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Ein gewalttätiger Gast

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In den stillen Räumen des Schlosses Bergedorf war vor wenigen Minuten Erich III., Herzog von Sachsen-Bergedorf-Mölln, sanft entschlafen. Der Schlosshauptmann Ritter Otto von Ritzerau drückte ihm die Augen zu und sprach ein stilles Gebet. Eine Träne rann ihm dabei über die Wange. Er war des Verstorbenen einziger Freund. Nicht Weib noch Kind würden an dessen Bahre stehen, niemand würde um ihn trauern. Aber in Lübeck würden die hohen Herren vom Rat aufatmen. Endlich! Ihnen war er ein Dorn im Auge gewesen, dieser Herzog ohne Land, der, so lange er lebte, eine Belastung ihres Stadtsäckels bedeutete.

Erich III. hatte einst ein trauriges, überschuldetes Erbe antreten müssen. Schon im Jahre 1359 sah er sich schweren Herzens genötigt, gemeinsam mit seinem Bruder Albrecht V. die Stadt und Herrschaft Mölln an Lübeck — das reiche Haupt der Hanse — gegen ein Darlehen von 9737 ½ Mark zu verpfänden. Bald darauf wurde er wegen der vor Bergedorf gelegenen Kapelle zum heiligen Kreuz in böse Händel mit dem Stift Ratzeburg verwickelt. Der Grund hierfür waren Geldsorgen gewesen; denn er hatte aus geistlichem Besitz stammende Einnahmen widerrechtlich verpfändet. Zwei Jahre blieb er mit dem Kirchenbann belegt, bis es ihm endlich gelang, sich auf gütlichem Wege zu einigen.

Kurz nach dem Ableben seines Bruders war dann seine wirtschaftliche Lage so misslich geworden, dass er seinen letzten Besitz veräussern musste. Wieder sprang Lübeck ein und zeigte sich wahrhaft grosszügig. Es übernahm den Rest des Herzogtums, darunter Schloss und Stadt Bergedorf, den Hachter Zoll, die Dörfer Nusse, Kurslack, Altengamme und den halben Sachsenwald und zahlte hierfür 26 262 ½ Mark, eine für damalige Zeit ausserordentlich hohe Summe, denn sie entsprach einem heutigen Geldwert von annähernd 2 Millionen. Ausserdem wurde dem Herzog noch auf Lebenszeit die Nutzniessung seiner Besitztümer zugesprochen. Aber die Verwaltung hielt die Hansestadt selbst in Händen. Auch mussten ihr die Männer im Lande und der Rat der Städte Mölln und Bergedorf den Treueid schwören. Von allen Türmen flatterten seitdem die Fahnen mit dem zweiköpfigen Adler mit einem weiss und rot wagerecht geteilten Brustschild, den Landesfarben Lübecks.

Dreissig Jahre waren seitdem verflossen. Mit Gott, der Kirche und aller Welt hatte Erich III. in Frieden und Eintracht gelebt.

*

Wenige Tage nach der Beisetzung Erich III. in der Domkirche zu Ratzeburg — der Bischof Gerhard ehrte sein Andenken durch eine Stiftung — sassen sich im Bergedorfer Schloss die beiden Freunde, der Schlosshauptmann Otto von Ritzerau und der Stadtvogt Johann Wulf, gegenüber. Ihre Mienen zeigten ernste Besorgnis, und ihre Gedanken gingen weite Wege.

Der Stadtvogt nahm noch einmal das Schreiben, das auf dem schweren Tisch zwischen ihnen lag, in die Hand, wiegte sein graues mächtiges Haupt und sah seinen Freund an:

„Gibt es Euch nicht zu denken, dass Erichs Neffe, Erich der Vierte, plötzlich den Wunsch hat, das Schloss seines Oheims kennen zu lernen, wonach er zu seinen Lebzeiten niemals Verlangen gespürt?“

„Ihr seht Gespenster, Wulf! Wie oft hat mein seliger Vater mir erzählt, wie er mit Erichs Vater vor gut einem halben Jahrhundert, Lauenburger und Lübecker Schulter an Schulter, in den Kampf gezogen ist. Wie sie gemeinsam das Raubnest in Linow den Rittern Heine von Brockdorf und Ludeke von Scharfenberg abnahmen und dem Erdboden gleichmachten. Wie sie die Burgen zu Lassau und Bernstorf zerstörten, wie sie innerhalb von zehn Tagen die neun festen Plätze Zechere, Meydorpe, Borcherdestorf, Lanken, Nonnendorf, Culpin und Rehburg mit stürmender Hand gewannen und einäscherten. Vier Tage brauchten sie, um Gudow zu brechen. Es muss ein lustiger Tanz gewesen sein, als Herzog und Hansestadt dem adligen Raubgesindel ihr Handwerk legten! Ja, Wulf, das war Waffenbrüderschaft und Freundschaft, die Lübeck und Lauenburg verband. So ein aus Blut und Eisen geschmiedeter Bund hält stand!“

