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Kapitel 1
ОглавлениеDer interessanteste aller bisher bekannten
Hexenprozesse, nach einer defecten
Handschrift ihres Vaters, des Pfarrers
Abraham Schweidler in Coserow auf
Usedom
Vorrede.
Indem ich dem Publicum hiemit diesen tiefrührenden und fast
romanartigen Hexenproceß übergebe, den ich wohl nicht mit
Unrecht auf dem vorstehenden Titelblatte den interessantesten
Aller, bis jetzt bekannten, genannt habe, ertheile ich zuvörderst
über die Geschichte des Manuscriptes die folgende Auskunft:
In Coserow auf der Insel Usedom auf meiner vorigen Pfarre,
und derselben, welcher unser ehrwürdiger Verfasser vor länger als
200 Jahren vorstand, befand sich unter einem Chorgestühl der
dortigen Kirche und fast zu ebener Erde eine Art Nische, in
welcher ich zwar schon öfter einige Scripturen liegen gesehen, die ich
jedoch wegen meiner Kurzsichtigkeit und der Dunkelheit des Ortes
für verlesene Gesangbücher hielt, wie denn in der That auch deren
eine Menge hier umherlag. Eines Tages jedoch, als ich mit
Unterricht in der Kirche beschäftigt ein Papierzeichen ... (in) den
Katechismus eines Knaben suchte, und es nicht sogleich finden
konnte, trat mein alter, mehr als achtzigjähriger Küster (der auch
Appelmann hieß, aber seinem Namensverwandten in unserer
Lebensgeschichte durchaus unähnlich und ein zwar beschränkter,
aber sehr braver Mann wär) unter jenes Chorgestühl, und kehrte
mit einem Folianten zurück, der mir nie zu Gesicht gekommen
war, und aus dem er ohne Weiteres einen geeigneten Papierstreifen
riß und ihn mir überreichte. Ich griff sogleich nach dem Buche und
weiß nicht, ob ich schon nach wenigen Minuten erstaunter oder
entrüsteter über meinen köstlichen Fund war. Das in Schweinsleder
gebundene Manuscript war nicht blos vorne und hinten defect,
sondern leider waren auch aus der Mitte hin und wieder mehrere
Blätter gerissen. Ich fuhr den Alten an, wie nie in meinem Leben;
er entschuldigte sich aber dahin: daß einer meiner Vorgänger ihm
das Manuscript zum Zerreißen gegeben, da es hier seit Menschen
Gedenken umhergelegen, und er öfter in Papier-Verlegenheit
gewesen sei, beim Umwickeln der Altarlichte usw. Der greise, halb
blinde Pastor hätte es für alte Kirchenrechnungen gehalten, die doch
nicht mehr zu gebrauchen seien 1 .
Kaum zu Hause angekommen machte ich mich über meinen
Fund her, und nachdem ich mit vieler Mühe mich ein und
durchgelesen, regten mich die darin mitgetheilten Sachen mächtig an.
Ich fühlte bald das Bedürfniß mich über die Art und Weise
dieser Hexenprocesse, über das Verfahren ja über die ganze
Periode, in welche diese Erscheinungen fallen, näher aufzuklären.
Doch je mehr dieser bewundernswürdigen Geschichten ich las, je
mehr wurde ich verwirrt, und weder der triviale Beeker (die
bezauberte Welt) noch der vorsichtigere Horst (Zauberbibliothek)
und andere Werke der Art, zu welchen ich gegriffen hatte, konnten
meine Verwirrung heben, sondern dienten nur dazu, sie zu
vermehren.
Es geht nicht bloß ein so tiefer dämonischer Zug durch die
meisten dieser Schaudergeschichten, daß den aufmerksamen Leser
Grausen und Entsetzen anwandelt; sondern die ewigen und
unveränderlichen Gesetze der menschlichen Empfindungs- und
Handlungsweise werden auch oft auf eine so gewaltsame Weise
unterbrochen, daß der Verstand im eigentlichen Sinne des Wortes
stille steht; wie denn z.B. in einem der Originalprocesse, die ein
juristischer Freund in unserer Provinz aufgestöbert, sich die
Relation findet, daß eine Mutter, nachdem sie bereits die Folter
überstanden, das heilige Abendmahl genossen und im Begriff ist,
den Scheiterhaufen zu besteigen, so sehr alles mütterliche Gefühl bei
Seite setzt, daß sie ihre einzige, zärtlich geliebte Tochter, ein
Mädchen von fünfzehn Jahren, gegen welche Niemand einen
Verdacht hegt, sich in ihrem Gewissen gedrungen fühlt, gleichfalls
als Hexe anzuklagen, um, wie sie sagt, ihre arme Seele zu retten.
Das Gericht mit Recht erstaunt über diesen, vielleicht nie wieder
vorgekommenen Fall, ließ ihren Gesundheitszustand von Predigern
und Aerzten untersuchen, deren Original-Zeugnisse den Akten
noch beiliegen und durchaus günstig lauten. Die unglückliche
Tochter, welche merkwürdiger Weise Elisabeth Hegel hieß, wurde
in Folge dieser mütterlichen Aussage denn auch wirklich
hingerichtet 2 .
Die gewöhnliche Auffassung der neuesten Zeit, diese
Erscheinungen aus dem Wesen des thierischen Magnetismus zu
begreifen reichen durchaus nicht hin. Wie will man z.B. die tiefe,
dämonische Natur der alten Lise Kolken in dem vorliegenden
Werke daraus ableiten, die unbegreiflich ist, und es ganz erklärlich
macht, daß der alte Pfarrer, trotz des, ihm mit seiner Tochter
gespielten, entsetzlichen Betruges so fest in seinem Glauben an das
Hexenwesen, wie in dem, an das Evangelium bleibt.
Die früheren Jahrhunderte des Mittelalters wußten wenig oder
nichts von Hexen. Das Verbrechen der Zauberei, wo es einmal
vorkam, wurde milde bestraft. So z.B. setzte das Concilium zu
Ancyra (314) die ganze Strafe dieser Weiber in ein bloßes
Verbannen aus der christlichen Gemeinschaft; die Westgothen
bestraften sie mit Prügeln, und Carl der Große ließ sie auf den
Rath seiner Bischöfe so lange in gefänglicher Haft, bis sie aufrichtige
Buße thaten 3 . Erst kurz vor der Reformation klagt Innocentius
VIII., daß die Beschwerden der ganzen Christenheit über das
Unwesen dieser Weiber, so allgemein und in einem solchen Grade
laut würden, daß dagegen auf das Entschiedenste eingegriffen
werden müsse, und ließ zu dem Ende 1489 den berüchtigsten
Hexenhammer (malleus malleficarum) anfertigen, nach welchem
nicht blos in der ganzen katholischen, sondern merkwürdiger Weise
auch in der protestantischen Christenheit, die doch sonst alles
Katholische verabscheuete und zwar mit solchem fanatischen Eifer
inquirirt wurde, daß die Protestanten es weit den Katholiken an
Grausamkeit zuvor taten, bis katholischer Seits der edle Jesuit J.
Spee und protestantischer obgleich erst siebzig Jahre später, der
treffliche Thomasius dem Unwesen allmählich Einhalt thaten.
Nachdem ich mich auf das Eifrigste mit dem Hexenwesen
beschäftigt hatte, sah ich bald ein, daß unter allen diesen, zum
Theil so abenteuerlichen Geschichten, keine einzige an lebendigem
Interesse meine »Bernsteinhexe« übertreffen würde, und ich nahm
mir vor, ihr Schicksal in die Gestalt einer Novelle zu bringen.
Doch glücklicher Weise sagte ich mir bald: aber wie? ist ihre
Geschichte denn nicht schon an und für sich die interessanteste
Novelle? Laß sie ganz in ihrer alten ursprünglichen Gestalt; laß
fort daraus, was für den gegenwärtigen Leser, von keinem Interesse
mehr, oder sonst allgemein bekannt ist, und wenn du auch den
fehlenden Anfang und das fehlende Ende nicht wiederherstellen
kannst, so siehe zu, ob der Zusammenhang es dir nicht möglich
macht, die fehlenden Blätter aus der Mitte zu ergänzen, und fahre
dann ganz in dem Ton und der Sprache deines alten Biographen
fort, so daß wenigstens der Unterschied der Darstellung und die
gemachten Einschiebsel nicht gerade ins Auge fallen.
Dies habe ich denn mit vieler Mühe und nach mancherlei
vergeblichen Versuchen gethan, verschweige aber, an welchen Orten
es geschehen ist, um das historische Interesse der größten Anzahl
meiner Leser nicht zu trüben. Für die Kritik jedoch, welche nie eine
bewundernswürdigere Höhe als in unserer Zeit erreicht hat, wäre
ein solches Geständniß hier vollends überflüssig, da sie auch ohne
dasselbe gar leichtlich unterscheiden wird, wo der Pastor Schweidler,
oder wo der Pastor Meinhold spricht 4 .
Von dem jedoch, was ich fortgelassen, bin ich dem Publikum
noch eine nähere Nachricht schuldig. Dahin gehören:
1) lange Gebete, insofern sie nicht durch christliche
Salbung ausgezeichnet waren.
2) allgemein bekannte Geschichten aus dem
dreißigjährigen Kriege.
3) Wunderzeichen in den Wolken, die hie und da
sollten geschehen sein, und die auch
anderepommersehe Schriftsteller dieser
Schreckenszeit berichten, wie z.B. Micrälius 5 ;
Standen jedoch solche Angaben in Verbindung mit
dem Ganzen, z.B. das Kreuz auf dem Streckelberge,
so habe ich sie natürlich stehen lassen.
4) die Specifikation der ganzen Einnahme der
Coserower Kirche vor und während der
Schreckenszeit des dreißigjährigen Krieges.
5) die Aufzählung der Wohnungen, die nach den
Verheerungen des Feindes in jedem Dorf der
Parochie stehen geblieben.
6) die Angabe der Oerter, wohin dieses oder jenes
Mitglied der Gemeinde ausgewandert sei.
7) Ein Grundriß und eine Beschreibung des alten
Pfarrhauses usw.
Auch mit der Sprache habe ich mir hin und wieder einige
Veränderungen erlaubt, wie denn auch mein Autor in
Sprache und Orthographie nicht recht constant ist.
