Читать книгу Hohe Fahrt! - WILHELM SCHREINER - Страница 7
ОглавлениеRan an den Feind!
Hinter jagenden Wolkenfetzen sank die Sonne blutig ins Meer. Es war am Abend des 21. September. Über der See stand ein steifer Nordnordwest; er peitschte die trägen schmutzigen Wasser der Emsmündung, dass sie mit weißen gischtigen Kämmen zischend und gurgelnd einander überstürzten. Unabsehbar weit sah man sie herankommen, wie ein Heer weißer Reitergeschwader, bis nach der holländischen Küste hinüber, die sich vom letzten Sonnenglast umglüht scharf gegen den Himmel abhob. Landeinwärts von Emden ·ging mit grauem Regenschleier eine schwere Bö nieder. Bis zum Außenhafen schob sie sich heran. Schwer klatschten die großen Tropfen auf die grauen Rücken der sechs U-Boote, die an der Mole vertaut waren, und zersprühten zu staubfeinen Spritzern. Das Wasser stieg noch immer, stark schwankten die Stangenperiskope bei jeder neuen Welle, die die Flut glucksend gegen die Schiffswand warf. Unmutig zerrten und jankten die Boote stampfend an den Stahltrossen, die sie an der Mole festhielten. Sie warteten nur auf das Einsetzen der Ebbe, um mit Westnordwestkurs auf Vorposten zu gehen. Glock acht legt sich die Jolle mit den Offizieren längs, fünf Minuten später kurbeln die Maschinen an, das Wasser teilt sich am Bug, und leise gleiten die Boote, voran das Führerboot U 14, in die schwarze Nacht. Kein Licht leuchtet in der Fahrstraße, alle Baken und Bojen hat der Krieg hinweggefegt; schwarz und unheimlich liegt die See. Nur vom holländischen Delfzyl herüber stiehlt sich zag ein zitterndes Licht. Aber je dunkler, desto besser; die Dunkelheit ist ihr Bundesgenosse. Noch gehen sie im Wasser der Ems und machen gute Fahrt, denn sie fahren „über“ Wasser. Rechts voraus eine schwarze Masse: die Knock; vorbei — jetzt sind sie in der See und haben’s nicht schwer, hier richtig zu navigieren, weil die Boote nur geringen Tiefgang aufweisen und deshalb nicht gleich auf jeder Untiefe aufsitzen.
Im Wattenmeer ist der Seegang nicht bedeutend, besonders da Ebbe läuft; dabei lassen sich bequem 14 Knoten Fahrt halten. Auf dem Führerboot geht eine Leuchtkugel hoch — Sekunden nur später blitzt in Steuerbord ein Scheinwerfer auf, Borkum meldet sich; in kurzen und langen Zwischenräumen gleitet sein Licht über die Wogen: lautlose Kunde in Morsezeichen. Suchend tastet die Lichtgarbe sekundenlang nach Norden, dann verstummt die Sprache der Nacht. Doch da flammt es auch im Norden schon auf, bunt und kurz, hart über den Wogen. Die Emdener Boote stoppen die Fahrt, um U 9, das von Helgoland kommt, zu erwarten. Nach einer Weile taucht das Boot, gischtumsprüht aus der Finsternis und rangiert nach kurzer Meldung mit dem Sprachrohr im Vorübergleiten an den Schluss der Linie. Die See liegt finster wie zuvor.
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„Na Kinder, ’s wird nicht lange dauern, dann sind wir wieder vom, die andern gehen ja doch nach Schottland . . .“ „Und wir?“ „Abwarten . . .“ Der Kommandant blinzelt. Und weiß, bei den Vorposten erwartet ihn besonderer Befehl. Schon signalisiert U 14 von seinem Turm aus, der nur wenig über der Wasserfläche liegt: unsere ganze Linie dreht einige Strich nach Backbord ab, in dieser Richtung, hat Borkum gemeldet, stehen unsere äußersten Kreuzerposten für diese Nacht. Abermals blitzt es bei U 14: Formationsänderung! Lautlos laufen die achteren Boote dem Führerboot auf, nun fahren wir alle in gleicher Höhe, wir mit U 9 am weitesten westwärts.