Wulf hob seinen Humpen: „Kommt, stossen wir an auf das Andenken Eures seligen Vaters, des Ritters Hartwich von Ritzerau und auf das Andenken Erichs des Zweiten!“

Nachdem der Schlosshauptmann einen tiefen Trunk getan hatte, fuhr er fort: „Es muss damals eine seltsame Zeit gewesen sein. Flagellantenbanden zogen, die Geisel schwingend, durch die Lande, und der schwarze Tod ging um. Er fand reiche Ernte. Ganze Ortschaften verödeten. Damals holte er auch den grössten Schalksnarren aller Zeiten, Tyll Eulenspiegel, und als er ihn gepackt hatte, erstarb das Lachen auf seinen Lippen.“

Eine Zeitlang sassen die beiden Männer stumm, in Erinnerungen verloren. Dann begann Wulf wieder: „Ich muss nochmals darauf zurückkommen. Seid auf der Hut, Schlosshauptmann. Erichs des Zweiten Sohn, Erich der Vierte, der sich jetzt selbst zu Gaste ladet, blickt längst mit begehrlichen Augen auf das Erbe seines Onkels. Er trachtet danach, es dem Hause Lauenburg wieder einzuverleiben!“

„Gerede! der Sohn ist Lübeck allezeit genau so gewogen gewesen, wie es der Vater war!“

„Gewesen! Solange sein Interesse sich mit dem unsrigen deckte. Jetzt, wo Erich der Dritte nicht mehr unter den Lebenden weilt, wird er anders denken!“

„Wird! — Woraus schliesst Ihr das? Als er, ein blutjunges Kerlchen, vor mehr als dreissig Jahren mutig für seinen Schwiegervater, Magnus mit der Kette von Braunschweig, eintrat, und in der Schlacht bei Roggendorf von Albrecht von Mecklenburg und Graf Heinrich von Holstein vernichtend geschlagen wurde, wäre er seinen Feinden in die Hände gefallen, wenn nicht Lübeck ihm hinter seinen Mauern Zuflucht und Schutz gewährt hätte. Meint Ihr, so etwas könne vergessen werden?“

„Es sind von hohen Herren schon andere Dinge vergessen worden. Erich der Vierte ist ein herrschsüchtiger, gewalttätiger Fürst. In ihm lebt das unruhige Blut der Mutter, der Gräfin Agnes von Holstein, die, als ihr Mann ausser Lande weilte, selbst zu Feld zog und stets dabei war, wo geraubt, gebrannt und geplündert wurde!“

„Ihr seht Gespenster, Wulf. Sagt selbst, was könnt Ihr an Tatsachen gegen Erich IV. vorbringen?

Nichts! Kaum 15 Jahre sind es her, als er, in die Fusstapfen seines Vaters tretend, den räuberischen Ritter von Lützow anfiel. In neun Tagen nahm er mit starker Hand dessen Festungen Pressyn, Niendorf, Crempse, Swechow, Thurow, brannte sie nieder und sorgte, dass der Lübecker Kaufmann in seinem Lande sicher des Weges ziehen konnte. Und denkt an den Jubel und die Freude, Wulf, als vor knapp vier Jahren in unserer Vaterstadt die ersten mit Salz beladenen Schiffe aus Lüneburg einliefen! Wem haben wir es zu danken? Erich, der selbst die Leute stellte, den Kanal zu bauen. Der die Schleusen anlegen liess, die die flachen Gewässer der Stecknitz und Delvenau schwellten und schiffbar machten. Wieder arbeitete ein Herzog von Lauenburg mit uns Hand in Hand. Er nahm sogar die Feindschaft seiner neidischen, mecklenburgischen Vettern in Kauf!“