Letztere habe ich mit geringen Ausnahmen beibehalten.
Und somit übergebe ich denn dies vom Feuer des
Himmels wie der Hölle glühende Werk dem geneigten
Leser.
Meinhold.
Fußnoten
1 Und in der That kommen im Original einige
Rechnungen vor, die wohl beim ersten Anblick zu diesem
Irrthum verleiten konnten, und außerdem ist die
Handschrift schwer zu lesen, und an einigen Stellen
vergilbt und verrottet.
2 Auch diesen Prozeß gedenke ich noch herauszugeben,
da er ein ungemeines psychologisches Interesse hat.
3 Horst, Zauberbibliothek, VI, 231.
4 Vorläufige Proben des Ganzen befanden sich bereits in
der Christoterpe von 1841 und 42.
5 vom alten Pommernlande, Buch V.
Einleitung.
Die Abkunft unsers Biographen kann bei dem verloren
gegangenen Anfange seiner Schrift nicht mehr mit
Genauigkeit bestimmt werden. Er scheint jedoch
jedenfalls kein Pommeraner gewesen zu sein, denn
einmal spricht er von Schlesien, wo er in seiner Jugend
sich befunden; nennt sodann weit zerstreute Verwandte,
nicht blos in Hamburg und Cöln sondern sogar in
Antwerpen und verräth vor allen Dingen durch seine
süddeutsche Sprache seine auswärtige Abkunft. Hieher
rechne ich besonders Ausdrücke als: eim für einem, und
die eigne Derivation mancher Adjective z.B. tänein von
Tanne, seidin von Seide, eine Sprechweise, die, so viel ich
weiß, niemals in Pommern, wohl aber in Schwaben
vorgekommen ist. Doch mußte er bei Abfassung seiner
Schrift schon lange Zeit in Pommern gelebt haben, weil
er fast noch häufiger plattdeutsche Ausdrücke einmischt,
ganz wie dies eingeborne Pommersche Schriftsteller der
damaligen Zeit auch wohl zu thun pflegen.
Da er von altadlicher Herkunft ist, wie er bei
verschiedenen Gelegenheiten sagt; so möchte man
vielleicht in den Adelsregistern des siebzehnten
Jahrhunderts etwas Näheres über das Geschlecht der
Schweidler finden, und mithin auch über sein
wahrscheinliches Vaterland; allein ich habe mich
vergebens in den mir zugänglichen Quellen nach jenem
Namen umgesehen, und möchte daher vermuthen, daß
unser Autor, wie dies so häufig geschah, bei seinem
Uebergange zur Theologie, seinen Adel mit Abänderung
seines Namens ablegte.
Genug ich will hier nicht weitere Hypothesen wagen.
Unser Manuscript, in welchem die ansehnliche Zahl von
sechs Kapiteln fehlt, und welches auf den nächst
vorhergegangenen Blättern unstreitig sich über den
Ausbruch des dreißigjährigen Krieges auf der Insel
Usedom verbreitet hat, beginnt mit den Worten:
»Kaiserliche gehauset« und fährt dann fort wie folgt:
– – Koffer, Truhen, Schränke waren allesammt
erbrochen und zuschlagen, auch mein Priesterhemd
zurissen, so daß in großen Aengsten und Nöthen stände.
Doch hatten sie mein armes Töchterlein nit gefunden,
maßen ich sie in einem Stall, wo es dunkel war,
verborgen, denn sonst sorge ich, hätten sie mir noch
mehr Herzeleid bereitet. Wollten die räudigen Hunde
doch schon meine alte Ilse ein Mensch bei schier 50
Jahren angehen, hätte es ihnen ein alter Kornett nicht
gewegert. Dankete dahero meinem Schöpfer, als die
wilden Gäste wegkwaren, daß ich allermeist mein armes
Kind vor ihren Klauen geborgen, wiewohl kein Stäublein
Mehl, kein Körnlein Getreide noch ein Stücklein Fleisch
bei eines Fingers Länge mehr fürhanden, und ich nit
wußte wie ich mein und meines armen Kindes Leben
weiter fristen söllte. Item dankete Gott, daß ich noch die
vasa sacra geborgen, welche ich gleich mit den beiden
Türstehern als, Hinrich Seden und Claus Bulken von
Uekeritze in der Kirchen vor dem Altar vergrübe, Gott
die Obhut empfehlend. Weil nun aber, wie bemeldet, ich
bittern Hunger litte, so schrieb an Se. Gestrengen den
Herrn Amtshauptmann Wittich von Appelmann auf
Pudgla 1 daß er umb Gotts und seines heiligen
Evangeliums willen in sollich schwerer Noth und Trübsal
mir zukommen ließe, was Se. Fürstliche Gnaden,
Philippus Julius mir an Praestandis vom Kloster zu
Pudgla beigeleget, als nämlich 30 Schffl. Gerste und 25
Mark Silbers, welche Sr. Gestrengen mir aber bis
nunmehro gewegert. (Denn er war ein fast hart und
unmenschlicher Mann sintemalen er das heilige
Evangelium und die Predigt verachtete, auch öffentlich
und sonder Scheue seinen Spott über die Diener Gottes
hatte, nämblich, daß sie unnütze Brodtfresser wären, und
Lutherus den Schweinestall der Kirchen nur halb
gesäubert. Gott bessers! –) Aber er antwortete mir nit,
und ich wäre schier verschmachtet, wenn Hinrich Seden
nicht für mich im Kapsel 2 gebetet. Gott lohn's dem
ehrlichen Kerl in der Ewigkeit! Er wurde dazumalen auch
schon alt und hatte viel Plage von seinem bösen Weibe,
Lise Kollken. Dachte gleich, daß es nit sonderlich gehen
würd, als ich sie traute; angesehen sie im gemeinen
Geschrei war, daß sie lange mit Wittich Appelmann in
Unzucht gelebet, welcher von jeher ein rechter Erzschalk
und auch absonderlich ein hitziger – – – Jäger gewest,
denn so etwas gesegnet der Herre nicht. Selbiger Seden
nun brachte mir 5 Brodte, 2 Würste und eine Gans, so
die alte Paalsche in Loddin ihm verehret, item eine Seite
Speck von Hans Tewert dem Bauern. Müchte ihn aber
vor seiner Frauen schützen, welche die Hälfte hätte vor
ihr behalten wollen, und da er sich gewegert, hätte sie ihn
vermaledeiet und die Kopfgicht angewünscht, so daß er
gleich ein Ziehen in der rechten Wangen verspüret,
welches jetzunder fast hart und schwer geworden. Für
solcher erschröcklichen Nachricht entsetzte ich mich, wie
einem guten Seelenhirten geziemet, fragende: ob er
vielleicht gläubete, daß sie in bösem Verkehr mit dem
leidigen Satan stünde, und hexen könnte? Aber er
schwiege und zuckete mit den Achseln. Ließ mir also die
alte Lise rufen welche ein lang, dürr Mensch, bei 60
Jahren war, mit Gluderaugen, so daß sie Niemand nit
gerade ins Antlitz schauete, item mit eitel rothen Haaren
wie sie ihr Kerl auch hatte. Aber obwol ich sie fleißig auf
Gotts Wort vermahnete gab sie doch keine Stimme, und
als ich endlich sagete: Willtu deinen Kerl wieder umböten
3 (denn ich sahe ihn auf der Straßen vor das Fenster,
allbereits als einen Unsinnigen rasen) oder willtu, daß
ich's der Obrigkeit anzeige, gab sie endlich nach und
verspräche, daß es bald sölle besser mit ihm werden; (was
auch geschach) item bat sie, daß ich ihr wölle etwas Speck
und Brod verehren, dieweil sie auch seit dreien Tagen
kein ander Fleisch und Nahrung mehr zwischen den
Zähnen gehabt, denn ihre Zunge. Gab ihr mein
Töchterlein also ein halb Brod, und ein Stück Speck bei
zweer Händen Länge, was ihr aber nicht genugsam
bedünkete, sondern mummelte zwischen den Zähnen,
worauf mein Töchterlein sagte: bistu nicht zufrieden,
alter Hexensack, so packe dich und hilf erst deinem Kerl,
schaue wie er das Haubt auf Zabels Zaun geleget und mit
den Füßen vor Wehetage trampelt, worauf sie ginge,
doch abermals zwischen den Zähnen mummelnde: »Ja,
ich will ihm helfen und dir auch!«
Fußnoten
1 Schloß auf Usedom, früher ein berühmtes Kloster
2 Allmosen in der Gemeinde eingesammelt.
3 umzaubern.
Capitel 7.
Wie die Kaiserlichen mir alles Uebrige geraubet, auch die
Kirchen erbrochen und die vasa Sacra entwendet; item
was sonsten fürgefallen.
Nach etzlichen Tagen, als unsere Nothdurft fast
verzehret, fiel mir auch meine letzte Kuh umb (die
andern hatten die Wülfe, wie oben bemeldet, allbereits
zurissen) nicht ohne sonderlichen Verdacht, daß die Lise
ihr etwas angethan, angesehen sie den Tag vorhero noch
wacker gefressen. Doch lasse ich das in seinen Würden,
dieweil ich Niemand nit verleumbden mag; kann auch
geschehen sein durch die Schikkung des gerechten
Gottes, deßen Zorn ich wohl verdienet hab' – Summa:
ich war wiederumb in großen Nöthen und mein
Töchterlein Maria zuriß mir noch mehr das Herze durch
ihr Seufzen, als das Geschreie anhub: daß abermals ein
Trupp Kaiserlicher nach Uekeritze gekommen, und noch
gräulicher denn die ersten gemarodiret, auch das halbe
Dorf in Brand gestecket. Derohalben hielt ich mich nicht
mehr sicher in meiner Hütten, sondern nachdem in
einem brünstigen Gebet Alles dem Herrn empfohlen,
machte mich mit meinem Töchterlein und der alten Ilsen
auf, in den Streckelberg 1 wo ich allbereits ein Loch, einer
Höhlen gleich, und trefflich von Brommelbeeren
verrancket uns ausersehen, wenn die Noth uns
verscheuchen söllte. Nahmen daher mit, was uns an
Nothdurft des Leibes geblieben, und rannten mit Seufzen
und Weinen in den Wald, wohin uns aber bald die alten
Greisen und das Weibsvolk mit den Kindern folgten,
welche ein groß Hungergeschrei erhoben. Denn sie
sahen, daß sich mein Töchterlein auf einen Stubben
satzte, um ein Stück Fleisch und Brod verzehrete, kamen
also die kleinen Würmer mit ausgereckten Händeleins
angelaufen und schrieen: uck hebben, uck hebben 2 .