In Backbord ein Licht! In ruhigen Pausen flammt’s auf — die Bake von Rottum, freilich die Holländer haben ihre Feuer nicht gelöscht. Nun haben wir die letzten Inseln hinter uns, es geht in die freie See, wir spüren’s am stärkeren Rollen, unaufhörlich kommen Sturzseen über, der Bug des Bootes wühlt sich, umleuchtet von sprühendem Gischt, schwer stampfend durch die Wogen. Fast lautlos arbeiten die Maschinen, kein Lichtstrahl dringt aus dem Bootsinnern; noch halten wir es aus auf der Plattform des Turmes; unförmig in unseren triefenden Ölmänteln stehen wir da, starren mit brennenden Augen in die Nacht, über die See. Das selbstleuchtende Zifferblatt meiner Uhr zeigt fünf Minuten nach. Zehn. Ab und zu geht ein Regenschauer über uns, dann wieder blinken ein paar Sterne; unter uns die beim starken Gang der Maschine zitternden Decksplanken und um uns brodelnde, brandende See — so sausen wir durch die Nacht. — — Gespenstig wachsen hart vor uns die schlanken Formen eines Kreuzers auf. „Halbe Kraft!“ Geschmeidig pirscht sich unser Boot heran, ein paar Winksignale mit der Blendlaterne und schon knistert vom vorderen Mast der „Kolberg“ der Scheinwerfer in hastender Eile: kurzkurzkurzkurz, bis U 14 mit Leuchtpatrone von fernher antwortet; eine kurze Pause: Achtung! Dann wirft der Kreuzer seine Befehle in Strahlenbündeln in die Nacht hinaus. Hoch gegen den Himmel, damit ja kein verräterischer Strahl auf die Boote fällt. Die „Emdener“ schwenken nach Norden ab, Ziel: Firth of Forth vermutlich. Gute Fahrt! U 9 ist auf Rufweite heran, über die Kommandobrücke der „Kolberg“ schiebt sich ein Sprachrohr: „Ahoi! Welches Boot?“ — „U 9, Kapitänleutnant Weddigen!“ — „Gut. Wilhelmshaven funkt mir, dass die Scheldemündung von englischen Kreuzern forciert ist. Gehen Sie mit Ihrem Boot Kurs auf Hoek van Holland und arbeiten Sie nach Ihrem Ermessen. Gute Fahrt!“ — „Ahoi!“ Wir warten, bis der Kreuzer vorgelaufen ist, dann das Steuer hart Backbord! Nun liegen wir in Südwestkurs, Achtung in der Maschine! Zitternd schnellt der Zeiger am Maschinentelegraphen auf „volle Fahrt!“ „Arbeiten“ hat er gesagt, Hurra endlich! Nun aber ’ran! Ein feiner Nebel senkt sich nieder; im Osten hellt es schon schwach auf, vor uns noch tiefe Nacht. Aber hinter uns schwingt sich die Helle immer höher am Himmelsdom hinauf, messerscharf hebt sich der Osthorizont gegen den jungen Tag; für den Feind liegen wir im NO, also Vorsicht; wir verlassen die Plattform, der Turm wird geschlossen — ach, es ist doch bannig eng im Kommandostand, erst gar zu dritt. Wir gehen so tief, dass das Wasser uns gerade überflutet, unser Periskop wirft das Bild, das wir bisher mit den eigenen Augen gesehen, nun vor uns auf die Scheibe, noch ist nichts zu sehen als Himmel und Wasser. Fünfeinhalb Uhr. Plötzlich pfeift der Kommandant durch die Zähne: ganz schwach erkennbar kommen von Süden drei Rauchsäulen ins Sehfeld. Der Rauchentwicklung nach müssen es große Schiffe sein — Handelsdampfer fahren nicht zu dritt. Also der Feind! Sofort sinken wir, das Sehrohr steht kaum einen halben Meter über Wasser, oft verdecken Sturzseen auf Augenblicke das Sehfeld; jetzt sind sie wieder da, nun tauchen die Schornsteine herauf, natürlich sind’s Engländer — jetzt erscheinen die Aufbauten, die Geschütze, das sind doch — so, nun haben wir sie ganz im Bild. Es müssen drei Panzerkreuzer der Art der „Cressy“ sein, deutlich erkennen wir’s an der im Morgenlicht weithin sichtbaren Geschützaufstellung. Sie machen wenig Fahrt, desto besser für uns, denn jetzt heißt’s: arbeiten! U 9 sinkt ganz unter Wasser, einige Meter gleich, dass man uns nur nicht etwa vom Mast entdeckt, die elektrische Maschine ist eingeschaltet, die Sauerstoffapparate in Tätigkeit. Das Herankommen ist jetzt nur Sache einer richtigen Rechnung aus der Geschwindigkeit, Entfernung, Fahrtrichtung von uns und dem Gegner; zu sehen gibt’s nichts mehr. Die Offiziere stehen gespannt über einer schnell entworfenen Skizze und rechnen; jetzt müssen wir schon auf 400 m heran sein, und nun kommt das Schwierigste: die Probe, ob die Rechnung stimmt; wir müssen hinauf und sehen. Das ganze Boot ist im Zustand höchster Kampfbereitschaft . . . vorsichtig steigen wir. Immer heller wird’s auf dem Sehfeld . . . jetzt . . . ein Blitzen . . . wir sind am Licht . . . ein Blick auf die Scheibe . . . „Sinken!!“ Schon hat der Kommandant genug gesehen. Die Rechnung stimmte, noch 100 m lassen wir den mittelsten Kreuzer, seitwärts dem wir stehen, herankommen, dann: „Achtung! Torpedo klar? . . . Fertig! . . . Los!!