„Es ist für ihn und uns ein einträgliches Geschäft gewesen, den Lüneburger Salzhandel, den Wismar bisher über Boizenburg leitete, auf dem Wasserwege an uns zu reissen. Er würde es ebenso unbedenklich mit jedem unserer Feinde getan haben, wenn er Vorteil darin gesehen hätte. Übrigens ist es für uns erst einmal eine recht kostspielige Angelegenheit geworden, die seine Taschen aber sofort füllte, und die Zeche mit dem Mecklenburger liess er uns allein zahlen. Doch ich sehe, Ritzerau, ich komme gegen Euch nicht auf; also werde ich Erich und seinem Gefolge morgen die Tore öffnen müssen. Ihr wünscht es, ja?“

„Dachtet Ihr ihm den Einzug zu verweigern?“

„Es käme auf die Zahl seines Gefolges an!“

„Ein Herzog kann nicht mit einem halben Dutzend Söldner durch die Lande ziehen. Zudem, selbst wenn ich Bedenken hegte, mit welchem Recht dürfte ich Erich IV. vor der Stadt stehen lassen, mit dem wir in Freundschaft und nicht in Fehde leben!“ — —

Längst war der Stadtvogt gegangen. Tief in Gedanken versunken sass der Schlosshauptmann. Er verstand die Besorgnis seines Freundes nicht. Was sollte er von einem Mann zu fürchten haben, mit dem und mit dessen Geschlecht Lübeck seit einem Jahrhundert in Friede und Freundschaft lebte? — — Sicherlich, Wulf sah Gespenster!

*

Am anderen Tag, um die Mittagszeit, lief das Volk zu Haufen. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Kunde, dass der Herzog von Lauenburg mit seinen Söhnen und grossem Gefolge sich Bergedorf nahe. Hei, das war einmal eine Abwechslung im Gleichtrott des täglichen Einerlei!

Trommeln und Pfeifen erklangen. In der Sonne blitzten die Hellebarden der Landsknechte, die Rüstungen der Ritter glänzten und blinkten, das herzogliche Banner flatterte im Wind. Reisige und Schützen bildeten den Schluss des Zuges.

Am Sachsentor stand der würdige Stadtvogt, der Ritter Johann Wulf. Seine hohe, stattliche Figur überragte die ihn umgebenden Wachmannschaften. Er war wegen seines ehrbaren, unbestechlichen Charakters und seiner Gerechtigkeit sowohl bei den Herren vom Rat zu Lübeck, als auch in Bergedorf beliebt und angesehen. Sein Gesicht trug offene Züge, seine Augen blickten kühn und unerschrocken in die Welt. Ein mächtiger, ergrauter Vollbart fiel ihm bis über die Brust herab. Auf seiner hohen Stirn lag heute eine Sorgenfalte. Er teilte den lauten Jubel nicht, mit dem Männer, Frauen und Kinder die Ankommenden begrüssten.

Die erste Abteilung war mit klingendem Spiel durch das weit geöffnete Tor marschiert, schwenkte nun im Halbkreis und drängte das schaulustige Volk beiseite. Die Reiter brachten ihre Pferde zum Stehen. Erich IV., ein breitschultriger Mann, sass stolz zu Ross. Ein mächtiger, bunter Federbusch schmückte seinen Helm. Die Nase war gross und kühn gebogen. Sie verlieh seinem Gesicht ein raubvogelähnliches Aussehen. Sein gewaltiger, rötlicher Vollbart war bereits von einzelnen grauen Fäden durchzogen. Unter buschigen Brauen sahen seine Augen auf den Stadtvogt herab. In ihrem Blick lag etwas unheimlich Lauerndes. So mochte ein Wolf seine Beute betrachten, ehe er sie zerriss.

Die Männer sahen sich eine Weile schweigend an. Sie massen sich, und beide spürten die aus dem Instinkt geborene Abneigung des anderen. Ungeduldig näherten sich des Herzogs Söhne; der verschlagene, hinterhältige Erich V. und der händelsüchtige, derbschlächtige Johann. Auch die Vertrauten, Volquin Scharpenberg und Otto Schack, begannen unruhig zu werden. Da besann der Ritter sich seines Amtes und seiner Pflicht. Gewaltsam drängte er die auf ihn einstürmenden Gedanken zurück. Ernst und feierlich reichte er dem Herzog den Willkommtrunk der Stadt Bergedorf. Der leerte den Humpen in einem Zug, reichte ihn zurück und sah den Vogt dabei drohend an. Er schien etwas sagen zu wollen, besann sich dann aber und ritt ohne Dank und Gruss mit seinem Gefolge davon. Finster blickte der Alte ihnen nach.