Wannenhero da mich solch groß Leid billig jammerte,
meinem Töchterlein nit wehrete, daß sie alles Brod und
Fleisch so vorräthig unter die hungrigen Kindlein
vertheilete. Erst mußten sie aber dafür »Aller Augen« 3
beten, über welche Wort ich dann eine tröstliche
Ansprach an das Volk hielte, daß der Herr, welcher
jetzunder ihre Kindlein gespeiset auch Rath wissen würde
ihren eigenen Bauch zu füllen, möchten nur nit müde
werden ihm zu vertrauen.
Aber sollich Trost währete nicht lange. Denn
nachdeme wir wohl an die zween Stunden in und um der
Höhlen uns gelagert, huben die Glocken im Dorfe so
kläglich an zu gehen, daß es einem Jeglichen schier das
Herze brach, angesehen auch dazwischen ein laut
Schießen, item das Geschrei der Menschen und das
Bellen der Hunde erschallete, so daß männiglich gießen
kunnte, der Feind sei mitten im Dorfe. Hatte dannenhero
genug mit den Weibern zu tüschen 4 daß sie nicht durch
ihr unverständig Lamentiren dem grimmigen Feind
unsern Schlupfwinkel verrathen möchten, zumalen als es
anfing schmockig zu riechen, und alsobald auch die helle
Flamme durch die Bäume glitzerte. Schickete derohalben
den alten Paassch oben auf den Berg daß er umbherlugen
sollt, wie es stünde, hätte sich aber wohl zu wahren, daß
man ihn nicht vom Dorfe erschaue, anerwogen, es erst zu
schummern begunte. Solliches versprach er und kam
alsbald auch mit der Bothschaft zurücke, daß gegen 20
Reuter aus dem Dorfe gen die Damerow gejagt wären
aber das halbe Dorf in rothen Flammen stünd. Item
erzählete er, daß durch seltsame Schickung Gottes sich
sehr viel Gevögel in den Knirkbüschen 5 und anderswo
sehen ließ, und meinete, wenn man sie nur fangen
künnte, daß sie eine treffliche Speiß vor uns abgeben
würden. Stieg also selbsten auf den Berg, und nachdem
ich alles so befunden, auch gewahr worden daß durch des
barmherzigen Gottes Hülf das Feuer im Dorfe
nachgelassen, item daß auch mein Hüttlein wider mein
Verdienst und Würdigkeit annoch stünde, stieg ich
alsbald herunter, tröstete das Volk und sprach: der Herr
hat uns ein Zeichen gegeben und will uns speisen, wie
einst das Volk Israel in der Wüsten, denn er hat uns eine
treffliche Schaar von Krammetsvögeln über die wüste
Sehe gesendet, welche aus jedem Büschlein burren, so
man ihm nahet. Wer will nun in das Dorf laufen und
schneiden die Mähnhaare und den Schwanz von meiner
gefallenen Kuh wegk, so hinten auf der Wörthe liegt.
(Denn Roßhaare hatte es im ganzen Dorf nicht, dieweil
alle Roß vom Feinde längst genommen oder erstochen
waren.) Aber es wollte sich Niemand nit finden
angesehen die Angst noch größer war, denn der Hunger,
als meine alte Ilse anhub: so will ich schon gehen, denn
ich fürchte mich nit, dieweil ich auf Gottes Wegen bin,
gebet mir nur einen guten Stock. Als ihr nun der alte
Paassch seinen Stecken hingereichet, begunte sie vor sich
zu singen. »Gott der Vater wohn uns bei«, und verlief
sich bald in das Gebüsche. Hierzwischen vermahnete ich
nun das Volk, alsbald Hand anzulegen, kleine Rüthlein zu
den Dohnen zu schneiteln und Beeren zu suchen, dieweil
es Mondschein ware, und allwärts viel Gänseflieder auch
Ebereschen auf dem Berge stunden. Die kleinen Kindlein
aber hütete ich mit meiner Marien, dieweil die Gegend
nicht sicher für Wülfen war. Hatten derohalben ein lustig
Feuer angemacht, umb welches wir uns setzten und dem
kleinen Volk die Gebot verhöreten, als es hinter uns
knisterte und knasterte, und mein Töchterlein mit den
Worten: proh dolor, hostis! 6 auf und im die Höhlen
sprang. Aber es waren nur die rüstigen Kerls, so im
Dorfe verblieben, und nun kamen, uns Bothschaft zu
bringen, wie es alldorten stünde. Dahero rief ihr gleich
zu: emergas, amici 7 wo sie denn auch mit großen
Freuden wieder herfürsprang und bei uns zum Feuer
niedersaß. Allsobald verzählete nun mein Fürsteher
Hinrich Seden was derweilen fürgefallen, und wie er nur
durch sein Weib Lise Kolken sein Leben geborgen.
Jürgen Flatow, Chim Burse, Clas Peer und Chim Seideritz
aber wären erschlagen, und läge letzterer recht auf dem
Kirchsteig. Zwölf Katen hätten die grimmigen
Mordbrenner in Asche geleget und wär es nit ihre Schuld,
daß nicht das ganze Dorf draufgegangen angesehen der
Wind ihnen nicht gepasset. Hätten zum Hohn und
Gespötte die Glocken dazu geläutet, ob Niemand
kommen wöllt und löschen, und als er und die andern
jungen Kerle herfürgesprungen hätten sie die Musqueten
auf sie abgedruckt, aber mit des großen Gotts Hülfe
Niemand nit getroffen. Darauf wären seine Gesellen über
die Zäune gesprungen, ihn aber hätten sie erwischet, und
schon das Gewehr über ihm ausgerecket, als sein Weib
Lise Kollken mit eim andern Trupp aus der Kirchen
herfürgetreten, und ihnen gewinket daß er Ruhe gehabt.
Lene Hebers aber hätten sie in ihrem Wochenbett
erstochen, das Kindlein gespießet und über Claas Peers
Zaum in den Nessel geworfen, wo es annoch gelegen, als
sie abgelaufen. Wäre jetzunder im ganzen Dorf
derohalben keine lebendige Seele mehr, und noch
schwerer ein Bissel Brods, so daß, wenn den Herrn nit
ihre Noth jammerte, sie alle des elendiglichen
Hungertodes würden sterben müssen.
(Da sage nun Einer: das wöllen Christenmenschen
sein!)
Fragte nunmehro, als er schwiege (mit wie viel
Seufzen jedoch, kann man leichtlich gießen) nach meiner
Hütten, wovon sie aber nichts wußten, als daß sie annoch
stünde. Ich dankete dannenhero dem Herrn mit einem
stillen Seufzerlein und alsobald den alten Seden fragend
was sein Weib in der Kirchen gemachet, hätte ich schier
vergehen mügen für großem Schmerz, als ich hörete, daß
die Lotterbuben, als sie heraußer getreten die beiden
Kelche nebst den Patenen in Händen getragen. Fuhr
dahero die alte Lise fast heftig an, welche nun auch
angeschlichen kam durch das Buschwerk, worauf sie aber
trotziglich zur Antwort gab: daß das fremde Volk sie
gezwungen die Kirche aufzuschließen, da ihr Kerl ja sich
in den Zaum verkrochen, und Niemand Anders nit da
gewesen. Selbige wären sogleich für den Altar getreten,
und da ein Stein nicht wohl gefuget (was aber eine
Erzlüge war) hätten sie alsobald angefangen mit ihren
Schwertern zu graben, bis sie auch die Kelche und
Patenen gefunden. Könnte auch sein daß ein Anderer
ihnen den Fleck verrathen. Möchte dahero ihr nicht
immer die Schuld beilegen, und sie also heftig
anschnautzen.
Hierzwischen kamen nun auch die alten Greisen und
Weiber mit trefflich vielen Beeren an, item meine alte
Magd mit dem Kuhschwanz und den Mähnhaaren,
welche verzählete, daß das ganze Haus umbgewühlet, die
Fenster zuschlagen, die Bücher und Scripturen auf der
Straßen in den Koth getreten und die Thüren aus den
Hespen gehoben wären. Solliches aber war mir ein
geringer Leid, denn die Kelche, dahero nur das Volk
vermahnete Biegel und Schneere zu machen, umb am
nächsten Morgen mit des barmherzigen Gotts Hilfe
unser Jagdwerk zu vollenführen.
Klöbete dahero selber die Rüthlein bis um
Mitternacht und da wir eine ansehnliche Zahl gefertiget,
ließ ich den alten Hinrich Seden den Abendseegen beten,
den wir alle knieende anhöreten, worauf ich endiglichen
noch ein Gebet that, und das Volk sodann vermahnete,
die Männer apart und die Weiber auch apart sich für die
Kälte (Dieweil es schon im Monat Septembri war und
fast frisch von der Seekante herwehete) in dem
Buschwerk zu verkriechen. Ich selbsten stieg aber mit
meinem Töchterlein und der Magd in die Höhlen, hatte
aber noch nicht lange geschlummert, als ich den alten
Seden fast heftig wimmern hörete, weilen ihn die Kolik
überfallen, wie er klagte. Stand dahero wieder auf und
gab ihm mein Lager, und setzte mich wieder zum Feuer,
und schneitelte Dohnen, bis ich ein halb Stündchen
entschlief und der Morgen anbrach, worauf es besser mit
ihm worden war, und ich nun auch alsobald mich
aufmachte und das Volk zum Morgenseegen weckte.
