht wußte, wie ihm geschehen war, ging die Tür auf, und der Narr trat über die Schwelle. Fritz mußte ihm alles haargenau erzählen, und als er geendet hatte, ging der Narr zum König und meldete ihm das Gehörte. Da ließ Gundermann sofort reitende Boten zu dem Lindenbauer und Trina, dem Schulzen, dem Schulmeister und den Müllersleuten schicken.
Am Morgen des dritten Tages trafen sie alle im Schloß ein. Sie wurden auf verschiedene Zimmer verteilt und gut bewirtet, aber auf ihre Frage, weshalb sie mitten in der Nacht aus dem Bett geholt worden seien, blieb man ihnen die Antwort schuldig.
Das Schloß war ringsum von Rittern, Landsknechten und bewaffneten Bürgern umstellt, und die Wache am Tor war verdreifacht.
Gundermann und Goldhaar hatten die Thronsitze bestiegen, als plötzlich das Glückspilzlein in großen Sprüngen in den Saal hüpfte, mit einigen gewaltigen Sätzen von Stufe zu Stufe sprang und zu guter Letzt mit einem riesigen Schwung auf dem Schoß der Prinzessin landete. Sie wandte sich an ihren erstaunten Vater und sprach: „Er ist deinesgleichen. Er ist der König aller Pilze und mein lieber Freund!“
Ehe Gundermann antworten konnte, wurde die Tür aufgerissen, und von Bewaffneten begleitet, wurden die Müllersöhne vorgeführt, und, von ihnen unbemerkt, folgten deren Eltern, der Schulze, das Schulmeisterlein und das Lindenbauerpaar. Sie alle mußten vorläufig im Hintergrund stehen bleiben, durften nicht sprechen und hatten zu warten, bis sie gerufen wurden.
„Nun, Herr ‚Doktor‘, kennt Ihr mich wieder?“ fragte das Pilzlein.
Peter verzog verächtlich die Lippen und entgegnete: „Ich gebe mich nicht mit solch niedrigem Volk ab und kenne dich nicht.“
„Ich dich um so besser! Du behauptest ja, immer an Königshöfen gewesen zu sein. Nun, meiner war wohl der erste, an dem man dich vorließ, und da hast du dich schlecht genug aufgeführt! Er hat mir nämlich erst das Krönlein vom Kopf geschlagen und mich dann mit seinem groben Knüttel zu Boden gestreckt! Gott sei Dank, er schickte mir dann den guten, lustigen Fiedelfritz, der mir mein Krönlein wieder aufs Haupt setzte und mich aufhob. Es sollte mich gar nicht wundern, wenn der Fiedelfritz dem lieben Prinzeßlein wieder das Lachen um die Lippen zaubern würde!“
Der König wandte sich an Peter: „Herr Doktor, behauptet ihr noch, daß der Spielmann nicht Euer Bruder ist?“
„Ein gemeiner Dieb ist er, der mir im Schlaf meinen Beutel mit Geld gestohlen hat!“
„Das ist nicht wahr!“ rief Fritz entrüstet. „Ich habe ihn im Wald gefunden. Er enthielt die Jahrespacht für die Mühle, die Vater dem Schulzen schuldete!“
„Im Walde gefunden, ist eine hübsche Ausrede,“ sagte Peter voller Hohn.
„Und doch ist es so!“ meldete sich der König der Pilze, „Mucki-Pucki kann es bezeugen!“
Aus dem Boden wuchs plötzlich der kleine Waldgeist hervor, stellte sich vor Peter hin und rief zornig: „So ist es! Ich hatte dem unverschämten Burschen ein Bein gestellt und ihm den Beutel aus der Tasche gezogen. Der Fritz hat ihn dann gefunden und wollte ihn sogleich seinen Eltern abliefern!“
Jetzt trat der Zeremonienmeister vor: „Ginge es nach mir, so würde ich den Mucki-Pucki wegen Taschendiebstahl verhaften lassen. Doch was sagt Ihr hierzu, Herr Fiedelfritz? Habt Ihr diesen Beutel mit Goldstücken vielleicht auch im Walde gefunden?“
„Den muß mir der Lindenbauer gegen meinen Willen in mein Felleisen gesteckt haben.“
Da lachten Knickebein und Peter recht höhnisch, aber das Lachen verging ihnen schnell, als sich der Lindenbauer, Trina und der Esel vordrängten und Fritzens Angaben bestätigten. Auch der Graue schrie andauernd „I-ah“ und versetzte den beiden gehässigen Verleumdern einen kräftigen Tritt in den Hosenboden.