Lärmend, Hüte schwenkend, trottete die Volksmenge neben dem farbenfreudigen, glänzenden Zug her. Gedankenlos jubelte sie jedem grossen Herrn zu. An der alten Kirche vorbei führte der Weg.

Den Augen des Lauenburgers war nichts entgangen. Er schien mit seinen Betrachtungen zufrieden zu sein. Ein seltsames Lächeln spielte um seinen Mund. Hin und wieder richtete er ein paar Worte an seine Begleiter, in deren Mienen sich kaum noch zu bändigende Unternehmungslust widerspiegelte. Eine starke Erregung hatte sich der Ritter bemächtigt, als plötzlich die vor mehr als 200 Jahren vom Grafen Friedrich zu Orlamünde erbaute trutzige Wasserburg, mit ihren Türmen, Toren, festen Mauern, Wällen und breiten Gräben, vor ihnen lag. Hochmütig warf der junge Erich den Kopf in den Nacken, und unwillkürlich legte sein Bruder die Hand ans Schwert.

Die Lauenburger hatten das Vorwerk erreicht. Die Torflügel des Schutzturmes öffneten sich. Rasselnd senkte sich die Zugbrücke über die eilig dahinfliessende Bille. Über den Wall ritten die Ankommenden. Wieder liess der Herzog seine Blicke aufmerksam nach allen Seiten schweifen. Wahrlich, das war ein fester Platz, den so leicht kein Feind mit stürmender Hand nehmen konnte! Jetzt wurde auch ein Übergang über den zweiten Burggraben heruntergelassen. Trutzig lag vor ihnen das Schloss, auf einer Insel erbaut. Gemählich trabte Erich mit seinem Gefolge durch den wuchtigen Torbogen in den Innenhof. Der Edle Ritzerau, angetan mit prächtiger Rüstung, hiess ihn willkommen. Knechte eilten herbei, waren den Rittern beim Absteigen behilflich und führten die Rosse in den Stall.

*

Im Landherrenzimmer sassen der Schlosshauptmann und seine Gäste bei fröhlichem Mahl und reichlichem Trunk. Der Herzog befand sich in bester Laune. Er liess sich über die Zustände des Landes eingehend unterrichten und zeigte ein offenes Ohr selbst für die geringfügigsten Dinge.

Ritzerau erhob sich, nahm den vollen Humpen in die Hand und sprach: „Dieser Trunk sei Euch und Euren Söhnen als lieben, willkommenen Gästen gebracht. Unsere Väter haben in treuer Waffenbrüderschaft Schulter an Schulter gekämpft, die Vergangenheit Lauenburgs und Lübecks ist aufs engste und ruhmreichste verknüpft. Gemeinsam wurden Werke des Friedens und der Sicherheit geschaffen, von denen man noch nach Jahrhunderten sprechen wird. Auch mit Eurem seligen Onkel, Herzog Erich III., waren die Beziehungen stets die besten, und ich selbst habe viele Jahre mit ihm in diesen Räumen in treuer Freundschaft verlebt. Nun hoffe ich, Ihr Herren, dass auch zwischen uns für alle Zeiten gute Nachbarschaft und brüderliche Verbundenheit walten möge!“

Erich erwiderte, und ein hässliches Lächeln zuckte um seine Lippen: „Ihr habt uns einen guten Spruch gesagt, Edler von Ritzerau; doch warum schweigt Ihr, Ritter Wulf, und warum musstet Ihr erst geholt werden? Glaubtet Ihr, Ihr seid mir nicht willkommen, oder bin ich es etwa Euch nicht?“

Ernst und würdevoll erhob sich der Gefragte. „Ich reichte Euch den Willkommtrunk der Stadt Bergedorf. Ihr fandet auf meine Worte keine Antwort — — ich finde keine auf Eure!“

Hohnvoll lachte der Herzog. „Gut, so werde ich sie Euch jetzt nicht schuldig bleiben: Ihr seid Eures Dienstes enthoben, Ritter Wulf! — — Otto Schack, hiermit ernenne ich dich zum Stadtvogt von Bergedorf!“

„Ihr scherzt!“ rief Ritzerau erregt.

Wulf aber entgegnete mit fester Stimme: „Ich bin von der Freien und Hansestadt Lübeck auf meinen Posten gestellt. Seit 27 Jahren fülle ich ihn aus, und niemand anders als der Rat zu Lübeck hat ein Recht, ihn mir zu nehmen!“

„Von dieser Stunde an bin ich hier Herr und kein anderer!“

Der Alte stiess den Stuhl zurück und wollte sich entfernen.