Diesesmal thät ihn der alte Paassch kunnte aber nit recht
hineinkommen, weshalb ich ihm aushelfen mußte. Hatt'
er ihn vergessen oder thats die Angst, das lasse ich
ungesagt. Summa. Nachdem wir All recht inniglichen
gebetet, schritten wir alsofort zum Werk, keilten die
Dohnen in die Bäume und umbhingen sie mit Beeren,
unterdessen mein Töchterlein der Kinder hüthete, und
Brummelbeeren vor sie zum Frühstück suchete. – Nun
soll man aber wissen, daß wir quer durch den Busch gen
den Weg nach Uekeritze hin keileten, und da merke nun
männiglich wieder die sonderbare Gnadenschickung des
barmherzigen Gotts. Denn als ich mit dem Beil in der
Hand (es war Seden sein Beil, so er in der Frühe aus dem
Dorfe gehohlet) in bemeldeten Weg trate, nehm ich auf
der Erden ein Brod wahr, bei eines Armes Länge, worauf
ein Rabe pickete, und welches sonder Zweifel ein
kaiserlicher Reuter Tags vorhero aus seinem Schnappsack
verloren, dieweil noch frische Roßtrappen im Sande
dabei stunden. Knöpfe mir es also heimlich über den
Wanst, so daß Niemand nichtes merkete, obschon
bemeldeter Paassch dicht hinter mir schritt, item alle
Andern in nicht gar guter Ferne ihm folgeten. Als wir
nun so die Dohnen bestellet in großer Frühe, hatte es
schon gegen die liebe Mittagszeit eine so große Menge
Vögel darinnen, daß Käthe Berow welche mir zur Seiten
schritt, als ich sie abbande, dieselben in ihrem
Schurzfleck fast nit zu lassen mußte, und auf dem andern
Ende der alte Pagels auch nit viel weniger aus seinem
Brustlatz und Rocktaschen herfürlangte. Mein
Töchterlein satzte sich also mit den andern Frauensvolk
hin, das Gevögel zu rupfen, und da es an Salz gebrach,
(denn dessen hatten die Meisten von uns lange nicht
mehr gekostet,) vermahnete sie ein Paar Männer, zur
Sehe zu steigen, und in einem Grapen, so noch von
Staffer Zuter geborgen war, ein wenig gesalzen Wasser zu
hohlen, was sie auch thäten. In solchem Wasser tunketen
wir nunmehro die Vöglein und brieten sie darauf bei
einem großen Feuer, wobei uns allen schon vom dem
süßen Geruch das Maul zu wässern begunnte, da wir so
lange keiner Speisen nicht gekostet.
Sage dahero als alles fertig, und das Volk sich auf der
Erden gelagert hat: nun schauet wie der Herr sein Volk
Israel in der Wüsten noch immerdar mit frischen
Wachteln speiset, sollt er nun ein Uebriges thun, und uns
auch ein Stücklein Mannabrod vom Himmel senden, was
meinet ihr, würdet ihr dann jemalen müde werden zu
gläuben, und nit vielmehr alle Noth, Trübsal, Durst und
Hunger williglich tragen, so er euch förder nach seinem
gnädigen Willen auferlegen söllte? worauf sie alle
antworteten und sprachen: ja sicherlich! Ego: Wöllt ihr
mir das wahrhaftiglichen versprechen, worauf sie
wiederumb sageten: ja das wollen wir! Da zog ich mit
Thränen das Brod von meinem Wanst herfür, hub es
hoch in die Höhe und rufete: nun schau du armes,
gläubiges Häuflein, welch ein süßes Mannabrod dein
treuer Erlöser Dir durch mich gesendet, worauf alles
schriee, ächzete, weinete, auch die kleinen Kinder
abermals herbeisprangen, und die Händlein ausrecketen,
indeme sie schrien: »kiekt Brod, kiekt Brod!« Da ich aber
vor Wehemuth selbsten nit beten kunte, ließ ich Paassch
sein klein Mägdlein das Gratias beten, in währender Zeit
meine Maria das Brodt zuschnitt und einem Jeglichen
sein Theil reichete. Und nun langeten wir allesammt
freudig zu dem lieben Gottesmaal in der Wüsten.
Hierzwischen mußte nun aber erzählen, wie ich das
liebe Mannabrod gefunden, wobei nit versäumete sie
abermals zu vermahnen, daß sie wöllten das große
Wunderzeichen sich zu Herzen gehen lassen, so der
barmherzige Gott, wie weiland an dem Propheten Elisa,
an ihnen auch gethan, angesehen wie ein Raab in der
großen Hungersnoth demselbigen das Brod in der
Wüsten zugefuhret, der Herr auch mir dieses Brod durch
einen Raben zugeführet, daß ich es finden gemüßt, da ich
ihm sonst wohl in meiner Trübsal vorbeigeschritten, und
es nimmer gesehen hätte.
Als wir endiglichen unsern Bauch mit Nothdurft
gefüllet, hielte die Danksagung über Lucas 12, v. 24, wo
der Herre spricht: nehmet wahr den Raben, sie säen
nicht, sie erndten auch nit, sie haben auch keine Keller
noch Scheuen, und Gott nähret sie doch, Wieviel aber
seid ihr besser denn die Vögel? – Aber unsere Sünden
stunken vor dem Herrn. Denn da die alte Lise, wie ich
bald in Erfahrung gebracht ihre Vögel nit verzehret,
weilen sie ihr zu nüchtern fürkamen, sondern selbige in
den Knirkbusch 8 geworfen, ergrimmete sein Zorn über
uns, wie weiland über das Volk Israel, und wir hatten zur
Nacht nur sieben Vögel auf den Schneeren, am andern
Morgen aber nur zween. Auch kam kein Raab wieder, der
uns Brod wiese. Darumb schalt ich die alte Lise und
vermahnete das Volk, sollich gerechte Strafe des
höchsten Gottes williglich auf sich zu nehmen, fleißig zu
beten, in seine verlassenen Hütten zurückzuwallen, und
zu sehen, ob der grundgütige Gott vielleicht auf der Sehe
mehr bescheeren möcht. Würde ihn auch in mein Gebet
Tag und Nacht anrufen; doch noch eine Zeit lang mit
meinem Töchterlein und der Magd in der Höhlen
verblieben und der Dohnen hüten, ob sich sein Zorn
wenden möcht. Sollten mir inzwischen mein Pfarrhaus
nach besten Kräften wieder zurichten, damit ich es bald
wieder beziehen könnt, sintemalen die Kälte mir fast
schwer fiele. Solliches gelobten sie auch zu thun, und
schieden mit Seufzen von dannen. Welch ein klein
Häuflein! – fande nur noch bei 25 Köpfen, da deren doch
sonsten über 80 gewest; alle andern hatte der Hunger, das
Schwert und die Pestilenz 9 gewürget. Blieb dahero noch
mit meinem Gebet für Gott eine Zeitlang einsam und
traurig in den Höhlen und sendete nur mein Töchterlein
nebst der Magd mit zum Dorfe, daß sie sich umbsehen
sollten, wie es in der Widemen 10 stände, item die
Schriften und Bücher wieder zusammenlesen, auch mir
Kundschaft bringen, ob Hinze der Zimmermann, den ich
alsobald in's Dorf zurückgesendet, die Särge vor die
elenden Leichnahme zusammengehämmert, daß ich sie
des nächsten Tages begraben möchte. Darauf schritt ich
zu den Dohnen, aber nur ein einig Vögelein war darinnen
zu verspüren, woraus ich denn merkete, daß der Zorn
Gottes noch nit vorüber.
Traf jedoch einen schönen Brummelbeerenbusch,
woran ich bei einer Metze Beeren pflückete, mit dem
Vogel selbige in Staffer Zuter seinen Grapen thät, den
der gute Kerl uns noch eine Frist gelassen und zur
Nachtkost auf ein Feuer setzete, wann mein Kind mit der
Magd zurückkehren würd. Währete auch nicht lange, als
sie durch den Busch brachen und von dem Gräuel der
Verwüstung erzähleten, so der leidige Satan unter
Zulassung des gerechten Gottes im Dorf und in der
Widemen angerichtet. Mein Töchterlein hatte noch ein
paar Bücher zusammengelesen, die sie mit sich trug, vor
andern einen Virgilium und eine griechische Bibel. Und
als sie darauf verzählet, daß der Zimmermann erst
morgen fertig würd, wie auch alsbald unsem Bauch zur
Nothdurft gestillet, mußte sie mir zur Stärkung meines
Glaubens noch einmal den locum von den lieben Raaben
Lucas am 12ten aus dem Griechischen fürlesen, item den
schönen locum parallelum Matth. am 6ten, worauf die
Magd den Abendseegen betete, und wir uns nach den
Höhlen zur Nachtruh begaben. Als ich nun am andern
Morgen erwachte, als eben die liebe Sonne aus der Sehe
herfürbrach und über den Berg schauete, hörete, ich, daß
mein arm hungrig Töchterlein schon vor der Höhlen
stand und das schöne Liedlein von den Freuden des
Paradieses recitirte, so der heilige Augustinus gefertiget,
und ich ihr gelernet. 11 Sie schluchzete für Jammer als sie
die Worte sprach:
uno pane vivunt dives utriusque patriae
avidi et semper pleni, quod habent, desiderant
non sacietas fastidit, neque fames cruciat
inhiantes semper edunt, et edentes inhiant
flos perpetuus rosarum ver agit perpetuum,
Candent lilia rubescit crocus, sudat balsamum,
virent prata, vernant sata, rivi mellis influunt
pigmentorum spirat odor liquor et aromatum,
pendent poma floridorum non lapsura nemorum
non alternat luna vices, sol vel cursus syderum
agnus est foelicis urbis lumen inocciduum 12
Bei diesen Worten wurde ich selbsten weich, und als sie
schwiege, fragte ich: »was machst du da mein
Töchterlein?« worauf sie mir zur Antwort gabe: »ich esse
Vater.« was mir erst recht die Thränen herfürtrieb, so daß
ich anfing sie zu loben, daß sie die arme Seele speißen
wöllt, da sie es nicht ihren armen Leib künnte. Hatte aber
noch nit viel gesprochen, als sie aufschriee, daß ich das
große Wunderwerk doch betrachten söllte, so sich aus
der Sehe herfürthät, und allbereits über der Höhlen
hereinbrach. Denn siehe, eine Wolke, ganz wie ein Kreuz
geformiret, kam über uns und ließ dicke schwere Tropfen
bei einer guten Erbsen groß und drüber auf uns
niederfallen, worauf sie alsbald hinter das Gehäge sank.