“ Sekunden vergehen . . . fühlbar schwankt plötzlich unser Boot, und eine dumpfe Detonation tragen die Wellen unter Wasser zu uns her. Heiß zuckt es uns durchs Herz; aber noch ist’s nicht Zeit zur Freude, arbeiten! wir sind noch nicht am Ende. Der Kommandant ist ganz Energie, auch nicht für Sekunden bekommt das Gefühl die Oberhand. „Sinken!“ In 10 m Tiefe kreuzen wir die Linie des Feindes auf Gegenkurs, jetzt müssen wir schon hinter den Kreuzern sein. Nun „hinauf“! Unbemerkt schiebt sich unser Sehrohr über den Wasserspiegel, mit heißen Augen starren wir auf die Platte, da . . . da ist unser Opfer; steilauf ragt das Heck des mittleren Kreuzers, noch schlagen die Schrauben, aber sie peitschen Luft, immer tiefer sinkt der Gegner, die anderen beiden Kreuzer nähern sich, aber an uns scheint keiner zu denken . . . deutlich erkennt man, wie die Geschütze verlassen stehen, sie haben unseren Torpedo für eine Mine gehalten. „Gehen Sie nach unten und sagen Sie unseren Jungen, wie wir gearbeitet haben.“ Der Jubel im Boot unten! Als ich die schmale Treppenleiter wieder nach oben kraxle, ruft mir Spieß schon entgegen: „Schnell, schnell!“ Gerade komme ich noch recht, um zu sehen, wie der dritte Schornstein „unseres“ Kreuzers unter Wasser verschwindet . . . ein Zucken geht durch das ganze Schiff . . . müde legt es sich nach Steuerbord schräg über . . . da umspielen die jungen Strahlen der Morgensonne den wunden Leib . . . golden blitzt am Heck der Name auf: „Abukir“, nun kennen wir doch unser Opfer, „Abukir“, Geschichtserinnerungen blitzen mir durch den Kopf, Nelson . . . Napoleons Flotte vernichtet . . Tempora mutantur . . . besiegt sinkt vor meinen Augen die „Abukir“ auf den Grund . . . Wrackstücke treiben an der Stelle, wo sie sank —— ein Teil der Besatzung ringt mit den Wellen — die Boote der Schwesterschiffe fliegen heran und bergen die Opfer. Lautlos vollzieht sich das alles in unserem Sehfeld . . . ein Wunder, dass der Feind unser Periskop noch nicht entdeckt hat, aber es schwimmt ja allerdings wer weiß wie viel auf dem Wasser herum in unserer Nähe. Erst eine Viertelstunde ist vergangen seit unserem Angriff. — U 9 taucht wieder . . . ingrimmig gibt der Kommandant seine Befehle . . . fünf Minuten später folgt der zweite Engländer der „Abukir“. Jetzt wird’s für uns etwas brenzlig, nun glaubt kein Engländer mehr an Minen . . . wir bleiben fein ruhig unter Wasser . . . mögen die sich doch erst mal die Augen aus dem Kopf gucken nach uns. Zwar gemütlich ist’s nicht bei uns. Die Luft ist dick und verbraucht trotz der Sauerstoffzufuhr, aber ’s wird ja nicht ewig dauern. Nach einer Stunde leisten wir uns vorsichtig mal wieder einen Happen Sonnenlicht. Doch blitzschnell geht’s wieder in die Tiefe, denn kaum 100 m vor uns schaukelt das dritte Opfer auf den Wellen, die Rettungsarbeit muss ihn zum Stoppen genötigt haben . . . er liegt fein im Schuss . . . Zwei Torpedos hart hintereinander verlassen das Rohr . . . sie treffen fast zur gleichen Zeit, ein dumpfer Doppelschlag erreicht uns . . . genug . . . mit voller Fahrt gehen die Maschinen an: Nordwärts . . . nach 500 m „Stopp!“ Wir steigen, erst vorsichtig, dann, nach kurzer Orientierung im Sehfeld: „Auftauchen!“ Kein Geschütz kann uns mehr schaden, denn das letzte englische Schiff treibt kieloben wie ein Riesenwal auf den ruhigen Wogen. Wir steigen aus dem Turm herauf, auch die Mannschaft darf zum Teil in den Laufgang kommen und das Schlachtfeld besehen. In 500 m Entfernung versackt der Rumpf der „Cressy“ Stück um Stück — ein großer Sarg; Hunderte birgt er. Wir wissen das, und es dämpft unsern Jubel . . . der Mensch in uns schläft nicht . . . und doch wogt und rast in der Brust die heiße Siegesfreude. „Zerstörer!“ — „Wo?“ — „Dort achter dem Holländer, der auch Boote ausgesetzt hat“ . . . Zwei Seemeilen entfernt ein schäumender Wasserberg und darüber dichter Rauch . . . dort noch einer, da zwei, vier, eine Division, sechs Boote. „Alles unter Deck! Klappe zu! Achtung! Klar Schiff! Sinken!“ Schneidend kommen die Befehle. Wir sinken . . . fünf, acht Meter. „Volle Fahrt!“ Unser Kommandant schmunzelt: auf Gegenkurs laufen wir unter dem Feind durch; der sucht uns nach SO und wir stehen hinter ihm in NW; nach zwei Stunden drehen wir scharf nach OSO . . . nun lauft Maschinen „Volle Fahrt“! Heimwärts, heimwärts. Wir bringen in freudeerzitternden Händen den jungen Sieg der deutschen Flotte.