„Ob und wann Ihr geht, bestimme ich, der Herzog!“

Der Schlosshauptmann blickte sich im Kreise um. Hohn und Schadenfreude las er aus allen Mienen. Mühsam beherrscht wandte er sich an Erich: „Ich kann es noch immer nicht glauben, dass Ihr im Ernst sprecht!“

Der Herzog klopfte ihn mit einem hohnvollen Lächeln vertraulich auf die Schulter: „Ich sehe, Ihr habt alles in gutem Stand erhalten. Nun habt Ihr mein Erbe lange genug verwahrt, jetzt nehme ich Euch die Sorge ab. Geht, wohin Ihr wollt. Ich werde mein Eigentum schon selbst verwalten.“

Zornbebend entgegnete der Betrogene: „Ihr habt Euch Eurer Väter und Eures Oheims wenig würdig erwiesen. Ihr habt mein Vertrauen und die Euch geschenkte Gastfreundschaft schlecht gelohnt!“

„Ihr irrt, Ritzerau! Mein Oheim hat sich seines Geschlechtes wenig würdig erwiesen, indem er sein Herzogtum nicht durch die Gewalt des Schwertes einbüsste, sondern an Krämer verschacherte und auf meine Kosten ein gutes Leben führte; denn ich, sein Neffe, bin sein alleinberechtigter Erbe und möchte den sehen, der mir mein Erbteil wieder entreissen will! — Nicht ich habe Eure Gastfreundschaft genossen, nein, Ihr seid bei mir zu Gast gewesen!“

„Freundlich und ohne Argwohn wurdet Ihr aufgenommen und bewirtet. Unter heuchlerischer Maske habt Ihr Euch hier eingeschlichen, das Euch geschenkte Vertrauen mit Füssen getreten! Ihr überrumpelt uns mitten im Frieden, ohne Fehdeansage. Das ist nicht ehrlicher Männer Brauch!“

„Schlosshauptmann, Ihr seid ein tapferer und trefflicher Ritter, und würde ich künftig nicht selbst Euren Posten einnehmen, ich wüsste keinen besseren Mann dafür als Euch!“

Niemand hätte sagen können, ob Hohn oder Anerkennung in diesen Worten lag. Da reichte Erich dem Ueberrumpelten plötzlich die Hand und fügte in freundlichem Ton hinzu: „Glaubt mir, ich bedaure. Euch dieses Leid zufügen zu müssen. Aber für mich geht es um die Wiedervereinigung meiner Erblande, da kann und darf ich auf das Wohl und Wehe des Einzelnen nicht Rücksicht nehmen. Lasst uns in Frieden scheiden!“

Leichenblässe bedeckte das Gesicht Ritzeraus. Die dargebotene Rechte übersah er. Einen Blick tiefster Verachtung warf er auf den Herzog, dann verliess er schweigend den Saal.

Gleich darauf dröhnte Hufschlag über die Brücke. Ein Reiter jagte zum Tor hinaus. In der Ferne verhallte das Geräusch.

Tiefe Stille herrschte plötzlich im Saal. Lachen und Lärmen waren verstummt, der Hohn auf den Gesichtern der rauhen Gesellen erstarrt. Stumm, tief in Gedanken versunken, sass eine Weile Erich IV. Dann traf er, ruhig und überlegt, alle Anstalten, Stadt und Schloss Bergedorf in den Zustand der Verteidigung zu setzen. Die Fahnen Lübecks senkten sich, und das Banner der Lauenburger stieg auf allen Türmen empor.

*

Im Ratssaal zu Lübeck ging es stürmisch her. Ein Mann, der in wenigen Tagen alt und grau geworden war, stand gebeugten Hauptes vor der Versammlung und erstattete Bericht. Hass und Zorn umbrandeten ihn. Man konnte es nicht fassen, dass Bergedorf, ein Besitz, der mit Gold aufgewogen war, ohne Schwertstreich verloren gegangen sein sollte.

„Wie durftet Ihr den Herzog einlassen, da er mit einem solchen Gefolge kam?“ fragte der Ratsherr Crispin.