Richtete mich dannenhero sogleich in die Höhe, und
rannte mit meinem Töchterlein flugs auf das Gebirge, ihr
nachzuschauen. Sie zog gen das Achterwasser 13 , wo sie
sich weit auseinander thät, und hinterwärts alsbald einen
großen blauen Streifen formirete, welchen wunderlich die
Sonne beschien, so daß er schier wie eine güldne Brücken
anzuschauen war, wie mein Töchterlein sagte, auf
welcher die lieben Engel tanzten. Fiel daher mit ihr
sogleich auf die Kniee und dankete dem Herrn, daß unser
Kreuz für über gezogen, aber ach unser Kreuz sollte erst
anheben, wie man weiter lesen wird.
Fußnoten
1 Ein ansehnlicher Berg am Meere nahe bei Coserow.
2 auch haben, auch haben.
3 Ps. 145, 15, 16.
4 beschwichtigen.
5 Wachholderbüsche.
6 o Jammer der Feind ist da! – Ueber die wunderbare
Bildungsweise des Mädchens erklärt sich unser Verfasser
später.
7 komm nur wieder hervor, es sind Freunde!
8 Wachholdergebüsch.
9 fand im Jahre 1628 statt und häufte das Elend des
30jährigen Krieges auf der hiesigen Insel auf das
Unerträglichste. Schade, daß die Schilderung des alten
Pfarrers, welche er ohne Zweifel in dem Vorhergehenden
gegeben, verloren ist.
10 Pfarrhaus.
11 Dies ist ein Irrthum. Das nachfolgende Lied ist von
dem Cardinal-Bischof von Ostia Peter Damianus ( 23sten
Febr. 1072) nach Augustins Prosa überdichtet.
12
Wir versuchen hier eine Uebersetzung dieser schönen
Stelle:
Alle Bürger dieses Landes leben nur von einem Brod.
–
Hungrig stets und stets gesättigt, trübt ihr Sehnen
keine Noth,
Fühlen nie der Sattheit Ekel, auch die Qual des
Hungers nie,
Athmend essen sie beständig, ha und essend athmen
sie!
Ewig blüht die Rosenknospe hier im ew'gen Frühling
auch
Weiß die Lilie, roth der Krokus, duftend träuft der
Balsamstrauch,
Grün die Wiesen, grün die Saaten, und von Honig
rinnt der Bach.
Das Aroma süßer Blumen haucht und duftet
tausendfach.
Blühnde Wälder tragen Aepfel, deren Stengel nimmer
bricht.
Und nicht Sonne, Mond noch Sterne wechseln dorten
mehr ihr Licht.
Denn ihr Licht, das nimmer schwindet, ist des
Lammes Angesicht.
13 Ein Busen, den der Peenefluß in der Nähe bildet.
Capitel 8.
Wie unsere Noth immer größer wird, ich die alte Ilse mit
einem andern Schreiben gen Pudgla sande, und was mir
daraus noch für ein größer Leid erfolget.
Als ich des andern Tags mit gemeinem Geschrei, des
ganzen Dorfs die elenden Leichname beerdiget (merke,
da wo die Linde 1 über die Mauer schattet, seind sie alle
begraben) hörete ich mit vielen Seufzern, daß auch weder
die Sehe noch das Achterwasser etwas hergeben gewöllt.
Dies dauerte bei zehn Tagen, daß das arme Volk fast kein
Fisches Auge nit kunnte fangen. Ging dahero auf das
Feld, und sanne, wie der Zorn des gerechten Gottes über
uns zu wenden wär, dieweil der harte Winter vor der
Thür und kein Korn, kein Fisch, kein Apfel, kein Fleisch
nicht sowohl im Dorfe als im ganzen Kapsel mehr zu
finden. Denn Gewilde hatte es zwar genugsam in der
Coserowschen und Uekeritzer Heiden, aber der alte
Heidenreuter Zabel Nehring war im verschienen Jahr an
der Pestilenz gestorben, und noch kein neuer daselbsten.
Auch war im ganzen Kapsel keine einige Mousquete oder
Kraut dazu aufzufinden, sintemalen der Feind alles
geraubet und zubrochen. Wir mußten dahero alle Tage
ansehen, wie Hirsche, Rehe, Haasen, Schweine et cet. uns
fürbei sprangen, da wir sie doch lieber in unserm Magen
gehabt, aber in unserer Unmacht sie nicht gewinnen
kunnten. Und in Gruben wollten sie sich nicht fahen
lassen. Doch hatte Claus Peer ein Rehe darin gefangen,
und mir auch ein Stück davon verehret, was ihm Gott
lohnen wölle. Item an zahmen Vieh war fast gar nichtes
mehr in Kapsel fürhanden, auch kein Hund, weder eine
Katze, welche das Volk in der großen Hungersnoth zum
Theile gegessen, zum Theile aber vorlängst geschlagen
oder versäufet. Doch hatte der alte Bauer Paassch noch
zwei Kühe item soll in Uekeritze noch ein alter Mann ein
Ferkelken gehabt haben, das war Alles. Darumb lebete
fast alles Volk von Brummel- und andern Waldbeeren,
welche aber auch schon begunnten seltsam zu werden,
wie man leichtlich gießen mag. Auch hatte sich dabei
allbereits ein Knabe bei 14 Jahren verloffen, (den alten
Labahn sein Junge) und nie nichtes wieder von sich
hören lassen, so daß ich schier befahre, daß ihn die Wülfe
gefressen.
Hieraus möge nun ein christlich Herze vor sich
selbsten abnehmen, in was Gram und Trübsal ich meinen
Stecken zur Hand genommen, angesehen mein
Töchterlein für den leidigen Hunger wie ein Schatten
verging, obschon ich selbsten als ein alter Körper, durch
die Gnade des barmherzigen Gottes noch keinen
sonderbaren Abgang meiner Kräft verspürete. Indeme
ich nun so ginge im fortwähren zu dem Herrn
wimmernd, gewahrete ich auf dem Wege gen Uekeritze
so ich eingeschlagen, einen Bettlersmann, der saß mit
seinem Ränzel auf einem Stein und verzehrete ein
Stücklein seltene Gottesgabe, verstehe ein Stücklein
Brod. Ach, da liefen mir armen Mann die Backen so voll
Wassers, daß ich mich erst bücken und es zur Erde
mußte laufen lassen, ehe ich fragen kunte: »wer bistu, und
wo kommstu her, daß du Brod hast?« Worauf er
antwortete: daß er ein armer Mann aus Bannemin sei,
deme der Feind Allens genommen, und da er erfahren,
daß der Lieper Winkel 2 fast lange Frieden gehabt, hätt' er
sich aufgemacht daselbsten zu schnurren. »Nunsage ich
darauf: du armer Bettlersmann, so theile einem betrübten
Diener Christi der ärmer ist denn du, nur eine kleine
Schnede 3 Brodt für sein armes Töchterlein ab, denn du
sollt wissen, ich bin ein Pfarrherr hier im Dorf und mein
Kind will sterben für Hunger. Ich beschwere dich bei
dem lebendigen Gott, daß du mich nit gehen lässest,
ohne dich mein zu erbarmen, wie man sich dein erbarmet
hat.« Aber der Bettlersmann wollte mir nichts abtheilen,
sprechende: daß er selbsten ein Weib und vier Kinder
hätte, die auch dem bittern Hungerstode zuwanketen,
massen die Noth in Bannemin noch viel größer sei, denn
hier, wo wir doch Beere hätten. Ob ich nit erfahren, daß
vor wenig Tagen dort ein Weibsbild (die er auch nennete,
hab es aber für Schrecken nicht gleich beachtet) ihr eigen
Kind geschlachtet, und für Hunger aufgezehret 4 ? Könne
mir dahero nicht helfen und möchte ich selbsten nach
dem Lieper Winkel gehen.
Für solche Rede entsatzte ich mich, wie leicht zu
erachten, da in unserer Noth noch nichts daran
vernommen, auch wenig oder gar kein Wanken ist, von
einem Dorf in das andere, und an Jerusalem gedenkend 5
und schier verzweifelnde, daß uns der Herr heimsuchete,
wie weiland diese gottlose Stadt, wiewohl wir ihn nicht
verrathen noch gekreuziget, vergaß ich fast meiner Noth,
und setzte meinen Stecken an, umb fürbast zu gehen.
Doch war ich kaum ein paar Ehlen geschritten, als mir
der Bettlersmann nachrief, daß ich stehen söllte.
Wanndte mich dahero wieder als er mir mit einer guten
Schnede Brod, so er aus seinem Queersack gehohlet
entgegentrat und sprach: Da! äwer bedet uck för mi, datt
ick to Huuse kame, denn wenn se unnerweges rücken,
datt uk Brod hebbe, schleht mi min egen Broder dod,
köhnt gi glöwen. 6 Solliches versprach mit Freuden, und
kehrete flugs um, meinem Töchterlein den heiligen Christ
zu bringen, so ich in meiner Rocktaschen verborgen.
Doch siehe, als ich gegen die Straßen komme, so vom
Wege nach Loddin führet (vorhero hatt' ich es in meiner
Betrübniß übersehen) trauete kaum meinen Augen, als
ich alldorten mein Ackerstück bei sieben Scheffeln groß,
begatet 7 besäet und bestaudet antraff, so daß die liebe
Roggensaat, schon bei eines Fingers Länge lustig aus der
Erden geschossen war. Konnte nicht anders gläuben, als
daß der leidige Satan mir ein Blendwerk fürgespielet;
doch wie ich mir auch die Augen riebe, es war Roggen
und bliebe Roggen. Und weilen den alten Paassch sein
Stück so daneben stieß imgleichen besäet und die
Hälmlein zu gleicher Höhe mit den meinigen geschossen
waren, kunnte gar leicht bei mir abnehmen, daß der gute
Kerl solliches gethan, anerwogen die andern Stücken
allesammt wüste lagen. Verziehe ihm dahero gerne, daß
er den Morgenseegen nit gewußt und dem Herrn
dankend vor so viel Liebe bei meinen Kapselkindern und
ihn brünstiglich anflehend: er wölle mir Kraft und
Glauben gewehren, bei ihnen nunmehro auch
unverdrossen auszuhalten, und alle Kümmernüß und
Trübsal so er nach seinem grundgütigen Willen uns
ferner auferlegen söllte, williglich zu tragen, lief ich mehr
denn ich ginge in das Dorf zurücke und auf den alten
Paassch seinen Hof, wo ich ihn antraf, daß er eben seine
Kuh zuhauete, so er für grimmigem Hunger nunmehro
auch geschlachtet. »Gott hilf dir!« sage ich »du frommer
Kerl, daß du mir meinen Acker begatet hast, wie soll ich
dir's lohnen?« Aber der alte Mann gab zur Antwort: Lat
he dat man wesen und bede he man för uns 8 und als ich
solliches gerne zusagete und ihn fragete: wie er sein Korn
für dem grimmigen Feind geborgen, verzählete er mir,
daß er es in der Höhlen im Streckelberge heimlichen
versteckt gehabt, nunmehro aber auch all sein Fürrath
aufgezehret sei. Inzwischen schnitt er ein groß schön
Stück Fleisch dem Haubt aus der Lenden und sprach: da
hett he uck wat, und wenn et All iß, kann he noch eiß
kamen. 9 Als ich nun mit vieler Danksagung gehen wölk,
griff mich seine kleine Marie bei der Hand, ein Kindlein
bei sieben Jahren, so im Streckelberge das Gratias gebetet
und wollt mit zu meiner Tochter nach der Schulen. Da,
wie vorbemeldet, mein custos in der Pestzeit auch dieses
Zeitliche gesegnet, muß sie die Paar kleinen Kinder im
Dorf informiren, welches aber seit lange unterblieben.