„Nun, Herr Doktor, was habt Ihr darauf zu erwidern?“
„Man hat aus Neid eine schändliche Verschwörung gegen mich in Szene gesetzt!“
„Ein frecher Lügner bist du!“ schleuderte der Bauer ihm ins Gesicht. „Das Geld hat Fritz von mir!“
„Ein unverschämter Beutelschneider bist du obendrein!“ fügte Trina hinzu. „Mit wertlosen Tränken hast du uns unsere Goldstücke aus der Tasche gelockt! Da ist dein Bruder Fritz doch ein anderer Kerl! Er hat mich, die ich seit zehn Jahren gelähmt war, mit seiner Geige gesund gefiedelt!“
„Sein Bruder?“ fragte Gundermann.
„Freilich, und der Schulze und der Lehrer können es auch bezeugen!“
Beide traten sofort vor und bestätigten Trinas Angaben.
„Alles Lug und Trug, um mich zu verderben!“ zeterte Peter, sein schlechtes Gewissen stand ihm aber auf der Stirn geschrieben.
„Gestern ist ein fahrender Scholar eingetroffen, der mit Euch auf der gleichen Universität studiert hat. Wir wollen hören, was er dazu zu sagen hat, Herr Doktor,“ sprach der König.
Der Gerufene stand schon vor dem Thron. „Wie?“ sagte er, „den Müller-Peter redet Ihr mit ‚Herr Doktor‘ an? Der ist nie Doktor gewesen und wird auch nie einer werden: Vierzehn Jahre ist er durchs Examen gefallen. Seinen Vater hat er arm gemacht, da er zudem überall Geld erschwindelte, Schulden über Schulden machte, ist er mit Schimpf und Schande von der Universität gejagt worden!“
„Alles nicht wahr!“ rief Peter verzweifelt.
Auf einen Wink des Königs waren der Müller und seine Frau hinzugekommen. Der Alte packte Peter bei den Schultern, schüttelte den vor Angst jetzt mit schlotternden Knien vor ihm Stehenden und rief zornbebend: „Willst du Lump vielleicht auch noch bestreiten, daß wir deine Eltern sind?“
Gundermann wartete eine Antwort nicht erst ab. Er rief die Wache herbei und befahl, den frechen Betrüger in Eisen zu legen.
Kaum waren die Schritte der Wache verhallt, als ein großer Tumult entstand. Man hörte dröhnende Schritte näherkommen und die ängstlichen Rufe fliehender Menschen: „Raufebold schlägt alles nieder, was sich ihm in den Weg stellt! Rette sich, wer kann!“
Es gelang noch, das eiserne Tor zu schließen und den schweren Riegel vorzulegen, aber gleich darauf ballerten die Fäuste des Riesen dagegen. „He, hi, ho, aufgemacht!“ brüllte er, und von seiner Stimme wankte die Halle.
„Draußen geblieben!“ antwortete ihm Fritz. „Fürchte dich nicht, Goldhaar“ fügte er hinzu, „ich werde dich und euch alle retten!“
„Lächerlich,“ näselte der Zeremonienmeister, „will er Spittelhans vielleicht den Riesen mit der Kindergeige totschlagen?“
„Wartet nur, Ihr selbst sollt noch nach meiner Fiedel tanzen!“
„Tanzen? Ich tanzen? — Lächerlich! Gar nicht auszudenken!“
In diesem Augenblick stürzte krachend das Tor zusammen, und Raufebold drang in den Saal. Alle flüchteten schreiend, nur der Narr zog sein Schwert und stellte sich ihm furchtlos entgegen. Da lachte der Riese dröhnend: „Du bist der närrischste Narr, den ich je gesehen habe. Leg das Spielzeug weg!“ Mit dem Wort riß er dem Narren das Schwert aus der Hand und zerbrach es: „Wein her! Ich habe Durst!“ befahl er darauf.