Ritzerau erwiderte: „Was würdet Ihr gesagt haben, wenn ich Erich, mit dem wir stets in Frieden und Freundschaft gelebt haben, den Eintritt verweigert hätte und er — mit gutem Recht! — als der Beleidigte uns die Fehde angesagt haben würde?“

„Warum setzet Ihr Euch nicht zur Wehr, wie es sich für einen Edlen geziemt?“

„Hundertmal leichter wäre es für mich gewesen, mit dem Schwerte in der Hand zu fallen, als heute so vor Euch zu stehen, ein Ehrloser in Euren Augen! Weiss Gott, ich bin nicht feige, aber jede Gegenwehr wäre zwecklos gewesen und hätte Hunderten schuldloser Menschen Tod und Verderben gebracht. Der Herzog hätte die mir lieb gewordene Stadt in Asche gelegt. Darum zog ich es vor, in Euren Augen meine Ehre zu opfern, — — vor mir selbst und dem Herrn dort oben aber stehe ich rein und makellos da.“

Ein Murmeln und Raunen ging durch die Reihen der Versammelten. Mancher, der eben noch den Schlosshauptmann verwünscht hatte, wurde weich und milde gestimmt. Das Stimmengewirr verstummte. Der Ritter ergriff aufs neue das Wort.

„Ich selbst bitte darum, in Haft gesetzt zu werden, bis durch Richterspruch mein Schicksal entschieden worden ist. Ich selbst bitte um meine Verurteilung. Mir waren Schloss und Stadt anvertraut, durch meine Schuld gingen sie verloren, — — die Beweggründe können für Euch nicht massgebend sein. Was in meinen schwachen Kräften steht, den Schaden gutzumachen, soll geschehen. Als Ersatz biete ich Euch Leib, Leben, alle Güter und namentlich das Stammschloss an, dessen Namen ich führe. Ich weiss, es ist nur ein Tropfen gegen das, was Ihr durch mich verloren habt, doch mehr zu tun vermag ich nicht.“

Da erhob sich der Bürgermeister Jordan Pleskow, der kühne Feldherr und Feuerkopf. Er rief, und seine Stimme bebte in gerechtem Zorn: „Sind uns heute auch aus mancherlei Gründen die Hände gebunden und vermögen wir im Augenblick dem Räuber seine Beute nicht zu entreissen, vergessen werden wir ihm die Tat nicht! Ich verspreche Euch, es kommt der Tag, wo ich wiederholen werde, was uns mit Hinterlist und Heimtücke entrissen wurde, doch nicht unter der falschen Maske heuchlerischer Freundschaft, nein, in offener Fehde und im ehrlichen Kampf!“

Beifall umbrauste den Redner.

Pleskow hob die Hand und fuhr dann mit erregter Stimme, die einen warmen Unterton barg, fort: „Otto von Ritzerau ist schuldlos. Niemand hätte in seiner Lage anders handeln können, wollte er nicht Blut und Gut sinnlos aufs Spiel setzen. Ich fordere daher, dass man seine Unschuld anerkennt und seinen Kindern sein Erbschloss lässt.“

Alle Ratsherren stimmten dem Bürgermeister zu. Der ehemalige Schlosshauptmann, Ritter Otto von Ritzerau, ging müden Schrittes von dannen, ein gebrochener Mann, den auch die warme Teilnahme des Bürgermeisters nicht aufrichten konnte. Er starb wenige Wochen später.

*

Auf Schloss Bergedorf regierte Erich IV. hart und unerbittlich, wie es seine Art war. Selbst die lübischen Gesandten weigerte er sich zu empfangen. Erst als den Lübeckern die Geduld riss und sie ihn aufforderten, sich für eine Verhandlung oder die offene Fehdeansage zu entscheiden, willigte er in ein Verhandeln.

Am 13. Juli ritten die Abgeordneten der Hansestadt durch das Schlosstor zu Bergedorf. Es wurde eine lange, erregte Verhandlung, und als endlich der Vertrag unterzeichnet war, triumphierte der Lauenburger; denn Bergedorf mit allen dazugehörigen Besitzungen wurde ihm zuerkannt. Er hingegen übernahm die Geldschuld und bestätigte als Pfand Mölln mit den eingeschlossenen Ländereien.

Herrisch und überhebend war Erich aufgetreten. Da rief Pleskow dem Hochmütigen beim Abschied zu: „Es ist noch nicht aller Tage Abend! Es könnte die Stunde kommen, wo Ihr bereuen mögt, die Freundschaft Lübecks verscherzt zu haben!“

Schloss Bergedorf in sturmbewegter Zeit

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