Wollt es ihr dahero nicht wegern, obwohl ich gleich
besorgete, daß mein Töchterlein das Brod mit ihr theilen
würd, angesehen sie das Mägdlein sehr lieb hatte, da es
ihre Päthe war. Und so geschahe denn auch. Denn als das
Kind sahe, daß ich das Brod herfürlangete, schriee es
gleich für Freuden auf und begunnte auf die Bank zu
klettern. Daher bekam sie einen Theil von der Schnede,
einen Theil unsere Magd und den dritten Theil steckte
mein Töchterlein in den Mund, da ich Nichtes haben
wollte, sondern sprach: ich verspüre keinen Hunger und
wölle warten bis sie das Fleisch gesotten, welches ich
nunmehro auf die Bank wurf. Da hätte man sehen sollen,
welche Freude mein armes Kind empfund, zumalen ich
ihr nun auch von dem Roggen verzählete. Sie fiel mir
umb meinen Hals, weinete, schluchzete, hob alsdann das
kleine Mägdlein auf ihre Arme, tanzete mit selbiger in der
Stuben und recitirete nach ihrer Weiß dazu allerhand
lateinische versus so sie auswendig wußte. Nun wollte sie
uns auch ein recht schön Abendbrod zurichten, da in
einer Fleischtonnen, so die Kaiserlichen zuschlagen, noch
ein wenig Salz auf dem Boden geblieben. Ließ sie also ihr
Wesen treiben, und kratzete etwas Ruß aus dem
Schornstein, so ich mit Wasser vermengete, riß alsdann
ein fast weißes Blatt aus dem Virgilio und schriebe an den
pastorem Liepensem, Ehre Abrahm Tiburtius: Daß er
umb Gottes willen sich wölle unsere Noth zu Herzen
gehen lassen, und seine Kapselleute vermahnen, daß sie
uns für dem grimmigen Hungertod schützen und
mildthätiglich an Speise und Trank abtheilen wöllten, was
der grundgütige Gott ihnen gelassen, angesehen ein
Bettlersmann mir verzählet, daß sie seit langer Zeit Friede
für dem erschröcklichen Feind gehabt. – Wußte aber nit,
womit ich den Brief verschließen söllte, als ich in der
Kirchen noch ein wenig Wachs an einem hölzernen
Altarleuchter funde, so die Kaiserlichen nicht werth
geachtet, daß sie ihn aufhüben, und nur die messingschen
mit sich geführet hatten. Mit solchem Brief mußten sich
drei Kerls und der Fürsteher Hinrich Seden in ein Boot
setzen und nach der Liepe aufmachen.
Eher noch stellte aber meiner alten Ilsen für so aus
der Liepe bürtig war, ob sie nit lieber wöllte mit in ihre
Heimath ziehen, maßen sie sähe, wie es stünd, ich ihr
auch vors Erste keinen Witten an Lohn geben künnte.
(Merke: sie hatte sich ein schön Sümmlein ersparet,
angesehen sie länger denn 20 Jahre bei mir in Dienst
gewest, aber das Kriegsvolk hatte ihr Allens
abgenommen.) Aber ich kunnte sie nicht dazu bringen,
sondern sie weinete bitterlich und bate, daß ich sie nur
bei der guten Jungfer lassen söllte, so sie schon in der
Wiegen gekennet. Wöllte gerne mit uns hungern, wenn es
sein müßt, möchte sie nur nit verstoßen. Dahero ließ ich
sie und fuhren die Andern allein ab.
Unterdeß war auch die Suppen gar worden. Doch als
wir kaum das Gratias gebetet, und zulangen wollten,
kamen alle Kindlein aus dem ganzen Dorfe bei sieben an
der Zahl zur Thüre herein, und wollten Brod haben,
welches sie von meiner Tochter ihrer kleinen Päthe
gehöret. Da brach selbiger nun wieder das Herze, und
obgleich ich sie bate, sich hart zu machen, vertröstete sie
mich doch mit der Lieper Bothschaft, und kellete einem
jeden Kindlein sein Theil Suppen auf einen hölzernen
Teller (denn diese hatte der Feind nicht geachtet) und
stach ihm auch ein wenig Fleisch in die Händeken, sodaß
unser Fürrath mit einmal aufgezehret ward. Blieben
dahero des andern Morgens wieder nüchtern bis gegen
Mittag, wo das ganze Dorfsich auf der Wiesen am Ufer
versammblet hatte, als das Boot zurücke kam. Aber Gott
erbarm's, wir hatten fast umbsonst gehoffet! – Nur sechs
Brode und ein Hammel item ein Viert Backäpfel war
allens was sie hatten. Denn Ehre Abraham Tiburtius
schriebe mir, daß, nachdem das Geschrei von ihrem
Reichthumb über die ganze Insel erschollen, soviel
Bettlersleute bei ihnen umbgingen, daß sie ihnen
unmüglich gerecht werden künnten, angesehen sie
selbsten nicht wüßten, wie es noch mit ihnen in dieser
schweren betrübten Zeit ablaufen würd. Indessen wöllte
er sehen, ob er noch mehr auftreiben künnte. Ließ also
den kleinen Fürrath mit vielem Seufzen in die Widemen
tragen, und obgleich zwei Brode wie pastor lipensis
schriebe, vor mich allein sollten, gabe ich sie doch mit in
die Theilung, womit auch Alle sich zufrieden stellten,
ausgenommen den alten Seden sein gluderäugigt Weib
nit, so noch apart für ihren Mann seine Reise etwas
haben wollte, was aber, wie leicht zu erachten, nit
geschah, weshalben sie wieder, da sie abzoge, etzliche
Worte zwüschen die Zähne mummelte, die aber
Niemand nit verstand. Es war ein schier verrucht Weib,
so sich durch Gottes Wort nicht beikommen ließ.
Nun kann aber männiglich von sich selbsten
abnehmen daß solcher Fürrath nit lange aushielt. Da nun
zugleich auch bei allen Kapselleuten ein brünstig
Verlangen nach der geistlichen Speise sich verspüren ließ;
ich selbsten und die Fürsteher aber nur 8 Witten 10 im
ganzen Kapsel auftreiben kunnten, so nit auslangeten,
umb Brod und Wein anzuschaffen, kam ich auf die
Gedanken, abermals dem Herrn Ambthaubtmann unsere
Noth zu vermelden. Mit wie schwerem Herzen ich
solliches that, kann man leicht erachten. Aber Noth
kennt kein Gebot. Riße dahero auch das Hinterblättlein
aus dem Virgilio und bate, ümb der heiligen Dreieinigkeit
willen, daß Seine Gestrengen sich meiner und des ganzen
Kapsels gemeine Noth wöllte zu Herzen gehen lassen,
und ein wenig Geld hergeben, zum Trost der betrübten
Seelen das heilige Sacrament zu halten, auch wo müglich
einen Kelch zu kaufen, so er auch nur von Zinne sein
söllte, sintemalen der Feind die fürhandenen geraubet,
und ich sonsten gezwungen wär das heilige Nachtmal in
einem Topf zu consacriren. Item möcht er sich auch
unserer leiblichen Noth erbarmen, und mir endiglichen
mein, seit so viel Jahren hinterstelliges Mistkorn
verabreichen. Wölke es nicht allein vor mich selbsten
haben sondern es gern mit dem ganzen Kapsel theilen,
bis der grundgütige Gott mehr bescheeren würd.
Hierzwischen fiel mir aber ein stattlicher Kläcks auf
das Papier. Denn da die Fenster mit Brettern verspundet
waren, ware das Zimmer tunkel und nur ein wenig Licht
kam durch zwei kleine Scheiblein Glas, so ich aus der
Kirchen gebrochen, und hineingesetzet. Solliches mochte
wohl die Ursache sein, daß ich mich nit besser fürsah. Da
ich aber kein neues Stücklein Papier mehr auftreiben
kunnte, ließ ich es passiren, und befahle der Magd, so ich
mit dem Brieflein gen Pudgla sandte, solliches bei Sr.
Gestrengen, dem Herrn Ambtshaubtmann zu
entschuldigen, welches sie auch zu thun versprach;
angesehen ich selbsten kein Wörtlein mehr auf dem
Papier beisetzen kunnte, dieweil alles beschrieben war.
Siegeln thät ich es, wie vorbemeldet.