„Mach, daß du zur Tür hinauskommst!“ entgegnete Fritz unerschrocken.
„Hahahaha, wer bist denn du? Du Zwerg!“
„Ich bin der Fiedelfritz!“
„Recht so! Du sollst zu meiner Hochzeit aufspielen!“
„Ich werde dir gleich aufspielen, daß du ein für alle Male das Aufstehen vergißt!“
„Wart, freches Bürschchen, ich werde dir den Hals umdrehen!“
Der Unhold schritt auf Fritz zu, um seine Drohung wahrzumachen, da legte dieser seine Geige an den Hals und rief:
„Fiedel, laß dein Lied erklingen,
Raufebold soll tanzen, springen!“
Kaum erklangen die ersten Töne, als der Riese sich nach dem Takt der Musik zu drehen begann. Er machte ein dummes Gesicht und sagte verwundert: „Was ist denn das? Ich kann nicht stehen bleiben! Ich will aber nicht tanzen! Ich will nicht!“
„Du mußt Raufebold! Du mußt! Schneller! Nicht so träge!“ gab Fritz zur Antwort und fiedelte immer flotter darauf los. Hei, war es lustig anzuschauen, wie der schwerfällige, täppische Riese sich gegen seinen Willen immer toller im Kreise drehen mußte. Der übermütige Narr ahmte ihm seine unbeholfene Tanzweise nach, dabei schlug er Raufebold jedesmal mit seiner Pritsche auf die Hand, wenn der nach ihm greifen wollte.
Der Unhold schimpfte, fluchte, drohte, aber es half ihm alles nichts, er mußte tanzen. Zuletzt verlegte er sich aufs Bitten, doch Fiedelfritz gab keine Ruhe, bis der Riese endlich tot zu Boden fiel.
„Und nun soll Goldhärchen das Lachen wieder lernen,“ sprach der Spielmann, setzte seine Geige aufs neue an und rief:
„Fiedel, laß dein Lied erklingen,
Knickebein soll tanzen, springen!“
Langsam begann die Musik, und mit komischer Grazie setzte der steifbeinige Zeremonienmeister einen Fuß vor den anderen. Man sah ihm an, wie er sich sträubte, aber es half ihm nichts, und er mußte mit dem schnelleren Rhythmus des Spiels auch sich selbst schneller und schneller drehen. Der Narr hatte ihn umfaßt und ahmte in übertriebener Weise seine unbeholfenen Bewegungen und Bocksprünge nach.
Dieser Tanz wirkte so spaßig, daß Goldhaar erst zu kichern begann, aber je länger sie dem lustigen, immer toller werdenden Narrenreigen zuschaute, um so mehr wurde sie von Heiterkeit ergriffen, bis sie sich schließlich vor Lachen die Seiten halten mußte.
Knickebein, anfangs voller Entrüstung wetternd, hatte sich längst aufs Bitten verlegt.
„Laß es genug sein!“ schrie er endlich in höchster Not, „oder soll auch ich erst tot zu Boden fallen?“
„Verdient hättest du es, du eitler, hämischer und unbeholfener Geselle, ich will aber Gnade vor Recht ergehen lassen und zu fiedeln aufhören, wenn du versprichst, augenblicklich den Hof zu verlassen und niemals wiederzukehren!“
„Ja, ja, Fiedelfritz, ich verspreche dir alles, was du willst, nur höre endlich auf zu spielen!“
So eilig hatte man den steifen Zeremonienmeister nie zuvor davonstelzen sehen.
Jubel herrschte am Königshof und im ganzen Lande.
Prinzessin Goldhaar hatte das Lachen wiedererlangt und nun, da der Bann gebrochen war, und sie sich nicht länger vor Raufebold zu fürchten brauchte, hallte ihr silberhelles Lachen vom frühen Morgen bis zum Schlafengehen durch das Schloß. Alle Menschen, die in ihre Nähe kamen, wurden von ihrem Frohsinn angesteckt.