Allein die arme Person kehrete zitternd für Angst und
weinend zurücke, und sprach: Seine Gestrengen hätte sie
mit dem Fuß aus der Schloßpforten gestoßen und
gedräuet, sie in den Ganten 11 setzen zu lassen, so sie
wiederumb vor ihn käme. Ob der Pfaffe gläube, daß ihm
das Geld so loose säß, wie mir die Tinte, hätte ja Wasser
genug das Abendmahl zu halten. Denn hätte Gottes
Sohn einmal das Wasser in Wein gewandelt, könnt er's
auch öftermalen. Hätt' ich keinen Kelch sollt ich meine
Schaaf aus einem Eimer tränken, wie er's auch thät, und
was solcher Gotteslästerungen mehr waren, so er mir
nachgehends auch selbsten schriebe, und wovor ich
mich, wie leicht abzunehmen, auf das erschröcklichste
entsatzte. Von dem Mistkorn verzählete sie, hätte er gar
Nichtes gesagt. In solcher meiner großen Seelen- und
Leibesnoth kam der liebe Sonntag heran, wo fast die
ganze Gemeind zu Gottes Tisch gehen wollt, aber nicht
kunnte. Ich sprach dannenhero über die Worte St.
Augustins: crede et manducasti 12 wobei ich fürstellete,
daß die Schuld nit mein und treulichen erzählete, wie es
meiner armen Magd in Pudgla ergangen, doch dabei noch
Vieles verschwiege, und nur Gott bate, er wölle das Herz
der Obrigkeit zu unserm Frommen erwecken. Kann auch
in Wahrheit sein, daß ich härter gesprochen, denn ich
gegläubet, was ich nit mehr weiß, sintemalen ich sprach:
wie mir umb's Herze war. Zum Schluß mußte die ganze
Gemeine auf ihre Knie fallen bei einer Stunde lang und
den Herrn umb sein heilig Sacrament anrufen, item umb
Linderung ihrer Leibesnoth, wie solliches zeithero auch
alle Sonntage und sonsten in den täglichen Betstunden
geschahe, so ich seit der schweren Festzeit zu halten
gewohnt gewest. Endelichen stimmte ich noch das feine
Liedlein an: wenn wir in höchsten Nöthen sein, worauf
nicht sobald geschlossen als mein neuer Fürsteher Claus
Bulk von Uekeritze, so früher ein Reutersmann bei Sr.
Gestrengen gewesen, und den er nunmehro zu einem
Bauern eingesetzet, gen Pudgla rannte, und avertirte, was
in der Kirchen fürgefallen. Solliches verdroß Sr.
Gestrengen heftiglichen, so daß er den ganzen Kapsel,
noch bei 150 Köpfen stark, die Kinder ungerechnet,
zusammenrief, und ad protocollum diktirte, was sie von
der Predigt behalten, maßen er Seiner fürstlichen Gnaden
dem Herzogen von Pommern zu vermelden gesonnen,
welch gotteslästerliche Lügen ich gegen ihn ausgespieen,
wovor ja ein christlich Herz erschrecken müßt; item
welch ein Geizhals ich wär, daß ich nur immer von ihm
haben wöllt, und ihn in dieser harten und schweren Zeit,
sozusagen tagtäglich mit meinen Sudelbrieffen anrennete,
wo er selbsten vor sich nichts zu essen hätte. Das söllte
dem Pfaffen den Hals brechen, da Se. fürstliche Gnaden
alles thät, was er fürzustellen käme, und brauchte
Niemand im Kapsel mir Nichtes mehr zu verabreichen
sondern sie söllten mich nur lauffen lassen. Er wölle
schon sorgen, daß sie einen ganz andern Priester wieder
erlangeten, denn ich wär.
(Möchte den aber wohl sehen, der sich in sollich
Unglück hineinzubegeben entschlossen gewesen wär.)
Diese Botschaft wurde mir aber noch in selbiger Nacht
hinterbracht, wovor ich fast heftig erschrack, angesehen
ich wohl einsahe, daß ich nun nit einen gnädigen Herrn
an Sr. Gestrengen bekommen, sondern Zeit meines
erbärmlichen Lebens, wenn ich es anderst söllte fristen
können, eine ungnädige Herrschaft haben würd. Doch
tröstete mich bald ein Etwas, als Chim Krüger aus
Ueckeritze, so mir solches hinterbrachte, ein Stücklein
von seinem Ferkel aus der Taschen zog, das er mir
verehrete. Darüber kam auch der alte Paassch hinzu,
welcher dasselbe sagte, und noch ein Stücklein von seiner
alten Kuh herfürlangte, item mein anderer Fürsteher
Hinrich Seden mit einer Schnete Brod, und einem Braxen
13 , so er in den Reusen gehabt, alle sagende: daß sie
keinen bessern Priester wöllten, als ich, und möchte ich
nur bitten, daß der barmherzige Gott mehr bescheeren
wölle, wo es mir dann auch an Nichtes fehlen söllt,
inzwischen aber söllte ich stille sein, und sie nit verrathen.
Solliches gelobte ich Alles zu thun, und mein Töchterlein
Maria hob alsobald die liebe Gottesgab von dem Tische
und trug sie in die Kammer. Aber o Jammer, des andern
Morgens als sie das Fleisch in den Grapen thun wollte,
war Allens fort! Weiß nichtwer mir dieses neue Herzeleid
bereitet doch meine fast, daß es Hinrich Seden sein böses
Weib gethan, sintemalen er nicht schweigen kann, und ihr
wie gläublich, wohl alles wiedererzählet. Auch hat
Paasschen sein klein Töchterlein gesehen, daß sie zum
andern Mittag Fleisch in dem Topf gehabt, item daß sie
mit ihrem Mann gehaddert, und nach ihme mit dem
Fischbrett geschmissen, auf welchem noch frische
Fischschuppen gesessen; hätte aber sich gleich begriffen,
als sie ihrer gewahr worden. (Pfui dich alte Hexe, es wird
genug wahr sein!) Dahero blieb uns nichts übrig, als
unsere arme Seele mit Gottes Wort zu speisen. Aber auch
diese war so verzaget, daß sie nichts mehr annehmen
wöllte, so wenig als der Magen. Denn mein arm
Töchterlein insonderheit, ward von Tag zu Tag blasser,
grauer und gelber, und spiee immer wieder die Speiß aus,
da sie Allens ohne Salz und Brod genoß. Wunderte mich
schon lange, daß das Brod aus der Liepe nit wollte all
werden, sondern ich alle Mittag bisher ein Stücklein
gehabt. Hatte auch öftermalen gefraget, wo hastu denn
immerfort das liebe Brod her, am Ende hebest du Alles
vor mich allein auf, und nimmst weder vor dich ein
Stücklcin, noch vor die Magd. Aber beide hoben dann
immer ein Stücklein tannen Bork 14 in die Höhe, so sie
zurecht geschnitten und vor ihren Teller gelegt, und da es
dunkel war in der Stuben, merkete ich die Schalkheit nit,
sondern gläubete sie äßen auch Brod. Aber endiglichen
zeigt es mir die Magd an, daß ich es nit länger leiden
söllte, dieweil mein Töchterlein ihr selbsten nit hören
wölle. Da kann nun männiglich abnehmen, wie mir um
das Herze war, als ich mein arm Kind auf ihr Moosbett
liegen und ringen sah mit dem grimmigen Hunger. Aber
es sollte noch härter kommen, denn der Herr wollte mich
ganz zerschlagen in seinem Zorn wie einen Topf. Siehe
auf den Abend desselbigen Tages kommt der alte Paassch
angelaufen klagende, daß all sein und mein Korn im
Felde umbgehaket und elendiglich zerstöret sei, und
müsse dies schier der leidige Satan gethan haben,
angesehen nicht die Spur eines Ochsen weder eines
Rosses zu sehen wär. Für solche Rede schriee mein arm
Kind laut auf und fiel in Unmacht. Wollte ihr dahero zu
Hülfe springen, aber ich erharrete nit ihr Lager, sondern
fiel für gräulichen Jammer selbsten zur Erden. Als nun
die Magd wie der alte Paassch ein laut Geschrei
herfurstießen, kamen wir zwar wieder bei uns, aber ich
konnte mich nit allein mehr von der Erden erheben, so
hatte der Herr meine Gebein zermalmet. Bate daher, als
sie mir beisprangen, so wöllten mich nur liegen lassen,
und als sie solches zu thun sich wegerten, schriee ich, daß
ich doch gleich wieder zur Erden müßt' ümb zu beten
und möchten sie nur Alle bis auf mein Töchterlein aus
der Stube gehn. Solliches thäten sie, aber das Beten wollte
nit gehen. Ich geriethe in schweren Unglauben und
Verzweiflung, und mürrete wieder den Herrn, daß er
mich härter plagete denn Lazarum und Hiob. Denn dem
Lazaro schriee ich Elender, hattest du doch die Brosamen
und die barmherzigen Hündlein gelassen, aber mir hast
du nichts gelassen, und bin ich selber schlechter vor dir,
denn ein Hund geachtet, und den Hiob hast du nicht
gestrafet, ehe du gnädiglich ihm seine Kinder genommen,
mir aber lässest du mein arm Töchterlein, daß ihre Qual
meine eingene noch tausendfältiglich häufen muß. Siehe
darumb kann ich dich nichts mehr bitten, denn daß du
sie bald von dieser Erden nimmst, damit mein graues
Haubt ihr freudig nachfahren könne in die Grube! Wehe
ich ruchloser Vater, was hab' ich gethan? Ich hab Brod
gessen und mein Kindlein hungern lassen! O Herr Jesu,
der du sprichst: welcher ist unter euch Menschen, so ihn
sein Sohn bittet um Brod, der ihm einen Stein biete?
Siehe ich bin dieser Mensch, siehe ich bin dieser ruchlose
Vater, ich habe Brod gessen und meinem Töchterlein
Holz geboten, strafe mich, ich will dir gerne stille halten!
O mein gerechter Jesu, ich habe Brod gessen und
meinem Töchterlein Holz geboten! – Als ich solliches
nicht redete sondern laut herfürschrie, indem ich meine
Hände range, fiel mir mein Töchterlein schluchzend umb
den Hals, und strafete mich, daß ich gegen den Herrn
murrete, da doch sie selbsten als ein schwach und
gebrechlich Weib gleichwohl nicht an seiner Gnade
verzweifelt sei; so daß ich bald mit Schaam und Reue
wieder zu mir selbsten kam, und mich vor dem Herrn
demüthigte für solche Sünden.
Hierzwischen war aber die Magd mit großem
Geschrei in das Dorf gerannt, ob sie ein wenig für ihre
arme Jungfer gewinnen möcht. Aber die Leute hatten ihr
Mittag schon verzehret und die Meisten waren auf der
Sehe, sich die liebe Nachtkost zu suchen; dahero sie
nichts gewann, angesehen die alte Sedensche so allein
noch einen Fürrath gehabt, ihr nichts hätte verabreichen
wöllen, obschon sie selbige um die Wunden Jesu gebeten.