Bald darauf hielten Fiedelfritz und Goldhaar Hochzeit, und Gundermann ließ seinen Eidam zum König krönen. Nachdem die Festlichkeiten vorüber waren, sprach Fritz eines Tages zu seinem Schwiegervater: „Wohin ich blicke, sehe ich glückliche Gesichter, nur mein armer Bruder ist noch immer eingesperrt. Was soll mit ihm geschehen?“
Da lächelte Gundermann und antwortete: „Du bist jetzt König und hast über ihn zu urteilen.“
Die alten Müllersleute freuten sich über das Glück ihres Jüngsten und mit ihnen freuten sich der Schulze, das Schulmeisterlein, die beiden vom Lindenhof und der kluge Esel, aber alle sehnten sich doch nach ihrem Dorf zurück und nach ihrer alten, ihnen liebgewordenen Tätigkeit.
Peter wurde vorgeführt. Ach, was für ein kleinlauter, bescheidener Peter kam da zum Vorschein! Die lange Haft, Angst und sein schlechtes Gewissen hatten den aufgeblasenen Prahlhans ganz klein werden lassen. Als er nun gar seinen Bruder und Goldhaar auf dem Thron sitzen sah, beide mit der Krone geschmückt, glaubte er, seine letzte Stunde sei gekommen. Er schlug die Augen nieder und wagte keinen Ton zu sagen.
Fritz unterbrach die Stille: „Siehst du ein, Peter, wie häßlich du an unseren guten Eltern gehandelt hast, und wie schlecht deine Handlungsweise gewesen ist?“
„Ja!“ rief Peter, und aus diesem einen Wort sprach so viel Beschämung und aufrichtige Reue, daß allen, die es hörten, Tränen in die Augen traten.
„Wir wollen dir deine schlimmen Taten verzeihen, wenn du künftig Vater und Mutter Freude bereiten und ihnen in der Mühle fleißig zur Seite stehen willst!“
Da schritt Peter auf Fritz zu, reichte ihm die Hand und sagte: „Das will ich frohen Herzens, denn ich selbst bin dieses Lebens der Lüge und ständigen Furcht vor der Entlarvung überdrüssig geworden.“ Darauf ging er zu dem Lindenbauer und gab ihm seine Goldstücke zurück. „Ich habe sie auf unrechtmäßige Weise Euch abgenommen, nehmt sie bitte wieder!“ Endlich wandte er sich an seine Eltern und sprach: „Verzeiht mir, was ich Euch angetan habe, ich will versuchen es gutzumachen, soweit es nur in meinen Kräften steht!“
„Für euch, ihr lieben Eltern, ist dieser Sack, gefüllt mit blanken Goldstücken, bestimmt, den ich als Belohnung erhielt, weil ich Goldhaar den Frohsinn wiedergab,“ mischte sich nun Fritz ins Gespräch und fügte hinzu: „und, Schulze, hier ist der Beutel mit der Pacht für die Miete, unberührt, wie Vater ihn dem Peter übergeben hatte.“
Der Schulze lachte über das ganze Gesicht: „Ich glaube auch, der Peter ist jetzt von seinem dummen Stolz geheilt.“
„Schulmeisterlein, Ihr habt Euch viel Mühe um mich und alle Kinder unseres Dorfes gegeben und wenig Lohn dafür erhalten,“ sagte Fritz, „auch Ihr sollt es künftig besser haben. Da, nehmt,“ und er drückte ihm einen prall mit Dukaten gefüllten Beutel in die Hand, „und Euer Esel, Lindenbauer, soll zur Feier des Tages eine große Krippe voll Hafer extra bekommen!“
Da schrie der Graue vor Freude „I-ah! I-ah!“ und drehte sich wie toll im Kreise, daß alle aus dem Lachen gar nicht herauskamen.
Auf Goldhaars Schoß saß das Pilzköniglein. „Du mußt jetzt immer bei uns bleiben,“ sagte das Prinzeßlein, „denn dir haben wir alles Gute zu verdanken, und wo ein Glückspilz im Hause wohnt, hat das Unglück keine Bleibe!“
Und so ist es geschehen. Das Glückspilzlein wich nicht von Fiedelfritz und Goldhaar. Auf allem, was sie auch immer begannen, ruhte Glück und Segen, und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie heute noch!