Solliches verzählete sie noch, als wir es in der
Kammer poltern höreten, und alsobald ihr guter alter
Ehekerl, der dorten heimlich in das Fenster gestiegen
war, einen Topf mit einer kräftigen Suppen uns brachte,
so er seinem Weibe von dem Feuer gehoben, die nur
einen Gang in den Garten gethan. Er wisse wohl, daß
sein Weib ihm dieses baß vergelten würde, aber das söllt
ihn nicht verdrießen, und möchte die Jungfer nur trinken,
es wäre gesalzen und Allens. Er wölle nur gleich wieder
durchs Fenster eilen und sehen, daß er vor seinem Weibe
ins Haus käme, damit sie es nicht merken thät, wo er
gewesen. Aber mein Töchterlein wollte den Topf nit
nehmen, was ihn sehr verdroß, so daß er ihn fluchend zur
Erden setzte und wieder in die Kammer lief. Nicht lange,
so trat auch sein gluderäugigt Weib zur Vorderthüren
herein, und als sie den Topf auf der Erden noch dampfen
sahe, schriee sie: »du Deef 15 du verfluchtes deefsches
Aas« und wollte meiner Magd in die Mütze fahren. Ich
bedräuete sie also, und verzählete, was fürgefallen; wöllte
sie es nit gläuben so möcht sie in die Kammer gehen und
durchs Fenster schauen, wo sie ihren Kerl vielleicht noch
laufen säh. Sollichtes that sie, und höreten wir sie auch
alsogleich ihrem Kerl nachschreien: Teuf di sall de Düwel
de Arm utrieten, kumm mie man wedder int Huus 16
worauf sie wieder hereintrat, und mummelnd den Topf
von der Erden hob. Ich bat sie umb Gottes willen, sie
wölle meinem Töchterlein ein wenig abtheilen, aber sie
höhnete mich und sprach: ji koehet ehr jo wat vör
prädigen, aß ji mie dahn hebt 17 und schritt mit dem Topf
zur Thüren. Zwar bat mich mein Töchterlein ich söllte
sie lassen, aber ich konnt nicht umbhin, daß ich ihr
nachschrie: um Gottes willen nur einen guten Trunk,
sonst giebt mein armes Kind den Geist auf; willtu, daß
Gott sich dein am jüngsten Tage erbarme, so erbarme
dich heute mein! Aber sie höhnete uns abermals und rief:
he kann sich jo Speck kaken 18 , und schritt aus der
Thüren. Sandte ihr also die Magd nach mit der Sanduhr,
so vor mir auf dem Tische stund, daß sie ihr selbige
bieten möcht' vor einem guten Trunk aus ihrem Topf.
Aber die Magd kam mit der Sanduhren wieder und sagte:
sie hätt es nicht gewollt. Ach wie schriee und seufzete ich
nun abermals, als mein arm sterbend Kind den Kopf mit
einem lauten Seufzer wieder in das Moos steckete! –
Doch der barmherzige Gott war gnädiger, als ich es mit
meinem Unglauben verdient. Denn, da das hartherzige
Weibsbilde dem alten Paassch ihrem Nachbarn ein wenig
Suppen mitgetheilt, bracht' er sie sogleich vor mein
Töchterlein, da er von der Magd wußte, wie es umb sie
stünde, und achte ich, daß diese Suppen, nebst Gott, ihr
allein das Leben erhalten, dieweil sie gleich wieder das
Haupt aufreckte, als sie selbige genossen, und nach einer
Stunden schon wieder im Hause umbhergehen konnte.
Gott lohn's dem ehrlichen Kerl! Hatte dahero noch heute
große Freud in meiner Noth; doch als ich am Abend
beim Kaminfeuer niedersaß, und an meine Verhängnüß
gedachte, brach wieder der Schmerz herfür, und beschloß
nun mehro mein Haus und meine Pfarre selbst zu
verlaufen, und als ein Bettlersmann mit meiner Tochter
durch die weite Welt zu ziehen. Ursache kann man
genugsam denken. Denn da nunmehro alle Hoffnung mir
weggestochen war, massen mein ganzes Feld geruiniret,
und der Amtshaubtmann mein ergrimmter Feind worden
war, ich auch binnen fünf Jahren keine Hochzeit, item
binnen einem Jahr nur zwo Taufen gehabt, sahe meinen
und meines Kindes Tod für Augen, dieweil gar nit
abzusehen, daß es vors Erste besser söllte werden. Hiezu
trat die große Furcht in der Gemein. Denn obwohl sie
durch Gottes wunderliche Gnade schon anfingen
manchen guten Zug beides in der Sehe wie im
Achterwasser zu thun, auch mancher in den andern
Dörfern sich schon Salz, Brod, Grütze etc. von den
Anklammschen und Lassanschen Pöltern und Quatznern
19 vor seine Fische hatten geben lassen, brachten sie mir
doch Nichtes, weil sie sich scheueten, daß es möcht gen
Pudgla verlauten, und sie einen ungnädigen Herrn haben.
Winkete dannenhero mein Töchterlein neben mich, und
stellte ihr für, was mir im Gedanken lage. Der
grundgütige Gott könne mir ja immer eine andere
Gemeinde wieder bescheeren, so ich sollte solcher Gnade
würdig vor ihm befunden werden, angesehen die
grimmige Pest- und Kriegeszeit manchen Diener seines
Worts abgerufen, ich auch nicht, wie ein Miethling von
seiner Heerde flöhe, besondern bis dato Noth und Tod
mit ihr getheilet. Ob sie aber wohl des Tages ein oder
zwo Meilen würde gehen künnen? dann wöllten wir uns
gen Hamburg durchbitten zu meiner seligen Frauen
ihrem Stiefbruder, Martin Behring so dorten ein
fürnehmer Kaufmann ist.
Solliches kam ihr anfänglich seltsam für, inmassen sie
wenig aus unserm Kapsel gekommen auch ihre selige
Mutter und Brüderlein auf unserm Kirchhof lagen. »Wer
dann ihr Grab aufmachen und mit Blumen bepflanzen
söllte? item, da der Herre ihr ein glatt Gesicht gegeben,
was ich thun wöllte, wenn sie in dieser wilden grimmigen
Zeit auf der Landstraßen von dem umbherstreichenden
Kriegsvolk und andern Lotterbuben angefallen würd, da
ich ein alter schwacher Mann sei und sie nit schützen
könnte, item womit wir uns für dem Froste schützen
wöllten, da der Winter hereinbräch, und der Feind unsere
Kleider geraubet, so daß wir ja kaum unsere Blöße
decken künnten?« – Dieses Alles hatte ich mir noch nicht
fürgestellet, mußte ihr also recht geben, und wurde nach
vielem Disputiren beschlossen, daß wir zur Nacht die
Sache wöllten dem Herrn überlassen, und was er am
andern Morgen uns würde in das Herze geben, wöllten
wir thun. Doch sahen wir wohl, daß wir auf keinerlei
Weiß würden die alte Magd länger behalten können. Rief
sie also aus der Küchen herbei, und stellete ihr für: daß
sie morgen frühe zu guter Zeit sich nach der Liepen
aufmachen möchte, dieweil es dorten noch zu essen
hätte, und sie hier verhungern würd, angesehen wir selber
vielleicht schon morgen den Kapsel und das Land
verlaufen würden. Dankete ihr auch für ihre bewiesene
Liebe und Treue, und bate sie endlich unter lautem
Schluchzen meiner armen Tochter, sie wölle lieber nur
sogleich heimblich hinweggehen, und uns beiden nicht
das Herze durch ihren Abschied noch schwerer machen,
angesehen der alte Paassch die Nacht auf dem
Achterwasser wöllte fischen ziehen, wie er mir gesaget,
und sie gewis gerne in Grüßow an das Land setzete, wo
sie ja auch ihre Freundschaft hätte, und sich noch heute
satt essen könnte. Aber sie kunnte vor vielem Weinen
kein Wörtlein herfürbringen; doch da sie sahe, daß es
mein Ernst war, ging sie aus der Stuben. Nit lange darauf
hörten wir auch die Hausthüre zuklinken, worauf mein
Töchterlein wimmerte: sie geht schon und flugs an das
Fenster rannte, ihr nachzuschauen »Ja, schrie sie«, als sie
durch die Scheiblein geblicket, »sie geht schon!« und rang
die Hände und wollte sich nit trösten lassen. Endiglichen
gab sie sich doch, als ich auf die Magd Hagar kam so
Abraham auch verstoßen, und deren gleichwohl der Herr
sich in der Wüsten erbarmet und darauf befahlen wir uns
dem Herrn, und streckten uns auf unser Mooslager.
Fußnoten
1 Ist jetzt nicht mehr vorhanden.
2 Ein abgelegener Theil der Insel Usedom.
3 Plattdeutsch, für Schnitte.
4 Dieses entsetzliche Ereigniß führt auch Micraelius in
seiner pommerschen Geschichte an.
5 wo nach Josephus dasselbe geschah.
6 Da! aber betet auch für mich, daß ich zu Hause
komme, denn wenn man unterweges riechet, daß ich
Brod habe, schlägt mich mein eigener Bruder todt, könnt
Ihr glauben.
7 zur Saat vorbereitet, d.i. gepflügt und geeggt.
8 Laß Er daß nur ruhen und bete er nur für uns.
9 Da hat Er auch was, und wenn es verzehret ist, kann er
noch einmal kommen.
10 etwa 16 Pfennige.
11 Schandpfahl.
12 glaube und du hast gegessen.
13 Braxen, Blei, ein zum Karpfengeschlecht gehöriger
Fisch.
14 Rinde.
15 Dieb.
16 Warte, dir soll der Teufel die Arme ausreißen, komm
mir nur wieder ins Haus.
17 ihr könnt ihr ja etwas vorpredigen, als ihr mir gethan
habt.
18 kochen.
19 befahren bis zu dieser Stunde in kleinen Fahrzeugen
(Polten und Quatzen) alltäglich das Achterwasser und
kaufen dem Bauern die gefangenen Fische ab.